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Predigt zu Offenbarung 7, 9-14

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<strong>Predigt</strong> von Dr. Detlef Melsbach<br />

Liebe Gemeinde,<br />

2. Weihnachtstag, 26.12.2011<br />

Offb. 7,9-<strong>14</strong><br />

Der zweite Weihnachtstag, die wunderbare deutsche Zugabe <strong>zu</strong>m <strong>zu</strong>mindest in der westlichen Welt<br />

auf den 25. Dezember beschränkten Fest scheint uns mit den vor langer Zeit ausgewählten Texten<br />

aus der einschlägigen Weihnachtstimmung herausführen <strong>zu</strong> wollen.<br />

Die einschlägige Weihnachtsstimmung: die Geburt des Kindes, wie sie bereits vom Evangelisten Lu-<br />

kas <strong>zu</strong>r Idylle gestaltet wurde, wie sie unsere Sehnsucht nach heiler Welt, nach Harmonie, nach<br />

Harmlosigkeit stillt. Von dieser Sehnsucht ist wohl keiner wirklich frei auch die nicht, die vor der<br />

ihnen <strong>zu</strong> eng gewordenen weihnachtlichen Stimmung das Weite suchen.<br />

Weihnachten scheint das Fest <strong>zu</strong> sein, das uns dogmatisch am wenigstens abverlangt, im besten<br />

Sinn ökumenisch, die Grenzen der Religion und Nichtreligion überwindend, neues Leben als Zeichen<br />

der Hoffnung, das Baby in seiner Schutzbedürftigkeit, der Brutpflegeinstinkt, das Kindchensche-<br />

ma,das die Herzen weich macht. Doch auch wenn wir das alles psychologisch deuten können, heißt<br />

es ja nicht, dass dies Weihnachtsstimmung, wie sie im Laufe der Zeit in und außerhalb der Kirche<br />

gewachsen ist, eine Eigendynamik entwickelt hätte, von der wir uns auf das vermeintlich eigentliche<br />

<strong>zu</strong>rückziehen müssten. Gut, dass wir diese Tradition pflegen konnten, gut dass wir uns dank dieser<br />

Botschaft bis heute <strong>zu</strong>mindest am Heiligabend über volle Kirchen freuen dürfen. Doch heute ist eben<br />

nicht mehr Heiligabend, heute werden uns andere Bilder <strong>zu</strong>gemutet und ich lade sie ein sich darauf<br />

ein<strong>zu</strong>lassen.<br />

Bevor diese Weihnachtsstimmung einschlägig wurde, bevor Weihnachten überhaupt gefeiert wurde,<br />

ging es bei der Menschwerdung Gottes um andere Bilder. Den berühmten Prolog des Johannesevan-<br />

geliums haben wir gehört: am Anfang war das Wort, der Logos, der schon dem goethischen Faust<br />

arge Überset<strong>zu</strong>ngsschwierigkeiten bereitete. „Das Wort ward Fleisch und wohnte unter uns“ Das ist<br />

hochprozentige Dogmatik, die vielleicht nur durch Verdünnen genießbar wird.<br />

Und auch unser <strong>Predigt</strong>text konfrontiert uns mit ganz anderer Weihnachtsstimmung, mit einer apo-<br />

kalyptischen Weihnachtsvision: Lesung Offb.7,9-<strong>14</strong><br />

Wenn man sich das Neues Testament mit seiner Sammlung so unterschiedlicher Textarten als kleine<br />

Bibliothek, als kleinen Buchladen vorstellt, dann stünde die Apokalypse mit ihren Visionen sicher in<br />

der Fantasy-ecke: „Zukünftige Welten“ - so ist diese Ecke überschrieben in einem Buchladen, in dem<br />

ich auf der Suche nach einem entsprechenden Band für meinen Patensohn war. Wie in vielen Berei-<br />

chen gibt es da mehr oder weniger gut gemachtes, erfreulich finde ich, das unter der Gewaltherr-<br />

schaft all<strong>zu</strong> konkreter Bilder und Informationen die Fantasie nicht unterkriegen <strong>zu</strong> ist, dass Jugendli-<br />

che und Erwachsene sich immer noch von Büchern und Geschichten inspirieren lassen, Lust haben,


sich die Welt anders, spannender, bunter vor<strong>zu</strong>stellen als sie ist. Traditionellerweise tut man so et-<br />

was ja gerne als Tagträumerei ab, auch selber gebe ich <strong>zu</strong>, mir viel <strong>zu</strong> wenig Zeit und Raum für<br />

Träumereien <strong>zu</strong> nehmen. Und auch die biblische Apokalypse ist ja für viele ein schwer genießbares<br />

Buch,:„Mein Geist will sich in dies Buch nicht schicken“ meint etwa Martin Luther; nun gibt es na-<br />

türlich viele Möglichkeiten, der Apokalypse historisch deutende nahe<strong>zu</strong>kommen, die Bilder und Vi-<br />

sionen als versteckte Botschaften, als Chiffrierung einer bedrohlichen Wirklichkeit <strong>zu</strong> verstehen,<br />

wie sie die Gemeinde des Schreibers der Apokalypse erlebt hat. Aber dann bleibt immer noch nie<br />

Frage, warum der Schreiber der Apokalypse sich gerade dieser Bilder bedient hat, warum der Glaube<br />

uneigentliche Bilder braucht. Vielleicht aus demselben Grund, aus dem es viele in die Fantasy-ecke<br />

des Buchladens zieht, auch unser Glaube lebt von Bildern und Geschichten, vom Unerklärlichen.<br />

Wie die Kunst lebt der Glaube von Bildern und Symbolen, die uns die Wirklichkeit noch einmal ganz<br />

neu erschließen. Ein Symbol ist ja viel mehr als ein Zeichen, denkwürdigerweise ist ja der Ursprung<br />

unseres Symbolbegriffs die Tätigkeit Marias, als sie „all diese Worte“ in ihrem Herzen bewegte. Wir<br />

verstehen erst dann, wenn wir Worte, Klänge, Bilder in unserem Herzen bewegen.<br />

Da<strong>zu</strong> lädt die Weihnachtsgeschichte des Lukas, aber eben auch die Apokalypse ein, von alters ein<br />

beliebter Fundus christlicher Kunst. Weihnachten wird erzählt als kosmischer Machtwechsel, der<br />

sich mit der Menschwerdung Gottes vollziehen musste. Jesus als der Weltherrscher, der Pantokrator<br />

in Gestalt des Lammes, das von Menschen aller Nationen und Sprachen erkannt und angebetet<br />

wird. Auf den ersten Blick ist kein größerer Kontrast <strong>zu</strong>r idyllischen Stallszene, denkbar. Aber eben<br />

nur auf den ersten Blick, denn auch das Lamm ist ebenso wie der Säugling in der Krippe Symbol der<br />

schutzlosen, ausgelieferten Kreatur - und <strong>zu</strong>gleich der Allmacht. „Der die ganze Welt erhält, ihre<br />

Pracht und Zier erschaffen, muss in harten Krippen schlafen“ wie sich dieser Tage wieder einmal die<br />

barocken Brocken im Ohr und Gemüt festsetzen. Der Pantokrator als Lamm oder in der Krippe, so<br />

groß ist der Unterschied also nicht, in beiden Fällen ist unsere Vorstellungskraft herausgefordert,<br />

beides <strong>zu</strong>sammen<strong>zu</strong>bringen im Symbol von Weihnachten, damit das <strong>zu</strong> tun – noch einmal - was<br />

auch Maria tat, nachdem sie die Worte der Hirten vernommen hatte, die Worte im Herzen bewe-<br />

gen. Weihnachten lädt wohl wie kein anderes Fest da<strong>zu</strong> ein, Worte und Geschichten im Herzen <strong>zu</strong><br />

bewegen. Die alten Geschichten, aber natürlich auch die neuen, die uns das Leben schreibt. Weih-<br />

nachten lädt uns ein, mit uns ins reine <strong>zu</strong> kommen, so erlaube ich mir das andere Bild unseres Tex-<br />

tes <strong>zu</strong> deuten. Die Gläubigen waschen und erhellen ihre Gewänder im Blut des Lammes. Hier schei-<br />

nen wir es mit einer sinnwidrigen Metapher <strong>zu</strong> tun <strong>zu</strong> haben – „Blut als Fleckentferner“ - oder ist<br />

es eben auch hier wieder die paradoxe Kraft des Bilder, die uns <strong>zu</strong>m Nachsinnen bringen soll, es<br />

geht eben nicht um die weiße Weste, um das verzweifelte Wiederherstellen oder Beteuern einer<br />

Unschuld, sondern, wenn wir im Bild bleiben wollen, um die Reinigungskraft der Vergebung: Ins<br />

Reine kommen, mit sich, mit Gott und dann natürlich auch mit den Menschen, die uns besonders<br />

wichtig, oder auch mit denen, die uns besonders gleichgültig sind.<br />

2<br />

Dies ins Reine kommen ist aber kein eifriges Tun, kein Rubbeln an Flecken, die eh nicht mehr raus-<br />

gehen. Darum ist ja auch das krampfhafte Bemühen um ein harmonisches Weihnachtsfest, wo alles


perfekt und friedlich über die Bühne gehen, so oft <strong>zu</strong>m Scheitern verurteilt, weil wir nicht wirklich<br />

<strong>zu</strong>lassen können das Weihnachten sich ereignet, dass Harmonie, um bei der musikalischen Sprache<br />

<strong>zu</strong> bleiben, sich nur dann ereignet, wenn wir unsere Dissonanzen akzeptieren und miteinander ge-<br />

nießen können.<br />

So wünsche ich uns, dass wir <strong>zu</strong> Weihnachten und darüber hinaus ins Reine kommen können, dem<br />

Geheimnis vom allmächtigen und ohnmächtigen Gott auf der Spur bleiben und uns von Gott selbst<br />

uns die weiße Weste anlegen lassen, oder wie es Paul Gerhardt schöner formuliert:<br />

„Du fragest nicht nach Lust der Welt noch nach des Leibes Freuden; du hast dich bei uns eingestellt,<br />

an unserer Statt <strong>zu</strong> leiden; suchst meiner Seele Herrlichkeit durch Elend und Armseligkeit; das will<br />

ich dir nicht wehren.“<br />

Amen<br />

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