Feste feiern - Lutherkirche Wiesbaden
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Fest<br />
che Geschmacksknospen verfüge, wie die, die die Diskutierenden<br />
vorgaben zu haben, und wenn ja, ob<br />
diese auch so explodieren könnten, wenn sie in<br />
Berührung mit auf weißem Brot »aufgeträufeltem«<br />
Olivenöl der Kategorie I kämen.<br />
(Goch mochte das Wort, ›aufträufeln‹.) Jeder<br />
von Rauls Gästen kannte mindestens<br />
einen Luigi, Alfredo oder Benjamino, der<br />
ihn mit nativem Olivenöl versorgte. Waren<br />
es immer die gleichen Luigis, Benjaminos<br />
und Alfredos oder waren es<br />
verschiedene, fragte sich Goch.<br />
In den darauffolgenden Tagen<br />
drückte Goch sich in mehreren<br />
Buchläden herum, schaute in<br />
das eine oder andere Buch<br />
und obwohl er merkte, dass<br />
Olivenöle ihn eigentlich genau<br />
so wenig interessierten<br />
wie die Güteklassifikationen<br />
von Haferflocken,<br />
kaufte er sich einen Band<br />
mit dem Titel: Olivenöl –<br />
Gold des Südens.<br />
Abends, als er vor einer<br />
köstlich duftenden Fischsuppe<br />
in seinem Lieblingsrestaurant<br />
»Abruzzo« saß, fragte er<br />
vorsichtig den Besitzer, »verrätst<br />
Du mir, welches Öl Du verwendest?«<br />
»Olala«, sagte Humberto,<br />
»Du jetzt auch?! Was glaubst Du, wie<br />
viele Leute mich das fragen. Und weißt<br />
Du, was ich denen dann sage? ›Meine Dame,<br />
mein Herr, das Öl stammt vom italienischen<br />
Grossisten im Industriegebiet,<br />
4-Liter-Blechkanister‹. Dann lachen immer<br />
alle und sind zufrieden, und keiner<br />
glaubt mir.«<br />
Fast ein Jahr war mittlerweile seit Rauls Fest vergangen und<br />
eine erneute Einladung fand sich in Gochs Mailbox. Er hatte<br />
sich inzwischen so viele Vorträge über Olivenöle anhören<br />
müssen, dass er sich für eine Diskussion über Ölsorten der<br />
Toscana und sogar der Provence gut gewappnet fühlte,<br />
auch wenn er eine Geschmacksknospenexplosion in seinem<br />
Gaumen immer noch nicht erlebt hatte. Von Humberto<br />
hatte er sich ein paar Namen von abruzzesischen Ziegen-<br />
und Schafskäsesorten aufschreiben lassen, deren Aussprache<br />
er geübt hatte und die er so nebenbei in eine weitere<br />
Diskussion über Olivenöle an Rauls nächstem Geburtstag<br />
einstreuen wollte. Auch hatte er kürzlich Egon getroffen, der<br />
eine Reise ins »tiefste Herz Frankreichs« gemacht hatte<br />
und der nun von Nussöl der Sorte Marbot schwärmte, von<br />
dem ihm ein ausgestiegener Pariser Architekt, der nun im<br />
Perigord lebte, halbjährlich drei Liter zuschicken wollte.<br />
»Nie mehr Olivenöl«, sagte Egon. Im Internet fand Goch<br />
zusätzliche Websiten über die Produktion von Nussölen,<br />
die er morgens im Bus las.<br />
»Das war alles umsonst«, sagte er mir Wochen später, als<br />
ich ihn frühmorgens im Hallenbad traf: »Olivenöle waren<br />
auf Rauls Geburtstag gar kein Thema mehr. Auch fiel kein<br />
Wort über italienische Käsesorten! Es ging diesmal um Trüffel<br />
aus dem Piemont und die dazu gehörigen Weine.«<br />
»Und gab’s wieder diese berühmten Geschmacksknospenexplosionen?«,<br />
fragte ich ihn.<br />
»Oh ja«, sagte Goch, »und wie! Bei einigen bebte die Erde.«<br />
Und dann fragte er mich: »Tickt diese Stadt so? Muss ich<br />
mir jetzt auch noch ein Buch über Trüffel und Weine aus<br />
dem Piemont kaufen?«<br />
»Interessiert’s Dich denn?«, fragte ich ihn.<br />
»Nein«, sagte er, »eher nicht«.<br />
»Dann lass es doch«, sagte ich.<br />
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himmel und erde | November – Februar 2012