Holger Heide Arbeitsgesellschaft und Arbeitssucht - Universität ...
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zu können, d.h. um über Empathie Spiritualität zu erfahren, kurz: um leben zu lernen.<br />
Auf diese Weise können „die Eltern ... zum Trauma für ihre Kinder“ werden<br />
(Schmidbauer 1998, 288 f.; vgl. aber auch 131 f.). Was sich in den nachfolgenden<br />
Generationen zeigt, könnten allerdings vor allem Formen sek<strong>und</strong>ärer Identifikation<br />
sein, wie sie von Anna Freud beschrieben wurden, da die unmittelbar erlebten<br />
Aggressionen weniger schwer zu sein scheinen <strong>und</strong> es im Allgemeinen auch nicht<br />
um anonyme Aggressionen geht. Das schließt freilich Akte auch schwerster Gewalt<br />
gegen Kinder in vielen Fällen offensichtlich nicht aus, die dann zu neuen Fällen von<br />
individuell primären Identifikationsprozessen führen können.<br />
Im Laufe des historischen Prozesses hat es, wie wir gesehen haben, immer wieder<br />
Beispiele dafür gegeben, dass über Generationen hinweg mit offener <strong>und</strong> blutiger<br />
Gewalt auf Prozesse der Reorganisation des Widerstands der noch nicht genügend<br />
Angepassten, reagiert wurde. Und die Körper <strong>und</strong> Seele zerstörenden<br />
Auswirkungen der Kinderarbeit, die schon im 18. Jahrh<strong>und</strong>ert verbreitet war, dann<br />
aber während der Industriellen Revolution aus der wenigstens noch irgendwie<br />
‚menschlichen‘ Atmosphäre der familiären Heimarbeit u.ä. (wenn man einmal von<br />
den Armenhäusern absieht!) in die gänzlich unfamiliären Verhältnisse der<br />
Bergwerke <strong>und</strong> Fabriken verlagert wurde, müssen ungeheuerlich gewesen sein.<br />
Andererseits sind auch schwerste Traumata bei Kindern keineswegs nur als Folge<br />
sichtbar brutaler Gewalt vorstellbar. Vielmehr kann ‚bloße‘ Lieblosigkeit tödlich<br />
wirken (Gruen 2000, 54). Zu den ganz zentralen Ursachen gehört die Überfrachtung<br />
der Kinder mit Anforderungen, beginnend schon im Mutterleib (Wardi 1997, 63 <strong>und</strong><br />
105). Gerade angesichts von Erniedrigung, Verstörtheit <strong>und</strong> unerfüllter Sehnsucht<br />
nach Geborgenheit besonders bei sehr jung traumatisierten Erwachsenen sind<br />
derartige Projektionen auf ihre eigenen Kinder geradezu zu erwarten. Die Schicksale<br />
der Kinder <strong>und</strong> selbst Enkel von Überlebenden des Holocaust oder auch von<br />
amerikanischen Kriegsveteranen des Vietnamkriegs sind in der<br />
psychotherapeutischen Arbeit vielfältig aufgearbeitet <strong>und</strong> gut dokumentiert worden<br />
(Wardi 1997, Herman 1993, Schmidbauer 1998). So detaillierte <strong>und</strong> tiefe Analysen der<br />
Schicksale der zweiten Generation von Arbeiterinnen <strong>und</strong> Arbeitern der japanischen<br />
Industrialisierung oder der Opfer der südkoreanischen Entwicklung des mittleren<br />
Drittels des zwanzigsten Jahrh<strong>und</strong>erts sind mir zwar nicht bekannt. Aber über die<br />
sichtbaren <strong>und</strong> spürbaren Folgen gibt es gesicherte Beobachtungen, die die Schwere<br />
der Auswirkungen auf die Individuen <strong>und</strong> auf die Gesellschaft als Ganzes belegen:<br />
So wird beispielsweise für die heutige japanische <strong>und</strong> besonders für die<br />
südkoreanischen Gesellschaft beklagt, dass „die Familie aus einem Raum von<br />
Fürsorge <strong>und</strong> Zuneigung in einen Übungsplatz für das Schlachtfeld des College-<br />
Eintritts-Examens verwandelt worden ist. Die Mutter-Sohn-Beziehung ist zu einer<br />
solchen zwischen Trainerin <strong>und</strong> Spitzensportler geworden. Aus Angst, ihre Kinder<br />
könnten es nicht schaffen, aufs College zu kommen, haben Eltern willentlich an der<br />
Instrumentalisierung ihrer Kinder mitgewirkt. Kinder mussten „Krieger“ werden,