Holger Heide Arbeitsgesellschaft und Arbeitssucht - Universität ...
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sahen sich durch diese Konkurrenz der Gewerbe auf den Status einfacher ‚Arbeiter’<br />
herabgedrückt. Das war ein Prozess, der in Deutschland wenigstens vom 15. bis zum<br />
17. Jahrh<strong>und</strong>ert dauerte. Aus der Sicht der zünftigen Meister handelte es sich um<br />
einen Konflikt zwischen ‚werken’ <strong>und</strong> ‚werben’ 7 , vom Charakter der<br />
gesellschaftlichen Tätigkeit her um einen solchen zwischen ‚werken’ <strong>und</strong> ‚arbeiten’.<br />
Während die durch die Reformation gestärkten protestantischen Auffassungen den<br />
traditionellen, mit Mühsal <strong>und</strong> Aufopferung verb<strong>und</strong>enen Begriff der Arbeit<br />
moralisch aufzuwerten suchten 8 , spielte sich in der gesellschaftlichen Wirklichkeit<br />
ein Prozess der Herabstufung aller Tätigkeiten zur Arbeit ab 9 .<br />
Die Zersetzung der alten Gesellschaft, die Auflösung der gr<strong>und</strong>legenden<br />
Lebenszusammenhänge, die zunächst von den meisten Menschen unbemerkt im<br />
Kampf der im Entstehen begriffenen Bourgeoisie um die Herrschaft in den<br />
oberitalienischen Städten begonnen hatte, weitete sich unaufhaltsam aus. Sie<br />
verlagerte ihrem Schwerpunkt in der Manufakturperiode nach Nordwesteuropa,<br />
nach Flandern, Nordfrankreich <strong>und</strong> nach England, griff von den Städten aufs platte<br />
Land über <strong>und</strong> erreichte schließlich ihre vorläufige Vollendung in der industriellen<br />
Revolution. Dies ist eine Beschreibung aus großem zeitlichem <strong>und</strong> emotionalem<br />
Abstand. Um das Wesen unserer heutigen <strong>Arbeitsgesellschaft</strong> zu verstehen, ist es<br />
nötig den Versuch zu machen, diesen Abstand zu verringern. Wenn wir etwas<br />
genauer hinsehen, werden wir aufmerksam auf die ungeheure zerstörerische Gewalt<br />
dieses historischen Prozesses.<br />
Gewaltsame Umwälzung<br />
Das erste Statute of Labourers in England wurde schon erwähnt. In einem folgenden<br />
Statute von 1360 erhielten die Meister ausdrücklich das Recht, „durch körperlichen<br />
Zwang Arbeit zum gesetzlichen Lohntarif zu erpressen“ (Marx 1973, 767). Das war<br />
der frühe Beginn. Dann folgten Jahrh<strong>und</strong>erte der massenhaften Vertreibung der<br />
Bauern <strong>und</strong> Häusler von Gr<strong>und</strong> <strong>und</strong> Boden mit der Folge, dass Massen von<br />
Entwurzelten <strong>und</strong> Erniedrigten als vogelfreie Bettler, Räuber, Vagab<strong>und</strong>en<br />
umherzogen. Arbeit außerhalb der bekannten sozialen Umgebung, wo die<br />
Notwendigkeit der Arbeit noch unmittelbar einsichtig gewesen war <strong>und</strong> wenn sie<br />
das nicht war, auch nicht verrichtet wurde, war nur durch Einsatz brutaler Mittel<br />
von außen zu erzwingen.<br />
Die auf der Gr<strong>und</strong>lage der englischen Aufklärung um den Begriff der Arbeit herum<br />
entwickelte bürgerliche Gesellschaftstheorie hatte zunächst wesentlich ideologische<br />
7 Aus dem zünftigen Handwerk wurde im Laufe dieses Prozesses ein ‚Gewerbe‘, ein bloßer ‚Erwerbszweig‘.<br />
8 Luther führt mit seiner Bibelübersetzung den Terminus ‚Beruf‘ ein (Dreßen 1982, 13).<br />
9 vgl. Krumbholtz 1898, 440. Seit dem 17. Jahrh<strong>und</strong>ert verdrängte im Hochdeutschen auch das Wort ‚arbeiten‘<br />
die früher üblichen ‚werken‘ oder ‚schaffen‘.