2010 - in der Musikschule Hildesheim
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„Ich kann nicht s<strong>in</strong>gen“, hatte Maria Rappel<br />
immer gedacht. Und dass sie die E<strong>in</strong>zige sei.<br />
Jetzt s<strong>in</strong>gt sie doch – und niemand lacht<br />
„Du redest, wennst gfragt wirst“ – so<br />
b<strong>in</strong> ich aufgewachsen, <strong>in</strong> Nie<strong>der</strong>bayern<br />
auf dem Land. Man durfte nicht<br />
e<strong>in</strong>fach so plau<strong>der</strong>n als K<strong>in</strong>d. Ich war<br />
auch sehr schüchtern. Und als ich <strong>in</strong><br />
<strong>der</strong> Grundschule die an<strong>der</strong>en s<strong>in</strong>gen<br />
hörte, hab ich gedacht: Das kann ich<br />
nicht! E<strong>in</strong>en Mitschüler, <strong>der</strong> brummte,<br />
hat die Lehrer<strong>in</strong> so vorgeführt, dass ich<br />
bei <strong>der</strong> Benotung gesagt hab: Ich s<strong>in</strong>ge<br />
nicht. Bekam ich halt e<strong>in</strong>e Sechs. In <strong>der</strong><br />
Realschule dann hat die Lehrer<strong>in</strong> mit<br />
den „Stars“ Musikunterricht gemacht.<br />
Der Rest saß da und wollte vom Zuhören<br />
lernen.<br />
Ich hab schon gesungen, aber nur für<br />
mich. Und me<strong>in</strong>er Mutter hab ich Kirchenlie<strong>der</strong><br />
vorgesungen, als sie dement<br />
war und nicht mehr <strong>in</strong> die Kirche gehen<br />
konnte. In e<strong>in</strong>em ihrer lichten Momente<br />
hat sie mal gesagt: „Geh, man<br />
muss ja nicht alleweil beten!“<br />
Über die Jahre wurde ich immer leiser.<br />
Zuletzt hat fast je<strong>der</strong> gefragt: Wie bitte,<br />
was hast du gesagt? Das fi el mit dem<br />
Tod me<strong>in</strong>er Mutter zusammen. Vielleicht<br />
lag es daran, dass ich jahrelang<br />
unter ungeheurem Druck stand. Weil<br />
ich alles organisiert hatte für sie, mich<br />
mit Ärzten und <strong>der</strong> Krankenkasse stritt,<br />
am Anfang jedes Wochenende me<strong>in</strong>en<br />
Vater bekniete, dass er versteht, dass<br />
me<strong>in</strong>e Mutter nichts dafür kann, wie<br />
sie jetzt ist, dass sie es nicht zum Fleiß<br />
tut. Es waren acht Jahre wie <strong>in</strong> e<strong>in</strong>em<br />
Tunnel.<br />
Dann sah ich diesen Flyer: „Und ich<br />
kann doch s<strong>in</strong>gen!“, e<strong>in</strong> Wochenendkurs.<br />
Da dachte ich: Das ist es! Ich hab<br />
<strong>der</strong> Leiter<strong>in</strong> aber gleich erklärt: Wenn<br />
ich vors<strong>in</strong>gen muss, fahr ich sofort ab!<br />
Aber erstmal haben wir erzählt, warum<br />
wir hier s<strong>in</strong>d. Da war zum Beispiel<br />
e<strong>in</strong>e taffe Frau, e<strong>in</strong>e Führungskraft,<br />
sogar e<strong>in</strong> Mann sagte, er könne nicht<br />
s<strong>in</strong>gen. Je<strong>der</strong> hatte so se<strong>in</strong> Päckchen.<br />
Und ich hatte immer geme<strong>in</strong>t, ich b<strong>in</strong><br />
die E<strong>in</strong>zige! Ich hab mich nicht als unmusikalisch<br />
empfunden, weil ich e<strong>in</strong><br />
Rhythmusgefühl habe, ich hab ja alles<br />
Mögliche getanzt – Rock ‘n‘ Roll, Mo<strong>der</strong>n<br />
Dance, Bauchtanz, sogar Volkstanz.<br />
Aber die Stimme...<br />
Wir haben die Wirbelsäule gestreckt,<br />
das Zwerchfell gespürt und dann mit<br />
<strong>der</strong> Sprechstimme angefangen: „Es<br />
war, als hätt <strong>der</strong> Himmel die Erde still<br />
geküsst, dass sie im Blütenschimmer<br />
von ihm nun träumen müsst.“ Dann<br />
dasselbe psalmodierend, wie e<strong>in</strong> Pfarrer,<br />
auf e<strong>in</strong>em Ton. Und dann kam ohne<br />
Vorwarnung das erste S<strong>in</strong>gen, und<br />
zwar alle<strong>in</strong>e! Aber da hatte die Kursleiter<strong>in</strong><br />
es schon geschafft, uns die Angst<br />
zu nehmen. Ja, ich hab gesungen. Als<br />
Stütze nahm ich das „F<strong>in</strong>gerklavier“,<br />
da zählt man die Tonabstände an den<br />
F<strong>in</strong>gern ab. Niemand hat gelacht. Da<br />
fi elen solche Ste<strong>in</strong>e von mir ab, all die<br />
Selbstbeschränkungen! Ich hatte immer<br />
angenommen, man kann s<strong>in</strong>gen<br />
o<strong>der</strong> man kann es nicht, es ist was Ererbtes.<br />
Aber man kann es lernen!<br />
Am Montag danach b<strong>in</strong> ich richtig freudig<br />
aufgestanden. Ich hatte e<strong>in</strong>e an<strong>der</strong>e<br />
Welt betreten, e<strong>in</strong>e an<strong>der</strong>e als me<strong>in</strong>e<br />
Verwaltungsangestelltenwelt. S<strong>in</strong>gen ist<br />
wirklich e<strong>in</strong> Lebensmittel. Und auch e<strong>in</strong><br />
Schutz. Wenn ich jetzt zum Beispiel von<br />
me<strong>in</strong>em Vater nach Hause fahre, s<strong>in</strong>ge<br />
ich „Kill<strong>in</strong>g me softly“. Dann fällt alles<br />
Schwere von mir ab. Wie wenn ich es <strong>in</strong><br />
e<strong>in</strong>en Schrank stelle.<br />
Jetzt b<strong>in</strong> ich <strong>in</strong> e<strong>in</strong>em Probierchor –<br />
„Just try it“. Me<strong>in</strong> Ziel ist ja, <strong>in</strong> e<strong>in</strong>em<br />
Chor zu s<strong>in</strong>gen. Nach all den Jahren, <strong>in</strong><br />
denen ich für me<strong>in</strong>e Mutter gekämpft<br />
hab, war ich darauf fi xiert, mich durchzusetzen.<br />
Das wäre fast e<strong>in</strong>e Lebenshaltung<br />
geworden. Aber wenn ich mit<br />
an<strong>der</strong>en zusammen s<strong>in</strong>ge, dann geht<br />
es nicht um me<strong>in</strong> Me<strong>in</strong>en und me<strong>in</strong><br />
Durchsetzen, son<strong>der</strong>n dann muss dieser<br />
Klangkörper Chor entstehen. Ich<br />
b<strong>in</strong> e<strong>in</strong>fach nur e<strong>in</strong>e Stimme <strong>in</strong> dieser<br />
Geme<strong>in</strong>schaft.<br />
Jetzt hab ich mir e<strong>in</strong> Lied erarbeitet<br />
– „Bunt s<strong>in</strong>d schon die Wäl<strong>der</strong>, gelb die<br />
Stoppelfel<strong>der</strong>, und <strong>der</strong> Herbst beg<strong>in</strong>nt...“<br />
Das s<strong>in</strong>ge ich vor mich h<strong>in</strong>, wenn<br />
ich zur Arbeit radle, ich glaub, die Leute<br />
hören es gar nicht, aber vielleicht nehmen<br />
sie wahr, dass ich gut drauf b<strong>in</strong>,<br />
denn nie krieg ich so viel Lächeln! Es<br />
fragt auch niemand mehr, was ich gesagt<br />
habe. Und ich krieg jetzt öfter die<br />
Rückmeldung, dass ich so e<strong>in</strong>e junge<br />
Stimme hätte. Was ich seltsam fi nde.<br />
Aber es freut mich doch.<br />
Protokoll: Christ<strong>in</strong>e Holch ■|<br />
Aus <strong>der</strong> Beilage „Die Zeit“ 03.<strong>2010</strong><br />
Neues aus dem Gesangsbereich<br />
VOCADEMIA<br />
geht auf Reisen<br />
…wenn E<strong>in</strong>er e<strong>in</strong>e Reise tut, dann hat<br />
er viel zu erzählen.<br />
Halt. Stopp. Soweit ist es noch nicht.<br />
Für das Ensemble VOCADEMIA heißt<br />
es zunächst: wenn e<strong>in</strong>er e<strong>in</strong>e Reise tut,<br />
dann hat er viel Arbeit.<br />
Wer fährt mit? Wer fährt nicht mit?<br />
S<strong>in</strong>d genügend Anmeldungen, damit<br />
e<strong>in</strong>e gute Musikqualität gewährleistet<br />
ist? Welches Unternehmen bietet die<br />
besten Konditionen für e<strong>in</strong>e Busreise?<br />
Wo werden wir schlafen? Und natürlich<br />
am Wichtigsten, wo werden die Konzerte<br />
stattfi nden?<br />
Also <strong>der</strong> Reihe nach. Es s<strong>in</strong>d genügend<br />
Sänger<strong>in</strong>nen für die Reise angemeldet<br />
– die gesangliche und musikalische<br />
Qualität ist gesichert.<br />
Wir haben e<strong>in</strong> faires Angebot e<strong>in</strong>es Busunternehmens.<br />
(Zug g<strong>in</strong>g nicht, da a) zu<br />
teuer und b) das Stagepiano mit muss.)<br />
Unterkunft im Kolp<strong>in</strong>ghaus: Prima.<br />
Steht noch die Beantwortung <strong>der</strong> Frage<br />
aus, woh<strong>in</strong> geht die Reise und mit welchem<br />
Programm.<br />
Also VOCADEMIA fährt nach Innsbruck<br />
(Österreich) und Brixen (Norditalien).<br />
Angelika Gehler, e<strong>in</strong> Ensemblemitglied,<br />
stammt von dort. Sie hat ihre alten Connection<br />
aktiviert und die Verb<strong>in</strong>dung zu<br />
verschiedenen Kirchen hergestellt. So<br />
wird VOCADEMIA Pfi ngstsamstag <strong>in</strong><br />
e<strong>in</strong>er Vorabendmesse <strong>in</strong> Innsbruck s<strong>in</strong>gen,<br />
Pfi ngsten <strong>in</strong> Brixen konzertieren<br />
und am Pfi ngstmontag <strong>in</strong> Innsbruck<br />
e<strong>in</strong> Abschlusskonzert geben.<br />
Daneben bleibt noch genügend Zeit<br />
für e<strong>in</strong>en Ausfl ug <strong>in</strong> die Berge. Und natürlich<br />
gibt es e<strong>in</strong>e persönliche Stadtführung<br />
<strong>in</strong> Innsbruck. Der persönliche<br />
Austausch <strong>der</strong> Sänger<strong>in</strong>nen ist e<strong>in</strong> wichtiges<br />
Element für das musikalische Zusammenwachsen<br />
von VOCADEMIA.<br />
Die F<strong>in</strong>anzierung <strong>der</strong> Reise geschieht<br />
vorwiegend von den Teilnehmer<strong>in</strong>nen.<br />
Bis zum Beg<strong>in</strong>n <strong>der</strong> Reise hat das Ensemble<br />
aber 4 Konzerte gegeben, <strong>der</strong>en<br />
fi nanzieller Re<strong>in</strong>erlös <strong>in</strong> die Reisekasse<br />
fl ießt.<br />
Desgleichen wird das Ensemble mit<br />
e<strong>in</strong>em e<strong>in</strong>maligen Betrag von <strong>der</strong> Leester<br />
Stiftung unterstützt.<br />
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