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Neue Szene Augsburg 2014-12

Das Stadtmagazin für Augsburg

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Zoom 37<br />

nur sichtbar, wenn’s Pannen gibt. Kaum jemand draußen<br />

hat das ganze Bild und dadurch kann sehr schnell<br />

eine Schieflage in der Wahrnehmung entstehen, die<br />

ich intern nie erlebt habe. Beim Verfassungsschutz<br />

geht genauso viel schief wie bei Ihnen in der Redaktion<br />

und in jedem anderen Unternehmen. Nicht mehr<br />

und nicht weniger.<br />

Was sagen Sie zu dem Vorwurf, Sie wären Teil<br />

einer PR-Strategie des Verfassungsschutzes?<br />

Das habe ich nur einmal gehört und mich sehr<br />

gefreut drüber. Es gibt, finde ich, zu wenig Verfassungsschützer,<br />

die mit Bürgernähe und Weitblick die<br />

Arbeit erklären können. Aber es gibt keine abgestimmte<br />

Strategie und Kommunikation zwischen mir<br />

und dem Verfassungsschutz, im Gegenteil, als ich<br />

mit meinem Buch in die Öffentlichkeit bin, hat mein<br />

früherer Arbeitgeber entschieden, mich mit keinem<br />

Wort zu kommentieren.<br />

In der FAZ wurde Ihr Lebenslauf sogar mit<br />

dem Wort »angeblich« versehen.<br />

Ganz ehrlich: Ich habe mich gewundert, wie unkritisch<br />

ich anfangs von den Medien behandelt wurde,<br />

und gleichzeitig aufgehört, mich zu wundern, dass<br />

angebliche Ärzte ohne Medizinstudium Kliniken leiten.<br />

Es war tatsächlich so, dass meine Geschichte kaum<br />

hinterfragt wurde. Auch mein Verlag hat erst sehr<br />

spät nachgefragt, ob das überhaupt stimmt, was ich<br />

da geschrieben habe. Mittlerweile haben sie einen<br />

Ordner voll Unterlagen, die meine Geschichte belegen,<br />

Zeitschriften wie Spiegel, Stern und Bild haben das recherchiert<br />

und wenn Sie beim Bayerischen Landesamt<br />

für Verfassungsschutz anrufen, werden Sie auch eine<br />

Antwort bekommen.<br />

Gesetzt den Fall, Sie würden aus irgendeinem<br />

Grund auf der Gegenseite anheuern...<br />

Wie schnell würde ich erkennen, dass gegen mich<br />

ermittelt wird? Ich würde die operativen Methoden<br />

kennen und den rechtlichen Rahmen. Klar, man hätte<br />

Vorteile als »Quereinsteiger«.<br />

Anders gesagt: Sie überlistet keiner.<br />

Nein, ich bin Realist. Ich habe eine große Achtsamkeit,<br />

aber niemand ist davor gefeit, ausgetrickst zu werden.<br />

Beim Gebrauchtwagenkauf?<br />

Einen Berufsbetrüger zu erkennen, ist immer am<br />

schwierigsten. Der hat seine Geschichten so oft erzählt<br />

und so wenig Schuldgefühle, dass er sehr glaubhaft<br />

wirken wird. Aber ich sage nicht, dass Gebrauchtwagenhändler<br />

Betrüger sind.<br />

Wie bringt man Leute dazu, ihr »wahres Gesicht«<br />

zu zeigen?<br />

Man versucht, Druck zu erzeugen: Wie reagieren<br />

Menschen, wenn sie außerhalb ihrer Komfortzone Entscheidungen<br />

treffen müssen? Es gibt drei Typen: Der<br />

Macher will wissen, wie er mit mir schnell erfolgreich<br />

wird. Der »Kontakter« setzt mehr auf die Beziehungsebene.<br />

Den analytischen Typ interessiert die Qualität<br />

einer Sache, eines Produkts. Was ich da erkenne,<br />

nutze ich für mich und dementsprechend gehe ich auf<br />

die Leute ein.<br />

Was bin ich für ein Typ?<br />

Ein Mischtyp, ich habe noch keine ausgeprägte Tendenz<br />

ausmachen können, aber ich habe Sie bis jetzt<br />

auch nur in Ihrer Komfortzone erlebt.<br />

Ist das nicht frustrierend, wenn man die Menschen<br />

so gut kennt?<br />

Nein, es bleibt immer spannend. Es sind soziale Systeme<br />

ohne Garantie und situativ verschieden. Das ist<br />

nicht etwa ein Fluch, der einen verfolgt und den man<br />

nicht abschalten kann, sondern eine Fähigkeit, die man<br />

zuschaltet, wenn man sie braucht. Wir bewerten uns ja<br />

alle ständig gegenseitig.<br />

Sie sind unglaublich fleißig, in jedem Lokalmedium<br />

von <strong>Augsburg</strong> bis Hamburg präsent,<br />

beim MDR findet man sogar Ihr Rezept für<br />

Kartoffelsalat...<br />

Das ist part of the job. Als das erste Buch 2011 rauskam,<br />

wusste ich, dass ich nur einmal die Chance habe,<br />

die Aufmerksamkeit der Medien zu bekommen. Zwei<br />

Tage vor Veröffentlichung kam Fukushima, keine Sau<br />

hat sich für mein Buch interessiert. Ich bin zweimal<br />

ausgeladen worden bei Markus Lanz. Fukushima<br />

habe ich noch verstanden, dann starb Gunter Sachs.<br />

Ich hab’s bis heute nicht mehr reingeschafft, aber<br />

mittlerweile ist mir das egal, soll er in meine Sendung<br />

kommen, wenn er möchte. Ich habe meinen Ehrgeiz,<br />

ich wollte nicht nur ein Buch schreiben, sondern auch<br />

auf die Bestsellerliste. Dazu musst du jeden Tag unterwegs<br />

sein und über das sprechen, was du tust.<br />

Und wenn Sie in eine Polizeikontrolle geraten,<br />

lassen Sie anklingen, was Sie alles wissen...<br />

Niemals, habe ich auch zu meiner aktiven Zeit nicht<br />

gemacht.<br />

Ihre Sendung auf RTL hat nicht gerade zu<br />

einem seriösen Image beigetragen.<br />

RTL ist privat und reißerisch, aber ich stehe hinter dem<br />

Format. Es waren echte Fälle, da war nichts erfunden,<br />

wenn der Täter im Bild war, war es der echte. Außerdem<br />

bedeutete es für mich, wieder schwarze Kombis<br />

zu fahren, heimlich zu filmen, heimlich zu funken und<br />

ein Team um mich zu haben. Wie früher. Das war<br />

schön nach fünf Jahren Onemanshow.<br />

Die Enthüllungen von Edward Snowden haben<br />

Sie wahrscheinlich nicht überrascht.<br />

Doch. Unsere Gegner waren die Chinesen und die<br />

Russen und ein paar andere. Dass die Amerikaner uns<br />

in diesem Umfang überwachen, hat mich schon erschreckt.<br />

Wenn man sich die Snowden-Unterlagen ansieht,<br />

stellt man fest: Schwerpunkt der Überwachung<br />

bei uns in Deutschland ist Frankfurt am Main – nicht<br />

gerade ein Herd des islamischen Terrorismus. Also: Um<br />

was geht’s? Um die Hochfinanz, die Weltwirtschaft,<br />

Stichwort Freihandelsabkommen. Die US-Nachrichtendienste<br />

dürfen gemäß ihrer eigenen Verfassung keine<br />

Wirtschaftsspionage betrieben, sobald aber das Wort<br />

»Freihandelsabkommen« fällt, kommt die nationale<br />

Sicherheit ins Spiel und offensichtlich nützen sie das,<br />

um intern diese Maßnahmen zu rechtfertigen.<br />

Hatten Sie Kontakt zu Kollegen aus den USA?<br />

Regelmäßig. Organisierte Kriminalität macht nicht an<br />

den Grenzen Halt. Die Amerikaner sind ein befreundeter<br />

Nachrichtendienst. Auch heute noch. Mit denen<br />

tauscht man sich aus, es gibt auch im Inland gemeinsame<br />

operative Maßnahmen.<br />

Sind die Amerikaner so herablassend gegenüber<br />

den Deutschen, wie man manchmal hört?<br />

Es heißt ja, wir hätten eine Wertegemeinschaft.<br />

Bullshit. Die Amerikaner sind für uns wichtiger als wir<br />

für die Amerikaner. Wir sind für die kein verlässlicher<br />

Partner und werden als Trittbrettfahrer empfunden,<br />

wenn wir Nein zur Irak- oder Syrienpolitik sagen. Wir<br />

sind nicht »best friends« und so behandeln die uns<br />

auch – aus deren Sicht zu Recht.<br />

Was würden Sie als Kommunikationsexperte<br />

dem GdL-Chef Claus Weselsky empfehlen?<br />

Der macht aus verhandlungsstrategischer Sicht einen<br />

verdammt guten Job und ist sehr clever. Wenn er<br />

das Rückgrat hat, das durchzustehen, wird sich die<br />

Stimmung drehen und er Angebote aus dem Topmanagement<br />

bekommen. Das sage ich als Besitzer einer<br />

Bahncard100.<br />

Was bringt die Zukunft für Leo Martin?<br />

Mein nächstes Buch ist schon in Arbeit: Es trägt<br />

den Titel »Ich stopp dich« und thematisiert, auf gut<br />

Deutsch, wie man Deppen aus seinem Leben eliminiert.<br />

(flo)<br />

*Leo Martin macht seit seinem Abschied beim Verfassungsschutz im Jahr 2008 als »Der deutsche 007« Karriere. Diesen Titel<br />

hat ihm einst der NDR verliehen und Martin weiß ihn zu nützen. Nicht zuletzt dank unermüdlicher Eigenpromotion sind seine<br />

Bücher Bestseller, seine Vorträge und Trainings ausgebucht. Doch es gab auch Niederlagen: Die RTL-Fernsehreihe »Verfolgt<br />

– Stalkern auf der Spur« wurde nach der zweiten Staffel im August <strong>2014</strong> eingestellt. Der smarte 38jährige polarisiert und fasziniert,<br />

sein Lebenslauf wurde schon angezweifelt, linke Kritiker sehen in ihm eine PR-Figur des Verfassungsschutzes.<br />

Leo Martin kam 1976 im <strong>Augsburg</strong>er Josefinum zur Welt, ist in Aystetten aufgewachsen, hat das Gymnasium in Neusäß besucht<br />

und wohnt in München. Nach der zehnten Klasse absolvierte er die mittlere Polizeiausbildung, bekam als Jahrgangsbester ein<br />

Angebot aus dem Ministerium zum Eintritt in den Verfassungsschutz und studierte während der Zeit dort Kriminalwissenschaften.<br />

In den zehn Jahren beim Inlandsgeheimdienst war seine Haupttätigkeit das Anwerben von sogenannten »V-Leuten«.

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