Geopolitik der USA
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Birk: Napoleon Imperator<br />
Preußen in <strong>der</strong> so genannten Doppelschlacht bei Jena und<br />
Auerstedt am 14. Oktober 1806 24) erfuhren schmerzhaft die<br />
Überlegenheit des französischen Schlachtenkaisers.<br />
Der Sieg bei Austerlitz machte Napoleon - zusammen<br />
mit seinem für ihn zunächst unerwarteten Triumph im<br />
folgenden Jahr über die Generale <strong>der</strong> preußischen Armee,<br />
die beim von ihm verehrten Friedrich dem Großen ihr<br />
Waffenhandwerk erlernten - zum politischen Hegemon<br />
und Besatzer West- und Zentraleuropas. Nur Großbritannien<br />
mit seiner für die anti-napoleonische Allianz unverzichtbaren<br />
Finanz- und Seemacht sowie das zaristische<br />
Russland entzogen sich dem französischen Diktat. Seinen<br />
politischen und militärischen Triumphen stellte er mit<br />
seinem Code civil ein bleibendes zivilisatorisches Werk<br />
<strong>der</strong> Jurisdiktion zur Seite, von dem er selbst sagte, es sei<br />
bedeuten<strong>der</strong> und bleiben<strong>der</strong> als seine nach Dutzenden<br />
zählenden siegreichen Schlachten.<br />
Seinen überwältigenden Erfolg verdankte Napoleon<br />
<strong>der</strong> tiefgehenden Umwälzung des Kriegswesens, 25) das<br />
mit <strong>der</strong> Revolution zwangsläufig einherging: Aufstellung<br />
von Massenheeren, patriotisches und missionarisches<br />
Sendungsbewusstsein seiner Truppen, Neuorganisation<br />
<strong>der</strong> Führungsebenen, Korps- und Divisionssystem, Einführung<br />
<strong>der</strong> stoßkräftigen Kolonnentaktik und flexiblen<br />
Tirailleur-Gefechtsführung, Aufwertung <strong>der</strong> Artillerie<br />
und, bedingt durch die Vielzahl neuer Dienstposten und<br />
hoher Kriegsverluste bei seinen Offizieren, die Perspektive<br />
zum individuellen, Standesschranken übergreifenden<br />
Aufstieg - seit <strong>der</strong> Revolution hatte je<strong>der</strong> „den Marschallstab<br />
im Tornister“. Die Möglichkeit <strong>der</strong> Gefechtsführung<br />
mit verbundenen Waffen und selbstständigen Großverbänden<br />
sowie <strong>der</strong> Menge <strong>der</strong> durch Wehrpflicht bzw.<br />
erzwungenen Bündniskonstellationen zur Verfügung<br />
stehenden Soldaten schuf ein im absolutistischen Kriegswesen<br />
nicht denkbares Bestreben, durch <strong>der</strong>en beinahe<br />
beliebige Verfügbarkeit und die nationale Aufladung <strong>der</strong><br />
Kriegführung den Schritt zur Entscheidungs- respektive<br />
Vernichtungsschlacht zu wagen bzw. durchzuführen. 26)<br />
Erst sein Russlandfeldzug von 1812, mit dem er <strong>der</strong><br />
nach <strong>der</strong> verlorenen Seeschlacht bei Trafalgar 1805 für ihn<br />
unerreichbaren Seemacht <strong>der</strong> britischen Inselmonarchie<br />
den so genannten „Festlanddegen“ Russland entwinden<br />
wollte, brachte die mehr erhoffte als erwartbare Wende,<br />
die über die Zwischenstation „Völkerschlacht bei Leipzig“<br />
Mitte Oktober 1813 und Waterloo am 18. Juni 1815 zur<br />
Nie<strong>der</strong>ringung des napoleonischen Suprematieanspruchs<br />
führte. 27) Dennoch: Der französische Kaiser und Feldherr<br />
war für mehr als ein Jahrzehnt - als machtpolitisches,<br />
kontinentales Gravitationszentrum - trotz beginnen<strong>der</strong><br />
und wahrnehmbarer Agonie seit 1808 bis zu seinem gescheiterten<br />
Feldzug nach Moskau 1812 second to none<br />
in Europa, bevor Russland zusammen mit dem Habsburgerreich<br />
neben dem unverzichtbaren Großbritannien als<br />
seine Überwin<strong>der</strong> bis zur europäischen Erhebungszeit von<br />
1848/49 als Schiedsrichter Europas fungierten. 28)<br />
II. Französische Geschichte<br />
als neue römische Geschichte<br />
Wenngleich Revolutionen durch ihre eruptive Dynamik<br />
den Weg in eine neue Zukunft verheißen und<br />
20<br />
ebnen, so suchen sie meist gleichzeitig durch vielfältige<br />
und auch eklektizistische Aneignungen aus dem „Steinbruch“<br />
<strong>der</strong> Vergangenheit respektive Analogiebildungen<br />
und Wie<strong>der</strong>aufnahme vermeintlich unterbrochener Kontinuitätslinien<br />
Legitimität aus alten Wurzeln zu ziehen.<br />
Dies galt für mittelalterliche Rechtsvorstellungen, 29) die<br />
Reformation Luthers - er wollte eine renovatio <strong>der</strong> alten<br />
Kirche - sowie die geistige Grundhaltung <strong>der</strong> Frühen<br />
Neuzeit generell. 30) Zwar gab es bereits seit dem Humanismus<br />
<strong>der</strong> Renaissance wie<strong>der</strong>kehrende Rezeptionsphasen<br />
des griechisch-römischen Altertums, und auch<br />
die Gelehrten des 18. Jahrhun<strong>der</strong>ts verwiesen auf den<br />
Vorbildcharakter antiker politischer Errungenschaften<br />
und Einrichtungen sowie nachzueifern<strong>der</strong> Helden aus<br />
<strong>der</strong> alten Geschichte; eine auch militärische (römische)<br />
Antikenrezeption von Justus Lipsius ermöglichte um<br />
1600 erst die oranische Heeresreform, die sich als<br />
Transmissionsriemen für das mo<strong>der</strong>ne frühneuzeitliche<br />
Kriegswesen erwies. 31)<br />
Aber erst mit <strong>der</strong> Französischen Revolution und ihrem<br />
Demokratiepotenzial ergab sich auch die Möglichkeit - nach<br />
<strong>der</strong> Beseitigung des Ancien Régime -, es den bewun<strong>der</strong>ten<br />
Alten auf einer sehr viel breiteren Massenbasis nachzutun.<br />
Die französische Geschichte nach 1789 wurde, komprimiert<br />
auf etwas mehr als zwei Jahrzehnte, zur Neuauflage<br />
<strong>der</strong> römischen Geschichte: Abschaffung <strong>der</strong> Monarchie,<br />
Ausrufung <strong>der</strong> Republik, Bürgerkriegsszenarien, expansive<br />
Machtpolitik, Diktatur, konsularische Alleinherrschaft,<br />
Heereskaisertum und Implosion des Empire. 32)<br />
Der legendenumrankte Eintritt <strong>der</strong> späteren Tibermetropole<br />
Rom in die Weltgeschichte begann mit <strong>der</strong><br />
Vertreibung des letzten etruskischen Stadtkönigs; das<br />
revolutionäre Frankreich zog mit <strong>der</strong> durch den am 21.<br />
September 1792 zusammengetretenen Nationalkonvent<br />
- es war seine erste Maßnahme - legalisierten Abschaffung<br />
<strong>der</strong> Monarchie nach. So wie die Revolution mit ihren neuen<br />
politischen und gesellschaftlichen Postulaten für Frankreich<br />
- versehen mit den Begrifflichkeiten <strong>der</strong> römischen<br />
Republik 33) - ein neues politisches System und eine gänzlich<br />
neue res publica schuf, so wollte <strong>der</strong> Nationalkonvent<br />
diese neuen Freiheiten auch den an<strong>der</strong>en Völkern zum<br />
Vorbild anbieten. So defensiv, wenngleich pathetischmartialisch,<br />
<strong>der</strong> von Claude Joseph Rouget de Lisle im<br />
April 1792 verfasste Text <strong>der</strong> „Marseillaise“ verkündete,<br />
man zöge in die Schlacht, um sich „cette horde d’esclaves,<br />
de traîtres, de rois conjurés“ (<strong>der</strong> Horde von Sklaven, von<br />
Verrätern, von verschwörerischen Königen) zu erwehren,<br />
so offensiv-agitativ proklamierte <strong>der</strong> Konvent im Dezember<br />
1792 „im Namen <strong>der</strong> französischen Nation, dass er<br />
allen Völkern, die ihre Freiheit wie<strong>der</strong>erlangen wollen,<br />
Brü<strong>der</strong>lichkeit und Hilfe gewähren wird“. 34)<br />
Die scheinbar altruistische Zielsetzung konnte sich<br />
indes nicht ihrer realpolitisch-katalysatorisch wirkenden<br />
inneren Logik und Dynamik erwehren. Denn <strong>der</strong> damit<br />
verbundene missionarische Grundgedanke überschritt<br />
schnell - nicht zuletzt durch die Verkündung <strong>der</strong> zur<br />
erhöhten Mobilisierung sämtlich verfügbarer Potenziale<br />
erfor<strong>der</strong>lichen levée en masse Ende August 1793, die innerhalb<br />
kurzer zeitlicher Frist Frankreich ein von jungen<br />
Generalen geführtes Heer brachte, das mit fast einer Million<br />
ÖMZ-Online 2/2010