Philosophie 2 Mensch und Gesellschaft
Philosophie 2 Mensch und Gesellschaft
Philosophie 2 Mensch und Gesellschaft
Sie wollen auch ein ePaper? Erhöhen Sie die Reichweite Ihrer Titel.
YUMPU macht aus Druck-PDFs automatisch weboptimierte ePaper, die Google liebt.
phi2_10_Reader<br />
Thomas Hobbes<br />
Die Notwendigkeit des Staates als Zwangsinstitution (1651)<br />
Warum muss es überhaupt einen Staat geben? Zur Beantwortung dieser Frage könnte man auf<br />
die unterschiedlichsten Aufgabenbereiche des Staates verweisen, von der Bildung bis zum<br />
Straßenbau; es ließe sich jedoch bei vielen dieser Aufgaben einwenden, dass sie auch von anderen<br />
Institutionen als dem Staat übernommen werden können. Der Soziologe Max Weber<br />
5 (1864-1920) nannte als das entscheidende Merkmal des Staates, das ihn von allen anderen<br />
Institutionen unterscheidet, das „Monopol der legitimen physischen Gewaltsamkeit“: Allein<br />
die Vertreter des Staates sind berechtigt, Gewalt anzuwenden um Konflikte zu schlichten oder<br />
die Einhaltung von Regeln zu garantieren, keine andere Organisation oder Privatperson, mag<br />
sie auch noch so gute Gründe dafür haben. Das gilt vor allem für die Strafverfolgung, aber auch<br />
10 für privaten Streit oder politische Aktionen. Diese Aufgaben des Staates können daher nicht<br />
„privatisiert“ werden, im Gegensatz etwa zum Schulwesen oder der Post.<br />
Dieses „Gewaltmonopol“ des Staates wurde erst im Absolutismus allmählich durchgesetzt,<br />
gegen die Vielzahl der mittelalterlichen Teilgewalten (z. B. der kleineren Fürsten) <strong>und</strong> der Fehden<br />
<strong>und</strong> Kleinkriege. Der Wunsch, einer solchen <strong>Gesellschaft</strong> voller gewalttätiger Konflikte eine<br />
15 vernünftig begründete Ordnung entgegenzusetzen, war ein Hauptmotiv für die Staatsphilosophen<br />
der frühen Neuzeit.<br />
Dies trifft besonders für den Engländer Thomas Hobbes (1588-<br />
1679) zu. Er begründete als einer der ersten modernen Staatsphilosophen<br />
die Notwendigkeit des Staates - <strong>und</strong> seines Ge-<br />
20 waltmonopols - konsequent nicht von religiösen oder metaphysischen<br />
Voraussetzungen <strong>und</strong> auch nicht von der Gemeinschaft<br />
her, sondern vom Interesse des Individuums aus. Wenn er dabei<br />
von einem „Naturzustand“ ausgeht, so geht es ihm weniger<br />
um eine historische Beschreibung als vielmehr um eine Art Ge-<br />
25 dankenexperiment: Was wäre, wenn die <strong>Mensch</strong>en ohne Einschränkung<br />
durch einen Staat nur ihrer „Natur“ folgten? Hobbes<br />
entwickelt dabei eine bestimmte Anthropologie: Für ihn ergibt<br />
eine wissenschaftlich nüchterne <strong>und</strong> systematische Untersuchung<br />
der menschlichen Natur, dass im „Naturzustand“ Konkur-<br />
30 renzkampf <strong>und</strong> Machtstreben zu einem unerbittlichen Krieg aller gegen alle führen müssen. Aus<br />
diesen Überlegungen entwickelt er dann eine Begründung des Staates.<br />
Wenn die Zeit zur Erschließung der Hobbes-Texte nicht reicht, können die Gr<strong>und</strong>ideen<br />
gut – als Mitschriftübung – anhand der Hör-CD zu Thomas Hobbes (Abschnitte 7 bis 12)<br />
erarbeitet werden.<br />
Der Naturzustand<br />
Die <strong>Mensch</strong>en sind von Natur aus gleich,<br />
sowohl in ihren körperlichen als auch in den<br />
35 geistigen Anlagen. Es mag wohl jemand<br />
erwiesenermaßen stärker sein als ein anderer<br />
oder schneller in seinen Gedankengängen,<br />
wenn man jedoch alles zusammen<br />
bedenkt, so ist der Unterschied zwischen<br />
40 den einzelnen <strong>Mensch</strong>en nicht so erheblich,<br />
dass irgendjemand Veranlassung hätte sich<br />
einen Anspruch daraus herzuleiten, den ein<br />
anderer nicht mit dem gleichen Recht geltend<br />
machen könnte. Man nehme nur die<br />
45 Körperstärke: Selbst der Schwächste ist<br />
stark genug auch den Stärksten zu vernichten;<br />
er braucht sich nur einer List zu bedienen<br />
oder sich zu verbinden mit anderen, die<br />
in derselben Gefahr sind wie er.<br />
50 Im Bereich der geistigen Fähigkeiten scheint<br />
mir die Gleichheit noch offensichtlicher zu<br />
sein - eine Ausnahme bilden nur die Künste,<br />
die sich des Wortes bedienen, vor allein die<br />
Wissenschaften, die nämlich verlangen,<br />
55 dass man allgemein gültige Regeln abzuleiten<br />
in der Lage ist, eine Fähigkeit, die nur<br />
wenige <strong>und</strong> dann nur begrenzt auf einzelne<br />
Denkbereiche besitzen, denn sie ist nicht<br />
angeboren <strong>und</strong> kann auch nicht - wie die<br />
60 Klugheit durch einfaches Schlussfolgern erworben<br />
werden. Denn Klugheit ist nichts als<br />
Erfahrung <strong>und</strong> diese wird allen in gleicher<br />
Weise zuteil, wenn sie nur irgendeiner Sache<br />
die gleiche Aufmerksamkeit schenken.<br />
65 [...]<br />
Dieser Gleichheit der Fähigkeiten entspringen<br />
die gleichen Hoffnungen ein Ziel zu erreichen.<br />
So werden zwei <strong>Mensch</strong>en zu Feinden,<br />
wenn beide zu erlangen versuchen,<br />
23