40 vpod bildungspolitik 143-144 /05
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hollenweger<br />
dergrund, ob es Schulen gelingt, alle Kinder<br />
unabhängig von ihrer sozialen Herkunft<br />
gleich erfolgreich zu fördern. In PISA<br />
wurde ein komplexer Indikator zur Umschreibung<br />
der familiären Herkunft gebildet,<br />
der sich an den Theorien von Pierre<br />
Bourdieu orientiert und über das Vorhandensein<br />
von sozialem, kulturellem und<br />
ökonomischem Kapital definiert wird. Nur<br />
die familiäre Herkunft zur Einschätzung<br />
von ungerecht verteilten Bildungschancen<br />
in einem Land zu berücksichtigen, wäre<br />
allerdings zu kurz gegriffen. Wenn unser<br />
Ziel eine Schule ist, die allen Kindern und<br />
Jugendlichen die gleichen Bildungschancen<br />
bietet, so müssen weitere Faktoren<br />
berücksichtigt werden. Folgende weitere<br />
Zielgruppen erhalten von der UNESCO in<br />
ihrem internationalen Programm «Bildung<br />
für Alle» – oder «Education for All» – ebenfalls<br />
besondere Aufmerksamkeit: Mädchen,<br />
Kinder mit Behinderungen, Kinder<br />
mit HIV/AIDS, Kinder in ländlichen, benachteiligten<br />
Gebieten.<br />
Wer ist von Benachteiligung oder<br />
Ausschluss bedroht<br />
Die Diversität in der Schule hat ohne Zweifel<br />
zugenommen und wird heute auch bewusster<br />
wahrgenommen. Es stellt sich die<br />
Frage, wie die Schule damit umgeht: Gelingt<br />
es ihr, eine soziale Kohäsion herzustellen,<br />
die für eine solidarische Bürgergesellschaft<br />
eine wesentliche Voraussetzung<br />
ist Gelingt es der Schule, Bildungsprozesse<br />
so zu gestalten, dass alle Kinder<br />
grundsätzlich die gleiche Chance haben,<br />
ihr Potential zu entfalten und ihre Fähigkeiten<br />
gleichberechtigt einzubringen Verschiedene<br />
Gruppen können von einem<br />
Ausschluss von Bildungsprozessen gefährdet<br />
sein und die Gefährdung kann von<br />
Land zu Land mit unterschiedlichen Indikatoren<br />
in Verbindung gebracht werden.<br />
Da in Kanada mehrheitlich gut qualifizierte<br />
Personen immigrieren und viele unter<br />
ihnen eine der beiden Landessprachen bereits<br />
beherrschen, ist dort im Gegensatz<br />
zur Schweiz diese Gruppe nicht vom Ausschluss<br />
gefährdet. Wo bei uns in Bezug auf<br />
Schulmisserfolg gegenwärtig die Variable<br />
«Migrationshintergrund» am bedeutsamsten<br />
zu sein scheint, sind in Kanada andere<br />
Variablen eng mit Schulmisserfolg verbunden:<br />
Kinder die in Armut leben, mit einem<br />
alleinerziehenden Elternteil auf dem<br />
Land aufwachsen. In Finnland hingegen ist<br />
es in Bezug auf die PISA-Leistungen am riskantesten,<br />
ein Knabe zu sein: die Unterschiede<br />
zwischen den Geschlechtern haben<br />
dort einige heisse Köpfe verursacht.<br />
In vielen Entwicklungsländern kann eine<br />
Behinderung dazu führen, dass ein Kind<br />
von allen Bildungsprozessen ausgeschlossen<br />
wird, vor allem wenn es in einer ländlichen<br />
Region lebt.<br />
Schulische Risikofaktoren<br />
Es muss jedoch in diesem Zusammenhang<br />
nicht nur die Frage nach den schulunabhängigen<br />
Risikofaktoren in den verschiedenen<br />
Ländern gestellt werden, sondern<br />
auch nach schulischen Prozessen und Faktoren,<br />
die das Risiko erhöhen, wonach bestimmte<br />
Gruppen nicht in gleichem Masse<br />
von Bildungsprozessen profitieren können.<br />
Bildungssysteme, die stark segregiert<br />
sind, zeigen im internationalen Vergleich<br />
auch eine höhere soziale Selektivität. In<br />
selektiven Schulsystemen ohne lehrerunabhängige<br />
Leistungsmessungen werden<br />
meist nicht die leistungsstärksten Kinder<br />
in die prestigereichsten Schultypen<br />
eingeteilt, sondern viel eher Kinder aus Familien<br />
mit dem entsprechenden sozialen,<br />
kulturellen und ökonomischen Kapital.<br />
Sowohl die Erfahrungen in Deutschland,<br />
den Niederlanden und der Schweiz – also<br />
Länder mit eher segregierten, stark differenzierten<br />
Bildungssystemen – zeigen,<br />
dass schulische Selektionsprozesse fast<br />
zwangsläufig sozial gefärbt sind. Bildungssysteme,<br />
welche diese Selektion nicht vornehmen,<br />
haben einfach gesagt die Möglichkeit<br />
gar nicht, hier Fehler zu machen.<br />
Bildungsferne und Unkenntnis des Schulsystems<br />
wirken sich weniger stark aus,<br />
wenn nicht gewichtige Entscheide von den<br />
Eltern gefällt werden müssen. Dies sind<br />
nicht zu gering einzuschätzende Argumente<br />
für eine weniger selektive Volksschule.<br />
Die USA haben durch ihre Politik der finanziellen<br />
Unterstützung respektive Bestrafung<br />
einzelner Schulen gemäss ihrem<br />
Leistungsausweis mit einem anderen Selektionsproblem<br />
zu kämpfen. Schulen mit<br />
schlechten Leistungen werden die finanziellen<br />
Mittel gestrichen; das macht die<br />
Schule einerseits unattraktiv für bildungsnahe<br />
Eltern, andererseits demotiviert diese<br />
Massnahme die meist schon überforderten<br />
Lehrpersonen noch mehr. Benachteiligte<br />
Schulen mit schlechten Lehrpersonen<br />
und fehlenden finanziellen Mitteln<br />
sind das Ergebnis einer solchen Politik. In<br />
den USA funktioniert also die Selektion<br />
nicht bezüglich verschiedener Klassentypen,<br />
sondern bezüglich verschiedener<br />
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