Masterthesis - Gerda Tobler
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Für uns Heutige ist Sophia im Allgemeinen ein Name, oder sie steht abstrakt für<br />
Weisheit, mehr nicht. Hingegen spielt sie in Steiners Geisteswissenschaft eine herausragende<br />
Rolle für Anthropos, den Menschen. Hier ist sie „die grosse Wurzel der<br />
Gesamtheit alles Geschaffenen, d.h. die ganze Schöpfung und nicht bloss alles Geschöpfte. Die<br />
Sophia ist [...] die ideale Person der Welt, ihr formender Grund, [...], die ewige Braut des<br />
Logos. [...]“ 24 Anthropos, der sich durch sein Tun weiter entwickelt und so die Erde<br />
verwandelt, erkennt sich selbst im Spiegel Sophias und findet so zu einem neuen<br />
Gemeinschaftssinn. 25<br />
Die anthroposophische Wirtschaftslehre mit ihrer ‚sozialen Dreigliederung’ 26 bringt ausserdem<br />
zum Ausdruck, dass wirkliche Arbeit eben letztlich immer Arbeit für andere<br />
und niemals nur für sich alleine sei. Und dass „[...]für die Mitmenschen arbeiten und ein<br />
gewisses Einkommen erzielen zwei voneinander ganz getrennte Dinge seien.“ 27 Das erklärt<br />
möglicherweise, weshalb sich auffallend viele Menschen mit anthroposophischem<br />
Hintergrund für ein von Arbeit entkoppeltes Grundeinkommen stark machen. Sophia<br />
sitzt da quasi mitten im ‚Matronatskomitee’. Ich betrachte das eine beglückende<br />
Koinzidenz meiner Namensfindung.<br />
So erstaunt es vielleicht nicht mehr, dass ich Sophia, der mir bislang ebenfalls Unbekannten,<br />
so viel Platz eingeräumt habe. Das ‚weibliche Element’, oder ‚Sophias<br />
Geist’, manifestiert sich offenbar überall dort, wo Menschen heilende, verbindende,<br />
schöpferische und gewaltfreie Strategien und Modelle entwickeln für eine gesellschaftliche<br />
Notwendung.<br />
Zum Abschluss meines Sophia-Exkurses zitiere ich darum die letzten Worten aus<br />
‚Faust II’, Goethes letztem Werk, das mit verblüffender Klarheit die umwälzende<br />
und fatale Entwicklung der modernen Geld- und Marktwirtschaft vorweg nimmt 28 :<br />
Nachdem die ‚seligen Knaben’ berichten, Fausts einst dem Teufel verkaufte Seele sei<br />
nun doch gerettet, spricht der ‚Chorus mysticus’:<br />
„Alles Vergängliche<br />
Ist nur ein Gleichnis;<br />
Das Unzulängliche,<br />
Hier wird's Ereignis;<br />
Das Unbeschreibliche,<br />
Hier ist's getan;<br />
Das Ewig- Weibliche,<br />
Zieht uns hinan.“ 29<br />
Wenn ich Fausts ‚Teufel’ (diabolus) ethymologisch etwas genauer unter die Lupe<br />
nehme, wird sein Spielpartner hochaktuell: ‚dia’, griechisch ‚auseinander, entgegengesetzt’,<br />
und ‚ballein, griechisch ‚werfen, treiben’, ergeben zusammen ‚die<br />
24<br />
Debus 2000, S. 101.<br />
25<br />
Debus a.a.O., S. 184.<br />
26<br />
Darunter wird ein Leitbild für gesellschaftliche Entwicklung verstanden, das in den Jahren 1917–20 von Rudolf Steiner entwickelt wurde.<br />
Es gründet auf „Freiheit im Geistesleben“ / „Geschwisterlichkeit im Wirtschaftsleben“ / „Gleichheit im Rechtsleben“. Interessant ist hier auch<br />
der Ansatz zur Überwindung von Lohnarbeit: „Neben die Umwandlung des alten Eigentumbegriffs hinsichtlich der Produktionsmittel tritt die<br />
Grundüberzeugung, dass Arbeit nicht bezahlbar ist, mithin nicht gekauft werden kann. Der Warencharakter der menschlichen Arbeit ist nach<br />
Ansicht Steiners eine Restform der Sklaverei, deren vollständige Überwindung erst mit der Abschaffung des Lohnprinzips gegeben ist.[...]“ .<br />
vgl. http://de.wikipedia.org/wiki/Soziale_Dreigliederung, 13.4.2011, online 4.5.11<br />
27<br />
Steiner 1989, S. 22 – 23.<br />
28<br />
vgl. Binswanger 2005.<br />
29<br />
Goethe1832., vgl. http://de.wikipedia.org/wiki/Faust._Der_Trag%C3%B6die_zweiter_Teil, 10.4.11, online 14.4.11<br />
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