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Überblick über die Rechtsprechung der letzten 1,5 Jahre im BetrVG

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<strong>Überblick</strong> <strong>über</strong> <strong>die</strong> <strong>Rechtsprechung</strong><br />

<strong>der</strong> <strong>letzten</strong> 1,5 <strong>Jahre</strong> <strong>im</strong> <strong>BetrVG</strong> Seite 4<br />

Editorial Seite 2<br />

Das Schnellgericht:<br />

Aktuelle <strong>Rechtsprechung</strong> <strong>im</strong><br />

Individualarbeitsrecht Seite 43<br />

SWP-Spieltipp:<br />

„Betriebsrat ärgere dich nicht“ Seite 46


swp magazin 02<br />

Liebe Leserin, lieber Leser,<br />

Joach<strong>im</strong> Piezynski / Jörg Werth / Stephen Sun<strong>der</strong><strong>die</strong>k<br />

<strong>die</strong> letzte große Novellierung <strong>im</strong> Betriebsverfassungsgesetz<br />

liegt inzwischen gut 10 <strong>Jahre</strong> zurück.<br />

Am 28.07.2001 erlebte <strong>die</strong> Betriebsverfassung noch<br />

zur Zeit <strong>der</strong> rot-grünen Regierungskoalition unter<br />

Gerhard Schrö<strong>der</strong> eine Vielzahl grundlegen<strong>der</strong><br />

Än<strong>der</strong>ungen.<br />

So erweiterte <strong>der</strong> Gesetzgeber u.a. <strong>die</strong> allgemeinen<br />

Aufgaben <strong>der</strong> Betriebsräte in § 80 <strong>BetrVG</strong>, <strong>die</strong><br />

Mitbest<strong>im</strong>mung in § 87 <strong>BetrVG</strong>, <strong>die</strong> Rechte des<br />

Betriebsrates bei Kündigung bzw. Versetzung eines<br />

Betriebsratsmitgliedes (vgl. § 103 <strong>BetrVG</strong>) und <strong>die</strong><br />

Beteiligungsrechte zu Gunsten <strong>der</strong> Betriebsräte bei<br />

personellen Einzelmaßnahmen (vgl. § 99 <strong>BetrVG</strong>)<br />

sowie bei Betriebsän<strong>der</strong>ungen (vgl. § 111 <strong>BetrVG</strong>).<br />

Dar<strong>über</strong> hinaus senkte <strong>der</strong> Gesetzgeber <strong>die</strong> Grenzwerte<br />

bei den Betriebsratsgrößen sowie bei den<br />

Freistellungen.<br />

Groß war <strong>der</strong> damalige Aufschrei <strong>der</strong> schwarz-gelben<br />

Opposition sowie in <strong>der</strong> Wirtschaft. So wurde <strong>die</strong><br />

Befürchtung geäußert, <strong>die</strong> Erweiterung <strong>der</strong> Aufgaben<br />

und Mitbest<strong>im</strong>mungsrechte <strong>der</strong> Betriebsräte <strong>im</strong><br />

Betriebsverfassungsgesetz könnten <strong>die</strong> Unternehmen<br />

in ihrer Handlungsfreiheit beschneiden und den<br />

Wirtschaftsstandort Deutschland sogar gefährden.<br />

Auch <strong>der</strong> damalige Hauptgeschäftsführer des Arbeitgeberverbandes<br />

Gesamtmetall, Hans Werner<br />

Busch, äußerte gegen<strong>über</strong> <strong>der</strong> in Hannover erscheinenden<br />

„Neuen Presse“ am 02.04.2001, dass <strong>die</strong><br />

jüngsten Weichenstellungen zur Ausweitung <strong>der</strong><br />

Mitbest<strong>im</strong>mung <strong>der</strong> Arbeitnehmer bei <strong>der</strong> Schaffung<br />

neuer Arbeitsplätze nicht hilfreich seien.<br />

Der Verband <strong>der</strong> Möbelindustrie befürchtete gar<br />

jährliche Mehrkosten von 20 Millionen Mark, was<br />

einige <strong>der</strong> mittelständischen Betriebe an den Rand<br />

des Ruins bringe.<br />

Die Kritik an <strong>der</strong> Ausweitung <strong>der</strong> betrieblichen Mitbest<strong>im</strong>mung<br />

flackerte <strong>im</strong> weiteren Verlauf, speziell<br />

vor den Bundestagswahlen 2005 und 2009, <strong>im</strong>mer<br />

wie<strong>der</strong> auf. Doch in den <strong>letzten</strong> <strong>Jahre</strong>n herrscht<br />

weitgehend Ruhe. Die Kritik an den Gesetzesän<strong>der</strong>ungen<br />

ist verstummt. Selbst <strong>die</strong> schwarz-gelbe Koalition<br />

hat ihre Än<strong>der</strong>ungsbestrebungen anscheinend<br />

aufgegeben und den <strong>der</strong>zeitigen Gesetzeszustand<br />

akzeptiert.<br />

Fortsetzung auf nächster Seite »


swp magazin 03<br />

Somit können <strong>die</strong> Betriebsräte ihrer Betriebsratsarbeit seit <strong>Jahre</strong>n auf<br />

Grundlage einer unverän<strong>der</strong>ten Gesetzeslage <strong>im</strong> Betriebsverfassungsrecht<br />

nachgehen. Dies schafft Rechtssicherheit und Vertrauen. Allerdings reicht<br />

es nicht, wenn Betriebsräte bei ihrer Arbeit nur das Betriebsverfassungsgesetz<br />

<strong>im</strong> Auge behalten.<br />

Maßgeblich für <strong>die</strong> Best<strong>im</strong>mung des rechtlichen Könnens und Dürfens von<br />

Betriebsräten ist vor allem <strong>die</strong> zu den einzelnen Aufgaben und Mitbest<strong>im</strong>mungstatbeständen<br />

<strong>im</strong> Betriebsverfassungsrecht von den Arbeitsgerichten<br />

ergangene <strong>Rechtsprechung</strong>. Diese zu beachten, hat für <strong>die</strong> Betriebsräte in<br />

den <strong>letzten</strong> <strong>Jahre</strong>n zunehmend an Bedeutung gewonnen.<br />

Die Kenntnis <strong>der</strong> aktuellen <strong>Rechtsprechung</strong> zur Betriebsverfassung ist aber<br />

nicht nur bedeutsam für <strong>die</strong> Frage, wie weit <strong>die</strong> Mitbest<strong>im</strong>mungsrechte von<br />

Betriebsräten gehen, son<strong>der</strong>n auch entscheidend für <strong>die</strong> Beurteilung, ob<br />

sich <strong>die</strong> Arbeitgeber an <strong>die</strong> ihnen auferlegten Pflichten aus dem Betriebsverfassungsgesetz<br />

auch tatsächlich halten.<br />

Anhand <strong>der</strong> von uns erstellten Überschriften zu den jeweiligen Entscheidungen<br />

können Sie schnell feststellen, welche <strong>der</strong> aufgeführten Entscheidungen<br />

für Ihren Betriebsrat von Belang sein könnte. So können Sie <strong>die</strong>ses<br />

Online-Magazin <strong>im</strong>mer wie<strong>der</strong> auch als Nachschlagwerk nutzen.<br />

Einen vollständigen <strong>Überblick</strong> <strong>über</strong> <strong>die</strong> aktuelle <strong>Rechtsprechung</strong> bieten wir<br />

Betriebsräten übrigens jedes Jahr in unseren Schulungen und Seminaren<br />

an, <strong>die</strong> wir auch In-House veranstalten. Nähere Informationen hierzu können<br />

Sie unserer Internetseite entnehmen.<br />

Es grüßt Sie herzlich Ihr SWP-Team<br />

Stephen Sun<strong>der</strong><strong>die</strong>k Jörg Werth Joach<strong>im</strong> Piezynski<br />

Kurzum:<br />

Gerade <strong>die</strong> <strong>Rechtsprechung</strong> <strong>im</strong> Betriebsverfassungsrecht unterliegt einer<br />

stetigen Weiterentwicklung. Sie <strong>im</strong> Auge zu behalten, ist eine wichtige<br />

und wesentliche Aufgabe von Betriebsräten. Um Ihnen das Auge für das<br />

Wesentliche schärfen, haben wir Ihnen in <strong>die</strong>sem Online-Magazin eine<br />

Auswahl <strong>der</strong> aus unserer Sicht maßgeblichen Entscheidungen <strong>der</strong> <strong>letzten</strong><br />

18 Monate zusammengestellt und <strong>die</strong> Entscheidungen für Sie in gekürzter<br />

Form zusammengefasst.<br />

editorial » editorial » editorial » editorial


swp magazin 04<br />

<strong>Überblick</strong> <strong>über</strong> <strong>die</strong> <strong>Rechtsprechung</strong><br />

<strong>der</strong> <strong>letzten</strong> 1,5 <strong>Jahre</strong> <strong>im</strong> <strong>BetrVG</strong><br />

“Frau Lamprecht, Sie haben da nicht den <strong>Überblick</strong>. Der blattweise<br />

Einkauf von Schreibmaschinenpapier ist kaufmännisch nicht zu verantworten.“<br />

Loriot alias Heinricht Lohse in „Pappa ante Portas“<br />

Damit Sie nicht wie Loriot als Einkaufsdirektor Heinrich Lohse den <strong>Überblick</strong><br />

verlieren, haben wir auf den folgenden Seiten <strong>die</strong> wichtigsten Entwicklungen<br />

in <strong>der</strong> <strong>Rechtsprechung</strong> <strong>der</strong> <strong>letzten</strong> 1,5 <strong>Jahre</strong> zusammengefasst. Viel<br />

Spaß be<strong>im</strong> Lesen!<br />

1. Zu § 37 Absatz 3 <strong>BetrVG</strong><br />

Vergütungsansprüche <strong>im</strong> restmandatierten Betriebsrat<br />

Bundesarbeitsgericht Urteil vom 5.5.2010, 7 AZR 728/08<br />

Leitsätze<br />

1. Betriebsratsmitglie<strong>der</strong> haben auch <strong>im</strong> Restmandat keinen Anspruch<br />

auf Vergütung ihrer Betriebsratstätigkeit. Für <strong>die</strong> nach <strong>der</strong> Beendigung<br />

ihrer Arbeitsverhältnisse zur Erfüllung ihrer Betriebsratsaufgaben geleisteten<br />

Freizeitopfer können sie kein Entgelt verlangen. § 37 Abs.<br />

3 Satz 3 <strong>BetrVG</strong> kommt we<strong>der</strong> unmittelbar noch analog zur Anwendung.<br />

2. Die Mitgliedschaft <strong>im</strong> restmandatierten Betriebsrat endet nicht durch <strong>die</strong><br />

Beendigung des Arbeitsverhältnisses. § 24 Nr. 3 <strong>BetrVG</strong> findet auf den<br />

Betriebsrat <strong>im</strong> Restmandat keine Anwendung.<br />

2. Zu § 40 <strong>BetrVG</strong> – Betriebsmittel für den Betriebsrat<br />

Sachverhalt<br />

Die Beteiligten streiten dar<strong>über</strong>, ob <strong>der</strong> Arbeitgeber allen ordentlichen Mitglie<strong>der</strong>n<br />

des Betriebsrats den Zugang zum Internet zu ermöglichen und ihnen<br />

E-Mail-Adressen zur unternehmensexternen Kommunikation einzurichten<br />

o<strong>der</strong> jedenfalls dem Betriebsrat als Gremium den Internetzugang zu gewähren<br />

hat.<br />

Der Arbeitgeber ist ein Versicherungsverein auf Gegenseitigkeit, <strong>der</strong> in <strong>der</strong><br />

Außenstelle Duisburg Anfang September 2009 ca. 54 Mitarbeiter beschäftigte.<br />

In <strong>die</strong>ser Außenstelle bestand ein fünfköpfiger Betriebsrat. Der <strong>im</strong><br />

Frühjahr 2010 neu gewählte Betriebsrat besteht aus drei Mitglie<strong>der</strong>n. Alle<br />

Mitarbeiter - auch <strong>die</strong> Betriebsratsmitglie<strong>der</strong> - arbeiten an einem mit einem<br />

Personalcomputer (PC) ausgestatteten Arbeitsplatz. Der Arbeitgeber verwendet<br />

ein System, bei dem am Arbeitsplatz eine sog. Workstation steht und<br />

<strong>die</strong> Daten zentral auf einem Server gespeichert werden. Zur PC-Nutzung<br />

muss man sich mit einem personenbezogenen Passwort einloggen. Nach<br />

einer Betriebsvereinbarung und betrieblichen Richtlinien ist <strong>der</strong> Gebrauch<br />

eines fremden Passworts untersagt. Über das Intranet ist eine betriebs- und<br />

unternehmensinterne elektronische Kommunikation möglich. Ca. 10-12 %<br />

<strong>der</strong> Mitarbeiter, darunter <strong>der</strong> Betriebsratsvorsitzende und sein Stellvertreter,<br />

haben einen Internetzugang. Ca. 25 % <strong>der</strong> Mitarbeiter können außerhalb <strong>der</strong><br />

<strong>über</strong> das Intranet zur Verfügung gestellten Möglichkeit E-Mails empfangen<br />

und senden (sog. externe E-Mails). Durch <strong>die</strong> Vergabe entsprechen<strong>der</strong> externer<br />

E-Mail-Adressen verfügen auch <strong>der</strong> Betriebsratsvorsitzende und sein<br />

Stellvertreter <strong>über</strong> <strong>die</strong>se Möglichkeit.<br />

Der Betriebsrat hat vom Arbeitgeber den Zugang zum Internet und <strong>die</strong><br />

Einrichtung externer E-Mail-Adressen für sämtliche ordentlichen Betriebsratsmitglie<strong>der</strong><br />

sowie hilfsweise <strong>die</strong> nicht auf einzelne Betriebsratsmitglie<strong>der</strong><br />

beschränkte Zugangsmöglichkeit zum Internet begehrt.<br />

Fortsetzung auf nächster Seite »<br />

Internet und E-Mail für einzelne Betriebsratsmitglie<strong>der</strong><br />

BAG, Beschluss vom 14.07.2010, Az. 7 ABR 80/08


swp magazin 05<br />

Der Arbeitgeber hat sich auf den Standpunkt gestellt, bereits <strong>die</strong> dem Betriebsratsvorsitzenden<br />

und seinem Stellvertreter gewährten Internetzugänge<br />

seien freiwillig und nicht erfor<strong>der</strong>lich für <strong>die</strong> Betriebsratsarbeit. Aus dem Vorbringen<br />

des Betriebsrats folge nicht, dass er ohne weitere Internetfreischaltungen<br />

und E-Mail-Accounts seine gesetzlichen Aufgaben vernachlässigen<br />

müsse.<br />

Entscheidung<br />

Die Rechtsbeschwerde des Betriebsrats hat Erfolg. Der Arbeitgeber ist<br />

verpflichtet, neben dem Betriebsratsvorsitzenden und dessen Stellvertreter<br />

dem (nunmehr einzigen) weiteren Betriebsratsmitglied an dessen PC-<br />

Arbeitsplatz den Zugang zum Internet zu ermöglichen und eine externe<br />

E-Mail-Adresse einzurichten.<br />

Die (Haupt-) Anträge sind begründet. Der Arbeitgeber ist nach § 40 Abs. 2<br />

<strong>BetrVG</strong> verpflichtet, neben dem Betriebsratsvorsitzenden und -stellvertreter<br />

auch dem weiteren Betriebsratsmitglied an dessen PC-Arbeitsplatz den Internetzugang<br />

zu ermöglichen und eine externe E-Mail-Adresse einzurichten.<br />

Nach § 40 Abs. 2 <strong>BetrVG</strong> hat <strong>der</strong> Arbeitgeber dem Betriebsrat für <strong>die</strong><br />

Sitzungen, <strong>die</strong> Sprech-stunden und <strong>die</strong> laufende Geschäftsführung in<br />

erfor<strong>der</strong>lichem Umfang Räume, sachliche Mittel, Büropersonal sowie Informations-<br />

und Kommunikationstechnik zur Verfügung zu stellen. Zur Informationstechnik<br />

iSv. § 40 Abs. 2 <strong>BetrVG</strong> gehört das Internet.<br />

Auch <strong>die</strong> Einrichtung o<strong>der</strong> Zuweisung von E-Mail-Adressen mit best<strong>im</strong>mten<br />

Konfigurationen zur <strong>über</strong> das unternehmensbezogen eingerichtete Intranet<br />

hinausgehenden „externen“ Kommunikation mittels elektronischen Postwegs<br />

fällt unter den Begriff <strong>der</strong> Informations- und Kommunikationstechnik.<br />

Der Betriebsrat kann für jedes seiner Mitglie<strong>der</strong> einen arbeitsplatzbezogenen<br />

Internetzugang und <strong>die</strong> Teilhabe am „externen“ elektronischen Postverkehr<br />

allerdings nur verlangen, wenn <strong>die</strong>s zur ordnungsgemäßen Wahrnehmung<br />

<strong>der</strong> ihm nach dem Gesetz obliegenden Aufgaben erfor<strong>der</strong>lich ist.<br />

Auch nach <strong>der</strong> am 28. Juli 2001 in Kraft getretenen Neufassung des § 40<br />

Abs. 2 <strong>BetrVG</strong>, mit <strong>der</strong> <strong>der</strong> Gesetzgeber klargestellt hat, dass <strong>der</strong> Arbeitgeber<br />

dem Betriebsrat Informations- und Kommunikationstechnik in erfor<strong>der</strong>lichem<br />

Umfang zur Verfügung zu stellen hat, kann bei <strong>der</strong> Nutzung <strong>die</strong>ser<br />

Technik von <strong>der</strong> Prüfung <strong>der</strong> Erfor<strong>der</strong>lichkeit nicht abgesehen werden.<br />

Dies ergibt sich bereits aus dem Wortlaut des § 40 Abs. 2 <strong>BetrVG</strong>. Danach<br />

stehen Informations- und Kommunikationstechnik gleichrangig neben<br />

Räumen, sachlichen Mitteln und Büropersonal. Die Beschränkung<br />

des Sachmittelanspruchs des Betriebsrats auf den erfor<strong>der</strong>lichen Umfang<br />

<strong>die</strong>nt dazu, eine <strong>über</strong>mäßige finanzielle Belastung des Arbeitgebers zu<br />

verhin<strong>der</strong>n. Damit ließe sich nicht in Einklang bringen, gerade in dem kostenintensiven<br />

Bereich mo<strong>der</strong>ner Bürotechnik, an<strong>der</strong>s als bei den übrigen<br />

Sachmitteln, auf <strong>die</strong> Prüfung <strong>der</strong> Erfor<strong>der</strong>lichkeit zu verzichten.<br />

Nach ständiger <strong>Rechtsprechung</strong> des Senats obliegt dem Betriebsrat <strong>die</strong><br />

Prüfung, ob ein von ihm verlangtes Sachmittel zur Erledigung von Betriebsratsaufgaben<br />

erfor<strong>der</strong>lich und vom Arbeitgeber zur Verfügung zu stellen ist.<br />

Die Entscheidung hier<strong>über</strong> darf er nicht allein an seinen subjektiven Bedürfnissen<br />

ausrichten. Von ihm wird vielmehr verlangt, dass er <strong>die</strong> betrieblichen<br />

Verhältnisse und <strong>die</strong> sich ihm stellenden Aufgaben berücksichtigt.<br />

Dabei hat er <strong>die</strong> Interessen <strong>der</strong> Belegschaft an einer sachgerechten Ausübung<br />

des Betriebsratsamts einerseits und berechtigte Interessen des Arbeitgebers,<br />

auch soweit sie auf eine Begrenzung <strong>der</strong> Kostentragungspflicht<br />

gerichtet sind, gegeneinan<strong>der</strong> abzuwägen. Diese Grundsätze gelten auch<br />

für das Verlangen des Betriebsrats auf Überlassung von Informationsund<br />

Kommunikationstechnik.<br />

Fortsetzung auf nächster Seite »


swp magazin 06<br />

Die Entscheidung des Betriebsrats <strong>über</strong> <strong>die</strong> Erfor<strong>der</strong>lichkeit des verlangten<br />

Sachmittels unterliegt <strong>der</strong> arbeitsgerichtlichen Kontrolle. Diese ist auf <strong>die</strong><br />

Prüfung beschränkt, ob das verlangte Sachmittel aufgrund <strong>der</strong> konkreten<br />

betrieblichen Situation <strong>der</strong> Erledigung <strong>der</strong> gesetzlichen Aufgaben des<br />

Betriebsrats <strong>die</strong>nt und <strong>der</strong> Betriebsrat bei seiner Entscheidung nicht nur<br />

<strong>die</strong> Interessen <strong>der</strong> Belegschaft berücksichtigt, son<strong>der</strong>n auch berechtigten<br />

Belangen des Arbeitgebers Rechnung getragen hat. Dient das jeweilige<br />

Sachmittel <strong>der</strong> Erledigung betriebsverfassungsrechtlicher Aufgaben und<br />

hält sich <strong>die</strong> Interessenabwägung des Betriebsrats <strong>im</strong> Rahmen seines Beurteilungsspielraums,<br />

kann das Gericht <strong>die</strong> Entscheidung des Betriebsrats<br />

nicht durch seine eigene ersetzen.<br />

Der Betriebsrat hat <strong>die</strong> Ausstattung des PC-Arbeitsplatzes des weiteren<br />

Betriebsratsmitglieds mit einem Internetanschluss als seiner Aufgabenerfüllung<br />

<strong>die</strong>nlich ansehen dürfen.<br />

Wie <strong>der</strong> Senat zuletzt wie<strong>der</strong>holt entschieden hat, kann <strong>der</strong> Betriebsrat<br />

<strong>die</strong> Einholung von Informationen aus dem Internet als zur Erfüllung seiner<br />

Aufgaben erfor<strong>der</strong>lich ansehen. Zur Begründung des Anspruchs bedarf es<br />

nicht <strong>der</strong> Darlegung konkreter, aktuell anstehen<strong>der</strong> betriebsverfassungsrechtlicher<br />

Aufgaben, zu <strong>der</strong>en Erledigung Informationen aus dem Internet<br />

benötigt werden. Auch ist <strong>die</strong> vom Betriebsrat zu beurteilende Dienlichkeit<br />

eines Sachmittels zur Aufgabenwahrnehmung nicht erst dann gegeben,<br />

wenn <strong>der</strong> Betriebsrat ohne den Einsatz des Sachmittels seine gesetzlichen<br />

Pflichten vernachlässigen müsste.<br />

In Wahrnehmung seines Beurteilungsspielraums darf <strong>der</strong> Betriebsrat ebenso<br />

davon ausgehen, dass <strong>die</strong> Eröffnung von Internetanschlüssen für <strong>die</strong><br />

einzelnen Mitglie<strong>der</strong> seiner Aufgabenerfüllung <strong>die</strong>nt. Eine verantwortliche<br />

Betriebsratsarbeit setzt u. a. voraus, dass sich jedes Betriebsratsmitglied<br />

- insbeson<strong>der</strong>e bei <strong>der</strong> Vorbereitung auf Betriebsratssitzungen - eigenständig<br />

und eigenverantwortlich <strong>über</strong> anstehende Betriebsratsaufgaben<br />

informieren und hierzu recherchieren kann.<br />

Es obliegt <strong>der</strong> Entscheidung des Betriebsrats, auf welche Weise und mittels<br />

welcher Informationsquellen er den einzelnen seiner Mitglie<strong>der</strong> den zur<br />

Erfüllung <strong>der</strong> Gremiumsaufgaben notwendigen Informationszugang eröffnen<br />

will. Durch das Internet können Sachinformationen zu nahezu allen<br />

betriebsratsrelevanten Themenbereichen eingeholt werden.<br />

Es ist demnach nicht zu beanstanden, dass sich <strong>der</strong> Betriebsrat <strong>im</strong> Rahmen<br />

des ihm be<strong>im</strong> Sachmittelverschaffungsanspruch grundsätzlich zustehenden<br />

Ermessens vorliegend für das Verlangen eines Internetzugangs für<br />

jedes einzelne Betriebsratsmitglied an dessen PC-Arbeitsplatz entschieden<br />

hat. Entgegen <strong>der</strong> landesarbeitsgerichtlichen Annahme bedarf es wegen<br />

des prinzipiell anzuerkennenden Informationsbeschaffungsbedürfnisses<br />

für jedes einzelne Betriebsratsmitglied auch regelmäßig keiner beson<strong>der</strong>en<br />

Umstände, wenn das Informationsmittel - vorliegend das Internet - durch<br />

einen „Zugriff vom Arbeitsplatz“ jedem einzelnen Betriebsratsmitglied zur<br />

Verfügung gestellt werden soll.<br />

Berechtigte Interessen des Arbeitgebers stehen dem arbeitsplatzbezogenen<br />

Internetzugang für das weitere Betriebsratsmitglied <strong>im</strong> Streitfall nicht<br />

entgegen.<br />

(1) Ebenso wie bei einem dem Gremium zur Verfügung gestellten Internetanschluss<br />

können bei einem den einzelnen Betriebsratsmitglie<strong>der</strong>n an<br />

ihrem Arbeitsplatz eröffneten Internetzugang für <strong>die</strong> vom Betriebsrat <strong>im</strong><br />

Rahmen seines Beurteilungsspielraums zu treffende Entscheidung - in<br />

Abhängigkeit vom Einzelfall und <strong>der</strong> konkreten betrieblichen Situation - neben<br />

<strong>der</strong> Begrenzung <strong>der</strong> Kostenpflicht weitere Gesichtspunkte Bedeutung<br />

erlangen. So kann <strong>die</strong> konkrete Möglichkeit <strong>der</strong> Gefährdung beson<strong>der</strong>er<br />

Gehe<strong>im</strong>haltungsinteressen gegen einen Internetzugang sprechen. Auch<br />

dann, wenn <strong>der</strong> Arbeitgeber greifbare Anhaltspunkte für <strong>die</strong> Gefahr des<br />

Missbrauchs des verlangten Sachmittels vorbringt, kann <strong>die</strong>s je nach den<br />

Einzelfallumständen dem Sachmittelverlangen entgegenstehen.<br />

Fortsetzung auf nächster Seite »


swp magazin 07<br />

Bedeutsam <strong>im</strong> Rahmen <strong>der</strong> Berücksichtigung betrieblicher Interessen können<br />

schließlich das betriebsübliche und konkret das auf Arbeitgeberseite<br />

vorhandene Ausstattungsniveau sein. Insgesamt verbieten sich aber schematische<br />

Lösungen.<br />

Der Betriebsrat hat bei seinem Verlangen des Internetzugangs für das weitere<br />

Betriebsratsmitglied an dessen Arbeitsplatz <strong>die</strong> gegenläufigen Interessen<br />

des Arbeitgebers hinreichend berücksichtigt.<br />

Die durch <strong>die</strong> Einrichtung und Unterhaltung eines Internetzugangs für das<br />

weitere Betriebsratsmitglied entstehende Kostenbelastung spricht nicht gegen<br />

das Sachmittelverlangen. Das Betriebsratsmitglied arbeitet bereits an<br />

einem PC-Arbeitsplatz. Die Freischaltung eines Internetzugangs erfor<strong>der</strong>t<br />

somit we<strong>der</strong> umfangreiche technische Verän<strong>der</strong>ungen noch eine kostenintensive<br />

Anschaffung <strong>der</strong> erfor<strong>der</strong>lichen Hardware. Auch ist nicht ersichtlich,<br />

dass durch den vom Arbeitgeber angeführten Erwerb von Software und<br />

Lizenzen und durch <strong>die</strong> Pflege und Wartung des Internetzugangs unverhältnismäßig<br />

hohe Kosten sowie ein unzumutbarer administrativer Aufwand<br />

entstünden.<br />

Auch durch das mit dem (Haupt-) Antrag zu 2) verfolgte Verlangen,<br />

dem weiteren Betriebratsmitglied an dessen PC-Arbeitsplatz eine eigene<br />

E-Mail-Adresse zum Zwecke <strong>der</strong> externen Kommunikation einzurichten,<br />

hat <strong>der</strong> Betriebsrat seinen Beurteilungsspielraum nicht <strong>über</strong>schritten.<br />

Der Betriebsrat durfte <strong>die</strong>ses Sachmittelverlangen für <strong>die</strong>nlich erachten.<br />

Die zur Erfüllung ihrer Betriebsratsaufgaben von einzelnen Betriebsratsmitglie<strong>der</strong>n<br />

für erfor<strong>der</strong>lich gehaltene Kommunikation mit nicht zum Betrieb<br />

o<strong>der</strong> Unternehmen gehörenden Dritten ist grundsätzlich Teil <strong>der</strong> Betriebsratstätigkeit.<br />

Angesichts des Aufgabenkatalogs des Betriebsrats und <strong>der</strong><br />

eigenverantwortlichen Mandatswahrnahme <strong>der</strong> einzelnen Betriebsratsmitglie<strong>der</strong><br />

kommen vielfältige Situationen in Betracht, in denen ein Betriebsratsmitglied<br />

Kontakt mit betriebs- und unternehmensexternen Personen,<br />

Stellen und Institutionen aufnehmen muss.<br />

Dabei kann sich <strong>der</strong> Betriebsrat <strong>im</strong> Rahmen seines Ermessens grundsätzlich<br />

dafür entscheiden, seinen Mitglie<strong>der</strong>n <strong>die</strong> Kommunikationsmöglichkeit<br />

per E-Mail zu eröffnen. Dies gilt zumindest dann, wenn sich <strong>der</strong> Arbeitgeber<br />

wie <strong>im</strong> vorliegenden Fall ebenfalls <strong>die</strong>ser Kommunikationstechnik - und<br />

sei es durch das Bereitstellen für einzelne Mitarbeiter - be<strong>die</strong>nt.<br />

Berechtigte Arbeitgeberinteressen stehen dem Sachmittelverlangen vorliegend<br />

nicht entgegen. Ebenso wie <strong>der</strong> Internetzugang ist <strong>die</strong> Einrichtung<br />

einer externen E-Mail-Adresse am ohnehin mit einem PC ausgestatteten<br />

Arbeitsplatz des weiteren Betriebsratsmitglieds we<strong>der</strong> mit unverhältnismäßig<br />

hohen Kosten noch einem unzumutbaren administrativen Aufwand verbunden.<br />

Missbrauchs- und Störungsgefahren kann <strong>der</strong> Arbeitgeber ebenso<br />

wie an den an<strong>der</strong>en mit entsprechen<strong>der</strong> E-Mail-Konfiguration ausgestatteten<br />

PC-Arbeitsplätzen begegnen.<br />

Die hypothetische Möglichkeit eines entsprechenden Verlangens an<strong>der</strong>er<br />

<strong>im</strong> Unternehmen des Arbeitgebers bestehen<strong>der</strong> Betriebsräte musste <strong>der</strong><br />

antragstellende Betriebsrat bei seiner Ermessensentscheidung nicht berücksichtigen.<br />

3. Zu § 74 Abs. 2 <strong>BetrVG</strong><br />

a. Verbot von Arbeitskampfmaßnahmen des Betriebsrates<br />

Landesarbeitsgericht Düsseldorf, Beschluss vom 14.12.2010,<br />

Az. 17 TaBV 12/10<br />

Sachverhalt<br />

Die Beteiligten streiten <strong>über</strong> Unterlassungsansprüche und <strong>die</strong> Feststellung<br />

<strong>der</strong> Rechtswidrigkeit von Erklärungen des Betriebsrats.<br />

Fortsetzung auf nächster Seite »


swp magazin 08<br />

Die Antragstellerin (<strong>im</strong> Folgenden: Arbeitgeberin) beschäftigt in <strong>der</strong> Zentrale<br />

in T. ca. 690 Mitarbeiter, von denen ca. 200 <strong>im</strong> Bereich <strong>der</strong> Logistik<br />

beschäftigt sind.<br />

Mit Schreiben vom 30.03.2009 kündigte <strong>die</strong> Arbeitgeberin <strong>die</strong> Betriebsvereinbarung<br />

Nr. 124 „Leistungsbezogener Umsatzgruppenprämie“ mit Wirkung<br />

zum 30.06.2009. Der von <strong>der</strong> Arbeitgeberin erstrebte Abschluss einer<br />

neuen Betriebsvereinbarung <strong>über</strong> eine Leistungsprämie <strong>im</strong> Bereich Logistik<br />

wurde mit dem Betriebsrat streitig verhandelt und inzwischen eine neue<br />

Betriebsvereinbarung abgeschlossen.<br />

Die Arbeitgeberin ist tarifgebundenes Mitglied des Arbeitgeberverbandes<br />

Großhandel-Außenhandel-Dienstleistungen Nie<strong>der</strong>rhein e.V. Krefeld. Die<br />

Tarifvertragsparteien des Groß- und Außenhandels befanden sich 2009 in<br />

einem Arbeitskampf <strong>über</strong> den Abschluss eines neuen Entgelttarifvertrages<br />

für das Verbandsgebiet. Vom 09.-11.07.2009 wurde <strong>die</strong> Arbeitgeberin als<br />

einziger Betrieb <strong>im</strong> gesamten Tarifgebiet bestreikt.<br />

Im Rundbrief „BR-Aktuell Nr. 131“ vom 17.06.2009 berichtete <strong>der</strong> Betriebsrat<br />

<strong>über</strong> <strong>die</strong> bevorstehende Urabst<strong>im</strong>mung <strong>der</strong> Gewerkschaft ver.di vom<br />

26.06.2009 und beendete das Schreiben mit:<br />

„P.S.: Solltet Ihr noch Fragen und Informationsbedarf haben, ruft uns<br />

einfach an. Vieles lässt sich so schnell klären“.<br />

Per E-Mail vom 29.06.2009 10.57 Uhr berichtete <strong>der</strong> Betriebsrat allen<br />

Belegschaftsmitglie<strong>der</strong> <strong>über</strong> das Ergebnis <strong>der</strong> gewerkschaftlichen Urabst<strong>im</strong>mung<br />

und wies darauf hin, dass<br />

„auf <strong>der</strong> heutigen Betriebsversammlung auch ein Vertreter von ver.di einen<br />

Part <strong>über</strong>nehmen wird und es möglicherweise hierzu weitere Informationen<br />

geben könnte.“<br />

Im Rundbrief „BR-Aktuell Nr. 136“ vom 14.07.2009 schrieb <strong>der</strong> Betriebsrat<br />

u. a:<br />

„Zunächst einmal möchten wir Euch <strong>im</strong> Namen <strong>der</strong> Gewerkschaft ver.di<br />

<strong>über</strong> <strong>die</strong> rege Teilnahme am Streik und <strong>der</strong> daraus resultierenden Unterstützung<br />

bei den Tarifverhandlungen in <strong>der</strong> vergangenen Woche danken.<br />

Nach Rücksprache mit unserem ver.di Betreuungssekretär N. Q. können<br />

wir Euch folgende aktuelle Fakten liefern (...) Allerdings konnte eine so<br />

rege Teilnahme, sowohl bei <strong>der</strong> Urabst<strong>im</strong>mung als auch bei <strong>der</strong> eigentlichen<br />

Streikaktionen, nur erzielt werden, weil <strong>die</strong> Geschäftsführung es in<br />

den <strong>letzten</strong> Wochen durch ihre Verhandlungsstrategie geschafft hat, <strong>die</strong><br />

betroffenen Kollegen so zu demotivieren und in <strong>die</strong> Ecke zu treiben, dass<br />

den betroffenen Kollegen keine an<strong>der</strong>e Möglichkeit blieb, sich selbst zu<br />

organisieren und ihren Unmut kundzutun.“<br />

Mit Schreiben vom 15.07.2009 warf <strong>die</strong> Arbeitgeberin dem Betriebsrat ein<br />

Verstoß gegen <strong>die</strong> Friedenspflicht <strong>im</strong> Zusammenhang mit dem Arbeitskampf<br />

vor und verlangte <strong>die</strong> Unterlassung solcher Maßnahmen.<br />

Mit Schreiben vom 17.07.2009 brach <strong>der</strong> Betriebsrat <strong>die</strong> Verhandlungen mit<br />

<strong>der</strong> Arbeitgeberin zu <strong>der</strong> Betriebsvereinbarung Nr. 124 ab.<br />

Im Rundbrief „BR-Aktuell Nr. 138“ vom 18.08.2009 heißt es u.a.:<br />

„Drohungen, Gerichtsverfahren, diffamierende Presse...und was kommt als<br />

Nächstes (...) Statt dessen wird mal eben <strong>der</strong> Betriebsrat vor Gericht gezerrt.<br />

Grund: Angeblich soll <strong>der</strong> Betriebsrat aktiv den Streik von ver.di unterstützt<br />

haben und per Gericht soll eine zukünftige Unterlassung erzwungen<br />

werden. Zum einen sieht unsere Rechtsvertretung keinen Verstoß, da<br />

wir lediglich unser Informationsrecht wahrgenommen haben“.<br />

Fortsetzung auf nächster Seite »


swp magazin 09<br />

Die Arbeitgeberin hat <strong>die</strong> Ansicht vertreten, dass <strong>der</strong> Betriebsrat und seine<br />

Mitglie<strong>der</strong> durch <strong>die</strong> Veröffentlichungen gegen das Arbeitskampfverbot und<br />

gegen <strong>die</strong> Friedenspflicht des § 74 <strong>BetrVG</strong> verstoßen hätten. Insofern könne<br />

von ihnen <strong>die</strong> Unterlassung solcher Äußerungen aufgegeben werden.<br />

Die Arbeitgeberin hat beantragt, es dem Betriebsrat zu untersagen, sich an<br />

Arbeitskampfmaßnahmen, <strong>die</strong> den Betrieb <strong>der</strong> Antragstellerin betreffen, zu<br />

beteiligen, solche zu unterstützen und/o<strong>der</strong> zu solchen o<strong>der</strong> <strong>der</strong> Beteiligung<br />

o<strong>der</strong> Unterstützung an solchen aufzurufen.<br />

Entscheidung<br />

Der Antrag ist unbegründet.<br />

Nach <strong>der</strong> neuen <strong>Rechtsprechung</strong> des Bundesarbeitsgerichts begründet <strong>die</strong><br />

Verletzung des parteipolitischen Neutralitätsgebots durch den Betriebsrat keinen<br />

Unterlassungsanspruch des Arbeitgebers gegen<strong>über</strong> dem Betriebsrat.<br />

Das Bundesarbeitsgericht hat hierzu ausgeführt, dass <strong>die</strong> Vorschrift zwar<br />

<strong>die</strong> Verpflichtung <strong>der</strong> Betriebsparteien zur parteipolitischen Neutralität<br />

enthalte, aber we<strong>der</strong> best<strong>im</strong>me, dass bei Verstößen gegen <strong>die</strong>se Verpflichtung<br />

Unterlassung verlangt werden könne, noch lasse sich <strong>der</strong> Regelung<br />

entnehmen, wer Inhaber des Unterlassungsanspruch sein könnte. Damit<br />

unterscheide sich <strong>die</strong> Vorschrift von an<strong>der</strong>en Best<strong>im</strong>mungen <strong>die</strong> Unterlassungsansprüche<br />

normierten wie z.B. § 862 Abs. 1 BGB o<strong>der</strong> § 1004 Abs.<br />

1 S. 2 BGB und hierzu den Anspruchsinhaber ausdrücklich nennen. Aus §<br />

74 Abs. 2 S. 3 <strong>BetrVG</strong> ergebe sich seinem Wortlaut nach keine Aktivlegit<strong>im</strong>ation<br />

einer Person o<strong>der</strong> Stelle, <strong>die</strong> berechtigt wäre, das Verbot parteipolitische<br />

Betätigung <strong>im</strong> Betrieb gerichtlich durchzusetzen.<br />

Gegen einen Anspruch spreche vor allem <strong>der</strong> systematische Gesamtzusammenhang<br />

und <strong>die</strong> Konzeption, <strong>die</strong> § 23 <strong>BetrVG</strong> für <strong>die</strong> „Verletzung<br />

gesetzlicher Pflichten“ durch <strong>die</strong> Betriebsparteien vorsieht. § 23 Abs. 3 <strong>BetrVG</strong><br />

normiere bei groben Verstößen des Arbeitgebers gegen betriebsverfassungsrechtliche<br />

Pflichten einen Unterlassungsanspruch des Betriebsrats<br />

und <strong>der</strong> <strong>im</strong> Betrieb vertretenen Gewerkschaften. Dagegen regele <strong>die</strong><br />

Vorschrift einen entsprechenden Unterlassungsanspruch des Arbeitgebers<br />

bei groben Pflichtverletzungen durch den Betriebsrat gerade nicht. Derartige<br />

Pflichtverletzungen begründeten vielmehr nach § 23 Abs. 1 S. 1 <strong>BetrVG</strong><br />

u.a. für den Arbeitgeber das Recht, <strong>die</strong> Auflösung des Betriebsrats zu<br />

beantragen. Die bei Pflichtverletzungen <strong>der</strong> beiden Betriebsparteien verschiedenen<br />

Rechtsfolgen entsprächen den unterschiedlichen rechtlichen<br />

Eigenschaften von Arbeitgeber und Betriebsrat. Die für den Betriebsrat in §<br />

23 Abs. 3 S. 1 <strong>BetrVG</strong> vorgesehene Auflösung - mit anschließen<strong>der</strong> Neuwahl<br />

- komme für den Arbeitgeber nicht in Betracht. Demgegen<strong>über</strong> sei <strong>der</strong><br />

in § 23 Abs. 3 S. 1 <strong>BetrVG</strong> normierte Unterlassungsanspruch des Betriebsrats<br />

verbunden mit <strong>der</strong> in § 23 Abs. 3 S. 2 - 5 <strong>BetrVG</strong> geregelten Vollstreckung<br />

<strong>die</strong> sachgerechte Lösung.<br />

Dagegen ergebe ein gegen den Betriebsrat gerichteter Unterlassungsanspruch<br />

auch vollstreckungsrechtlich keinen Sinn. Da <strong>der</strong> Betriebsrat vermögenslos<br />

sei, komme ihm gegen<strong>über</strong> eine Androhung, Festsetzung und<br />

Vollstreckung von Ordnungsgeld nicht in Betracht. Das Gesetzeskonzept<br />

des § 23 <strong>BetrVG</strong> sehe deshalb einen Unterlassungsanspruch des Arbeit-<br />

aufhebung personeller massnahmen<br />

gebers<br />

wegen<br />

gegen<br />

nichtbeachtung<br />

den Betriebsrat nicht<br />

des<br />

vor.<br />

mitbest<strong>im</strong>mungsrechtes<br />

An<strong>der</strong>s als ein Unterlassungsanspruch<br />

des Arbeitgebers entspreche <strong>der</strong> - weitere - Unterlassungsanspruch<br />

des Betriebsrats dem strukturellen Konzept des § 23 <strong>BetrVG</strong>.<br />

Fortsetzung auf nächster Seite »


swp magazin 10<br />

Sinn und Zweck des §§ 74 Abs. 2 S. 3 <strong>BetrVG</strong> gebiete auch keinen Unterlassungsanspruch<br />

des Arbeitgebers gegen den Betriebsrat. Die Einhaltung<br />

des parteipolitischen Neutralitätsgebots würde durch den Betriebsrat durch<br />

einen Unterlassungsanspruch nicht gewährleistet, da ein Unterlassungstitel<br />

gegen dessen Vermögenslosigkeit nicht vollstreckbar wäre. Die Rechte des<br />

Arbeitgebers würden hierdurch nicht verkürzt. Bei groben Verstößen des<br />

Betriebsrats gegen seine Pflichten zur parteipolitischen Neutralität könne<br />

<strong>der</strong> Arbeitgeber gemäß § 23 Abs. 1 S. 1 <strong>BetrVG</strong> dessen Auflösung beantragen.<br />

Im Übrigen habe er bei Streitigkeiten <strong>über</strong> <strong>die</strong> Rechtmäßigkeit einer<br />

best<strong>im</strong>mten Betätigung des Betriebsrats <strong>die</strong> Möglichkeit, <strong>der</strong>en Zulässigkeit<br />

unter den Voraussetzungen des § 256 Abs. 1 ZPO <strong>im</strong> Wege eines Feststellungsantrags<br />

klären zu lassen.<br />

Dieser <strong>Rechtsprechung</strong> folgt <strong>die</strong> Beschwerdekammer. Im vorliegenden Fall<br />

geht es zwar nicht in erster Linie um eine parteipolitische Betätigung des<br />

Betriebsrats son<strong>der</strong>n um Verstöße gegen <strong>die</strong> Friedenspflicht bzw. gegen<br />

das Neutralitätsgebot <strong>im</strong> Arbeitskampf gemäß § 74 Abs. 2 S. 1, 2 <strong>BetrVG</strong>.<br />

Diese <strong>Rechtsprechung</strong> ist aber nach Auffassung <strong>der</strong> Beschwerdekammer<br />

auch hier anzuwenden. Angesichts des vom Bundesarbeitsgericht<br />

dargestellten strukturellen Konzepts des § 23 Abs. 3 <strong>BetrVG</strong>, das nur Unterlassungsansprüche<br />

des Betriebsrats bzw. <strong>der</strong> <strong>im</strong> Betrieb vertretenen<br />

Gewerkschaft bei Verstößen des Arbeitgebers gegen das Betriebsverfassungsgesetz<br />

vorsieht, ergeben sich keine ausreichenden Umstände, für<br />

den vorliegenden Fall davon abzuweichen.<br />

Die gesetzliche Formulierung in § 74 Abs. 2 <strong>BetrVG</strong> unterscheidet insoweit<br />

nicht. Sie gibt den Betriebspartnern in Satz 2 gleichermaßen auf, Maßnahmen,<br />

<strong>die</strong> den Arbeitsablauf und den Betriebsfrieden beeinträchtigen bzw.<br />

<strong>die</strong> parteipolitische Betätigung, zu unterlassen. In Satz 1 ist aufgeführt,<br />

dass Arbeitkampfmaßnahmen unzulässig sind.<br />

Die Einhaltung des Neutralitätsgebots und <strong>der</strong> Friedenspflicht würde auch<br />

durch den Betriebsrat durch einen Unterlassungsanspruch nicht gewährleistet,<br />

da ein Unterlassungstitel wegen dessen Vermögenslosigkeit nicht<br />

vollstreckbar wäre.<br />

Nach alledem sind <strong>die</strong> Anträge gegen den Betriebsrat unbegründet, da<br />

dem Betriebsrat untersagt werden soll, <strong>die</strong> Gewerkschaft durch Veröffentlichungen<br />

<strong>im</strong> Zusammenhang mit den Arbeitskampfmaßnahmen <strong>über</strong> den<br />

Abschluss eines neuen Entgelttarifvertrags zu unterstützen, Kampfmaßnahmen<br />

zu kommentieren, solche Maßnahmen mit Verhandlungen <strong>über</strong><br />

eine Betriebsvereinbarung in Verbindung zu bringen und sich kritisch gegen<strong>über</strong><br />

dem Arbeitgeber zu äußern.<br />

b. Parteipolitische Betätigung - kein Unterlassungsanspruch<br />

des Arbeitgebers gegen<strong>über</strong> dem Betriebsrat<br />

Bundesarbeitsgericht, Beschluss vom 17.3.2010, 7 ABR 95/08<br />

Leitsätze<br />

1. Von dem in § 74 Abs. 2 Satz 3 <strong>BetrVG</strong> normierten Verbot parteipolitischer<br />

Betätigung <strong>im</strong> Betrieb werden Äußerungen allgemeinpolitischer<br />

Art ohne Bezug zu einer Partei nicht erfasst.<br />

2. Verstöße des Betriebsrats gegen das Verbot parteipolitischer Betätigung<br />

begründen keinen Unterlassungsanspruch des Arbeitgebers gegen<strong>über</strong><br />

dem Betriebsrat.<br />

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swp magazin 11<br />

4. Zu § 76 <strong>BetrVG</strong> - Einigungsstelle<br />

Bestellung des Vorsitzenden einer Einigungsstelle - keine<br />

Anwendung des Windhundprinzips<br />

LAG Berlin-Brandenburg Beschluss vom 04.06.2010,<br />

Az. 6 TaBV 901/10<br />

Sachverhalt<br />

Das Arbeitsgericht Berlin hat auf den Wi<strong>der</strong>antrag des Betriebsrats den<br />

Richter am Arbeitsgericht a. D. V. R. zum Vorsitzenden einer Einigungsstelle<br />

mit dem Regelungsgegenstand „Fälligkeit <strong>der</strong> Vergütung“ <strong>im</strong> gemeinsamen<br />

Betrieb <strong>der</strong> Arbeitgeberinnen eingesetzt. Zur Begründung hat es<br />

<strong>im</strong> Wesentlichen ausgeführt, zwar erfülle auch <strong>die</strong> von den Arbeitgeberinnen<br />

in ihrem Antrag vorgeschlagene Professorin Dr. Ch. B. <strong>die</strong> Voraussetzungen<br />

für eine Bestellung zur Einigungsstellenvorsitzenden. Ihren<br />

Wunsch, keinen aktiv o<strong>der</strong> früher in <strong>der</strong> Berliner Arbeitsgerichtsbarkeit tätig<br />

gewesenen Richter einzusetzen, hätten <strong>die</strong> Arbeitgeberinnen jedoch nicht<br />

näher begründet. Da sonach gegen keinen <strong>der</strong> beiden Vorgeschlagenen<br />

sachliche Argumente vorgebracht worden seien, sei <strong>die</strong> zuerst benannte<br />

Person zu best<strong>im</strong>men gewesen.<br />

Dafür könne es nicht darauf ankommen, dass <strong>die</strong> Arbeitgeberinnen den<br />

Betriebsrat „<strong>über</strong>holt“ hätten, indem sie am <strong>letzten</strong> Tag <strong>der</strong> ihnen vom<br />

Betriebsrat gesetzten Frist einen entsprechenden Antrag bei Gericht angebracht<br />

hätten. Vielmehr sei entscheidend, dass <strong>der</strong> Betriebsrat seinen Vorschlag<br />

bereits zuvor unterbreitet gehabt habe. 2 Gegen <strong>die</strong>sen ihnen am<br />

21. April 2010 zugestellten Beschluss richtet sich <strong>die</strong> bereits am 19. April<br />

2010 eingelegte und am 29. April 2010 weiter begründete Beschwerde <strong>der</strong><br />

Arbeitgeberinnen. Sie betonen, dass ihnen allgemein an einem Einigungsstellenvorsitzenden<br />

mit örtlicher Distanz zu den konkreten Betriebsparteien<br />

gelegen sei, und meinen unter Bezugnahme auf eine Entscheidung des<br />

LAG Berlin-Brandenburg, dass grundsätzlich <strong>die</strong> <strong>im</strong> Einsetzungsantrag<br />

genannte Person zu best<strong>im</strong>men sei, sofern nicht Tatsachen gegen <strong>der</strong>en<br />

Eignung vorgebracht würden. Die Arbeitgeberinnen beantragen, unter Aufhebung<br />

des angefochtenen Beschlusses Frau Prof. Dr. Ch. B. zur Vorsitzenden<br />

<strong>der</strong> Einigungsstelle mit dem Regelungsgegenstand Entscheidung<br />

<strong>über</strong> <strong>die</strong> Regelungs- und Rechtsstreitigkeiten betreffend eine Betriebsvereinbarung<br />

zur Fälligkeit <strong>der</strong> Vergütung nach § 87 Abs. 1 Nr. 4 <strong>BetrVG</strong> bei<br />

ihnen zu bestellen.<br />

Der Betriebsrat beantragt, den Antrag zurückzuweisen.<br />

Er verweist darauf, dass auch in dem durch <strong>die</strong> herangezogene Entscheidung<br />

beendeten Verfahren vor dem LAG Berlin-Brandenburg <strong>der</strong> Betriebsrat<br />

zuerst eine Person für den Vorsitz <strong>der</strong> Einigungsstelle benannt habe.<br />

Da es <strong>der</strong> Arbeitgeber <strong>im</strong> Hinblick auf seine Kostentragungspflicht <strong>im</strong>mer in<br />

<strong>der</strong> Hand habe, <strong>die</strong> Position des Antragstellers <strong>im</strong> Beschlussverfahren zu<br />

besetzen, stelle sich das sog. Windhundprinzip tatsächlich als Arbeitgeberprinzip<br />

dar. Daher sei richtigerweise darauf abzustellen, welche Betriebspartei<br />

<strong>der</strong> an<strong>der</strong>en zuerst einen Vorsitzenden vorgeschlagen habe, sofern<br />

gegen <strong>die</strong>sen keine rechtlichen Bedenken bestünden.<br />

Entscheidung<br />

Die Beschwerde <strong>der</strong> Arbeitgeberinnen ist nur teilweise sachlich begründet.<br />

Da sich <strong>die</strong> Beteiligten nicht auf <strong>die</strong> Person des Vorsitzenden haben einigen<br />

können, war <strong>die</strong>ser gerichtlich zu bestellen (§ 76 Abs. 2 Satz 2 <strong>BetrVG</strong>).<br />

Eine Bindung an den Vorschlag eines <strong>der</strong> Beteiligten entsprechend §<br />

308 Abs. 1 Satz 1 ZPO besteht <strong>im</strong> Bestellungsverfahren nicht. Dem stehen<br />

<strong>der</strong> Wortlaut des § 76 Abs. 2 Satz 2 <strong>BetrVG</strong> und <strong>der</strong> Zweck <strong>der</strong> Regelung<br />

entgegen, <strong>die</strong> fehlende Einigung <strong>der</strong> Betriebsparteien auf eine <strong>der</strong> wechselseitig<br />

vorgeschlagenen Personen durch autoritativen Spruch des Gerichts<br />

zu ersetzen.<br />

Fortsetzung auf nächster Seite »


swp magazin 12<br />

Damit wird dem jeweiligen Antragsteller nichts zugesprochen, was <strong>die</strong>ser<br />

nicht beantragt hat, son<strong>der</strong>n kraft gesetzlicher Ermächtigung gestaltend in<br />

<strong>die</strong> Rechtsbeziehung <strong>der</strong> Beteiligten eingegriffen.<br />

Deshalb kann es auch nicht darauf ankommen, welche Seite nach dem<br />

sog. Windhundprinzip zuerst einen Einsetzungsantrag bei Gericht angebracht<br />

o<strong>der</strong> etwa schon bei den vorangegangenen Verhandlungen einen<br />

personellen Vorschlag unterbreitet hat. Dies muss selbst dann gelten,<br />

wenn <strong>die</strong> Gegenseite keine konkreten Bedenken gegen <strong>die</strong> vorgeschlagene<br />

Person geltend gemacht hat. Denn <strong>die</strong> Vorschläge bei<strong>der</strong> Seiten sind<br />

Ausdruck beson<strong>der</strong>en Vertrauens, das zugleich für <strong>die</strong> jeweils an<strong>der</strong>e Seite<br />

einen entsprechenden Vorbehalt gegen <strong>die</strong> vorgeschlagene Person zu<br />

begründen pflegt, den es zu respektieren gilt. Nur so lässt sich <strong>die</strong> erfor<strong>der</strong>liche<br />

Akzeptanz eines notfalls st<strong>im</strong>mberechtigten Verhandlungsführers<br />

erreichen, dessen vornehmliche Aufgabe darin besteht, eine Einigung<br />

herbeizuführen, und eine unnötige Belastung des nachfolgenden Verfahrens<br />

vor <strong>der</strong> Einigungsstelle vermeiden. Damit wird zugleich einer sonst zu<br />

befürchtenden Diskreditierung <strong>der</strong> Kandidaten bei<strong>der</strong> Seiten vorgebeugt.<br />

Diesen Aspekten Rechnung zu tragen, erscheint vordringlicher, als einem<br />

latenten Vorwurf <strong>der</strong> Pfründenwirtschaft innerhalb <strong>der</strong> Richterschaft <strong>im</strong><br />

Wege wechselseitiger Einsetzungen Rechnung tragen zu wollen. Aufgrund<br />

ihrer fachlichen Qualifikation und ihrer Erfahrung als Vorsitzende zahlreicher<br />

Einigungsstellen erschien <strong>die</strong> Ernennung <strong>der</strong> früheren Richterin<br />

am Arbeitsgericht S. B., <strong>die</strong> während ihrer richterlichen Tätigkeit nie mit<br />

Verfahren <strong>der</strong> beiden Arbeitgeberinnen befasst gewesen war, sachgerecht.<br />

Konkrete Einwendungen gegen ihre Person sind <strong>im</strong> Anhörungstermin von<br />

keiner Seite vorgebracht worden. Dem Wunsch <strong>der</strong> Arbeitgeberinnen,<br />

keinem <strong>der</strong>zeitigen o<strong>der</strong> früheren Richter aus <strong>der</strong> Berliner Arbeitsgerichtsbarkeit<br />

den Vorsitz zu <strong>über</strong>tragen, kam in <strong>die</strong>ser Allgemeinheit keine rechtliche<br />

Bedeutung zu.<br />

5. § 80 <strong>BetrVG</strong> – Gesetzliche Aufgaben des Betriebsrates<br />

Kontrolle <strong>der</strong> Einhaltung des ArbZG bei Vertrauensarbeitszeit<br />

Landesarbeitsgericht Köln, Beschluss vom 06.09.2010,<br />

Az 5 TaBV 14/10<br />

Sachverhalt<br />

Die Beteiligten streiten <strong>über</strong> <strong>die</strong> Auskunftsansprüche des antragstellenden<br />

Betriebsrats.<br />

Die Arbeitgeberin ist Entwicklerin und Betreiberin eines Kabelnetzes in<br />

NRW. Der Betriebsrat ist für den Betrieb in Köln (Hauptverwaltung)<br />

zuständig.<br />

Für <strong>die</strong> bei ihr beschäftigten außertariflichen Angestellten (AT-Angestellte)<br />

praktiziert <strong>die</strong> Arbeitgeberin seit einigen <strong>Jahre</strong>n <strong>die</strong> sogenannte Vertrauensarbeitszeit<br />

und verzichtet darauf, <strong>die</strong> genauen Arbeitszeiten <strong>die</strong>ser<br />

Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter zu erfassen. Zuletzt mit Schreiben vom<br />

15.08.2008 verlangte <strong>der</strong> Betriebsrat, ihm monatlichen Angaben zu jedem<br />

AT-Angestellten zu liefern zu Beginn <strong>der</strong> täglichen Arbeitszeit, Ende <strong>der</strong><br />

täglichen Arbeitszeit und Lage <strong>der</strong> arbeitstäglichen Pausen. Mit Schreiben<br />

vom 15.09.2008 teilte <strong>die</strong> Arbeitgeberin mit, dass <strong>die</strong> vom Betriebsrat gewünschte<br />

Dokumentation nicht existiere und verwies auf <strong>die</strong> vorliegenden<br />

Zeiterfassungsbögen <strong>der</strong> AT-Angestellten. Mit Schreiben vom 09.04.2009<br />

for<strong>der</strong>te <strong>der</strong> Betriebsrat <strong>die</strong> Arbeitgeberin nochmals auf, ab sofort entsprechende<br />

Informationen vorzulegen. Die Arbeitgeberin beschränkte sich<br />

jedoch darauf, Arbeitszeiterfassungsbögen vorzulegen.<br />

Fortsetzung auf nächster Seite »


swp magazin 13<br />

Mit dem seit dem 23.04.2009 anhängigen Beschlussverfahren verfolgte<br />

<strong>der</strong> Betriebsrat sein Begehren weiter. Zur Begründung hat <strong>der</strong> Betriebsrat<br />

vorgetragen, er wolle anhand <strong>der</strong> begehrten Auskünfte <strong>die</strong> Einhaltung <strong>der</strong><br />

gesetzlichen Vorschriften nach § 5 Abs. 1 AZG (Ruhezeiten) und § 4 AZG<br />

(gesetzliche Ruhepausen) <strong>über</strong>wachen. Die Arbeitgeberin hat vorgetragen,<br />

sie könne den begehrten Auskunftsanspruch aus tatsächlichen Gründen<br />

nicht erfüllen. Die AT-Mitarbeiter hätten eine individuell vereinbarte<br />

Vertrauensarbeitszeit. Eine Dokumentation existiere nicht. Es sei Sinn und<br />

Zweck <strong>der</strong> Vertrauensarbeitszeit, dass Beginn und Ende <strong>der</strong> täglichen Arbeitszeit<br />

und <strong>die</strong> Lage <strong>der</strong> Pausen nicht erfasst würden. Dies sei eine unternehmerische<br />

Entscheidung, <strong>die</strong> so auch schon seit <strong>Jahre</strong>n umgesetzt<br />

werde.<br />

Das Arbeitsgericht hat <strong>der</strong> Arbeitgeberin aufgegeben, dem Betriebsrat für<br />

jeden Monat Auskunft <strong>über</strong> Beginn und Ende <strong>der</strong> täglichen Arbeitszeiten<br />

(sämtliche Arbeitstage des Monats) <strong>der</strong> AT-Angestellten, <strong>die</strong> nicht leitende<br />

Mitarbeiter <strong>im</strong> Sinne des § 5 Abs. 3 <strong>BetrVG</strong> sind, sowie <strong>die</strong> Lage <strong>der</strong> arbeitstäglichen<br />

Pausen <strong>der</strong> AT-Angestellten zu geben. Hiergegen richtet sich<br />

<strong>die</strong> Beschwerde <strong>der</strong> Arbeitgeberin.<br />

Die Arbeitgeberin verweist zur Begründung ihrer Beschwerde darauf, dass<br />

<strong>die</strong> AT-Mitarbeiter einen vorgegebenen zeitlichen Rahmen hätten, in dem<br />

sie ihre Arbeitsziele erreichen müssten. Es bestehe we<strong>der</strong> eine best<strong>im</strong>mte<br />

Anwesenheitspflicht noch eine Kernarbeitszeit. Die konkrete zeitliche Befassung<br />

<strong>der</strong> Arbeitnehmer mit ihren Arbeitsaufgaben sowie Beginn und<br />

Ende <strong>der</strong> Arbeitszeit würde nicht dokumentiert. Die Arbeitgeberin verzichte<br />

jedoch nicht auf eine Kenntnisnahme <strong>der</strong> tatsächlichen Arbeitszeit <strong>der</strong><br />

AT-Mitarbeiter. Vielmehr nehme <strong>die</strong> Arbeitgeberin Kenntnis <strong>über</strong> <strong>die</strong> Arbeitszeiterfassungsbögen<br />

gemäß § 16 Abs. 2 AZG, <strong>die</strong> <strong>die</strong> AT-Mitarbeiter<br />

auszufüllen hätten. Die Arbeitgeberin n<strong>im</strong>mt insoweit Bezug auf <strong>die</strong> Arbeitszeiterfassungsbögen.<br />

Der Betriebsrat könne nicht Anspruch auf Daten<br />

erheben, <strong>die</strong> <strong>der</strong> Arbeitgeber selbst nicht erfasse. Auskunft müsse nur<br />

<strong>über</strong> vorhandene Daten und Informationen gegeben werden.<br />

Das Arbeitsgericht habe zudem verkannt, dass <strong>der</strong> Betriebsrat einen Auskunftsanspruch<br />

nur zum Vorteil <strong>der</strong> betroffenen Arbeitnehmer geltend machen<br />

könne. Es stelle sich zudem <strong>die</strong> Frage, welchen Zweck <strong>die</strong> Kontrollrechte<br />

des Betriebsrates noch haben sollten, wenn <strong>der</strong> Arbeitgeber selbst<br />

auf <strong>die</strong> Kontrolle <strong>der</strong> Arbeitnehmer und damit verbundene Belastung verzichten<br />

wolle. Da § 80 Abs. 2 S. 1 <strong>BetrVG</strong> keinen Anspruch auf Herstellung<br />

(Datenbeschaffung) kenne und insoweit ein Wi<strong>der</strong>spruch zwischen Auskunfts-<br />

und Herstellungsanspruch bestehe, müsse <strong>die</strong>ser gegebenenfalls<br />

so aufgelöst werden, dass <strong>der</strong> Betriebsrat dann eben nur einen Anspruch<br />

auf mündliche Auskunft <strong>über</strong> <strong>die</strong> Arbeitszeiten habe.<br />

Der Betriebsrat verteidigt <strong>die</strong> erstinstanzliche Entscheidung. Die Arbeitgeberin<br />

verkenne, dass <strong>die</strong> Vorschrift des § 80 Abs. 2 <strong>BetrVG</strong> nicht dispositiv<br />

sei und <strong>die</strong> Auskunftsrechte des Betriebsrats nicht durch <strong>die</strong> Einführung<br />

von Vertrauensarbeitszeit eingeschränkt werden könnten. Dies gelte erst<br />

Recht, wenn, wie <strong>im</strong> vorliegenden Fall <strong>die</strong> Vertrauensarbeitszeit oh-ne<br />

Beachtung <strong>der</strong> Mitbest<strong>im</strong>mungsrechte des Betriebsrats nach § 87 Abs. 1<br />

Nr. 2 <strong>BetrVG</strong> in <strong>der</strong> Vergangenheit praktiziert worden sei. Zudem sei es<br />

<strong>die</strong> gesetzliche Aufgabe des Betriebsrats, nach § 80 Abs. 1 Nr. 1 <strong>BetrVG</strong>,<br />

unter an<strong>der</strong>em <strong>die</strong> Vorgaben des Arbeitszeitgesetzes zu <strong>über</strong>wachen, völlig<br />

unabhängig davon, ob <strong>der</strong> Arbeitgeber <strong>die</strong>sbezüglich auf eine Überwachung-<br />

und Kontrolle verzichten wolle.<br />

Entscheidung<br />

Die Beschwerde ist nicht begründet. Zu Recht hat das Arbeitsgericht <strong>die</strong><br />

Arbeitgeberin zur Auskunft verpflichtet.<br />

Der Auskunftsanspruch ist begründet. Der Anspruch erfolgt aus § 80 Abs.<br />

2 S. 1 <strong>BetrVG</strong>. Nach <strong>die</strong>ser Vorschrift hat <strong>der</strong> Betriebsrat zur Durchführung<br />

seiner Aufgaben einen Anspruch gegen den Arbeitgeber auf rechtszeitige<br />

und umfassende Unterrichtung.<br />

Fortsetzung auf nächster Seite »


swp magazin 14<br />

Der Zusammenhang mit <strong>der</strong> Aufgabendurchführung des Betriebsrats ist<br />

gegeben. Denn nach § 80 Abs. 1 Nr. 1 <strong>BetrVG</strong> hat <strong>der</strong> Betriebsrat dar<strong>über</strong><br />

zu wachen, dass <strong>die</strong> zugunsten <strong>der</strong> Arbeitnehmer geltenden Gesetze,<br />

Verordnungen, Unfallverhütungsvorschriften, Tarifverträge und Betriebsvereinbarungen<br />

durchgeführt werden. Hier ist bezüglich <strong>der</strong> Überwachungszuständigkeit<br />

des Betriebsrats aus § 80 Abs. 1 Nr. 1 BetrAVG das Arbeitszeitgesetz<br />

(AZG) relevant. Denn <strong>die</strong> Überwachungszuständigkeit des<br />

Betriebsrates schließt es ein, dar<strong>über</strong> zu wachen, dass <strong>die</strong> nach § 5 Abs. 1<br />

AZG vorgeschriebene ununterbrochene Ruhezeit von mindestens 11 Stunden<br />

eingehalten wird. Ebenfalls ist von <strong>der</strong> Überwachungszuständigkeit<br />

gedeckt, zu <strong>über</strong>wachen, dass <strong>die</strong> in § 4 AZG vorgeschriebenen Ruhepausen<br />

eingehalten werden.<br />

Nicht durchzudringen vermag <strong>die</strong> Arbeitgeberin in <strong>die</strong>sem Zusammenhang<br />

mit ihrem Vorbringen, <strong>der</strong> Betriebsrat dürfe nicht zu Ungunsten <strong>der</strong><br />

Beschäftigten seine Überwachungszuständigkeit ausüben, weil <strong>die</strong> Beschäftigten<br />

<strong>die</strong> Freiheit von einer Arbeitszeitkontrolle als Vorteil empfinden<br />

würden. Denn <strong>die</strong> gesetzlichen Arbeitszeitvorschriften sind unabhängig<br />

davon einzuhalten, ob <strong>die</strong> Beschäftigten ihre Anwendung als Vorteil empfinden<br />

o<strong>der</strong> <strong>im</strong> Sinne größtmöglicher Arbeitszeitfreiheit von ihr abweichen<br />

möchten. Dies bedeutet, dass auch dann, wenn <strong>die</strong> Beschäftigten eigentliche<br />

entgegen den gesetzlichen Best<strong>im</strong>mung keine Ruhepause machen,<br />

son<strong>der</strong>n ihre Arbeit frühzeitiger beenden möchten, o<strong>der</strong> keine Ruhezeit von<br />

11 Stunden einhalten möchten, um an best<strong>im</strong>mten Tagen weniger arbeiten<br />

zu müssen, <strong>die</strong> gesetzlichen Best<strong>im</strong>mungen maßgeblich bleiben. Der<br />

Betriebsrat nach <strong>der</strong> klaren Festlegung in § 80 Abs. 1 Nr. 1 <strong>BetrVG</strong> auch<br />

dar<strong>über</strong> zu wachen hat, dass <strong>die</strong> gesetzlichen Mindestvorgaben bezüglich<br />

Ruhezeit und Ruhepausen tatsächlich eingehalten werden.<br />

Der Betriebsrat hat zutreffend einen Auskunftsanspruch geltend gemacht.<br />

In welcher Form <strong>die</strong>ser Auskunftsanspruch erfüllt werden muss, ist vom<br />

Gesetz nicht festgelegt. § 80 Abs. 2 S. 1 <strong>BetrVG</strong> ermöglicht sowohl <strong>die</strong><br />

schriftliche wie auch <strong>die</strong> mündliche Auskunftserteilung. Ob <strong>die</strong> Arbeitgeberin<br />

<strong>die</strong> begehrten Auskünfte schriftlich o<strong>der</strong> mündlich erteilt, ist folglich <strong>im</strong><br />

Tenor <strong>der</strong> erstinstanzlichen Entscheidung nicht festgelegt. Es ist folglich in<br />

das Praktikabilitätsermessen <strong>der</strong> Arbeitgeberin gestellt, ob sie <strong>die</strong> Auskünfte<br />

mündlich o<strong>der</strong> schriftlich erteilt, wobei ohne weiteres nachvollziehbar ist,<br />

wenn <strong>die</strong> Arbeitgeberin davon ausgeht, dass eine mündliche Auskunftserteilung<br />

äußerst zeitaufwendig und damit unpraktikabel ist.<br />

Aus dem Umstand, dass es vorliegend um Vertrauensarbeit geht, folgt<br />

nicht, dass insoweit das Unterrichtungsrecht des Betriebsrats aufgehoben<br />

wäre. Zutreffend hat das Arbeitsgericht dazu <strong>die</strong> einschlägige höchstrichterliche<br />

Entscheidung des Bundesarbeitsgerichts herangezogen. Nach<br />

<strong>die</strong>ser Entscheidung benötigt <strong>der</strong> Betriebsrat <strong>die</strong> Informationen <strong>über</strong> Beginn<br />

und Ende <strong>der</strong> täglichen Arbeitszeit an jedem Arbeitstag, um <strong>die</strong> Einhaltung<br />

des § 5 Abs. 1 AZG <strong>über</strong>prüfen zu können. Die danach gebotene<br />

11- stündige Ruhezeit könne <strong>der</strong> Betriebsrat nicht <strong>über</strong>wachen, wenn ihm<br />

das Arbeitszeitende und <strong>der</strong> erneute Arbeitszeitbeginn unbekannt blieben.<br />

Die eigenständige Unterrichtung <strong>über</strong> <strong>die</strong> Lage <strong>der</strong> arbeitstäglichen Pausen<br />

sei erfor<strong>der</strong>lich, um <strong>die</strong> Einhaltung <strong>der</strong> gesetzlichen Pausenzeiten nach<br />

§ 4 AZG zu <strong>über</strong>wachen. Den Auskunftsansprüchen stehe nicht entgegen,<br />

dass <strong>der</strong> Arbeitgeber <strong>die</strong> tatsächlichen Arbeitszeiten <strong>der</strong> AT-Mitarbeiter bewusst<br />

nicht erfasse. Denn eine Pflicht des Arbeitgebers zur Erteilung <strong>der</strong> in<br />

Rede stehenden Auskünfte bestehe auch dann, wenn er <strong>über</strong> <strong>die</strong> entsprechenden<br />

Kenntnisse selbst bislang nicht verfüge.<br />

Fortsetzung auf nächster Seite »


swp magazin 15<br />

Ein Wi<strong>der</strong>spruch dazu, dass <strong>der</strong> Arbeitgeber grundsätzlich nicht verpflichtet<br />

sei, Unterlagen zu beschaffen, <strong>die</strong> er selbst nicht besitze, bestehe nicht.<br />

Denn <strong>die</strong> genannten Informationen seien zur Überwachung <strong>der</strong> Arbeitszeitgrenze<br />

nach § 80 Abs. 1 Nr. 1 <strong>BetrVG</strong> unentbehrlich. Sinn <strong>der</strong> Vertrauensarbeit<br />

sei es zwar, bei <strong>der</strong> Arbeitszeitgestaltung einen größeren Freiraum<br />

zu gewähren. Dieser durch <strong>die</strong> Vertrauensarbeitszeit zusätzlich eingeräumte<br />

Spielraum finde aber seine Grenzen darin, dass <strong>die</strong> gesetzlichen tariflichen<br />

und gegebenenfalls betrieblichen Höchstarbeitszeitgrenzen beachtet<br />

würden. Der Arbeitgeber habe daher <strong>die</strong> betreffenden Informationen auch<br />

dann selbst zu beschaffen, wenn er eigentlich meine, auf sie verzichten<br />

zu können. An<strong>der</strong>nfalls hätte es <strong>der</strong> Arbeitgeber in <strong>der</strong> Hand, <strong>die</strong> Aufgabenwahrnehmung<br />

zu verhin<strong>der</strong>n o<strong>der</strong> doch den Betriebsrat gegen dessen<br />

Willen zu eigenen Erkundigungen zu zwingen.<br />

Die gegen <strong>die</strong>se <strong>Rechtsprechung</strong> gerichtete Kritik <strong>der</strong> Arbeitgeberin <strong>über</strong>zeugt<br />

nicht. Denn sie würde darauf hinauslaufen, dass sich <strong>der</strong> Arbeitgeber<br />

hinsichtlich <strong>der</strong> Fakten, <strong>die</strong> auf mögliche Gesetzesverletzungen hindeuten,<br />

blind stellen könnte und damit <strong>die</strong> Durchführung <strong>der</strong> Kontrollaufgaben des<br />

Betriebsrats nach § 80 Abs. 1 <strong>BetrVG</strong> unmöglich machen würde.<br />

Der Umfang des Unterrichtungsanspruchs des Betriebsrats wird durch<br />

<strong>die</strong> von <strong>der</strong> Arbeitgeberin verän<strong>der</strong>ten Formulare zur Arbeitszeiterfassung<br />

nicht erfüllt. Nach <strong>die</strong>sen Formularen haben <strong>die</strong> Beschäftigten lediglich für<br />

jeden Tag mit Ja/Nein anzugeben, ob <strong>die</strong> ununterbrochene Ruhezeit von<br />

mindestens 11 Stunden und <strong>die</strong> Ruhepausen gemäß § 4 AZG eingehalten<br />

worden sind. Da das Arbeitszeiterfassungsformular keinerlei näheren<br />

Angaben verlangt, ist für den Betriebsrat eine Überprüfung <strong>die</strong>ser Pauschalangaben<br />

unmöglich. So kann aus <strong>der</strong> Pauschalangabe, es sei <strong>die</strong><br />

Ruhezeit von 11 Stunden eingehalten worden, kein Aufschluss dar<strong>über</strong><br />

gewonnen werden, wann <strong>die</strong> Arbeitszeit an einem Tag beendet worden<br />

ist, und wann <strong>die</strong> Arbeit am folgenden Tag wie<strong>der</strong> aufgenommen worden<br />

ist. Im Hinblick auf <strong>die</strong> dem Betriebsrat zugewiesene Kontrollaufgabe in §<br />

80 Abs. 1 <strong>BetrVG</strong> ist mit <strong>die</strong>sen Pauschalangaben keinerlei Kontrolle <strong>der</strong><br />

gesetzlichen Arbeitszeitgrenzen möglich.<br />

Der erfor<strong>der</strong>liche Umfang <strong>der</strong> Auskunft ist von den <strong>im</strong> Einzelfall <strong>im</strong> Betrieb<br />

geltenden Arbeitszeitregelungen abhängig. Insoweit besteht auch eine<br />

Abhängigkeit zu <strong>der</strong> Kontrollmöglichkeit. Je einfacher <strong>die</strong> Kontrolle möglich<br />

ist, desto weniger umfangreich muss <strong>die</strong> Auskunft sein. Ist beispielsweise<br />

durch <strong>die</strong> Arbeitszeitregelung selbst, etwa durch den Arbeitszeitrahmen gesichert,<br />

dass <strong>die</strong> Vorgaben des Arbeitszeitgesetzes <strong>im</strong> Hinblick auf Ruhezeit<br />

und Ruhepausen gesichert sind, vermin<strong>der</strong>t sich <strong>der</strong> Umfang <strong>der</strong> Auskunftspflichten<br />

auf <strong>die</strong>jenigen, <strong>die</strong> den Rahmen nicht eingehalten haben.<br />

Denn stehen beispielsweise Pausenzeiten o<strong>der</strong> ein Arbeitszeitrahmen fest,<br />

so wird sich <strong>der</strong> Unterrichtungsanspruch auf <strong>die</strong> ausnahmeweise erfolgten<br />

Überschreitungen fokussieren. Je uferloser hingegen <strong>die</strong> Arbeitszeit best<strong>im</strong>mt<br />

werden kann, desto umfassen<strong>der</strong> ist <strong>der</strong> Auskunftsanspruch.<br />

Ist durch <strong>die</strong> Arbeitszeitregelungen hingegen strukturell gesichert, dass <strong>die</strong><br />

gesetzlichen Ruhezeiten und Ruhepausen eingehalten werden, so vereinfacht<br />

<strong>die</strong>s <strong>die</strong> Kontrolle für den Betriebsrat und reduziert damit den Umfang<br />

des Auskunftsaufwandes. Wäre etwa <strong>der</strong> Arbeitszeitrahmen innerhalb <strong>der</strong><br />

Vertrauensarbeitszeit auf einen insgesamt 13- stündigen Zeitrahmen begrenzt,<br />

etwa von 07:00 Uhr bis 20:00 Uhr, wäre strukturell gesichert, dass<br />

<strong>die</strong> Beschäftigten <strong>die</strong> 11-stündige Ruhezeit nach § 5 Abs. 1 AZG einhielten.<br />

In einem solchen Fall wäre für den Betriebsrat eine Kontrolle von Verstößen<br />

sehr einfach möglich, weil <strong>die</strong> Anwesenheit von Beschäftigten vor<br />

Beginn des Arbeitszeitrahmens, also vor 07:00 Uhr, o<strong>der</strong> nach Ende des<br />

Arbeitszeitrahmens, also nach 20:00 Uhr, und damit ein Verstoß leicht festzustellen<br />

wäre. In einem solchen Fall wäre es daher zur Durchführung <strong>der</strong><br />

Kontrollaufgaben des Betriebsrats nicht mehr erfor<strong>der</strong>lich, den Betriebsrat<br />

<strong>über</strong> Arbeitszeitbeginn und Arbeitszeitende <strong>im</strong> Einzelnen zu informieren,<br />

um ihm <strong>die</strong> Kontrolle <strong>der</strong> Ruhezeiten des § 5 Abs. 1 AZG möglich zu machen.<br />

Gleiches würde hinsichtlich <strong>der</strong> Pausenzeiten gelten, wenn insoweit<br />

ein verbindlicher Pausenrahmen zeitmäßig festgesetzt wäre.<br />

Fortsetzung auf nächster Seite »


swp magazin 16<br />

Die Arbeitgeberin hat es daher in <strong>der</strong> Hand, <strong>die</strong> Vertrauensarbeitszeit unter<br />

Beibehaltung des Prinzips höchstmöglicher Arbeitszeitsouveränität so zu<br />

gestalten, dass sich <strong>der</strong> Unterrichtungsaufwand vermin<strong>der</strong>t bzw. strukturell<br />

<strong>über</strong>flüssig wird.<br />

6. Zu § 87 <strong>BetrVG</strong> – Betriebsvereinbarungen<br />

a. Dienstkleidungsvorschriften des Arbeitgebers<br />

Landesarbeitsgericht Köln, Beschluss vom 18.08.2010,<br />

Az 3 TaBV 15/10 -<br />

Sachverhalt<br />

Der Beteiligte zu 1) ist <strong>der</strong> <strong>im</strong> Betrieb <strong>der</strong> Arbeitgeberin am Flughafen K /B<br />

gebildete Betriebsrat. Die Arbeitgeberin betreibt dort <strong>im</strong> Auftrag <strong>der</strong> Bundespolizei<br />

<strong>die</strong> Fluggastkontrollen. Sie hat den Betrieb zum 01.01.2009 von<br />

<strong>der</strong> früheren Auftragnehmerin D <strong>über</strong>nommen.<br />

Der Betriebsrat macht Mitbest<strong>im</strong>mungsrechte nach § 87 Abs. 1 Nr. 1<br />

<strong>BetrVG</strong> geltend. Vor 2009 galt mit Duldung des damaligen Betriebsrats <strong>im</strong><br />

<strong>über</strong>nommenen Betrieb eine sog. Dienstanweisung <strong>der</strong> D <strong>die</strong> unter an<strong>der</strong>em<br />

das „äußere Erscheinungsbild und <strong>die</strong> Dienstkleidung“ <strong>der</strong> Mitarbeiter<br />

regelte. Im Unternehmen existiert eine Gesamtbetriebsvereinbarung aus<br />

dem Jahr 2004, <strong>die</strong> in ihrer Anlage 2 eine Trageordnung für Dienstkleidung<br />

mit umfangreichen Tragevorschriften für Dienstkleidungsträgerinnen<br />

und –träger enthält. Im Dezember 2008 erließ <strong>die</strong> Arbeitgeberin eine „Betriebsanweisung<br />

für <strong>die</strong> Station K /B“. Hier<strong>über</strong> informierte sie nach dem<br />

Betriebs<strong>über</strong>gang Anfang 2009 den Betriebsrat. Dieser macht wegen<br />

mehrerer Regelungen <strong>die</strong>ser Betriebsanweisung ein Mitbest<strong>im</strong>mungsrecht<br />

geltend und hält <strong>im</strong> Übrigen mehrere Best<strong>im</strong>mungen <strong>der</strong> Gesamtbetriebsvereinbarung<br />

für unzulässig, da sie gegen das Persönlichkeitsrecht <strong>der</strong><br />

einzelnen Mitarbeiter verstießen.<br />

Der Betriebsrat meint, <strong>die</strong> folgenden von ihm genannten Anweisungen <strong>der</strong><br />

Arbeitgeberin seien nach § 87 Abs. 1 Nr. 1 <strong>BetrVG</strong> mitbest<strong>im</strong>mungspflichtig.<br />

Das gelte zunächst für <strong>die</strong> Anweisung, den Sicherheitsausweis und das<br />

Zusatzkennzeichen „Fluggastkontrolle“ in Brusthöhe zu tragen.<br />

Diese Anweisung sei mit <strong>der</strong> <strong>die</strong>sbezüglichen Regelung in <strong>der</strong> Gesamtbetriebsvereinbarung<br />

2004 nicht inhaltsgleich und auch von <strong>der</strong> Bundespolizei<br />

werde lediglich gefor<strong>der</strong>t, dass <strong>der</strong> Ausweis gut sichtbar zu tragen sei.<br />

Des weiteren sei das Verbot einer Mitnahme von „Kommunikationseinrichtungen“<br />

sowie des lautstarken Führens von Privatgesprächen o<strong>der</strong> gar<br />

Diskussionen an <strong>der</strong> Kontrollstelle mitbest<strong>im</strong>mungspflichtig. Außerdem hält<br />

<strong>der</strong> Beteiligte zu 1) auch <strong>die</strong> von ihm angeführten Regelungen <strong>der</strong> Gesamtbetriebsvereinbarung<br />

2004 weiterhin für persönlichkeitsrechtverletzend.<br />

Er meint, <strong>die</strong> Art <strong>der</strong> Kleidung inklusive <strong>der</strong> Unterwäsche sowie das Aussehen<br />

sei alleine Sache des einzelnen Mitarbeiters und <strong>die</strong> extrem weitreichenden<br />

Vorgaben <strong>der</strong> Beteiligten zu 2) hätten mit dem Verlangen nach<br />

einem einheitlichen Erscheinungsbild nichts zu tun.<br />

Der Betriebsrat beantragt,<br />

<strong>der</strong> Arbeitgeberin zu untersagen, <strong>die</strong> <strong>im</strong> Folgenden zitierten Anweisungen<br />

gegen<strong>über</strong> den Mitarbeiter/innen und Mitarbeitern des Betriebes am Flughafen<br />

K /B einseitig, ohne Zust<strong>im</strong>mung des Betriebsrats o<strong>der</strong> einen <strong>die</strong><br />

Einigung ersetzenden Spruch <strong>der</strong> Einigungsstelle zu erteilen:<br />

1. Es ist darauf zu achten, dass <strong>der</strong> Sicherheitsausweis und das Zusatzkennzeichen<br />

„Fluggastkontrolle“ lesbar in Brusthöhe getragen werden“.<br />

Fortsetzung auf nächster Seite »


swp magazin 17<br />

2. „Insbeson<strong>der</strong>e ist folgendes untersagt:<br />

» <strong>die</strong> Mitnahme und Benutzung von privaten<br />

Kommunikationseinrichtungen, wie z. B. Mobiltelefon,<br />

MP 3 Player u.s.w.<br />

» an <strong>der</strong> Kontrollstelle lautstarke Privatgespräche o<strong>der</strong><br />

gar Diskussionen zu führen;<br />

festzustellen, dass <strong>die</strong> <strong>im</strong> Folgenden zitierten Regelungen <strong>der</strong> Anlage 2<br />

<strong>der</strong> Gesamtbetriebsvereinbarung „Dienst- und Schutzkleidung (Klei<strong>der</strong>ordnung)“<br />

aus dem <strong>Jahre</strong> 2004 wegen Verletzung des Persönlichkeitsrechts<br />

<strong>der</strong> Mitarbeiter/innen unwirksam sind und <strong>im</strong> Betrieb Flughafen K /B nicht<br />

angewendet werden dürfen:<br />

1. § 2 Ziffer 8 „Unterwäsche“<br />

a. Das Tragen von BHs, Bustiers, bzw. eines Unterhemdes ist<br />

vorgeschrieben.<br />

b. Diese Unterwäsche ist in weiß o<strong>der</strong> in Hautfarbe ohne Muster/Beschriftungen/<br />

Embleme, etc. zu tragen bzw. an<strong>der</strong>s farbige Unterwäsche darf<br />

in keiner Form durchscheinen.<br />

c. Unter <strong>der</strong> Bluse ist auch ein weißes T-Shirt, ebenfalls ohne Muster/<br />

Beschriftungen/ Embleme, etc. gestattet.<br />

d. Zur Beinbekleidung sind Feinstrumpfhosen in neutraler Hautfarbe,<br />

dunkelblau o<strong>der</strong> schwarz zu tragen. Socken in den gleichen Farben<br />

wie <strong>die</strong> Feinstrumpfhosen sind lediglich zur Hose zu tragen.<br />

e. Feinstrumpfhosen sowie Socken dürfen keinerlei Muster, Nähte o<strong>der</strong><br />

Laufmaschen aufweisen.<br />

f. Grundsätzlich sind <strong>im</strong>mer Feinstrumpfhosen o<strong>der</strong> Socken als<br />

Beinbekleidung zu tragen.<br />

2. § 2 Ziffer 9 h): „Fingernägel (Länge und Farbe) sind je<strong>der</strong>zeit<br />

gepflegt zu halten; sie sind einfarbig und in max<strong>im</strong>aler Länge<br />

von 0,5 cm <strong>über</strong> <strong>der</strong> Fingerkuppe zu tragen.“<br />

3. § 3 Ziffer 7 „Unterwäsche für männliche Beschäftigte“:<br />

a. Ein Unterhemd ist je<strong>der</strong>zeit zu tragen.<br />

b. Diese Unterwäsche ist in weiß o<strong>der</strong> in Hautfarbe ohne Muster/Beschriftungen/<br />

Embleme, etc. zu tragen, bzw. an<strong>der</strong>sfarbige Unterwäsche darf<br />

in keiner Form durchscheinen.<br />

c. Es ist als Ersatz zum Unterhemd ebenfalls ein weißes T-Shirt ohne<br />

Muster und ohne Aufdruck gestattet.<br />

d. Bei 1/2-Arm Diensthemden ist darauf zu achten, dass T-Shirt Ärmel<br />

nicht länger als <strong>die</strong> Hemdsärmel sind.<br />

e. Grundsätzlich sind Socken (ausschließlich in den Farben schwarz o<strong>der</strong><br />

dunkelblau ohne Muster zu tragen.<br />

4. § 3 Ziff. 9 „Frisur, Bart und Make-Up“<br />

a. Grundsätzlich sind Haare <strong>im</strong>mer sauber, niemals ungewaschen o<strong>der</strong><br />

fettig wirkend zu tragen.<br />

b. Eine gründliche Komplettgesichtsrasur bei Dienstantritt ist Voraussetzung;<br />

alternativ ist ein gepflegter Bart gestattet.<br />

c. Bei Haarfärbungen sind lediglich natürlich wirkende Farben gestattet.<br />

d. Das Tragen von künstlichen Haaren o<strong>der</strong> Einflechtungen ist grundsätzlich<br />

nicht gestattet, wenn es <strong>die</strong> Natürlichkeit <strong>der</strong> Haarpracht beeinträchtigt.<br />

Die Arbeitgeberin hat <strong>die</strong> Auffassung vertreten, <strong>die</strong> Gesamtbetriebsvereinbarung<br />

verstoße nicht gegen Art. 2 Abs. 1 GG. So <strong>die</strong>ne <strong>die</strong> Anordnung des<br />

Tragens von Unterwäsche u. a. dem Schutz <strong>der</strong> in ihrem Eigentum stehenden<br />

Dienstkleidung und solle außerdem verhin<strong>der</strong>n, dass <strong>die</strong> Passagiere mit<br />

Schweißflecken <strong>der</strong> Mitarbeiter in Berührung kämen.<br />

Fortsetzung auf nächster Seite »


swp magazin 18<br />

Die Fingernägel müssten kurz gehalten werden, weil ansonsten bei den<br />

Passagierkontrollen Verletzungsgefahr besteht. Schließlich seien auch Frisur,<br />

Bart und Make-up in einem ordentlichen Zustand zu tragen, da von den<br />

Mitarbeitern bei <strong>der</strong> Ausführung von hoheitlichen Aufgaben ein ordentliches<br />

Erscheinungsbild verlangt werden müsse.<br />

Die Arbeitgeberin meint, ihre Betriebsanweisungen verstießen nicht gegen<br />

betriebsverfassungsrechtliche Vorschriften. So sei <strong>die</strong> Anweisung zum Tragen<br />

des Dienstausweises lediglich eine Ausgestaltung <strong>der</strong> in <strong>der</strong> Gesamtbetriebsvereinbarung<br />

bereits vorhandenen Regelung. Auch <strong>die</strong> Untersagung<br />

<strong>der</strong> Mitnahme und Benutzung von privaten Kommunikationseinrichtungen sei<br />

nicht mitbest<strong>im</strong>mungspflichtig. Die bei <strong>der</strong> Flugsicherheitskontrolle eingesetzten<br />

technischen Durchleuchtungsgeräte, seien technisch sensible Vorrichtungen,<br />

<strong>die</strong> durch <strong>die</strong> Benutzung von mobilen Telekommunikationseinrichtungen<br />

gestört werden könnten. Eine Arbeitsanweisung, <strong>die</strong> lediglich das<br />

Benutzen <strong>die</strong>ser Kommunikationseinrichtungen während <strong>der</strong> Arbeitszeit<br />

verbiete sei nicht ausreichend, da damit nicht verhin<strong>der</strong>t werden könne, dass<br />

<strong>der</strong> Mitarbeiter gleichwohl während <strong>der</strong> Arbeitszeit angerufen werden könne.<br />

Letztlich handele es sich hierbei ohnehin um mitbest<strong>im</strong>mungsfreies sog.<br />

Arbeitsverhalten <strong>der</strong> Mitarbeiter.<br />

Das gelte gleichermaßen für das Verbot, lautstarke Privatgespräche zu<br />

führen. Ferner ist <strong>die</strong> Arbeitgeberin <strong>der</strong> Auffassung, dass <strong>die</strong> Gesamtbetriebsvereinbarung<br />

aus dem Jahr 2004 nicht gegen <strong>die</strong> Persönlichkeitsrechte<br />

<strong>der</strong> einzelnen Mitarbeiter verstoße. Das gelte für das vorgeschriebene Tragen<br />

von Unterwäsche ebenso wie für <strong>die</strong> Beinbekleidung und das sonstige<br />

äußere Erscheinungsbild <strong>der</strong> Mitarbeiter. Die <strong>die</strong>sbezüglichen Regelungen<br />

müssten vor dem Hintergrund des berechtigten Verlangens <strong>der</strong> Arbeitgeberin<br />

nach einem einheitlichen Erscheinungsbild ihrer Mitarbeiter gesehen werden.<br />

Die Regelungen <strong>über</strong> den Zustand <strong>der</strong> Fingernägel seien schließlich wegen<br />

<strong>der</strong> ansonsten bestehenden Verletzungsgefahr geboten.<br />

Entscheidung<br />

Die Beschwerde hat jedoch in <strong>der</strong> Sache nur teilweise Erfolg. Die Beteiligte<br />

zu 2) darf den Mitarbeitern nicht generell <strong>die</strong> Mitnahme und Benutzung von<br />

privaten Kommunikationseinrichtungen an den Kontrollstrecken untersagen,<br />

ohne zuvor <strong>die</strong> Zust<strong>im</strong>mung des Betriebsrates eingeholt zu haben. Sie darf<br />

den Mitarbeiterinnen nicht vorschreiben, <strong>die</strong> Fingernägel nur einfarbig zu tragen<br />

und auch <strong>die</strong> Vorgabe gegen<strong>über</strong> den Mitarbeitern, bei Haarfärbungen<br />

nur natürlich wirkende Farben zu tragen sowie das weitergehende Verbot,<br />

künstliche Haare o<strong>der</strong> Einflechtungen zu tragen, wenn <strong>die</strong>se <strong>die</strong> Natürlichkeit<br />

<strong>der</strong> Haarpracht beeinträchtigen, sind unwirksam. Die weitergehende Beschwerde<br />

des Beteiligten zu 1) ist unbegründet.<br />

Im Einzelnen gilt Folgendes:<br />

a) Zum Unterlassungsanspruch<br />

Die Berechtigung des Antragsbegehrens hängt maßgeblich davon ab, ob<br />

dem Betriebsrat insoweit ein erzwingbares Mitbest<strong>im</strong>mungsrecht zusteht.<br />

In Betracht kommt insofern allein § 87 Abs. 1 Nr. 1 <strong>BetrVG</strong>. Nach <strong>die</strong>ser<br />

Vorschrift hat <strong>der</strong> Betriebsrat mitzubest<strong>im</strong>men in Fragen <strong>der</strong> Ordnung des<br />

Betriebs und des Verhaltens <strong>der</strong> Arbeitnehmer <strong>im</strong> Betrieb. Gegenstand des<br />

Mitbest<strong>im</strong>mungsrechts ist das betriebliche Zusammenleben und kollektive<br />

Zusammenwirken <strong>der</strong> Beschäftigten. Es beruht darauf, dass <strong>die</strong> Beschäftigten<br />

ihre vertraglich geschuldete Leistung innerhalb einer vom Arbeitgeber<br />

vorgegebenen Arbeitsorganisation erbringen und deshalb dessen Weisungsrecht<br />

unterliegen. Das berechtigt den Arbeitgeber dazu, Regelungen<br />

vorzugeben, <strong>die</strong> das Verhalten <strong>der</strong> Beschäftigten <strong>im</strong> Betrieb beeinflussen<br />

und koordinieren sollen. Solche Maßnahmen bedürfen <strong>der</strong> Zust<strong>im</strong>mung des<br />

Betriebsrats. Dies soll gewährleisten, dass <strong>die</strong> Beschäftigten gleichberechtigt<br />

an <strong>der</strong> Gestaltung des betrieblichen Zusammenlebens teilhaben können.<br />

Fortsetzung auf nächster Seite »


swp magazin 19<br />

Nach <strong>der</strong> ständigen <strong>Rechtsprechung</strong> des Bundesarbeitsgerichts hat <strong>der</strong><br />

Betriebsrat nur mitzubest<strong>im</strong>men bei Maßnahmen, <strong>die</strong> das sog. Ordnungsverhalten<br />

<strong>der</strong> Arbeitnehmer betreffen. Dieses ist berührt, wenn <strong>die</strong> Maßnahme<br />

auf <strong>die</strong> Gestaltung des kollektiven Miteinan<strong>der</strong>s o<strong>der</strong> <strong>die</strong> Gewährleistung und<br />

Aufrechterhaltung <strong>der</strong> vorgegebenen Ordnung des Betriebs zielt. Mitbest<strong>im</strong>mungsfrei<br />

sind dagegen Maßnahmen, <strong>die</strong> das sog. Arbeitsverhalten <strong>der</strong> Beschäftigten<br />

regeln. Darum handelt es sich, wenn <strong>der</strong> Arbeitgeber kraft seines<br />

arbeitsvertraglichen Weisungsrechts näher best<strong>im</strong>mt, welche Arbeiten auszuführen<br />

sind und in welcher Weise das geschehen soll. Mitbest<strong>im</strong>mungsfrei<br />

sind deshalb Anordnungen, mit denen lediglich <strong>die</strong> Arbeitspflicht konkretisiert<br />

wird. Wirkt sich eine Maßnahme zugleich auf das Ordnungs- und das Arbeitsverhalten<br />

aus, so kommt es darauf an, welcher Regelungszweck <strong>über</strong>wiegt.<br />

Wendet man <strong>die</strong>se Grundsätze <strong>der</strong> ständigen BAG-<strong>Rechtsprechung</strong> an, so<br />

unterfällt <strong>die</strong> Untersagung private Kommunikationseinrichtungen wie z.B.<br />

Mobiltelefone, MP 3- Player u. ä. mitzunehmen und zu benutzen, unter den<br />

Begriff des Ordnungsverhaltens <strong>im</strong> oben genannten Sinn. Es geht erkennbar<br />

um <strong>die</strong> Gestaltung des kollektiven Miteinan<strong>der</strong>s und nicht um <strong>die</strong> Art und<br />

Weise <strong>der</strong> Arbeitsausführung. Demgemäß besteht insoweit ein erzwingbares<br />

Mitbest<strong>im</strong>mungsrecht des Betriebsrats. Nach <strong>der</strong> sog. Theorie <strong>der</strong> Wirksamkeitsvoraussetzung,<br />

sind Maßnahmen, <strong>die</strong> <strong>die</strong> Mitarbeiter belasten und <strong>der</strong><br />

erzwingbaren Mitbest<strong>im</strong>mung des Betriebsrats unterliegen, ohne vorherige<br />

Zust<strong>im</strong>mung des Betriebsrats rechtsunwirksam und <strong>der</strong> Betriebsrat kann<br />

vom Arbeitgeber <strong>die</strong> Unterlassung <strong>der</strong>artiger mitbest<strong>im</strong>mungswidriger Maßnahmen<br />

verlangen.<br />

Das auf <strong>die</strong>sen Regelungsgegenstand bezogene Antragsbegehren des Betriebsrats<br />

ist demnach begründet.<br />

Daneben stellt <strong>die</strong>se Anweisung auch einen unverhältnismäßigen Eingriff in<br />

das durch Art. 2 GG geschützte Persönlichkeitsrecht <strong>der</strong> betroffenen Mitarbeiter<br />

dar. Das Verbot, private Kommunikationseinrichtungen mitzubringen,<br />

ist nicht erfor<strong>der</strong>lich, um <strong>der</strong>en Nutzung vor Ort zu unterbinden. Hier hätte<br />

es ausgereicht, allein <strong>der</strong>en Nutzung zu untersagen.<br />

Demgegen<strong>über</strong> ist <strong>die</strong> Beschwerde unbegründet, soweit sich <strong>der</strong> Betriebsrat<br />

gegen das Verbot wendet, an <strong>der</strong> Kontrollstelle lautstarke Privatgespräche<br />

o<strong>der</strong> gar Diskussionen zu führen. Diese Anweisung ist untrennbar mit <strong>der</strong><br />

Erbringung <strong>der</strong> Arbeitsleistung verbunden und betrifft daher das sog. Arbeitsverhalten<br />

<strong>der</strong> Mitarbeiter. Ein Mitbest<strong>im</strong>mungsrecht aus § 87 Abs. 1 Nr.<br />

1 <strong>BetrVG</strong> besteht nach den oben dargestellten Grundsätzen nicht.<br />

Unbegründet ist <strong>die</strong> Beschwerde schließlich auch, soweit <strong>der</strong> Betriebsrat<br />

begehrt, <strong>der</strong> Arbeitgeberin <strong>die</strong> Anweisung zu untersagen, darauf zu achten,<br />

dass <strong>der</strong> Sicherheitsausweis und das Zusatzkennzeichen „Fluggastkontrolle“<br />

lesbar in Brusthöhe getragen werde. Diesen Regelungsgegenstand<br />

betreffend besteht kein Mitbest<strong>im</strong>mungsrecht des Betriebsrats. Denn <strong>die</strong>se<br />

Anweisung stellt lediglich eine nähere Ausgestaltung einer in <strong>der</strong> Gesamtbetriebsvereinbarung<br />

„Dienst und Arbeitsschutzbekleidung (Klei<strong>der</strong>ordnung)“<br />

vom 29.03.2004 enthaltenen Regelung dar. Bestandteil <strong>die</strong>ser Gesamtbetriebsvereinbarung<br />

ist <strong>die</strong> in <strong>der</strong> Anlage 2 aufgelistete Trageordnung für<br />

Dienstbekleidung. Diese best<strong>im</strong>mt in § 1 Abs. 3, dass <strong>der</strong> Dienstausweis Bestandteil<br />

<strong>der</strong> Dienstkleidung ist und während <strong>der</strong> Arbeitszeit <strong>im</strong>mer von vorn<br />

sichtbar an <strong>der</strong> Oberbekleidung getragen werden muss. Die nunmehrige<br />

Anweisung, den Dienstausweis „lesbar in Brusthöhe zu tragen“, konkretisiert<br />

<strong>die</strong> allgemein gehaltenere Vorschrift <strong>der</strong> Gesamtbetriebsvereinbarung. Eine<br />

eigenständige Regelung stellt sie nicht dar, so dass kein neuer Mitbest<strong>im</strong>mungstatbestand<br />

entsteht. Das Mitbest<strong>im</strong>mungsrecht aus § 87 Abs. 1 Nr. 1<br />

<strong>BetrVG</strong> ist vielmehr mit <strong>der</strong> Regelung in <strong>der</strong> Gesamtbetriebsvereinbarung<br />

vom 29.03.2004 „verbraucht“.<br />

b) Zum Unterlassungsanspruch<br />

Nach <strong>der</strong> ständigen <strong>Rechtsprechung</strong> des Bundesarbeitsgerichts sind <strong>die</strong> Betriebsparteien<br />

gemäß § 75 Abs. 1, 2 Satz 1 <strong>BetrVG</strong> zur Wahrung <strong>der</strong> grundrechtlich<br />

gewährleisteten Freiheitsrechte verpflichtet.<br />

Fortsetzung auf nächster Seite »


swp magazin 20<br />

Sie haben damit auch <strong>die</strong> durch Art. 2 Abs. 1 GG geschützte allgemeine<br />

Handlungsfreiheit zu beachten. Zwar wird <strong>die</strong>se, soweit sie <strong>über</strong> den Kernbereich<br />

<strong>der</strong> Persönlichkeit hinausgeht, ihrerseits durch <strong>die</strong> verfassungsmäßige<br />

Ordnung beschränkt, zu <strong>der</strong> auch <strong>die</strong> von den Betriebsparteien <strong>im</strong> Rahmen<br />

ihrer Regelungskompetenz geschlossenen Betriebsvereinbarungen gehören.<br />

Zugleich sind jedoch <strong>die</strong> einzelnen Grundrechtsträger vor unverhältnismäßigen<br />

Grundrechtsbeschränkungen durch privatautonome Regelungen<br />

zu schützen. Das zulässige Ausmaß einer Beschränkung <strong>der</strong> allgemeinen<br />

Handlungsfreiheit best<strong>im</strong>mt sich nach dem Grundsatz <strong>der</strong> Verhältnismäßigkeit.<br />

Die getroffene Regelung muss geeignet, erfor<strong>der</strong>lich und unter Berücksichtigung<br />

<strong>der</strong> gewährleisteten Freiheitsrechte angemessen sein, um den<br />

erstrebten Zweck zu erreichen. Geeignet ist <strong>die</strong> Regelung dann, wenn mit<br />

ihrer Hilfe <strong>der</strong> erstrebte Erfolg geför<strong>der</strong>t werden kann. Erfor<strong>der</strong>lich ist sie,<br />

wenn kein an<strong>der</strong>es, gleich wirksames, aber <strong>die</strong> Handlungsfreiheit weniger<br />

einschränkendes Mittel zur Verfügung steht. Angemessen ist sie, wenn sie<br />

verhältnismäßig <strong>im</strong> engeren Sinn erscheint. Es bedarf hier einer Gesamtabwägung<br />

zwischen <strong>der</strong> Intensität des Eingriffs und dem Gewicht <strong>der</strong> ihn rechtfertigenden<br />

Gründe; <strong>die</strong> Grenze <strong>der</strong> Zumutbarkeit darf nicht <strong>über</strong>schritten<br />

werden.<br />

Wendet man <strong>die</strong>se Grundsätze <strong>im</strong> vorliegenden Fall an, ist das Begehren<br />

des Betriebsrates teilweise begründet. Die Trageordnung greift in <strong>die</strong> Freiheit<br />

<strong>der</strong> Arbeitnehmer ein, sich während <strong>der</strong> Arbeit so zu kleiden, wie es den<br />

persönlichen Wünschen und Bedürfnissen entspricht.<br />

Hinsichtlich <strong>der</strong> in § 2 Ziff. 9 h) <strong>der</strong> Trageordnung enthaltenen Regelung<br />

für Mitarbeiterinnen, <strong>die</strong> Fingernägel einfarbig zu tragen, fehlt es bereits an<br />

<strong>der</strong> Geeignetheit <strong>die</strong>ses Eingriffs in das Persönlichkeitsrecht <strong>der</strong> Arbeitnehmerinnen<br />

zur Erreichung des Regelungszwecks. Zwar kann <strong>die</strong> Gewährleistung<br />

eines einheitlichen Erscheinungsbildes durch eine einheitliche Dienstkleidung<br />

erreicht werden. Die Farbe <strong>der</strong> Fingernägel <strong>der</strong> Mitarbeiterinnen ist<br />

hierfür aber offensichtlich ohne Bedeutung. Erst recht ist <strong>die</strong>se Einschränkung<br />

<strong>der</strong> persönlichen Freiheit zur Erreichung des Regelungszwecks nicht<br />

erfor<strong>der</strong>lich.<br />

Von den Regelungen in § 3 <strong>der</strong> Trageordnung, <strong>die</strong> <strong>die</strong> männlichen Mitarbeiter<br />

betreffen, sind § 3 Ziff. 9 e) und § 3 Ziff. 9 f) nach den oben genannten<br />

Maßstäben unwirksam. Diese Regelungen schreiben den Mitarbeitern vor,<br />

bei Haarfärbungen lediglich natürlich wirkende Farben zu verwenden und<br />

verbieten das Tragen von künstlichen Haaren o<strong>der</strong> Einflechtungen, wenn es<br />

<strong>die</strong> Natürlichkeit <strong>der</strong> Haarpracht beeinträchtigt. Auch insoweit hat <strong>die</strong> Kammer<br />

bereits Zweifel an <strong>der</strong> Geeignetheit <strong>die</strong>ser Eingriffe. Alle Mitarbeiter<br />

haben ohnehin unterschiedliche Haarfarben und Frisuren. Jedenfalls aber<br />

sind beide Verbote nicht verhältnismäßig <strong>im</strong> engeren Sinn. Die Beteiligte zu<br />

2) greift mit <strong>die</strong>sen Vorschriften in <strong>die</strong> unmittelbare körperliche Integrität <strong>der</strong><br />

Mitarbeiter ein, ohne dass <strong>die</strong>s durch den Zweck eines einheitlichen Erscheinungsbildes<br />

gerechtfertigt wäre. Das gilt insbeson<strong>der</strong>e für das nach <strong>die</strong>ser<br />

Vorschrift weitestgehend verbotene Tragen eines Haarteils. Letzteres kann<br />

für das Selbstwertgefühl eines unter frühem Haarverlust leidenden Mitarbeiters<br />

von erheblicher Bedeutung sein und das Verbot kann in <strong>die</strong>sem Fall das<br />

Persönlichkeitsrecht des Mitarbeiters entscheidend tangieren. Demgegen<strong>über</strong><br />

wird das von den Kunden wahrgenommene Erscheinungsbild <strong>der</strong> Mitarbeiter<br />

wesentlich durch <strong>der</strong>en einheitliche Kleidung geprägt. Haarfarbe und<br />

Frisur sind hierfür eher unbedeutend.<br />

Weitere Unwirksamkeitsgründe ergeben sich ferner aus <strong>der</strong> inhaltlichen<br />

Unbest<strong>im</strong>mtheit <strong>der</strong> Regelung <strong>im</strong> Hinblick auf <strong>die</strong> Merkmale <strong>der</strong> „natürlich<br />

wirkenden Farben“ und <strong>der</strong> „Natürlichkeit <strong>der</strong> Haarpracht“ sowie aufgrund<br />

des Verstoßes <strong>der</strong> vorgenannten Regelungen gegen das Benachteiligungsverbot<br />

<strong>der</strong> §§ 7 Abs. 1, 1 AGG. Die allein männliche Mitarbeiter betreffenden<br />

Regelungen stellen eine unmittelbare Geschlechtsdiskr<strong>im</strong>inierung dar, da<br />

vergleichbare Regelungen für Mitarbeiterinnen nicht existieren.<br />

Die weitergehenden, von dem Betriebsrates reklamierten Regelungen halten<br />

einer Verhältnismäßigkeitskontrolle Stand. Das gilt zunächst für das in § 2<br />

Ziff. 8 <strong>der</strong> Trageordnung für Mitarbeiterinnen vorgeschriebene Tragen von<br />

Unterwäsche.<br />

Fortsetzung auf nächster Seite »


swp magazin 21<br />

Die Arbeitgeberin weist insoweit zu Recht darauf hin, dass <strong>die</strong> in ihrem Eigentum<br />

stehenden Blusen und Hemden durch das Tragen von Unterwäsche<br />

geschützt und weniger schnell abgenutzt werden. Die Eignung des Eingriffs<br />

steht damit außer Frage.<br />

Das Gleiche gilt für seine Erfor<strong>der</strong>lichkeit, da ein mil<strong>der</strong>es, das Persönlichkeitsrecht<br />

<strong>der</strong> Mitarbeiterinnen weniger einschneiden<strong>der</strong>es Mittel nicht<br />

existiert. Das gilt umso mehr, als <strong>die</strong> Arbeitgebeirn den Mitarbeiterinnen<br />

kein konkretes Wäschestück vorschreibt, son<strong>der</strong>n mehrere zur Wahl lässt.<br />

Schließlich ist <strong>der</strong> Eingriff auch verhältnismäßig <strong>im</strong> engeren Sinn. Wägt<br />

man <strong>die</strong> mit dem verbindlichen Tragen von privater Unterwäsche verbundene<br />

Beeinträchtigung des Persönlichkeitsrechts <strong>der</strong> Mitarbeiterinnen<br />

gegen <strong>die</strong> betrieblichen Interessen an einem ordentlichen Erscheinungsbild<br />

und einer möglichst geringen Abnutzung <strong>der</strong> Dienstkleidung ab, so <strong>über</strong>wiegt<br />

das Interesse <strong>der</strong> Arbeitgeberin deutlich. Dabei ist auch unproblematisch,<br />

dass <strong>die</strong> Unterwäsche weiß o<strong>der</strong> in Hautfarbe sein muss und keine<br />

Embleme, Beschriftungen o<strong>der</strong> Muster enthalten darf. Eine erhebliche<br />

Einschränkung des Persönlichkeitsrechts stellt <strong>die</strong>se Vorgabe nicht dar.<br />

Das Gleiche gilt für <strong>die</strong> Verpflichtung zum Tragen von Feinstrumpfhosen<br />

o<strong>der</strong> Socken.<br />

Ebenfalls rechtlich unbedenklich ist <strong>die</strong> für Mitarbeiterinnen in § 2 Ziff. 9 h)<br />

<strong>der</strong> Trageordnung vorgeschriebene max<strong>im</strong>ale Länge <strong>der</strong> Fingernägel von<br />

0,5 cm <strong>über</strong> <strong>der</strong> Fingerkuppe. Auch <strong>die</strong>ser Eingriff in das Persönlichkeitsrecht<br />

<strong>der</strong> Mitarbeiterinnen ist insgesamt verhältnismäßig. Ziel <strong>der</strong> Regelung<br />

ist es, eine Verletzungsgefahr bei <strong>der</strong> Kontrolle von Passagieren möglichst<br />

zu vermeiden. Hierfür ist <strong>die</strong> gemachte Vorgabe offensichtlich geeignet und<br />

auch erfor<strong>der</strong>lich, da ein mil<strong>der</strong>es Mittel nicht besteht. Schließlich ist <strong>die</strong><br />

Vorgabe auch verhältnismäßig <strong>im</strong> engeren Sinn. Die Arbeitgeberin hat ein<br />

erhebliches und berechtigtes betriebliches Interesse daran, dass eine von<br />

ihren Mitarbeiterinnen ausgehende Verletzungsgefahr <strong>im</strong> Umgang mit den<br />

Passagieren so weit wie möglich ausgeschlossen wird. Demgegen<strong>über</strong><br />

muss das modische Interesse <strong>der</strong> Mitarbeiterinnen an dem Tragen längerer<br />

Fingernägel zurücktreten.<br />

Zwar stellt <strong>die</strong> Vorgabe in <strong>der</strong> Trageordnung einen unmittelbaren Eingriff in<br />

<strong>die</strong> körperliche Integrität <strong>der</strong> Mitarbeiterinnen dar. Dieser ist jedoch zwingend<br />

durch <strong>die</strong> Tätigkeit geboten. Auch <strong>die</strong> weiteren Tragevorschriften für<br />

männliche Mitarbeiter in § 3 <strong>der</strong> Trageordnung sind verhältnismäßig. Dabei<br />

gilt zunächst bezüglich des vorgeschriebenen Tragens von Unterwäsche<br />

in § 3 Ziff 7 das oben zu den Mitarbeiterinnen Gesagte entsprechend.<br />

Gegen <strong>die</strong> dar<strong>über</strong> hinaus vom dem Beteiligten zu 1) beanstandeten Best<strong>im</strong>mungen<br />

in § 3 Ziff. 9 a), d), e) und f) zu „Frisur, Bart und Make-up“<br />

bestehen schließlich ebenfalls keine rechtlichen Bedenken. Die Trageordnung<br />

verlangt von den Mitarbeitern, dass <strong>die</strong> Haare grundsätzlich sauber,<br />

niemals ungewaschen o<strong>der</strong> fettig zu tragen sind und vor Dienstbeginn<br />

eine Komplettrasur erfolgt ist o<strong>der</strong> ein gepflegter Bart getragen wird. Diese<br />

Vorgaben sind geeignet, ein vernünftiges, angemessenes Erscheinungsbild<br />

<strong>der</strong> Mitarbeiter zu gewährleisten. Sie sind auch erfor<strong>der</strong>lich, da eine weniger<br />

einschneiden<strong>der</strong>e Maßnahme nicht ersichtlich ist. Das gilt unabhängig<br />

davon, dass <strong>die</strong> große Mehrzahl <strong>der</strong> Mitarbeiter auch ohne eine entsprechende<br />

Vorgabe selbständig Wert auf ein entsprechendes Äußeres legen<br />

dürfte. Letztlich kann nur mit einer entsprechenden Vorgabe <strong>die</strong> Erreichung<br />

des Ziels <strong>im</strong> Ergebnis wirklich sichergestellt werden.<br />

Schließlich ist auch <strong>die</strong> Verhältnismäßigkeit <strong>im</strong> engeren Sinn zu bejahen.<br />

Zwar geht es auch hier wie<strong>der</strong>um um unmittelbar das Persönlichkeitsrecht<br />

<strong>der</strong> Mitarbeiter betreffende Regelungen. Da <strong>die</strong>se jedoch inhaltlich von<br />

den Mitarbeitern keine außergewöhnlichen Maßnahmen verlangen, son<strong>der</strong>n<br />

letztlich das wi<strong>der</strong>spiegeln, was den normalen und allgemein üblichen<br />

Umgangsformen jedenfalls solcher Menschen entspricht, <strong>die</strong> beruflich <strong>im</strong><br />

engen Kundenkontakt stehen, <strong>über</strong>wiegt auch insoweit das betriebliche<br />

Interesse.<br />

b. Zum Anspruch des Betriebsrates auf Durchführung einer Betriebsvereinbarung<br />

BAG, Beschluss vom 18.05.2010, Az 1 ABR 6/09<br />

Fortsetzung auf nächster Seite »


swp magazin 22<br />

Sachverhalt<br />

Die Beteiligten streiten <strong>über</strong> einen Anspruch des Betriebsrats auf Durchführung<br />

eines Konzernsozialplans.<br />

Die Arbeitgeberin betreibt eine Geschäftsbank mit einem bundesweiten Filialnetz.<br />

Antragsteller ist <strong>der</strong> in <strong>der</strong> Filiale L gebildete Betriebsrat. Als Folge<br />

konzernweiter Umstrukturierungen vereinbarte <strong>die</strong> Arbeitgeberin mit dem<br />

bei ihr gebildeten Konzernbetriebsrat am 18. Oktober 2006 einen Sozialplan.<br />

Darin ist u. a. best<strong>im</strong>mt, dass <strong>die</strong> Arbeitgeberin Än<strong>der</strong>ungskündigungen<br />

auf zumutbare Arbeitsplätze aussprechen kann, ohne zur Leistung<br />

einer Abfindung verpflichtet zu sein. Die wirtschaftliche Zumutbarkeit ist<br />

nach den Regelungen des Sozialplans gegeben, wenn <strong>der</strong> Arbeitgeber den<br />

Arbeitnehmern schriftlich zusagt, ihnen zu ihrem neuen Tarifgehalt eine<br />

Zulage in Höhe <strong>der</strong> Differenz zwischen den bisherigen Bezügen und <strong>der</strong><br />

Vergütung in <strong>der</strong> neuen Tarifgruppe zu zahlen.<br />

Der Betriebsrat hat geltend gemacht, <strong>der</strong> Begriff „bisherige Bezüge“ erfasse<br />

sämtliche Vergütungsbestandteile und daher auch befristete Ausgleichszulagen,<br />

welche <strong>die</strong> Arbeitgeberin einzelnen Mitarbeitern aufgrund eines<br />

<strong>im</strong> <strong>Jahre</strong> 2002 vereinbarten Sozialplans zu zahlen habe. Die Arbeitgeberin<br />

habe den Konzernsozialplan mit <strong>die</strong>sem Inhalt durchzuführen.<br />

Der Betriebsrat hat beantragt festzustellen, dass <strong>der</strong> Begriff <strong>der</strong> „bisherigen<br />

Bezüge“ i. S. v. § 3 Abs. 2 lit. b des Sozialplans zu den Auswirkungen des<br />

Projekts „Retail Kreditgeschäft“ vom 18. Oktober 2006 iVm. § 8 Abs. 2 des<br />

Rationalisierungsschutzabkommens <strong>die</strong> sog. befristete dynamische Ausgleichszulage<br />

erfasst, <strong>die</strong> dem betroffenen Arbeitnehmer zum Zeitpunkt<br />

<strong>der</strong> beabsichtigten Versetzungsmaßnahme gewährt wird.<br />

Die Arbeitgeberin hat beantragt, den Antrag abzuweisen.<br />

Entscheidung<br />

Der Antrag ist unbegründet. Der Betriebsrat hat gegen <strong>die</strong> Arbeitgeberin<br />

keinen Anspruch auf Durchführung des Konzernsozialplans.<br />

Nach § 77 Abs. 1 Satz 1 <strong>BetrVG</strong> führt <strong>der</strong> Arbeitgeber Vereinbarungen zwischen<br />

Betriebsrat und Arbeitgeber, auch soweit sie auf einem Spruch <strong>der</strong><br />

Einigungsstelle beruhen, durch. Diese Vorschrift grenzt nicht nur <strong>die</strong> Kompetenzen<br />

<strong>der</strong> Betriebspartner zueinan<strong>der</strong> ab, indem sie dem Arbeitgeber<br />

<strong>die</strong> alleinige Führung des Betriebs <strong>über</strong>lässt und einseitige Eingriffe des<br />

Betriebsrats in <strong>die</strong> Betriebsführung verbietet, son<strong>der</strong>n sie verpflichtet auch<br />

den Arbeitgeber gegen<strong>über</strong> dem Betriebsrat, solche Vereinbarungen ihrem<br />

Inhalt entsprechend <strong>im</strong> Betrieb anzuwenden. Der Betriebsrat kann daher<br />

vom Arbeitgeber aus <strong>der</strong> betreffenden Betriebsvereinbarung iVm. § 77<br />

Abs. 1 Satz 1 <strong>BetrVG</strong> auch <strong>der</strong>en Durchführung <strong>im</strong> Betrieb verlangen. Dies<br />

gilt gemäß § 112 Abs. 1 Satz 3 <strong>BetrVG</strong> gleichermaßen für Sozialpläne.<br />

Der Anspruch auf Durchführung einer Betriebsvereinbarung aus eigenem<br />

Recht steht grundsätzlich dem Betriebsrat zu, <strong>der</strong> selbst Partei <strong>der</strong> Betriebsvereinbarung<br />

ist. Dieser hat gemeinsam mit dem Arbeitgeber in <strong>der</strong><br />

Betriebsvereinbarung Regelungen geschaffen, <strong>die</strong> gem. § 77 Abs. 4 Satz 1<br />

<strong>BetrVG</strong> für <strong>die</strong> betroffenen Arbeitnehmer unmittelbar und zwingend gelten.<br />

Die mit dem Arbeitgeber erzielte Einigung <strong>über</strong> den Inhalt <strong>der</strong> Betriebsvereinbarung<br />

iVm. § 77 Abs. 1 Satz 1 <strong>BetrVG</strong> gestaltet das Rechtsverhältnis <strong>der</strong><br />

Betriebsparteien und verleiht dem Betriebsrat damit das Recht, von <strong>die</strong>sem<br />

<strong>die</strong> Durchführung gemeinsam vereinbarter Normen verlangen zu können.<br />

Schließt <strong>der</strong> Gesamt- o<strong>der</strong> Konzernbetriebsrat in originärer Zuständigkeit(§<br />

50 Abs. 1, § 58 Abs. 1 <strong>BetrVG</strong>) mit dem Arbeitgeber Gesamt- o<strong>der</strong> Konzernbetriebsvereinbarungen,<br />

hat <strong>der</strong> nicht beteiligte örtliche Betriebsrat aus<br />

eigenem Recht grundsätzlich keinen Anspruch auf Durchführung <strong>der</strong> Gesamt-<br />

o<strong>der</strong> Konzernbetriebsvereinbarung.<br />

Fortsetzung auf nächster Seite »


swp magazin 23<br />

Dieser besitzt in Bezug auf solche Betriebsvereinbarungen nicht <strong>die</strong> durch<br />

<strong>die</strong> Einigung auf einen best<strong>im</strong>mten Norminhalt vermittelte Rechtsposition, <strong>die</strong><br />

dazu berechtigt, vom Arbeitgeber als gemeinsamen Normgeber <strong>die</strong> Durchführung<br />

<strong>der</strong> vereinbarten Regelungen verlangen zu können.<br />

Etwas an<strong>der</strong>es gilt, wenn <strong>die</strong> Betriebsvereinbarung einem nicht an <strong>der</strong>en Abschluss<br />

beteiligten Betriebsrat ausdrücklich eigene Rechte einräumt. Insoweit<br />

kann auch <strong>der</strong> durch eine Betriebsvereinbarung begünstigte Betriebsrat <strong>die</strong><br />

Durchführung <strong>der</strong> entsprechenden Regelungen verlangen. Entsprechendes<br />

gilt bei einer Delegation <strong>der</strong> Regelungsbefugnis. Im Falle <strong>der</strong> Beauftragung<br />

des Gesamtbetriebsrats nach § 50 Abs. 2 <strong>BetrVG</strong> wird <strong>die</strong>ser rechtlich als<br />

Vertreter <strong>der</strong> beauftragenden Einzelbetriebsräte tätig und schließt für <strong>die</strong>se<br />

Einzelbetriebsvereinbarungen. Demzufolge steht in den Fällen <strong>der</strong> Beauftragung<br />

nach § 50 Abs. 2 <strong>BetrVG</strong> auch <strong>der</strong> Durchführungsanspruch den<br />

beauftragenden örtlichen Betriebsräten zu. Wird <strong>der</strong> Konzernbetriebsrat<br />

gem. § 58 Abs. 2 <strong>BetrVG</strong> kraft Beauftragung tätig, handelt er als Vertreter<br />

des beauftragenden Gesamtbetriebsrats. Mit <strong>der</strong> Beauftragung erhält <strong>der</strong><br />

Konzernbetriebsrat lediglich <strong>die</strong> Befugnis, anstelle des Gesamtbetriebsrats<br />

tätig zu werden. Der Durchführungsanspruch steht daher <strong>die</strong>sem zu. Das<br />

gilt ebenso <strong>im</strong> Falle einer Delegation durch den Betriebsrat nach § 50 Abs.<br />

2 iVm. § 54 Abs. 2 <strong>BetrVG</strong>. Fehlt es an einer Normsetzung unter Beteiligung<br />

des örtlichen Betriebsrats ist es auch nicht geboten, ihm zur Vermeidung<br />

einer Schutzlücke einen Durchführungsanspruch aus eigenem Recht zuzuerkennen.<br />

Nach <strong>der</strong> ständigen <strong>Rechtsprechung</strong> des Senats gestalten Gesamt-<br />

o<strong>der</strong> Konzernbetriebsvereinbarungen <strong>die</strong> kollektive Ordnung <strong>der</strong> betreffenden<br />

Betriebe wie Einzelbetriebsvereinbarungen. Führt <strong>der</strong> Arbeitgeber<br />

eine vom Gesamt- o<strong>der</strong> Konzernbetriebsrat in originärer Zuständigkeit abgeschlossene<br />

Gesamt- o<strong>der</strong> Konzernbetriebsvereinbarung nicht durch, steht<br />

<strong>die</strong>sen Betriebsverfassungsorganen ein Durchführungsanspruch zu.<br />

Daneben kann <strong>der</strong> örtliche Betriebsrat <strong>die</strong> Einhaltung <strong>der</strong> durch <strong>die</strong>se Vereinbarungen<br />

gestalteten betriebsverfassungsrechtlichen Ordnung nach § 23<br />

Abs. 3 <strong>BetrVG</strong> erzwingen. Diese Vorschrift begründet in Fällen, in denen <strong>der</strong><br />

Arbeitgeber seine Verpflichtungen aus dem Betriebsverfassungsgesetz grob<br />

verletzt, <strong>die</strong> Antragsbefugnis des Betriebsrats unabhängig von dessen materiellrechtlichen<br />

Positionen.<br />

Es besteht insoweit eine gesetzliche Prozessstandschaft des Betriebsrats. § 23<br />

Abs. 3 Satz 1 <strong>BetrVG</strong> <strong>die</strong>nt dazu, ein gesetzmäßiges Verhalten des Arbeitgebers<br />

<strong>im</strong> Rahmen <strong>der</strong> betriebsverfassungsrechtlichen Ordnung sicherzustellen.<br />

Ein Durchführungsanspruch des Betriebsrats aus eigenem Recht ergibt<br />

sich auch nicht aus § 80 Abs. 1 <strong>BetrVG</strong>. Nach <strong>die</strong>ser Best<strong>im</strong>mung kann <strong>der</strong><br />

Betriebsrat den Arbeitgeber zur Einhaltung <strong>der</strong> zugunsten <strong>der</strong> Arbeitnehmer<br />

geltenden Schutzvorschriften auffor<strong>der</strong>n. Das Überwachungsrecht des<br />

Betriebsrats ist darauf beschränkt, eine Nichtbeachtung o<strong>der</strong> fehlerhafte<br />

Durchführung <strong>der</strong> Vorschriften be<strong>im</strong> Arbeitgeber zu beanstanden und auf<br />

Abhilfe zu drängen. Aus <strong>der</strong> Aufgabe des Betriebsrats, <strong>die</strong> Einhaltung von<br />

Schutzvorschriften zugunsten <strong>der</strong> Arbeitnehmer zu <strong>über</strong>wachen, folgen<br />

indes keine eigenen Durchführungsansprüche.<br />

Aus dem durch <strong>die</strong> Bildung des Betriebsrats kraft Gesetzes zustande gekommenen<br />

„Betriebsverhältnis“ und den sich aus § 2 Abs. 1 <strong>BetrVG</strong> ergebenden<br />

wechselseitigen Rücksichtspflichten kann auch kein Anspruch auf<br />

Durchführung einer Betriebsvereinbarung hergeleitet werden, <strong>die</strong> <strong>der</strong> Betriebsrat<br />

nicht selbst abgeschlossen hat.<br />

Die Rechtsbeziehungen zwischen Arbeitgeber und Betriebsrat werden durch<br />

<strong>die</strong> Rechte und Pflichten best<strong>im</strong>mt, <strong>die</strong> in den einzelnen Mitwirkungstatbeständen<br />

normiert sind, sowie durch wechselseitige Rücksichtspflichten, <strong>die</strong><br />

sich aus § 2 <strong>BetrVG</strong> ergeben. Bei <strong>der</strong> Wertung <strong>der</strong> <strong>im</strong> Gesetz vorgesehenen<br />

Rechte kann daher aus dem allgemeinen Gebot <strong>der</strong> vertrauensvollen Zusammenarbeit<br />

als Nebenpflicht grundsätzlich auch das Gebot abgeleitet<br />

werden, alles zu unterlassen, was <strong>der</strong> Wahrnehmung des konkreten Mitbest<strong>im</strong>mungsrechts<br />

entgegensteht. Zur Wahrnehmung und Durchsetzung <strong>der</strong><br />

betrieblichen Mitbest<strong>im</strong>mung ist es nicht erfor<strong>der</strong>lich, einem nicht am Abschluss<br />

einer Gesamt- o<strong>der</strong> Konzernbetriebsvereinbarung iSd. § 50 Abs. 1, §<br />

58 Abs. 1 <strong>BetrVG</strong> beteiligten Betriebsrat eines Unternehmens o<strong>der</strong> Konzerns<br />

einen Durchführungsanspruch aus eigenem Recht einzuräumen.<br />

Fortsetzung auf nächster Seite »


swp magazin 24<br />

D Dem steht bereits entgegen, dass <strong>der</strong> örtliche Betriebsrat in den Fällen <strong>der</strong><br />

originären Zuständigkeit des Gesamt- o<strong>der</strong> Konzernbetriebsrats nicht selbst<br />

Träger des Mitbest<strong>im</strong>mungsrechts ist. Die Mitbest<strong>im</strong>mungsrechte werden in<br />

<strong>die</strong>sen Fällen durch <strong>die</strong> dem jeweiligen Gesamt- o<strong>der</strong> Konzernbetriebsrat<br />

zustehenden Durchführungsansprüche gesichert, <strong>die</strong> betriebsverfassungsrechtliche<br />

Ordnung wird durch § 23 Abs. 3 <strong>BetrVG</strong> gewahrt.<br />

In Anwendung <strong>die</strong>ser Rechtsgrundsätze besteht kein Anspruch des Betriebsrats<br />

L auf Durchführung des Konzernsozialplans. Er war an dessen Zustandekommen<br />

nicht beteiligt. Ein Anspruch aus § 23 Abs. 3 <strong>BetrVG</strong> kommt<br />

ebenfalls nicht in Betracht. Der Betriebsrat hat sich we<strong>der</strong> auf ein grob betriebsverfassungsrechtliches<br />

Verhalten <strong>der</strong> Arbeitgeberin berufen noch sind<br />

Anhaltspunkte hierfür vorgetragen.<br />

c. Tarifwidrige Betriebsvereinbarung und gewerkschaftlicher Beseitigungsanspruch<br />

Bundesarbeitsgericht, Urteil vom 17. Mai 2011 - 1<br />

AZR 473/09<br />

Kurzzusammenfassung:<br />

Arbeitsentgelte und sonstige Arbeitsbedingungen, <strong>die</strong> durch Tarifvertrag geregelt<br />

sind, dürfen nicht Gegenstand einer Betriebsvereinbarung sein. Eine<br />

solche Vereinbarung beeinträchtigt <strong>die</strong> durch Art. 9 Abs. 3 GG geschützte<br />

kollektive Koalitionsfreiheit <strong>der</strong> tarifschließenden Gewerkschaft. Diese kann<br />

von einem tarifgebundenen Arbeitgeber verlangen, <strong>die</strong> Anwendung einer<br />

gegen den Tarifvertrag verstoßenden Betriebsvereinbarung zu unterlassen.<br />

Die Gewerkschaft hat jedoch keinen eigenen Anspruch darauf, dass <strong>der</strong><br />

Arbeitgeber Entgeltnachteile ausgleicht, <strong>die</strong> Arbeitnehmern aufgrund einer<br />

tarifwidrigen Betriebsvereinbarung entstanden sind.<br />

Die Rechtsvorgängerin <strong>der</strong> Beklagten war Mitglied in einem Arbeitgeberverband<br />

<strong>der</strong> Metall- und Elektroindustrie. Sie wandte in ihrem Betrieb <strong>die</strong> zwischen<br />

<strong>die</strong>sem Verband und <strong>der</strong> IG Metall geschlossenen Tarifverträge an.<br />

Danach betrug <strong>die</strong> regelmäßige wöchentliche Arbeitszeit 35 Stunden. In<br />

einer Anfang 2006 in Kraft getretenen Betriebsvereinbarung wurde eine<br />

Erhöhung <strong>der</strong> Wochenarbeitszeit auf 40 Stunden geregelt und als Ausgleich<br />

hierfür ein Anspruch auf einen leistungs- und erfolgsabhängigen Bonus<br />

vereinbart. Anfang August 2008 wurde <strong>die</strong> Betriebsvereinbarung aufgehoben.<br />

Mit ihrer Klage verlangt <strong>die</strong> IG Metall von <strong>der</strong> Beklagten, <strong>die</strong> von <strong>der</strong>en<br />

Rechtsvorgängerin verursachte Beeinträchtigung <strong>der</strong> kollektiven Koalitionsfreiheit<br />

dadurch zu beseitigen, dass sie den Arbeitnehmern individuell anbietet,<br />

<strong>die</strong> <strong>über</strong> <strong>die</strong> tarifliche Wochenarbeitszeit von 35 Stunden hinaus geleistete<br />

Arbeitszeit abzugelten.<br />

Die Vorinstanzen haben <strong>die</strong> Klage abgewiesen. Die Revision <strong>der</strong> Klägerin<br />

hatte vor dem Ersten Senat des Bundesarbeitsgerichts keinen Erfolg. Der<br />

Eingriff in <strong>die</strong> durch Art. 9 Abs. 3 GG geschützte Betätigungsfreiheit <strong>der</strong><br />

Gewerkschaft liegt nicht in <strong>der</strong> Vorenthaltung tariflicher Leistungen, son<strong>der</strong>n<br />

<strong>im</strong> Abschluss <strong>der</strong> tarifwidrigen Betriebsvereinbarung. Mit <strong>der</strong>en Aufhebung<br />

endet <strong>die</strong> Beeinträchtigung <strong>der</strong> kollektiven Koalitionsfreiheit. Für den davor<br />

liegenden Zeitraum kann <strong>die</strong> Gewerkschaft nicht den Ausgleich <strong>der</strong> den Arbeitnehmern<br />

entstandenen Entgeltnachteile als Schadensersatz verlangen.<br />

d. Ordnungsmittel bei mitbest<strong>im</strong>mungswidrigem Verhalten des<br />

Arbeitgebers Bundesarbeitsgericht, Beschluss vom 5.10.2010,<br />

1 ABR 71/09<br />

Leitsätze<br />

Im arbeitsgerichtlichen Beschlussverfahren kann zur Durchsetzung einer Unterlassungsverpflichtung<br />

gegen den Arbeitgeber nicht Ordnungshaft für den<br />

Fall angedroht und verhängt werden, dass ein festgesetztes Ordnungsgeld<br />

nicht beigetrieben werden kann.<br />

Fortsetzung auf nächster Seite »


swp magazin 25<br />

Sachverhalt<br />

Die Beteiligten streiten dar<strong>über</strong>, ob <strong>der</strong> Arbeitgeberin zur Durchsetzung<br />

einer vom Betriebsrat erlangten gerichtlichen Unterlassungsverpflichtung<br />

Ordnungshaft angedroht werden kann.<br />

Bei <strong>der</strong> Arbeitgeberin gilt eine Betriebsvereinbarung zur Arbeitszeit, <strong>die</strong> best<strong>im</strong>mt,<br />

dass <strong>die</strong> Arbeitnehmer ihre Anwesenheitszeiten an den <strong>im</strong> Betrieb<br />

aufgestellten Terminals zu erfassen haben. Nachdem zwischen den Beteiligten<br />

Streit dar<strong>über</strong> entstanden war, ob auch Mitarbeiter mit einem erheblichen<br />

Anteil reisen<strong>der</strong> Tätigkeit an <strong>der</strong> Zeiterfassung teilnehmen müssen,<br />

leitete <strong>der</strong> Betriebsrat ein Beschlussverfahren ein. Er hat beantragt,<br />

1.<br />

<strong>der</strong> Arbeitgeberin aufzugeben, es zu unterlassen, während <strong>der</strong> Geltung <strong>der</strong><br />

Betriebsvereinbarung „<strong>Jahre</strong>sarbeitszeit“ vom 7. September 2000 Mitarbeiter<br />

ohne Zust<strong>im</strong>mung des Betriebsrats aus <strong>der</strong> Zeiterfassung herauszunehmen,<br />

es sei denn, es handelt sich hierbei um leitende Angestellte <strong>im</strong> Sinne von<br />

§ 5 Abs. 3 <strong>BetrVG</strong>;<br />

2.<br />

für den Fall <strong>der</strong> Zuwi<strong>der</strong>handlung gegen <strong>die</strong> Verpflichtung zu Ziffer 1 <strong>der</strong><br />

Arbeitgeberin ein Ordnungsgeld bis zu 10.000,00 Euro anzudrohen, und für<br />

den Fall, dass <strong>die</strong>ses nicht beigetrieben werden kann, Ordnungshaft, zu vollziehen<br />

an den Geschäftsführern T D und Y F.<br />

Die Arbeitgeberin hat beantragt, <strong>die</strong> Anträge abzuweisen.<br />

Arbeitsgericht und Landesarbeitsgericht haben den Anträgen des Betriebsrates<br />

stattgegeben. Auf <strong>die</strong> Nichtzulassungsbeschwerde <strong>der</strong> Arbeitgeberin<br />

hat <strong>der</strong> Senat <strong>die</strong> Rechtsbeschwerde zugelassen, soweit sich <strong>die</strong> Arbeitgeberin<br />

gegen <strong>die</strong> Androhung <strong>der</strong> Ordnungshaft wendet.<br />

Entscheidung<br />

Die Rechtsbeschwerde <strong>der</strong> Arbeitgeberin ist begründet.<br />

Im Rahmen des Rechtsbeschwerdeverfahrens ist nur zu prüfen, ob <strong>die</strong> <strong>im</strong><br />

Beschluss des Landesarbeitsgerichts erfolgte Androhung von Ordnungshaft<br />

zu Recht erfolgt ist. Im Übrigen ist <strong>die</strong> Entscheidung des Landesarbeitsgerichts<br />

rechtskräftig und damit einer rechtsbeschwer<strong>der</strong>echtlichen Überprüfung<br />

entzogen.<br />

Die Androhung von Ordnungshaft ist zu Unrecht erfolgt. Zwar sieht <strong>der</strong><br />

gemäß § 85 Abs. 1 Satz 3 ArbGG auch <strong>im</strong> arbeitsgerichtlichen Beschlussverfahren<br />

anwendbare § 890 Abs. 1 ZPO vor, dass für den Fall, dass ein<br />

Ordnungsgeld nicht beigetrieben werden kann, Ordnungshaft verhängt werden<br />

kann. Diese Möglichkeit scheidet jedoch nach <strong>der</strong> in § 85 Abs.1 Satz 3<br />

ArbGG enthaltenen Maßgabe als Sanktion gegen<strong>über</strong> einem grob betriebsverfassungswidrigen<br />

Verhalten eines Arbeitgebers (§ 23 Abs. 3 <strong>BetrVG</strong>) von<br />

Gesetzes wegen aus. Diese spezialgesetzliche Beschränkung von Zwangsmaßnahmen<br />

ist zur Vermeidung von Wertungswi<strong>der</strong>sprüchen auch bei <strong>der</strong><br />

Durchsetzung des allgemeinen Unterlassungsanspruchs des Betriebsrats<br />

zu beachten, <strong>der</strong> <strong>im</strong> Gegensatz zu dem auf § 23 Abs. 3 <strong>BetrVG</strong> beruhenden<br />

Unterlassungsanspruch nicht einmal einen groben Pflichtenverstoß des Arbeitgebers<br />

verlangt.<br />

Da <strong>die</strong> Zwangsmaßnahmen bei einer „einfachen“ Verletzung betriebsverfassungsrechtlicher<br />

Pflichten nicht weitgehen<strong>der</strong> sein können als bei einer<br />

groben Pflichtverletzung des Arbeitgebers, ist <strong>die</strong> für § 23 Abs. 3 <strong>BetrVG</strong><br />

geltende Beschränkung auch be<strong>im</strong> allgemeinen Unterlassungsanspruch zu<br />

beachten. Für den aus dem Durchführungsanspruch nach § 77 Abs. 1<br />

<strong>BetrVG</strong> folgenden Unterlassungsanspruch gilt nichts an<strong>der</strong>es.<br />

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swp magazin 26<br />

7. Zu §§ 99 ff. <strong>BetrVG</strong> – Personelle Einzelmaßnahmen<br />

Recht zur Zust<strong>im</strong>mungsverweigerung bei Verstoß des Arbeitgebers<br />

gegen § 81 Abs. 1 Satz 1 und 2 SGB IX<br />

BAG, Beschluss vom 23.06.2010, Az. 7 ABR 3/09<br />

Sachverhalt<br />

Die Beteiligten streiten <strong>über</strong> <strong>die</strong> Ersetzung <strong>der</strong> Zust<strong>im</strong>mung des Betriebsrats<br />

zur Einstellung eines Leiharbeitnehmers.<br />

Die Antragstellerin, <strong>die</strong> B GmbH & Co. KG, betrieb in B einen Zeitungsverlag<br />

sowie eine Druckerei. Für Verlag und Druckerei war ein Betriebsrat gebildet.<br />

Am 25. April 2007 schrieb <strong>die</strong> Antragstellerin <strong>die</strong> Stelle des Leiters <strong>der</strong> mechanischen<br />

Werkstatt in dem internen Stellenmarkt aus. Nachdem sich aus<br />

<strong>der</strong> Belegschaft niemand um <strong>die</strong> Stelle beworben hatte, schaltete <strong>die</strong> Antragstellerin<br />

<strong>die</strong> DV GmbH & Co. KG zwecks Überlassung eines Leiharbeitnehmers<br />

ein. Mit Schreiben vom 18. Juli 2007 unterrichtete <strong>die</strong> vormalige<br />

Antragstellerin den Betriebsrat <strong>über</strong> <strong>die</strong> beabsichtigte unbefristete Einstellung<br />

des Leiharbeitnehmers J <strong>der</strong> DV ab dem 1. August 2007 als Leiter <strong>der</strong><br />

mechanischen Werkstatt zu den bei <strong>der</strong> DV geltenden tariflichen Best<strong>im</strong>mungen.<br />

Mit Hausmitteilung vom 26. Juli 2007 wi<strong>der</strong>sprach <strong>der</strong> Betriebsrat<br />

<strong>der</strong> Einstellung. Er machte ua. geltend, nicht ordnungsgemäß von <strong>der</strong><br />

beabsichtigten Einstellung unterrichtet worden zu sein; außerdem verstoße<br />

<strong>die</strong> Einstellung des Leiharbeitnehmers J gegen § 81 Abs. 1 SGB IX, da <strong>die</strong><br />

Arbeitgeberin nicht geprüft habe, ob <strong>die</strong> Stelle mit einem schwerbehin<strong>der</strong>ten<br />

Arbeitnehmer besetzt werden könne. Mit Schreiben vom 30. Juli 2007 unterrichtete<br />

<strong>die</strong> vormalige Antragstellerin den Betriebsrat dar<strong>über</strong>, dass <strong>die</strong> vorläufige<br />

Einstellung des Herrn J zum 1. August 2007 dringend erfor<strong>der</strong>lich sei.<br />

Dies bestritt <strong>der</strong> Betriebsrat mit <strong>der</strong> Hausmitteilung vom 1. August 2007.<br />

Mit ihrem Antrag hat <strong>die</strong> Antragstellerin <strong>die</strong> Ersetzung <strong>der</strong> Zust<strong>im</strong>mung des<br />

Betriebsrats zur Einstellung des Leiharbeitnehmers J und <strong>die</strong> Feststellung<br />

<strong>der</strong> dringenden Erfor<strong>der</strong>lichkeit <strong>der</strong> personellen Maßnahme begehrt.<br />

Die Antragstellerin hat beantragt, <strong>die</strong> vom Betriebsrat mit Hausmitteilung<br />

vom 26. Juli 2007 verweigerte Zust<strong>im</strong>mung zur Einstellung von Herrn J zu<br />

ersetzen.<br />

Der Betriebsrat hat <strong>die</strong> Abweisung des Antrags beantragt.<br />

Das Arbeitsgericht hat dem Antrag entsprochen. Das Landesarbeitsgericht<br />

hat <strong>die</strong> Beschwerde des Betriebsrats zurückgewiesen. Dagegen richtet sich<br />

<strong>die</strong> Rechtsbeschwerde des Betriebsrats, mit <strong>der</strong> er weiterhin <strong>die</strong> Abweisung<br />

des Antrags begehrt.<br />

Entscheidung<br />

Die Rechtsbeschwerde des Betriebsrats ist begründet. Das Landesarbeitsgericht<br />

hat dem Antrag <strong>der</strong> Arbeitgeberin, <strong>die</strong> Zust<strong>im</strong>mung des Betriebsrats<br />

zur Einstellung von J zu ersetzen, zu Unrecht stattgegeben. Der Antrag ist<br />

unbegründet. Der Betriebsrat hat seine Zust<strong>im</strong>mung zur Einstellung des<br />

Leiharbeitnehmers J zu Recht nach § 99 Abs. 2 Nr. 1 <strong>BetrVG</strong> verweigert, da<br />

<strong>die</strong> Arbeitgeberin gegen ihre Pflichten aus § 81 Abs. 1 Satz 1 und 2 SGB IX<br />

verstoßen hat.<br />

Der Antrag ist zulässig. Die Arbeitgeberin hat ein Rechtsschutzbedürfnis an<br />

<strong>der</strong> begehrten Ersetzung <strong>der</strong> Zust<strong>im</strong>mung des Betriebsrats zur Einstellung<br />

des Leiharbeitnehmers J. Diese gilt nicht nach § 99 Abs. 3 Satz 2 <strong>BetrVG</strong> als<br />

erteilt. Der Betriebsrat hat <strong>der</strong> Einstellung form- und fristgerecht unter Berufung<br />

auf § 99 Abs. 2 Nr. 1 <strong>BetrVG</strong> wi<strong>der</strong>sprochen.<br />

Nach § 99 Abs. 3 Satz 1 <strong>BetrVG</strong> hat <strong>der</strong> Betriebsrat dem Arbeitgeber <strong>die</strong><br />

Verweigerung <strong>der</strong> Zust<strong>im</strong>mung zur Einstellung eines Arbeitnehmers innerhalb<br />

einer Woche nach <strong>der</strong> Unterrichtung durch den Arbeitgeber unter<br />

Angabe von Gründen schriftlich mitzuteilen.<br />

Fortsetzung auf nächster Seite »


swp magazin 27<br />

Geht dem Arbeitgeber innerhalb <strong>der</strong> Frist keine ordnungsgemäße Zust<strong>im</strong>mungsverweigerung<br />

zu, gilt <strong>die</strong> Zust<strong>im</strong>mung nach § 99 Abs. 3 Satz 2 <strong>BetrVG</strong><br />

als erteilt.<br />

Der Betriebsrat hat <strong>der</strong> beabsichtigten Einstellung des Leiharbeitnehmers<br />

J form- und fristgerecht wi<strong>der</strong>sprochen. Das Landesarbeitsgericht hat zwar<br />

offengelassen, ob <strong>die</strong> Zust<strong>im</strong>mungsverweigerung innerhalb <strong>der</strong> Wochenfrist<br />

des § 99 Abs. 3 Satz 1 <strong>BetrVG</strong> erklärt wurde. Der Senat kann hier<strong>über</strong> jedoch<br />

selbst entscheiden, da <strong>die</strong> dazu erfor<strong>der</strong>lichen Tatsachen festgestellt<br />

und unstreitig sind. Der Betriebsrat hat sowohl mit Schriftsatz vom 25. Oktober<br />

2007 als auch in <strong>der</strong> Rechtsbeschwerdebegründung vorgetragen, <strong>die</strong><br />

Hausmitteilung <strong>der</strong> Arbeitgeberin vom 18. Juli 2007, mit <strong>der</strong> <strong>die</strong>se <strong>die</strong> Zust<strong>im</strong>mung<br />

zur Einstellung des Leiharbeitnehmers J beantragt hatte, am 19.<br />

Juli 2007 erhalten zu haben. Dieses Vorbringen hat <strong>die</strong> Arbeitgeberin nicht<br />

bestritten, so dass als Zugangsdatum <strong>der</strong> 19. Juli 2007 zugrunde zu legen<br />

ist. Damit war <strong>die</strong> Zust<strong>im</strong>mungsverweigerung vom 26. Juli 2007 rechtzeitig.<br />

Sie genügte auch <strong>im</strong> Übrigen den Anfor<strong>der</strong>ungen des § 99 Abs. 3 Satz 1<br />

<strong>BetrVG</strong>, da sie schriftlich erfolgte und ausreichend Zust<strong>im</strong>mungsverweigerungsgründe<br />

iSv. § 99 Abs. 2 <strong>BetrVG</strong> bezeichnet.<br />

Der Betriebsrat hat <strong>die</strong> Zust<strong>im</strong>mung zur Einstellung des Leiharbeitnehmers J<br />

zu Recht verweigert, da <strong>die</strong> Arbeitgeberin gegen ihre Pflichten aus § 81 Abs.<br />

1 Satz 1 und 2 SGB IX verstoßen hat. Die Arbeitgeberin hat vor <strong>der</strong> Einstellung<br />

des Leiharbeitnehmers J nicht geprüft, ob <strong>die</strong> Stelle mit einem schwerbehin<strong>der</strong>ten<br />

Menschen besetzt werden kann. Dies begründet ein Zust<strong>im</strong>mungsverweigerungsrecht<br />

des Betriebsrats nach § 99 Abs. 2 Nr. 1 <strong>BetrVG</strong>.<br />

Nach § 99 Abs. 2 Nr. 1 <strong>BetrVG</strong> kann <strong>der</strong> Betriebsrat <strong>die</strong> Zust<strong>im</strong>mung zu<br />

einer vom Arbeitgeber beabsichtigten personellen Einzelmaßnahme verweigern,<br />

wenn <strong>die</strong>se gegen ein Gesetz verstoßen würde. Nach ständiger <strong>Rechtsprechung</strong><br />

gilt <strong>die</strong>s nur, wenn <strong>die</strong> Maßnahme selbst gegen ein Gesetz, einen<br />

Tarifvertrag o<strong>der</strong> eine sonstige Norm verstößt. Dazu muss es sich nicht um<br />

ein Verbotsgesetz <strong>im</strong> technischen Sinne handeln, das unmittelbar <strong>die</strong> Unwirksamkeit<br />

<strong>der</strong> Maßnahme herbeiführt. Es muss nur hinreichend deutlich<br />

zum Ausdruck kommen, dass <strong>der</strong> Zweck <strong>der</strong> betreffenden Norm darin besteht,<br />

<strong>die</strong> personelle Maßnahme selbst zu verhin<strong>der</strong>n.<br />

Ein Verstoß des Arbeitgebers gegen seine Pflichten aus § 81 Abs. 1 Satz 1<br />

und 2 SGB IX begründet bei Einstellungen ein Zust<strong>im</strong>mungsverweigerungsrecht<br />

des Betriebsrats nach § 99 Abs. 2 Nr. 1 <strong>BetrVG</strong>.<br />

Nach § 81 Abs. 1 Satz 1 SGB IX sind <strong>die</strong> Arbeitgeber verpflichtet zu prüfen,<br />

ob freie Arbeitsplätze mit schwerbehin<strong>der</strong>ten Menschen, insbeson<strong>der</strong>e mit<br />

solchen, <strong>die</strong> bei <strong>der</strong> Agentur für Arbeit arbeitslos o<strong>der</strong> arbeitssuchend gemeldet<br />

sind, besetzt werden können. Zweck <strong>der</strong> Prüfungspflicht ist es, <strong>die</strong><br />

Einstellung und Beschäftigung schwerbehin<strong>der</strong>ter Menschen zu för<strong>der</strong>n. Die<br />

Prüfungspflicht wird konkretisiert durch <strong>die</strong> in § 81 Abs. 1 Satz 2 SGB IX normierte<br />

Verpflichtung des Arbeitgebers, frühzeitig Verbindung mit <strong>der</strong> Agentur<br />

für Arbeit aufzunehmen. Dadurch wird <strong>der</strong> Agentur für Arbeit o<strong>der</strong> einem<br />

Integrationsfach<strong>die</strong>nst <strong>die</strong> Möglichkeit eröffnet, dem Arbeitgeber geeignete<br />

schwerbehin<strong>der</strong>te Menschen vorzuschlagen. Ein Arbeitgeber verstößt gegen<br />

seine Pflichten, wenn er auf einen freien Arbeitsplatz einen nicht schwerbehin<strong>der</strong>ten<br />

Menschen einstellt, ohne geprüft zu haben, ob <strong>der</strong> Arbeitsplatz mit<br />

einem schwerbehin<strong>der</strong>ten Menschen besetzt werden könnte.<br />

Die Einstellung des nicht schwerbehin<strong>der</strong>ten Menschen verstößt in <strong>die</strong>sem<br />

Fall gegen ein Gesetz iSd. § 99 Abs. 2 Nr. 1 <strong>BetrVG</strong>. Sie verstößt zwar als<br />

solche nicht gegen ein Beschäftigungsverbot. Der nach § 81 Abs. 1 Satz 1<br />

und 2 SGB IX verfolgte Zweck kann aber nur dadurch erreicht werden, dass<br />

<strong>die</strong> endgültige Einstellung des nicht schwerbehin<strong>der</strong>ten Menschen jedenfalls<br />

zunächst unterbleibt. Durch <strong>die</strong> Einstellung eines nicht schwerbehin<strong>der</strong>ten<br />

Menschen verwirklichen sich für <strong>die</strong> Gruppe <strong>der</strong> schwerbehin<strong>der</strong>ten Menschen<br />

in typischer Weise <strong>die</strong> mit ihrer Schwerbehin<strong>der</strong>ung verbundenen erhöhten<br />

Schwierigkeiten bei <strong>der</strong> Arbeitsplatzsuche, <strong>die</strong> durch <strong>die</strong> in § 81 Abs.<br />

1 Satz 1 und 2 SGB IX normierte Prüf- und Konsultationspflicht gemin<strong>der</strong>t<br />

werden sollen. Die Einstellung eines nicht schwerbehin<strong>der</strong>ten Arbeitnehmers<br />

stellt sich als potentielle Benachteiligung <strong>der</strong> Gruppe arbeitsloser schwerbehin<strong>der</strong>ter<br />

Menschen dar und kann damit das Benachteiligungsverbot des § 7<br />

Abs. 1 AGG iVm. § 1 AGG verletzen.<br />

Fortsetzung auf nächster Seite »


swp magazin 28<br />

Diese Grundsätze gelten auch, wenn <strong>der</strong> Arbeitgeber beabsichtigt, einen<br />

freien Arbeitsplatz nicht mit einem eigenen Vertragsarbeitnehmer, son<strong>der</strong>n<br />

mit einem Leiharbeitnehmer zu besetzen.<br />

Auch in <strong>die</strong>sem Fall besteht <strong>die</strong> Prüfungspflicht des Arbeitgebers nach § 81<br />

Abs. 1 Satz 1 SGB IX. Dafür spricht bereits <strong>der</strong> Wortlaut des § 81 Abs. 1<br />

Satz 1 SGB IX. Die Vorschrift enthält insoweit keine Einschränkung. Voraussetzung<br />

für <strong>die</strong> Prüfpflicht des Arbeitgebers ist allein <strong>die</strong> beabsichtigte Besetzung<br />

eines freien Arbeitsplatzes. Darum handelt es sich auch, wenn ein frei<br />

werden<strong>der</strong> o<strong>der</strong> neu geschaffener Arbeitsplatz mit einem Leiharbeitnehmer<br />

besetzt werden soll. Diese Auslegung entspricht Sinn und Zweck <strong>der</strong> in § 81<br />

Abs. 1 Satz 1 und 2 SGB IX normierten Prüf- und Konsultationspflicht. Deren<br />

Befolgung durch den Arbeitgeber soll es noch nicht <strong>im</strong> Betrieb beschäftigten<br />

schwerbehin<strong>der</strong>ten Menschen ermöglichen, sich um freie Arbeitsplätze zu<br />

bewerben und dadurch ihre Einstellungschancen zu verbessern. Das ist<br />

auch dann nicht von vornherein ausgeschlossen, wenn <strong>der</strong> Arbeitgeber<br />

beabsichtigt, einen freien Arbeitsplatz mit einem Leiharbeitnehmer zu besetzen.<br />

Der Leiharbeitnehmer wird zwar <strong>im</strong> Regelfall von dem Verleiher dem<br />

Arbeitgeber zur Verfügung gestellt, ohne dass <strong>die</strong>ser selbst eine Auswahlentscheidung<br />

trifft o<strong>der</strong> an einer solchen beteiligt wird. Es ist jedoch möglich,<br />

dass <strong>der</strong> Arbeitgeber nach einer § 81 Abs. 1 Satz 1 und 2 SGB IX entsprechenden<br />

Prüfung von <strong>der</strong> zunächst beabsichtigten Besetzung des Arbeitsplatzes<br />

mit einem Leiharbeitnehmer Abstand n<strong>im</strong>mt und stattdessen einen<br />

geeigneten schwerbehin<strong>der</strong>ten Bewerber selbst einstellt.<br />

Eine Verletzung <strong>der</strong> nach § 81 Abs. 1 Satz 1 und 2 SGB IX bestehenden<br />

Prüf- und Konsultationspflicht durch den Arbeitgeber berechtigt den Betriebsrat<br />

auch bei <strong>der</strong> Einstellung eines Leiharbeitnehmers zur Verweigerung <strong>der</strong><br />

Zust<strong>im</strong>mung nach § 99 Abs. 2 Nr. 1 <strong>BetrVG</strong>. Dem steht nicht entgegen, dass<br />

ein Verstoß des Arbeitgebers gegen seine Pflichten aus § 81 Abs. 1 Satz 1<br />

und 2 SGB IX bei Versetzungen ein Zust<strong>im</strong>mungsverweigerungsrecht des<br />

Betriebsrats nach § 99 Abs. 2 Nr. 1 <strong>BetrVG</strong> nicht begründet.<br />

Durch <strong>die</strong> Versetzung eines bereits <strong>im</strong> Betrieb beschäftigten Arbeitnehmers<br />

auf einen frei gewordenen o<strong>der</strong> neu geschaffenen Arbeitsplatz verwirklichen<br />

sich für arbeitslose schwerbehin<strong>der</strong>te Menschen nicht <strong>die</strong> mit <strong>der</strong> Schwerbehin<strong>der</strong>ung<br />

verbundenen erhöhten Schwierigkeiten bei <strong>der</strong> Suche nach<br />

einem Arbeitsplatz. Die schwerbehin<strong>der</strong>ten Menschen konkurrieren nicht<br />

mit an<strong>der</strong>en, nicht schwerbehin<strong>der</strong>ten externen Bewerbern, son<strong>der</strong>n sind<br />

wie <strong>die</strong>se zu Gunsten schon <strong>im</strong> Betrieb beschäftigter Arbeitnehmer von <strong>der</strong><br />

Stellenbesetzung von vornherein ausgeschlossen. Außerdem wird durch <strong>die</strong><br />

Versetzung eines bereits beschäftigten, nicht schwerbehin<strong>der</strong>ten Menschen<br />

dem Arbeitsmarkt kein zur Verfügung stehen<strong>der</strong> Arbeitsplatz zu Lasten <strong>der</strong><br />

Gruppe <strong>der</strong> schwerbehin<strong>der</strong>ten Menschen „entzogen“.<br />

Demgegen<strong>über</strong> wird bei <strong>der</strong> Einstellung eines Leiharbeitnehmers <strong>der</strong> frei<br />

gewordene o<strong>der</strong> neu geschaffene Arbeitsplatz mit einem externen, bislang<br />

noch nicht <strong>im</strong> Betrieb beschäftigten Arbeitnehmer besetzt. Der Arbeitgeber<br />

trifft zwar bei <strong>der</strong> Besetzung eines Arbeitsplatzes mit einem Leiharbeitnehmer<br />

in <strong>der</strong> Regel keine Auswahlentscheidung, da <strong>der</strong> Leiharbeitnehmer vom<br />

Verleiher ausgewählt und dem Arbeitgeber zur Arbeitsleistung <strong>über</strong>lassen<br />

wird. Gleichwohl vollzieht sich <strong>die</strong> Besetzung des freien Arbeitsplatzes - an<strong>der</strong>s<br />

als bei einer Versetzung - nicht ausschließlich betriebsintern. Vielmehr<br />

wird dem Arbeitsmarkt ein an sich zur Verfügung stehen<strong>der</strong> Arbeitsplatz<br />

zu Lasten <strong>der</strong> Gruppe <strong>der</strong> schwerbehin<strong>der</strong>ten Menschen „entzogen“, ohne<br />

dass <strong>die</strong>se zuvor <strong>die</strong> Gelegenheit erhalten haben, sich um den mit einem<br />

Externen zu besetzenden Arbeitsplatz zu bewerben. Dies wi<strong>der</strong>spricht dem<br />

Zweck des § 81 Abs. 1 Satz 1 und 2 SGB IX. Die Einstellung eines Leiharbeitnehmers<br />

hat daher zu unterbleiben, solange <strong>der</strong> Arbeitgeber seiner Prüfund<br />

Konsultationspflicht aus § 81 Abs. 1 Satz 1 und 2 SGB IX nicht nachgekommen<br />

ist.<br />

Fortsetzung auf nächster Seite »


swp magazin 29<br />

8. §§ 106 ff. <strong>BetrVG</strong> - Wirtschaftsausschuss<br />

Durchsetzung des Unterrichtungsanspruch des WA<br />

Landesarbeitsgericht Hamm, Beschluss vom 30.04.2010, Az.<br />

13 TaBV 94/09<br />

Sachverhalt<br />

Die Beteiligten streiten um <strong>die</strong> Wirksamkeit eines Einigungsstellenspruchs.<br />

Der Betriebsrat <strong>im</strong> Unternehmen <strong>der</strong> Arbeitgeberin, <strong>die</strong> ca. 180 Arbeitnehmer<br />

beschäftigt, leitete unter dem Aktenzeichen 1 BV 73/08 vor dem Arbeitsgericht<br />

Detmold ein Verfahren ein, in dem er <strong>die</strong> Einsetzung einer Einigungsstelle<br />

„<strong>über</strong> eine nicht rechtzeitige und unvollständige Unterrichtung des<br />

Wirtschaftsausschusses <strong>über</strong> wirtschaftliche Angelegenheiten“ erstrebte.<br />

Am 14.11.2008 einigte man sich vergleichsweise u.a. auf folgende Regelung:<br />

„… Es wird eine Einigungsstelle gebildet mit dem Vorsitzenden Richter am<br />

Landesarbeitsgericht P2 S5 <strong>über</strong> eine nicht rechtzeitige und unvollständige<br />

Unterrichtung des Wirtschaftsausschusses <strong>über</strong> wirtschaftliche Angelegenheiten<br />

des Unternehmens“.<br />

In dem anschließenden Einigungsstellenverfahren beantragte <strong>der</strong> Betriebsrat,<br />

1. Die Arbeitgeberin zu verpflichten, den Wirtschaftsausschuss <strong>über</strong> <strong>die</strong><br />

<strong>der</strong> C1 zur Verfügung gestellten Reporting-Zahlen und BWAs für <strong>die</strong><br />

Monate November und Dezember 2008 sowie Januar 2009, bestehend<br />

mindestens aus den Aufstellungen und Berechnungen<br />

» Vorläufige GuV und vorläufige Bilanz zum jeweiligen Monatsende<br />

» Absatzergebnisse einschließlich Auftragsbestand und Auftragseingang<br />

zum Monatsende<br />

» Vorläufige Umsatzergebnisse zum jeweiligen Monatsende<br />

» Aktualisierte Absatzplanung für das laufende Geschäftsjahr<br />

» Aktualisierte Liquiditätsplanung für das laufende Geschäftsjahr<br />

» Aktualisierte Kapazitätsplanung für das laufende Geschäftsjahr<br />

» Aktualisierte Investitionsplanung für das laufende Geschäftsjahr<br />

zu unterrichten und <strong>die</strong> Unterlagen dem Wirtschaftsausschuss zur Einsichtnahme<br />

zur Verfügung zu stellen,<br />

2. festzustellen, dass <strong>die</strong> Unterrichtung des Wirtschaftsausschusses <strong>über</strong><br />

<strong>die</strong> wirtschaftliche und finanzielle Lage des Unternehmens in den Monaten<br />

April bis Oktober 2008 entgegen den Verpflichtungen des Unternehmens<br />

jeweils nicht rechtzeitig und vollständig erfolgte.<br />

Mit Spruch vom 17.02.2009 wurden <strong>die</strong> Anträge abgewiesen. Daraufhin leitete<br />

<strong>der</strong> Betriebsrat das vorliegende Beschlussverfahren ein.<br />

Er hat <strong>die</strong> Auffassung vertreten, insbeson<strong>der</strong>e <strong>der</strong> Antrag zu 2. hätte nicht<br />

abgewiesen werden dürfen. Denn damit begehre er <strong>die</strong> Klärung einer<br />

Rechtsfrage, <strong>die</strong> sich Monat für Monat stelle. Es mache keinen Sinn, den<br />

Wirtschaftsausschuss, <strong>der</strong> monatlich zusammentreten solle, nur einmal <strong>im</strong><br />

Kalen<strong>der</strong>jahr zu unterrichten. Vielmehr sei es erfor<strong>der</strong>lich, dass <strong>die</strong>ser allmonatlich<br />

Reporting-Zahlen und betriebswirtschaftliche Auswertungen erhalte.<br />

Der Betriebsrat hat beantragt, festzustellen, dass <strong>der</strong> Spruch <strong>der</strong> Einigungsstelle<br />

vom 17.02.2009 unwirksam ist.<br />

Die Arbeitgeberin hat beantragt, den Antrag zurückzuweisen.<br />

Das Arbeitsgericht hat mit Beschluss vom 15.10.2009 den Antrag zurückgewiesen.<br />

Zur Begründung hat es <strong>im</strong> Wesentlichen ausgeführt, eine Einigungsstelle<br />

entscheide <strong>im</strong> Rahmen des § 109 <strong>BetrVG</strong> <strong>über</strong> ein ausdrückliches, zuvor<br />

an den Arbeitgeber gerichtetes Verlangen des Wirtschaftsausschusses<br />

auf Auskunftserteilung; sie sei aber nicht dazu berufen, eine dauerhafte,<br />

generelle Regelung zu wirtschaftlichen Angelegenheiten zu treffen, wie sie<br />

vom Betriebsrat erstrebt werde.<br />

Fortsetzung auf nächster Seite »


swp magazin 30<br />

- Was den <strong>im</strong> Verfahren <strong>der</strong> Einigungsstelle gestellten Antrag zu 2. angehe,<br />

sei <strong>die</strong>se nicht befugt gewesen, abstrakte Rechtsfragen für <strong>die</strong> Vergangenheit<br />

zu entscheiden.<br />

Gegen <strong>die</strong>se Entscheidung wendet sich <strong>der</strong> Betriebsrat. Er bemängelt, es<br />

sei nicht erklärt worden, warum es angesichts <strong>der</strong> Regelung des § 108 Abs.<br />

1 <strong>BetrVG</strong> ausreichen solle, den Wirtschaftsausschuss nur einmal <strong>im</strong> Quartal<br />

o<strong>der</strong> sogar nur <strong>im</strong> Kalen<strong>der</strong>jahr <strong>über</strong> aktuelle Reporting-Zahlen und betriebswirtschaftliche<br />

Daten zu informieren.<br />

Auch habe sich <strong>die</strong> Einigungsstelle <strong>der</strong> ihr gesetzlich zukommenden Aufgabe<br />

entzogen, <strong>die</strong> Rechtsfrage zu entscheiden, ob für <strong>die</strong> Monate April bis Oktober<br />

2008 eine rechtzeitige und vollständige Unterrichtung des Wirtschaftsausschusses<br />

erfolgt sei.<br />

Der Betriebsrat beantragt, den Beschluss des Arbeitsgerichts abzuän<strong>der</strong>n<br />

und festzustellen, dass <strong>der</strong> Spruch <strong>der</strong> Einigungsstelle vom 17.02.2009<br />

rechtsunwirksam ist.<br />

Die Arbeitgeberin beantragt, <strong>die</strong> Beschwerde zurückzuweisen.<br />

Sie führt aus, <strong>der</strong> als Soll-Vorschrift ausgestaltete § 108 Abs. 1 <strong>BetrVG</strong> gebe<br />

keinerlei Vorgaben zur Frequenz <strong>der</strong> Unterrichtung des Wirtschaftsausschusses.<br />

- Was den in <strong>der</strong> Einigungsstelle abgewiesenen Antrag zu 2. angehe,<br />

sei <strong>der</strong> Betriebsrat keinesfalls schutzlos; er könne ggf. ein Beschlussverfahren<br />

nach § 23 Abs. 3 <strong>BetrVG</strong> anstrengen.<br />

Entscheidung<br />

Die Beschwerde ist unbegründet.<br />

Zu Recht hat nämlich das Arbeitsgericht den auf § 76 Abs. 5 Satz 4<br />

<strong>BetrVG</strong> gestützten Antrag des Betriebsrates, den am 17.02.2009 ergangenen<br />

Spruch <strong>der</strong> Einigungsstelle für rechtsunwirksam zu erklären, abgewiesen.<br />

Was <strong>die</strong> Unterrichtung <strong>über</strong> Reporting-Zahlen und betriebswirtschaftliche<br />

Auswirkungen für <strong>die</strong> Monate November 2008 bis Januar 2009 angeht,<br />

sind schon <strong>die</strong> Voraussetzungen des § 109 Satz 1 <strong>BetrVG</strong> nicht erfüllt. Es<br />

ist nämlich an keiner Stelle substantiiert dargelegt worden, wann <strong>der</strong> Wirtschaftsausschuss<br />

auf welche Art und Weise zu <strong>die</strong>ser Thematik an <strong>die</strong><br />

Arbeitgeberin herangetreten ist und eine konkrete Auskunft <strong>im</strong> Sinne des §<br />

109 Satz 1 <strong>BetrVG</strong> verlangt hat. Daran än<strong>der</strong>t auch das Einigungsstellenbesetzungsverfahren<br />

nichts, weil sich dort <strong>der</strong> Betriebsrat mit <strong>der</strong> Arbeitgeberin<br />

vergleichsweise geeinigt hat und <strong>die</strong> Frage eines präzisen Auskunftsverlangens<br />

des Wirtschaftsausschusses keine Relevanz hatte.<br />

Soweit sich <strong>der</strong> Betriebsrat auf § 108 Abs. 1 <strong>BetrVG</strong> stützt, kann das sein<br />

Begehren <strong>im</strong> Übrigen auch nicht rechtfertigen. Denn <strong>die</strong>se Vorschrift richtet<br />

sich als Gebot ausschließlich an den Wirtschaftsausschuss, einmal <strong>im</strong> Monat<br />

zusammenzutreten; davon kann abgewichen werden, wenn kein Beratungsbedarf<br />

besteht.<br />

Demgegen<strong>über</strong> finden sich nur in den §§ 106 Abs. 2, Abs. 3 <strong>BetrVG</strong> und<br />

§ 109 <strong>BetrVG</strong> für <strong>die</strong> konkrete Rechtsfrage relevante Best<strong>im</strong>mungen zur<br />

rechtzeitigen und umfassenden Unterrichtung <strong>über</strong> wirtschaftliche Angelegenheiten<br />

unter Vorlage <strong>der</strong> erfor<strong>der</strong>lichen Unterlagen, <strong>die</strong> letztlich dar<strong>über</strong><br />

mitbest<strong>im</strong>men, in welchem Rhythmus <strong>der</strong> Wirtschaftsausschuss gemäß §<br />

108 Abs. 1 <strong>BetrVG</strong> bedarfsgerecht zusammenzutreten hat.<br />

Was den <strong>im</strong> Einigungsstellenverfahren gestellten Antrag zu 2. angeht, wird<br />

bereits <strong>im</strong> Spruch vom 17.02.2009 zutreffend herausgestrichen, dass <strong>die</strong><br />

Einigungsstelle <strong>im</strong> Rahmen des § 109 <strong>BetrVG</strong> nicht dazu berufen ist, festzustellen,<br />

ob <strong>der</strong> Arbeitgeber in <strong>der</strong> Vergangenheit den Erfor<strong>der</strong>nissen des<br />

§ 106 Abs. 2 <strong>BetrVG</strong> gerecht geworden ist. Vielmehr hat sie ausschließlich<br />

zukunftsgewandt <strong>über</strong> ein best<strong>im</strong>mtes Auskunftsverlangen <strong>im</strong> konkreten<br />

Einzelfall zu entscheiden.<br />

Fortsetzung auf nächster Seite »


swp magazin 31<br />

Sofern <strong>der</strong> Betriebsrat in dem Zusammenhang auf fehlende Rechtsschutzmöglichkeiten<br />

hinweist, verkennt er, dass außerhalb des Anwendungsbereichs<br />

des § 109 <strong>BetrVG</strong> <strong>die</strong> Möglichkeit besteht, Fragen <strong>der</strong> ordnungsgemäßen<br />

Unterrichtung in wirtschaftlichen Angelegenheiten - ggf. auch für <strong>die</strong><br />

Vergangenheit - in einem allgemeinen arbeitsgerichtlichen Beschlussverfahren<br />

klären zu lassen.<br />

9. §§ 111 ff. <strong>BetrVG</strong> – Interessenausgleich und Sozialplan bei<br />

Betriebsän<strong>der</strong>ungen<br />

a. Unterlassungsanspruch des Betriebsrates<br />

Hessisches Landesarbeitsgericht, Beschluss vom 19.01.2010,<br />

Az. 4 TaBVGa 3/10<br />

Sachverhalt<br />

Die Beteiligten streiten <strong>über</strong> einen Unterlassungsanspruch <strong>im</strong> Zusammenhang<br />

mit einer Betriebsän<strong>der</strong>ung.<br />

Die zu 2) bis 5) beteiligten Arbeitgeberinnen sind <strong>die</strong> deutschen Tochtergesellschaften<br />

eines international tätigen Konzerns. Sie führen drei Betriebe<br />

in Deutschland, u. a. jeweils einen in A und B. Die in den Betrieben bestehenden<br />

Betriebsräte haben auf <strong>der</strong> Grundlage von Ziffer III des Tarifvertrages<br />

zur Regelung <strong>der</strong> Arbeitnehmervertretungsstrukturen <strong>im</strong> C-Konzern<br />

vom 22. Mai 2003 unternehmens<strong>über</strong>greifend den antragstellenden Gemeinschaftsgesamtbetriebsrat<br />

gebildet.<br />

Die Arbeitgeberinnen planen, ab Mitte April 2010 das bisher in den Betrieben<br />

A und B, in denen insgesamt etwa 1.600 Arbeitnehmer beschäftigt<br />

werden, angesiedelte Supply-Chain-Management auf eine D Konzerngesellschaft<br />

zu <strong>über</strong>tragen. Dies soll zum Wegfall von 75 Arbeitsplätzen in A<br />

und B führen. Aus <strong>die</strong>sem Anlass führen <strong>die</strong> Beteiligten <strong>der</strong>zeit Verhandlungen<br />

<strong>über</strong> einen Interessenausgleich und einen Sozialplan, <strong>die</strong> bisher<br />

nicht abgeschlossen sind. Die Arbeitgeberinnen beabsichtigten weiter, zur<br />

Vorbereitung <strong>der</strong> Maßnahme ab 04. Januar 2010 zwanzig Mitarbeiter<br />

<strong>der</strong> D Konzerngesellschaft von den deutschen Arbeitnehmern <strong>der</strong> Supply-<br />

Chain-Managementabteilung schulen und einarbeiten zu lassen. Nachdem<br />

<strong>der</strong> Gesamtbetriebsrat außergerichtlich ohne Erfolg von den Arbeitgeberinnen<br />

verlangt hatte, von <strong>die</strong>ser Maßnahme bis zum Abschluss <strong>der</strong> Interessenausgleichsverhandlungen<br />

abzusehen, verfolgt er <strong>die</strong>ses Anliegen mit<br />

dem vorliegenden Antrag auf Erlass einer einstweiligen Verfügung weiter.<br />

Er hat beantragt,<br />

es dem Beteiligten zu 2), insbeson<strong>der</strong>e <strong>der</strong> E GmbH, zu untersagen, bei<br />

Meidung eines <strong>der</strong> Höhe nach durch das Gericht festzusetzenden Ordnungsgeldes<br />

für den Fall <strong>der</strong> Zuwi<strong>der</strong>handlung, <strong>im</strong> Rahmen <strong>der</strong> geplanten<br />

Verlagerung <strong>der</strong> Supply-Chain-Aktivitäten vom Standort in A nach F <strong>die</strong><br />

Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer <strong>im</strong> AEDM Customer Service in A<br />

anzuweisen, ab Januar 2010 <strong>die</strong> zukünftig in F mit den AEM Customer<br />

Service-Tätigkeiten betrauten Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer zu<br />

schulen bzw. einzuarbeiten,<br />

hilfsweise,<br />

den Vollzug des AEM Customer Service Transition Plans: Training & Development<br />

ab Januar 2010 auszusetzen und zwar bis zum Abschluss <strong>der</strong> Gespräche<br />

und Verhandlungen <strong>über</strong> einen Interessenausgleich und Sozialplan.<br />

Das Arbeitsgericht hat befristet bis 15. Februar 2010 nach dem Hauptantrag<br />

des Gesamtbetriebsrats erkannt und zur Begründung ausgeführt, <strong>der</strong><br />

Gesamtbetriebsrat verlange zu Recht <strong>die</strong> Unterlassung <strong>der</strong> Schulungen<br />

und Einweisungen vor Abschluss <strong>der</strong> Interessenausgleichsverhandlungen,<br />

da <strong>die</strong>se als Teil <strong>der</strong> Betriebsän<strong>der</strong>ung anzusehen seien und mit ihrer<br />

Durchführung Fakten geschaffen würden, <strong>die</strong> den Verhandlungsspielraum<br />

des Betriebsrats hinsichtlich des Ob und des Wie <strong>der</strong> Betriebsän<strong>der</strong>ung<br />

objektiv erheblich und nachhaltig beeinflussten.<br />

Fortsetzung auf nächster Seite »


swp magazin 32<br />

Die Arbeitgeberinnen haben gegen den Beschluss Beschwerde eingelegt.<br />

Der Gesamtbetriebsrat hat Anschlussbeschwerde eingelegt.<br />

Die Arbeitgeberinnen beantragen,<br />

den Beschluss des Arbeitsgerichts zum Teil abzuän<strong>der</strong>n und den Antrag<br />

insgesamt zurückzuweisen, und <strong>die</strong> Anschlussbeschwerde zurückzuweisen.<br />

Der Gesamtbetriebsrat beantragt,<br />

<strong>die</strong> Beschwerde zurückzuweisen und den Beschluss des Arbeitsgerichts<br />

zum Teil abzuän<strong>der</strong>n und den Beteiligten zu 2) bis 5) <strong>über</strong> den 15. Februar<br />

2010 hinaus zu untersagen, <strong>im</strong> Rahmen <strong>der</strong> geplanten Verlagerung <strong>der</strong><br />

Supply Chain-Aktivitäten vom Standort A nach F <strong>die</strong> Arbeitnehmerinnen und<br />

Arbeitnehmer <strong>im</strong> AEM Customer Service in A anzuweisen, <strong>die</strong> zukünftig in<br />

F mit den AEM Customer Service-Tätigkeiten betrauten Arbeitnehmerinnen<br />

und Arbeitnehmern zu schulen bzw. einzuarbeiten, und zwar bis zum Abschluss<br />

<strong>der</strong> Gespräche und Verhandlungen <strong>über</strong> einen Interessenausgleich<br />

und Sozialplan.<br />

Der Gesamtbetriebsrat geht weiter davon aus, dass <strong>der</strong> beabsichtigte Knowhow-Transfer<br />

bereits Teil des Vollzugs <strong>der</strong> Betriebsän<strong>der</strong>ung sei. Es gebe<br />

allerdings keinen Grund für eine zeitliche Beschränkung <strong>der</strong> einstweiligen<br />

Verfügung bis 15. Februar 2010.<br />

Entscheidung<br />

Die Beschwerde <strong>der</strong> Arbeitgeberinnen ist begründet, da dem Gesamtbetriebsrat<br />

<strong>der</strong> geltend gemachte Unterlassungsanspruch nicht zusteht. Dementsprechend<br />

ist <strong>die</strong> Anschlussbeschwerde des Gesamtbetriebsrats nicht<br />

begründet. Nach <strong>der</strong> langjährigen <strong>Rechtsprechung</strong> <strong>der</strong> erkennenden Kammer<br />

kann ein Betriebsrat vom Arbeitgeber <strong>die</strong> Unterlassung <strong>der</strong> Durchführung<br />

einer Betriebsän<strong>der</strong>ung verlangen, solange das Unterrichtungs- und<br />

Beteiligungsverfahren gemäß §§ 111, 112 <strong>BetrVG</strong> nicht vollständig abgeschlossen<br />

ist.<br />

Dieser Anspruch <strong>die</strong>nt <strong>der</strong> Sicherung des Verhandlungsanspruchs des Betriebsrats.<br />

Mit ihm soll verhin<strong>der</strong>t werden, dass <strong>der</strong> Arbeitgeber <strong>die</strong>sen durch<br />

<strong>die</strong> Schaffung vollendeter Tatsachen zunichte machen kann (LAG Frankfurt<br />

am Main 06. April 1993 a. a. O., zu II 2; Hess. LAG 27. Juni 2007 a. a. O., zu<br />

III 3 b; ähnlich etwa LAG Berlin 07. September 1995 - 10 TaBV 5/95 - LAGE<br />

<strong>BetrVG</strong> 1972 § 111 Nr. 13, zu II 2.2; LAG Hamburg 27. Juni 1997 - 5 TaBV<br />

5/97 - LAGE <strong>BetrVG</strong> 1972 § 111 Nr. 15, zu 1; LAG Thüringen 18. August<br />

2003 - 1 Ta 104/03 - LAGE <strong>BetrVG</strong> 2001 § 111 Nr. 1, zu II 1 b; LAG Hamm<br />

26. Februar 2007 - 10 TaBVGa 3/07 - NZA-RR 2007/469, zu B II 1 a; LAG<br />

Nie<strong>der</strong>sachsen 04. Mai 2007 - 17 TaBVGa 57/07 - LAGE <strong>BetrVG</strong> 2001 §<br />

111 Nr. 7, zu II 1; LAG München 22. Dezember 2008 - 6 TaBVGa 6/08 - AuR<br />

2009/142, zu II 2 a aa).<br />

Die Reichweite <strong>die</strong>ses Anspruchs ergibt sich aus <strong>die</strong>ser Zwecksetzung<br />

und dem Umfang des geschützten Mitbest<strong>im</strong>mungsrechts. Zu unterlassen<br />

hat <strong>der</strong> Arbeitgeber <strong>die</strong> Durchführung von Maßnahmen, <strong>die</strong> Teil <strong>der</strong> mitbest<strong>im</strong>mungspflichtigen<br />

Betriebsän<strong>der</strong>ung sind, also etwa den Ausspruch<br />

betriebsbedingter Kündigungen, <strong>die</strong> Durchführung von Versetzungen o<strong>der</strong><br />

grundlegenden Än<strong>der</strong>ungen <strong>der</strong> Betriebsorganisation, des Betriebszwecks<br />

o<strong>der</strong> <strong>der</strong> Betriebsanlagen o<strong>der</strong> <strong>die</strong> Einführung grundlegend neuer Arbeitsmethoden.<br />

Vom Unterlassungsanspruch ebenso erfasst werden Dispositionen<br />

des Arbeitgebers, mit denen <strong>die</strong>ser vollendete Tatsachen hinsichtlich des Ob<br />

o<strong>der</strong> des Wie <strong>der</strong> Betriebsän<strong>der</strong>ung schafft, <strong>die</strong> aufgrund <strong>der</strong> Verhandlungen<br />

<strong>über</strong> den Interessenausgleich nicht mehr revi<strong>die</strong>rt werden können. Dagegen<br />

bezieht sich <strong>der</strong> Unterlassungsanspruch nicht auf reine Vorbereitungshandlungen.<br />

Dazu zählen etwa Akte <strong>der</strong> unternehmensinternen Willensbildung<br />

wie <strong>die</strong> Durchführung von Gesellschafterversammlungen o<strong>der</strong> Verwaltungsratssitzungen,<br />

in denen <strong>über</strong> eine Betriebsän<strong>der</strong>ung entschieden werden<br />

soll, aber auch sonstige, nach außen tretende Vorbereitungshandlungen<br />

wie <strong>die</strong> Unterrichtung <strong>der</strong> Arbeitnehmer <strong>über</strong> <strong>im</strong> Fall von Eigenkündigungen<br />

bestehende Abfindungsansprüche, sofern durch <strong>die</strong>se nicht unumkehrbare<br />

Tatsachen geschaffen werden.<br />

Fortsetzung auf nächster Seite »


swp magazin 33<br />

An<strong>der</strong>nfalls würden durch <strong>die</strong> Gewährung von Unterlassungsansprüchen<br />

dem Betriebsrat weitergehende, gesetzlich nicht vorgesehene Beteiligungsrechte<br />

eröffnet und das Beteiligungssystem des Betriebsverfassungsgesetzes<br />

contra legem erweitert.<br />

Danach sind <strong>die</strong> Arbeitgeberinnen nicht verpflichtet, <strong>die</strong> Schulung und Einweisung<br />

<strong>der</strong> D Arbeitnehmer bis zum Abschluss <strong>der</strong> Interessenausgleichsverhandlungen<br />

<strong>der</strong> Beteiligten zurückzustellen. Diese sind entgegen <strong>der</strong><br />

Ansicht des Gesamtbetriebsrats nicht Teil <strong>der</strong> geplanten Betriebsän<strong>der</strong>ung,<br />

son<strong>der</strong>n reine Vorbereitungsmaßnahmen. Die Durchführung von Schulungen<br />

<strong>der</strong> Arbeitnehmer an<strong>der</strong>er Konzerngesellschaften durch den Arbeitgeber<br />

wird von keinem <strong>der</strong> Tatbestände von § 111 Satz 1, Satz 3 <strong>BetrVG</strong> erfasst.<br />

Sie ist auch nicht Teil <strong>der</strong> von den Arbeitgeberinnen geplanten mitbest<strong>im</strong>mungspflichtigen<br />

Betriebseinschränkung gemäß § 111 Satz 3 Nr. 1 <strong>BetrVG</strong>.<br />

Die Durchführung einer Betriebsän<strong>der</strong>ung beginnt erst, wenn <strong>der</strong> Arbeitgeber<br />

Maßnahmen ergreift, <strong>die</strong> vollendete Tatsachen schaffen und <strong>die</strong> Betriebsän<strong>der</strong>ung<br />

vorwegnehmen. Dazu genügt etwa <strong>die</strong> Bekanntgabe des Entschlusses<br />

des Arbeitgebers zur Durchführung <strong>der</strong> Betriebsän<strong>der</strong>ung nicht,<br />

obwohl <strong>der</strong> Arbeitgeber sich dadurch öffentlich festlegt.<br />

Die Schulungen und Einweisungen <strong>der</strong> D Arbeitnehmer sind nicht Teil <strong>der</strong><br />

Betriebsän<strong>der</strong>ung, da sie <strong>die</strong>se nicht vorwegnehmen, son<strong>der</strong>n nur vorbereiten.<br />

Mit ihnen werden hinsichtlich <strong>der</strong> Durchführung <strong>der</strong> Betriebsän<strong>der</strong>ung<br />

keine vollendeten Tatsachen geschaffen, <strong>die</strong> aufgrund <strong>der</strong> Interessenausgleichsverhandlungen<br />

nicht revi<strong>die</strong>rt werden könnten. Die Betriebe in A und<br />

B werden durch sie we<strong>der</strong> in ihrer Größe noch in ihrem Ablauf auf nach §<br />

111 Satz 1, Satz 3 <strong>BetrVG</strong> relevante Weise betroffen. Es kommt insbeson<strong>der</strong>e<br />

nicht zu dem vom Gesamtbetriebsrat angeführten „Know-how-Transfer“.<br />

Das in den Betrieben vorhandene Know-how und damit <strong>die</strong> Leistungsfähigkeit<br />

<strong>der</strong> Supply-Chain-Managementabteilungen <strong>die</strong>ser Betriebe bleibt<br />

vielmehr unberührt. Durch <strong>die</strong> Maßnahmen werden lediglich <strong>die</strong> Kenntnisse<br />

<strong>der</strong> externen Mitarbeiter <strong>der</strong> D Schwestergesellschaft erweitert. Dies ist eine<br />

reine Vorbereitungsmaßnahme, mit <strong>der</strong> hinsichtlich <strong>der</strong> Betriebsän<strong>der</strong>ung<br />

keine vollendeten Tatsachen geschaffen werden.<br />

Dass in <strong>der</strong> Durchführung <strong>der</strong> Schulungen eine nach außen tretende Manifestierung<br />

<strong>der</strong> Entschlossenheit <strong>der</strong> Arbeitgeberinnen zur Durchführung <strong>der</strong><br />

geplanten Betriebsän<strong>der</strong>ung liegt, macht sie nicht zum Teil <strong>der</strong> Betriebsän<strong>der</strong>ung.<br />

An <strong>der</strong>artigen Handlungen sind <strong>die</strong> Arbeitgeberinnen aus d<br />

b. Kein Anspruch auf Interessenausgleich und Sozialplan bei Gründung<br />

des Betriebsrates nach Abschluss <strong>der</strong> Planung und Beginn<br />

<strong>der</strong> Durchführung einer Betriebsän<strong>der</strong>ung<br />

LAG Hamm vom 04.10.2010, 10 TaBV 75/10<br />

Sachverhalt<br />

Die Beteiligten streiten um <strong>die</strong> Einrichtung einer Einigungsstelle.<br />

Die Arbeitgeberin, <strong>die</strong> in D1 einen Betrieb zur Kranauslegerfertigung mit<br />

zuletzt 26 Arbeitnehmern führte, fasste am 29.06.2010 den Beschluss, den<br />

Betrieb <strong>der</strong> Kranauslegerfertigung in D1 zu schließen.<br />

Am gleichen Tag leitete sie be<strong>im</strong> zuständigen Integrationsamt das Verfahren<br />

wegen <strong>der</strong> Kündigung <strong>der</strong> schwerbehin<strong>der</strong>ten Arbeitnehmer ein.<br />

Am 30.06.2010 fand eine Mitarbeiterversammlung statt, in <strong>der</strong> <strong>die</strong> Arbeitgeberin<br />

erklärte, dass <strong>der</strong> Betrieb in D1 zum 31.10.2010 geschlossen werde,<br />

da <strong>die</strong> Arbeiten auf Werke in Polen und Ungarn verlagert würden, weil<br />

dort eine kostengünstigere Produktion möglich sei. Ob den Mitarbeitern auf<br />

<strong>der</strong> Betriebsversammlung lediglich ein voraussichtlicher Schließungstermin<br />

mitgeteilt wurde o<strong>der</strong> ob in aller Deutlichkeit darauf hingewiesen wurde, dass<br />

<strong>der</strong> Schließungstermin 31.10.2010 endgültig feststehe, ist zwischen den Beteiligten<br />

streitig. Jedenfalls wurde den Mitarbeitern noch auf <strong>der</strong> Betriebsversammlung<br />

vom 30.06.2010 <strong>der</strong> Ausspruch <strong>der</strong> Kündigung aller Arbeitnehmer<br />

angekündigt.<br />

Fortsetzung auf nächster Seite »


swp magazin 34<br />

Noch am 30.06.2010 gab <strong>die</strong> Arbeitgeberin eine Pressemitteilung des Inhalts<br />

ab, dass das Werk in D1 geschlossen und sämtlichen Arbeitnehmern gekündigt<br />

werde, da <strong>die</strong> Auslegerfertigung zu an<strong>der</strong>en Produktionsstandorten<br />

verlagert werde. Ebenfalls noch am 30.06.2010 informierte <strong>die</strong> Arbeitgeberin<br />

ihre sämtlichen Kunden, dass <strong>der</strong> Betrieb in D1 vor <strong>der</strong> Schließung stehe. Mit<br />

Schreiben vom 30.06.2010 zeigte <strong>die</strong> Arbeitgeberin ferner bei <strong>der</strong> Bundesagentur<br />

für Arbeit <strong>die</strong> geplante Massenentlassung an. Am 14.07.2010 sprach<br />

<strong>die</strong> Arbeitgeberin sodann <strong>die</strong> Kündigung sämtlicher Arbeitsverhältnisse zum<br />

31.08.2010, 30.09.2010 und zum 31.10.2010 aus. Zusätzliche Aufträge für<br />

<strong>die</strong> Kranauslegerfertigung nahm sie seit Ende Juni 2010 nicht mehr an.<br />

Bereits mit Wahlanschreiben vom 07.07.2010 hatte <strong>der</strong> inzwischen gebildete<br />

Wahlvorstand Betriebsratswahlen eingeleitet. Die erste Wahlversammlung<br />

fand am 15.07.2010, <strong>die</strong> Betriebsratswahl am 23.07.2010 statt.<br />

Mit Schreiben vom 27.07.2010 verlangte <strong>der</strong> antragstellende Betriebsrat <strong>die</strong><br />

Aufnahme von Verhandlungen <strong>über</strong> den Abschluss eines Interessenausgleichs<br />

und eines Sozialplanes und wies darauf hin, dass gegebenenfalls<br />

<strong>die</strong> Einigungsstelle angerufen werde.<br />

Die Arbeitgeberin lehnte Verhandlungen <strong>über</strong> einen Interessenausgleich<br />

und Sozialplan ab.<br />

Daraufhin leitete <strong>der</strong> Betriebsrat am 11.08.2010 be<strong>im</strong> Arbeitsgericht das vorliegende<br />

Beschlussverfahren ein, mit dem er <strong>die</strong> Einrichtung einer Einigungsstelle<br />

zur Verhandlung <strong>über</strong> einen Interessenausgleich und einen Sozialplan<br />

geltend macht.<br />

Der Betriebsrat hat <strong>die</strong> Auffassung vertreten, dass es sich bei <strong>der</strong> beabsichtigten<br />

Betriebsschließung zum 31.10.2010 um eine Betriebsän<strong>der</strong>ung <strong>im</strong> Sinne<br />

des § 111 <strong>BetrVG</strong> handele. Die Arbeitgeberin könne sich nicht darauf berufen,<br />

dass <strong>der</strong> Betriebsrat nicht rechtzeitig aktiv geworden sei. Die Arbeitgeberin<br />

habe nämlich noch in <strong>der</strong> Betriebsversammlung <strong>die</strong> Kündigungen erst<br />

für Ende Juli angekündigt, <strong>die</strong>se dann aber schon am 14.07.2010 ausgesprochen,<br />

offensichtlich, um dem Betriebsrat zuvor zu kommen.<br />

Von einer vorzeitigen Wahl des Betriebsrates habe <strong>die</strong> Belegschaft abgesehen,<br />

weil <strong>die</strong> Arbeitgeberin noch <strong>im</strong> Frühjahr 2010 erklärt habe, dass sich<br />

<strong>die</strong> Beschäftigten um ihre Arbeitsplätze keine Sorgen machen müssten. Vor<br />

<strong>die</strong>sem Hintergrund ver<strong>die</strong>ne <strong>die</strong> Arbeitgeberin keinen Vertrauensschutz. Zudem<br />

sei das Wahlanschreiben bereits zu einem Zeitpunkt bekannt gemacht<br />

worden, bevor <strong>die</strong> Arbeitgeberin <strong>die</strong> Kündigungen ausgesprochen habe.<br />

Die Betriebsschließung sei ferner nicht durchdacht und abgeschlossen<br />

gewesen, sodass <strong>der</strong> Betriebsrat durchaus noch Einfluss auf <strong>die</strong> Planungen<br />

<strong>der</strong> Arbeitgeberin habe nehmen können. Insbeson<strong>der</strong>e sei absehbar, dass<br />

es bei <strong>der</strong> Arbeitgeberin durch den <strong>über</strong>eilten Ausspruch <strong>der</strong> Kündigungen<br />

zu Produktionsengpässen kommen werde. Es gebe noch ausreichend Entscheidungsspielraum,<br />

um <strong>die</strong> Interessen <strong>der</strong> Beschäftigten, <strong>die</strong> bei voller<br />

Auslastung des Betriebes ihre Arbeitsplätze verlören, angemessen zu berücksichtigen.<br />

Der Betriebsrat hat beantragt,<br />

1. den Vorsitzenden Richter am Landesarbeitsgericht i.R. K4-W2 S4 zum<br />

Vorsitzenden einer Einigungsstelle mit dem Regelungsgegenstand<br />

„Interessenausgleich und Sozialplan“ bei <strong>der</strong> Antragsgegnerin zu<br />

bestellen und<br />

2. <strong>die</strong> Zahl <strong>der</strong> zu benennenden Beisitzer für jede Seite auf drei<br />

festzusetzen.<br />

Die Arbeitgeberin hat beantragt, <strong>die</strong> Anträge zurückzuweisen.<br />

Sie hat <strong>die</strong> Auffassung vertreten, dass <strong>die</strong> Einigungsstelle offensichtlich unzuständig<br />

sei. Die Entscheidung, den Betrieb zu schließen, habe sie schon<br />

lange vor <strong>der</strong> Einleitung <strong>der</strong> Betriebsratswahl getroffen.<br />

Fortsetzung auf nächster Seite »


swp magazin 35<br />

Der Gesellschafterbeschluss zur Betriebsschließung datiere vom 29.06.2010.<br />

Mit <strong>der</strong> Umsetzung <strong>die</strong>ses Beschlusses sei bereits am 30.06.2010 durch<br />

Information <strong>der</strong> Belegschaft, durch <strong>die</strong> Massenentlassungsanzeige gem. § 17<br />

KSchG bei <strong>der</strong> Bundesagentur für Arbeit und durch <strong>die</strong> Einleitung <strong>der</strong> Zust<strong>im</strong>mungsverfahren<br />

vor dem Integrationsamt begonnen worden. Ein treuwidriges<br />

Verhalten <strong>der</strong> Arbeitgeberin sei nicht ersichtlich. Sie habe zu keinem Zeitpunkt<br />

<strong>die</strong> rechtzeitige Initiative <strong>der</strong> Belegschaft behin<strong>der</strong>t.<br />

Durch Beschluss hat das Arbeitsgericht <strong>die</strong> Anträge des Betriebsrates zurückgewiesen<br />

und zur Begründung ausgeführt, <strong>die</strong> Einigungsstelle sei für<br />

einen abzuschließenden Interessenausgleich und Sozialplan offensichtlich<br />

unzuständig, weil <strong>der</strong> Betriebsrat bei Abschluss <strong>der</strong> Planung <strong>der</strong> beabsichtigten<br />

Betriebsschließung durch <strong>die</strong> Arbeitgeberin noch nicht existiert habe.<br />

Gegen den Beschluss, hat <strong>der</strong> Betriebsrat Beschwerde zum Landesarbeitsgericht<br />

eingelegt.<br />

Der Betriebsrat beantragt, den Beschluss des Arbeitsgerichts abzuän<strong>der</strong>n und<br />

1. den Vorsitzenden Richter am Landesarbeitsgericht i.R. K4-W2 S4 zum<br />

Vorsitzenden einer Einigungsstelle mit dem Regelungsgegenstand „Interessenausgleich<br />

und Sozialplan“ bei <strong>der</strong> Arbeitgeberin zu bestellen und<br />

2. <strong>die</strong> Zahl <strong>der</strong> zu benennenden Beisitzer für jede Seite auf 3 festzusetzen.<br />

Die Arbeitgeberin beantragt, <strong>die</strong> Beschwerde zurückzuweisen,<br />

hilfsweise <strong>die</strong> Zahl <strong>der</strong> von je<strong>der</strong> Seite zu benennenden Beisitzer auf<br />

jeweils 2 festzusetzen.<br />

Entscheidung<br />

Die Beschwerde des Betriebsrates ist nicht begründet.<br />

Zu Recht hat das Arbeitsgericht <strong>die</strong> zulässigen Anträge des Betriebsrates<br />

als unbegründet abgewiesen.<br />

Gemäß § 98 Abs. 1 Satz 1 ArbGG kann ein Antrag auf Bestellung eines<br />

Einigungsstellenvorsitzenden und auf Festsetzung <strong>der</strong> Zahl <strong>der</strong> Beisitzer<br />

wegen fehlen<strong>der</strong> Zuständigkeit <strong>der</strong> Einigungsstelle nur dann zurückgewiesen<br />

werden, wenn <strong>die</strong> Einigungsstelle offensichtlich unzuständig ist. Offensichtlich<br />

unzuständig ist <strong>die</strong> Einigungsstelle, wenn bei fachkundiger Beurteilung<br />

durch das Gericht sofort erkennbar ist, dass ein Mitbest<strong>im</strong>mungsrecht des<br />

Betriebsrats in <strong>der</strong> fraglichen Angelegenheit unter keinem rechtlichen Gesichtspunkt<br />

in Frage kommt und sich <strong>die</strong> beizulegende Streitigkeit zwischen<br />

Arbeitgeber und Betriebsrat erkennbar nicht unter einen mitbest<strong>im</strong>mungspflichtigen<br />

Tatbestand des Betriebsverfassungsgesetzes subsumieren lässt.<br />

Unter Berücksichtigung <strong>die</strong>ser Grundsätze hat das Arbeitsgericht zu Recht<br />

<strong>die</strong> Anträge des Betriebsrates abgewiesen. Die begehrte Einigungsstelle ist<br />

für den Abschluss eines Interessenausgleichs und eines Sozialplanes <strong>im</strong><br />

Betrieb <strong>der</strong> Arbeitgeberin offensichtlich unzuständig.<br />

Gegenstand <strong>der</strong> Mitbest<strong>im</strong>mung des Betriebsrates nach § 111 <strong>BetrVG</strong> ist<br />

sowohl hinsichtlich eines Interessenausgleichs als auch eines Sozialplanes<br />

eine vom Arbeitgeber beabsichtigte, noch in <strong>der</strong> Zukunft liegende Betriebsän<strong>der</strong>ung.<br />

Dementsprechend ist in § 111 Satz 1, § 112 Abs. 1 Satz 1 und 2,<br />

Abs. 2 und Satz 1, § 112 a Abs. 1 Satz 1 <strong>BetrVG</strong> stets von <strong>der</strong> „geplanten“<br />

Betriebsän<strong>der</strong>ung <strong>die</strong> Rede. Anknüpfungspunkt für etwaige Beteiligungsrechte<br />

des Betriebsrates ist <strong>die</strong> Planung des Arbeitgebers. Die Mitbest<strong>im</strong>mung<br />

soll grundsätzlich stattfinden, bevor <strong>die</strong> Betriebsän<strong>der</strong>ung durchgeführt<br />

ist. Ein Interessenausgleich kann zeitlich nur vor <strong>der</strong> Durchführung <strong>der</strong><br />

Maßnahme verhandelt werden. Das Recht des Betriebsrates auf Unterrichtung<br />

sowie auf Verhandlungen <strong>über</strong> das Ob, Wann und Wie <strong>der</strong> Maßnahme<br />

kann nicht erst nach <strong>der</strong>en teilweisen Durchführung begründet werden.<br />

Fortsetzung auf nächster Seite »


swp magazin 36<br />

Maßgeblich für das Entstehen <strong>der</strong> Mitbest<strong>im</strong>mungsrechte nach § 111 <strong>BetrVG</strong><br />

wie auch für dessen Zeitpunkt ist damit <strong>die</strong> unternehmerische Konzeption.<br />

Nach Durchführung einer Betriebsän<strong>der</strong>ung kann <strong>der</strong> Betriebsrat seinen Verhandlungsanspruch<br />

insbeson<strong>der</strong>e <strong>im</strong> Hinblick auf einen Interessenausgleich<br />

nicht mehr durchsetzen. Interessenausgleichsverhandlungen können auch in<br />

einer Einigungsstelle nicht mehr nachgeholt werden, wenn <strong>der</strong> Arbeitgeber<br />

<strong>die</strong> Betriebsän<strong>der</strong>ung bereits endgültig beschlossen und mit <strong>der</strong> Durchführung<br />

begonnen hat.<br />

Hieraus folgt, dass Beteiligungsrechte des Betriebsrates nach den §§ 111<br />

ff. <strong>BetrVG</strong> nur gegeben sind, wenn <strong>im</strong> Betrieb ein Betriebsrat schon in dem<br />

Zeitpunkt besteht, in dem <strong>der</strong> Arbeitgeber sich entschließt, eine Betriebsän<strong>der</strong>ung<br />

durchzuführen. Wird ein bisher betriebsratsloser Betrieb stillgelegt,<br />

so kann ein erst während <strong>der</strong> Durchführung <strong>der</strong> Betriebsstilllegung gewählter<br />

Betriebsrat <strong>die</strong> Aufstellung eines Interessenausgleichs und eines Sozialplanes<br />

nicht mehr verlangen. Das gilt auch dann, wenn dem Arbeitgeber <strong>im</strong><br />

Zeitpunkt seines Stilllegungsentschlusses bereits bekannt war, dass <strong>im</strong> Betrieb<br />

ein Betriebsrat gewählt werden soll. Wird ein Betriebsrat erst zu einem<br />

Zeitpunkt gewählt, zu dem <strong>die</strong> Planung <strong>über</strong> <strong>die</strong> Betriebsän<strong>der</strong>ung bereits<br />

abgeschlossen und mit <strong>der</strong> Durchführung <strong>der</strong> Betriebsstilllegung begonnen<br />

worden ist, bleibt für den Versuch eines Interessenausgleichs mit dem Betriebsrat<br />

kein Raum mehr.<br />

Das gilt aber auch für den Anspruch des Betriebsrates auf Abschluss eines<br />

Sozialplanes, obwohl ein Sozialplan grundsätzlich auch noch nach Durchführung<br />

und Abschluss einer Betriebsän<strong>der</strong>ung vereinbart werden kann. Zweck<br />

des erzwingbaren Sozialplanes ist es, <strong>die</strong> unternehmerische Willensbildung<br />

<strong>über</strong> <strong>die</strong> Betriebsän<strong>der</strong>ung so zu steuern, dass <strong>die</strong>se freie unternehmerische<br />

Entscheidung <strong>die</strong> sozialen Belange <strong>der</strong> Belegschaft angemessen berücksichtigt,<br />

weil an<strong>der</strong>nfalls mit entsprechenden finanziellen Belastungen für das<br />

Unternehmen infolge des erzwingbaren Sozialplanes zu rechnen ist. Nach<br />

dem Willen des Gesetzgebers ist auch ein Sozialplan grundsätzlich vor <strong>der</strong><br />

Durchführung <strong>der</strong> Betriebsän<strong>der</strong>ung mit dem Arbeitgeber zu vereinbaren.<br />

Auch hat <strong>der</strong> Unternehmer ein berechtigtes und schützenwertes Interesse<br />

daran zu wissen, welche finanziellen Auswirkungen ein Sozialplan mit sich<br />

bringt, bevor er sich endgültig für eine Betriebsän<strong>der</strong>ung entscheidet und<br />

Maßnahmen zu ihrer Durchführung ergreift. Besteht bis zum Abschluss<br />

<strong>die</strong>ses Planungsstadiums und noch bei Beginn <strong>der</strong> Durchführung <strong>der</strong> Betriebsän<strong>der</strong>ung<br />

kein Betriebsrat, kann <strong>der</strong> Unternehmer etwaige finanzielle<br />

Belastungen durch einen Sozialplan nicht einkalkulieren. Die Kalkulationsgrundlagen<br />

seiner Entscheidungen würden wesentlich verän<strong>der</strong>t, wenn ein<br />

erst während <strong>der</strong> Durchführung <strong>der</strong> Betriebsän<strong>der</strong>ung errichteter Betriebsrat<br />

noch <strong>die</strong> Aufstellung eines Sozialplanes verlangen kann.<br />

Unter Berücksichtigung <strong>die</strong>ser Grundsätze kann <strong>der</strong> erst am 23.07.2010<br />

gewählte Betriebsrat Verhandlungen mit <strong>der</strong> Arbeitgeberin <strong>über</strong> einen Interessenausgleich<br />

und einen Sozialplan nicht mehr verlangen. Selbst wenn<br />

zugunsten des Betriebsrates nicht <strong>der</strong> Zeitpunkt seiner Wahl am 23.07.2010,<br />

son<strong>der</strong>n <strong>die</strong> Bekanntmachung vom 07.07.2010 als entscheiden<strong>der</strong> Zeitpunkt<br />

zugrunde gelegt wird, waren zu <strong>die</strong>sem Zeitpunkt <strong>die</strong> Planungen <strong>der</strong> Arbeitgeberin<br />

<strong>über</strong> <strong>die</strong> beabsichtigte Betriebsschließung zum 31.10.2010 bereits<br />

abgeschlossen. Dar<strong>über</strong> hinaus hatte <strong>die</strong> Arbeitgeberin zu <strong>die</strong>sem Zeitpunkt<br />

- 07.07.2010 - bereits mit <strong>der</strong> Durchführung <strong>der</strong> geplanten Betriebsschließung<br />

begonnen.<br />

Unstreitig ist zwischen den Beteiligten, dass <strong>der</strong> abschließende Gesellschafterbeschluss<br />

<strong>über</strong> <strong>die</strong> Betriebsschließung zum 31.10.2010 am 29.06.2010<br />

getroffen worden ist. Dass <strong>im</strong> Gesellschafterbeschluss vom 29.06.2010<br />

<strong>der</strong> endgültige Zeitpunkt <strong>der</strong> Betriebsschließung - 31.10.2010 - datumsmäßig<br />

nicht festgehalten ist, ist unerheblich. Bei dem Gesellschafterbeschluss<br />

vom 29.06.2010 handelt es sich nämlich um einen gesellschaftsrechtlichen<br />

Vorgang, <strong>der</strong> das genaue Datum <strong>der</strong> Betriebsschließung nicht festzuhalten<br />

braucht. Demgegen<strong>über</strong> ist <strong>der</strong> Belegschaft auf <strong>der</strong> Mitarbeiterversammlung<br />

vom 30.06.2010 das Datum <strong>der</strong> beabsichtigten Betriebsschließung am<br />

31.10.2010 genannt worden.<br />

Fortsetzung auf nächster Seite »


swp magazin 37<br />

Hiernach konnte auch <strong>die</strong> Beschwerdekammer nur zu dem Ergebnis kommen,<br />

dass <strong>die</strong> Planung <strong>der</strong> Arbeitgeberin hinsichtlich <strong>der</strong> zum 31.10.2010<br />

beabsichtigten Schließung abgeschlossen gewesen ist und sie mit <strong>der</strong> Umsetzung<br />

und Durchführung <strong>der</strong> beabsichtigten Betriebsschließung vor dem<br />

07.07.2010 begonnen hat. Dass <strong>die</strong> Kündigungen <strong>der</strong> Arbeitnehmer erst am<br />

14.07.2010 ausgesprochen worden sind, ist insoweit unerheblich, weil <strong>die</strong><br />

Arbeitgeberin mit <strong>der</strong> Durchführung <strong>der</strong> geplanten Betriebsän<strong>der</strong>ung bereits<br />

vor dem 07.07.2010 begonnen hat.<br />

Die offensichtliche Unzuständigkeit <strong>der</strong> begehrten Einigungsstelle kann auch<br />

nicht deshalb angezweifelt werden, weil es zu <strong>der</strong> Frage, auf welchen Zeitpunkt<br />

es bei <strong>der</strong> Wahl eines Betriebsrates während <strong>der</strong> Planungs- und/o<strong>der</strong><br />

Durchführung einer Betriebsän<strong>der</strong>ung ankommt, unterschiedliche Rechtsauffassungen<br />

bestehen. Zu <strong>der</strong> <strong>im</strong> vorliegenden Fall streitigen Rechtsfrage liegt<br />

nämlich eine gefestigte höchstrichterliche <strong>Rechtsprechung</strong> des Bundesarbeitsgerichts<br />

vor, auf <strong>die</strong> bereits verwiesen worden ist. Von einer ungeklärten<br />

Rechtsfrage kann danach nicht mehr ausgegangen werden.<br />

c. Sozialplan, Ungleichbehandlung wegen des Alters, BAG, Urteil<br />

vom 23.03.2010, Az. 1 AZR 832/08<br />

Sachverhalt<br />

Die Parteien streiten <strong>über</strong> <strong>die</strong> Höhe einer Sozialplanabfindung.<br />

Der <strong>im</strong> Juli 1946 geborene Kläger war vom 24. Mai 1965 bis zum 30. November<br />

2007 bei <strong>der</strong> Beklagten zu einem monatlichen Bruttogehalt von zuletzt<br />

3.160,39 Euro beschäftigt. Das Arbeitsverhältnis endete aufgrund einer<br />

betriebsbedingten Kündigung <strong>der</strong> Beklagten wegen einer Betriebsstilllegung.<br />

Die Beklagte und <strong>der</strong> Betriebsrat schlossen am 23. März 2007 einen Interessenausgleich<br />

und einen Sozialplan für <strong>die</strong> von <strong>der</strong> Betriebsstilllegung betroffenen<br />

Arbeitnehmer. Nach Ziff. 2 des Interessenausgleichs sollten <strong>der</strong>en<br />

Arbeitsverhältnisse durch eine nach dem 1. April 2007 ausgesprochene<br />

betriebsbedingte Kündigung unter Einhaltung <strong>der</strong> gesetzlichen und einzelvertraglichen<br />

Fristen o<strong>der</strong> durch Aufhebungsvertrag beendet werden. Der Sozialplan<br />

enthält unter Ziff. 3 Buchst. c und d folgende Regelungen:<br />

„c)<br />

Abfindungsformel<br />

Anspruchsberechtigte Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter haben einen Anspruch<br />

auf eine individuell berechnete Abfindung, <strong>die</strong> sich nach <strong>der</strong> folgenden<br />

Formel berechnet:<br />

Lebensalter x Betriebszugehörigkeit x Bruttomonatsentgelt<br />

Der Faktor ‚X’ wird wie folgt best<strong>im</strong>mt:<br />

Die Gesellschaft stellt für <strong>die</strong>sen Sozialplan eine Summe zur Verfügung, welche<br />

<strong>die</strong> Einigungsstelle durch Spruch festlegen soll.<br />

Die Betriebspartner legen gemeinsam <strong>die</strong> Zahl <strong>der</strong> Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen<br />

fest, welche nach den Regeln <strong>die</strong>ses Sozialplans anspruchsberechtigt<br />

sind.<br />

Danach errechnen sie gemeinsam <strong>die</strong> Summe <strong>der</strong> Zahlungen nach Ziffer<br />

3e <strong>die</strong>ses Sozialplans.<br />

Diese Summe ziehen sie von <strong>der</strong> durch Spruch <strong>der</strong> Einigungsstelle festgesetzten<br />

Gesamtdotierung ab und errechnen sodann gemeinsam den sich<br />

nunmehr ergebenden Divisor bis zur ersten Stelle hinter dem Komma, wobei<br />

<strong>die</strong> zweite Stelle kaufmännisch auf- o<strong>der</strong> abgerundet wird. Danach wird <strong>die</strong>se<br />

Zahl in <strong>die</strong> obige Formel anstelle des Buchstabens ,X’ eingesetzt.<br />

Fortsetzung auf nächster Seite »


swp magazin 38<br />

…<br />

d)<br />

Abfindung für ältere Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter und bei<br />

außerordentlicher Eigenkündigung<br />

Die Abfindung nach Ziffer 3c vermin<strong>der</strong>t sich für Mitarbeiter bzw. Mitarbeiterinnen<br />

nach Vollendung des 60. Lebensjahres für jeden weiteren Monat um<br />

1/60stel. Stichtag ist <strong>der</strong> letzte Tag des rechtlichen Bestandes des Arbeitsverhältnisses.<br />

…“<br />

Der Gesamtbetrag für <strong>die</strong> Abfindungen wurde durch einen Spruch <strong>der</strong> Einigungsstelle<br />

auf 4,55 Mio. Euro festgesetzt.<br />

Die Beklagte zahlte dem Kläger, <strong>der</strong> zum Zeitpunkt seines Ausscheidens 61<br />

<strong>Jahre</strong> und 5 Monate alt war, einen Abfindungsbetrag von 113.017,66 Euro.<br />

Der sich aus <strong>der</strong> Ziff. 3 Buchst. d Satz 1 des Sozialplans ergebende Kürzungsbetrag<br />

betrug be<strong>im</strong> Kläger rechnerisch 43.495,36 Euro.<br />

Mit seiner Klage hat <strong>der</strong> Kläger eine weitere Abfindung in Höhe des Kürzungsbetrags<br />

begehrt. Er hat gemeint, <strong>die</strong> Regelung in Ziff. 3 Buchst. d Satz<br />

1 des Sozialplans sei unwirksam, da sie eine unzulässige Ungleichbehandlung<br />

aufgrund des Alters enthalte.<br />

Der Kläger hat beantragt,<br />

<strong>die</strong> Beklagte zu verurteilen, an den Kläger 43.495,49 Euro nebst 5 %<br />

Zinsen <strong>über</strong> dem Basiszinssatz seit dem 29. November 2007 zu zahlen.<br />

Die Beklagte hat beantragt, <strong>die</strong> Klage abzuweisen.<br />

Das Arbeitsgericht hat <strong>die</strong> Klage abgewiesen. Das Landesarbeitsgericht hat<br />

<strong>die</strong> Berufung des Klägers zurückgewiesen. Mit <strong>der</strong> Revision verfolgt <strong>die</strong>ser<br />

seinen Klageanspruch weiter.<br />

Entscheidung<br />

Die Revision ist unbegründet. Die Vorinstanzen haben <strong>die</strong> Klage zu Recht<br />

abgewiesen. Dem Kläger steht <strong>der</strong> geltend gemachte weitere Abfindungsanspruch<br />

nicht zu.<br />

Die Beklagte hat <strong>die</strong> sich aus dem Sozialplan vom 23. März 2007 ergebenden<br />

Ansprüche des Klägers erfüllt. Seine Abfindung beträgt nach Ziff. 3<br />

Buchst. c des Sozialplans 153.513,02 Euro. Hinzu kommen weitere 3.000,00<br />

Euro als Ausgleich für den be<strong>im</strong> Kläger festgestellten Grad <strong>der</strong> Behin<strong>der</strong>ung.<br />

Nach <strong>der</strong> für ältere Arbeitnehmer geltenden Kürzungsbest<strong>im</strong>mung in Ziff. 3<br />

Buchst. d Satz 1 des Sozialplans ermäßigt sich <strong>die</strong> Abfindung um 43.495,36<br />

Euro auf 113.017,66 Euro. Diesen Betrag hat <strong>der</strong> Kläger erhalten.<br />

Der Kläger hat keinen weitergehenden Abfindungsanspruch aus dem betriebsverfassungsrechtlichen<br />

Gleichbehandlungsgrundsatz(§ 75 Abs. 1 <strong>BetrVG</strong>).<br />

Ziff. 3 Buchst. d Satz 1 des Sozialplans, <strong>der</strong> eine Kürzung <strong>der</strong> nach<br />

Ziff. 3 Buchst. c berechneten Sozialplanansprüche von Arbeitnehmern vorsieht,<br />

<strong>die</strong> zum Zeitpunkt des Ausscheidens aus dem Betrieb das 60. Lebensjahr<br />

vollendet haben, ist wirksam. Die unmittelbar auf dem Merkmal des<br />

Alters beruhende Ungleichbehandlung <strong>die</strong>ser Arbeitnehmergruppe ist nach<br />

§ 10 Satz 3 Nr. 6, Satz 2 AGG in <strong>der</strong> ab dem 12. Dezember 2006 geltenden<br />

Fassung zulässig.<br />

Sozialpläne unterliegen, wie an<strong>der</strong>e Betriebsvereinbarungen, <strong>der</strong> gerichtlichen<br />

Rechtmäßigkeitskontrolle. Diese sind daraufhin zu <strong>über</strong>prüfen, ob sie<br />

mit höherrangigem Recht wie insbeson<strong>der</strong>e dem betriebsverfassungsrechtlichen<br />

Gleichbehandlungsgrundsatz vereinbar sind.<br />

Fortsetzung auf nächster Seite »


swp magazin 39<br />

Arbeitgeber und Betriebsrat haben nach § 75 Abs. 1 <strong>BetrVG</strong> dar<strong>über</strong> zu<br />

wachen, dass jede Benachteiligung von Personen aus den in <strong>der</strong> Vorschrift<br />

genannten Gründen unterbleibt. § 75 Abs. 1 <strong>BetrVG</strong> enthält nicht nur ein<br />

Überwachungsgebot, son<strong>der</strong>n verbietet zugleich Vereinbarungen, durch<br />

<strong>die</strong> Arbeitnehmer aufgrund <strong>der</strong> dort aufgeführten Merkmale benachteiligt<br />

werden. Der Gesetzgeber hat <strong>die</strong> in § 1 AGG geregelten Benachteiligungsverbote<br />

in § 75 Abs. 1 <strong>BetrVG</strong> <strong>über</strong>nommen. Die unterschiedliche Behandlung<br />

<strong>der</strong> Betriebsangehörigen aus einem in § 1 AGG genannten Grund ist<br />

daher nur unter den <strong>im</strong> AGG normierten Voraussetzungen zulässig. Sind<br />

<strong>die</strong>se erfüllt, ist auch <strong>der</strong> betriebsverfassungsrechtliche Gleichbehandlungsgrundsatz<br />

gewahrt.<br />

Nach § 7 Abs. 1 AGG dürfen Beschäftigte nicht wegen eines in § 1 AGG<br />

genannten Grundes benachteiligt werden. Best<strong>im</strong>mungen in Vereinbarungen,<br />

<strong>die</strong> gegen <strong>die</strong>ses Benachteiligungsverbot verstoßen, sind nach §<br />

7 Abs. 2 AGG unwirksam. Der Begriff <strong>der</strong> Benachteiligung best<strong>im</strong>mt sich<br />

nach § 3 AGG. Eine unmittelbare Benachteiligung liegt nach § 3 Abs. 1<br />

Satz 1 AGG vor, wenn eine Person wegen eines in § 1 AGG genannten<br />

Grundes eine weniger günstige Behandlung erfährt, als eine an<strong>der</strong>e Person<br />

in einer vergleichbaren Situation erfährt, erfahren hat o<strong>der</strong> erfahren<br />

würde. Eine unmittelbar auf dem Alter beruhende Ungleichbehandlung<br />

kann aber nach § 10 AGG unter den dort genannten Voraussetzungen<br />

zulässig sein. § 10 Satz 1 und 2 AGG gestatten <strong>die</strong> unterschiedliche Behandlung<br />

wegen des Alters, wenn <strong>die</strong>se objektiv und angemessen und<br />

durch ein legit<strong>im</strong>es Ziel gerechtfertigt ist und wenn <strong>die</strong> Mittel zur Erreichung<br />

<strong>die</strong>ses Ziels angemessen und erfor<strong>der</strong>lich sind.<br />

Nach § 10 Satz 3 Nr. 6 AGG können <strong>die</strong> Betriebsparteien eine nach Alter<br />

o<strong>der</strong> Betriebszugehörigkeit gestaffelte Abfindungsregelung vorsehen, in <strong>der</strong><br />

sie <strong>die</strong> wesentlich vom Alter abhängenden Chancen auf dem Arbeitsmarkt<br />

durch eine verhältnismäßig starke Betonung des Lebensalters erkennbar<br />

berücksichtigen, o<strong>der</strong> auch Beschäftigte von den Leistungen des Sozialplans<br />

ausschließen, weil <strong>die</strong>se, gegebenenfalls nach Bezug von Arbeitslosengeld<br />

I, rentenberechtigt sind.<br />

Mit <strong>die</strong>ser Vorschrift hat <strong>der</strong> Gesetzgeber den Betriebsparteien einen Gestaltungs-<br />

und Beurteilungsspielraum eröffnet, <strong>der</strong> es ihnen unter den in<br />

<strong>der</strong> Vorschrift best<strong>im</strong>mten Voraussetzungen ermöglicht, das Lebensalter<br />

als Bemessungskriterium für <strong>die</strong> Sozialplanabfindung heranzuziehen.<br />

Die den Betriebsparteien in § 10 Satz 3 Nr. 6 2. Alt. AGG eingeräumte<br />

Möglichkeit, ältere Arbeitnehmer unter den dort genannten Voraussetzungen<br />

von Sozialplanleistungen auszuschließen, verstößt nicht gegen<br />

das Verbot <strong>der</strong> Altersdiskr<strong>im</strong>inierung <strong>im</strong> Recht <strong>der</strong> Europäischen Union.<br />

Die nationale Regelung ist iSv. Art. 6 Abs. 1 Satz 1 <strong>der</strong> Richtlinie 2000/78/<br />

EG des Rates vom 27. November 2000 zur Festlegung eines allgemeinen<br />

Rahmens für <strong>die</strong> Verwirklichung <strong>der</strong> Gleichbehandlung in Beschäftigung<br />

und Beruf (Richtlinie 2000/78/EG) durch ein <strong>im</strong> Allgemeininteresse liegendes<br />

sozialpolitisches Ziel des deutschen Gesetzgebers gerechtfertigt.<br />

Dieser wollte es den Betriebsparteien entsprechend dem zukunftsgerichteten<br />

Entschädigungscharakter von Sozialplanleistungen ermöglichen, <strong>die</strong>se<br />

bei „rentennahen“ Arbeitnehmern stärker an den tatsächlich eintretenden<br />

wirtschaftlichen Nachteilen zu orientieren, <strong>die</strong> ihnen durch den bevorstehenden<br />

Arbeitsplatzverlust und eine darauf zurückgehende Arbeitslosigkeit<br />

drohen. Durch <strong>die</strong>se Gestaltungsmöglichkeit kann das Anwachsen <strong>der</strong><br />

Abfindungshöhe, das mit <strong>der</strong> Verwendung <strong>der</strong> Parameter Betriebszugehörigkeit<br />

und/o<strong>der</strong> Lebensalter bei <strong>der</strong> Bemessung <strong>der</strong> Abfindung zwangsläufig<br />

verbunden ist, bei abnehmen<strong>der</strong> Schutzbedürftigkeit <strong>im</strong> Interesse <strong>der</strong><br />

Verteilungsgerechtigkeit begrenzt werden.<br />

Nach <strong>der</strong> <strong>Rechtsprechung</strong> des Senats sind <strong>die</strong> zur Beurteilung <strong>der</strong> Zulässigkeit<br />

von § 10 Satz 3 Nr. 6 AGG heranzuziehenden Grundsätze zum<br />

Verständnis und zur Anwendung von Art. 6 Abs. 1 Satz 1 <strong>der</strong> Richtlinie<br />

2000/78/EG offenkundig, jedenfalls aber durch <strong>die</strong> jüngere <strong>Rechtsprechung</strong><br />

des Europäischen Gerichtshofs geklärt, so dass ein Vorabentscheidungsersuchen<br />

nach Art. 234 Abs. 3 EGV (nunmehr: Art. 267 Abs.<br />

3 AEUV) nicht geboten ist.<br />

Fortsetzung auf nächster Seite »


swp magazin 40<br />

Aussetzung des vorliegenden Verfahrens zur Durchführung eines Vorabentscheidungsverfahrens<br />

ist entgegen <strong>der</strong> Ansicht des Klägers auch nicht<br />

durch das Urteil des Europäischen Gerichtshofs zur Nichtberücksichtigung<br />

von Beschäftigungszeiten vor dem 25. Lebensjahr bei <strong>der</strong> Berechnung <strong>der</strong><br />

gesetzlichen Kündigungsfrist in § 622 Abs. 2 Satz 2 BGB veranlasst. In<br />

<strong>die</strong>ser Entscheidung hat <strong>der</strong> Gerichtshof lediglich seine vom Senat bereits<br />

berücksichtigten Grundsätze zur Rechtfertigung von Ungleichbehandlungen<br />

wegen des Alters auf <strong>die</strong> Regelung in § 622 Abs. 2 BGB fallbezogen<br />

angewandt.<br />

§ 10 Satz 3 Nr. 6 AGG erfasst nach seinem Wortlaut nur den Ausschluss<br />

von älteren Arbeitnehmern, <strong>die</strong> entwe<strong>der</strong> unmittelbar nach dem Ausscheiden<br />

o<strong>der</strong> <strong>im</strong> Anschluss an den Bezug von Arbeitslosengeld I durch den<br />

Bezug einer Altersrente wirtschaftlich abgesichert sind. Die Vorschrift ist<br />

gleichermaßen anwendbar, wenn <strong>die</strong> betroffenen Arbeitnehmer zwar nicht<br />

unmittelbar nach dem Bezug von Arbeitslosengeld I rentenberechtigt sind,<br />

<strong>die</strong> Abfindung aber ausreichend bemessen ist, um <strong>die</strong> wirtschaftlichen<br />

Nachteile auszugleichen, <strong>die</strong> sie in <strong>der</strong> Zeit nach <strong>der</strong> Erfüllung ihres Arbeitslosengeldanspruchs<br />

bis zum frühestmöglichen Bezug einer Altersrente<br />

erleiden. Dies ist stets <strong>der</strong> Fall, wenn <strong>die</strong> Abfindungshöhe für <strong>die</strong>sen Zeitraum<br />

den Betrag <strong>der</strong> zuletzt bezogenen Arbeitsvergütung erreicht. Die von<br />

<strong>der</strong> Betriebsän<strong>der</strong>ung betroffenen Arbeitnehmer sind dann wirtschaftlich<br />

so gestellt, als wäre das Arbeitsverhältnis bis zu dem Zeitpunkt fortgesetzt<br />

worden, in dem sie nach dem Bezug von Arbeitslosengeld I nahtlos eine<br />

Altersrente beziehen können.<br />

§ 10 Satz 3 Nr. 6 AGG ermöglicht danach den Betriebsparteien unter den<br />

dort best<strong>im</strong>mten Voraussetzungen eine unmittelbar auf dem Alter beruhende<br />

Ungleichbehandlung in einem Sozialplan. Die Vorschrift best<strong>im</strong>mt<br />

aber nur das legit<strong>im</strong>e Ziel iSv. Art. 6 Abs. 1 Satz 1 <strong>der</strong> Richtlinie 2000/78/<br />

EG und eröffnet den Betriebsparteien einen Gestaltungs- und Beurteilungsspielraum.<br />

Dessen Ausgestaltung unterliegt noch einer weiteren Verhältnismäßigkeitsprüfung<br />

nach § 10 Satz 2 AGG. Die von den Betriebsparteien<br />

gewählte Sozialplangestaltung muss geeignet sein, das mit § 10 Satz<br />

3 Nr. 6 AGG verfolgte Ziel tatsächlich zu för<strong>der</strong>n und darf <strong>die</strong> Interessen<br />

<strong>der</strong> benachteiligten (Alters-)Gruppe nicht unverhältnismäßig stark vernachlässigen.<br />

Danach verstößt <strong>die</strong> Kürzungsregelung in Ziff. 3 Buchst. d Satz<br />

1 des Sozialplans nicht gegen das Benachteiligungsverbot in § 7 Abs. 1<br />

AGG.<br />

Die Regelungen des Sozialplans vom 23. März 2007 sind nach dem am<br />

18. August 2006 in Kraft getretenen AGG idF des Gesetzes zur Än<strong>der</strong>ung<br />

des Betriebsrentengesetzes und an<strong>der</strong>er Gesetze vom 2. Dezember 2006<br />

und nach § 75 Abs. 1 <strong>BetrVG</strong> in <strong>der</strong> seit dem 18. August 2006 geltenden<br />

Fassung zu beurteilen.<br />

Ziff. 3 Buchst. d Satz 1 des Sozialplans führt zu einer unmittelbar auf dem<br />

Alter beruhenden Ungleichbehandlung. Von <strong>der</strong> Kürzung <strong>der</strong> nach Ziff. 3<br />

Buchst. c des Sozialplans berechneten Abfindung sind nur Arbeitnehmer<br />

betroffen, <strong>die</strong> zum Zeitpunkt <strong>der</strong> Beendigung ihrer Arbeitsverhältnisse<br />

das 60. Lebensjahr vollendet haben.<br />

Die Voraussetzungen des § 10 Satz 3 Nr. 6 AGG liegen vor.<br />

Nach Ziff. 2 des Interessenausgleichs vom 23. März 2007 konnte <strong>die</strong> Beklagte<br />

betriebsbedingte Kündigungen erst nach dem 1. April 2007 aussprechen.<br />

Unter Berücksichtigung <strong>der</strong> längsten gesetzlichen Kündigungsfrist<br />

hätte eine solche Kündigung <strong>die</strong> in Betracht kommenden Arbeitsverhältnisse<br />

zum Ablauf des 30. November 2007 beendet. Von <strong>der</strong> Kürzungsregelung<br />

in Ziff. 3 Buchst. d Satz 1 des Sozialplans waren danach nur Arbeitnehmer<br />

betroffen, <strong>die</strong> <strong>im</strong> November 1947 o<strong>der</strong> früher geboren worden sind.<br />

Die bis einschließlich Juni 1947 geborenen Arbeitnehmer, zu denen auch<br />

<strong>der</strong> Kläger zählt, konnten bei einem Ausscheiden am 30. November 2007<br />

nach dem Bezug von Arbeitslosengeld I nahtlos eine Altersrente wegen<br />

Arbeitslosigkeit beziehen.<br />

Fortsetzung auf nächster Seite »


swp magazin 41<br />

Nach § 237 Abs. 1, Abs. 3 Satz 1 und 2 SGB VI iVm. <strong>der</strong> Anlage 19 liegt<br />

das Alter für <strong>die</strong> vorzeitige Inanspruchnahme einer solchen Altersrente für<br />

bis zum Juni 1947 geborene Personen bei 61 <strong>Jahre</strong>n und 6 Monaten o<strong>der</strong><br />

darunter. Bis zum Erreichen des frühestmöglichen Renteneintrittsalters war<br />

<strong>die</strong>se Arbeitnehmergruppe durch den Bezug von Arbeitslosengeld I abgesichert.<br />

Die Anspruchsdauer für Arbeitslose, <strong>die</strong> bei <strong>der</strong> Entstehung des Anspruchs<br />

auf Arbeitslosengeld das 55. Lebensjahr vollendet hatten, betrug<br />

nach einer Dauer des Versicherungspflichtverhältnisses von 36 Monaten<br />

18 Monate(§ 127 Abs. 2, Abs. 1 Nr. 2 SGB III).<br />

Die zwischen Juli und November 1947 geborenen Arbeitnehmer konnten<br />

eine vorzeitige Altersrente wegen Arbeitslosigkeit zwar erst mit 61 <strong>Jahre</strong>n<br />

und sieben bzw. elf Monaten in An-spruch nehmen. Ihre Einbeziehung in<br />

<strong>die</strong> Kürzungsregelung in Ziff. 3 Buchst. d Satz 1 des Sozialplans ist aber<br />

gleichermaßen nach § 10 Satz 3 Nr. 6 AGG zulässig. Die Betriebsparteien<br />

konnten nach <strong>der</strong> Berechnungsformel für <strong>die</strong> Abfindungen, <strong>die</strong> sich an den<br />

Faktoren Betriebszugehörigkeit, Lebensalter sowie Bruttomonatsver<strong>die</strong>nst<br />

orientiert, und dem von <strong>der</strong> Einigungsstelle festgesetzten Sozialplanvolumen<br />

davon ausgehen, dass <strong>die</strong> für <strong>die</strong>se Beschäftigtengruppe zur Verfügung<br />

stehenden Abfindungsbeträge ausreichend bemessen wa-ren, um<br />

<strong>die</strong> wirtschaftlichen Nachteile, <strong>die</strong> <strong>die</strong>se nach dem Bezug des Arbeitslosengeldes<br />

I und <strong>der</strong> vorzeitigen Inanspruchnahmemöglichkeit einer Altersrente<br />

wegen Arbeitslosigkeit erleiden würden, vollständig auszugleichen. Die<br />

Berücksichtigung <strong>der</strong> Betriebszugehörigkeit und des Lebensalters führte<br />

zu einem <strong>über</strong>proportionalen Ansteigen <strong>der</strong> Abfindungshöhe bei älteren<br />

Arbeitnehmern mit längerer Betriebszugehörigkeit. Über<strong>die</strong>s mussten <strong>die</strong><br />

nach dem Juni 1947 geborenen und von <strong>der</strong> Kürzungsregelung betroffenen<br />

Arbeitnehmer lediglich einen Abschlag zwischen 1/60 und 5/60 von <strong>der</strong><br />

nach Ziff. 3 Buchst. c des Sozialplans ermittelten Abfindung hinnehmen.<br />

Die Kürzungsregelung in § 3 Buchst. d Satz 1 des Sozialplans ist angemessen<br />

und erfor<strong>der</strong>lich iSd. § 10 Satz 2 AGG.<br />

Nach <strong>der</strong> Senatsrechtsprechung haben Sozialpläne eine zukunftsbezogene<br />

Ausgleichs- und Überbrückungsfunktion. Geldleistungen in Form einer<br />

Abfindung stellen kein zusätzliches Entgelt für <strong>die</strong> in <strong>der</strong> Vergangenheit<br />

erbrachten Dienste dar, son<strong>der</strong>n sollen <strong>die</strong> voraussichtlich entstehenden<br />

wirtschaftlichen Folgen eines durch Betriebsän<strong>der</strong>ung verursachten Arbeitsplatzverlustes<br />

ausgleichen o<strong>der</strong> zumindest abmil<strong>der</strong>n. Die Betriebsparteien<br />

können <strong>die</strong>se Nachteile aufgrund ihres Beurteilungs- und Gestaltungsspielraums<br />

in typisierter und pauschalierter Form ausgleichen.<br />

Dazu können sie <strong>die</strong> <strong>über</strong>mäßige Begünstigung, <strong>die</strong> ältere Beschäftigte<br />

mit langjähriger Betriebszugehörigkeit bei einer am Lebensalter und an <strong>der</strong><br />

Betriebszugehörigkeit orientierten Abfindungsberechnung erfahren, durch<br />

eine Kürzung für rentennahe Jahrgänge zurückführen, um eine aus Sicht<br />

<strong>der</strong> Betriebsparteien verteilungsgerechte Abmil<strong>der</strong>ung <strong>der</strong> wirtschaftlichen<br />

Folgen <strong>der</strong> Betriebsän<strong>der</strong>ung zu ermöglichen.<br />

Die in Ziff. 3 Buchst. c des Sozialplans vereinbarte Abfindungsformel führt<br />

zu einer <strong>über</strong>proportionalen Begünstigung von älteren Arbeitnehmern mit<br />

längeren Beschäftigungszeiten. Eine Kürzung <strong>der</strong> mit dem Alter und <strong>der</strong><br />

Betriebszugehörigkeit ansteigenden Abfindungsbeträge war aus Gründen<br />

<strong>der</strong> Verteilungsgerechtigkeit geboten. Bei den rentennahen Jahrgängen<br />

war absehbar, dass <strong>die</strong>se bei fortbestehen<strong>der</strong> Arbeitslosigkeit nach dem<br />

Bezug von Arbeitslosengeld I durch den Bezug einer vorgezogenen Altersrente<br />

weitgehend wirtschaftlich abgesichert waren. Von einer vergleichbaren<br />

Absicherung konnten <strong>die</strong> Betriebsparteien bei den rentenfernen<br />

Jahrgängen nicht ausgehen. Entgegen <strong>der</strong> Auffassung des Klägers hält es<br />

sich auch <strong>im</strong> Rahmen des den Betriebsparteien zustehenden Gestaltungsspielraums,<br />

wenn sie <strong>die</strong> Abfindung nach Ziff. 3 Buchst. c des Sozialplans<br />

bei Arbeitnehmern, <strong>die</strong> <strong>im</strong> unmittelbaren Anschluss an <strong>die</strong> Beendigung<br />

ihres Arbeitsverhältnisses eine Anschlussbeschäftigung bei einem an<strong>der</strong>en<br />

Arbeitgeber aufnehmen, nicht gleichermaßen einer Kürzung unterworfen<br />

haben. Denn auch <strong>die</strong>ser Personenkreis verliert seine bisherige kündigungsschutzrechtliche<br />

Stellung und gehört bei künftigen Personalreduzierungen<br />

regelmäßig zu den Arbeitnehmern, <strong>die</strong> wegen ihrer kurzen Betriebszugehörigkeit<br />

vorrangig entlassen werden.<br />

Fortsetzung auf nächster Seite »


swp magazin 42<br />

Die Interessen <strong>der</strong> älteren Arbeitnehmer sind bei <strong>der</strong> Ausgestaltung <strong>der</strong><br />

Kürzungsregelung in Ziff. 3 Buchst. d Satz 1 des Sozialplans genügend<br />

beachtet worden. Die Betriebsparteien haben <strong>die</strong> <strong>über</strong> 59-jährigen Arbeitnehmer<br />

nicht von Sozialplanleistungen ausgeschlossen, son<strong>der</strong>n nur Abschläge<br />

von <strong>der</strong> nach Ziff. 3 Buchst. c des Sozialplans berechneten Abfindung<br />

vorgesehen. Sie haben keinen Systemwechsel bei <strong>der</strong> Bemessung<br />

<strong>der</strong> Sozialplanabfindung vorgenommen und <strong>die</strong> mit Stichtagsregelungen<br />

regelmäßig verbundenen Härten weitgehend vermieden. Die Kürzungsregelung<br />

orientiert sich entsprechend dem von § 10 Satz 3 Nr. 6 AGG<br />

verfolgten Zweck an dem Zeitpunkt, in dem <strong>die</strong> entlassenen Arbeitnehmer<br />

eine Regelaltersrente (§ 35 SGB VI) beanspruchen können, durch <strong>der</strong>en<br />

Bezug sie wirtschaftlich abgesichert sind. Die Abschläge betragen 1/60<br />

für jeden Monat nach <strong>der</strong> Vollendung des 60. Lebensjahres, so dass nur<br />

Arbeitnehmer, <strong>die</strong> <strong>im</strong> Monat ihres Ausscheidens das 65. Lebensjahr vollenden,<br />

keine Abfindung erhalten. Die wirtschaftlichen Nachteile <strong>der</strong> übrigen<br />

von <strong>der</strong> Kürzungsregelung betroffenen Arbeitnehmer werden aufgrund<br />

ihrer <strong>über</strong>proportionalen Begünstigung durch <strong>die</strong> verwandte Abfindungsformel<br />

und <strong>der</strong> mo<strong>der</strong>at bemessenen Abschläge durch den Sozialplan in nicht<br />

zu beanstanden<strong>der</strong> Weise abgemil<strong>der</strong>t o<strong>der</strong> <strong>im</strong> Einzelfall sogar vollständig<br />

ausgeglichen.<br />

d. Bemessungsdurchgriff bei <strong>der</strong> Aufstellung eines Sozialplans<br />

<strong>im</strong> Konzern<br />

BAG vom 15.03.2011, 1 ABR 97/09<br />

Kurzzusammenfassung:<br />

Können sich Betriebsparteien nicht auf <strong>die</strong> Vereinbarung eines Sozialplans<br />

verständigen, entscheidet <strong>die</strong> Einigungsstelle. Bei ihrem Spruch hat sie gemäß<br />

§ 112 Abs. 5 <strong>BetrVG</strong> <strong>die</strong> sozialen Belange <strong>der</strong> Arbeitnehmer zu berücksichtigen<br />

und auf <strong>die</strong> wirtschaftliche Vertretbarkeit <strong>der</strong> Sozialplandotierung<br />

zu achten. Hierfür ist auf <strong>die</strong> finanzielle Leistungsfähigkeit des Arbeitgebers<br />

(Unternehmens) abzustellen.<br />

Dies gilt grundsätzlich auch für Sozialpläne konzernangehöriger Unternehmen.<br />

Ist allerdings ein solches Unternehmen durch eine Spaltung iSd. Umwandlungsgesetzes<br />

entstanden und sind dabei <strong>die</strong> zur Führung seines Betriebs<br />

wesentlichen Vermögensteile bei dem <strong>über</strong>tragenden Unternehmen<br />

als Anlagegesellschaft verblieben und dem später sozialplanpflichtigen Unternehmen<br />

als Betriebsgesellschaft lediglich zur Nutzung <strong>über</strong>lassen worden,<br />

ist nach § 134 UmwG bei <strong>der</strong> Best<strong>im</strong>mung des Sozialplanvolumens <strong>im</strong><br />

Wege eines Bemessungsdurchgriffs auch <strong>die</strong> finanzielle Leistungsfähigkeit<br />

<strong>der</strong> Anlagegesellschaft zu berücksichtigen. Der Bemessungsdurchgriff ist<br />

jedoch <strong>der</strong> Höhe nach auf <strong>die</strong> <strong>der</strong> Betriebsgesellschaft bei <strong>der</strong> Spaltung<br />

entzogenen Vermögensteile begrenzt.<br />

Die K-AG hat sechs Rehakliniken betrieben. Diese glie<strong>der</strong>te sie Anfang des<br />

<strong>Jahre</strong>s 2006 auf sechs Betriebsgesellschaften aus. In fünf Fällen behielt<br />

<strong>die</strong> K-AG das Eigentum an den Klinikgrundstücken. Im sechsten, streitgegenständlichen<br />

Fall <strong>der</strong> O-Klinik GmbH (Arbeitgeberin) war <strong>die</strong> K-AG nur<br />

Pächterin <strong>der</strong> Klinik<strong>im</strong>mobilie gewesen. Ende 2006 beschloss <strong>die</strong> Arbeitgeberin<br />

ihren hoch defizitären Klinikbetrieb einzustellen. Daraufhin wurde<br />

durch Spruch <strong>der</strong> Einigungsstelle ein Sozialplan mit einem Gesamtvolumen<br />

von 1,3 Mio. Euro aufgestellt. Zu <strong>die</strong>ser Zeit wies <strong>die</strong> Bilanz <strong>der</strong> Arbeitgeberin<br />

einen durch Eigenkapital nicht gedeckten Fehlbetrag von rund 3 Mio.<br />

Euro aus.<br />

Der auf <strong>die</strong> Feststellung <strong>der</strong> Unwirksamkeit des Einigungsstellenspruchs<br />

gerichtete Antrag <strong>der</strong> Arbeitgeberin hatte vor dem Ersten Senat des Bundesarbeitsgerichts<br />

Erfolg. Der Spruch <strong>der</strong> Einigungsstelle <strong>über</strong>schreitet <strong>die</strong><br />

Grenzen <strong>der</strong> wirtschaftlichen Vertretbarkeit und verstößt deshalb gegen §<br />

112 Abs. 5 <strong>BetrVG</strong>. Ein Bemessungsdurchgriff nach § 134 UmwG auf <strong>die</strong><br />

vermögende K-AG war <strong>der</strong> Einigungsstelle verwehrt. Im Zuge <strong>der</strong> Ausglie<strong>der</strong>ung<br />

waren <strong>der</strong> Arbeitgeberin keine für <strong>die</strong> Fortführung ihres Klinikbetriebs<br />

wesentlichen Vermögensteile entzogen worden.


swp magazin 44<br />

Das Schnellgericht<br />

In aller Kürze: Aktuelle <strong>Rechtsprechung</strong><br />

<strong>im</strong> Individualarbeitsrecht<br />

1. Falsche Beantwortung <strong>der</strong> Frage nach einer Schwerbehin<strong>der</strong>ung<br />

BAG, Urteil vom 7. Juli 2011, Aktenzeichen 2 AZR 396/10<br />

Die falsche Beantwortung einer dem Arbeitnehmer bei <strong>der</strong> Einstellung zulässigerweise<br />

gestellten Frage kann den Arbeitgeber dazu berechtigen, den<br />

Arbeitsvertrag wegen arglistiger Täuschung anzufechten. Das setzt voraus,<br />

dass <strong>die</strong> Täuschung für den Abschluss des Arbeitsvertrags ursächlich war.<br />

Wirkt sich <strong>die</strong> Täuschung <strong>im</strong> Arbeitsverhältnis weiterhin aus, kann zudem<br />

eine Kündigung gerechtfertigt sein.<br />

Auf <strong>die</strong>ser Grundlage hat das Bundesarbeitsgericht - ebenso wie <strong>die</strong> Vorinstanzen<br />

- entschieden, dass <strong>die</strong> von einem größeren Softwareunternehmen<br />

erklärte Anfechtung und Kündigung des Arbeitsvertrags einer Außen<strong>die</strong>nstmitarbeiterin<br />

unwirksam sind. Die Klägerin hatte bei <strong>der</strong> Einstellung <strong>die</strong><br />

Frage nach dem Bestehen einer Schwerbehin<strong>der</strong>ung unzutreffend verneint.<br />

Die Täuschung war jedoch nicht ursächlich für den Abschluss des Arbeitsvertrags.<br />

Die Beklagte hatte nämlich ausdrücklich erklärt, sie hätte <strong>die</strong> Klägerin<br />

auch dann eingestellt, wenn <strong>die</strong>se <strong>die</strong> Frage wahrheitsgemäß beantwortet<br />

hätte. Die Beklagte vermochte Anfechtung und Kündigung auch nicht darauf<br />

zu stützen, dass <strong>die</strong> Klägerin sie zugleich <strong>über</strong> ihre Ehrlichkeit getäuscht<br />

habe. Die Annahme <strong>der</strong> Beklagten, <strong>die</strong> Klägerin sei ehrlich, beruhte nicht auf<br />

<strong>der</strong>en falscher Antwort. Auf <strong>die</strong> seit In-Kraft-Treten des § 81 Abs. 2 SGB IX<br />

zum 1. Juli 2001 und des AGG zum 18. August 2006 umstrittene Frage, ob<br />

sich <strong>der</strong> Arbeitgeber vor <strong>der</strong> Einstellung nach dem Bestehen einer Schwerbehin<strong>der</strong>ung<br />

erkundigen darf, kam es nicht an.<br />

Die Klägerin ihrerseits hat keinen Anspruch auf Entschädigung wegen einer<br />

Diskr<strong>im</strong>inierung. Es gab keine ausreichenden Indiztatsachen dafür, dass sie<br />

von <strong>der</strong> Beklagten wegen ihrer Behin<strong>der</strong>ung benachteiligt wurde.<br />

Das BAG hat nicht entschieden, ob § 15 AGG bei unzulässig diskr<strong>im</strong>inierenden<br />

Kündigungen <strong>über</strong>haupt anwendbar ist.<br />

2. Zugang einer Kündigung bei Übergabe des Kündigungsschreibens<br />

an den E-hegatten außerhalb <strong>der</strong> Wohnung<br />

BAG, Urteil vom 9. Juni 2011, Aktenzeichen 6 AZR 687/09<br />

Die Kündigung eines Arbeitsverhältnisses wird als Willenserklärung unter<br />

Abwesenden nach § 130 Abs. 1 BGB erst wirksam, wenn sie dem Kündigungsgegner<br />

zugegangen ist. Der Kündigende trägt das Risiko <strong>der</strong> Übermittlung<br />

und des Zugangs <strong>der</strong> Kündigungserklärung. Diese ist erst dann<br />

zugegangen, wenn sie so in den Machtbereich des Arbeitnehmers gelangt<br />

ist, dass <strong>die</strong>ser unter gewöhnlichen Umständen unter Berücksichtigung <strong>der</strong><br />

Verkehrsauffassung von ihrem Inhalt Kenntnis nehmen kann. Wird das Kündigungsschreiben<br />

einer Person <strong>über</strong>geben, <strong>die</strong> mit dem Arbeitnehmer in<br />

einer Wohnung lebt und <strong>die</strong> aufgrund ihrer Reife und Fähigkeiten geeignet<br />

erscheint, das Schreiben an den Arbeitnehmer weiterzuleiten, ist <strong>die</strong>se nach<br />

<strong>der</strong> Verkehrsanschauung als Empfangsbote des Arbeitnehmers anzusehen.<br />

Dies ist in <strong>der</strong> Regel bei Ehegatten <strong>der</strong> Fall. Die Kündigungserklärung des<br />

Arbeitgebers geht dem Arbeitnehmer allerdings nicht bereits mit <strong>der</strong> Übermittlung<br />

an den Empfangsboten zu, son<strong>der</strong>n erst dann, wenn mit <strong>der</strong> Weitergabe<br />

<strong>der</strong> Erklärung unter gewöhnlichen Verhältnissen zu rechnen ist.<br />

Die Klägerin war bei <strong>der</strong> Beklagten seit dem 3. Februar 2003 als Assistentin<br />

<strong>der</strong> Geschäftsleitung beschäftigt. Auf das Arbeitsverhältnis fand das Kündigungsschutzgesetz<br />

keine Anwendung. Nach einem Konflikt verließ <strong>die</strong> Klägerin<br />

am 31. Januar 2008 ihren Arbeitsplatz. Mit einem Schreiben vom selben<br />

Tag kündigte <strong>die</strong> Beklagte das Arbeitsverhältnis ordentlich zum 29. Februar<br />

2008. Das Kündigungsschreiben ließ sie durch einen Boten dem Ehemann<br />

<strong>der</strong> Klägerin <strong>über</strong>bringen, dem das Schreiben am Nachmittag des 31. Januar<br />

2008 an seinem Arbeitsplatz in einem Baumarkt <strong>über</strong>geben wurde. Der<br />

Ehemann <strong>der</strong> Klägerin ließ das Schreiben zunächst an seinem Arbeitsplatz<br />

liegen und reichte es erst am 1. Februar 2008 an <strong>die</strong> Klägerin weiter.<br />

Fortsetzung auf nächster Seite »


swp magazin 45<br />

Die Revision <strong>der</strong> Klägerin hatte keinen Erfolg. Da das Kündigungsschreiben<br />

<strong>der</strong> Beklagten vom 31. Januar 2008 <strong>der</strong> Klägerin noch am selben Tag zugegangen<br />

ist, ist das Arbeitsverhältnis <strong>der</strong> Parteien gemäß § 622 Abs. 2 Nr.<br />

1 BGB nach Ablauf <strong>der</strong> Kündigungsfrist von einem Monat zum 29. Februar<br />

2008 beendet worden. Nach <strong>der</strong> Verkehrsanschauung war <strong>der</strong> Ehemann <strong>der</strong><br />

Klägerin bei <strong>der</strong> Übergabe des Kündigungsschreibens am Nachmittag des<br />

31. Januar 2008 Empfangsbote. Dem steht nicht entgegen, dass das Schreiben<br />

dem Ehemann <strong>der</strong> Klägerin an seinem Arbeitsplatz in einem Baumarkt<br />

und damit außerhalb <strong>der</strong> Wohnung <strong>über</strong>geben wurde. Entscheidend ist, dass<br />

unter normalen Umständen nach <strong>der</strong> Rückkehr des Ehemanns in <strong>die</strong> gemeinsame<br />

Wohnung mit einer Weiterleitung des Kündigungsschreibens an<br />

<strong>die</strong> Klägerin noch am 31. Januar 2008 zu rechnen war.<br />

3. Urlaub in <strong>der</strong> Kündigungsfrist<br />

BAG, Urteil vom 17. Mai 2011, Aktenzeichen 9 AZR 189/10<br />

Nach § 7 Abs. 1 Satz 1 BUrlG legt <strong>der</strong> Arbeitgeber den Urlaub zeitlich fest.<br />

Die Erklärung eines Arbeitgebers, einen Arbeitnehmer unter Anrechnung<br />

auf dessen Urlaubsansprüche nach <strong>der</strong> Kündigung von <strong>der</strong> Arbeitsleistung<br />

freizustellen, ist nach den §§ 133, 157 BGB aus Sicht des Arbeitnehmers<br />

auszulegen.<br />

Der Kläger ist bei <strong>der</strong> Beklagten, einem Bankunternehmen, als Angestellter<br />

mit einem jährlichen Urlaubsanspruch von 30 Arbeitstagen beschäftigt. Mit<br />

Schreiben vom 13. November 2006 erklärte <strong>die</strong> Beklagte <strong>die</strong> Kündigung des<br />

Arbeitsverhältnisses mit Wirkung zum 31. März 2007. Gleichzeitig stellte sie<br />

den Kläger „ab sofort unter Anrechnung Ihrer Urlaubstage von Ihrer Arbeit<br />

unter Fortzahlung <strong>der</strong> Bezüge“ frei. In dem nachfolgenden Kündigungsschutzprozess<br />

entschied das Arbeitsgericht mit rechtskräftigem Urteil, das<br />

Arbeitsverhältnis sei durch <strong>die</strong> Kündigung <strong>der</strong> Beklagten nicht beendet worden.<br />

Der Kläger macht Resturlaub aus dem Jahr 2007 geltend. Er vertritt <strong>die</strong><br />

Auffassung, <strong>die</strong> Beklagte habe ihm während <strong>der</strong> Kündigungsfrist neben dem<br />

aus 2006 resultierenden Urlaub allenfalls 7,5 Tage Urlaub für das Jahr 2007<br />

gewährt.<br />

Dies entspreche dem Teilurlaub, den er nach § 5 Abs. 1 Buchst. c BUrlG <strong>im</strong><br />

Zeitraum vom 1. Januar bis zum 31. März 2007 erworben habe. Sowohl das<br />

Arbeitsgericht als auch das Landesarbeitsgericht haben <strong>die</strong> Klage abgewiesen.<br />

Das BAG hat <strong>die</strong> Entscheidung des Landesarbeitsgerichts aufgehoben und<br />

<strong>der</strong> Klage stattgegeben. Die Freistellung des Arbeitnehmers zum Zwecke <strong>der</strong><br />

Gewährung von Erholungsurlaub erfolgt durch einseitige, empfangsbedürftige<br />

Willenserklärung des Arbeitgebers. Die Erklärung muss für den Arbeitnehmer<br />

aber hinreichend deutlich erkennen lassen, in welchem Umfang <strong>der</strong><br />

Arbeitgeber <strong>die</strong> Urlaubsansprüche des Arbeitnehmers erfüllen will. Zweifel<br />

gehen zu Lasten des Arbeitgebers. Denn als Erklären<strong>der</strong> hat er es in <strong>der</strong><br />

Hand, den Umfang <strong>der</strong> Freistellung eindeutig festzulegen. Im Streitfall konnte<br />

<strong>der</strong> Kläger <strong>der</strong> Freistellungserklärung <strong>der</strong> Beklagten nicht mit hinreichen<strong>der</strong><br />

Sicherheit entnehmen, ob <strong>die</strong> Beklagte ua. den vollen Urlaubsanspruch für<br />

das Jahr 2007 o<strong>der</strong> lediglich den auf den Zeitraum vom 1. Januar bis zum<br />

31. März 2007 entfallenden Teilurlaubsanspruch erfüllen wollte.<br />

4. Die CGZP kann keine Tarifverträge schließen<br />

BAG, Beschluss vom 14. Dezember 2010, Aktenzeichen 1 ABR 19/10<br />

Die Tarifgemeinschaft Christlicher Gewerkschaften für Zeitarbeit und Personalserviceagenturen<br />

(CGZP) ist keine Spitzenorganisation, <strong>die</strong> in eigenem<br />

Namen Tarifverträge abschließen kann. Sie erfüllt <strong>die</strong> hierfür erfor<strong>der</strong>lichen<br />

tarifrechtlichen Voraussetzungen nicht.<br />

Tarifverträge können auf Arbeitnehmerseite nur von einer tariffähigen Gewerkschaft<br />

o<strong>der</strong> einem Zusammenschluss solcher Gewerkschaften (Spitzenorganisation)<br />

abgeschlossen werden. Soll eine Spitzenorganisation selbst<br />

als Partei Tarifverträge abschließen, muss das zu ihren satzungsmäßigen<br />

Aufgaben gehören (§ 2 Abs. 3 TVG).<br />

Fortsetzung auf nächster Seite »


swp magazin 46<br />

Dazu müssen <strong>die</strong> sich zusammenschließenden Gewerkschaften ihrerseits<br />

tariffähig sein und <strong>der</strong> Spitzenorganisation ihre Tariffähigkeit vollständig<br />

vermitteln. Dies ist nicht <strong>der</strong> Fall, wenn <strong>die</strong> Befugnis zum Abschluss von<br />

Tarifverträgen durch <strong>die</strong> Spitzenorganisation auf einen Teil des Organisationsbereichs<br />

<strong>der</strong> Mitgliedsgewerkschaften beschränkt wird. Zudem darf <strong>der</strong><br />

Organisationsbereich einer Spitzenorganisation nicht <strong>über</strong> den ihrer Mitgliedsgewerkschaften<br />

hinausgehen.<br />

Das gemeinsam von ver.di und dem Land Berlin eingeleitete Beschlussverfahren<br />

betrifft <strong>die</strong> Feststellung <strong>der</strong> Tariffähigkeit <strong>der</strong> <strong>im</strong> Dezember 2002<br />

gegründeten CGZP. Deren alleinige satzungsmäßige Aufgabe ist <strong>der</strong><br />

Abschluss von Tarifverträgen mit Arbeitgebern, <strong>die</strong> gewerbsmäßige Arbeitnehmer<strong>über</strong>lassung<br />

betreiben wollen. Für <strong>die</strong>sen Bereich sind Tarifverträge<br />

auch für Nichtgewerkschaftsmitglie<strong>der</strong> von Bedeutung. Nach § 9<br />

Nr. 2 AÜG haben Leiharbeitnehmer während <strong>der</strong> Zeit ihrer Überlassung<br />

an einen Entleiher Anspruch auf <strong>die</strong> dort geltenden wesentlichen Arbeitsbedingungen.<br />

Von <strong>die</strong>sem Gleichbehandlungsgebot kann zu Lasten <strong>der</strong><br />

Leiharbeitnehmer nur durch einen Tarifvertrag o<strong>der</strong> aufgrund vertraglicher<br />

Bezugnahme auf einen Tarifvertrag abgewichen werden.<br />

Die Vorinstanzen haben festgestellt, dass <strong>die</strong> CGZP nicht tariffähig ist. Die<br />

dagegen gerichteten Rechtsbeschwerden hat das BAG zurückgewiesen.<br />

Die CGZP ist keine Spitzenorganisation nach § 2 Abs. 3 TVG, weil sich<br />

ihre Mitgliedsgewerkschaften (CGM, DHV und GÖD) nicht <strong>im</strong> Umfang ihrer<br />

Tariffähigkeit zusammengeschlossen haben. Außerdem geht <strong>der</strong> in <strong>der</strong><br />

Satzung <strong>der</strong> CGZP festgelegte Organisationsbereich für <strong>die</strong> gewerbliche<br />

Arbeitnehmer<strong>über</strong>lassung <strong>über</strong> den ihrer Mitgliedsgewerkschaften hinaus.<br />

Beachte: Durch <strong>die</strong>se Entscheidung können Leiharbeitnehmer, <strong>die</strong><br />

in <strong>der</strong> Vergangenheit auf <strong>der</strong> Basis des CGZP-Tarifvertrages vergütet<br />

wurden, gem. §§ 9 Nr. 2, 10 Abs. 4 AÜG nachträglich eine höhere Vergütung<br />

geltend machen. Es kommt grundsätzlich ein Anspruch auf<br />

Zahlung <strong>der</strong> Differenz zwischen <strong>der</strong> erhaltenen Vergütung und den Gehältern,<br />

<strong>die</strong> fest angestellte Arbeitnehmer des Entleiher-Unternehmens<br />

erhalten, in Betracht! Damit befasst sich auch das folgende Urteil.<br />

5. Keine Anwendung <strong>der</strong> <strong>im</strong> Entleiherbetrieb geltenden Ausschlussfristen<br />

auf „Equal Pay“-Anspruch des Leiharbeitnehmers<br />

BAG, Urteil vom 23. März 2011, Aktenzeichen 5 AZR 7/10<br />

Kann <strong>der</strong> Leiharbeitnehmer von seinem Vertragsarbeitgeber, dem Verleiher,<br />

nach § 10 Abs. 4 AÜG <strong>die</strong> Erfüllung <strong>der</strong> wesentlichen Arbeitsbedingungen<br />

verlangen, wie sie <strong>der</strong> Entleiher vergleichbaren eigenen<br />

Arbeitnehmern gewährt, muss er <strong>die</strong> <strong>im</strong> Entleiherbetrieb geltenden Ausschlussfristen<br />

nicht einhalten.<br />

Der Kläger wurde von <strong>der</strong> Beklagten bei <strong>der</strong> tarifgebundenen C. GmbH<br />

mehrjährig als Leiharbeitnehmer eingesetzt. Er hat nach Beendigung seines<br />

Arbeitsverhältnisses geltend gemacht, <strong>die</strong> C. GmbH gewähre ihren<br />

vergleichbaren eigenen Arbeitnehmern eine höhere Vergütung als <strong>die</strong> ihm<br />

von <strong>der</strong> Beklagten geleistete. Er for<strong>der</strong>t Vergütungsnachzahlung für mehrere<br />

<strong>Jahre</strong>. Sein Arbeitsvertrag enthält keine Ausschlussfrist für <strong>die</strong> Geltendmachung<br />

von Ansprüchen. Arbeitnehmer <strong>der</strong> Stammbelegschaft des<br />

Entleiherbetriebs müssen eine tarifvertraglich geregelte Ausschlussfrist<br />

beachten. Die Parteien streiten dar<strong>über</strong>, ob <strong>die</strong>se Ausschlussfrist <strong>die</strong> Entgeltansprüche<br />

des Klägers untergehen ließ, weil er <strong>die</strong>se nicht fristwahrend<br />

schriftlich geltend machte. Mit <strong>die</strong>ser Begründung hat das Landesarbeitsgericht<br />

<strong>die</strong> Klage <strong>im</strong> Wesentlichen abgewiesen.<br />

Auf <strong>die</strong> Revision des Klägers ist <strong>die</strong> Sache an das Landesarbeitsgericht<br />

zurückverwiesen worden. Im Entleiherbetrieb geltende Ausschlussfristen<br />

gehören bei unionsrechtskonformer Auslegung des Arbeitnehmer<strong>über</strong>lassungsgesetzes<br />

nicht zu den wesentlichen Arbeitsbedingungen, <strong>die</strong> <strong>der</strong> Verleiher<br />

den Leiharbeitnehmern „gewähren“ muss. Das Landesarbeitsgericht<br />

muss deshalb noch feststellen, ob mit dem Kläger hinsichtlich Qualifikation<br />

und Tätigkeit vergleichbare Stammarbeitnehmer des Entleiherunternehmens<br />

ein insgesamt höheres Entgelt als <strong>der</strong> Kläger erzielten.<br />

Fortsetzung auf nächster Seite »


swp magazin 47<br />

SWP-Spieltipp:<br />

„Betriebsrat ärgere dich nicht!“ – Das Spiel<br />

für Betriebsräte<br />

Mit einer Mischung aus Taktik und Glück versuchen <strong>die</strong> Spieler, mit jeweils<br />

zwei Spielfiguren (Betriebsräten) Punkte zu sammeln. Sie entscheiden, ob<br />

sie Chancen nutzen und Risiken eingehen, indem sie sich auf unbekannte<br />

Ereignisse und Situationen einlassen, ob sie in Betriebsratssitzungen Entscheidungen<br />

treffen o<strong>der</strong> sich in Verhandlungen auf <strong>die</strong> Unterstützung ihrer<br />

Kollegen verlassen wollen.<br />

Die Zusammenarbeit unter den Betriebsräten wird belohnt. Und <strong>die</strong> Betriebsräte<br />

können punkten, indem sie sich <strong>die</strong> Zeit nehmen, be<strong>im</strong> Betriebsrundgang<br />

<strong>die</strong> Meinung <strong>der</strong> Kollegen am Arbeitsplatz anzuhören o<strong>der</strong> sich<br />

auf einem Seminar zu best<strong>im</strong>mten Themen weiter zu bilden.<br />

Neben dem Unterhaltungswert wird auch ein Lerneffekt erzielt: Was habe<br />

ich für Möglichkeiten, welche sind gut und nützlich, welche nicht Auch<br />

anhand <strong>der</strong> Szenarien, <strong>die</strong> in den Ereigniskarten beschrieben werden, wird<br />

deutlich, was hilfreich ist bzw. was man möglichst vermeiden sollte.<br />

Die beiden Spiele werden in Kleinauflagen durch <strong>die</strong> Mitarbeiterinnen und<br />

Mitarbeiter <strong>der</strong> Göttinger Werkstätten gGmbH, einer Einrichtung für behin<strong>der</strong>te<br />

Menschen, gedruckt, beschnitten, zusammengetragen und komplettiert.<br />

Das Brettspiel „Betriebsrat ärgere dich nicht!“ kostet 20,– € pro Exemplar<br />

zuzüglich 3,– € für Verpackung und Versand.<br />

Spiele können direkt <strong>über</strong> <strong>die</strong> Mailadresse:<br />

info@betriebsratsspiel.de bestellt werden.<br />

Weitere Informationen können unter<br />

www.betriebsrat-aergere-dich-nicht.de eingeholt werden.<br />

Auf den Betriebsratssitzungen werden <strong>die</strong> Betriebsräte anhand von Aktionskarten<br />

mit betrieblichen Problemen und entsprechenden Problemlösungen<br />

konfrontiert. Dadurch werden <strong>die</strong> Chancen, aber auch <strong>die</strong> Grenzen<br />

des Betriebsverfassungsgesetzes verdeutlicht.


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