bis ich erreicht habe, was ich will! - Lebenswege für Menschen mit ...
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gebracht worden sei. Dort kam sie in einen Brutkasten und sollte dort<br />
bleiben, <strong>bis</strong> sie drei Kilogramm wiegen würde. Sie war eigentl<strong>ich</strong> <strong>für</strong><br />
heutige Verhältnisse zieml<strong>ich</strong> schwer, sie sah auch rosig und gesund<br />
aus und benahm s<strong>ich</strong> so, wie es ein Frischgeborenes nach der Geburt<br />
tun sollte.<br />
Im Kinderkrankenhaus waren noch drei andere Frühgeburten auf der<br />
Station, die alle viel le<strong>ich</strong>ter und kleiner waren als Daniela. Erst lief<br />
alles ganz gut an. Sie nahm zu und <strong>ich</strong> konnte sie jeden Tag hinter<br />
einer Scheibe sehen. Aber nach circa fünf Wochen verschwand ein<br />
Baby nach dem anderen. Angebl<strong>ich</strong> waren sie entlassen worden, aber<br />
das stimmte n<strong>ich</strong>t, sie waren verstorben.<br />
Ein Arzt hatte uns – aus Versehen – den Grund genannt. Es gab eine<br />
Epidemie auf der Station, Meningitis. Daniela, als kräftigste, hatte<br />
überlebt und nun wurde <strong>mit</strong> ihr experimentiert, <strong>was</strong> wir auch nur<br />
durch Zufall erfuhren.<br />
Wir <strong>habe</strong>n dann darauf bestanden, dass unser Kind – auf eigene Ver-<br />
antwortung – im Dezember 1953 entlassen wird. Man wollte sie uns<br />
ungern geben, sie hatte näml<strong>ich</strong>: einen Nabelbruch, Bronchitis und<br />
drei zieml<strong>ich</strong> große Löcher an dem kleinen Po. Heute nennt man das<br />
Dekubitus. Ihr Gew<strong>ich</strong>t betrug nun 3.860 kg.<br />
In dieser ganzen langen Zeit des Krankenhausaufenthaltes, hatte <strong>ich</strong><br />
mein Kind nie berühren dürfen. Als Krankheit stand auf dem Entlas-<br />
sungsschein Interstitielle Pneumonie. In einem Jahr sollten wir uns<br />
wieder vorstellen. Das taten wir, waren danach aber sehr verwundert,<br />
ja geschockt. Die Oberärztin fragte uns, als sie Daniela ein Schlüssel-<br />
bund vor die Händchen hielt: »Warum greift sie denn n<strong>ich</strong>t zu?« Wir:<br />
»Wir dachten, das würden wir von Ihnen erfahren!« Dem war n<strong>ich</strong>t so.<br />
Wir hätten viele Fragen gehabt. Daniela machte nach einem Jahr noch<br />
gar keinen Versuch, zu krabbeln, zu sitzen oder s<strong>ich</strong> hochzuziehen.<br />
Wir hatten zu dieser Zeit, zum Glück, einen sehr guten Arzt in der<br />
Säuglings<strong>für</strong>sorge in der Königsallee. Der erkannte sehr früh, dass<br />
Daniela geistig völlig normal sei, aufgrund ihrer lebhaften Augen und<br />
Reaktionen. Aber die Motorik sei leider ganz gestört. Das betraf, trau-<br />
rigerweise, auch die Sprache.<br />
Verständigen konnten wir uns anfangs nur über die Augen. Augen zu<br />
war »Nein«, Augen ganz groß auf war »Ja«. Später fand sie noch eine<br />
andere Variante. Bei »Nein« steckte sie die Zunge et<strong>was</strong> heraus und.<br />
bei »Ja« öffnete sie weit den Mund. Manchmal tat sie das heute noch.<br />
Man musste die Fragen eben so stellen, dass Daniela die zwei Varian-<br />
ten anwenden konnte. Wir <strong>habe</strong>n aber immer sprechen <strong>mit</strong> ihr geübt<br />
und hatten sogar kleine Erfolge.<br />
Was Daniela eigentl<strong>ich</strong> <strong>für</strong> eine Krankheit hatte, erfuhren wir wieder<br />
durch einen Zufall. Eine Verwandte von uns saß beim Arzt und las im<br />
Readers Digest einen Artikel über ein Mädchen, das in der Beschrei-<br />
bung das gle<strong>ich</strong>e Verhalten und Krankheitsbild hatte wie Daniela: Sie<br />
war Spastikerin. Meine Tante kaufte gle<strong>ich</strong> das Buch <strong>für</strong> uns und wir<br />
dachten, da wird unser Kind beschrieben! In Amerika war die Krank-<br />
heit bekannt, hier n<strong>ich</strong>t.<br />
Als Daniela circa vier Jahre alt war, merkte <strong>ich</strong>, dass sie einzelne Buch-<br />
staben lesen konnte. Sie hatte s<strong>ich</strong> alle Vokale, die <strong>ich</strong> ihr bei Sprech-<br />
übungen gezeigt hatte gemerkt. Bei einem Spaziergang kamen wir<br />
an einem Malerplakat vorbei und blieben stehen. Daniela sagte »A«.<br />
Ich dachte zuerst, sie staunt über die großen Buchstaben, aber dann<br />
nannte sie auch die anderen Buchstaben, auf die <strong>ich</strong> zeigte. Daraufhin<br />
malte <strong>ich</strong> ihr eine r<strong>ich</strong>tige Fibel <strong>mit</strong> lustigen Bildern und Wörtern und<br />
großen Buchstaben. Ich konnte et<strong>was</strong> von meinem schönen Beruf als<br />
Ze<strong>ich</strong>nerin anwenden und Daniela lernte <strong>mit</strong> Eifer.<br />
Daniela war dann ein gutes Jahr in einem Kindergarten der Waldorf-<br />
schule in der Argentinischen Allee. Dort lernten wir Anorthe und ihre<br />
Eltern kennen. Sie war auch Spastikerin, konnte s<strong>ich</strong> aber allein in<br />
einem kleinen Rollstuhl fortbewegen, auch auf der Straße. Sie konnte<br />
frei sitzen und hatte mehr Halt in Rücken und Nacken als Daniela.<br />
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