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bis ich erreicht habe, was ich will! - Lebenswege für Menschen mit ...

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…<br />

<strong>bis</strong><br />

<strong>ich</strong><br />

erre<strong>ich</strong>t<br />

<strong>habe</strong>,<br />

<strong>was</strong> <strong>ich</strong> <strong>will</strong>!<br />

Lesungsschrift zum 5. Mai 2009<br />

Europäischer Protesttag zur Gle<strong>ich</strong>stellung<br />

von <strong>Menschen</strong> <strong>mit</strong> Behinderung


Diese Lesungsschrift erscheint zu einem Lese-Event im Schoeler-<br />

Schlösschen Berlin. Mit dieser Aktion möchte <strong>Lebenswege</strong> Einblicke<br />

in die vielfältigen <strong>Lebenswege</strong> von <strong>Menschen</strong> <strong>mit</strong> Behinderungen und<br />

deren Angehörigen eröffnen. Interviews und autobiografische Ber<strong>ich</strong>-<br />

te erschließen sehr persönl<strong>ich</strong> den Alltag und die Lebenswirkl<strong>ich</strong>keit<br />

der Vortragenden. Im Anschluss der Lesung besteht die Mögl<strong>ich</strong>keit<br />

zu Austausch, Begegnungen und Diskussion.<br />

Mit dem Lese-Event stellen wir gesellschaftl<strong>ich</strong>e Teil<strong>habe</strong> und Gle<strong>ich</strong>-<br />

stellung in den Mittelpunkt, in dem wir <strong>Menschen</strong> <strong>mit</strong> Behinderun-<br />

gen selbst zu Wort kommen lassen!<br />

Die Lesungsschrift versammelt Aufze<strong>ich</strong>nungen sehr bemerkenswerter<br />

<strong>Lebenswege</strong> von <strong>Menschen</strong> <strong>mit</strong> Handicaps. So berühren die Texte<br />

n<strong>ich</strong>t nur menschl<strong>ich</strong>. Vielmehr können sie als Dokumente gelesen<br />

werden, die n<strong>ich</strong>t nur behindertenpolitische Themen, sondern un-<br />

sere gesamte Gesellschaft betreffende Probleme im wahrsten Sinne<br />

des Wortes zur Sprache bringen.<br />

Das Lese-Event ist gefördert durch<br />

Eine Initiative der Deutschen Behindertenhilfe – Aktion Mensch e. V.<br />

Vorwort Dr. Ingrid Kuschel | Marie-Therese Sch<strong>mit</strong>z . . . . . . . . . . .4<br />

Dank . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .5<br />

Mein Leben Jacoba Neu . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .6<br />

Mein Tag ist ausgefüllt. Anonymus . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .9<br />

Von Anfang an <strong>bis</strong> heut... Charlotte Risse . . . . . . . . . . . . . . . . .13<br />

Ich <strong>habe</strong> keine Ängste. Frank Risse . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .18<br />

Integration darf n<strong>ich</strong>t nach Kita oder Schule aufhören! . . . . . . .20<br />

Respekt! Melanie Meiran . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .21<br />

Ich wäre gern eine unbehinderte Frau Anja Reimann . . . . . . . . .23<br />

Letztendl<strong>ich</strong> bleibt mir meine Sprache M<strong>ich</strong>ael Friehs . . . . . . . .25<br />

Ich bin <strong>ich</strong>! Traude Borsch . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .29<br />

Die persönl<strong>ich</strong>e Gesch<strong>ich</strong>te von Werner Knobloch . . . . . . . . . . .31<br />

Ich <strong>habe</strong> näml<strong>ich</strong> einen ganz anderen Blick. Werner Knobloch . .32<br />

Ohne große Planung ins Kino gehen Sabine Finke . . . . . . . . . . .36<br />

Immer wieder aufstehen. Christoph Gallus . . . . . . . . . . . . . . . .38<br />

Daniela Göthe, geboren 13. Juli 1953,<br />

gestorben 18. August 2006 Gisela Göthe . . . . . . . . . . . . . . . . .41<br />

N<strong>ich</strong>t zu lange schlafen! Roland Mechel . . . . . . . . . . . . . . . . . .49<br />

So viel Energie, dass <strong>ich</strong> gar n<strong>ich</strong>t schlafen kann. Martina Nitz . .51<br />

Meine Stärke ist, anderen zu helfen. Bernhard Raszkowski . . . . .54<br />

»Ein Kind ist ja n<strong>ich</strong>t weg, nur weil es auszieht«<br />

Mehr <strong>für</strong> den Frieden tun Brigitta Näthke . . . . . . . . . . . . . . . . .56<br />

Gedanken zum Auszug der Tochter Christa Schaal . . . . . . . . . . .60<br />

Die Botschaften verstehen lernen Dorothea Mießner . . . . . . . . . .62<br />

Schlusswort Doris Heitmann . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .<br />

<strong>Lebenswege</strong> | Aus unserem Leitbild . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .68<br />

Impressum . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .70<br />

Das Programm des Lese-Events finden Sie auf der Rückseite.


Vorwort<br />

Dr. Ingrid Kuschel | Marie-Therese Sch<strong>mit</strong>z<br />

Was denken, fühlen und wovon träumen <strong>Menschen</strong> <strong>mit</strong> Behinderun-<br />

gen? Wie verlaufen ihre <strong>Lebenswege</strong>? Wie erleben die Mütter Be-<br />

nachteiligungen auf Grund der Behinderung ihrer Kinder?<br />

Diese Fragen <strong>habe</strong>n uns lange beschäftigt. Wir wollten sie genauer<br />

und umfangre<strong>ich</strong>er beantwortet <strong>habe</strong>n – über alltägl<strong>ich</strong>e Gesprä-<br />

che hinaus. Deshalb <strong>habe</strong>n wir 19 Interviews <strong>mit</strong> <strong>Menschen</strong> <strong>mit</strong><br />

Behinderungen geführt und Mütter gebeten, ihre Erfahrungen auf-<br />

zuschreiben.<br />

Die Interviews verdeutl<strong>ich</strong>en, wie vielfältig ein Leben in Selbstbe-<br />

stimmung sein kann und <strong>was</strong> <strong>Menschen</strong> <strong>mit</strong> Behinderungen und ihre<br />

Familien in den letzten fünf Jahrzehnten erkämpfen mussten.<br />

»Niemand darf wegen seiner Behinderung benachteiligt werden« –<br />

dies steht seit 1994 im Grundgesetz. Die Jahre danach zeigten und<br />

zeigen, dass eine Aussage im Grundgesetz allein die Gle<strong>ich</strong>stellung<br />

von <strong>Menschen</strong> <strong>mit</strong> Behinderungen n<strong>ich</strong>t bewirken kann. Die Durch-<br />

setzung des Gle<strong>ich</strong>stellungsgesetzes muss erkämpft werden.<br />

Die Lesungsschrift soll Wünsche, aber auch Ängste von <strong>Menschen</strong><br />

<strong>mit</strong> Behinderungen in den Blickpunkt der Öffentl<strong>ich</strong>keit rücken. In<br />

den Interviews wird mehrfach der Wunsch ausgesprochen, dass diese<br />

<strong>Menschen</strong> n<strong>ich</strong>t auf ihre Behinderung reduziert werden möchten.<br />

»Es gibt <strong>Menschen</strong>, die sehen nur den Rollstuhl«, n<strong>ich</strong>t die Persön-<br />

l<strong>ich</strong>keit darin. So wie es einem der Interviewten geschah, als ihm ein<br />

Studienplatz aufgrund seiner MS-Erkrankung verwehrt wurde. Men-<br />

schen <strong>mit</strong> Behinderungen kämpfen darum, dass ihre Stärken und<br />

Ressourcen erkannt werden.<br />

Vielfach wurden Aussagen wie diese getroffen: »Ich möchte n<strong>ich</strong>t<br />

immer <strong>mit</strong> anderen zusammen leben müssen, sondern meine eigene<br />

Wohnung <strong>habe</strong>n«, »Ich möchte mein Leben selbst bestimmen«,<br />

»Ich möchte einen Beruf <strong>habe</strong>n« oder »Die Bürgersteige sollen n<strong>ich</strong>t<br />

so hoch sein«. Dies sind Erfahrungen der Ausgrenzung aus der Ge-<br />

sellschaft.<br />

Mehrfach äußern die Interviewten Angst vor finanzieller Abhängigkeit<br />

und Abhängigkeit von Ämtern, die darüber befinden. Das Kostenar-<br />

gument bleibt d a s Hindernis <strong>für</strong> die Gle<strong>ich</strong>stellung von <strong>Menschen</strong><br />

<strong>mit</strong> Behinderungen.<br />

Die Erfahrungsber<strong>ich</strong>te der Mütter belegen, dass heute Selbstver-<br />

ständl<strong>ich</strong>es hart erkämpft werden musste. Eine Gle<strong>ich</strong>stellung ist<br />

dennoch längst n<strong>ich</strong>t erre<strong>ich</strong>t. Auch diese Tatsache beschreiben die<br />

folgenden Beiträge.<br />

Dank Liebe Vortragende, liebe Autorinnen und Autoren,<br />

heute Abend stehen Ihre Erfahrungen und Erlebnisse eines Lebens<br />

<strong>mit</strong> Behinderungen im Mittelpunkt – so, wie es eigentl<strong>ich</strong> auch im<br />

»normalen Leben« viel selbstverständl<strong>ich</strong>er sein sollte! Ihre offenen,<br />

ehrl<strong>ich</strong>en, mutigen und sehr berührenden Äußerungen sind in dieser<br />

Lesungsschrift veröffentl<strong>ich</strong>t. Vielen Dank da<strong>für</strong>, dass Sie uns diese<br />

Einblicke und Eins<strong>ich</strong>ten ermögl<strong>ich</strong>en. Der Herausgeber<br />

4 5


Mein Leben<br />

Jacoba Neu<br />

Es war einmal ein kleines Mädchen, das war anders als andere kleine<br />

Mädchen, es konnte n<strong>ich</strong>t alles, <strong>was</strong> die anderen Kinder konnten.<br />

Es war auf seine Art et<strong>was</strong> Besonderes, sagte ihre Mutter immer,<br />

aber da<strong>mit</strong> konnte es n<strong>ich</strong>ts anfangen. Das kleine Mädchen war im<br />

Kindergarten und auch in der Schule. Da<strong>mit</strong> fing ihr Schicksal an zu<br />

wachsen, ohne das sie es wollte. Es fing schon an, als sie <strong>mit</strong> dem<br />

Nachbarkind spielen wollte. Aber dem Nachbarkind wurde immer<br />

gesagt, es dürfe n<strong>ich</strong>t <strong>mit</strong> ihm spielen, weil es anders war als es<br />

selbst.<br />

Dieses Kind namens Jacoba war immer traurig. Es boxte immer auf<br />

seine Beine, denn das war anders als bei dem Nachbarkind. Das<br />

Nachbarkind hat näml<strong>ich</strong> immer <strong>mit</strong> seinen Freundinnen im Garten<br />

gespielt und es wollte immer so gerne <strong>mit</strong>machen, aber das wurde<br />

ihm verboten, obwohl es so gern wollte. Jacoba hat immer hinter der<br />

Scheibe gesessen und war traurig, dass sie n<strong>ich</strong>t <strong>mit</strong>spielen konnte.<br />

Das Mädchen kam <strong>mit</strong> drei Jahren in einen Kindergarten, in dem es<br />

ihr n<strong>ich</strong>t so gefiel, weil ihr auffiel, dass die anderen Kinder so waren<br />

wie sie selber, und das gefiel ihr überhaupt n<strong>ich</strong>t. Sie wollte n<strong>ich</strong>t<br />

dort bleiben, sie hat immer irgend<strong>was</strong> gemacht, da<strong>mit</strong> das den Er-<br />

ziehern auffiel und dass sie s<strong>ich</strong> <strong>mit</strong> ihr beschäftigten. Sie hat s<strong>ich</strong><br />

immer <strong>mit</strong> Händen und Füßen gewehrt. Irgendwann hat s<strong>ich</strong> das<br />

Mädchen doch daran gewöhnt. Sie ging dann nach einer Weile gern<br />

in den Kindergarten.<br />

6<br />

Eines Tages hat sie s<strong>ich</strong> schon auf die Schule gefreut. Der Test in der<br />

Schule ging gut, aber der Direktor hatte abgelehnt, weil sie behindert<br />

war, und in der Schule gab es Treppen, die sie kaum geschafft hätte,<br />

hatte der Direktor gesagt. So musste sie noch zwei Jahre warten, <strong>bis</strong><br />

sie zur Schule kam und blieb dann noch zuhause. Das kleine Mäd-<br />

chen hat s<strong>ich</strong> ganz schön geärgert, dass es noch n<strong>ich</strong>t zur Schule<br />

konnte. Also war das Thema erst einmal abgehakt.<br />

Es ging noch ein Jahr zur Vorschule, bevor es r<strong>ich</strong>tig losging. Es kam<br />

s<strong>ich</strong> immer et<strong>was</strong> seltsam vor, dort in der Vorschule, denn es konnte<br />

schon ein <strong>bis</strong>schen rechnen. Immer, als sie nach Hause kam, übte<br />

sie rechnen und schreiben. Das kleine Mädchen konnte es n<strong>ich</strong>t er-<br />

warten, endl<strong>ich</strong> in die Schule zu kommen und endl<strong>ich</strong> unter Gle<strong>ich</strong>-<br />

altrigen lernen zu dürfen. Einige Tage vor ihrem großen Tag war sie<br />

so aufgeregt, dass sie gestürzt ist und s<strong>ich</strong> den rechten Oberarm<br />

gebrochen hat. Als die Schule anfing musste sie <strong>mit</strong> der linken Hand<br />

schreiben, das war eine Qual, denn sie war Rechtshänderin.<br />

Die Schule machte dem kleinen Mädchen sehr viel Spaß. Sie lernte<br />

gern. Das Ergebnis war, dass sie nach etwa fünf Wochen schon lesen<br />

konnte. Das einzige Fach, in dem sie schlecht war, war Mathematik.<br />

Sie hatte einfach an Mathe keinen Spaß. Wenn sie an einer Sache<br />

keinen Spaß hatte, konnte sie die auch n<strong>ich</strong>t lernen. In Mathe hatte<br />

sie regelmäßig eine schlechte Zensur. In Deutsch hatte sie immer<br />

eine Zwei. Später kam noch Englisch dazu, in dem sie auch n<strong>ich</strong>t so<br />

schlecht war, wenn sie regelmäßig Vokabeln übte, <strong>was</strong> sie n<strong>ich</strong>t so<br />

gern machte, aber es musste ja sein. Also übte sie auch Vokabeln.<br />

Dann wurde sie auch immer besser.<br />

Die Schule machte ihr im Großen und Ganzen Spaß. Sie mochte nur<br />

n<strong>ich</strong>t so gern die Hausaufgaben. Aber die mussten ja auch gemacht<br />

werden:<br />

7


Als Jacoba auf die Toulouse-Lautrec-Schule kam; hat sie ihren ersten<br />

Freund kennen gelernt, <strong>mit</strong> dem sie drei schöne Jahre hatte. In der<br />

Schule saßen sie sogar nebeneinander. Sie waren so glückl<strong>ich</strong>, <strong>bis</strong><br />

eines Tages ihr Freund n<strong>ich</strong>t mehr wollte. Nach Andi hatte sie nur<br />

noch Nieten.<br />

Während ihrer Schulzeit wurde sie an ihrer linken Hüfte operiert. Die<br />

OP war ein Flop und der Arzt auch. Nach seiner Aussage könnte sie<br />

näml<strong>ich</strong> heute laufen. Aber sie sitzt im<br />

Rollstuhl.<br />

Nach einigen Jahren hat sie ihre Einzelfallhelferin angesprochen, weil<br />

sie et<strong>was</strong> anderes machen wollte. Sie wollte unbedingt eine Ausbil-<br />

dung zur Bürokraft machen. Der Förderlehrgang in der Annedore-Le-<br />

ber-Schule war damals n<strong>ich</strong>t zu schaffen. Die Anforderungen waren<br />

zu viel und zu hoch. Danach ging sie wieder in die Behindertenwerk-<br />

statt. Dort arbeitete sie dann, auch wenn es n<strong>ich</strong>t ihr Traumjob war.<br />

Sie hatte zieml<strong>ich</strong> däml<strong>ich</strong>e Kollegen. Eines Tages wurde sie wieder<br />

geärgert, <strong>bis</strong> sie die Schnauze voll hatte. Sie musste dort raus, also<br />

fuhr sie raus, ganz raus vors BWB und dann passierte fast et<strong>was</strong> sehr<br />

schlimmes. Sie fuhr näml<strong>ich</strong> auf die Straße und da kam ein Laster,<br />

der bremste einen Meter vor ihr. Sie hat einen zieml<strong>ich</strong>en Schrecken<br />

bekommen. Als sie dann wieder hereinkam, wurde ihre Versetzung<br />

besprochen. Einige Wochen später fing sie dann im BWB-Süd an. Sie<br />

war n<strong>ich</strong>t glückl<strong>ich</strong>, aber sie musste da ja hin. Ein Gutes gab es dort<br />

in der BWB: eine sehr gute Psychologin, Frau Fischer. Mit ihr kam sie<br />

immer r<strong>ich</strong>tig gut aus. Aber irgendwann war ihr das auch zuviel. Und<br />

sie hat dort gekündigt.<br />

Jetzt ist sie arbeitslos.<br />

Mein Tag ist ausgefüllt.<br />

Anonymus<br />

1985 erkrankte <strong>ich</strong> an Multipler Sklerose. Diese Krankheit wurde im<br />

Krankenhaus festgestellt, aber zuerst sagte man mir n<strong>ich</strong>t, <strong>was</strong> es<br />

war. Erst durch das Drumherumgerede der Ärzte wurde <strong>ich</strong> misstrau-<br />

isch und informierte m<strong>ich</strong> in der Bücherei, <strong>was</strong> es sein könnte. 1987<br />

erfolgte ein zweiter Schub, allerdings gingen die Symptome wieder<br />

zurück. Erst da sagte mir ein Arzt, <strong>was</strong> es <strong>mit</strong> der Krankheit auf s<strong>ich</strong><br />

hat und <strong>was</strong> man über sie <strong>bis</strong> zu diesem Zeitpunkt wusste.<br />

Da ein Professor aus Stuttgart meinte, <strong>mit</strong> dieser Krankheit kön-<br />

ne <strong>ich</strong> n<strong>ich</strong>t weiter studieren, entschloss <strong>ich</strong> m<strong>ich</strong>, die Universität<br />

zu wechseln. Da mir die Technische Universität Berlin zusagte und<br />

man dort <strong>mit</strong> MS keine Probleme sah, ließ <strong>ich</strong> m<strong>ich</strong> dort <strong>für</strong> das<br />

Sommersemester 1989 einschreiben.<br />

8 9


Im Jahre 1998 zog <strong>ich</strong> innerhalb Berlins um, da <strong>ich</strong> inzwischen durch<br />

meine Erkrankung einen Rollstuhl benötigte. Im Bezirk Mitte suchte<br />

<strong>ich</strong> einen Pflegedienst, denn mein alter war nur regional tätig. Eine<br />

Freundin empfahl mir die <strong>Lebenswege</strong>. Außerdem war mir das Kon-<br />

zept des selbstbestimmten Lebens von Behinderten sympathisch.<br />

So kam <strong>ich</strong> also zur Pflegestation der <strong>Lebenswege</strong>. Zuerst wurden<br />

mir vier Stunden in der Woche vom Bezirksamt bezahlt. Diese be-<br />

schränkten s<strong>ich</strong> auf hauswirtschaftl<strong>ich</strong>e Tätigkeiten wie Wohnung<br />

sauber machen und Kochen. Im Laufe der Zeit wurde mein Zustand<br />

immer unselbstständiger. Die Stunden, die mir das Bezirksamt be-<br />

zahlte, erhöhten s<strong>ich</strong> stetig. Anfangs vier, später sieben pro Woche,<br />

dann wurde <strong>ich</strong> schon tägl<strong>ich</strong> drei Stunden betreut. Inzwischen war<br />

<strong>ich</strong> auf einen Rollstuhl angewiesen, laufen ging noch <strong>mit</strong> Unterarm-<br />

stützen, zwar mühsam, aber immerhin.<br />

Im Laufe der Zeit saß <strong>ich</strong> nur noch im Rollstuhl und wurde von Assisten-<br />

ten neun Stunden am Tag betreut. 2006 war <strong>ich</strong> sechs Wochen wegen<br />

einer Lungenentzündung im Krankenhaus. Da mir das Essen schwer<br />

fiel, bekam <strong>ich</strong> dort eine Magensonde zur Unterstützung meiner Ernäh-<br />

rung. Von diesem Zeitpunkt an wurde <strong>ich</strong> tägl<strong>ich</strong> 16,5 Stunden betreut.<br />

Mein Studium <strong>habe</strong> <strong>ich</strong> 2005 abgeschlossen. Jetzt darf <strong>ich</strong> m<strong>ich</strong><br />

Diplomingenieur der Luft- und Raumfahrtechnik schimpfen. Zwar<br />

nützt mir dieser schöne Titel n<strong>ich</strong>ts, aber m<strong>ich</strong> befriedigt es doch,<br />

dass <strong>ich</strong> das Studium erfolgre<strong>ich</strong> zu Ende bringe konnte.<br />

Mein Tagesablauf ist ausgefüllt durch Radio hören, <strong>mit</strong> den Assis-<br />

tenten Spiele spielen oder angeregte Diskussionen führen und Ge-<br />

sch<strong>ich</strong>ten hören, wobei Hörbücher und Hörspiele gute Dienste er-<br />

weisen. Außerdem lesen mir die Assistenten manchmal et<strong>was</strong> aus<br />

Büchern vor oder informieren m<strong>ich</strong> <strong>mit</strong> einer Tageszeitung über aktu-<br />

elle Nachr<strong>ich</strong>ten. Auch besitze <strong>ich</strong> einen Computer und bin ans In-<br />

ternet angeschlossen, dieser unterstützt m<strong>ich</strong> zusätzl<strong>ich</strong> bei meinem<br />

Drang nach Informationen.<br />

Mit <strong>Lebenswege</strong>, dem menschl<strong>ich</strong>en Pflegedienst, bin <strong>ich</strong> sehr zu-<br />

frieden und fühle m<strong>ich</strong> sehr gut betreut und unterstützt. Sie nehmen<br />

mir Gänge zum Bezirksamt ab und unterstützen m<strong>ich</strong> bei tägl<strong>ich</strong><br />

anfallenden Problemen <strong>mit</strong> Rat und Tat. Auch bin <strong>ich</strong> sehr zufrieden<br />

<strong>mit</strong> dem Büroteam, da <strong>ich</strong> m<strong>ich</strong> jederzeit <strong>mit</strong> kleinen und großen<br />

Sorgen an sie wenden kann. Wenn sie können, unterstützen sie m<strong>ich</strong><br />

bei vielen meiner Ideen. Seit <strong>ich</strong> bei diesem Pflegedienst bin, <strong>habe</strong><br />

<strong>ich</strong> kein Bedürfnis mehr zu wechseln, da <strong>ich</strong> zu meiner vollen Zu-<br />

friedenheit betreut werde. Ich kann m<strong>ich</strong> zwar n<strong>ich</strong>t mehr bewegen,<br />

aber mein Kopf funktioniert noch sehr gut. Die Gedanken sind frei.<br />

Was ist Ihre schönste Erinnerung, Ihr schönstes Erlebnis?<br />

10 11<br />

Als <strong>ich</strong> im Alter von 21 <strong>bis</strong> 25 Jahren im Hängegleiter geflo-<br />

gen bin. Ich war Mitglied des Drachenflieger-Clubs Staufen.<br />

Welches Erlebnis hat Ihnen n<strong>ich</strong>t gefallen?<br />

Mein Absturz <strong>mit</strong> dem Hängegleiter: <strong>ich</strong> bin am Stromkabel<br />

hängen geblieben wegen ungünstigem Wind. Gott sei Dank<br />

<strong>habe</strong> <strong>ich</strong> keine Verletzung davongetragen.<br />

Was machen Sie gerne in Ihrer Freizeit?<br />

Radio hören, <strong>mit</strong> dem Assistenten Spiele spielen, angereg-<br />

te Diskussionen führen und Gesch<strong>ich</strong>ten hören. Meinen<br />

Drang nach Informationen stille <strong>ich</strong> durch Lesen der Tages<br />

zeitung, das Ansehen von Nachr<strong>ich</strong>tensendungen und durch<br />

das Surfen im Internet.


Was machen Sie nur sehr ungern?<br />

Raus gehen!<br />

Wer wären Sie gerne<br />

Stephen Hawking<br />

Was macht Ihnen in Ihrem Leben Angst?<br />

Gar nix!<br />

Was hilft Ihnen am meisten am Verhalten anderer <strong>Menschen</strong>?<br />

Keine Ahnung.<br />

Was am Verhalten anderer <strong>Menschen</strong> hilft Ihnen n<strong>ich</strong>t?<br />

Wenn m<strong>ich</strong> jemand bemuttert.<br />

Was würden Sie an s<strong>ich</strong> verändern wenn es mögl<strong>ich</strong> wäre?<br />

Alles.<br />

Was würden Sie an Ihrer Umgebung verändern?<br />

Alle Gehwege; alles sollte eben sein.<br />

Was ist <strong>für</strong> Sie Glück?<br />

Neue Informationen zu bekommen und Wissen zu erlangen.<br />

Was ist <strong>für</strong> Sie Unglück?<br />

Eine Reifenpanne.<br />

Was ist Erfolg <strong>für</strong> Sie?<br />

Ihre Stärken?<br />

Keine Reifenpanne!<br />

Mein Gedächtnis.<br />

Was würden Sie gern noch lernen?<br />

Russisch<br />

Woher beziehen Sie Ihre Energien?<br />

Aus der Tankstelle<br />

Welche Erwartungen oder Wünsche <strong>habe</strong>n Sie an Ihre Zukunft?<br />

Eine Arbeitsstelle.<br />

Was möchten Sie außerdem <strong>mit</strong>teilen?<br />

Die Gedanken sind frei!<br />

Von Anfang an <strong>bis</strong> heut…<br />

Charlotte Risse<br />

Unser Kind, Frank Risse, hatte es n<strong>ich</strong>t le<strong>ich</strong>t, seinen begehbaren<br />

Weg in ein selbstbestimmtes Leben zu finden.Wenn Eltern n<strong>ich</strong>t wis-<br />

sen, dass ihr Kind <strong>mit</strong> einer Behinderung belastet ist und diese wo-<br />

mögl<strong>ich</strong> das ganze Leben ihres Kindes überschatten wird, können sie<br />

n<strong>ich</strong>t dagegen angehen und sie können ihrem Kind n<strong>ich</strong>t helfen. Bei<br />

Frank war das leider so.<br />

Frank wurde am 5. November1965 im Krankenhaus Berlin-Fried-<br />

r<strong>ich</strong>shain geboren. Geburtsgew<strong>ich</strong>t 3100 Gramm, Länge 54 cm.<br />

Entlassungsgew<strong>ich</strong>t 3080 Gramm. Spontangeburt, Nabelschnurum-<br />

schlingung um den Hals. Blutaustausch nach Gelbfärbung der Haut.<br />

Das steht auf einem kleinen Zettel, den man mir damals <strong>mit</strong> nach<br />

Hause gegeben hat.<br />

12 13


Frank hatte die Nabelschnur fünf Mal um seinen Hals gewickelt, als<br />

er das L<strong>ich</strong>t der Welt erblickte. Er war, wie <strong>ich</strong> erst viel später ver-<br />

muten musste, deshalb in großer Lebensgefahr und dem Tode nahe<br />

gewesen. Doch wir sind aus dem Krankenhaus entlassen worden und<br />

<strong>ich</strong> wusste n<strong>ich</strong>t, dass ab jetzt unser ganzes Leben voller Ängste und<br />

Schwierigkeiten sein wird. Ich <strong>will</strong> m<strong>ich</strong> kurz fassen:<br />

Frank war ein r<strong>ich</strong>tig süßes und schönes Baby. Keiner hat gesehen,<br />

dass et<strong>was</strong> <strong>mit</strong> ihm n<strong>ich</strong>t in Ordnung war. Die Ärzte in den Mütter-<br />

beratungen beruhigten m<strong>ich</strong> immer, wenn <strong>ich</strong> darauf hinwies, dass<br />

Frank in seiner Entwicklung zurück ist noch n<strong>ich</strong>t so r<strong>ich</strong>tig Kraft<br />

hat, s<strong>ich</strong> aufzur<strong>ich</strong>ten und so weiter. Sie sagten mir: »Haben Sie Ge-<br />

duld. Ihr Baby ist eben ein Spätentwickler. Es wird alles aufholen!«<br />

1967 Mit zwei Jahren war Frank schon r<strong>ich</strong>tig sauber und verlangte,<br />

auf seinen Topf gesetzt zu werden.<br />

1968 Unsere Familie zog von Berlin-Prenzlauer Berg nach Grünau.<br />

Wir wohnten dort in einem eigenen Haus und wollten uns hier ein<br />

r<strong>ich</strong>tiges Zuhause aufbauen.<br />

Eines Tages erhielten wir unverhofften Besuch von der Kinder- und<br />

Jugend<strong>für</strong>sorge Köpenick, welche uns in unserem Garten antraf. Zwei<br />

Damen kamen auf uns zu, Frank und <strong>ich</strong> saßen auf einer Wiese und<br />

eine der beiden Frauen rief plötzl<strong>ich</strong> laut: »Ach, ein Krampfkind!«<br />

Hier, in diesem Moment, wurde mir klar, Frank braucht Hilfe, et<strong>was</strong><br />

ist n<strong>ich</strong>t in Ordnung <strong>mit</strong> ihm. Nun wurden wir regelmäßig besucht,<br />

und Frank wurde in Berlin-Köpenick zum orthopädischen Turnen an-<br />

gemeldet, da war er circa vier Jahre alt.<br />

Ich besuchte einige Mütterkurse <strong>für</strong> Eltern <strong>mit</strong> hirngeschädigten<br />

Kindern und begann gle<strong>ich</strong>zeitig, auch die geistige Entwicklung von<br />

Frank zu fördern. Jetzt wurde Frank auch ambulant von der Spastiker-<br />

und Versehrtenbetreuung Berlin-Buch übernommen und betreut. Eine<br />

Vorschullehrerin, Frau Kühn, begann, ihn zu Hause zu unterr<strong>ich</strong>ten.<br />

14 15


In Berlin-Buch wurde dann auch das Krankheitsbild von Frank er<strong>mit</strong>-<br />

telt. Die Nabelschnurumschlingung um den Hals hatte einen Sauer-<br />

stoffmangel im Gehirn des Kindes und das Absterben von einzelnen<br />

Gehirnzellen bewirkt. Die Folge waren spastische Lähmungen oder<br />

spastische Tetraparese <strong>mit</strong> Geh- und Stehunfähigkeit sowie sehr<br />

stark verzögerter Sprachentwicklung und Lautbildung.<br />

1972 lernte Frank <strong>mit</strong> viel Mühe, allein zu essen und zu trinken. Er<br />

konnte schon einzelne Buchstaben des großen Alp<strong>habe</strong>ts und lernte,<br />

die Uhrzeit von der Uhr abzulesen.<br />

1974 <strong>bis</strong> 1976 erhielt Frank zwei Jahre lang Hausunterr<strong>ich</strong>t von der<br />

Körperbehindertenschule Berlin. Doch Frank konnte n<strong>ich</strong>t normge-<br />

recht lernen. Seine vielen schweren Behinderungen machten es ihm<br />

unmögl<strong>ich</strong>, abgesteckte Klassenziele zu erre<strong>ich</strong>en und so sollte er<br />

deshalb umgeschult werden. Aus dem Umschulungsvorgang aller-<br />

dings ist dann eine Totalausschulung geworden.<br />

8. November 1977 An diesem Tag erhielten wir dann Post von der<br />

Körperbehindertenschule, dass Frank nun auf der Grundlage der<br />

Einr<strong>ich</strong>tungen <strong>für</strong> förderungsfähige Kinder weiter gefördert werden<br />

müsste, da Bildungsfähigkeit im Rahmen der Hilfsschule n<strong>ich</strong>t mehr<br />

diagnostiziert wurde.<br />

Für Frank war das ein bodenloser Sturz ins Leere, und er war danach<br />

r<strong>ich</strong>tig krank. Er weinte oft, kaute an seinen Fingernägeln und konn-<br />

te die Welt n<strong>ich</strong>t mehr verstehen. Es brauchte sehr viel Zeit, <strong>bis</strong> er<br />

wieder aufblühte.<br />

Ich unterr<strong>ich</strong>tete ihn jetzt lange Zeit allein weiter – <strong>bis</strong> zu dem Au-<br />

genblick, wo wir durch einen weiteren Umzug von Grünau nach Mar-<br />

zahn dann wieder starke Helfer fanden. Frau Bolduan von der Spas-<br />

tiker<strong>für</strong>sorge half uns in allen Bere<strong>ich</strong>en.<br />

1995 <strong>bis</strong> 2005 Frank erhielt zehn Jahre lang orthopädische Förde-<br />

rung <strong>mit</strong> Computerförderung zu Hause. So lernte er jetzt sehr schnell<br />

flüssiger schreiben und machte große Fortschritte in seiner gesamten<br />

Entwicklung. Zugle<strong>ich</strong> konnte Frank 1994 die Begegnungsstätte [der<br />

<strong>Lebenswege</strong>, Red.] <strong>für</strong> schwerstgeschädigte <strong>Menschen</strong> in der Malmöer<br />

Straße Kommt rein kennen lernen. Er ist viele Jahre dorthin gefahren<br />

und die Erlebnisse dort, das Gefühl, et<strong>was</strong> ganz alleine tun zu kön-<br />

nen, <strong>habe</strong>n ihm sehr gut getan und er wurde immer selbstständiger.<br />

Jetzt ist diese Begegnungsstätte in der Gubener Straße unter einem<br />

neuen Namen zu finden. Hierhin fährt Frank jetzt sogar dreimal pro<br />

Woche.<br />

In dieser Begegnungsstätte hat Frank fast ein zweites Zuhause ge-<br />

funden. Jeder, der dort einmal zu Gast ist, kann sehen, dass die<br />

Betreuer liebevoll <strong>für</strong> das Wohl der Behinderten sorgen. Es wird viel<br />

unternommen, gemeinsame Abstecher zu Lande und zu Wasser, fröh-<br />

l<strong>ich</strong>e Feste werden gefeiert und Gäste sind immer <strong>will</strong>kommen. Hier<br />

hat Frank gelernt selbstständig zu handeln, er hat gesehen, dass es<br />

andere <strong>Menschen</strong> gibt, denen es noch schlechter geht als ihm, und<br />

er hat begonnen anderen dort zu helfen und beizustehen.<br />

Frank ist ein Beispiel da<strong>für</strong>, dass auch schwerstgeschädigte Kinder,<br />

die n<strong>ich</strong>t alleine sitzen, stehen, gehen, n<strong>ich</strong>t einmal sprechen kön-<br />

nen, die Tag und Nacht auf Hilfe angewiesen sind, trotz ihrer vie-<br />

len Handicaps in ein gutes und glückl<strong>ich</strong>es Leben gelangen können.<br />

Man darf sie allerdings n<strong>ich</strong>t aussondern, sondern, man muss sie<br />

Stück <strong>für</strong> Stück vorwärts begleiten und ihnen ihr Recht auf Hilfe und<br />

Bildung voll gewähren.<br />

Frank hat schreiben gelernt und kann s<strong>ich</strong> heut schriftl<strong>ich</strong> <strong>mit</strong> al-<br />

len <strong>Menschen</strong> verständigen. Er kommuniziert schriftl<strong>ich</strong>, und wo es<br />

n<strong>ich</strong>t ganz re<strong>ich</strong>t, ergänzt er <strong>mit</strong> gekonnten schnellen Ze<strong>ich</strong>nungen.<br />

Er ist ein fast glückl<strong>ich</strong>er junger Mann geworden und hat viele Freun-<br />

de gefunden, die ihm helfen und ihn lieben.<br />

16 17


Ich <strong>habe</strong> keine Ängste.<br />

Fragen und Antworten<br />

Frank Risse<br />

Was ist Ihre schönste Erinnerung, Ihr schönstes Erlebnis?<br />

Meine Taufe in der Kirche. Es war sehr feierl<strong>ich</strong>.<br />

Was machen Sie gern in Ihrer Freizeit?<br />

Ich schreibe am Computer ein Buch in Englisch.<br />

Es hat schon elf Seiten.<br />

Was machen Sie nur sehr ungern?<br />

Essen, weil <strong>ich</strong> schlecht schlucken kann.<br />

Was macht Ihnen in Ihrem Leben Angst?<br />

Ich <strong>habe</strong> keine Ängste.<br />

Was hilft Ihnen am meisten am Verhalten anderer <strong>Menschen</strong>?<br />

Wenn <strong>Menschen</strong> lieb sind.<br />

Was würden Sie an s<strong>ich</strong> verändern, wenn es mögl<strong>ich</strong> wäre?<br />

Der Rollstuhl soll weg sein.<br />

Ich möchte laufen können.<br />

Was ist <strong>für</strong> Sie Glück?<br />

In die Kirche gehen.<br />

Was ist <strong>für</strong> Sie Unglück?<br />

Wenn <strong>ich</strong> n<strong>ich</strong>t in die Kirche gehen kann.<br />

Was ist Erfolg <strong>für</strong> Sie?<br />

Ihre Stärken?<br />

Wenn <strong>ich</strong> schreiben kann.<br />

Ich <strong>habe</strong> einen starken Willen.<br />

Was würden Sie gerne noch lernen?<br />

Noch mehr am Computer.<br />

Woher beziehen Sie Ihre Energien?<br />

Aus der Kirche.<br />

Welche Erwartungen oder Wünsche <strong>habe</strong>n Sie an Ihre Zukunft?<br />

Dass meine Mutter noch lange gesund bleibt!<br />

Was möchten Sie außerdem <strong>mit</strong>teilen?<br />

Ich finde es gut, dass <strong>ich</strong> an drei Tagen pro Woche<br />

18 19<br />

in die Tagesstruktur (der <strong>Lebenswege</strong>, Red.) kommen kann.


Integration darf n<strong>ich</strong>t nach der Kita oder Schule aufhören!<br />

Über Melanie Meiran<br />

Melanie Meiran wurde am 11. November 1974 geboren. Sie hat keine<br />

Geschwister und lebt bei ihren Eltern. Sie wurde <strong>mit</strong> sechs Jahren<br />

eingeschult und hat den erweiterten Hauptschulabschluss gemacht.<br />

Frau Meiran hat einen EDV-Arbeitsplatz in einer Werkstatt <strong>für</strong> Be-<br />

hinderte; der Arbeitsplatz gefällt ihr, nur manchmal hat sie zu wenig<br />

Arbeit.<br />

Melanie Meiran ist seit fünf, sechs Jahren an Rheuma erkrankt. Laut<br />

ärztl<strong>ich</strong>er Aussage ist dies bei spastisch behinderten <strong>Menschen</strong> aus-<br />

geschlossen.<br />

Melanie Meiran wünscht s<strong>ich</strong>, in einer eigenen Wohnung <strong>mit</strong> entspre-<br />

chender Assistenz rund um die Uhr – und n<strong>ich</strong>t nur <strong>mit</strong> Rufbereitschaft<br />

nachts! – zu wohnen. Sie wünscht s<strong>ich</strong> außerdem eine anspruchsvolle-<br />

re Tätigkeit <strong>mit</strong> Arbeitsassistenz in einem Büro oder in einer Werkstatt<br />

<strong>mit</strong> ausschließl<strong>ich</strong> körperbehinderten <strong>Menschen</strong>.<br />

Frau Meiran möchte n<strong>ich</strong>t um alles bitten müssen beziehungsweise<br />

keine Steine in den Weg gelegt bekommen. Sie möchte auch n<strong>ich</strong>t re-<br />

gelmäßig begutachtet und auf geistige Behinderung getestet werden.<br />

Eine Frage bei solchen Tests ist zum Beispiel, wie viel dreimal drei<br />

ergibt. Und diese Frage wird ihr gestellt, obwohl sie einen erweiterten<br />

Hauptschulabschluss besitzt!<br />

Respekt!<br />

Fragen und Antworten<br />

Melanie Meiran<br />

Was ist Ihre schönste Erinnerung, Ihr schönstes Erlebnis?<br />

Reisen nach Kroatien<br />

Welches Erlebnis hat Ihnen n<strong>ich</strong>t gefallen?<br />

Begutachtung durch den Sozialpsychiatrischen Dienst<br />

Was machen Sie gerne in Ihrer Freizeit?<br />

Besuche von Konzerten, Ausstellungen, Museen, Kino,<br />

Einkaufsbummel, Arbeiten am Computer, Internet<br />

Was machen Sie nur sehr ungern?<br />

ständig erklären zu müssen,<br />

dass <strong>ich</strong> n<strong>ich</strong>t geistig behindert bin<br />

Wer wären Sie gern?<br />

Melanie ohne Rollstuhl <strong>mit</strong> einem Arbeitsplatz außerhalb<br />

der Werkstatt<br />

Was macht Ihnen in Ihrem Leben Angst?<br />

Was wird,<br />

wenn meine Eltern mir n<strong>ich</strong>t mehr helfen können?<br />

Was hilft Ihnen am meisten am Verhalten anderer <strong>Menschen</strong>?<br />

Respekt, <strong>mit</strong> Geduld zuhören<br />

Was am Verhalten anderer <strong>Menschen</strong> hilft Ihnen n<strong>ich</strong>t?<br />

Besserwisserei<br />

Was würden Sie an s<strong>ich</strong> verändern, wenn es mögl<strong>ich</strong> wäre?<br />

keine Behinderung<br />

20 21


Was würden Sie an Ihrer Umgebung verändern?<br />

rollstuhlgerechtes Umfeld, zum Beispiel Zugänge zur<br />

Bahn und Veranstaltungsräumen, Toiletten<br />

Was ist <strong>für</strong> Sie Glück?<br />

Gesundheit, Familie und Freunde zu <strong>habe</strong>n<br />

Was ist <strong>für</strong> Sie Unglück?<br />

das Gegenteil von Glück<br />

Was ist Erfolg <strong>für</strong> Sie?<br />

Ihre Stärken?<br />

allein et<strong>was</strong> <strong>mit</strong> den Händen zu schaffen,<br />

erfolgre<strong>ich</strong>e Kommunikation <strong>mit</strong> Unbekannten<br />

Computerkenntnisse, Gedächtnis, Umgang <strong>mit</strong> Zahlen<br />

Was würden Sie gern noch lernen?<br />

durch den Umgang <strong>mit</strong> dem Internet erfolgt eine<br />

ständige Wissenserweiterung<br />

Woher beziehen Sie Ihre Energien?<br />

starker Willen, Eltern, Einzelfallhelferin<br />

Was wünschen Sie s<strong>ich</strong> <strong>für</strong> Ihre Zukunft?<br />

keine Anträge <strong>für</strong> die Teil<strong>habe</strong> am tägl<strong>ich</strong>en.<br />

Leben stellen zu müssen, keine Begutachtung,<br />

kein Hindernislauf durch Behörden mehr<br />

Was möchten Sie außerdem <strong>mit</strong>teilen?<br />

Ich bin zu weiteren Gesprächen <strong>mit</strong> euch bereit,<br />

komme dazu auch gern an einem Mittwochnach<strong>mit</strong>tag in<br />

die Gubener Straße.<br />

Ich wäre gern eine unbehinderte Frau<br />

Fragen und Antworten<br />

Anja Reimann<br />

Was machen Sie gern in Ihrer Freizeit?<br />

22 23<br />

Ich gehe gern tanzen in die Disco und hoffe, dort einmal<br />

einen Freund zu finden. Ich verreise sehr gern, liebe es, Mu-<br />

sik zu hören und spiele gern Theater (bin in einer Theater-<br />

gruppe <strong>mit</strong> behinderten und n<strong>ich</strong>t behinderten <strong>Menschen</strong>).<br />

Wer wären Sie gern?<br />

Ich wäre gern eine unbehinderte Frau <strong>mit</strong> Mann und Kindern.<br />

Was macht Ihnen in Ihrem Leben Angst?<br />

Dass <strong>ich</strong> wieder einmal ins Krankenhaus müsste, weil <strong>ich</strong><br />

dort schon so oft war.<br />

Was hilft Ihnen am meisten am Verhalten anderer <strong>Menschen</strong>?<br />

Wenn sie s<strong>ich</strong> <strong>mit</strong> mir zusammensetzen und wir ein Gespräch<br />

<strong>habe</strong>n, wo <strong>ich</strong> auch et<strong>was</strong> sagen kann.<br />

Was würden Sie an s<strong>ich</strong> verändern, wenn es mögl<strong>ich</strong> wäre?<br />

Dass <strong>ich</strong> mehr könnte, zum Beispiel allein aufstehen und<br />

n<strong>ich</strong>t dauernd um Hilfe bitten und warten muss, <strong>bis</strong> jemand<br />

<strong>für</strong> m<strong>ich</strong> Zeit hat.<br />

Was würden Sie an Ihrer Umgebung verändern?<br />

Ich bin manchmal sauer, weil <strong>ich</strong> mein Herz n<strong>ich</strong>t ausschüt-<br />

ten kann. So wie bei Fabian (Psychologe der <strong>Lebenswege</strong>, Red.),<br />

der manchmal zu mir kommt und <strong>mit</strong> mir spr<strong>ich</strong>t, das hilft<br />

mir da schon ein <strong>bis</strong>schen.


Was ist <strong>für</strong> Sie Glück?<br />

Glück wäre <strong>für</strong> m<strong>ich</strong>, <strong>mit</strong> einem jungen Mann zusammen zu<br />

leben, den <strong>ich</strong> lieb <strong>habe</strong> und der m<strong>ich</strong> auch lieb hat, m<strong>ich</strong><br />

aber auch versorgen könnte. Es ist aber <strong>für</strong> m<strong>ich</strong> immer auch<br />

schon sehr schön, <strong>mit</strong> jemandem, den <strong>ich</strong> mag, Arm in Arm<br />

auf meinem Sofa zu sitzen und zu erzählen, Musik zu hören<br />

oder eine Video-Kassette anzuschauen.<br />

Was ist <strong>für</strong> Sie Unglück?<br />

Dass meine Eltern sterben könnten.<br />

Ich bin aber oft traurig, weil <strong>ich</strong> n<strong>ich</strong>t alles so kann, wie <strong>ich</strong><br />

das gern wollte.<br />

Was ist Erfolg <strong>für</strong> Sie?<br />

Ihre Stärken?<br />

Wenn <strong>ich</strong> es schaffe, m<strong>ich</strong> fast ohne Hilfe auszuziehen, das<br />

heißt aber nur die Oberteile.<br />

Zwar kann <strong>ich</strong> m<strong>ich</strong> immer schwer entscheiden, <strong>was</strong> <strong>ich</strong> <strong>will</strong>,<br />

aber manchmal doch. Dann kann <strong>ich</strong> auch sehr hartnäckig<br />

sein und immer wieder davon sprechen, <strong>bis</strong> <strong>ich</strong> das erre<strong>ich</strong>t<br />

<strong>habe</strong>, <strong>was</strong> <strong>ich</strong> <strong>will</strong>. So <strong>habe</strong> <strong>ich</strong> es zum Beispiel geschafft,<br />

meine WG zu wechseln.<br />

Ich höre <strong>Menschen</strong> gern zu, auch wenn sie Probleme <strong>habe</strong>n,<br />

und das tröstet sie. Manchmal kann <strong>ich</strong> ihnen auch helfen,<br />

weil <strong>ich</strong> es anderen weiter erzähle, die dann eine Lösung<br />

wissen.<br />

Was würden Sie gern noch lernen?<br />

Dass <strong>ich</strong> m<strong>ich</strong> mehr trauen würde, et<strong>was</strong> von mir aus zu sa-<br />

gen, <strong>was</strong> <strong>ich</strong> möchte und <strong>was</strong> <strong>ich</strong> brauche.<br />

Welche Erwartungen oder Wünsche <strong>habe</strong>n Sie an Ihre Zukunft?<br />

Ich wünsche mir sehr, dass es immer liebe <strong>Menschen</strong> gibt,<br />

die m<strong>ich</strong> versorgen und s<strong>ich</strong> um m<strong>ich</strong> kümmern.<br />

Letztendl<strong>ich</strong> bleibt mir meine Sprache<br />

M<strong>ich</strong>ael Friehs<br />

Das Schreiben war und ist mir in meinem Leben ganz w<strong>ich</strong>tig! Wenn<br />

<strong>ich</strong> n<strong>ich</strong>t tägl<strong>ich</strong> an meinem PC sitzen kann und »Taufbriefe« <strong>für</strong> mei-<br />

ne drei Söhne oder an meinem Roman weiter schreibe, dann fehlt mir<br />

et<strong>was</strong> in meinem Tagesablauf! Doch <strong>bis</strong> <strong>ich</strong> schreiben konnte und der<br />

bin, der diesen Text schreibt und n<strong>ich</strong>t den Fragebogen beantwortet,<br />

davon erzähle <strong>ich</strong> jetzt:<br />

Im Sommer 1961 kam <strong>ich</strong> als erster Sohn meiner Eltern zur Welt.<br />

Wenn Herbert Grönemeyer wüsste, <strong>was</strong> <strong>für</strong> spastisch Gelähmte die<br />

Aussage, dass Männer schon als Baby blau sind, <strong>für</strong> eine ganz andere<br />

Bedeutung hat, als sie gemeint ist, hätte er sie mögl<strong>ich</strong>erweise in sei-<br />

nem »Männer«-Lied anders formuliert! Tatsächl<strong>ich</strong> kam <strong>ich</strong> blau auf<br />

die Welt, weil <strong>ich</strong> unter Sauerstoffmangel litt.<br />

Die ersten zwei Jahre meines Lebens waren aus medizinischer S<strong>ich</strong>t<br />

eher verschenkt. Denn während s<strong>ich</strong> mein Bruder, der fünfzehn Mona-<br />

te später geboren wurde, körperl<strong>ich</strong> und geistig seinem Alter entspre-<br />

chend entwickelte, konnte <strong>ich</strong> m<strong>ich</strong> immer noch n<strong>ich</strong>t bewegen. Wur-<br />

de <strong>ich</strong> auf den Boden gelegt, lag <strong>ich</strong>, wenn es sein musste, Stunden<br />

später noch genau so da, wie <strong>ich</strong> hingelegt wurde. Laut Aussage der<br />

behandelnden Ärzte soll <strong>ich</strong> ein besonders schwaches Kind gewesen<br />

sein, dass s<strong>ich</strong> schon noch entwickeln wird.<br />

24 25


Um mein zweites Lebensjahr herum wurde <strong>ich</strong> in der Uni-Klinik Frank-<br />

furt/Main untersucht und eine Hirnschädigung diagnostiziert, die eine<br />

spastische Tetraplegie zur Folge hat. Seither wurde <strong>ich</strong> krankengym-<br />

nastisch gefördert und gefordert. Auch heute fahre <strong>ich</strong> einmal in der<br />

Woche zur Krankengymnastik und freue m<strong>ich</strong> regelmäßig über die<br />

kleinen und großen Fortschritte in meiner Bobath-Therapie. Zudem<br />

hatte und <strong>habe</strong> <strong>ich</strong>, auch einmal wöchentl<strong>ich</strong>, Logopädie. Weil <strong>ich</strong><br />

weiß, dass <strong>ich</strong> durch meine Behinderung besonders <strong>für</strong> Außenste-<br />

hende schwer verständl<strong>ich</strong> bin, ist es mir besonders w<strong>ich</strong>tig, sprach-<br />

l<strong>ich</strong> gefördert zu werden. Letztendl<strong>ich</strong> bleibt mir als Einziges meine<br />

Sprache, um das in meinem Leben zu erre<strong>ich</strong>en, <strong>was</strong> <strong>ich</strong> erre<strong>ich</strong>en<br />

möchte! Ich <strong>habe</strong> einen Therapieplatz an der Schule <strong>für</strong> Logopädie in<br />

Berlin-Mitte.<br />

Natürl<strong>ich</strong> kann <strong>ich</strong> nur einige Etappen wiedergeben. Das würde den<br />

Rahmen dieser Veröffentl<strong>ich</strong>ung sprengen. Aber <strong>für</strong> besonders inte-<br />

ressant halte <strong>ich</strong> den Weg wie es zu meiner Einschulung kam:<br />

Als <strong>ich</strong> schulpfl<strong>ich</strong>tig wurde, gab es in meiner Heimatstadt Osna-<br />

brück in Niedersachsen noch keine schulische Förderung <strong>für</strong> körper-<br />

oder auch mehrfach behinderte Kinder. Meine Eltern fuhren mehrere<br />

hundert Kilometer im Landkreis Osnabrück umher, um andere Eltern<br />

ausfindig zu machen, die auch ein behindertes Kind im schulpfl<strong>ich</strong>-<br />

tigen Alter <strong>habe</strong>n. Dem unermüdl<strong>ich</strong>en Einsatz meiner Eltern ist es<br />

zu verdanken, dass im August 1968 die erste Sonderschulklasse <strong>für</strong><br />

behinderte Kinder eröffnet wurde!<br />

Aber schon nach drei Wochen hatte <strong>ich</strong> die Nase von der Schule voll.<br />

Das lag aber n<strong>ich</strong>t am hoch motivierten und ehrgeizigen Lehrer, der<br />

stets das Ziel erre<strong>ich</strong>t hat, uns nach Lehrplänen der allgemein bil-<br />

denden Hauptschule zu unterr<strong>ich</strong>ten. Sondern wir mussten erkennen,<br />

dass <strong>ich</strong> motorisch gar n<strong>ich</strong>t in der Lage war, handschriftl<strong>ich</strong> zu schrei-<br />

ben. Eine Schreibmaschine sollte dieses Problem lösen. Nach langen<br />

Verhandlungen <strong>mit</strong> dem Sozialamt hatte <strong>ich</strong> viele Wochen später eine<br />

elektrische Schreibmaschine auf dem Tisch stehen! Und schon kam<br />

die nächste Enttäuschung ans L<strong>ich</strong>t. Ich konnte auf ihr n<strong>ich</strong>t schrei-<br />

ben! Meine Hände sind einfach motorisch zu ungeschickt, um gezielt<br />

die Taste zu drücken, die <strong>ich</strong> drücken <strong>will</strong>. Ich <strong>habe</strong> meistens mehrere<br />

Tasten gle<strong>ich</strong>zeitig gedrückt oder Tasten, die neben der gewünschten<br />

waren. Und wieder konnte mir mein Vater helfen. Er hat zu dieser<br />

Zeit in einem Stahlwerk gearbeitet. Mein Vater hatte die Idee, die<br />

Tasten der Schreibmaschine komplett »hinter Gitter« zu legen. Als die<br />

selbst angefertigte Lochplatte auf der Tastatur geschraubt war, stand<br />

meiner schulischen Laufbahn n<strong>ich</strong>ts mehr im Weg. Seither kann <strong>ich</strong><br />

ohne Schwierigkeiten schreiben. Mitte der Neunziger wurde aus der<br />

Schreibmaschine ein Computer, aber die Lochplatte auf der Tastatur<br />

ist weiter ein unverz<strong>ich</strong>tbares Hilfs<strong>mit</strong>tel <strong>für</strong> m<strong>ich</strong>. Im Nachhinein hat<br />

s<strong>ich</strong> mein Vater sehr geärgert, seine Idee n<strong>ich</strong>t patentieren zu las-<br />

sen. Eine Lochplatte über einer Tastatur, wie <strong>ich</strong> sie brauche, gab es<br />

vorher in Deutschland n<strong>ich</strong>t. Mein Vater hat <strong>für</strong> m<strong>ich</strong> ein Hilfs<strong>mit</strong>tel<br />

erfunden, das wie selbstverständl<strong>ich</strong> seit vielen Jahrzehnten <strong>für</strong> jede<br />

Tastatur nachgebaut wird!<br />

Als <strong>ich</strong> 1978 meinen Hauptschulabschluss in Osnabrück gemacht<br />

<strong>habe</strong>, war <strong>ich</strong> noch ein Schuljahr lang in Hannover auf der Sonder-<br />

schule <strong>für</strong> Körperbehinderte. Dort <strong>habe</strong> <strong>ich</strong> den erweiterten Haupt-<br />

schulabschluss gemacht, der einem Realschulabschluss entspr<strong>ich</strong>t.<br />

Im November 1972 machten s<strong>ich</strong> meine Eltern <strong>mit</strong> einem Kleinbus-<br />

unternehmen selbstständig. Auch hier dachten sie an m<strong>ich</strong>. Ich sollte<br />

nach meiner Schul- und Ausbildungszeit einen dauerhaft ges<strong>ich</strong>erten<br />

Arbeitsplatz im eigenen Betrieb <strong>habe</strong>n. Weil <strong>ich</strong> vor Ausbildungsbe-<br />

ginn meinen künftigen Arbeitsplatz nachweisen konnte, hat mir das<br />

Arbeitsamt eine Ausbildung zum Bürokaufmann im Heidelberger Re-<br />

hazentrum Schlierbach be<strong>will</strong>igt. Lange bevor <strong>ich</strong> nach Heidelberg<br />

26 27


kam, hatte <strong>ich</strong> meinen ersten elektrischen Rollstuhl. Doch <strong>bis</strong> die<br />

Krankenkasse die Kosten <strong>für</strong> ein sehr elementares Hilfs<strong>mit</strong>tel über-<br />

nommen hat, waren ein langer Atem und ein energischer Kampf nö-<br />

tig! Letztendl<strong>ich</strong> stand das Sozialger<strong>ich</strong>t auf unserer Seite und die<br />

Krankenkasse hat verloren.<br />

Nach meiner Berufsausbildung lernte <strong>ich</strong> meine Frau kennen. Wir hei-<br />

rateten 1987 in Osnabrück und <strong>habe</strong>n drei n<strong>ich</strong>t behinderte Söhne zur<br />

Welt gebracht. Obwohl wir versucht <strong>habe</strong>n, unsere zunächst glückl<strong>ich</strong>e<br />

Ehe von der pflegerischen Versorgung zu trennen und einen Pflege-<br />

dienst beauftragten, konnte eine Scheidung nach dreizehn Jahren Ehe<br />

n<strong>ich</strong>t vermieden werden!<br />

Für jede Ehe ist eine Scheidung ein harter und tiefer Einschnitt. Für<br />

m<strong>ich</strong> war es zusätzl<strong>ich</strong> schwer, weil <strong>ich</strong> mir ein Leben suchen musste,<br />

das auf der einen Seite so barrierefrei wie mögl<strong>ich</strong> ist und zusätzl<strong>ich</strong><br />

meinen tägl<strong>ich</strong>en Hilfebedarf s<strong>ich</strong>erstellt. Kurz vor unserer Trennung<br />

bin <strong>ich</strong> das Wagnis eingegangen, <strong>für</strong> eine Woche ohne jegl<strong>ich</strong>e Be-<br />

gleitung in Berlin Urlaub zu machen. Eine Freundin, die hier lebt, hat<br />

mir den Kontakt zum Pflegedienst der <strong>Lebenswege</strong> gGmbH ver<strong>mit</strong>-<br />

telt. So hatte <strong>ich</strong> während meines Urlaubes Assistenz durch Normales<br />

Leben. Von dem Konzept und der Arbeit von <strong>Lebenswege</strong> war <strong>ich</strong> so<br />

begeistert, dass <strong>ich</strong> mein Leben ohne die Familie in der Hauptstadt<br />

fortsetzen wollte!<br />

Aus diesem Grund lebe <strong>ich</strong> seit dem Jahr 2000 in Berlin und be-<br />

komme tägl<strong>ich</strong> acht Stunden Assistenz vom Pflegedienst Normales<br />

Leben der <strong>Lebenswege</strong> gGmbH. Seit Anfang 2002 beziehe <strong>ich</strong> Rente<br />

wegen Erwerbsunfähigkeit. Durch die erfolgre<strong>ich</strong>e Arbeit der Lebens-<br />

wege gGmbH ist es mir mögl<strong>ich</strong>, ein Leben führen zu können, wie es<br />

genau meinen Vorstellungen entspr<strong>ich</strong>t. Für diese Freiheit danke <strong>ich</strong><br />

dem Pflegedienst der <strong>Lebenswege</strong> gGmbH recht herzl<strong>ich</strong>!<br />

Ich bin <strong>ich</strong>! Fragen und Antworten<br />

Traude Borsch<br />

Was ist Ihre schönste Erinnerung, Ihr schönstes Erlebnis?<br />

28 29<br />

Zwei Jahre auf Trebe – frei, ohne Prügel, ohne eingesperrt<br />

zu sein und Onkel Ferdi <strong>mit</strong> seiner bedingungslosen Unter-<br />

stützung, Hilfe und Liebe<br />

Welches Erlebnis hat Ihnen n<strong>ich</strong>t gefallen?<br />

... Diebstähle, die von anderen begangen wurden und <strong>ich</strong> da<strong>für</strong><br />

verantwortl<strong>ich</strong> gemacht wurde<br />

Was machen Sie gern in Ihrer Freizeit?<br />

Ganz lange Dampferfahrten, stricken, kochen und backen,<br />

Gassi gehen <strong>mit</strong> Lady, Bowlen, Ausflüge<br />

Was machen Sie nur sehr ungern?<br />

Ärzte aufsuchen<br />

Wer wären Sie gerne?<br />

Nein! Ich bin <strong>ich</strong>!<br />

Was macht Ihnen in Ihrem Leben Angst?<br />

Dass <strong>ich</strong> Schulden <strong>habe</strong> und n<strong>ich</strong>t verstehe, wo sie entstan-<br />

den sind.<br />

Was hilft Ihnen am meisten am Verhalten anderer <strong>Menschen</strong>?<br />

Das Zuhören, n<strong>ich</strong>t ins Wort fallen; Vertrauen in m<strong>ich</strong>; mir<br />

n<strong>ich</strong>t alles abnehmen; m<strong>ich</strong> ausprobieren lassen<br />

Was am Verhalten anderer <strong>Menschen</strong> hilft Ihnen n<strong>ich</strong>t?<br />

Wenn sie Stress machen, m<strong>ich</strong> laut und heftig ansprechen<br />

Was würden Sie an s<strong>ich</strong> verändern, wenn es mögl<strong>ich</strong> wäre?<br />

Ich <strong>habe</strong> schon so viel an mir geändert!<br />

Was würden Sie an Ihrer Umgebung verändern?<br />

Den meckernden Nachbarn loswerden, Wohnräume vergrö-<br />

ßern und Möbel umstellen, kleine Parkanlage <strong>mit</strong> Schatten<br />

<strong>für</strong> m<strong>ich</strong>, Lady und die älteren Nachbarn, Pferde in der Nähe


Was ist <strong>für</strong> Sie Glück?<br />

Lottogewinn; <strong>mit</strong> linkem Fuß in Hundekot treten!<br />

Was ist <strong>für</strong> Sie Unglück?<br />

Hinzufallen und mir den Hals zu brechen<br />

Was ist Erfolg <strong>für</strong> Sie?<br />

Ihre Stärken?<br />

Aufzustehen, ein Mikro in die Hand zu nehmen auf offener<br />

Straße zu singen und alle hören begeistert zu<br />

N<strong>ich</strong>ts mehr zu verheiml<strong>ich</strong>en; alles offen anzusprechen<br />

Was würden Sie gerne noch lernen?<br />

LKW fahren; technische Geräte reparieren lernen.<br />

Woher beziehen Sie Ihre Energien?<br />

Die kommt von selbst – über Nacht. Mal gibt es schlechte,<br />

mal gute Zeiten.<br />

Welche Erwartungen/Wünsche <strong>habe</strong>n Sie an Ihre Zukunft?<br />

Dass <strong>ich</strong> keine Selbstgespräche mehr führe;<br />

bessere finanzielle Situation.<br />

Was möchten Sie gerne außerdem <strong>mit</strong>teilen?<br />

Seit <strong>Lebenswege</strong> (Sozialarbeiterische Assistenz im Rahmen des Be<br />

treuten Einzelwohnens, Red.) bei mir ist, geht es mir bedeu-<br />

tend besser. Es gab keinen Ärger mehr, keine Minutenab-<br />

rechnung wie beim Pflegedienst. <strong>Lebenswege</strong> darf auf keinen<br />

Fall geschlossen werden – das <strong>habe</strong> <strong>ich</strong> geträumt.<br />

Über m<strong>ich</strong> Traude Borsch – sieben Geschwister, leider war kein Schul-<br />

besuch in der Kindheit mögl<strong>ich</strong>; EU-Rentnerin, wohne in Zwei-Raum-<br />

Wohnung <strong>mit</strong> Balkon in Charlottenburg; <strong>ich</strong> sitze n<strong>ich</strong>t im Rollstuhl;<br />

ein Sohn; <strong>habe</strong> eine vierjährige Klein-Pekinesin, hatte 16 Jahre lang<br />

eine Groß-Weiß-Silber-Spitz-Hündin. Drei Wünsche an die Zauberfee:<br />

1. Legasthenie weg 2. alle Krankheiten und Beschwerden weg<br />

3. sofort LKW fahren können und eigener LKW<br />

Die persönl<strong>ich</strong>e Gesch<strong>ich</strong>te von Werner Knobloch<br />

Ich bin <strong>mit</strong> einer Behinderung auf die Welt gekommen. Ich hatte bei<br />

der Geburt eine Gehirnblutung. Das ist, als wenn ein Papier einreißt,<br />

so sagte der Arzt. Dadurch kam dann die Lähmung meiner Hände und<br />

meiner Beine und Krämpfe vom Gehirn aus. Die Krämpfe sind nachher<br />

ausgeheilt. Die Ärzte sagten zu Mutter: »Der Junge wird n<strong>ich</strong>t groß,<br />

n<strong>ich</strong>t mal 18 Jahre alt!« Aber das hat s<strong>ich</strong> n<strong>ich</strong>t bewahrheitet.<br />

Mutter hatte die Mögl<strong>ich</strong>keit, m<strong>ich</strong> ins Heim zu bringen, aber das hat<br />

sie n<strong>ich</strong>t gemacht, weil <strong>ich</strong> im Heim wie eine Sache behandelt worden<br />

wäre. Meine Eltern waren einfache Arbeiter. Sie wussten zwar n<strong>ich</strong>t<br />

viel, aber waren »vom Herzen her« gebildet.<br />

Ich bin am Mariendorfer Weg in Neukölln in den Kindergarten und die<br />

Schule gegangen, <strong>bis</strong> zu meinem 15. Lebensjahr. Dann kam <strong>ich</strong> nach<br />

Britz in die Lehrwerkstätten. Da <strong>habe</strong>n wir Radiotasten eingesetzt.<br />

Zwei Jahre blieb <strong>ich</strong> da. Dann wurde <strong>ich</strong> nach Schmargendorf in eine<br />

Werkstatt gebracht, wo <strong>ich</strong> Decken und Kissenbezüge gewebt <strong>habe</strong>.<br />

Später kam <strong>ich</strong> zur Fontanestrasse in Neukölln, wo wir Hörmuscheln<br />

in Telefone einsetzten. 1973 kam <strong>ich</strong> raus, weil <strong>ich</strong> n<strong>ich</strong>t so arbeiten<br />

konnte, wie man es <strong>habe</strong>n wollte. Ich <strong>habe</strong> dann bei meinen Eltern<br />

gewohnt, <strong>bis</strong> mein Vater und meine Mutter starben. Danach kam <strong>ich</strong><br />

zu <strong>Lebenswege</strong> in die Krumme Straße, wo <strong>ich</strong> m<strong>ich</strong> erst mal zurecht-<br />

finden musste. Hier wurde <strong>ich</strong> vom Rollstuhl her größer und selbst-<br />

ständiger und lernte, s<strong>ich</strong>er auf der Strasse zu fahren. Heute komme<br />

<strong>ich</strong> zurecht. Es sind noch manche Hindernisse da, zum Beispiel dass<br />

<strong>ich</strong> m<strong>ich</strong> n<strong>ich</strong>t alleine in ein Flugzeug setzen kann und dann Hilfe<br />

brauche, oder wenn in Bahnhöfen keine Fahrstühle sind. Aber man<br />

kann n<strong>ich</strong>t alles auf einmal machen.<br />

30 31


Ich <strong>habe</strong> näml<strong>ich</strong> einen ganz anderen Blick.<br />

Fragen und Antworten<br />

Werner Knobloch<br />

Was ist Ihre schönste Erinnerung, Ihr schönstes Erlebnis?<br />

Die ersten Jahre im Wohnverbund Krumme Straße waren <strong>für</strong><br />

m<strong>ich</strong> et<strong>was</strong> ganz Neues und sehr Schönes, weil <strong>ich</strong> nun zum<br />

ersten Mal alleine in einer Wohnung wohnen und leben konn-<br />

te. Ich kam von meiner Mutter und war es noch n<strong>ich</strong>t ge-<br />

wöhnt, alleine zu leben und zu sprechen. Doris Heitmann,<br />

die erste Leiterin des Wohnverbundes, hatte es mir le<strong>ich</strong>t ge-<br />

macht, m<strong>ich</strong> hier einzugewöhnen. Sie verstand meine »unge-<br />

schickten« Wörter.<br />

Welches Erlebnis hat Ihnen n<strong>ich</strong>t gefallen?<br />

Vom Pflegedienst wurde mir einmal eine Assistentin ge-<br />

schickt, die sehr ungeschickt war und m<strong>ich</strong> n<strong>ich</strong>t in den E-<br />

Rollstuhl umsetzen konnte. Ich bin aus dem Rollstuhl gefallen.<br />

Was machen Sie gern in Ihrer Freizeit?<br />

Ich höre Musik und sehe gerne fern. Durch Fernsehen und<br />

den Rundfunk bekomme <strong>ich</strong> alles <strong>mit</strong>, <strong>was</strong> draußen und in<br />

der Welt passiert. Im Allgemeinen bin <strong>ich</strong> viel <strong>mit</strong> meinem<br />

E-Rollstuhl unterwegs. Ich war auch schon alleine auf dem<br />

Gauklerfest in Berlin-Mitte und auf dem Weihnachtsmarkt.<br />

Durch die S- und U-Bahn <strong>habe</strong> <strong>ich</strong> die Mögl<strong>ich</strong>keit, durch<br />

die ganze Stadt zu fahren. Bei meinen Fahrten durch Berlin<br />

werde <strong>ich</strong> auch schon mal von anderen Leuten auf meinen<br />

Rollstuhl angesprochen. Ich antworte dann gerne.<br />

Was machen Sie nur sehr ungern?<br />

32 33<br />

Ich bin n<strong>ich</strong>t wie ein »Opa«, der den Kopf hängen lässt. Für<br />

m<strong>ich</strong> heißt es immer »Aufstehen Junge, es geht weiter!« Ich<br />

stehe n<strong>ich</strong>t gerne still und setze mein Wissen immer gerne ein.<br />

Wer wären Sie gern?<br />

Ich wäre gerne mal ein Reporter und würde im Rundfunk Re-<br />

portagen machen, zum Beispiel mal ber<strong>ich</strong>ten, wie <strong>ich</strong> den<br />

Karneval der Kulturen vom Rollstuhl aus erlebe. Das wird<br />

so selten gebracht. Ich <strong>habe</strong> näml<strong>ich</strong> einen ganz anderen<br />

Blick vom Rollstuhl aus, ähnl<strong>ich</strong> wie ein Autofahrer. Ich sehe<br />

n<strong>ich</strong>t so gut, <strong>was</strong> ganz unten vor meinem Rolli passiert. Auch<br />

die süßen Mädchenbeine n<strong>ich</strong>t.<br />

Was macht Ihnen in Ihrem Leben Angst?<br />

Ich nehme wahr, dass heutzutage vielen Leuten alles egal ist.<br />

So <strong>habe</strong> <strong>ich</strong> Angst, dass mir die Krankenkasse irgendwann<br />

keinen Rollstuhl mehr be<strong>will</strong>igt. Ich musste immer das neh-<br />

men, <strong>was</strong> mir die Krankenkasse gibt. Die Regeln sind <strong>für</strong><br />

m<strong>ich</strong> zu »starr«, wie die Schrift in einem Grabstein. Sorge<br />

macht mir, dass s<strong>ich</strong> mal keiner mehr <strong>für</strong> m<strong>ich</strong> zuständig<br />

fühlt und <strong>ich</strong> nur von einem zum anderen geschickt werde:<br />

»Für D<strong>ich</strong> bin <strong>ich</strong> n<strong>ich</strong>t da!«<br />

Was hilft Ihnen am meisten am Verhalten anderer <strong>Menschen</strong>?<br />

Mir hilft, wenn andere Rücks<strong>ich</strong>t auf m<strong>ich</strong> als Rollstuhlfahrer<br />

nehmen, mir zum Beispiel die Tür öffnen, mal den Fahrstuhl<br />

holen oder mir helfen, in die U- oder S- Bahn einzusteigen.<br />

Was am Verhalten anderer <strong>Menschen</strong> hilft Ihnen n<strong>ich</strong>t?<br />

Wenn s<strong>ich</strong> andere Leute beim Einsteigen vordrängeln. Dabei<br />

<strong>habe</strong>n S- und U-Bahnen mehrere Türen, aber alle wollen nur<br />

beim Fahrer einsteigen, wo mir die Rampe angelegt wird.<br />

Wenn m<strong>ich</strong> ein Fahrer n<strong>ich</strong>t mehr in die Bahn hineinlässt,<br />

weil sie zu voll ist, ist das <strong>für</strong> m<strong>ich</strong> eine Ablehnung.


Was würden Sie an s<strong>ich</strong> verändern wenn es mögl<strong>ich</strong> wäre?<br />

Ich <strong>will</strong> n<strong>ich</strong>ts ändern, <strong>ich</strong> bin ganz zufrieden <strong>mit</strong> mir.<br />

Was würden Sie an Ihrer Umgebung verändern?<br />

Gerade im Osten müssten mal die Bürgersteige abgesenkt<br />

werden, da<strong>mit</strong> <strong>ich</strong> <strong>mit</strong> meinem Rollstuhl n<strong>ich</strong>t immer die<br />

Ein- und Ausfahrten nehmen muss. Ändern würde <strong>ich</strong>, dass<br />

die Leute von draußen uns Behinderte n<strong>ich</strong>t mehr so ableh-<br />

nen. Manchmal höre <strong>ich</strong> von Älteren »Ach, der arme, hilflose<br />

Junge, der kann ja n<strong>ich</strong>ts!« Die meisten sehen nur den Roll-<br />

stuhl und n<strong>ich</strong>t die Person, die drin sitzt, und dass die Per-<br />

son Gefühle hat und genau so weint und lacht.<br />

Was ist <strong>für</strong> Sie Glück?<br />

Glück ist <strong>für</strong> m<strong>ich</strong>, wenn man angenommen wird, ohne auf<br />

die Fehler zu gucken.<br />

Was ist <strong>für</strong> Sie Unglück?<br />

Wenn <strong>ich</strong> als Rollstuhlfahrer ausgeschlossen werde, fühle <strong>ich</strong><br />

m<strong>ich</strong> wie der letzte Wagen einer Eisenbahn. Wenn Geschäfte<br />

oder Kinos n<strong>ich</strong>t rollstuhlgerecht sind und <strong>ich</strong> n<strong>ich</strong>t hinein-<br />

komme. Manchmal fühle <strong>ich</strong> m<strong>ich</strong> in eine Ecke gestellt, wie<br />

ein altes Möbelstück. Ich mag es n<strong>ich</strong>t, betteln zu müssen:<br />

»Lasst m<strong>ich</strong> doch rein...!« Manche Leute <strong>habe</strong>n Angst, dass<br />

Rollstuhlfahrer alles anfassen und in Unordnung bringen.<br />

Was ist Erfolg <strong>für</strong> Sie?<br />

Als <strong>ich</strong> von Herrn Wigger (früher zuständig <strong>für</strong> Öffentl<strong>ich</strong>-<br />

keitsarbeit bei <strong>Lebenswege</strong>) <strong>für</strong> den Rundfunk interviewt wur-<br />

de. Mal in einem r<strong>ich</strong>tigen Rundfunkstudio zu sein, war et-<br />

<strong>was</strong> ganz Besonderes <strong>für</strong> m<strong>ich</strong>. Ich <strong>habe</strong> mir auch nie ge-<br />

dacht, dass <strong>ich</strong> mal Presseerzählungen und Zeitungsartikel<br />

mache. Meine Artikel wurden nie »zensiert«: »So sagt man<br />

das n<strong>ich</strong>t, Junge!« Natürl<strong>ich</strong> fehlt mir die Schule, wo man<br />

lernt, wie man Presseerzählungen macht, aber meine Worte<br />

Ihre Stärken?<br />

34 35<br />

durften so gelten. Ich <strong>habe</strong> mir das alles durch den Rund-<br />

funk und das Fernsehen beigebracht.<br />

Ich nehme viel Wissen auf und setze es in meine Sprache<br />

um. Bei den Ärzten setze <strong>ich</strong> die Diagnosen in meine Worte<br />

um. Sch<strong>ich</strong>tröntgen <strong>habe</strong> <strong>ich</strong> <strong>mit</strong> einem Kuchen vergl<strong>ich</strong>en:<br />

Erst der Teig, dann der Apfel drauf und drüber wird alles<br />

zugedeckt. Ich versuche die Worte so umzusetzen, dass es<br />

die Allgemeinheit versteht. Da<strong>für</strong> <strong>habe</strong>n m<strong>ich</strong> die Ärzte gelobt.<br />

Was würden Sie gern noch lernen?<br />

Ich bin wie ein Tonband, nehme Vieles auf. Es gibt n<strong>ich</strong>ts<br />

Bestimmtes, <strong>was</strong> <strong>ich</strong> lernen möchte. Ich nehme alles <strong>mit</strong>.<br />

Ich bin wie ein Kramladen, der immer <strong>was</strong> gebracht kriegt.<br />

Woher beziehen Sie Ihre Energien?<br />

Wenn es n<strong>ich</strong>t zu anstrengend ist, nehme <strong>ich</strong> die Kraft von<br />

mir selbst. Wenn es sehr anstrengend wird, muss <strong>ich</strong> meine<br />

»Aufziehfeder« mal locker lassen und eine Pause machen.<br />

Innerl<strong>ich</strong> tanke <strong>ich</strong> dann selbst auf, wie ein »Akku am Lade-<br />

gerät«.<br />

Welche Erwartungen/Wünsche <strong>habe</strong>n Sie an Ihre Zukunft?<br />

Ich lasse alles auf m<strong>ich</strong> zukommen. Wenn et<strong>was</strong> Neues vor<br />

der Tür steht, suche <strong>ich</strong> mir aus, ob <strong>ich</strong> es nehmen kann oder<br />

n<strong>ich</strong>t, wie in einem Bücherregal. Ein Traum von mir ist, eine<br />

Platte aus alten Liedern zu machen. Die Platte müsste dann<br />

draußen veröffentl<strong>ich</strong>t werden wie ein Buch. Und wenn mei-<br />

ne Lebensgesch<strong>ich</strong>te mal als Hörbuch von einem Profi, ei-<br />

nem Rundfunksprecher verlesen würde, das wäre <strong>was</strong> Schö-<br />

nes <strong>für</strong> m<strong>ich</strong>.<br />

Was möchten Sie außerdem <strong>mit</strong>teilen?<br />

Ich wünsche mir, dass die Situation <strong>für</strong> Rollstuhlfahrer in<br />

Zukunft besser wird, be<strong>für</strong>chte aber, dass alles rückwärts


geht. Man zieht uns Rollstuhlfahrer wie Spielzeugautos hin-<br />

ter s<strong>ich</strong> her und lässt uns dann stehen. Mit so et<strong>was</strong> »Un-<br />

schönem« wie Rollstuhlfahrer möchten viele n<strong>ich</strong>ts zu tun<br />

<strong>habe</strong>n. Rollstuhlfahrer und Behinderte zählen genau so <strong>mit</strong>,<br />

wie jeder andere, der »normal« ist, wie man so sagt.<br />

Ohne große Planung ins Kino gehen<br />

Fragen und Antworten<br />

Sabine Finke<br />

Behinderung: Tetraspastik<br />

Wohnform: zu zweit<br />

Schule: kein Hauptschulabschluss<br />

Familie: Es besteht kein Kontakt.<br />

Tätigkeit: Ich gehe keiner Tätigkeit nach.<br />

Was ist Ihre schönste Erinnerung, Ihr schönstes Erlebnis?<br />

Der Umzug in die eigene Wohnung.<br />

Welches Erlebnis hat Ihnen n<strong>ich</strong>t gefallen?<br />

In einem Heim aufzuwachsen.<br />

Was machen Sie gerne in Ihrer Freizeit?<br />

Schwimmen, Spaziergänge, am Computer spielen.<br />

Was machen Sie nur sehr ungern?<br />

Alleine zu Ärzten gehen, s<strong>ich</strong> <strong>mit</strong> Ämtern auseinandersetzen.<br />

Wer wären Sie gerne?<br />

Millionär: <strong>ich</strong> könnte alle nötigen Therapien und Hilfs<strong>mit</strong>tel<br />

selbst zahlen.<br />

Was macht Ihnen in Ihrem Leben Angst?<br />

Einsparungen im Sozialbere<strong>ich</strong>.<br />

Was hilft Ihnen am meisten am Verhalten anderer <strong>Menschen</strong>?<br />

Verständnis, Anteilnahme, Hilfe.<br />

Was am Verhalten anderer <strong>Menschen</strong> hilft Ihnen n<strong>ich</strong>t?<br />

Mitleid<br />

Was würden Sie an s<strong>ich</strong> verändern wenn es mögl<strong>ich</strong> wäre?<br />

36 37<br />

M<strong>ich</strong> in einen gesunden Körper zaubern! Ich könnte ohne<br />

große Planung ins Kino gehen, Freunde besuchen.<br />

Was würden Sie an Ihrer Umgebung verändern?<br />

U-Bahnhöfe behinderten gerecht ausbauen<br />

Was ist <strong>für</strong> Sie Glück?<br />

Einen Partner zu <strong>habe</strong>n, keine Schmerzen zu <strong>habe</strong>n, gut ge-<br />

pflegt zu werden von netten Assistenten.<br />

Was ist <strong>für</strong> Sie Unglück?<br />

Einen geliebten <strong>Menschen</strong> zu verlieren. Schmerzen zu ha-<br />

ben. Wenn der E-Rollstuhl kaputt ist.<br />

Was ist Erfolg <strong>für</strong> Sie?<br />

Ein Hilfs<strong>mit</strong>tel, das dringend gebraucht wird, auch zu be-<br />

kommen.<br />

Ihre Stärken?<br />

Die Assistenzzeit gut zu planen.<br />

Woher beziehen Sie Ihre Energien?<br />

Ein schöner Spaziergang verbunden <strong>mit</strong> einem netten Ge-<br />

spräch. Schwimmen gehen.<br />

Welche Erwartungen oder Wünsche <strong>habe</strong>n Sie an Ihre Zukunft?<br />

Dass meine Behinderung s<strong>ich</strong> n<strong>ich</strong>t weiter verschlechtert. Dass<br />

n<strong>ich</strong>t weiter im Sozialbere<strong>ich</strong> gespart wird.<br />

Was möchten Sie gerne außerdem <strong>mit</strong>teilen?<br />

Ich bin seit 15 Jahren bei <strong>Lebenswege</strong> und bin sehr zufrie-<br />

den <strong>mit</strong> der Betreuung.


Immer wieder aufstehen.<br />

Fragen und Antworten<br />

Christoph Gallus<br />

Was ist Ihre schönste Erinnerung, Ihr schönstes Erlebnis?<br />

Als <strong>ich</strong> vor zwei Jahren in meine eigene Wohnung einzog.<br />

Welches Erlebnis hat Ihnen n<strong>ich</strong>t gefallen?<br />

Es gab kein Erlebnis in meinem Leben, wo <strong>ich</strong> sagen würde,<br />

das hat mir wehgetan.<br />

Eigentl<strong>ich</strong> gibt es doch ein Erlebnis, das <strong>für</strong> m<strong>ich</strong> emotional<br />

sehr belastend ist: Mit 29 Jahren <strong>habe</strong> <strong>ich</strong> erfahren, dass <strong>ich</strong><br />

aufgrund eines ärztl<strong>ich</strong>en Kunstfehlers im Rollstuhl sitze.<br />

Was machen Sie gern in Ihrer Freizeit?<br />

Reisen; Musik hören, am liebsten die von Matthias Reim<br />

Was machen Sie nur sehr ungern?<br />

M<strong>ich</strong> streiten.<br />

Wer wären Sie gerne?<br />

Ein Träumer<br />

Was macht Ihnen in Ihrem Leben Angst?<br />

Meine Zukunft: wegen der Abhängigkeit von Ämtern, die mein<br />

Leben finanziell in der Hand <strong>habe</strong>n.<br />

Was hilft Ihnen am meisten am Verhalten anderer <strong>Menschen</strong>?<br />

38 39<br />

Die Toleranz gegenüber meiner Behinderung und dass sie auf<br />

m<strong>ich</strong> zugehen.<br />

Was am Verhalten anderer <strong>Menschen</strong> hilft Ihnen n<strong>ich</strong>t?<br />

Die Intoleranz, wenn Leute m<strong>ich</strong> auf meinen Rollstuhl be-<br />

grenzen. Wenn Leute nur den Rollstuhl sehen und n<strong>ich</strong>t den<br />

<strong>Menschen</strong>. In einem Rollstuhlfahrer ist auch eine Seele.<br />

Was würden Sie an s<strong>ich</strong> verändern wenn es mögl<strong>ich</strong> wäre?<br />

Wenn es mögl<strong>ich</strong> wäre, würde <strong>ich</strong> mir wünschen, dass <strong>ich</strong><br />

irgendwann laufen könnte.<br />

Was würden Sie an Ihrer Umgebung verändern?<br />

Schwierig. Eigentl<strong>ich</strong> gar n<strong>ich</strong>ts. Aber ab und zu brauche <strong>ich</strong><br />

ein anderes Team, Abwechslung, neue Leute, die hinter mir<br />

stehen. Mein Leben verändert s<strong>ich</strong> ja auch und dann würde<br />

<strong>ich</strong> die <strong>Menschen</strong>, die m<strong>ich</strong> n<strong>ich</strong>t verstehen oder von denen<br />

<strong>ich</strong> m<strong>ich</strong> n<strong>ich</strong>t verstanden fühle, auch wieder aus meinem<br />

Team entlassen. Außerdem wäre es eine w<strong>ich</strong>tige Aufgabe<br />

<strong>für</strong> die Politik, <strong>für</strong> mehr gesellschaftl<strong>ich</strong>e Aufmerksamkeit<br />

<strong>für</strong> behinderte <strong>Menschen</strong> zu sorgen, da<strong>mit</strong> man s<strong>ich</strong> n<strong>ich</strong>t<br />

wie ein Mensch zweiter Klasse fühlen muss.<br />

Was ist <strong>für</strong> Sie Glück?<br />

Liebe, Zweisamkeit und Partnerschaft.<br />

Was ist <strong>für</strong> Sie Unglück?<br />

Wenn <strong>ich</strong> m<strong>ich</strong> grundsätzl<strong>ich</strong> n<strong>ich</strong>t verstanden fühle. Wenn<br />

<strong>ich</strong> versuche, <strong>mit</strong> jemandem in Kontakt zu treten – berufl<strong>ich</strong><br />

oder privat – und der <strong>will</strong> aber n<strong>ich</strong>t so wie <strong>ich</strong>.<br />

Was ist Erfolg <strong>für</strong> Sie?<br />

Wenn alles im ruhigen Ablauf in meinem Leben hergestellt<br />

werden kann, da<strong>mit</strong> <strong>ich</strong> m<strong>ich</strong> wohl und zufrieden fühle.


Ihre Stärken?<br />

Organisation von Situationen; m<strong>ich</strong> auf Situationen relativ<br />

schnell einstellen zu können, gut zuhören zu können.<br />

Was würden Sie gerne noch lernen?<br />

M<strong>ich</strong> eventuell berufl<strong>ich</strong> weiterbilden. Ich würde mir wün-<br />

schen, n<strong>ich</strong>t von anderen <strong>Menschen</strong> abhängig zu sein.<br />

Woher beziehen Sie Ihre Energien?<br />

Schwierig. Aus der Musik eines Künstlers namens Matthias<br />

Reim. Ich kenne ihn persönl<strong>ich</strong> und mag ihn, weil er m<strong>ich</strong><br />

n<strong>ich</strong>t auf den Rollstuhl fixiert, sondern m<strong>ich</strong> als normalen<br />

<strong>Menschen</strong> behandelt. Außerdem gefällt mir an ihm, dass<br />

er aus Lebenskrisen wieder aufgestanden ist. Er ist ein<br />

»Steh-auf-Männchen« wie <strong>ich</strong>. Man kann n<strong>ich</strong>t so tief fallen,<br />

dass man n<strong>ich</strong>t wieder aufstehen könnte.<br />

Welche Erwartungen oder Wünsche <strong>habe</strong>n Sie an Ihre Zukunft?<br />

Irgendwann <strong>mit</strong> meiner Partnerin, eventuell <strong>mit</strong> Kindern ein<br />

fach zur Ruhe zu kommen und mein Leben leben.<br />

Was möchten Sie außerdem <strong>mit</strong>teilen?<br />

Eigentl<strong>ich</strong> gar n<strong>ich</strong>ts. So wie Sie den <strong>Menschen</strong> hier sehen,<br />

so ist er momentan drauf. Außerdem würde <strong>ich</strong> hier gerne<br />

noch ein Dankeschön an meine Eltern sagen, weil sie mir viel<br />

beigebracht <strong>habe</strong>n, immer <strong>für</strong> m<strong>ich</strong> da waren und sind.<br />

Christoph Gallus wurde am 3. Juli 1978 geboren. Er hat einen jünge-<br />

ren Bruder. Seit seiner Geburt lebt er <strong>mit</strong> einer Spastik, kann in der<br />

Wohnung <strong>mit</strong> Gehstützen laufen und benutzt sonst einen Rollstuhl.<br />

Er absolvierte den erweiterten Hauptschulabschluss und arbeitet in<br />

einer Werkstatt <strong>für</strong> behinderte <strong>Menschen</strong>. Christoph Gallus lebt seit<br />

zwei Jahren in seiner eigenen rollstuhlgerechten Wohnung in L<strong>ich</strong>ter-<br />

felde-Ost.<br />

Daniela Göthe, geboren 13. Juli 1953, gestorben 18. August 2006<br />

Gisela Göthe<br />

Eigentl<strong>ich</strong> sollte Daniela ja erst Mitte August auf die Welt kommen,<br />

aber es kam alles ganz anders, als wir es uns gedacht hatten. Daniela<br />

war noch im behüteten Bauch der Mutter, die <strong>mit</strong> ihr ein paar Tage in<br />

Neuenhagen bei den Eltern, dem jüngeren Bruder und der Großmutter<br />

40 41<br />

war.<br />

An dem Tag, als sie wieder nach Hause fahren wollten, hatten sie s<strong>ich</strong><br />

<strong>mit</strong> Danielas Vater an der Warschauer Brücke verabredet. Plötzl<strong>ich</strong><br />

fuhren die Züge n<strong>ich</strong>t weiter, zuerst wusste kein Mensch, warum. Aber<br />

es war der 17. Juni 1953, der erste große Aufstand der DDR, und wir<br />

sind dort <strong>mit</strong>ten hineingeraten. So mussten wir die unendl<strong>ich</strong> lange<br />

Strecke von L<strong>ich</strong>tenberg <strong>bis</strong> Warschauer Brücke über die damalige<br />

Stalinallee laufen. Die aufgebrachten Massen warfen Steine in Schau-<br />

fenster und Autos, ja, sie versuchten sogar, das Stalindenkmal umzu-<br />

stürzen und kämpften gegen die Polizei und umgekehrt.<br />

Nach Stunden hatten wir unser Ziel erre<strong>ich</strong>t, wo uns Göthe voller Bangen<br />

erwartet hatte. Zuerst schien es, als hätten wir alles unbeschadet über-<br />

standen. Aber dann setzten bei der Mutter ständige Schmerzen ein. Was<br />

keiner vermutete – auch der Arzt n<strong>ich</strong>t – es waren Wehen. So kam <strong>ich</strong><br />

<strong>mit</strong> dem Rettungswagen ins Albrecht-Achilles-Krankenhaus und Daniela<br />

kam am 13. Juli 1953 – im 8. Monat – nach<strong>mit</strong>tags gegen 17.00 Uhr<br />

zur Welt. Sie wog 1.740 Gramm.<br />

Als <strong>ich</strong> am nächsten Morgen mein Kind erwartete, sagte man mir,<br />

dass sie noch in der Nacht ins Mosse-Stift, ein Kinderkrankenhaus,


gebracht worden sei. Dort kam sie in einen Brutkasten und sollte dort<br />

bleiben, <strong>bis</strong> sie drei Kilogramm wiegen würde. Sie war eigentl<strong>ich</strong> <strong>für</strong><br />

heutige Verhältnisse zieml<strong>ich</strong> schwer, sie sah auch rosig und gesund<br />

aus und benahm s<strong>ich</strong> so, wie es ein Frischgeborenes nach der Geburt<br />

tun sollte.<br />

Im Kinderkrankenhaus waren noch drei andere Frühgeburten auf der<br />

Station, die alle viel le<strong>ich</strong>ter und kleiner waren als Daniela. Erst lief<br />

alles ganz gut an. Sie nahm zu und <strong>ich</strong> konnte sie jeden Tag hinter<br />

einer Scheibe sehen. Aber nach circa fünf Wochen verschwand ein<br />

Baby nach dem anderen. Angebl<strong>ich</strong> waren sie entlassen worden, aber<br />

das stimmte n<strong>ich</strong>t, sie waren verstorben.<br />

Ein Arzt hatte uns – aus Versehen – den Grund genannt. Es gab eine<br />

Epidemie auf der Station, Meningitis. Daniela, als kräftigste, hatte<br />

überlebt und nun wurde <strong>mit</strong> ihr experimentiert, <strong>was</strong> wir auch nur<br />

durch Zufall erfuhren.<br />

Wir <strong>habe</strong>n dann darauf bestanden, dass unser Kind – auf eigene Ver-<br />

antwortung – im Dezember 1953 entlassen wird. Man wollte sie uns<br />

ungern geben, sie hatte näml<strong>ich</strong>: einen Nabelbruch, Bronchitis und<br />

drei zieml<strong>ich</strong> große Löcher an dem kleinen Po. Heute nennt man das<br />

Dekubitus. Ihr Gew<strong>ich</strong>t betrug nun 3.860 kg.<br />

In dieser ganzen langen Zeit des Krankenhausaufenthaltes, hatte <strong>ich</strong><br />

mein Kind nie berühren dürfen. Als Krankheit stand auf dem Entlas-<br />

sungsschein Interstitielle Pneumonie. In einem Jahr sollten wir uns<br />

wieder vorstellen. Das taten wir, waren danach aber sehr verwundert,<br />

ja geschockt. Die Oberärztin fragte uns, als sie Daniela ein Schlüssel-<br />

bund vor die Händchen hielt: »Warum greift sie denn n<strong>ich</strong>t zu?« Wir:<br />

»Wir dachten, das würden wir von Ihnen erfahren!« Dem war n<strong>ich</strong>t so.<br />

Wir hätten viele Fragen gehabt. Daniela machte nach einem Jahr noch<br />

gar keinen Versuch, zu krabbeln, zu sitzen oder s<strong>ich</strong> hochzuziehen.<br />

Wir hatten zu dieser Zeit, zum Glück, einen sehr guten Arzt in der<br />

Säuglings<strong>für</strong>sorge in der Königsallee. Der erkannte sehr früh, dass<br />

Daniela geistig völlig normal sei, aufgrund ihrer lebhaften Augen und<br />

Reaktionen. Aber die Motorik sei leider ganz gestört. Das betraf, trau-<br />

rigerweise, auch die Sprache.<br />

Verständigen konnten wir uns anfangs nur über die Augen. Augen zu<br />

war »Nein«, Augen ganz groß auf war »Ja«. Später fand sie noch eine<br />

andere Variante. Bei »Nein« steckte sie die Zunge et<strong>was</strong> heraus und.<br />

bei »Ja« öffnete sie weit den Mund. Manchmal tat sie das heute noch.<br />

Man musste die Fragen eben so stellen, dass Daniela die zwei Varian-<br />

ten anwenden konnte. Wir <strong>habe</strong>n aber immer sprechen <strong>mit</strong> ihr geübt<br />

und hatten sogar kleine Erfolge.<br />

Was Daniela eigentl<strong>ich</strong> <strong>für</strong> eine Krankheit hatte, erfuhren wir wieder<br />

durch einen Zufall. Eine Verwandte von uns saß beim Arzt und las im<br />

Readers Digest einen Artikel über ein Mädchen, das in der Beschrei-<br />

bung das gle<strong>ich</strong>e Verhalten und Krankheitsbild hatte wie Daniela: Sie<br />

war Spastikerin. Meine Tante kaufte gle<strong>ich</strong> das Buch <strong>für</strong> uns und wir<br />

dachten, da wird unser Kind beschrieben! In Amerika war die Krank-<br />

heit bekannt, hier n<strong>ich</strong>t.<br />

Als Daniela circa vier Jahre alt war, merkte <strong>ich</strong>, dass sie einzelne Buch-<br />

staben lesen konnte. Sie hatte s<strong>ich</strong> alle Vokale, die <strong>ich</strong> ihr bei Sprech-<br />

übungen gezeigt hatte gemerkt. Bei einem Spaziergang kamen wir<br />

an einem Malerplakat vorbei und blieben stehen. Daniela sagte »A«.<br />

Ich dachte zuerst, sie staunt über die großen Buchstaben, aber dann<br />

nannte sie auch die anderen Buchstaben, auf die <strong>ich</strong> zeigte. Daraufhin<br />

malte <strong>ich</strong> ihr eine r<strong>ich</strong>tige Fibel <strong>mit</strong> lustigen Bildern und Wörtern und<br />

großen Buchstaben. Ich konnte et<strong>was</strong> von meinem schönen Beruf als<br />

Ze<strong>ich</strong>nerin anwenden und Daniela lernte <strong>mit</strong> Eifer.<br />

Daniela war dann ein gutes Jahr in einem Kindergarten der Waldorf-<br />

schule in der Argentinischen Allee. Dort lernten wir Anorthe und ihre<br />

Eltern kennen. Sie war auch Spastikerin, konnte s<strong>ich</strong> aber allein in<br />

einem kleinen Rollstuhl fortbewegen, auch auf der Straße. Sie konnte<br />

frei sitzen und hatte mehr Halt in Rücken und Nacken als Daniela.<br />

42 43


Später fanden wir auch <strong>für</strong> sie die Mögl<strong>ich</strong>keit einen »Tippelwagen«<br />

zu bekommen. Einer unser ältesten und liebsten Freunde hat ihn <strong>für</strong><br />

uns entwickelt und gebaut. Daniela konnte s<strong>ich</strong> nun auch in Haus und<br />

Garten zum ersten Mal frei und allein bewegen. Wir alle waren glück-<br />

l<strong>ich</strong>, Daniela natürl<strong>ich</strong> am meisten!<br />

Durch Anorthes Eltern, die inzwischen auch gute Freunde von uns wa-<br />

ren, lernten wir die Krankengymnastin kennen: Rosemarie Re<strong>ich</strong>wein.<br />

Sie arbeitete vornehml<strong>ich</strong> <strong>mit</strong> jungen <strong>Menschen</strong>, die diese Krankheit<br />

hatten, nach einer Methode, die das Ehepaar Bobath entwickelt hatte.<br />

Frau Re<strong>ich</strong>wein hatte von den Kursen, die Bobaths in London durch-<br />

führten, gehört und daran teilgenommen. Später hat sie in Berlin selbst<br />

Kurse <strong>für</strong> Krankengymnasten abgehalten.<br />

Bobaths waren manchmal in Berlin. Und so wurden auch Daniela und<br />

<strong>ich</strong> auf Tagungen vorgestellt, weil Daniela durch Frau Re<strong>ich</strong>wein gute<br />

Fortschritte gemacht hatte und wir beide sehr gut zusammen arbeiten<br />

konnten. Dieses war näml<strong>ich</strong> ein ganz w<strong>ich</strong>tiger Punkt bei der Behand-<br />

lung, dass man fortwährend die erlernten Techniken anwendet, sozusa-<br />

gen das Gehirn durch ständiges Training von Handlungen und Übungen<br />

stimuliert. Sonst ist der Weg ja so, dass das Hirn zuerst die Befehle zu<br />

Handlungen gibt. Deswegen ist es auch so w<strong>ich</strong>tig, bei Säuglingen <strong>mit</strong><br />

dieser motorischen Störung so früh wie mögl<strong>ich</strong> nach dieser Methode<br />

zu arbeiten. Leider lernten wir Frau Re<strong>ich</strong>wein erst kennen, als Dani-<br />

ela gerade sechs Jahre alt geworden war. Es war auch der Zeitpunkt,<br />

an dem Daniela schulpfl<strong>ich</strong>tig wurde. Wir zogen von Grunewald nach<br />

Wannsee, weil wir dort eine größere Wohnung gefunden hatten und<br />

unsere »Hauslehrerin« dort <strong>mit</strong> einziehen konnte.<br />

Zu dieser Zeit gab es in Berlin nur eine Schule <strong>für</strong> Behinderte, die<br />

Biesalski-Schule, und ebensowenig gab es Hauslehrer. So war es ein<br />

Glücksumstand <strong>für</strong> uns, dass unsere Tante, eine pensionierte Lehre-<br />

rin, die die Kriegswirren nach Hildesheim verschlagen hatten, gern<br />

nach Berlin zurück wollte. Es war eine offiziell ausgeschriebene Stelle<br />

vom Bezirk Zehlendorf. Frau Unger war etl<strong>ich</strong>e Jahre Danielas Lehre-<br />

rin, und <strong>was</strong> <strong>für</strong> eine gute! Später lösten Frau Schröder und zuletzt<br />

Herr Dufing sie ab.<br />

Daniela hatte <strong>bis</strong> zum 21. Lebensjahr Hausunterr<strong>ich</strong>t in allen gängigen<br />

Fächern. Nur allein schreiben konnte sie n<strong>ich</strong>t, weil ihre Arme und<br />

Hände das n<strong>ich</strong>t zuließen. Sie hatte ein großes, breit gefächertes All-<br />

gemeinwissen. Daniela interessierte s<strong>ich</strong> auch <strong>für</strong> alles, ob das Kunst,<br />

Literatur oder Politik war. Sie konnte allein Bücher lesen, da sie einen<br />

Apparat besaß, <strong>mit</strong> dem sie die Seiten umblätterte. Dies ging durch<br />

eine Taste, die sie <strong>mit</strong> dem linken Fuß betätigte. Daniela las viel und<br />

verhältnismäßig schnell, wie ihre Lehrerin Frau Schröder feststellte.<br />

Sie ging gerne in Museen und Ausstellungen, Oper und Theater. Die<br />

interessanten <strong>Menschen</strong>, die durch den Beruf des Vaters bei uns zu<br />

Hause verkehrten, trugen auch einen Teil ihrer Aufgeschlossenheit am<br />

und <strong>für</strong> das Leben bei. Hier im Hause hatte Daniela eine fast gle<strong>ich</strong>-<br />

altrige Freundin. Monika war beinahe wie eine Schwester <strong>für</strong> sie. Aber<br />

als Daniela zehn Jahre alt war, sagte sie energisch zu uns Eltern: »jetzt<br />

macht mal endl<strong>ich</strong>, <strong>ich</strong> möchte auch Geschwister«.<br />

Göthe fand die Idee sehr gut. Ich hatte Angst, dass <strong>ich</strong> das n<strong>ich</strong>t<br />

schaffen könnte, <strong>für</strong> alle voll da zu sein, Kraft und Liebe zu geben.<br />

Als dann Analina und Julian da waren, merkte <strong>ich</strong> wohl, dass es <strong>für</strong><br />

alle re<strong>ich</strong>te. Zusätzl<strong>ich</strong> konnte <strong>ich</strong> noch an manches andere mir lieb<br />

gewordene Kind davon abgeben, wenn es n<strong>ich</strong>t genug davon hatte. Wir<br />

waren eine gute Familie und liebten einander.<br />

Um diese Zeit trat Roxane in unser Leben. Sie war damals noch Schü-<br />

lerin. Natürl<strong>ich</strong> lernten wir auch ihre Familie kennen. Roxane war sehr<br />

oft bei Daniela. Später verreisten wir zusammen, nach Italien, in die<br />

Schweiz und Österre<strong>ich</strong>. In den letzten Jahren vertrat sie m<strong>ich</strong>, wenn<br />

<strong>ich</strong> zur Kur fahren durfte. Ich konnte beruhigt fahren und m<strong>ich</strong> erho-<br />

len und wieder neue Kraft sammeln.<br />

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Als unser Spastiker-Zentrum (die Spastikerhilfe e. V., Red.) im Prettauer<br />

Pfad von Herrn Werschat eröffnet wurde, waren wir die ersten Mitglie-<br />

der und sind dem Verein immer verbunden geblieben. Es hat s<strong>ich</strong> im<br />

Laufe der Jahre zu einer großen, vorbildl<strong>ich</strong>en Institution entwickelt,<br />

n<strong>ich</strong>t nur <strong>für</strong> Berlin.<br />

Daniela war zuerst in der Tagesförderstätte. Damals waren noch n<strong>ich</strong>t<br />

so viele Behinderte dort, so dass Herr Hoffr<strong>ich</strong>ter sogar Zeit hatte, <strong>mit</strong><br />

ihr Schach zu spielen.<br />

Später, als sie in die Pacelliallee umzogen, wurden ihnen, je nach<br />

ihrer körperl<strong>ich</strong>en und geistigen Verfassung, Arbeiten angeboten. Sie<br />

konnten in der Holz-, Keramik- oder der Textilgruppe arbeiten, und<br />

es entstanden schöne Dinge. Wohngruppen wurden einger<strong>ich</strong>tet und<br />

Sommerfeste fanden statt. Leider wurden die Räuml<strong>ich</strong>keiten in der<br />

Pacelliallee zu klein. Neue Standorte wurden gefunden. Ein Teil ging<br />

in die Kienhorststraße. Und ein anderer in die Kranzallee. Dorthin ging<br />

Daniela. Sie hat sechs Jahre am Computer gearbeitet, auch <strong>mit</strong> dem<br />

rechten Fuß. Später arbeitete sie etl<strong>ich</strong>e Jahre in der Tongruppe. Da-<br />

niela hat im Laufe der Jahre viele Betreuer und Therapeuten kennen<br />

gelernt, sie gemocht und geschätzt. Auch <strong>ich</strong> hatte guten Kontakt zu<br />

ihnen, wir besuchten sie in der Einr<strong>ich</strong>tung, und manchmal kamen sie<br />

zu uns, in die Familie Göthe.<br />

Ein ganz w<strong>ich</strong>tiger Punkt waren die Einr<strong>ich</strong>tungen von Jugendclubs<br />

unseres Spastikervereins. Einmal wöchentl<strong>ich</strong> trafen s<strong>ich</strong> die verschie-<br />

denen Gruppen, und sie <strong>habe</strong>n viel unternommen: zum Beispiel Kino-<br />

besuche, Essen gehen, Ausflüge oder nur Beisammensein in einem<br />

Clubraum und reden. Begehrt waren die jährl<strong>ich</strong>en Reisen <strong>mit</strong> dem<br />

Club über zehn oder 14 Tage. Ebenso beliebt waren die fünftägigen<br />

Kurzreisen. Leider war in den letzten Jahren kein Geld mehr da <strong>für</strong><br />

diese schönen Unternehmungen. Die Clubs aber hielten s<strong>ich</strong> Jahr-<br />

zehnte, nur wechselten sie später den Namen von »Jugendclub« in<br />

»Freizeitclub« um. Viele der Mitglieder waren ja nun schon über das<br />

Jugendalter hinaus. Traurig war es jedes Mal, wenn einer von ihnen<br />

den Club verlassen hat, <strong>für</strong> immer. Nun war Daniela an der Reihe zu<br />

gehen.<br />

Aus unserer Spastikerhilfe ging vor Jahren ein neuer Verein hervor:<br />

»<strong>Lebenswege</strong> <strong>für</strong> <strong>Menschen</strong> <strong>mit</strong> Behinderungen«. Die Leitung hatten<br />

auch dort uns vertraute, liebe <strong>Menschen</strong>. Zuerst Helmut Handke und<br />

Rainer Fluck. Später kamen noch viele tüchtige <strong>Menschen</strong> dazu. (Fami-<br />

lienentlastender Dienst der <strong>Lebenswege</strong>, Red.) Über etl<strong>ich</strong>e Jahre <strong>habe</strong>n sie<br />

mir morgens bei der Pflege Danielas geholfen. Allen sei Dank.<br />

Großer Dank gehört natürl<strong>ich</strong> auch Regine Kost, die fast 25 Jahre zu<br />

Daniela kam, vor allen anderen. Sie blieb uns immer in Freundschaft<br />

verbunden, <strong>bis</strong> zum Schluss.<br />

Daniela hatte auch neun Jahre eine Einzelfallhelferin, Ute, die jede Wo-<br />

che zweimal <strong>mit</strong> ihr et<strong>was</strong> unternommen hat. Sie <strong>habe</strong>n vorher immer<br />

besprochen, <strong>was</strong> sie machen wollten, und <strong>habe</strong>n das dann auch getan.<br />

So schön und verschieden die Unternehmungen auch waren, aber ob-<br />

ligatorisch war jedes Mal ein Nudelessen und ein Glas Wein beim Itali-<br />

ener. Ebenso in den letzten Jahren hat auch Christiane Felgenhauer in<br />

Danielas Leben eine Rolle gespielt. Sie war ihre Krankengymnastin.<br />

Manchmal sagten Leute: »Was hat das arme Mädchen schon vom Le-<br />

ben? Was muss sie n<strong>ich</strong>t alles versäumen?« Daniela hatte kein armes<br />

Leben, <strong>ich</strong> möchte fast behaupten, es war re<strong>ich</strong>er als das mancher<br />

Zweifler. Wir <strong>habe</strong>n wunderschöne Reisen unternommen. Wo <strong>habe</strong>n<br />

wir sie überall hingebracht?! Sogar auf einen Gletscher in Hintertux<br />

und dort ist sie ein Stückchen gelaufen. Wir sind <strong>mit</strong> dem Sessellift<br />

hinaufgeschwebt. Der Rollstuhl kam hinterher. Sie war in vielen Län-<br />

dern, aber am meisten liebte sie England. Wir hatten ja dort schon<br />

Bekannte. Das netteste Erlebnis war, als der Klavierspieler in unserm<br />

Lieblings-Pub sagte, und sie dabei umarmte: »Oh Darling, you are<br />

home again!«<br />

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Aber wir waren auch in Deutschland glückl<strong>ich</strong>, <strong>mit</strong> seinen schönen<br />

Landschaften und Städten, wenn wir <strong>mit</strong> unserem kleinen, prakti-<br />

schen Auto unterwegs waren. Wir hatten auch hier schöne Erlebnisse.<br />

Usedom gehörte dazu und meine Heimat, das Vogtland, wo es vor al-<br />

lem noch liebe Verwandte gibt. Im September wollten wir – nach dem<br />

vergangenen schweren Jahr – wieder eine Reise dort hin wagen. Wir<br />

hatten uns alle so darauf gefreut! Nun ist es anders gekommen.<br />

Das Ende kam jetzt doch überraschend und plötzl<strong>ich</strong>. Es ging gerade<br />

in letzter Zeit bergauf <strong>mit</strong> Daniela. Wir konnten es alle an ihrem letzten<br />

Geburtstag sehen, fünf Tage vor ihrem Tod. Sie hatte viele Freunde<br />

geladen. Dazu gehörten nun auch die <strong>Menschen</strong>, die sie nach ihrem<br />

Krankenhausaufenthalt ein Jahr lang tägl<strong>ich</strong> umsorgt <strong>habe</strong>n, Kerstin,<br />

Steffi und Roland und Petra am Anfang. Daniela fing wieder an, Pläne<br />

zu schmieden. »Fangen wir klein an«, sagte sie. Sie war immer ein<br />

vernünftiger und geduldiger Mensch. Lieb und gescheit sowieso. Sie<br />

wird n<strong>ich</strong>t nur mir, die ja fast siamesischer Z<strong>will</strong>ing war, fehlen, sondern<br />

allen, die sie kannten.<br />

Wir wünschen ihr sehr, dass sie, nach einem besonders schönen Tag<br />

<strong>mit</strong> der Familie, friedl<strong>ich</strong> hinübergeschlafen ist.<br />

Sie sah so aus, als Kerstin, eine unserer Pflegerinnen, und <strong>ich</strong> sie am<br />

Morgen tot in ihrem Bett fanden.<br />

Das furchtbare Hinterher, den Stromausfall und das dadurch bedingte<br />

Versagen der Sauerstoffmaske, hätte ihr und uns erspart werden kön-<br />

nen. Der Arzt und der Medizinische Dienst der Krankenkasse hätten<br />

den Antrag unseres Pflegedienstes <strong>für</strong> ein Atemüberwachungsgerät<br />

nur genehmigen müssen. Aber es kam eine Ablehnung.<br />

Bei allem Zorn darüber:<br />

Danielas Ende war nun gekommen. Möge sie Frieden finden und <strong>ich</strong><br />

zur Ruhe kommen, ebenso ihre ganze Familie.<br />

N<strong>ich</strong>t zu lange schlafen!<br />

Fragen und Antworten<br />

Roland Mechel<br />

Was ist Ihre schönste Erinnerung/Erlebnis?<br />

Mein 70. Geburtstag,<br />

weil es viel zu essen und zu trinken gab.<br />

Welches Erlebnis hat Ihnen n<strong>ich</strong>t gefallen?<br />

Wenn mein Bruder <strong>mit</strong> mir schimpft.<br />

Was machen Sie gern in Ihrer Freizeit?<br />

Fernsehen; Musik hören; ein Bier trinken.<br />

Was machen Sie nur sehr ungern?<br />

Schlafen – wenn es zu lange ist.<br />

Was macht Ihnen in Ihrem Leben Angst?<br />

48 49<br />

Jetzt <strong>habe</strong> <strong>ich</strong> gar keine Angst mehr. Früher hatte <strong>ich</strong> Angst<br />

vor dem Tod meiner Mutter. (Die Mutter von Roland Mechel<br />

verstarb im Dezember 2007. Red.)<br />

Was hilft Ihnen am meisten am Verhalten anderer <strong>Menschen</strong>?<br />

Wenn <strong>Menschen</strong> nett zu mir sind.<br />

Was würden Sie an s<strong>ich</strong> verändern wenn es mögl<strong>ich</strong> wäre?<br />

N<strong>ich</strong>ts.<br />

Was würden Sie an Ihrer Umgebung verändern?<br />

N<strong>ich</strong>ts.


Was ist <strong>für</strong> Sie Glück?<br />

Das lange Zusammensein <strong>mit</strong> meiner Mutter. (Roland Mechel<br />

lebte sein ganzes Leben gemeinsam in einer Wohnung <strong>mit</strong> seiner Mut-<br />

ter. Sie wurde 100 Jahre alt. Red.).<br />

Was ist <strong>für</strong> Sie Unglück?<br />

Der Tod der Mutter.<br />

Was ist Erfolg <strong>für</strong> Sie?<br />

Ihre Stärken?<br />

Ich merke, dass <strong>ich</strong> auch ohne meine Mutter alleine in der<br />

Wohnung leben kann (<strong>mit</strong> Unterstützung des Bruders. Red.).<br />

Ich male gerne.<br />

Was würden Sie gern noch lernen?<br />

N<strong>ich</strong>ts.<br />

Welche Erwartungen oder Wünsche <strong>habe</strong>n Sie an Ihre Zukunft?<br />

Ich wünsche mir, dass es mir dort gefällt, wo <strong>ich</strong> als nächstes<br />

hinziehen werde.<br />

Was möchten Sie außerdem <strong>mit</strong>teilen?<br />

Herr Re<strong>ich</strong>e, mein Fahrer, ist sehr nett. Es gefällt mir hier<br />

sehr gut. (im Tagesstrukturierenden Angebot der <strong>Lebenswege</strong>, Red.)<br />

So viel Energie, dass <strong>ich</strong> gar n<strong>ich</strong>t schlafen kann.<br />

Fragen und Antworten<br />

Martina Nitz<br />

Was ist Ihre schönste Erinnerung, Ihr schönstes Erlebnis?<br />

50 51<br />

Wenn <strong>ich</strong> im Tierpark Friedr<strong>ich</strong>sfelde bin. Den mag <strong>ich</strong> und<br />

den liebe <strong>ich</strong> weil da so viele Tiere sind.<br />

Welches Erlebnis hat Ihnen n<strong>ich</strong>t gefallen?<br />

Ich mag es n<strong>ich</strong>t, wenn die Leute m<strong>ich</strong> so blöde angucken<br />

auf der Straße, und <strong>ich</strong> mag es auch n<strong>ich</strong>t, wenn m<strong>ich</strong> Leute<br />

n<strong>ich</strong>t wie eine Normale behandeln, sondern so, als ob <strong>ich</strong><br />

geistig behindert bin.<br />

Was machen Sie gern in Ihrer Freizeit?<br />

In meiner Freizeit gehe <strong>ich</strong> gerne bummeln in den Allee Ar<br />

caden… Essen gehen und ins Kino gehen, viel draußen sein<br />

in der Natur und fotografieren auch … Außerdem kümmere<br />

<strong>ich</strong> m<strong>ich</strong> gerne um meine beiden Meerschweinchen.<br />

Was machen Sie nur sehr ungern?<br />

Aufräumen.<br />

Wer wären Sie gern?<br />

Eine Stewardess. Wenn <strong>ich</strong> n<strong>ich</strong>t im Rollstuhl sitzen würde,<br />

dann könnte <strong>ich</strong> mir den Beruf Stewardess gut vorstellen,<br />

weil <strong>ich</strong> gerne im Flugzeug um die Welt fliegen würde.


Was macht Ihnen in Ihrem Leben Angst?<br />

Zum Beispiel, wenn unerwartete Dinge passieren wie eine<br />

Operation, die <strong>ich</strong> ja vor einem halben Jahr hatte. Es war<br />

eine sehr schwere Operation, und <strong>ich</strong> <strong>habe</strong> viel Blut verloren.<br />

Was hilft Ihnen am meisten am Verhalten anderer <strong>Menschen</strong>?<br />

Wenn sie zum Beispiel freundl<strong>ich</strong> und nett zu mir sind und<br />

auch hilfsbereit. Sie können auch manchmal ihre Zicken<br />

rauslassen, aber es muss n<strong>ich</strong>t immer sein. Gute Zusammen-<br />

arbeit finde <strong>ich</strong> gut.<br />

Was am Verhalten anderer <strong>Menschen</strong> hilft Ihnen n<strong>ich</strong>t?<br />

Wenn s<strong>ich</strong> andere mir gegenüber wie die Affen benehmen<br />

oder wie Clowns und <strong>ich</strong> n<strong>ich</strong>t ernst genommen werde. Das<br />

gefällt mir gar n<strong>ich</strong>t.<br />

Was würden Sie an s<strong>ich</strong> verändern wenn es mögl<strong>ich</strong> wäre?<br />

Dass <strong>ich</strong> wieder laufen könnte.<br />

Was würden Sie an Ihrer Umgebung verändern?<br />

Dass die Bürgersteige n<strong>ich</strong>t so hoch sind und dass das Kopf<br />

steinpflaster weg ist und die Wege mehr geglättet sind und mehr<br />

Grün da ist und Wasser.<br />

Was ist <strong>für</strong> Sie Glück?<br />

Verliebt zu sein.<br />

Was ist <strong>für</strong> Sie Unglück?<br />

Wenn mir mal ein Unfall passiert, wo <strong>ich</strong> vielle<strong>ich</strong>t tot bin.<br />

Was ist Erfolg <strong>für</strong> Sie?<br />

Auf der Bühne zu stehen, zwar n<strong>ich</strong>t immer, aber ab und zu.<br />

Die Bühne bringt mir Freiheit, aber auch Einengung.<br />

Auf der Bühne kann man Sachen tun, die man sonst n<strong>ich</strong>t<br />

machen darf. Eingeengt ist man weil man s<strong>ich</strong> sehr konzen<br />

trieren muß, da<strong>mit</strong> man n<strong>ich</strong>ts falsch macht. Manchmal<br />

springe <strong>ich</strong> aus der Rolle und sehe ins Publikum, <strong>was</strong> man<br />

n<strong>ich</strong>t darf.<br />

Ihre Stärken?<br />

52 53<br />

Meine Stärken sind in der Sprache und dass <strong>ich</strong> das alles<br />

gut überstanden <strong>habe</strong> <strong>mit</strong> der Operation. Da <strong>habe</strong> <strong>ich</strong> mir viel<br />

Kraft gegeben, <strong>habe</strong> immer gesagt »Gib n<strong>ich</strong>t auf« und bin<br />

immer dran geblieben. Ich <strong>habe</strong> jetzt Krankengymnastik,<br />

dreimal wöchentl<strong>ich</strong>. Das muss <strong>ich</strong> jetzt durchziehen, weiß <strong>ich</strong>,<br />

wie lange noch.<br />

Was würden Sie gern noch lernen?<br />

Viel.<br />

Woher beziehen Sie Ihre Energien?<br />

Ganz einfach durch das lange Schlafen, wenn man mal dazu<br />

kommt. Und manchmal komme <strong>ich</strong> gar n<strong>ich</strong>t dazu, weil mir<br />

der Tagesablauf durch das Theater Thikwa noch durch den<br />

Kopf geht. Manchmal brauche <strong>ich</strong> so viel Energie, dass <strong>ich</strong><br />

gar n<strong>ich</strong>t schlafen kann und manchmal <strong>habe</strong> <strong>ich</strong> soviel, dass<br />

<strong>ich</strong> gar n<strong>ich</strong>t abschalten kann.<br />

Welche Erwartungen oder Wünsche <strong>habe</strong>n Sie an Ihre Zukunft?<br />

Dass es alles wieder so klappt wie vorher. Also, dass <strong>ich</strong> m<strong>ich</strong><br />

später wieder so darstellen kann wie vorher (vor der Operation).<br />

Was möchten Sie außerdem <strong>mit</strong>teilen?<br />

N<strong>ich</strong>ts.<br />

Martina Nitz wurde am 20. August 1967 in Berlin geboren. Sie ist<br />

die Älteste von sechs Geschwistern. 1975 wurde sie eingeschult. Sie<br />

hat in Behindertenwerkstätten Seidenmalerei, Holz- und Keramikar-<br />

beiten ausgeführt. Seit 12 Jahren arbeitet sie als Schauspielerin beim<br />

Theater Thikwa. Mit 15 Jahren ist sie von zu Hause ausgezogen und<br />

hat dann in verschiedenen Wohngruppen gewohnt. Seit 2003 wohnt<br />

M. N. in ihrer eigenen Wohnung, seit Juni 2007 zusammen <strong>mit</strong> ihren<br />

beiden Meerschweinchen Oscar und Bruno. Sie lebt von Geburt an <strong>mit</strong><br />

einer spastischen Tetraplegie und benutzt einen Rollstuhl.


Meine Stärke ist, anderen zu helfen.<br />

Fragen und Antworten<br />

Bernhard Raszkowski<br />

Was ist Ihre schönste Erinnerung oder Ihr schönstes Erlebnis?<br />

Mein schönstes Erlebnis ist, als <strong>ich</strong> hier angekommen bin<br />

und eine eigene Wohnung hatte nach sieben oder acht Jah-<br />

ren Obdachlosigkeit.<br />

Welches Erlebnis hat Ihnen n<strong>ich</strong>t gefallen?<br />

Als meine Frau starb – das war das schlimmste Erlebnis.<br />

Manchmal sehe <strong>ich</strong> das alles noch vor mir.<br />

Was machen Sie gern in Ihrer Freizeit?<br />

Ich gehe gerne ins Olympiastadion zum Fußball.<br />

Was machen Sie nur sehr ungern?<br />

In Geschäfte gehen<br />

Wer wären Sie gern?<br />

Ein Spieler von Hertha.<br />

Was macht Ihnen in Ihrem Leben Angst?<br />

Das man älter wird und dass man dann eventuell in ein Heim<br />

kommt, und das hat dann <strong>mit</strong> dem Sterben zu tun.<br />

Was hilft Ihnen am meisten am Verhalten anderer <strong>Menschen</strong>?<br />

Dass man s<strong>ich</strong> gegenseitig hilft, und dass man auch Leuten<br />

im Rollstuhl hilft. Das hilft mir auch, das gibt mir Kraft.<br />

Was am Verhalten anderer <strong>Menschen</strong> hilft Ihnen n<strong>ich</strong>t?<br />

Dass s<strong>ich</strong> Leute bekämpfen oder wenn zum Beispiel Auslän-<br />

der überfallen werden – das hilft mir gar n<strong>ich</strong>t.<br />

Was würden Sie an s<strong>ich</strong> verändern, wenn es mögl<strong>ich</strong> wäre?<br />

Dass <strong>ich</strong> lesen und schreiben kann und einen Beruf ausüben<br />

kann, aber in meinem Alter kriege <strong>ich</strong> keinen Beruf mehr.<br />

Was würden Sie an Ihrer Umgebung verändern?<br />

54 55<br />

Dass die Leute unter s<strong>ich</strong> gut auskommen, das wäre mein<br />

Wunsch. Bei Problemen <strong>mit</strong> Arbeitslosen und <strong>mit</strong> Obdachlo-<br />

sen, da müsste die Regierung helfen. Die <strong>habe</strong>n manchmal<br />

keinen Mut zum Leben, weil von der Regierung nur Verspre-<br />

chungen kommen, die n<strong>ich</strong>t eingehalten werden.<br />

Was ist <strong>für</strong> Sie Glück?<br />

Ein Lottogewinn.<br />

Was ist <strong>für</strong> Sie Unglück?<br />

Wenn <strong>ich</strong> jetzt über die Straße laufe und von einem Auto<br />

überfahren werde: Dass <strong>ich</strong> dann im Krankenhaus liege und<br />

dann im Rollstuhl sitze.<br />

Was ist Erfolg <strong>für</strong> Sie?<br />

Ihre Stärken?<br />

Dass <strong>ich</strong> in der kurzen Zeit, in der <strong>ich</strong> in Berlin bin, schon so<br />

gut zurechtgekommen bin <strong>mit</strong> der Wohnung.<br />

Anderen zu helfen.<br />

Was würden Sie gerne noch lernen?<br />

Dass <strong>ich</strong> in meinem Leben glückl<strong>ich</strong> sein kann und zufrie-<br />

den. Dass <strong>ich</strong> <strong>mit</strong> meiner Freundin so gut klarkomme.<br />

Woher beziehen Sie Ihre Energien?<br />

Kraft gibt mir, wenn <strong>ich</strong> jemandem helfen kann und anderen<br />

da<strong>mit</strong> eine Freude machen kann. Dass alles so abläuft, wie<br />

<strong>ich</strong> es mir vorstelle, mein ganzes Leben.<br />

Welche Erwartungen oder Wünsche <strong>habe</strong>n Sie an Ihre Zukunft?<br />

Glückl<strong>ich</strong> zu sein und zufrieden und halt so wie es jetzt ist.<br />

Was möchten Sie außerdem <strong>mit</strong>teilen?<br />

Ich bin dankbar, dass die Leute vom Pflegedienst zu mir<br />

kommen, um mir zu helfen, weil <strong>ich</strong> Zucker <strong>habe</strong>. Aber zum<br />

größten Teil <strong>habe</strong> <strong>ich</strong> gelernt, dass <strong>ich</strong> alleine zurechtkomme.<br />

Das klappt auch, <strong>ich</strong> bin <strong>mit</strong> mir zum größten Teil zufrieden.


Mehr <strong>für</strong> den Frieden tun!<br />

Brigitta Näthke<br />

Was ist Ihre schönste Erinnerung, Ihr schönstes Erlebnis?<br />

Es gibt so viele schöne Erinnerungen und Erlebnisse – da<br />

müsste <strong>ich</strong> erstmal nachdenken.<br />

Welches Erlebnis hat Ihnen n<strong>ich</strong>t gefallen?<br />

Oh, da gibt es auch viele. Ein besonders böses Erlebnis war,<br />

dass <strong>ich</strong> aufgrund meiner Behinderung aus dem Studium<br />

(Wirtschaftstheorie und -organisation, kurz WTO) exmatrikuliert<br />

wurde. Man konnte dies n<strong>ich</strong>t aufgrund meiner Leistungen<br />

tun. Deshalb wurde meine Mutter in die Uni bestellt, wo ihr<br />

gesagt wurde: »Ihre Tochter ist doch krank und <strong>mit</strong> den Ner-<br />

ven n<strong>ich</strong>t so in Ordnung. Und wir wollen doch n<strong>ich</strong>t, dass<br />

Ihre Tochter einen Nervenzusammenbruch kriegt.« Da be-<br />

kam meine Mutter natürl<strong>ich</strong> Angst, und <strong>ich</strong> musste das Stu-<br />

dium beenden.<br />

Dann <strong>habe</strong> <strong>ich</strong> m<strong>ich</strong> als Korrekturleserin beworben und wur-<br />

de auch abgelehnt. Schließl<strong>ich</strong> wurde mir ein Job in einem<br />

Kleinstbetrieb als Telefonistin angeboten. Dort musste <strong>ich</strong><br />

circa fünfzig Anrufe am Tag erledigen, den Rest der Zeit <strong>habe</strong><br />

<strong>ich</strong> gestempelt. Das war sehr langweilig.<br />

Was machen Sie gern in Ihrer Freizeit?<br />

Schach spielen, Rummikub, Sudoku, kegeln, bowlen, Sport,<br />

tanzen, Musik hören – querbeet, Hörbücher hören. Ich ver-<br />

suche, an vielen Veranstaltungen teilzunehmen, zum Bei-<br />

spiel im Sportverein und in zwei Behindertenvereinen. Ich<br />

gehe ins KIZ (ein Treffpunkt <strong>für</strong> <strong>Menschen</strong> <strong>mit</strong> Behinderun-<br />

gen), mache gern Ausflüge und fahre viel <strong>mit</strong> öffentl<strong>ich</strong>en<br />

Verkehrs<strong>mit</strong>teln, aber nur in Begleitung.<br />

Was machen Sie nur sehr ungern?<br />

56 57<br />

Anderen Leuten befehlen. Ich mag es n<strong>ich</strong>t, wenn <strong>ich</strong> als<br />

»Gnädige Frau« tituliert werde, weil <strong>ich</strong> von ganz unten kom-<br />

me. Meine Eltern waren ganz kleine W<strong>ich</strong>te, meine Großel-<br />

tern genauso.<br />

Wer wären Sie gern?<br />

Jemand, der vor Gesundheit strotzt, der alles kann; der kei-<br />

nen braucht; der arbeiten geht und der et<strong>was</strong> leistet – und<br />

n<strong>ich</strong>t auf die Hilfe anderer angewiesen ist.<br />

Was macht Ihnen in Ihrem Leben Angst?<br />

Gewalt im Allgemeinen, Krieg – dass hier noch mal einer<br />

ausbr<strong>ich</strong>t – das ist meine größte Angst! Und diese sozia-<br />

le Ungerechtigkeit, die Gewalt hervorbringt, die müsste ab-<br />

geschafft werden, finde <strong>ich</strong>.<br />

Was hilft Ihnen am meisten am Verhalten anderer <strong>Menschen</strong>?<br />

Locker sein und fragen, ob <strong>ich</strong> Unterstützung brauche. Wenn<br />

es gar n<strong>ich</strong>t geht, mache <strong>ich</strong> das auch alleine.<br />

Was am Verhalten anderer <strong>Menschen</strong> hilft Ihnen n<strong>ich</strong>t?<br />

Was <strong>ich</strong> absolut n<strong>ich</strong>t mag, das sind Leute, die Mitleid <strong>mit</strong><br />

mir <strong>habe</strong>n und die m<strong>ich</strong> anstarren. Und die, die m<strong>ich</strong> igno-<br />

rieren, die kann <strong>ich</strong> vergessen.<br />

Was würden Sie an s<strong>ich</strong> verändern, wenn es mögl<strong>ich</strong> wäre?<br />

Da wäre halt der Körper: gesunder Körper, gesunde Augen.<br />

Das Aussehen n<strong>ich</strong>t.<br />

Was würden Sie an Ihrer Umgebung verändern?<br />

Meine Wohnung ist barrierefrei. Ich kann über eine Rampe<br />

hinten raus. Es müsste mehr Bordsteinabsenkungen und roll-<br />

stuhlzugängl<strong>ich</strong>e Läden, Arztpraxen und Gaststätten geben.<br />

Was ist <strong>für</strong> Sie Glück?<br />

Glück wäre <strong>für</strong> m<strong>ich</strong>, wenn es keinen Krieg und keine Morde<br />

mehr gäbe. Persönl<strong>ich</strong>es Glück ist <strong>für</strong> m<strong>ich</strong>, wenn <strong>ich</strong> mein Ur-


enkelchen im Arm halte – der Lebensgefährte meiner Tochter<br />

ist gerade Opa geworden. Dass <strong>ich</strong> meine Tochter <strong>habe</strong>, ist<br />

<strong>für</strong> m<strong>ich</strong> auch Glück; und dass sie auch zu mir hält.<br />

Was ist <strong>für</strong> Sie Unglück?<br />

Unglück sind <strong>für</strong> m<strong>ich</strong> Naturkatastrophen und Unfälle. Krie-<br />

ge werden ja von den <strong>Menschen</strong> gemacht, und es gibt Kriegs-<br />

treiber. Persönl<strong>ich</strong>es Unglück ist, wenn man n<strong>ich</strong>t das ma-<br />

chen kann, <strong>was</strong> man <strong>will</strong>.<br />

Was ist Erfolg <strong>für</strong> Sie?<br />

Ihre Stärken?<br />

Erfolg ist <strong>für</strong> m<strong>ich</strong>, wenn <strong>ich</strong> m<strong>ich</strong> n<strong>ich</strong>t gehen lasse; wenn<br />

<strong>ich</strong> trotz meiner Behinderung et<strong>was</strong> mache. Und dann zum<br />

Beispiel im KIZ als Rummikub- und Schach-Champion gelte.<br />

Und dass <strong>ich</strong> im Sportverein die Zweitbeste der Frauen im<br />

Kegeln bin.<br />

Das sind mein Geist, mein Wille und meine Bereitschaft,<br />

Neues zu lernen und meine Fähigkeiten lange zu erhalten.<br />

Was würden Sie gern noch lernen?<br />

Polnisch; also ein paar Sprachen, denn <strong>ich</strong> <strong>habe</strong> in der Schu-<br />

le Russisch, Englisch und Spanisch gelernt, aber man ver-<br />

gisst so vieles, wenn man es n<strong>ich</strong>t mehr anwendet. Und da<br />

<strong>ich</strong> n<strong>ich</strong>t mehr lesen kann, kann <strong>ich</strong> auch n<strong>ich</strong>t mehr über<br />

setzen. Aber <strong>ich</strong> <strong>habe</strong> eine Polin bei mir im Team (Team des<br />

Pflegedienstes der <strong>Lebenswege</strong>, Red.), <strong>mit</strong> der <strong>ich</strong> kleine Sa-<br />

chen auf Polnisch sage, zum Beispiel »Guten Tag«.<br />

Ich würde gern wieder <strong>mit</strong> Messer und Gabel essen können.<br />

Das geht n<strong>ich</strong>t, weil meine Hände zu verkrampft sind.<br />

Woher beziehen Sie Ihre Energien?<br />

Aus regelmäßigem Schlaf. Aus einer angemessenen Ernäh-<br />

rung und auch von den Assistenten und Assistentinnen (des<br />

Pflegedienstes, Red.). Und aus mir selbst.<br />

Welche Erwartungen oder Wünsche <strong>habe</strong>n Sie an Ihre Zukunft?<br />

58 59<br />

Auf der Stufe meiner Behinderungen sozusagen stehen zu<br />

bleiben; dass n<strong>ich</strong>ts Weiteres dazukommt. Und dass die<br />

wirkl<strong>ich</strong> endl<strong>ich</strong> mal Frieden halten in dieser Welt!<br />

Das sind meine Wünsche <strong>für</strong> die Zukunft.<br />

Was möchten Sie außerdem <strong>mit</strong>teilen?<br />

Was mir auf der Seele brennt, ist, dass die Politiker mehr <strong>für</strong><br />

den Frieden tun sollten. Und dass mehr <strong>Menschen</strong> s<strong>ich</strong> in<br />

den Behindertenvereinen organisieren und dort auch mehr<br />

leisten sollten. Dass sie n<strong>ich</strong>t alles nur ein paar Aktivisten<br />

überlassen. Dann hätten wir näml<strong>ich</strong> auch eine größere Lob-<br />

by. Meiner Meinung nach wäre es auch sehr w<strong>ich</strong>tig, dass die<br />

Behindertenbewegung n<strong>ich</strong>t so aufgesplittert ist. Denn jede<br />

Behinderung oder Krankheit hat einen Verein und alle buh-<br />

len um Sponsoren.<br />

Brigitta Näthke wurde am 2. September 1951 in Leipzig geboren. Mit<br />

fünf Jahren bekam sie Masern. Davon ist eine Spastik zurückgeblie-<br />

ben, die s<strong>ich</strong> im Laufe ihres Lebens in Schüben verschlechtert hat.<br />

Sie besuchte <strong>mit</strong> einem Jahr Verspätung die Schule und zog 1960<br />

nach Berlin. 1974 geriet sie bei einem Verkehrsunfall unter die Tram<br />

und verlor ihr linkes Bein. Frau Näthke leidet außerdem seit ihrer<br />

Geburt an einer genetisch bedingten Augenkrankheit, die zunächst<br />

n<strong>ich</strong>t diagnostiziert wurde. Der Zustand ihrer Augen verschlechtert<br />

s<strong>ich</strong> ebenfalls in Schüben; sie kann kaum noch sehen.<br />

Brigitta Näthke lebt in ihrer eigenen Wohnung; seit 2004 <strong>mit</strong> Unter-<br />

stützung des Pflegedienstes Normales Leben der <strong>Lebenswege</strong> und ist<br />

sehr zufrieden. Sie hat eine Tochter und einen Urenkel.


»Ein Kind ist ja n<strong>ich</strong>t weg, nur weil es auszieht«<br />

Gedanken zum Auszug der Tochter<br />

Christa Schaal<br />

»Sie wissen, Sie müssen Ihr Kind ausziehen lassen.« Wir wurden ei-<br />

gentl<strong>ich</strong> immer, schon als Tina zwölf war, von allen Seiten gedrängt:<br />

»Und Sie wissen, Sie müssen Ihr Kind ausziehen lassen.« Außerdem<br />

wurde uns immer gesagt, »Es wird keinen Platz <strong>für</strong> Ihr Kind geben«.<br />

Es hieß immer, <strong>für</strong> <strong>Menschen</strong> <strong>mit</strong> schweren Behinderungen gibt es in<br />

Berlin keine Wohnplätze.<br />

Glückl<strong>ich</strong>erweise war <strong>ich</strong> selbstbewusst genug, um über solche Sprü-<br />

che hinwegzugehen. Wir fanden dann einen Platz in Spandau. Viele<br />

Angebote in Berlin sind n<strong>ich</strong>t auf schwerbehinderte <strong>Menschen</strong> einge-<br />

stellt und können keine Rollstuhlfahrer aufnehmen.<br />

N<strong>ich</strong>t alle Probleme sind behinderungsspezifisch… Unsere andere<br />

Tochter ist <strong>mit</strong> 21 Jahren ausgezogen und unser Sohn erst <strong>mit</strong> 26.<br />

Wir <strong>habe</strong>n ihn auch n<strong>ich</strong>t rausgeschmissen. Und nur, weil jemand<br />

behindert ist, heißt es, er muss ausziehen und s<strong>ich</strong> abnabeln. Auch<br />

Mütter n<strong>ich</strong>t behinderter Kinder brechen in Tränen aus, wenn der 28-<br />

jährige Sohn von Steglitz nach Zehlendorf zieht. Ein Kind ist ja n<strong>ich</strong>t<br />

weg, nur weil es auszieht.<br />

Ich <strong>habe</strong> spät wieder angefangen zu arbeiten und hätte eigentl<strong>ich</strong><br />

immer ein schlechtes Gewissen <strong>habe</strong>n müssen: Entweder kommt das<br />

Kind oder die Arbeit zu kurz. Tina war n<strong>ich</strong>t der einzige Lebens<strong>mit</strong>-<br />

telpunkt, meine Arbeit ist auch einer. Auch Eltern n<strong>ich</strong>t behinderter<br />

Kinder <strong>habe</strong>n Ablösungsprobleme.<br />

Grenzen und Visionen von Integration Wir mussten <strong>mit</strong> der Zeit lernen,<br />

dass Integration n<strong>ich</strong>t <strong>bis</strong> zum Lebensende durchführbar ist. N<strong>ich</strong>t<br />

behinderte <strong>Menschen</strong> möchten Partnerschaften leben, ihre eigene<br />

Familie gründen, und n<strong>ich</strong>t ihr ganzes Leben lang <strong>mit</strong> behinderten<br />

<strong>Menschen</strong> zusammen wohnen.<br />

Meine Wunschvorstellung wäre eine Vierergruppe in einer WG, zentral<br />

in der Stadt, kiezbezogen, wo man einfach mal raus kann, BVG fah-<br />

ren oder ins Café zum Frühstücken. N<strong>ich</strong>t als stationäre Einr<strong>ich</strong>tung,<br />

aber <strong>mit</strong> Rund-um-die-Uhr-Betreuung. Also eingebettet in ein Appar-<br />

tement-Haus, um Synergie-Effekte herzustellen. Das ist meine Vision<br />

von Integration. Und <strong>Lebenswege</strong> ist ein Träger, der <strong>für</strong> neue Ideen<br />

offen ist, der Alternativen sucht, der s<strong>ich</strong> bewegt.<br />

Wann beginnt der Abnabelungsprozess? Für einen gelungenen Abna-<br />

belungsprozess ist ein langer Vorlauf nötig, der <strong>mit</strong> Kita und Schule<br />

beginnt. Man muss das Kind anderen <strong>Menschen</strong> anvertrauen, sonst<br />

lässt man es <strong>mit</strong> 25 Jahren n<strong>ich</strong>t plötzl<strong>ich</strong> ausziehen. Als Tina nach<br />

Spandau zog, war <strong>ich</strong> auch innerl<strong>ich</strong> sehr gespalten: Mein Verstand<br />

sagte mir, es ist völlig r<strong>ich</strong>tig. Und trotzdem <strong>habe</strong> <strong>ich</strong> m<strong>ich</strong> immer<br />

gefragt, muss es wirkl<strong>ich</strong> sein? Weil es eine Entscheidung war, die<br />

ausschließl<strong>ich</strong> von uns getroffen wurde. Ein intellektueller Austausch<br />

über diese Frage <strong>mit</strong> Tina war n<strong>ich</strong>t mögl<strong>ich</strong>. Aber Tinas Vorteil war:<br />

Sie kannte es von klein auf, <strong>mit</strong> anderen <strong>Menschen</strong> zusammen zu<br />

sein, auch außerhalb der Wohnung. Diese Erfahrungen <strong>habe</strong>n sie und<br />

ihre Geschwister geprägt. Bei der Entscheidung, mein Kind ausziehen<br />

zu lassen, war es mir w<strong>ich</strong>tig, selbst aussuchen und Tina begleiten zu<br />

können.<br />

Um zu sehen, ob es ihr gut geht.<br />

Tina Schaal, geboren 1979, ist <strong>mit</strong> 20 Jahren in das vollstationäre<br />

Wohnheim Spandau der <strong>Lebenswege</strong> ausgezogen.<br />

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Die Botschaften verstehen lernen<br />

Dorothea Mießner<br />

Ein selbstbestimmtes Leben ist schon <strong>für</strong> einen »normalen« <strong>Menschen</strong><br />

n<strong>ich</strong>t frei vom Zwang, s<strong>ich</strong> gewissen zivilisatorischen Notwendigkeiten<br />

unterordnen zu müssen. Das Glück <strong>für</strong> ihn besteht darin, dass er diese<br />

anerkennen oder bei Gefahr des Untergangs missachten kann. Meine<br />

geistig und körperl<strong>ich</strong> schwer geschädigte 33-jährige Tochter genießt<br />

dieses Glück n<strong>ich</strong>t.<br />

Ich werde also über Selbstbestimmtheit in Abhängigkeit und bei<br />

gle<strong>ich</strong>zeitiger Selbstbehauptung sprechen.<br />

Wie war der Weg meiner Tochter, eines <strong>Menschen</strong>, der n<strong>ich</strong>t selbst-<br />

ständig essen, laufen, zur Toilette gehen kann, der sprachlos ist und<br />

der seine seelische und geistige Befindl<strong>ich</strong>keit über Mimik und Gestik<br />

ausdrücken muss?<br />

Meine Tochter bekam die Allerweltsdiagnose frühkindl<strong>ich</strong>er Hirnscha-<br />

den« bei spastischer Tetraparese <strong>mit</strong> athetotischem Bewegungsmus-<br />

ter und s<strong>ich</strong> später einstellendem epileptischem Anfallsleiden gestellt.<br />

Trotz schlechter Prognose konnte sie einige Fähigkeiten erwerben, die<br />

es ihr ermögl<strong>ich</strong>en, am Leben teilzunehmen.<br />

Von einem »selbst bestimmen« spreche <strong>ich</strong> hier noch n<strong>ich</strong>t. Das setz-<br />

te ja erstmal ein Bewusstsein des »Selbst« voraus. Dazu komme <strong>ich</strong><br />

noch.<br />

Sie hat – umgeben von dem Gefühl, angenommen zu sein – s<strong>ich</strong> das<br />

Erwerben einer Kopfkontrolle »gefallen« lassen und das Auswärtsdre-<br />

hen der Hände zu korrigieren gelernt. So konnte sie <strong>mit</strong> den Augen<br />

verfolgen, <strong>was</strong> geschah und auch nach Spielzeug greifen, es sozusagen<br />

zwischen s<strong>ich</strong> und uns stellen, <strong>was</strong> einer ersten Unabhängigkeit gle<strong>ich</strong>-<br />

kam. Ein nächster Schritt war, dass sie zu krabbeln s<strong>ich</strong> beibringen ließ<br />

und die R<strong>ich</strong>tung ihrer Erkundungen bestimmen konnte.<br />

Zur Erweiterung ihres Horizontes hat auch beigetragen, dass sie (durch<br />

jahrelanges Schienentragen) die Auswärtsdrehung ihrer Füße überwin-<br />

den und – s<strong>ich</strong> an Gegenständen hochziehend – stehen konnte. Mit<br />

Führung an den Händen und bei Blickkontakt zu einer Bezugsperson<br />

hat sie später zu laufen, sogar Treppen zu steigen gelernt.<br />

Mit ungefähr zehn Jahren hat meine Tochter erkannt, wer sie ist. Einer<br />

Renovierung wegen stand ihr Kinderbett vor einem großen Spiegel. Ihr<br />

Spiegelbild betrachtend und nach uns oder Gegenständen greifend,<br />

s<strong>ich</strong> also zu anderen oder anderem in Beziehung setzend, hat man an<br />

der »Götterdämmerung« in ihrem Ges<strong>ich</strong>t bemerkt, dass sie ihre indi-<br />

viduellen Bewusstseinssprung, den ins Selbstbewusstsein, vollzogen<br />

hat. Der meines Erachtens die Voraussetzung <strong>für</strong> Selbstbestimmung<br />

– auf welchem Niveau die stattfinden kann, sei dahingestellt – ist.<br />

S<strong>ich</strong> im Spiegel beobachtend hat sie erkannt: das bin <strong>ich</strong>, so bin <strong>ich</strong><br />

und auch: Ich kann et<strong>was</strong> durchsetzen.<br />

Ich möchte sagen, ihre Interaktionen <strong>mit</strong> uns waren von da an n<strong>ich</strong>t<br />

mehr spontan, sondern bewusst. Und <strong>ich</strong> <strong>habe</strong> ihre Mimik und Gestik<br />

als stumme Bitte aufgefasst: Nimm m<strong>ich</strong> so, wie <strong>ich</strong> bin. Hilf mir,<br />

da<strong>mit</strong> <strong>ich</strong> et<strong>was</strong> erre<strong>ich</strong>en kann, aber passe m<strong>ich</strong> n<strong>ich</strong>t an das an, <strong>was</strong><br />

Du <strong>für</strong> normal hältst, <strong>ich</strong> aber n<strong>ich</strong>t in der Lage bin zu tun, akzeptiere<br />

die Unverstelltheit meiner Reaktionen. Gib Dir Mühe, mein Verhalten<br />

r<strong>ich</strong>tig zu deuten und das Gefühl, dass Du alle Verr<strong>ich</strong>tungen <strong>mit</strong> mir<br />

n<strong>ich</strong>t als Pfl<strong>ich</strong>terfüllung und en passant erledigst und <strong>ich</strong> m<strong>ich</strong> von<br />

Dir gehalten fühlen kann. Sei bei mir, wenn Du Stellvertreterentschei-<br />

dungen <strong>für</strong> m<strong>ich</strong> fällst, die <strong>ich</strong> n<strong>ich</strong>t verstehen kann, nach denen <strong>ich</strong><br />

D<strong>ich</strong> aber umso mehr als verlässl<strong>ich</strong>e Bezugsperson brauche.<br />

62 63


Einer solchen folgenschweren Stellvertreterentscheidung zuzustim-<br />

men, bin <strong>ich</strong> überzeugt worden, näml<strong>ich</strong> dem Umzug in eine Wohn-<br />

stätte. Ich <strong>habe</strong> alle Emotionen verdrängt und mir rationale Gründe<br />

»eingetr<strong>ich</strong>tert«, die da<strong>für</strong> sprachen.<br />

Das sind:<br />

1. Mein Kind ist n<strong>ich</strong>t mein Eigentum und hat bei aller Behinderung<br />

<strong>mit</strong> dem Eintritt ins Erwachsenenalter ein Recht auf einen eigenen<br />

Wohnraum.<br />

2. Mein Kind erfährt vielfältigere soziale Kontakte und lernt es, s<strong>ich</strong><br />

auch in einer anderen Umgebung zu behaupten (die Ergebnisse der<br />

Wohnvorbereitung sprachen da<strong>für</strong>)<br />

3. Mein Kind wird m<strong>ich</strong> – biologisch betrachtet – überleben. Ich kann<br />

es n<strong>ich</strong>t dem Zufall überlassen, wo mein Kind einmal landen wird und<br />

muss einen Zeitpunkt wählen, zu dem mein Kind noch anpassungsfä-<br />

hig ist (der wird in der Literatur <strong>mit</strong> dem zwanzigsten Lebensjahr de-<br />

finiert) und zu dem auch <strong>ich</strong> noch in der Lage bin, auf die Lebensum-<br />

stände meines Kindes Einfluss nehmen zu können.<br />

Zu diesen Begründungen – oder sind es Selbstbeschw<strong>ich</strong>tigungen?<br />

– stehe <strong>ich</strong> noch heute. Nur besteht das Problem darin, dass meine<br />

Tochter zu dieser ihr Leben grundlegend verändernden Entscheidung<br />

n<strong>ich</strong>t befragt werden konnte. Dass sie in dieser ungewohnten Umge-<br />

bung n<strong>ich</strong>t untergegangen ist, spr<strong>ich</strong>t <strong>für</strong> ihren Selbstbehauptungswil-<br />

len, innerhalb dessen sie durchaus auch selbst bestimmt. Das hieß<br />

<strong>für</strong> meine Tochter auch, Beschäftigungen zu finden, um in einer Um-<br />

welt voller schwer zu verarbeitender Reize einen Ruhepol, ein inneres<br />

Gle<strong>ich</strong>gew<strong>ich</strong>t aufbauen zu können, ihre Unabhängigkeit in Abhängig-<br />

keit zu bewahren.<br />

Ich beschreibe dazu ihr Spiel <strong>mit</strong> Steckbechern. Von all dem ihr in der<br />

Wohnstätte angebotenen Spielzeug hat sie s<strong>ich</strong> <strong>für</strong> diese Becher ent-<br />

schieden, die von ihrem Lebensgefühl her durchaus eine sinnstiftende<br />

Alltagsbeschäftigung darstellen. Sie liegt entspannt im Knautschsack<br />

im Gruppenraum, hält einen Becher in der Hand, einen anderen steckt<br />

sie hinein. Dann trennt sie die Verbindung und stellt sie wieder her.<br />

Immer wieder. Ich lasse außer acht, dass zum Verhaltensbild der Athe-<br />

tose die Freude an s<strong>ich</strong> wiederholenden Bewegungsabläufen gehört<br />

und erwähne, dass sie schon zu Hause eine Vorliebe zeigte, Türen<br />

pendeln zu lassen oder einen Brummkreiselgriff herunterzudrücken<br />

und wieder hochzuziehen und sehe in ihrem Becherspiel eine Symbol-<br />

trächtigkeit. Der in der Hand gehaltene Becher drückt die Dauer aus,<br />

der hineingesteckte und wieder herausgeholte Becher den Wechsel,<br />

eine Verbindung wird immer wieder unterbrochen und neu aufgebaut.<br />

Wie in ihrem Leben.<br />

Um über Geben und Nehmen der Becher eine Interaktion zu gestal-<br />

ten, eine Bindung zu dem dienst<strong>habe</strong>nden Betreuer aufbauen zu kön-<br />

nen, fehlt die Zeit, und sie ersetzt ihre Bedürftigkeit nach Bindung<br />

wieder <strong>mit</strong> dem stereotypen Becherspiel. Und wenn dann eine Ver-<br />

sorgungsleistung an der Reihe ist, Tabletten zu geben und Essen und<br />

Trinken anzubieten, wundert man s<strong>ich</strong>, dass sie, nachdem sie solange<br />

ihre Bedürftigkeit nach Zuwendung n<strong>ich</strong>t befriedigt gesehen hat, die<br />

Zuwendung s<strong>ich</strong> Nahrung geben zu lassen, ablehnt. Das heißt dann<br />

»Verweigerung«.<br />

Es ist aber ein Unterschied, ob s<strong>ich</strong> jemand Aufforderungen gegenü-<br />

ber verweigert, weil er sie n<strong>ich</strong>t erfüllen kann, oder ob er s<strong>ich</strong> ihnen<br />

verweigert, weil er s<strong>ich</strong> selbst behaupten <strong>will</strong>, seine Persönl<strong>ich</strong>keit<br />

schon vorher beachtet gesehen <strong>habe</strong>n wollte. Wenn s<strong>ich</strong> meine Toch-<br />

ter nun verweigert, stellt sie gewissermaßen einen Sachzwang <strong>für</strong> den<br />

Betreuer dar. Er soll eine Leistung erbringen, die anzunehmen sie ver-<br />

weigert. Er muss es also – im günstigen Fall – noch mal versuchen.<br />

Vielle<strong>ich</strong>t ist das ihre Form, s<strong>ich</strong> die ihr vorher n<strong>ich</strong>t gewährte Geltung<br />

zu verschaffen?<br />

64 65


Ich schließe n<strong>ich</strong>t aus, dass Zuwendung erfolgt, aber findet sie dann<br />

statt, wenn meine Tochter ihrer bedarf und wird sie von einer Person<br />

gewährt, zu der meine Tochter eine Bindung hat aufbauen können?<br />

Jegl<strong>ich</strong>e Bildung – im weitesten Sinne – setzt Bindung voraus und die<br />

aufzubauen in Wohnstätten <strong>für</strong> geistig Behinderte, in denen alles nach<br />

Dienstplan geregelt sein muss, in denen es einen hohen Krankenstand<br />

und eine erhebl<strong>ich</strong>e Fluktuation gibt, erscheint mir schwierig zu sein.<br />

In einer solchen, von meiner Tochter offenbar als Mangel empfunde-<br />

nen Situation hat sie s<strong>ich</strong> in eine weitere Beschäftigung, besser: eine<br />

Auffälligkeit »gerettet«. Sie gerät immer wieder in Phasen, in denen<br />

sie s<strong>ich</strong> die Haare ausreißt, in den Mund steckt, wieder aussortiert<br />

und abstreift. Es tut mir weh, sie <strong>mit</strong> kahl gerupften Stellen am Kopf<br />

vorzufinden, noch mehr tut es mir weh, <strong>mit</strong> ansehen zu müssen, wie<br />

sie s<strong>ich</strong> selber Schmerzen zufügt. Lenkt sie dieser Schmerz von gra-<br />

vierenden Störungen ihres inneren Gle<strong>ich</strong>gew<strong>ich</strong>tes, etwa verursacht<br />

durch Reizüberflutung, Mangel an Zuwendung oder ständigem Be-<br />

treuerwechsel, ab? Benötigt sie den Schmerz gar, um s<strong>ich</strong> als selbst<br />

existent zu empfinden? Ist er ihr Schutzschild <strong>für</strong> Selbstbehauptung in<br />

einer Umwelt, von der sie s<strong>ich</strong> n<strong>ich</strong>t abhängig fühlen möchte?<br />

Meine Tochter wird in ihrem Leben immer vom Geschick und Ver-<br />

ständnis, Einfühlungsvermögen, von der konstruktiven Beobachtung<br />

und – ihr hoffentl<strong>ich</strong> niemals aufgezwungenen – Anregung durch an-<br />

dere abhängig sein und trotzdem zäh ihre Würde verteidigen, dabei<br />

unter Umständen andere Verhaltensauffälligkeiten entwickeln.<br />

Was <strong>ich</strong> ihr wünsche?<br />

Dass sie auf eine Umwelt trifft, in der ihre Botschaften immer besser<br />

begriffen werden, dass sie n<strong>ich</strong>t unter Erfolgszwang »konditioniert«<br />

wird, dass sie n<strong>ich</strong>t zu spüren bekommt, dass sie die Unterlegene ist,<br />

die an ein gefordertes Verhalten angepasst werden muss. Dass ihr An-<br />

66<br />

gebote gemacht werden, die sie n<strong>ich</strong>t als Belastung empfinden muss.<br />

Noch hat sie m<strong>ich</strong> als in regelmäßigen Abständen vorhandene Bezugs-<br />

person und kann dieser Beziehung vertrauen. Vielle<strong>ich</strong>t ist deshalb<br />

das oft beobachtete Umklammern und Umarmen beliebiger »Bezugs-<br />

objekte« bei ihr n<strong>ich</strong>t aufgetreten.<br />

Ich <strong>habe</strong> »noch« geschrieben. Ich wünsche ihr <strong>für</strong> die Zeit, wenn<br />

sie m<strong>ich</strong> einmal n<strong>ich</strong>t mehr <strong>habe</strong>n wird, Betreuer, die Zeit <strong>habe</strong>n<br />

d ü r f e n <strong>für</strong> ganz alltägl<strong>ich</strong>e Zuwendung und eine Umwelt, die sie an<br />

dem misst, <strong>was</strong> sie kann und n<strong>ich</strong>t an dem, <strong>was</strong> zu erbringen sie nie<br />

in der Lage sein wird. November 2008<br />

67


Schlusswort<br />

Doris Heitmann<br />

Manche singen Protestsongs, andere wählen Sitzblockaden – wir ent-<br />

schieden uns <strong>für</strong> einen Lese-Event zum Europäischen Protesttag zur<br />

Gle<strong>ich</strong>stellung <strong>für</strong> <strong>Menschen</strong> <strong>mit</strong> Behinderung am 5. Mai 2009. Es<br />

sollen genau die Personen zu Wort kommen, die am besten wissen,<br />

worum des geht, wenn wir über Selbstbestimmung und gesellschaftli-<br />

che Teil<strong>habe</strong> sprechen.<br />

Das Lese-Event rückt das Thema »Gle<strong>ich</strong>stellung von <strong>Menschen</strong> <strong>mit</strong><br />

Behinderungen« in den Mittelpunkt. Die Lesungsschrift zum Event<br />

soll dies bleibend und nachhaltig dokumentieren.<br />

Wir sind davon überzeugt, dass die gesellschaftl<strong>ich</strong>e Grundhaltung<br />

betroffenen <strong>Menschen</strong> gegenüber, als »Profis in eigener Sache«, als<br />

hohes Gut selbstverständl<strong>ich</strong> umgesetzt und regelmäßig überprüft<br />

werden sollte.<br />

<strong>Lebenswege</strong> Die <strong>Lebenswege</strong> gGmbH und ihre Tochterfirmen sind<br />

Leistungsanbieter der Behindertenhilfe.<br />

Unsere Angebote umfassen einen ambulanten Pflegedienst sowie viel-<br />

seitige sozialpädagogische Wohnangebote <strong>für</strong> <strong>Menschen</strong> <strong>mit</strong> Körper-<br />

und Mehrfachbehinderungen. Von ambulanten Wohnmögl<strong>ich</strong>keiten<br />

wie Wohngemeinschaften, Betreutes Einzelwohnen und Wohnen im<br />

Appartementhaus <strong>bis</strong> hin zu vollstationärem Wohnen – <strong>Lebenswege</strong><br />

entwickelt innovative Lösungen <strong>für</strong> neue Lebensabschnitte. So wer-<br />

den im Herbst 2009 Hausgemeinschaften <strong>für</strong> <strong>Menschen</strong> <strong>mit</strong> Demenz<br />

eröffnet.<br />

Das tagesstrukturierende Angebot der <strong>Lebenswege</strong> Hausgemeinschaf-<br />

ten gGmbH nimmt an einem Modellprojekt der Senatsverwaltung <strong>für</strong><br />

Integration, Arbeit und Soziales teil. Es r<strong>ich</strong>tet s<strong>ich</strong> an ältere Men-<br />

schen <strong>mit</strong> Behinderungen, die aus den Werkstätten bzw. deren För-<br />

derbere<strong>ich</strong>en ausscheiden.<br />

Zweckbetriebe in den Bere<strong>ich</strong>en Gastronomie und haushandwerkl<strong>ich</strong>er<br />

Service beschäftigen behinderte oder benachteiligte Fach<strong>mit</strong>arbeite-<br />

rinnen und -<strong>mit</strong>arbeiter.<br />

Der Fortbildungsbere<strong>ich</strong> unseres Unternehmens bietet fachspezifische<br />

Weiterbildungen zur Qualitätss<strong>ich</strong>erung des pädagogischen und pfle-<br />

gerischen Auftrages.<br />

Aus unserem Leitbild Die <strong>Lebenswege</strong> gGmbH sieht ihre Aufgaben<br />

darin, s<strong>ich</strong> <strong>für</strong> die Rechte von <strong>Menschen</strong> <strong>mit</strong> Behinderungen gesell-<br />

schaftspolitisch einzusetzen und sie in der Durchsetzung ihrer indivi-<br />

duellen Wünsche und Bedürfnisse im Sinne eines selbstbestimmten<br />

Lebens zu unterstützen.<br />

Die Assistenznehmer/innen <strong>mit</strong> ihren Lebenserfahrungen stehen im Mit-<br />

telpunkt unserer Arbeit. Wir gehen dabei von den erworbenen Kompe-<br />

tenzen, Ressourcen und Stärken jeder einzelnen Persönl<strong>ich</strong>keit aus.<br />

Das bedeutet <strong>für</strong> uns, in Zusammenarbeit <strong>mit</strong> allen beteiligten Perso-<br />

nen die notwendige individuelle Unterstützung anzubieten.<br />

Unsere Angebote zur Begleitung der <strong>Lebenswege</strong> von <strong>Menschen</strong> <strong>mit</strong><br />

Behinderungen sind geprägt von der Bereitschaft, s<strong>ich</strong> verändernden<br />

Entwicklungsprozessen zu stellen. Der da<strong>mit</strong> verbundene Dialog wird<br />

von Offenheit, Transparenz und Kommunikationsfähigkeit getragen.<br />

Verantwortung und Wahlfreiheit sind berechtigte Ansprüche <strong>für</strong> das<br />

Leben von <strong>Menschen</strong> <strong>mit</strong> Behinderungen. <strong>Lebenswege</strong> s<strong>ich</strong>ert durch<br />

Erfahrung und Können die Umsetzung dieses Anspruchs.<br />

68 69


Impressum<br />

Herausgeber . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .<br />

. . . . . . . . . . <strong>Lebenswege</strong> <strong>für</strong> <strong>Menschen</strong> <strong>mit</strong> Behinderungen gGmbH<br />

. . . . . . . Unternehmensverbund | Gubener Straße 49 | 10243 Berlin<br />

. . . . . . . . . . . . . . . Tel.: 030 - 446 872 0 Fax: 030 – 446 872 40<br />

. . . . . . . . . . www.lebenswege-berlin.de | info@lebenswege-berlin.de<br />

Geschäftsführer . . . . . . . . . . . . . . . . Rainer Fluck, Helmut Handke<br />

Gesellschafter . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .Spastikerhilfe Berlin e.V.<br />

<strong>Lebenswege</strong> ist Mitglied im Bundesverband <strong>für</strong> körper- und mehrfach-<br />

behinderte <strong>Menschen</strong> e. V. sowie dem Deutschen PARITÄTISCHEN<br />

Wohlfahrtsverband, Landesverband Berlin e. V.<br />

Die in der Lesungsschrift enthaltenen Daten sind Eigentum des Her-<br />

ausgebers. Nachdruck – auch auszugsweise – sowie die Spe<strong>ich</strong>erung<br />

in EDV-Anlagen <strong>für</strong> fremde Zwecke sind ohne Zustimmung des Her-<br />

ausgebers n<strong>ich</strong>t gestattet. Eine Haftung <strong>für</strong> etwaige redaktionelle und<br />

drucktechnische Fehler wird n<strong>ich</strong>t übernommen.<br />

Die Abbildungen wurden uns freundl<strong>ich</strong>erweise von den Autorinnen<br />

und Autoren zur Verfügung gestellt. Die Rechte an den Bildern liegen<br />

ausschließl<strong>ich</strong> bei ihnen.<br />

Redaktion . . . . . . . . . . Dr. Ingrid Kuschel / Marie-Therese Sch<strong>mit</strong>z<br />

. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Doris Heitmann / Silke Ihden-Rothkirch<br />

Die Gespräche führten Dr. Ingrid Kuschel, Marie-Therese Sch<strong>mit</strong>z und<br />

Fabian Schwarz.<br />

Lektorat . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .Silke Ihden-Rothkirch<br />

Gestaltung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Sophie Alex<br />

Druck . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .U.S.E. printing house<br />

Berlin, Mai 2009


...<br />

<strong>bis</strong><br />

<strong>ich</strong><br />

erre<strong>ich</strong>t<br />

<strong>habe</strong>,<br />

<strong>was</strong> <strong>ich</strong> <strong>will</strong>!<br />

Das Lese-Event am 5. Mai 2009<br />

Schoeler-Schlösschen<br />

Wilhelmsaue 126 | 10715 Berlin<br />

18.00 Uhr . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .<br />

Begrüßung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Wolfgang-David Sebastian<br />

Einführung ins Thema: Protesttag 5. Mai 2009<br />

Europäischer Protesttag zur Gle<strong>ich</strong>stellung<br />

von <strong>Menschen</strong> <strong>mit</strong> Behinderung<br />

. . . . . . . . . . . . . . . . . . Dr. Ingrid Kuschel / Marie-Therese Sch<strong>mit</strong>z<br />

18.20 Uhr . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Lesungen Teil I<br />

Es lesen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Martina Nitz<br />

. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Jacoba Neu<br />

. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Brigitte Näthke<br />

. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Charlotte Risse<br />

19.00 Uhr . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Pause<br />

19.30 Uhr . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Lesungen Teil II<br />

. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Bernhard Raszkowski<br />

. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .Werner Knobloch<br />

. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Dorothea Mießner<br />

20.00 Uhr . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Diskussion und Ausklang<br />

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