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Gewohnte Werte: Wir kaufen… - Österreichischer ...

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Reform für einen starken Rechtsstaat<br />

Unser Rechtsstaat scheint gut entwickelt, gereift<br />

und ausgestattet zu sein. In allen Bereichen des<br />

Zivil-, Straf- und Verwaltungsrechts gibt es Rechtsschutzmöglichkeiten,<br />

werden neue Verfahren erdacht<br />

und finden Reformen mit dem Zweck der Steigerung<br />

eines effizienten Rechtsschutzes statt. Trotzdem wächst<br />

das Unbehagen der Bevölkerung und der Presse über<br />

das Justizsystem, häufig wird bereits Misstrauen geäußert.<br />

Eine Umfrage der Rechtsanwaltskammer Niederösterreich<br />

ergab einen deutlichen Rückgang des Vertrauens<br />

in die Justiz. All diese Warnsignale sollten mit<br />

gehöriger Aufmerksamkeit wahrgenommen werden.<br />

Die Politik verlangt vom Justizsystem Beiträge zur<br />

Budgetsanierung. Dabei wird gerne so getan, als ob<br />

der Steuerzahler das Justizsystem bezahlen müsste.<br />

Tatsache ist aber, dass die Gerichte sich durch die erhobenen<br />

Gebühren, also Pauschalgebühren, Gebühren<br />

für Aktenabschriften, Firmenbucheintragungen und<br />

vor allem für Grundbuchshandlungen vollständig selbst<br />

erhalten und darüber hinaus auch den Strafvollzug, der<br />

eine ureigene staatliche Aufgabe darstellt, mitfinanzieren.<br />

Es ist also die rechtsuchende Bevölkerung, die<br />

ihr Justizsystem trägt und finanziert. Ständigen „Sparwünschen“<br />

seitens der Politik könnte also unsere Justizministerin<br />

durchaus begründet entgegentreten.<br />

Das Kaputtsparen ist aber nur eine der Bedrohungen<br />

für unser Gerichtssystem. Ein prohibitives Gebührenund<br />

Kostensystem, das den Einzelnen davon abhält,<br />

sein Recht durchzusetzen, ist langfristig eine gefährliche<br />

Bedrohung für den Rechtsfrieden und die Legitimität<br />

der staatlichen Hoheit. Tatsächlich geht seit<br />

den letzten Gebührenerhöhungswellen der Aktenanfall<br />

der Gerichte zurück.<br />

Die Vertrauenskrise in das Justizsystem ist aber nur<br />

zum geringsten Teil vom Zivilrechtssystem ausgelöst.<br />

Die negativen Pressemeldungen betreffen zumeist<br />

Strafsachen und bei diesen den deutlichen Unterschied<br />

in der Vehemenz des Vorgehens bei glamourösen Fällen<br />

und bei normalen Verfahren. Die Krise des Justizvertrauens<br />

ist also primär eine Krise des Vertrauens in<br />

das Strafverfahren und dort vor allem in das staatsan-<br />

Österreichisches Anwaltsblatt 2012/06<br />

waltliche Verfahren. Wenn in der Öffentlichkeit der<br />

Eindruck entsteht, dass manche es sich richten können,<br />

gegen andere aber mit Härte, Untersuchungshaft und<br />

allen strafrechtlichen Instrumenten vorgegangen wird,<br />

ist damit die wesentliche Grundlage der Rechtsprechung<br />

betroffen: Das Vertrauen darauf, dass Justitia<br />

ohne Ansehung der Person und ohne persönliche Bevorzugung<br />

sachgerecht urteilt. Es ist dringend geboten,<br />

schleunigst Maßnahmen zu setzen, um dieses Vertrauen<br />

der Öffentlichkeit wiederherzustellen. Die Maßnahmen<br />

können einerseits in Öffentlichkeitsarbeit bestehen, andererseits<br />

ist aber wohl auch eine tiefergehende Reform<br />

notwendig. Moringer hat im März-Anwaltsblatt 2012,<br />

148 profund die Defizite im Strafverfahren als auch<br />

Verbesserungsmöglichkeiten aufgezeigt.<br />

Auch das gegenwärtige richterliche Disziplinarsystem,<br />

das aus einem Katalog von Berufspflichten und<br />

Sanktionen bei Nichteinhaltung besteht, ist dringend<br />

überarbeitungsbedürftig. Neue Erkenntnisse des Personalmanagements<br />

und Methoden der Human-Resource-Entwicklung,<br />

die sich in der <strong>Wir</strong>tschaft bereits<br />

durchgesetzt haben, sollten auch in die Justiz Einzug<br />

finden.<br />

Gefährlich ist auch die Ignoranz der Politik gegenüber<br />

Verfassung und Grundwerten, die dazu führt, dass<br />

aus Bequemlichkeitsgründen materiengesetzliche Bestimmungen<br />

im Verfassungsrang beschlossen werden<br />

oder dass, wie etwa bei der Vorratsdatenspeicherung,<br />

zugunsten geringer Bequemlichkeitsvorteile der Strafverfolgung<br />

Teile der hart erkämpften Grundrechte<br />

über Bord geworfen werden.<br />

<strong>Wir</strong> Rechtsanwälte erheben zu Recht unsere<br />

Stimme, um auf die übergeordneten <strong>Werte</strong> und Ziele<br />

hinzuweisen. <strong>Wir</strong> sind in einem Bereich der geregelten<br />

Wahrheitsfindung tätig, die nicht von Machtinteressen,<br />

Lobbying oder undurchsichtigen Parallelstrukturen beherrscht<br />

wird. <strong>Wir</strong> verteidigen die zugrunde liegenden<br />

<strong>Werte</strong> und das ihrer Erhaltung dienende System. Ein<br />

starker Rechtsstaat gibt den Menschen Vertrauen und<br />

Sicherheit. Um ihn nachhaltig zu sichern, bedarf es einiger<br />

Reformen.<br />

Editorial<br />

RA Dr. Thomas<br />

Schreiner<br />

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