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Christoph Schlingensief ist nun tot. Vorher hat<br />
er selbst aus seiner Krebserkrankung in ‚Sterben<br />
Lernen’ Kunst gemacht, sich seiner Umwelt<br />
mitgeteilt, sich ziemlich direkt ausgedrückt.<br />
So auch 2008 im SPIEGEL: „Ich habe<br />
keinen Bock auf Himmel, ich habe keinen Bock auf Harfe<br />
spielen und singen und musizieren und irgendwo auf einer<br />
Wolke herumgammeln“.<br />
Man kann einen Zugang zu seiner Arbeit finden, wenn<br />
man bedenkt, dass er sie mit der seines Vaters verglich.<br />
Schlingensief erklärte einmal, sein Vater war Apotheker<br />
und er habe den Leuten geringe Dosen Gi� verabreicht,<br />
um sie gesund zu machen.<br />
In seinen Werken wie ‚Terror 2000’ und ‚Die letzten Tage<br />
im Führerbunker’, kann man allerhand Gi� finden. Das<br />
neuro�sche oder trauma�sche Moment in seinem Schaffen<br />
ist schon eine Form von Gi�: immer Provoka�on, nie<br />
nur Selbstzweck. Und ich habe den Eindruck, dass ‚Die 120<br />
Tage von Bo�rop’ durchaus diese Überdosis Gi� einer unkontrollierten<br />
Provoka�on enthalten, zumal darin ein etwas<br />
bedenkenloses Lob für den Marquis de Sade steckt.<br />
Was man an Schlingensief ebenfalls beobachten konnte,<br />
war die enorme Medienpräsenz, diese immer wieder sta�findende<br />
Einladung, an seinen Arbeitsprozessen teilzuhaben.<br />
Seine Ak�onskunst, so das kurz nach seiner Krebsdiagnose<br />
entstandene Projekt ‚Eine Kirche der Angst vor<br />
dem Fremden in mir’, enthält immer auch den Ansatz einer<br />
Selbstentblößung und für die Menschen die Möglichkeit,<br />
diese Kunst auf sich zu beziehen.<br />
Man dur�e an einem Pfahlsitzen teilnehmen, um - hoch<br />
über den anderen - seine Angst auszusitzen. Schlingensiefs<br />
Aufforderung, die Angst nicht abzugeben, sondern sie bei sich<br />
32<br />
_ K U LT�TOUR<br />
Sterben lernen von<br />
Schlingensief<br />
2010 erlag der Aktionskünstler, Autor, Film-, Theater- u. Opernregisseur<br />
einer Lungenerkrankung. Eine Nachbetrachtung.<br />
Von Henning Baxmann<br />
Abb. oben: Zeichnung ‚Schlingensief’<br />
© Henning Baxmann, 2010<br />
zu behalten, wirkte da auf den ersten Blick befremdlich. Doch<br />
wenn man bedenkt, dass aus Angst vor dem islamischen Terror<br />
poli�sche Freiheiten eingeschmolzen werden, ist seine<br />
‚Kirche der Angst’ schon eine ausgezeichnete Idee gewesen.<br />
Schlingensief verstand es nicht nur, O�o-Normalverbraucher<br />
und die Außenseiter der Gesellscha� in seine Projekte<br />
zu integrieren. Schon zu Beginn seiner Karriere zog er<br />
die ‚Großen’ in seinen Bann, die seine Arbeiten bereicherten,<br />
so Tilda Swinton, Udo Kier oder Alfred Edel.<br />
Es bleibt abzuwarten, ob es nach dem Tod von Schlingensief<br />
For�ührungen seiner Arbeiten geben wird, in welcher<br />
Form auch immer. Zumindest wird man in Burkina Faso,<br />
dem toten Künstler sei Dank, nun Opern sehen können.<br />
Christoph Schlingensief<br />
(1960-2010)