Klaus Hennicke... - Initiative zur sozialen Rehabilitation eV
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Fachtagung<br />
Geistige Behinderung und Trauma<br />
5.12.2008 Konsul-Hackfeld-Haus Bremen<br />
<strong>Klaus</strong> <strong>Hennicke</strong><br />
Trauma und geistige<br />
Behinderung<br />
Eine Einführung<br />
Referent<br />
Prof. Dr. <strong>Klaus</strong> <strong>Hennicke</strong><br />
Facharzt für Kinder-, Jugendpsychiatrie und psychotherapie<br />
Ev. Fachhochschule Rheinland-Westfalen-Lippe Bochum<br />
Fachbereich IV Heilpädagogik, Soziale Medizin<br />
E-Mail: hennicke@efh-bochum.de<br />
Leiter der Kinder- und jugendpsychiatrischen Beratungsstelle<br />
Bezirksamt Spandau Gesundheitsamt<br />
E-Mail: klaus.hennicke@ba-spandau.berlin.de<br />
Deutsche Gesellschaft für seelische Gesundheit bei Menschen mit<br />
geistiger Behinderung e.V. DGSGB (Stellvertr. Vorsitzender)<br />
www.dgsgb.de<br />
Themen<br />
1. Unstrittige Erkenntnisse über traumatisierte<br />
Menschen mit geistiger Behinderung:<br />
Häufigkeit seelischer Erkrankungen,<br />
Gewalterfahrungen, seelische Veränderung,<br />
Störungsbilder, Diagnostik, Therapie),<br />
2. Erläuterungen zu den einzelnen Aspekten<br />
3. Psychiatrisch-psychologische und<br />
(heil-) pädagogische Schlussfolgerungen<br />
Unbestritten ist:<br />
1. Menschen mit geistiger Behinderung leiden in<br />
gleicher Weise, aber 3-4-mal häufiger an<br />
psychischen Störungen wie nicht behinderte<br />
Menschen<br />
(„erhöhte psychiatrische Morbidität“).<br />
2. Im Leben von Menschen mit geistiger Behinderung<br />
gibt es ein sehr hohes Risiko, traumatisierende<br />
Belastungen zu erfahren<br />
(„Gewalt im Leben von Menschen mit<br />
geistiger Behinderung“)
Unbestritten ist:<br />
3. Es ist mit hoher Wahrscheinlichkeit anzunehmen,<br />
dass die hormonellen, die zentralnervösen wie auch<br />
die seelischen bzw. psychologischen<br />
Veränderungen in der Folge traumatisierender<br />
Ereignisse bei Behinderten nicht grundsätzlich<br />
anders verlaufen als bei nichtbehinderten<br />
Menschen<br />
(„Menschen mit geistiger Behinderung sind<br />
auch Menschen“).<br />
4. So ist schließlich davon auszugehen, dass diese<br />
Veränderungen sich nicht grundsätzlich anders<br />
äußern als bei nichtbehinderten Menschen<br />
(„gleiche Symptomatik“).<br />
Unbestritten ist:<br />
5. Seelisch verletzte Menschen mit geistiger<br />
Behinderung werden aufgrund ihrer<br />
ungewöhnlichen Äußerungsformen häufig nicht als<br />
solche wahrgenommen und verstanden<br />
(„mangelhafte Diagnostik“).<br />
6. Seelische verletzte Menschen mit geistiger<br />
Behinderung bedürfen der gleichen, vielleicht sogar<br />
der größeren Fürsorge, Begleitung und Behandlung<br />
wie nicht behinderte traumatisierte Menschen auch,<br />
erhalten diese aber wesentlich seltener<br />
(„defizitäre Versorgung“).<br />
1.<br />
Häufigkeit psychischer Störungen<br />
Häufigkeit psychischer Störungen<br />
bei Kindern mit Behinderungen<br />
Menschen mit geistiger Behinderung<br />
leiden an psychischen Störungen …<br />
• Kinder und Jugendliche 20-50%<br />
• Erwachsene 30-70%<br />
• Im Durchschnitt 3-4-mal häufiger als<br />
nichtbehinderte Menschen
Häufigkeit<br />
psychischer<br />
Störungen<br />
bei<br />
erwachsenen<br />
Menschen<br />
mit geistiger<br />
Behinderung<br />
GÖSTASON<br />
1985<br />
(Schweden)<br />
LUND 1985<br />
(Dänemark)<br />
BALLINGER<br />
et al. 1991<br />
(England)<br />
Geistigbehinderter und<br />
Normalintelligente<br />
Repräsentative<br />
Stichprobe<br />
Geistigbehinderter<br />
Großeinrichtung der<br />
Behindertenhilfe<br />
/Sorgfältige<br />
71% schwerbehindert<br />
33% leichtbehindert<br />
23% nichtbehindert<br />
40% schwerbehindert<br />
19% leichtbehindert<br />
80% psychiat.<br />
Diagnose<br />
psychiatrische Diagnostik<br />
LOTZ 1991 Analyse von 75 30-40 %<br />
epidemiologischen<br />
Studien aus USA, UK,<br />
Dänemark, Schweden,<br />
Deutschland<br />
MEINS 1993 Zusammenfassung aller 63% schwerbehindert<br />
Ergebnisse und Befunde 32% leichtbehindert<br />
epidemiologischer 14% nichtbehindert<br />
Untersuchungen<br />
MEINS 1994 Institutionsspezifische<br />
Prävalenzraten<br />
(Zusammenfassung.<br />
internationaler Studien)<br />
52%<br />
Großeinrichtungen<br />
22% Kleinheimen<br />
14% Familie/Alleine<br />
(COOPER et al. 2007)<br />
2.<br />
Risiko der Traumatisierung<br />
Unterscheidungen<br />
• Einmaliges Ereignis<br />
• Mehrmalige Ereignisse (Polytraumatisierung)<br />
• Multiple Traumata (mehrere voneinander<br />
unabhängige Ereignisse)<br />
• Sequentielle Traumata (über längere Zeit immer<br />
wieder die gleichen Ereignisse)<br />
• Kumulative Traumata (mehrere gleichzeitige, dann<br />
nicht mehr zu bewältigende Ereignisse)<br />
Bei Menschen mit geistiger<br />
Behinderung besteht eher die Gefahr<br />
der Polytraumatisierung<br />
Häufigkeit von Misshandlung und<br />
Missbrauch bei Menschen mit<br />
geistiger Behinderung<br />
• Life-time Prävalenz 90% (REYNOLDS 1997)<br />
• 39-68% der Mädchen und 16-30% der Jungen werden vor ihrem<br />
18. Geburtstag sexuell mißbraucht (SOBSEY 1994)<br />
• nahezu 100% der männl. und weibl. Heimbewohner (ZEMP 2002)<br />
• 69% der Erwachsenen, 75% der Kinder der ambulanten Klientel<br />
(SINASON 1993)<br />
• 14,3% des Klientels eines ambulanten Dienstes für Kinder und<br />
Jugendliche waren als Opfer und als Täter in sexuellen Mißbrauch<br />
verwickelt (21 Opfer, 6 Täter, 16 beides) (FIRTH et al. 2001)<br />
• Dunkelziffer 1:30 (d.h. nur ein Fall von 30 Mißhandlungsfällen bei<br />
Menschen mit geistiger Behinderung wird bekannt) (THARINGER et<br />
al. 1990)<br />
• Nur die krassesten Vorfälle in Einrichtungen werden berichtet<br />
(MARCHETTI & McCARTNEY 1990)
Risiken traumatisierender<br />
Lebenserfahrungen bei Menschen mit<br />
geistiger Behinderung<br />
Polytraumatisierung (multipel, sequentiell oder kumulativ)<br />
(Synonym: „Mikrotraumen“, „schleichende<br />
Traumatisierung“, „andauernde übermäßige Belastungen“):<br />
• Gewalt in der Erziehung<br />
• Rigide, kontrollierende Lebensbedingungen<br />
• Chronische und schwerwiegende Überforderungen in allen<br />
Bereichen<br />
• Schwerwiegende Vernachlässigung und emotionale Deprivation,<br />
unsichere Bindung; Verlusterfahrungen<br />
• Schmerzhafte medizinische Eingriffe<br />
• Nicht wahrgenommene Schmerz- oder andere Leidenzustände<br />
• Strukturelle Gewalt; Soziale Ausgrenzung und Isolation;<br />
Diskriminierung und Stigmatisierung<br />
(vgl. auch SENCKEL 2008)<br />
Geistige Behinderung als<br />
Trauma<br />
(vgl. SENCKEL 2008, SINASON 2000, MICKNAT 2002)<br />
Nach FISCHER und RIEDESSER (2003) ist ein<br />
Trauma<br />
„ein vitales Diskrepanzerlebnis zwischen<br />
bedrohlichen Situationsfaktoren und den<br />
individuellen Bewältigungsmöglichkeiten,<br />
das mit Gefühlen von Hilflosigkeit und<br />
schutzloser Preisgabe einhergeht und so eine<br />
dauerhafte Erschütterung von Selbst- und<br />
Weltverständnis bewirkt“.<br />
Was heißt Traumatisierung<br />
Abfolge traumatisierender<br />
Prozesse<br />
• Gewalteinwirkung<br />
(das traumatische Ereignis oder die traumatische Situation)<br />
= jede außergewöhnliche, als katastrophal erlebte körperliche<br />
und/oder psychische Belastung<br />
• Trauma<br />
(die eigentliche körperliche/seelische Verletzung oder die<br />
traumatische Reaktion)<br />
= Veränderung und/oder Schädigung physiologischer und/oder<br />
psychischer Regulationsmöglichkeiten<br />
• Traumafolgen<br />
(der traumatische Prozess)<br />
= psychische Störungen im Bereich Affekt, Impulskontrolle,<br />
Dissoziation, motorische und sensorische Integrationsstörung,<br />
Verdrängung, Gedächtnis, Lernen, Leistungsfähigkeit,<br />
Wahrnehmung/Beziehung von/zu sich selbst und anderen Personen<br />
Entscheidend für Traumatisierung:<br />
Wahrnehmung und Bewertung …<br />
• der Gefahr<br />
• der „Katastrophenqualität“ und der<br />
Lebensbedrohlichkeit<br />
• der Macht- und Herrschaftsausübung<br />
• der seelischen Kränkungen/Verletzungen<br />
Fragen<br />
Welche kognitiven Voraussetzungen<br />
Ist die traumatische Reaktion unvermeidlich<br />
Gibt es „schleichende Traumatisierungen“
Wahrnehmung und Bewertung eines<br />
Ereignisses<br />
1. Welche kognitiven Voraussetzungen sind für<br />
diese Wahrnehmungsprozesse notwendig<br />
Chronologisches Alter vs. Entwicklungsalter<br />
(Sozioemotionaler Entwicklungsstand); Psychische<br />
Differenzierung und Schweregrad der Behinderung<br />
( je schwerer die Behinderung, desto „kindlicher“<br />
ist der Entwicklungsstand)<br />
Die Frage kann nach dem jetzigen Wissensstand<br />
nicht beantwortet werden, aber:<br />
Gerade Kinder und Jugendliche haben ein<br />
wesentlich höheres Risiko für traumatische<br />
Reaktionen ! <br />
Risiko der Entwicklung von<br />
Traumareaktionen bei Kinder<br />
Entwicklung einer PTSD bei<br />
• 90% der sexuell mißbrauchten Kinder<br />
• 77% der Kinder, die eine Schießerei in der Schule erlebt<br />
haben<br />
• 35% der Kinder, die Gewalt auf der Straße ausgesetzt<br />
waren.<br />
(HAMBLEN 2002)<br />
Risiko der Entwicklung von<br />
Traumareaktionen bei Erwachsenen<br />
Entwicklung einer PTSD (Erwachsene) bei<br />
• 50% nach Vergewaltigung<br />
• 25% nach anderen Gewaltverbrechen<br />
• 20% bei Kriegsopfern<br />
• 15% nach Verkehrsunfällen<br />
• 15% bei schweren Organerkrankungen.<br />
Entscheidend für Traumatisierung:<br />
Wahrnehmung und Bewertung eines<br />
Ereignisses<br />
2. Nicht jedes belastende Ereignis führt<br />
<strong>zur</strong> Traumatisierung d.h. löst eine<br />
Traumreaktion mit entsprechenden<br />
Folgen aus<br />
(Coping, Resilienz, Schutzfaktoren)<br />
(”Leitlinien der Dtsch. Gesellschaft für Psychotherapeutische Medizin u.a.“;<br />
FLATTEN et al. 2001)
Coping, Resilienz, Schutzfaktoren<br />
IRBLICH, D. (2005): Posttraumatische Belastungsstörungen bei Menschen mit geistiger Behinderung. Überarb. Fassung eines Vortrags am<br />
4.11.05 auf dem Jubiläumssymposium der Rothenburger Werke 27356 Rothenburg/Wümme; LANDOLT, M.A. (2004): Psychotraumatologie<br />
des Kindesalters. Göttingen: Hogrefe.<br />
Zur Unterscheidung:<br />
Belastungen und Trauma<br />
3. Die Idee der „schleichenden/kumulativen<br />
Traumatisierung“ (= häufige, übermäßige<br />
Belastungen) kann zu einer (unzulässigen)<br />
Erweiterung des Traumakonzepts führen<br />
Differenzierung zwischen „traumatischen<br />
Ereignis(sen)“ und „lebensgeschichtlichen Belastungen“<br />
(„live events“)<br />
Psychiatrisches Modell: Unterscheidung zwischen<br />
Poststraumatischen Störungen und<br />
„Anpassungsstörungen“ (an Belastungen)<br />
Die Unterscheidung ist von erheblichem praktischen<br />
Interesse (Umgang und Therapie)!<br />
3.<br />
Hormonelle, zentralnervöse und<br />
seelische Veränderungen<br />
3.<br />
Hormonelle, zentralnervöse und<br />
seelische Veränderungen<br />
• Veränderungen im Regelsystem des Gehirns<br />
(Thalamus, Mandelkern/Amygdala,<br />
Hippocampus) mit Folgen für<br />
• das neuroendokrinologische System<br />
(Hypothalamus, Hypophyse, Nebennierenrinde)<br />
• die Neurotransmittersysteme (Reizübertragung<br />
im Gehirn Informationsverarbeitung)<br />
• und für Regulation innerer Organe und des<br />
Immunsystems (Herz-Kreislauf, Verdauung,<br />
Körperwahrnehmung)<br />
zeigen sich u.a. in<br />
Intrusion, Konstriktion, Übererregung
Die wichtigsten posttraumatischen<br />
Veränderungen (1)<br />
Die wichtigsten posttraumatischen<br />
Veränderungen (2)<br />
1. Intrusionen (Aufdrängen, Eindringen)<br />
= unauslöschliche Prägung durch die traumatische<br />
Erfahrung, welche sich in Form von ungewollt<br />
aufdrängenden Gedanken und Erinnerungen an das<br />
traumatische Ereignis äußert „flashbacks“ oder<br />
Nachhallerlebnisse: Aufdrängen von Erinnerungen<br />
an das traumatisierende Ereignis<br />
2. Konstriktion („Einschnürung“, „Erstarrung“;<br />
avoidance = Vermeidung; numbing = seelische<br />
Lähmung, Erstarrung)<br />
= Vermeidung von Situationen und Reizen, die als<br />
bedrohlich empfunden werden und die daraus<br />
resultierende psychische Erstarrung<br />
Die wichtigsten posttraumatischen<br />
Veränderungen (3)<br />
Die wichtigsten posttraumatischen<br />
Veränderungen (4)<br />
3.Hyperarousal (Übererregung)<br />
= Chronisch erhöhtes (vegetatives und psychisches)<br />
Erregungsniveau („ständiger Alarmzustand“) mit<br />
Schlafstörungen (Einschlaf-, Durchschlafschwierigkeiten,<br />
Albträume), allgemeinen<br />
Angstsymptomen und Erniedrigung der Reizschwelle<br />
(erhöhte Schreckhaftigkeit und Lärmempfindlichkeit)<br />
4. Weitere Äußerungsformen/ Veränderungen<br />
• Derealisation und Depersonalisation (Verlassen<br />
des Körpers und der Realität)<br />
Auflösung der Einheit von Ich/Person und Umwelt; Entfremdung<br />
einer Person gegenüber sich selbst und seiner Umwelt <br />
traumhaft-unwirklich; Zuschauer auf sich selbst<br />
• Dissoziation (Trennung und Auflösung zusammengehörender<br />
Denk-, Handlungs- od. Verhaltensabläufe)<br />
Desintegration der persönlichen Identität, des Gedächtnisses, der<br />
Wahrnehmung und des Bewusstseins<br />
• Affektregulationsstörung (Erschwerte Möglichkeit,<br />
innere gefühlsmäßige Zustände zu kontrollieren)
Mögliche Erscheinungsformen<br />
posttraumatischer Veränderungen bei<br />
Menschen mit geistiger Behinderung (1)<br />
Mögliche Erscheinungsformen<br />
posttraumatischer Veränderungen bei<br />
Menschen mit geistiger Behinderung (2)<br />
• Nicht einfühlbare, situationsunabhängige oder durch<br />
Reize ausgelöste („getriggerte“)<br />
Extremverhaltensweisen mit Verlust der<br />
Selbststeuerung, Kontrollverlust, Autoaggressionen,<br />
„Außer-sich-Geraten“; Reinszenierungen der<br />
traumatischen Erlebnisse<br />
(Depersonalisation, Derealisation,<br />
Instrusion/Nachhallerinnerung, Dissoziation;<br />
Affektregulationsstörung)<br />
• Emotionsloses, roboterhaftes Verhalten; emotionale<br />
Verarmung oder Abstumpfung, Kontakt- und<br />
Beziehungsunfähigkeit; Rückzug in die eigene Welt<br />
(„psychose-ähnlich“), körperliche Einengung und<br />
Erstarrung („Autistische Züge“), ausgeprägte<br />
Vermeidungsstrategien<br />
(Dissoziation, Konstriktion)<br />
Mögliche Erscheinungsformen<br />
posttraumatischer Veränderungen bei<br />
Menschen mit geistiger Behinderung (3)<br />
• Unruhe, Hyperaktivität bis Erethie,<br />
Impulskontrollunfähigkeit, schwere affektive,<br />
aggressive Entäußerungen, Schlafstörungen, Schreien<br />
(Hyperarousal, Affektregulationsstörung)<br />
• Haltung der Unentrinnbarkeit in Gewaltsituationen,<br />
absolute Hilflosigkeit, willenloses Opfer,<br />
Suizidphantasien<br />
(Konstriktion, Dissoziation)<br />
3. Hormonelle, zentralnervöse und<br />
seelische Veränderungen<br />
Ergebnis<br />
• Eine Vielzahl von Verhaltensauffälligkeiten<br />
bei Menschen mit<br />
geistiger Behinderung können<br />
offensichtlich als traumatische<br />
Reaktionen und als Traumafolgestörungen<br />
erklärt werden !<br />
Störungsbilder<br />
Diagnostik
4.<br />
Störungsbilder<br />
(Traumafolgestörungen)<br />
• Wie werden sie von der Psychiatrie genannt<br />
(Diagnose und Klassifikation nach ICD-10)<br />
• Wie verändern sie sich bei Menschen mit<br />
Intelligenzminderung<br />
(„Ausgestaltung“, Modifikation der<br />
Symptomatik)<br />
• Wie häufig kommen diese vor<br />
(Epidemiologie)<br />
Was bedeutet eine psychiatrische<br />
Diagnose<br />
• Als zuständige Fachdisziplin (neben der Psychologie) versucht die<br />
Psychiatrie mit ihren Methoden und Denkmodellen Ordnung und<br />
Struktur in die (prinzipiell unfassbare) Komplexität<br />
menschlicher Lebensäußerung zu schaffen.<br />
• Die Zusammenfassung von Äußerungsformen in Diagnosen ist<br />
nichts anderes als eine (Querschnitts-)Beschreibung eines<br />
aktuellen Zustandes eines Menschen in Bezug auf eine<br />
(gedachte) psychische und soziale Normaliät<br />
• Eine psychische Störung ist keine Krankheit i.e.S (d.h. ein<br />
von der Person unabhängig ablaufender Prozess), sondern eine<br />
komplexe menschliche Leidensform infolge von<br />
Beeinträchtigungen im Erleben, Befinden und Verhalten<br />
• Diese Leidensformen werden in international verabredeten<br />
Klassifikationssystemen ICD-10, DSM-IV aufgelistet (als<br />
„Störungsbilder“„kategorisiert“)<br />
Symptomatik: Psychopathologie<br />
oder Anpassungsleistung <br />
Intrusion, Konstriktion, Übererregung,<br />
Derealisation/Depersonalisation, Affektregulationsprobleme,<br />
Dissoziation als die vorherrschenden<br />
Folgen traumatischer Erfahrungen sind<br />
• aus psychiatrischer Sicht (eindeutig)<br />
psychopathologische Phänomene. Die durch die<br />
seelischen Verwundungen gesetzten Schäden sind<br />
pathologische Veränderungen.<br />
• Sie sind aber auch Resultat individuellen<br />
Überlebenswillens und daher aus der Perspektive der<br />
Person („Subjektlogik“) sinnvolle Strategien <strong>zur</strong><br />
Wahrung der persönlichen Autonomie (W. OETJEN)<br />
Psychopathologie oder<br />
Anpassungsleistung <br />
• Im Ergebnis macht das keinen Unterschied:<br />
In jedem Fall sind sie leidvolle, entwicklungsbehindernde,<br />
teilhabebeeinträchtigende,<br />
dysfunktionale Äußerungsformen von Menschen,<br />
deren therapeutische Beeinflussung hilfreich, sinnvoll<br />
und notwendig ist<br />
Vor allem sollte daraus keine Grundsatzfrage<br />
entstehen, die möglicherweise die<br />
Inanspruchnahmen von Hilfesystemen blockiert
Psychopathologie oder<br />
Anpassungsleistung <br />
• Im Übrigen:<br />
Übernahme der „Krankenrolle“ bedeutet neben der<br />
individuellen Verpflichtung, wieder gesund zu<br />
werden, auch die gesellschaftliche Verpflichtung<br />
<strong>zur</strong> Hilfeleistung<br />
• und zwar in allen Sozialsystemen<br />
Krankenbehandlung SGB V,<br />
Jugendhilfe/Hilfe <strong>zur</strong> Erziehung SGB VIII,<br />
Eingliederungshilfe für Behinderte SGB XII/SGB IX,<br />
Pflegeversicherung SGB XI<br />
Reaktionen auf schwere Belastungen und<br />
Anpassungsstörungen (F43)<br />
Definition der ICD-10<br />
„Die Störungen treten immer als direkte Folge der<br />
akuten schweren Belastung oder des<br />
kontinuierlichen Traumas auf. Das belastende<br />
Ereignis oder die andauernden, unangenehmen<br />
Umstände sind primäre und ausschlaggebende<br />
Kausalfaktoren, und die Störung wäre ohne ihre<br />
Einwirkung nicht entstanden.<br />
Sie können insofern als Anpassungsstörungen bei<br />
schwerer oder kontinuierlicher Belastung angesehen<br />
werden, als sie erfolgreiche Bewältigungsstrategien<br />
behindern und aus diesem Grunde zu Problemen der<br />
<strong>sozialen</strong> Funktionsfähigkeit führen.“<br />
Reaktionen auf schwere Belastungen und<br />
Anpassungsstörungen (F43)<br />
Störungsbilder nach der ICD-10<br />
Dazu gehören folgende Störungsbilder:<br />
• F43.0 Akute Belastungsreaktion<br />
• F43.1 Posttraumatische<br />
Belastungsstörung (PTSD)<br />
• F62.0 Posttraumatische<br />
Persönlichkeitsstörungen<br />
• F43.2 Anpassungsstörungen<br />
F43.0 Akute Belastungsreaktion<br />
• Definition:<br />
• Akute Reaktion auf eine außergewöhnliche physische oder<br />
psychische Belastung;<br />
• Abklingen innerhalb von Stunden oder Tagen<br />
• Symptomatik: Gemischtes und wechselndes Bild von<br />
• Betäubung (Bewußtseinengung, reduzierte Aufmerksamkeit,<br />
Orientierungslosigkeit, fehlende Reaktion auf Reize<br />
• Unruhezuständen, Überaktivität<br />
(mit Fluchtreaktion, Weglaufen)<br />
• Vegetative Zeichen panischer Angst<br />
(Herzrasen, Schweißausbrüche)<br />
• evtl. Erinnerungsverlust<br />
• Menschen mit GB: Plötzliche Veränderungen (Stimmung,<br />
Verhalten, Aktivität)
F43.1<br />
Posttraumatische Belastungsstörung<br />
• Definition:<br />
• Erlebnis einer Situation außergewöhnlicher Bedrohung oder<br />
katastrophalen Ausmaßes<br />
• verzögerte Reaktion auf dieses belastende Ereignis<br />
• Symptomatik: Gemischtes und wechselndes Bild von<br />
• wiederholtes (Teil-) Erleben des Traumas (Nachhallerinnerungen,<br />
in Träumen) (Intrusionen)<br />
• Gefühl des Betäubtseins (Stumpfheit, Teilnahmslosigkeit, Rückzug,<br />
Anhedonie) (Konstriktionen)<br />
• Vermeidungsverhalten und Ängste vor erinnernden Situationen<br />
und Stichworten; Dissoziative Zustände<br />
• allg. vegetative Übererregbarkeit (mit Vigilanzsteigerung<br />
Schreckhaftigkeit, Reizbarkeit, diffuse Ängste, Schlafstörungen,<br />
Panikreaktionen, schwere Aggressionen) (Hyperarousal)<br />
• Suizidalität; Drogenkonsum<br />
• Menschen mit GB: insbes. Vermeidungsverhalten; Verlust von<br />
Fähigkeiten, schwere Aggressivität<br />
F43 Reaktionen auf schwere Belastungen und Anpassungsstörungen<br />
Verhaltensauffälligkeiten, Komorbiditäten und<br />
nachfolgende Störungen (Traumafolgestörungen)<br />
• Verhaltensauffälligkeiten<br />
• Impulsivität, Affektlabilität, Beziehungs- und<br />
Kontaktstörungen einschl. sexueller Störungen,<br />
Depressivität<br />
• Psychische Störungen<br />
• depressive Störungen<br />
• Angststörungen<br />
• dissoziative Störungen<br />
• Somatisierungsstörungen und Schmerzsyndrome<br />
• Persönlichkeitsstörungen (insbes. Boderline-P.)<br />
• Sucht<br />
F62.0 Andauernde<br />
Persönlichkeitsänderung nach<br />
Extrembelastung<br />
Definition:<br />
• andauerndes Ausgesetztsein lebensbedrohlicher Situationen,<br />
etwa als Opfer von Terrorismus; andauernde Gefangenschaft<br />
mit unmittelbarer Todesgefahr; Folter; Katastrophen;<br />
Konzentrationslagererfahrungen<br />
Symptomatik<br />
• feindliche oder misstrauische Haltung gegenüber der Welt<br />
• Entfremdungsgefühle ( Derealisation; Depersonalisation)<br />
• sozialer Rückzug; eingeschränkte soziale Funktionsfähigkeit<br />
• Gefühle der Leere oder Hoffnungslosigkeit<br />
• chronisches Gefühl der Anspannung wie bei ständigem<br />
Bedrohtsein; „Nervosität“<br />
• Autodestruktive Prozesse und selbstverletzende<br />
Verhaltensweisen (hochrisikoreiche Lebensweisen;<br />
Drogenmißbrauch; Essstörungen)<br />
F43 Reaktionen auf schwere Belastungen und Anpassungsstörungen<br />
Verhaltensauffälligkeiten, Komorbiditäten und<br />
nachfolgende Störungen (Traumafolgestörungen)<br />
Bei Menschen mit geistiger Behinderung (1)<br />
• Verhaltensauffälligkeiten<br />
• Depressive Verstimmung, Rückzug, Verweigerungshaltung,<br />
Selbstisolation<br />
• ungewöhnliche („bizarre“) Kontaktgestaltung, Schreianfälle,<br />
regressive Phänomene, reduzierte soziale Kompetenzen<br />
• Schlafstörungen, Essstörungen, Kopfschmerzen, Schwindel<br />
• sexualisierte Verhaltensweisen<br />
• schwere expansiv-aggressive, gewalttätige und autoaggressive<br />
Verhaltensweisen („herausforderndes Verhalten“)<br />
• Zunahme der Anfallsfrequenz bei Epileptikern<br />
(Mod. n. ROTHE-KIRCHBERGER 2004)
F43 Reaktionen auf schwere Belastungen und Anpassungsstörungen<br />
Verhaltensauffälligkeiten, Komorbiditäten und<br />
nachfolgende Störungen (Traumafolgestörungen)<br />
F43.2 Anpassungsstörung<br />
Bei Menschen mit geistiger Behinderung (2)<br />
• Psychische Störungen<br />
• psychotische Störungen<br />
• depressive Störungen<br />
• emotional-instabile Persönlichkeitsstörungen (Borderline-P.)<br />
• andauernde Persönlichkeitsveränderungen (i.S. F62.0)<br />
• Reduzierung der intellektuellen Fähigkeiten<br />
• Sucht<br />
• Definition:<br />
• längerdauernde Zustände von subjektivem Leiden und<br />
emotionaler Beeinträchtigung, die soziale Funktionen und<br />
Leistungen behindern und die während des<br />
Anpassungsprozesses<br />
-> nach einer entscheidenden Lebensveränderung,<br />
-> nach einem belastenden Lebensereignis oder auch<br />
-> nach schwerer körperlicher Krankheit<br />
auftreten<br />
F43.2 Anpassungsstörung<br />
Epidemiologie der Reaktionen auf schwere<br />
Belastungen und Anpassungsstörungen (F43) (1)<br />
(KAPFHAMMER 2000)<br />
• Symptomatik:<br />
• depressive Stimmung; Ängste, Besorgnis<br />
• ”Lähmungsgefühl” (betr. Aktivität und Leistung, alltägliche<br />
Bewältigung)<br />
• Gefühl zu ”explodieren”, ”es nicht mehr auszuhalten”<br />
• aggressives oder dissoziales Verhalten<br />
• regressive Phänomene<br />
• Menschen mit GB:<br />
• depressive Stimmung, Ängste, Besorgnis; Rückzug<br />
• Verlust von Fähigkeiten<br />
• Anspannung, plötzliche Erregungszustände<br />
• aggressives, impulsives Verhalten<br />
• …<br />
• Punktprävalenz PTSD in den USA 5 und 10%<br />
• Lebenszeitprävalenz für PTSD zwischen 10 und 18% für<br />
Frauen und zwischen 5 und 10% für Männer<br />
• 50-70% mit F43 entwickeln komorbide Störungen<br />
• 16,5% der geistig behinderten Klienten eines<br />
spezialisierten Dienstes (RYAN 1994)
4. Störungsbilder<br />
(Traumafolgestörungen)<br />
Ergebnisse<br />
• Die Psychiatrie unterscheidet zwischen<br />
Traumafolgestörungen und den sog.<br />
Anpassungsstörungen (im Verlauf von<br />
akuten und dauerhaften Belastungen)<br />
• Menschen mit geistiger Behinderung<br />
zeigen – beim genauen Hinsehen (<br />
Diagnostik) – sehr ähnliche<br />
Symptomatiken<br />
5.<br />
Probleme der Diagnostik<br />
• Psychiatrische Diagnostik kann sich<br />
immer nur auf verbale Mitteilungen<br />
(Klient, Angehörige, Betreuer) und auf<br />
Verhaltensbeobachtungen (direkt,<br />
Fremdberichte; standardisiert oder<br />
„frei“) stützen.<br />
Diagnostik posttraumatischer<br />
Störungsbilder und der<br />
Traumafolgestörungen (1)<br />
• Nachweis belastender/traumatisierender<br />
Lebensereignisse und Einschätzung ihrer Qualität und<br />
Quantität häufig verbunden mit signifikantem Einbruch<br />
in die Kontinuität der Lebensentwicklung und mit<br />
nachhaltigen Entwicklungsblockaden<br />
(Sorgfältige Anamnese, Biografiearbeit,<br />
„Rehistorisierung“)<br />
• Klinisch-psychiatrische Untersuchung (Symptomatologie<br />
und ihre „Ausgestaltung“ bei Menschen mit geistiger<br />
Behinderung), der zusätzlichen („komorbiden“) und der<br />
Traumafolgestörungen<br />
(Exploration und Verhaltensbeobachtung)<br />
Diagnostik posttraumatischer<br />
Störungsbilder und der<br />
Traumafolgestörungen (2)<br />
• Qualität der Kontaktgestaltung und der<br />
Beziehungsfähigkeiten; Beachtung von<br />
Übertragungsphänomene<br />
(Psychischer Befund und Fremdberichte)<br />
• Verhaltensanalyse bei Verdacht auf Triggersituationen<br />
(nur möglich in Betreuungskontexten)<br />
Bedeutende Rolle von Mitarbeitern in den<br />
betreuenden Kontexten!
6.<br />
Probleme der Therapie, Begleitung<br />
und Betreuung<br />
„Ohne Diagnostik keine<br />
Therapie!“<br />
Standard der Psychiatrie:<br />
Multimodales Therapiekonzept<br />
Therapeutisch wirksame Interventionen<br />
• auf verschiedenen Ebenen<br />
(Klient, Herkunftsfamilie, Mitarbeitergruppe, Umfeld)<br />
• mit unterschiedlichen Methoden<br />
(körperlich-medizinische, psychologische, heil-<br />
/sozialpädagogische, soziale)<br />
• in verschiedenen Settings (in der Klinik, im Heim,<br />
ambulant)<br />
Interdisziplinarität und<br />
Multiprofessionalität<br />
Grundsätzliche therapeutische<br />
Strategien bei posttraumatischen<br />
Störungen<br />
• Stabilisierung (Voraussetzung für alle<br />
nächsten Stufen)<br />
• Spezielle Traumatherapie<br />
(„Traumabearbeitung“)<br />
• <strong>Rehabilitation</strong> und Re-Integration,<br />
Normalisierung<br />
Heil-Pädagogische Strategien<br />
Stabilisierung<br />
• Beziehungsgestaltung<br />
„eine wohlwollende, Sicherheit spendende Beziehung<br />
anbieten“,<br />
„brachliegende Ressourcen reaktivieren, neue<br />
Kompetenzen aufbauen und das Selbstbild in eine<br />
positive Richtung beeinflussen“ (SENCKEL 2008)<br />
• Heranführen an angenehme, positive, entlastende<br />
Zustände (evtl. mit imaginativen Techniken)<br />
• Körperliche Stabilisierung (Pflege, Bewegung,<br />
Ausdruck, Ernährung, Selbstwahrnehmung, Grenzen<br />
kennen und stärken)
Heil-Pädagogische Strategien<br />
Gestaltung des Betreuungsalltags<br />
nach therapeutischen Prinzipien<br />
• Therapeutisch heißt:<br />
Begleitung, Umgang, Unterstützung nach Prinzipien, die sich aus<br />
dem spezifischen Störungsbild eines Menschen ableiten,<br />
um ihm zum<br />
Abbau destruktiver, schädlicher, leidender, schmerzhafter<br />
Lebensäußerungen zu verhelfen,<br />
und ihm dadurch zu ermöglichen, unter den gegebenen<br />
Verhältnissen hinreichend zufrieden zu leben.<br />
• Therapeutisch heißt auch, dass dieses Angebot zielorientiert<br />
angelegt sein muss und spätestens dann beendet wird, wenn<br />
eben das Ziel der Wiedereingliederung in normalisierte<br />
Lebensräume möglich erscheint.<br />
Heil-Pädagogische Strategien<br />
Gestaltung des Betreuungsalltags<br />
nach therapeutischen Prinzipien<br />
• Schutz vor und Vermeidung von Triggern<br />
(Prävention von Re-Traumatisierung)<br />
• Stressreduktion bei geringen/fehlenden<br />
Copingstrategien und individuellen<br />
Regulationsmöglichkeiten<br />
• Reframing: das Verhalten ist nicht primär<br />
behinderungsbedingt, sondern …<br />
• Biographiearbeit, Rehistorisierung: „Wir schreiben<br />
unsere Lebensgeschichte ständig neu!“ (<br />
Traumaexposition!)<br />
Betreuende Mitarbeiter sind keine<br />
Therapeuten!<br />
• Mitarbeiter der Behindertenhilfe sind<br />
(selbstverständlich) keine professionellen<br />
Therapeuten<br />
sondern Menschen mit besonderer<br />
Professionalität<br />
( Fähigkeiten und Fertigkeiten im Umgang mit/in der<br />
Begleitung von Menschen mit ganz besonderen<br />
Bedürfnissen und Problemen)<br />
Daher <br />
Heil-Pädagogische Strategien<br />
Gestaltung des Betreuungsalltags<br />
nach therapeutischen Prinzipien<br />
Reaktivierung alter Tugenden der<br />
Fürsorge<br />
• Die Lebensprobleme von traumatisierten Menschen<br />
mit geistiger Behinderung sind mit den Konzepten<br />
der primären Sinnhaftigkeit von Verhalten<br />
(„Menschen sind so wie sie sind und haben ein<br />
Recht darauf, so zu sein“) allein nicht zu<br />
bewältigen.<br />
• Es wäre unredlich, helfende und heilende Konzepte<br />
als gegen die Selbstbestimmung gerichtete,<br />
fremdbestimmende Einflussnahmen zu verstehen<br />
und damit zu diskreditieren.
Heil-Pädagogische Strategien<br />
Gestaltung des Betreuungsalltags<br />
nach therapeutischen Prinzipien<br />
Wider die Einrichtung von Spezialgruppen<br />
als Dauerwohngruppen (Intensivgruppen,<br />
Gruppen für „Doppeldiagnosen“ u.a.), weil …<br />
• Verzicht auf „Diagnostik“:<br />
Wie ist das Problem entstanden und wie ist es zu<br />
verstehen<br />
• Verzicht auf Therapie:<br />
Wie könnte es verändert werden<br />
• Verzicht auf Förderung:<br />
Wie können wir die weitere Entwicklung besser<br />
unterstützen<br />
Therapeutische Wohngruppen mit zeitlich<br />
begrenztem Aufenthalt<br />
Heil-Pädagogische Strategien<br />
Voraussetzungen (1)<br />
Qualifizierung der Betreuungssituation<br />
• Ausbildungsstand der Mitarbeiter, ihre<br />
Haltungen und Einstellungen <strong>zur</strong> Klientel und<br />
zum Beruf („Sachkompetenz“)<br />
• Qualifizierte fall- und/oder teamorientierte<br />
Supervision („Selbstreflexion“,<br />
Selbstfürsorge“)<br />
• Ausreichende Personalbemessung<br />
Heil-Pädagogische Strategien<br />
Voraussetzungen (2)<br />
Qualifizierung der Betreuungssituation<br />
• Hinreichende sachlich-räumliche Ausstattung<br />
• Gruppenbelegung und Wahlmöglichkeiten<br />
• Bedarfsangemessene soziale Infrastruktur<br />
• Reflexion der Betreuungsphilosophie<br />
• Funktionierende Kooperation mit<br />
qualifizierten psychiatrischen und<br />
psychotherapeutisch-psychologischen<br />
Fachdiensten<br />
Heil-Pädagogische Strategien<br />
Voraussetzungen (3)<br />
• Intensivierung der Problemanzeigen, d.h.<br />
verstärkte Inanspruchnahme psychiatrischpsychologischer<br />
Kompetenz<br />
( diese Fachdisziplinen sind fachlich und ethisch dazu<br />
verpflichtet, Hypothesen anzubieten und praktikable<br />
Lösungsvorschläge zu machen; Interdisziplinarität und<br />
Multiprofessionalität)<br />
• Sozial- und versorgungspolitische<br />
Forderungen mehr als praktische<br />
Handlungskonzepte<br />
( Hinweise auf die nach wie vor defizitäre Situation im<br />
psychiatrischen und psychotherapeutischen Versorgungssystem)
Zusammenfassung<br />
Die drängende, noch weitgehend<br />
ungelöste Problematik der vielen<br />
traumatisierten Menschen mit geistiger<br />
Behinderung<br />
(mit ihren teilweise extremen<br />
Verhaltensauffälligkeiten und<br />
psychischen Leidensformen)<br />
zwingt uns dazu,<br />
Zusammenfassung<br />
1. bessere, funktionierende, effektive<br />
interdisziplinäre Kooperationsformen „in<br />
Augenhöhe“ zu entwickeln und die<br />
jeweiligen Ressourcen zu nutzen<br />
(z.B. Erkenntnisse der Traumatologie und der<br />
Traumatherapie auch für Menschen mit<br />
geistiger Behinderung)<br />
Zusammenfassung<br />
2. einige Betreuungsgrundsätze (und<br />
Versorgungskonzepte) in der<br />
Behindertenhilfe zu überdenken<br />
• Selbstbestimmung + Normalisierung +<br />
Fürsorge + Hilfe!<br />
• <strong>Rehabilitation</strong>sauftrag der Behindertenhilfe<br />
(Professionalisierung) einfordern<br />
Zusammenfassung<br />
3. „klinische“ und wissenschaftliche<br />
Anstrengungen der Medizin, Psychologie<br />
und Heilpädagogik zu intensivieren<br />
(Theorie, Forschung, klinische<br />
Versorgung) <strong>zur</strong> Qualifizierung von<br />
PsychiaterInnen und PsychologInnen,<br />
HeilpädagogInnen und<br />
HeilerziehungspflegerInnen
Ich danke Ihnen für Ihre<br />
Aufmerksamkeit !