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George Herbert Mead - Lehrstuhl Prof. Dr. Armin Nassehi

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<strong>Armin</strong> <strong>Nassehi</strong><br />

Institut für Soziologie<br />

Vorlesung<br />

Soziologische Theorie<br />

SoSe 2012<br />

Mo 1015-1145 Uhr, AudiMax<br />

6. Mai 2012<br />

<strong>George</strong> <strong>Herbert</strong> <strong>Mead</strong>:<br />

Gesellschaft als universe of discourse/Soziologie als<br />

Verhaltenswissenschaft<br />

<strong>Prof</strong>. <strong>Dr</strong>. <strong>Armin</strong> <strong>Nassehi</strong> Seite 1


<strong>Armin</strong> <strong>Nassehi</strong><br />

Institut für Soziologie<br />

<strong>Armin</strong> <strong>Nassehi</strong>:<br />

Soziologie. Zehn einführende Vorlesungen<br />

2. Aufl.<br />

Wiesbaden: VS-Verlag 2011.<br />

Hans Joas/Wolfgang Knöbl:<br />

Sozialtheorie. Zwanzig einführende Vorlesungen<br />

Aktualisierte Auflage<br />

Frankfurt/M./Berlin: Suhrkamp 2004.<br />

<strong>Prof</strong>. <strong>Dr</strong>. <strong>Armin</strong> <strong>Nassehi</strong> Seite 2


Kursbuch 170 Krisen lieben<br />

<strong>Armin</strong> <strong>Nassehi</strong><br />

Institut für Soziologie<br />

Kursbuch 170<br />

Krisen lieben<br />

Sven Murmann Vorwort • <strong>Armin</strong> <strong>Nassehi</strong>, Peter Felixberger<br />

Ein Anfang • HenningMarmulla 1965/ 2012 • <strong>Armin</strong> <strong>Nassehi</strong><br />

Der Ausnahmezustand als Normalfall • Dietmar Dath<br />

Legitimiert euch doch selbst! •Werner PlumpeOhne Krisen<br />

keine Harmonie • Gunter Dueck Ich hasse Krisen • Romuald<br />

HazoumèEuropa in der Krise •Daniela Roth Kanisterkunst<br />

Jasmin Siri Krise organisieren • Florian Rötzer Medien in<br />

der Krise • Wolfgang Schmidbauer Krisen der Psychotherapie<br />

• Katja Mellmann Literatur alsKrisenerzählung • Kathrin<br />

Röggla Frühjahrstagung, Herbsttagung<br />

Das Kursbuch ist wieder da, hg. von <strong>Armin</strong> <strong>Nassehi</strong><br />

Vorzugsabo für Studierende:<br />

<strong>Dr</strong>ei Ausgaben/Jahr € 36,- (statt € 44,-)<br />

Zu beziehen über<br />

www.kursbuch-online.de<br />

MURMANN Februar 2012 € 19,– / sFr. 27.–<br />

<strong>Prof</strong>. <strong>Dr</strong>. <strong>Armin</strong> <strong>Nassehi</strong> Seite 3


<strong>Armin</strong> <strong>Nassehi</strong><br />

Institut für Soziologie<br />

Programm<br />

16.04.<br />

Die Vorgeschichte: Rousseau, Hobbes, Hegel und Marx<br />

Die Erfindung der bürgerlichen Gesellschaft und ihre Kritik<br />

Georg Wilhelm Friedrich Hegel: Grundlinien der Philosophie des Rechts, Werke, Band 7, Frankfurt/M. 1970, §§ 182-<br />

188, S. 339-346; Karl Marx: Zur Kritik der Hegelschen Rechtsphilosophie. Einleitung, in: Marx-Engels-Werke, Band<br />

1, Berlin (DDR) 1969, S. 378-391.<br />

23.04.<br />

Emile Durkheim:<br />

Gesellschaft als integrierte Einheit/Soziologie als Moralwissenschaft<br />

Emile Durkheim: Über die Teilung der sozialen Arbeit, Frankfurt/M. 1977, S. 152-173 und 437-450. Emile Durkheim:<br />

Regeln der soziologischen Methode, Neuwied 1961, S. 115-128.<br />

<strong>Prof</strong>. <strong>Dr</strong>. <strong>Armin</strong> <strong>Nassehi</strong> Seite 4


<strong>Armin</strong> <strong>Nassehi</strong><br />

Institut für Soziologie<br />

30.04.<br />

Max Weber:<br />

Soziologie ohne Gesellschaft<br />

Max Weber: Über einige Kategorien der verstehenden Soziologie, in: ders.: Schriften 1894-1922, ausgew. v. Dirk Käsler,<br />

Stuttgart 2002, S. 275-313.<br />

07.05.<br />

<strong>George</strong> <strong>Herbert</strong> <strong>Mead</strong>:<br />

Gesellschaft als universe of discourse/Soziologie als Verhaltenswissenschaft<br />

<strong>George</strong> <strong>Herbert</strong> <strong>Mead</strong>: Geist, Identität und Gesellschaft. Hrsg. von Charles W. Morris. Frankfurt/M. 1992, S. 194-221 und<br />

230-265.<br />

14.05.<br />

Theodor W. Adorno/Max Horkheimer:<br />

Gesellschaft als das unwahre Ganze/Soziologie als kritische Theorie<br />

Theodor W. Adorno: Soziologische Schriften I, in: ders.: Gesammelte Schriften. Band 8, Darmstadt 1998, S. 9-19.<br />

<strong>Prof</strong>. <strong>Dr</strong>. <strong>Armin</strong> <strong>Nassehi</strong> Seite 5


<strong>Armin</strong> <strong>Nassehi</strong><br />

Institut für Soziologie<br />

21.05.<br />

Talcott Parsons:<br />

Gesellschaft als politische Einheit/Soziologie als Theorie sozialer Systeme<br />

Talcott Parsons: Das System moderner Gesellschaften, München 1972, S. 12-42.<br />

28.05. Pfingstmontag<br />

04.06. keine Vorlesung<br />

11.06.<br />

Alfred Schütz/Peter Berger/Thomas Luckmann:<br />

Gesellschaft als Lebenswelt/Soziologie als Phänomenologie und Anthropologie<br />

Alfred Schütz/Thomas Luckmann: Die Lebenswelt des Alltags und die natürliche Einstellung, in: dies.: Strukturen der<br />

Lebenswelt. Band 1, Frankfurt/M. 2003, S. 29-50.<br />

18.06.<br />

Jürgen Habermas:<br />

Gesellschaft als System und Lebenswelt/Soziologie als Aufklärungsprojekt<br />

Jürgen Habermas: Der normative Gehalt der Moderne, in: ders.: Der philosophische Diskurs der Moderne. Zwölf<br />

Vorlesungen, Frankfurt/M. 1985, S. 390-425.<br />

<strong>Prof</strong>. <strong>Dr</strong>. <strong>Armin</strong> <strong>Nassehi</strong> Seite 6


<strong>Armin</strong> <strong>Nassehi</strong><br />

Institut für Soziologie<br />

25.06.<br />

Niklas Luhmann:<br />

Gesellschaft ohne Zentrum und Spitze/Soziologie als Aufklärung<br />

Niklas Luhmann: Das Moderne der modernen Gesellschaft, in: ders.: Beobachtungen der Moderne, Opladen 1992, S. 11-<br />

49.<br />

02.07.<br />

Pierre Bourdieu:<br />

Gesellschaft als Distinktionsraum/Soziologie als (Selbst-)Aufklärung<br />

Pierre Bourdieu: Leçon sur la leçon, in: ders.: Sozialer Raum und ‘Klassen’. Leçon sur la leçon. Zwei Vorlesungen,<br />

Frankfurt/M. 1985, S. 49-81.<br />

09.07.<br />

Bruno Latour:<br />

Gesellschaft posthumaner Kollektive/Soziologie als Theorie hybrider Akteure<br />

Bruno Latour: Wir sind nie modern gewesen. Versuch einer symmetrischen Anthropologie, Berlin 1995, S. 174-193<br />

16.07.<br />

Klausur<br />

<strong>Prof</strong>. <strong>Dr</strong>. <strong>Armin</strong> <strong>Nassehi</strong> Seite 7


<strong>Armin</strong> <strong>Nassehi</strong><br />

Institut für Soziologie<br />

Weitere Informationen:<br />

Die Texte werden in den Hauptfachtutorien bearbeitet und sollen von allen sonstigen Teilnehmerinnen und Teilnehmern<br />

der Vorlesung mitgelesen werden.<br />

Die Anmeldeformalitäten für die Klausur bzw. für die Anmeldung zu den Theorie II-Veranstaltungen werden im Laufe<br />

der Vorlesung erläutert.<br />

Sonntags ab spätestens 23.00 Uhr (meist früher) lassen sich die Folien des darauf folgenden Montags von der<br />

Homepage des <strong>Lehrstuhl</strong>s herunterladen (www.nassehi.de).<br />

<strong>Prof</strong>. <strong>Dr</strong>. <strong>Armin</strong> <strong>Nassehi</strong> Seite 8


<strong>Armin</strong> <strong>Nassehi</strong><br />

Institut für Soziologie<br />

<strong>George</strong> <strong>Herbert</strong> <strong>Mead</strong> (1863-1931)<br />

Philosophie der Sozialität<br />

(Frankfurt/M.: Suhrkamp 1969)<br />

S.57: Es ist der Sinngehalt (import) der Gegenwart, wonach wir<br />

suchen, und diesen können wir nur in der Vergangenheit finden,<br />

nach welcher die Einzigartigkeit der Gegenwart verlangt, und in<br />

der Zukunft, zu der nur sie allein führen kann. In einem gewissen<br />

Sinne bringt jede unvergleichliche Gegenwart die Vergangenheit<br />

hervor, welche für ihre Erklärung logisch erforderlich ist. Gerade<br />

der unermessliche Reichtum der Wahrnehmungs-Gegenwart blieb<br />

dem Blicke Hegels verschlossen.<br />

<strong>Prof</strong>. <strong>Dr</strong>. <strong>Armin</strong> <strong>Nassehi</strong> Seite 9


<strong>Armin</strong> <strong>Nassehi</strong><br />

Institut für Soziologie<br />

Die Welt als Ganzes zu sehen heißt, diesen Sinngehalt zu begreifen,<br />

soweit er in uns liegt. Alle experimentellen Feststellungen sind<br />

in Wahrnehmungs-Gegenwarten verankert, und diese sind die letzten<br />

Prüfsteine sämtlicher Theorien; es sind die unvorhersehbaren<br />

Lösungen ihrer Probleme, mit denen die Zukunft sich entfaltet.<br />

_____________________________________________________<br />

S.229: Das Thema dieses Vortrages steckt in der These, dass<br />

Realität in einer Gegenwart existiert. Die Gegenwart impliziert<br />

natürlich eine Vergangenheit und eine Zukunft, und von beiden<br />

sagen wir, dass sie nicht existieren. (...)<br />

Denn was eine Gegenwart kennzeichnet, ist ihr Entstehen und ihr<br />

Vergehen. Während das Aufblitzen eines Meteors in unserer eigenen<br />

aktuellen Gegenwart „passiert“, ist es ganz und gar gegen-<br />

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<strong>Armin</strong> <strong>Nassehi</strong><br />

Institut für Soziologie<br />

wärtig, wenn auch nur für den Bruchteil einer Minute. Diesen<br />

Bruchteil einer Minute in den Gesamtprozess auszudehnen, von<br />

dem er ein Bruchteil ist, und ihm eine ebenso verbindliche Existenz<br />

zuzusprechen, wie sie das Aufblitzen in der Erfahrung besitzt, hieße<br />

seinen Ereignis-Charakter aufzuheben. Eine solche allumfassende<br />

Existenz wäre keine ewige Gegenwart, denn es wäre überhaupt<br />

keine Gegenwart, noch wäre es überhaupt eine Existenz. Denn eine<br />

parmenideische Realität gibt es nicht. Existenz impliziert Nicht-<br />

Existenz; sie findet statt. Die Welt ist eine Welt von Ereignissen.<br />

<strong>Prof</strong>. <strong>Dr</strong>. <strong>Armin</strong> <strong>Nassehi</strong> Seite 11


<strong>Armin</strong> <strong>Nassehi</strong><br />

Institut für Soziologie<br />

S. 278: Das Auftreten jedes neuen Lebewesens führt – wenn es<br />

überlebt – zu einer Reaktion in der Gemeinschaft (der Tiere) auf<br />

der Wiese oder im Wald. Wenn das neue Lebewesen sich als Mitglied<br />

(dieser Gemeinschaft) durchgesetzt hat, dann kann der Botaniker<br />

die wechselseitigen Anpassungsprozesse feststellen, die<br />

dabei stattgefunden haben. Die Welt ist aufgrund der Ankunft des<br />

neuen Lebewesens eine andere Welt geworden; doch dieses Resultat<br />

mit Sozialität zu identifizieren, hieße Sozialität mit System an<br />

sich gleichzusetzen. Es ist vielmehr das Stadium genau zwischen<br />

<strong>Prof</strong>. <strong>Dr</strong>. <strong>Armin</strong> <strong>Nassehi</strong> Seite 12


<strong>Armin</strong> <strong>Nassehi</strong><br />

Institut für Soziologie<br />

dem alten und dem neuen System, welches ich hier meine. Wenn<br />

Entstehung ein Merkmal der Realität ist, dann muss auch diese<br />

Phase der Anpassung ein Merkmal der Realität sein, die zwischen<br />

dem geordneten Universum liegt, wie es war, bevor das Neue entstand,<br />

und dem Universum, wie es ist, nachdem es sich mit dem<br />

Neuen arrangiert hat.<br />

______________________________________________________<br />

Geist, Identität und Gesellschaft (Suhrkamp: Frankfurt 1973)<br />

S.45 f: Vielmehr gehen wir von einem gesellschaftlichen Ganzen,<br />

einer komplexen Gruppenaktivität aus, innerhalb derer wir (als einzelne<br />

Elemente) das Verhalten jedes einzelnen Individuums analysieren.<br />

Das heißt also, dass wir das Verhalten des Individuums im<br />

<strong>Prof</strong>. <strong>Dr</strong>. <strong>Armin</strong> <strong>Nassehi</strong> Seite 13


<strong>Armin</strong> <strong>Nassehi</strong><br />

Institut für Soziologie<br />

Hinblick auf das organisierte Verhalten der gesellschaftlichen<br />

Gruppe erklären, anstatt das organisierte Verhalten der gesellschaftlichen<br />

Gruppe aus der Sicht des Verhaltens der einzelnen<br />

Mitglieder erklären zu wollen. Für die Sozialpsychologie ist das<br />

Ganze (die Gesellschaft) wichtiger als der Teil (das Individuum),<br />

nicht der Teil wichtiger als das Ganze; der Teil wird im Hinblick<br />

auf das Ganze, nicht das Ganze im Hinblick auf den Teil oder die<br />

Teile erklärt. Die gesellschaftliche Handlung ist nicht schon dadurch<br />

erklärt, dass man sie aus Reiz und Reaktion aufbaut; sie muss<br />

als ein dynamisches Ganzes – als etwas in Fluss Befindliches – angesehen<br />

werden, von dem kein Teil in sich allein betrachtet oder<br />

verstanden werden kann – ein komplexer organischer Prozess, der<br />

in allen individuellen Reizen und Reaktionen stillschweigend mit<br />

inbegriffen ist.<br />

<strong>Prof</strong>. <strong>Dr</strong>. <strong>Armin</strong> <strong>Nassehi</strong> Seite 14


<strong>Armin</strong> <strong>Nassehi</strong><br />

Institut für Soziologie<br />

S.56: Wir werden vielmehr zu dem Schluss gezwungen, dass Bewusstsein<br />

das Produkt solchen Verhaltens ist. Anstatt eine Voraussetzung<br />

für gesellschaftliches Handeln zu sein, ist das gesellschaftliche<br />

Handeln eine Voraussetzung für Bewusstsein. Der Mechanismus<br />

des gesellschaftlichen Handelns kann nachgezeichnet werden,<br />

ohne dass man den Begriff eines Bewusstseins als eines gesonderten<br />

Elements innerhalb dieser Handlung einführen müsste. Die gesellschaftliche<br />

Handlung ist demnach in ihren einfacheren Phasen<br />

oder Formen ohne irgendeine Form des Bewusstseins möglich und<br />

kann sich außerhalb seiner abspielen.<br />

<strong>Prof</strong>. <strong>Dr</strong>. <strong>Armin</strong> <strong>Nassehi</strong> Seite 15


<strong>Armin</strong> <strong>Nassehi</strong><br />

Institut für Soziologie<br />

Philosophie der Sozialität, a.a.O.<br />

S.84: Eine soziale Handlung kann als eine Handlung definiert werden,<br />

bei der der Anlass oder der Reiz, welcher einen (Handlungs-)<br />

Impuls auslöst, in der Eigenart oder in dem Verhalten eines Lebewesens<br />

zu suchen ist, welches zur spezifischen Umwelt des Lebewesens<br />

gehört, in dem dieser Handlungsimpuls ausgelöst wird. Ich<br />

möchte jedoch (den Begriff) soziale Handlung auf die Klasse von<br />

Handlungen beschränken, die die Kooperation von mehr als einem<br />

Individuum involvieren und deren Objekt – als im Sinne von Bergson<br />

durch die Handlung definiertes Objekt – ein soziales Objekt ist.<br />

(...) Das Ziel (the objective) der Handlung liegt also in dem Lebensprozess<br />

der Gruppe und nicht allein in dem der einzelnen Individuen.<br />

<strong>Prof</strong>. <strong>Dr</strong>. <strong>Armin</strong> <strong>Nassehi</strong> Seite 16


<strong>Armin</strong> <strong>Nassehi</strong><br />

Institut für Soziologie<br />

Vier Handlungphasen nach <strong>Mead</strong><br />

Handlungsimpuls<br />

Wahrnehmung<br />

Manipulation/Handlungshemmung<br />

Handlungsvollzug<br />

Situation mangelnder Anpassung<br />

zwischen Individuum und seiner Welt<br />

kein bloß rezeptives, sondern aktives<br />

und selektives Geschehen des<br />

Wahrnehmenden<br />

Unterbrechung des Handlungsablaufs.<br />

Hier entsteht Bewußtsein.<br />

Tatsächlich ablaufendes Verhalten<br />

<strong>Prof</strong>. <strong>Dr</strong>. <strong>Armin</strong> <strong>Nassehi</strong> Seite 17


<strong>Armin</strong> <strong>Nassehi</strong><br />

Institut für Soziologie<br />

Geist, Identität und Gesellschaft, a.a.O.<br />

S.103: Wenn wir aber annehmen, dass ein vokales Element der<br />

Reiz zu einer bestimmten Antwort ist, dann wird das Tier, das die<br />

vokale Geste verwendet, in sich selbst zumindest die Tendenz ausgelöst<br />

haben, ebenso wie das andere Tier zu reagieren, wenn es das<br />

aus der vokalen Geste entstehende Geräusch hört. Die Tendenz<br />

mag nur sehr schwach sein – der Löwe wird sich kaum merkbar<br />

durch sein eigenes Brüllen schrecken lassen. Das Brüllen schreckt<br />

das angegriffene Tier und wirkt unter bestimmten Umständen auch<br />

als Herausforderung.<br />

<strong>Prof</strong>. <strong>Dr</strong>. <strong>Armin</strong> <strong>Nassehi</strong> Seite 18


<strong>Armin</strong> <strong>Nassehi</strong><br />

Institut für Soziologie<br />

S.104: Bei der vokalen Geste hört das Wesen den von ihm selbst<br />

ausgelösten Reiz genauso, wie wenn sie von anderen Wesen gesetzt<br />

wird. Es tendiert daher dazu, auf seinen eigenen Reiz ebenso zu<br />

reagieren wie auf den, der von anderen ausgelöst wird.<br />

______________________________________________________<br />

S.105: Die vokale Geste ist also wichtiger als alle anderen Gesten.<br />

Wir können uns selbst nicht sehen, wenn unser Gesicht einen bestimmten<br />

Ausdruck annimmt. Aber wir hören uns selbst sprechen<br />

und sind daher zur Aufmerksamkeit fähig. Man hört sich selbst,<br />

wenn man durch einen irritierenden Ton, den man hören lässt, irritiert<br />

wird: man erwischt sich sozusagen selbst. Beim irritierenden<br />

Gesichtsausdruck aber löst der Reiz keinen Ausdruck im Individuum<br />

selbst aus, sondern nur bei den anderen. Weit eher fängt und<br />

kontrolliert man sich in der vokalen Geste als im Mienenspiel.<br />

<strong>Prof</strong>. <strong>Dr</strong>. <strong>Armin</strong> <strong>Nassehi</strong> Seite 19


<strong>Armin</strong> <strong>Nassehi</strong><br />

Institut für Soziologie<br />

S.112 f: Wir sagen, das Tier denkt nicht. Es versetzt sich nicht in<br />

eine Position, für die es verantwortlich ist; es versetzt sich nicht in<br />

die Rolle des anderen und sagt nicht „erwird so und ich werde so<br />

handeln“. Wenn ein Wesen auf diese Weise handeln kann, wenn<br />

die von ihm in sich selbst ausgelöste Haltung für es selbst zu einem<br />

Reiz für eine andere Handlung werden kann, haben wir sinnvolles<br />

Verhalten vor uns. Wo die Reaktion der anderen Person hervorgerufen<br />

wird und zu einem Reiz für die Kontrolle der eigenen<br />

Handlung wird, tritt der Sinn der Handlung der anderen Person in<br />

der eigenen Erfahrung auf. Das ist der allgemeine Mechanismus<br />

des „Denkens“, denn dafür sind Symbole notwendig, in der Regel<br />

vokale Gesten, die im Individuum selbst die gleiche Reaktion wie<br />

in den anderen auslösen, und zwar so, dass es vom Standpunkt<br />

<strong>Prof</strong>. <strong>Dr</strong>. <strong>Armin</strong> <strong>Nassehi</strong> Seite 20


<strong>Armin</strong> <strong>Nassehi</strong><br />

Institut für Soziologie<br />

dieser Reaktion aus in der Lage ist, sein späteres Verhalten zu lenken.<br />

Es setzt nicht nur Kommunikation in dem Sinne voraus, in<br />

dem Vögel und Säugetiere miteinander in Verbindung treten, sondern<br />

auch in dem, dass im Individuum selbst jene Reaktionen ausgelöst<br />

werden, die es in anderen Individuen auslöst. Also eine<br />

Übernahme der Rolle anderer, eine Tendenz, ebenso wie andere<br />

Personen zu handeln. Man nimmt an dem Prozess teil, den die andere<br />

Person ablaufen lässt, und kontrolliert seine Handlung im<br />

Hinblick auf diese Teilnahme. Das ist es, was den Sinn eines Objektes<br />

ausmacht, nämlich die gemeinsame Reaktion der eigenen<br />

Identität und der anderen Person, die wiederum zum Reiz für die<br />

eigene Identität wird.<br />

<strong>Prof</strong>. <strong>Dr</strong>. <strong>Armin</strong> <strong>Nassehi</strong> Seite 21


<strong>Armin</strong> <strong>Nassehi</strong><br />

Institut für Soziologie<br />

S.129 f: Die signifikanten Gesten oder Symbole setzen sich für ihre<br />

Signifikanz immer den gesellschaftlichen Erfahrungs- und Verhaltensprozess<br />

voraus, innerhalb dessen sie sich entwickeln. Der Logiker<br />

würde sagen, dass ein logisches Universum immer als der<br />

Kontext verstanden wird, in dem signifikante Gesten oder Symbole<br />

tatsächlich Signifikanz haben. Dieses logische Universum wird aus<br />

einer Gruppe von Individuen gebildet, die an einem gemeinsamen<br />

gesellschaftlichen Erfahrungs- und Verhaltensprozess teilnehmen, in<br />

dem diese Gesten oder Symbole für alle Mitglieder dieser Gruppe<br />

den gleichen oder einen allen gemeinsamen Sinn haben, ob sie sie<br />

nun setzen und an andere Individuen richten, oder ob sie sichtbar auf<br />

sie reagieren, wenn sie von anderen Individuen gesetzt wurden. Ein<br />

logisches Universum ist einfach ein System gemeinsamer oder<br />

gesellschaftlicher Bedeutungen.<br />

<strong>Prof</strong>. <strong>Dr</strong>. <strong>Armin</strong> <strong>Nassehi</strong> Seite 22


<strong>Armin</strong> <strong>Nassehi</strong><br />

Institut für Soziologie<br />

Gerade die Universalität und das unpersönliche Wesen des Denkens<br />

und der Vernunft ist, aus behavioristischer Sicht, das Ergebnis der<br />

Tatsache, dass das jeweilige Individuum die Haltung anderer sich<br />

selbst gegenüber übernimmt und dass es schließlich alle diese Haltungen<br />

zu einer einzigen Haltung oder einer einzigen Position kristallisiert,<br />

die als die des „verallgemeinerten Anderen“ bezeichnet werden<br />

kann.<br />

_______________________________________________________<br />

S.196: Der grundlegende Unterschied zwischen dem Spiel und dem<br />

Wettkampf liegt darin, dass in letzterem das Kind die Haltung aller<br />

anderen Beteiligten in sich haben muss. Die vom Teilnehmer angenommene<br />

Haltungen der Mitspieler organisiert sich zu einer gewissen<br />

Einheit, und diese Organisation kontrolliert wieder die Reaktion<br />

des Einzelnen. Wir brachten das Beispiel des Baseballspielers. Jede<br />

<strong>Prof</strong>. <strong>Dr</strong>. <strong>Armin</strong> <strong>Nassehi</strong> Seite 23


<strong>Armin</strong> <strong>Nassehi</strong><br />

Institut für Soziologie<br />

seiner eigenen Handlungen wird von den Annahmen über die<br />

voraussichtlichen Handlungen der anderen Spieler bestimmt. Sein<br />

Tun und Lassen wird durch den Umstand kontrolliert, dass er<br />

gleichzeitig auch jedes andere Mitglied der Mannschaft ist,<br />

zumindest insoweit, als diese Haltungen seine eigenen spezifischen<br />

Haltungen beeinflussen. Wir stoßen somit auf ein „anderes“, das eine<br />

Organisation der Haltungen all jener Personen ist, die in den gleichen<br />

Prozess eingeschaltet sind.<br />

Die organisierte Gemeinschaft oder gesellschaftliche Gruppe, die<br />

dem Einzelnen seine einheitliche Identität gibt, kann „der (das)<br />

verallgemeinerte Andere“ genannt werden. Die Haltung dieses<br />

verallgemeinerten Anderen ist die der ganzen Gesellschaft.<br />

<strong>Prof</strong>. <strong>Dr</strong>. <strong>Armin</strong> <strong>Nassehi</strong> Seite 24


<strong>Armin</strong> <strong>Nassehi</strong><br />

Institut für Soziologie<br />

S.218: Das „Ich“ ist die Reaktion des Organismus auf die Haltungen<br />

anderer; das „ICH“ ist die organisierte Gruppe von Haltungen anderer,<br />

die man selbst einnimmt. Die Haltungen der anderen bilden<br />

das organisierte „ICH“, und man reagiert darauf als ein „Ich“.<br />

_______________________________________________________<br />

S.221: Die Trennung von „Ich“ und „ICH“ ist keine Fiktion. Sie sind<br />

nicht identisch, da das „Ich“ niemals ganz berechenbar ist. Das<br />

„ICH“ verlangt nach einem bestimmten „Ich“, insoweit wir die Verpflichtungen<br />

erfüllen, die im Verhalten selbst auftreten, doch ist das<br />

„Ich“ immer ein wenig verschieden von dem, was die Situation selbst<br />

verlangt. So gibt es also immer den Unterschied zwischen „Ich“ und<br />

„ICH“. Das „Ich“ ruft das „ICH“ nicht nur hervor, es reagiert auch<br />

darauf. Zusammen bilden sie eine Persönlichkeit, wie sie in der gesellschaftlichen<br />

Erfahrung erscheint. Die Identität ist im wesentlichen<br />

<strong>Prof</strong>. <strong>Dr</strong>. <strong>Armin</strong> <strong>Nassehi</strong> Seite 25


<strong>Armin</strong> <strong>Nassehi</strong><br />

Institut für Soziologie<br />

ein gesellschaftlicher Prozess, der aus diesen beiden unterscheidbaren<br />

Phasen besteht. Gäbe es diese beiden Phasen nicht, so gäbe es<br />

keine bewusste Verantwortung und auch keine neuen Erfahrungen.<br />

_______________________________________________________<br />

S.243 f: Man muss die Haltung der anderen in einer Gruppe einnehmen,<br />

um einer Gemeinschaft anzugehören; man muss diese<br />

äußere gesellschaftliche Welt einsetzen, die man in sich selbst<br />

hereingenommen hat, um denken zu können. Dank der Beziehung zu<br />

anderen in dieser Gemeinschaft, dank den rationalen gesellschaftlichen<br />

Prozessen, die in dieser Gemeinschaft ablaufen, existiert man<br />

als Bürger. Andererseits reagiert der Einzelne ständig auf die gesellschaftlichen<br />

Haltungen und ändert in diesem kooperativen Prozess<br />

eben jene Gemeinschaft. Diese Veränderungen können bescheiden<br />

und trivial sein. Man hat vielleicht wenig zu sagen, obwohl man sehr<br />

<strong>Prof</strong>. <strong>Dr</strong>. <strong>Armin</strong> <strong>Nassehi</strong> Seite 26


<strong>Armin</strong> <strong>Nassehi</strong><br />

Institut für Soziologie<br />

lange dazu braucht. Trotzdem findet eine gewisse Anpassung und<br />

neuerliche Anpassung statt. Wir bezeichnen eine Person als konventionelles<br />

Wesen; ihre Ideen entsprechen genau denjenigen ihrer<br />

Nachbarn, sie ist unter diesen Umständen kaum mehr als ein „ICH“;<br />

ihre Anpassungen sind unbedeutend, sie finden unbewusst statt. Im<br />

Gegensatz dazu steht die Person, die eine ausgeprägte Persönlichkeit<br />

besitzt und auf die organisierte Haltung so reagiert, dass ein bedeutender<br />

Unterschied zu verzeichnen ist. Bei einer solchen Person ist<br />

das „Ich“ die wichtigere Phase der Erfahrung. Diese beiden ständig<br />

auftretenden Phasen sind die entscheidenden Phasen der Identität.<br />

<strong>Prof</strong>. <strong>Dr</strong>. <strong>Armin</strong> <strong>Nassehi</strong> Seite 27

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