Alfred Schütz/Peter Berger/Thomas Luckmann - Lehrstuhl Prof. Dr ...
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Armin Nassehi<br />
Institut für Soziologie<br />
Vorlesung<br />
Soziologische Theorie<br />
SoSe 2013<br />
Mo 1015-1145 Uhr, AudiMax<br />
03. Juni 2013<br />
<strong>Alfred</strong> Schütz<br />
Gesellschaft als Lebenswelt/<br />
Soziologie als Phänomenologie und Anthropologie<br />
<strong>Prof</strong>. <strong>Dr</strong>. Armin Nassehi Seite 1
Armin Nassehi<br />
Institut für Soziologie<br />
Armin Nassehi:<br />
Soziologie. Zehn einführende Vorlesungen<br />
2. Aufl.<br />
Wiesbaden: VS-Verlag 2011.<br />
Hans Joas/Wolfgang Knöbl:<br />
Sozialtheorie. Zwanzig einführende Vorlesungen<br />
Aktualisierte Auflage<br />
Frankfurt/M./Berlin: Suhrkamp 2004.<br />
<strong>Prof</strong>. <strong>Dr</strong>. Armin Nassehi Seite 2
Armin Nassehi<br />
Institut für Soziologie<br />
Das Kursbuch ist wieder da, hg. von Armin Nassehi<br />
Vorzugsabo für Studierende:<br />
<strong>Dr</strong>ei Ausgaben/Jahr € 48,- (statt € 60,-)<br />
Zu beziehen über<br />
www.kursbuch-online.de<br />
<strong>Prof</strong>. <strong>Dr</strong>. Armin Nassehi Seite 3
Armin Nassehi<br />
Institut für Soziologie<br />
Programm<br />
22.04.<br />
Die Vorgeschichte: Rousseau, Hobbes, Hegel und Marx<br />
Die Erfindung der bürgerlichen Gesellschaft und ihre Kritik<br />
Georg Wilhelm Friedrich Hegel: Grundlinien der Philosophie des Rechts, Werke, Band 7, Frankfurt/M. 1970, §§ 182-188,<br />
S. 339-346; Karl Marx: Zur Kritik der Hegelschen Rechtsphilosophie. Einleitung, in: Marx-Engels-Werke, Band 1,<br />
Berlin (DDR) 1969, S. 378-391.<br />
29.04.<br />
Emile Durkheim:<br />
Gesellschaft als integrierte Einheit/Soziologie als Moralwissenschaft<br />
Emile Durkheim: Über die Teilung der sozialen Arbeit, Frankfurt/M. 1977, S. 152-173 und 437-450. Emile Durkheim:<br />
Regeln der soziologischen Methode, Neuwied 1961, S. 115-128.<br />
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Armin Nassehi<br />
Institut für Soziologie<br />
06.05.<br />
Max Weber:<br />
Soziologie ohne Gesellschaft<br />
Max Weber: Über einige Kategorien der verstehenden Soziologie, in: ders.: Schriften 1894-1922, ausgew. v. Dirk Käsler,<br />
Stuttgart 2002, S. 275-313.<br />
13.05.<br />
George Herbert Mead:<br />
Gesellschaft als universe of discourse/Soziologie als Verhaltenswissenschaft<br />
George Herbert Mead: Geist, Identität und Gesellschaft. Hrsg. von Charles W. Morris. Frankfurt/M. 1992, S. 194-221 und<br />
230-265.<br />
20.05.<br />
Pfingstmontag<br />
27.05.<br />
Talcott Parsons:<br />
Gesellschaft als politische Einheit/Soziologie als Theorie sozialer Systeme<br />
Talcott Parsons: Das System moderner Gesellschaften, München 1972, S. 12-42.<br />
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Armin Nassehi<br />
Institut für Soziologie<br />
03.06.<br />
<strong>Alfred</strong> Schütz/<strong>Peter</strong> <strong>Berger</strong>/<strong>Thomas</strong> <strong>Luckmann</strong>:<br />
Gesellschaft als Lebenswelt/Soziologie als Phänomenologie und Anthropologie<br />
<strong>Alfred</strong> Schütz/<strong>Thomas</strong> <strong>Luckmann</strong>: Die Lebenswelt des Alltags und die natürliche Einstellung, in: dies.: Strukturen der<br />
Lebenswelt. Band 1, Frankfurt/M. 2003, S. 29-50.<br />
10.06.<br />
Gary S. Becker/James Coleman<br />
Gesellschaft als Situation/Soziologie als Theorie rationaler Wahl<br />
Gary S. Becker: The Economic Way of Looking at Life, Nobel Lecture, Oslo 1992.<br />
17.06.<br />
Jürgen Habermas:<br />
Gesellschaft als System und Lebenswelt/Soziologie als Aufklärungsprojekt<br />
Jürgen Habermas: Der normative Gehalt der Moderne, in: ders.: Der philosophische Diskurs der Moderne. Zwölf<br />
Vorlesungen, Frankfurt/M. 1985, S. 390-425.<br />
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Armin Nassehi<br />
Institut für Soziologie<br />
24.06.<br />
Niklas Luhmann:<br />
Gesellschaft ohne Zentrum und Spitze/Soziologie als Aufklärung<br />
Niklas Luhmann: Das Moderne der modernen Gesellschaft, in: ders.: Beobachtungen der Moderne, Opladen 1992, S.<br />
11-49.<br />
01.07.<br />
Pierre Bourdieu:<br />
Gesellschaft als Distinktionsraum/Soziologie als (Selbst-)Aufklärung<br />
Pierre Bourdieu: Leçon sur la leçon, in: ders.: Sozialer Raum und ‘Klassen’. Leçon sur la leçon. Zwei Vorlesungen,<br />
Frankfurt/M. 1985, S. 49-81.<br />
08.07.<br />
Bruno Latour:<br />
Gesellschaft posthumaner Kollektive/Soziologie als Theorie hybrider Akteure<br />
Bruno Latour: Kleine Soziologie alltäglicher Gegenstände, in: ders.: Der Berliner Schlüssel. Erkundungen eines Liebhabers<br />
der Wissenschaften, Berlin, S. 15-84.<br />
15.07.<br />
Klausur<br />
<strong>Prof</strong>. <strong>Dr</strong>. Armin Nassehi Seite 7
Armin Nassehi<br />
Institut für Soziologie<br />
Weitere Informationen:<br />
Die Texte werden in den Hauptfachtutorien bearbeitet und sollen von allen sonstigen Teilnehmerinnen und Teilnehmern<br />
der Vorlesung mitgelesen werden.<br />
Die Anmeldeformalitäten für die Klausur bzw. für die Anmeldung zu den Theorie II-Veranstaltungen werden im Laufe der<br />
Vorlesung erläutert.<br />
Sonntags ab spätestens 23.00 Uhr (meist früher) lassen sich die Folien des darauf folgenden Montags von der Homepage<br />
des <strong>Lehrstuhl</strong>s herunterladen (www.nassehi.de).<br />
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Armin Nassehi<br />
Institut für Soziologie<br />
<strong>Alfred</strong> Schütz (1899-1959)<br />
<strong>Alfred</strong> Schütz: Der sinnhafte Aufbau der sozialen<br />
Welt (Frankfurt/M.: Suhrkamp 1981)<br />
S. 11f.: Hat es die Sozialwissenschaft mit dem Sein<br />
des Menschen an sich oder nur mit seinen gesellschaftlichen<br />
Verhaltensweisen zu tun Ist das gesellschaftliche<br />
Ganze dem Sein des Einzelnen vorgegeben, so dass das Individuum<br />
nur ist, weil es Teil einer Ganzheit ist, oder ist es umgekehrt das,<br />
was wir das gesellschaftliche Ganze nennen und seine Teilorganisationen<br />
eine Synthesis von Funktionen der einzelnen menschlichen<br />
Individuen, deren Sein allein Realität zukommt Ist das das<br />
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Armin Nassehi<br />
Institut für Soziologie<br />
gesellschaftliche Sein des Menschen, was sein Bewusstsein, oder<br />
umgekehrt sein Bewusstsein, das sein gesellschaftliches Sein bestimmt<br />
Kann das historische Geschehen der Menschheits – und<br />
Kulturentwicklung unter Gesetzen begriffen werden oder sind umgekehrt<br />
alle als “Gesetze“ ausgegebenen Deutungsversuche der<br />
fortgeschrittensten Sozialwissenschaft, wie z.B. der Nationalökonomie,<br />
ihrerseits bloß historisch bedingte Abstraktionen Es ist<br />
begreiflich, dass derjenige, auf den Fragen von solcher Tragweite<br />
einstürmen, der Versuchung unterliegt, ihre Lösung naiv vorauszusetzen<br />
und von seinem, durch Temperament, wertenden oder politischen<br />
Einstellungen oder bestenfalls metaphysischen Instinkt<br />
diktierten Standpunkt aus an die einzelnen Tatsachen heranzutreten.<br />
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Armin Nassehi<br />
Institut für Soziologie<br />
Max Weber: Wirtschaft und Gesellschaft (J.C.B. Mohr, Tübingen<br />
1972)<br />
S.1: §1. Soziologie (im hier verstandenen Sinn dieses sehr vieldeutig<br />
gebrauchten Wortes) soll heißen: eine Wissenschaft, welche soziales<br />
Handeln deutend verstehen und dadurch in seinem Ablauf<br />
und seinen Wirkungen ursächlich erklären will. „Handeln“ soll dabei<br />
ein menschliches Verhalten (einerlei ob äußeres oder innerliches<br />
Tun, Unterlassen oder Dulden) heißen, wenn und insofern als<br />
der oder die Handelnden mit ihm einen subjektiven Sinn verbinden.<br />
„Soziales“ Handeln aber soll ein solches Handeln heißen, welches<br />
seinem von dem oder den Handelnden gemeinten Sinn nach auf das<br />
Verhalten anderer bezogen wird und daran in seinem Ablauf orientiert<br />
ist.<br />
<strong>Prof</strong>. <strong>Dr</strong>. Armin Nassehi Seite 11
Armin Nassehi<br />
Institut für Soziologie<br />
<strong>Alfred</strong> Schütz: Der sinnhafte Aufbau der sozialen Welt, a.a.O.<br />
S.15f: Weber macht zwischen Handeln als Ablauf und vollzogener<br />
Handlung, zwischen dem Sinn des Erzeugens und dem Sinn des<br />
Erzeugnisses, zwischen dem Sinn eigenen und fremden Handelns<br />
bzw. eigener und fremder Erlebnisse, zwischen Selbstverstehen<br />
und Fremdverstehen keinen Unterschied. Er fragt nicht nach der<br />
besonderen Konstitutionsweise des Sinnes für den Handelnden,<br />
nicht nach den Modifikationen, die dieser Sinn für den Partner in<br />
der Sozialwelt oder für den außenstehenden Beobachter erfährt,<br />
nicht nach dem eigenartigen Fundierungszusammenhang zwischen<br />
Eigenpsychischem und Fremdpsychischem, dessen Aufklärung für<br />
die präzise Erfassung des Phänomens „Fremdverstehen“ unerläss-<br />
<strong>Prof</strong>. <strong>Dr</strong>. Armin Nassehi Seite 12
Armin Nassehi<br />
Institut für Soziologie<br />
lich ist. Zwar stellt Weber dem subjektiv gemeinten Sinn eines<br />
Handelns dessen objektiv erkennbaren Sinngehalt gegenüber. Aber<br />
er differenziert nicht weiter und untersucht jene spezifischen Abwandlungen,<br />
die ein Sinnzusammenhang von der jeweiligen Position<br />
des Deutenden aus erfährt, ebenso wenig, wie die Auffassungsperspektiven,<br />
in denen dem in der Sozialwelt Lebenden seine<br />
Mit- und Nebenmenschen überhaupt gegeben ist.<br />
______________________________________________________<br />
S. 16: Die soziale Welt ist eben keineswegs homogen, sondern<br />
mannigfach gegliedert, und der „Andere“, der Partner, ist dem<br />
sozial Handelnden und beide wieder dem Beobachter jeweils in<br />
verschiedenen Graden der Anonymität, der Erlebnisnähe und<br />
Inhaltsfülle gegeben. Der Einzelne zieht aber diese perspektivischen<br />
Verkürzungen, in denen ihm die Sozialwelt erscheint, bei<br />
<strong>Prof</strong>. <strong>Dr</strong>. Armin Nassehi Seite 13
Armin Nassehi<br />
Institut für Soziologie<br />
seinen Sinnsetzungs- und Sinndeutungsakten ins Kalkül, und deshalb<br />
sind auch sie Gegenstand der sozialwissenschaftlichen Forschung.<br />
Denn es handelt sich hier nicht um empirische Unterschiede<br />
des zufälligen Standpunktes des Einzelnen, sondern um Wesensunterschiede<br />
prinzipieller Natur – um den wesensmäßigen Unterschied<br />
insbesondere zwischen der Selbstinterpretation der Erlebnisse<br />
durch das eigene Ich und der Interpretation fremder Erlebnisse<br />
durch das deutende alter ego. Dem handelnden Ich und dem deutenden<br />
Beobachter präsentiert sich nicht nur die einzelne sinnhafte<br />
Handlung und ihr Sinnzusammenhang, sondern auch das Ganze der<br />
Sozialwelt in völlig verschiedener Perspektive.<br />
<strong>Prof</strong>. <strong>Dr</strong>. Armin Nassehi Seite 14
Armin Nassehi<br />
Institut für Soziologie<br />
S. 28f: Nur wenn angenommen wird, dass auch der Andere mit seinem<br />
Verhalten einen Sinn verbinde und diesen Sinn so in den Blick<br />
bringen könne, wie ich auf den Sinn meines Handelns hinzusehen<br />
vermag, kann überhaupt mit Fug nach dem fremden gemeinten<br />
Sinn gefragt werden. Dass aber dieser gemeinte Sinn einer fremden<br />
Handlung oder eines fremden Verhaltens nicht mit demjenigen<br />
Sinn zusammenfallen muss, welchen der wahrgenommene, von mir<br />
als fremdes Handeln oder fremdes Verhalten interpretierte Vorgang<br />
für mich, den Beobachtenden, hat, ist die zweite Voraussetzung,<br />
welche in diesem Postulat enthalten ist.<br />
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Armin Nassehi<br />
Institut für Soziologie<br />
S. 20f: Schon eine oberflächliche Analyse zeigt nämlich, dass das<br />
Sinnproblem ein Zeitproblem ist, allerdings nicht ein solches der<br />
physikalischen Raumzeit, die teilbar und messbar ist, oder der historischen<br />
Zeit, die immer eine von äußeren Begebenheiten erfüllbarer<br />
Ablauf bleibt, wohl aber ein solches des „inneren Zeitbewusstseins“,<br />
des Bewusstseins der je eigenen Dauer, in dem sich<br />
für den Erlebenden der Sinn seiner Erlebnisse konstituiert. Erst in<br />
dieser tiefsten, der Reflexion zugänglichen Erlebnisschicht, die nur<br />
in streng philosophischer Selbstbestimmung schlossen werden<br />
kann, ist der letzte Ursprung der Phänomene „Sinn“ und „Verstehen“<br />
aufweisbar. Der mühevolle Weg in diese Tiefenschichten<br />
kann aber demjenigen, der sich über die Grundbegriffe der Sozialwissenschaften<br />
Rechenschaft geben will, nicht erspart bleiben. Er<br />
<strong>Prof</strong>. <strong>Dr</strong>. Armin Nassehi Seite 16
Armin Nassehi<br />
Institut für Soziologie<br />
wird vielmehr die im hochkomplexen Sinngefüge der Sozialwelt<br />
sichtbar werdenden Phänomene nur dann deutlich erfassen können,<br />
wenn er sie auf ursprünglichen und allgemeinen Wesensgesetzen<br />
des Bewusstseinslebens abzuleiten vermag. Erst die großen philosophischen<br />
Entdeckungen Bergsons und vor allem Husserls haben<br />
den Zugang zu diesen Tiefenschichten philosophischer Reflexion<br />
erschlossen. Nur mit Hilfe einer allgemeinen Theorie des Bewusstseins,<br />
wie Bergsons Philosophie der Dauer oder Husserls transzendentaler<br />
Phänomenologie, kann die Lösung der Rätsel gefunden<br />
werden, mit denen die Problematik der Sinnsetzungs- und Sinndeutungsphänomene<br />
umlagert ist.<br />
<strong>Prof</strong>. <strong>Dr</strong>. Armin Nassehi Seite 17
Armin Nassehi<br />
Institut für Soziologie<br />
Edmund Husserl: Zur Phänomenologie des inneren Zeitbewusstseins<br />
(1893-1917), Husserliana, Band X, Den Haag 1966.<br />
S. 23: Die Sache scheint zunächst sehr einfach: wir hören die Melodie,<br />
d.h. wir nehmen sie wahr, denn Hören ist ja Wahrnehmen.<br />
Indessen, der erste Ton erklingt, dann kommt der zweite, dann der<br />
dritte usw. Müssen wir nicht sagen: wenn der zweite Ton erklingt,<br />
so höre ich ihn, aber ich höre den ersten nicht mehr usw. Ich höre<br />
also in Wahrheit nicht die Melodie, sondern nur den einzelnen gegenwärtigen<br />
Ton. Daß das abgelaufene Stück der Melodie für mich<br />
gegenständlich ist, ver-danke ich - so wird man geneigt sein zu sagen<br />
- der Erinnerung; und daß ich, bei dem jeweiligen Ton angekommen,<br />
nicht voraussetze, daß das alles sei, verdanke ich der vor-<br />
<strong>Prof</strong>. <strong>Dr</strong>. Armin Nassehi Seite 18
Armin Nassehi<br />
Institut für Soziologie<br />
blickenden Erwartung. Bei dieser Erklärung können wir uns aber<br />
nicht beruhigen, denn alles Besagte überträgt sich auch auf den einzelnen<br />
Ton. Jeder Ton hat selbst eine zeitliche Extension, beim Anschlagen<br />
höre ich ihn als jetzt, beim Forttönen hat er aber ein immer<br />
neues Jetzt, und das jeweilig vorausgehende wandelt sich in<br />
ein Vergangen. Also höre ich jeweils nur die aktuelle Phase des<br />
Tones, und die Objektivität des ganzen dauernden Tones konstituiert<br />
sich in einem Aktkontinuum, das zu einem Teil Erinnerung, zu<br />
einem kleinsten, punktuellen Teil Wahrnehmung und zu einem<br />
weiteren Teil Erwartung ist.<br />
<strong>Prof</strong>. <strong>Dr</strong>. Armin Nassehi Seite 19
Armin Nassehi<br />
Institut für Soziologie<br />
Schütz: Der sinnhafte Aufbau der sozialen Welt, a.a.O.<br />
S.104: Wir können nun den Gesamtzusammenhang der Erfahrung<br />
auch definieren als den Inbegriff aller durch das Ich als freies Wesen<br />
in einem gegebenen Zeitpunkt seiner Dauer vollziehbaren reflexiven<br />
Zuwendung (einschließlich aller attentionalen Modifikationen<br />
dieser Zuwendungen) auf seine abgelaufenen in phasenweisen<br />
Aufbau konstituierten Erlebnisse. Der spezifische Sinn eines<br />
Erlebnisses, also das besondere Wie der Zuwendung zu ihm, besteht<br />
dann in der Einordnung dieses Erlebnisses in den vorgegebenen<br />
Gesamtzusammenhang der Erfahrung. Wir können diesen Satz<br />
auch in folgender Form ausdrücken, die zugleich eine präzise Definition<br />
des Begriffes „gemeinter Sinn“ abgibt: Gemeinter Sinn eines<br />
Erlebnisses ist nichts anderes als eine Selbstauslegung des Erlebnisses<br />
von einem neuen Erleben her.<br />
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Armin Nassehi<br />
Institut für Soziologie<br />
S.112: Wir können den Prozess der Einordnung eines Erlebnisses<br />
unter die Schemata der Erfahrung durch synthetische Rekognition<br />
auch als Deutung dieses Erlebnisses bezeichnen, wenn wir dieses<br />
Wort in einem erweiterten Sinn gelten lassen, der auch die in der<br />
allgemein üblichen Redeweise damit gemeinte Zuordnung eines<br />
Zeichens zu dem, was es bezeichnet, umschließt. Deutung ist dann<br />
nichts anderes als Rückführung von Unbekanntem auf Bekanntes,<br />
von in Zuwendungen Erfasstem auf Schemata der Erfahrung. Diesen<br />
kommt also beim Prozess des Deutens der eigenen Erlebnisse<br />
eine besondere Funktion zu. Sie sind die fertigen in der Weise des<br />
Wissens (Vorwissens) jeweils vorrätigen Sinnzusammenhänge zwischen<br />
kategorial vorgeformten Material, auf welches das zu deutende<br />
Erlebnis in einem neuen synthetischen Akt rückgeführt wird. Insoferne<br />
sind die Schemata der Erfahrung Deutungsschemata und<br />
<strong>Prof</strong>. <strong>Dr</strong>. Armin Nassehi Seite 21
Armin Nassehi<br />
Institut für Soziologie<br />
als solche wollen wir sie im folgenden bezeichnen. Die Zuordnung<br />
eines Zeichens zu einem Zeichensystem, für welche der Terminus<br />
„Deutungsschema“ vorzugsweise verwendet wird, ist nur ein Spezialfall<br />
des soeben gekennzeichneten Vorgangs der Selbstauslegung<br />
überhaupt.<br />
______________________________________________________<br />
S.139: Das Postulat der „Erfassung des fremden gemeinten Sinnes“<br />
besagt nämlich, dass die Erlebnisse des alter ego durch ein ego in<br />
der nämlichen Weisen auszulegen seien, wie das alter ego die<br />
Selbstauslegung seiner Erlebnisse vollzieht.<br />
Ein solches „Wissen“ könnte aber nur in einem eigenen Erleben<br />
und in einer Serie reflexiver Blickwendungen auf dieses eigene Erleben<br />
bestehen. Hierbei müsste der Beobachter die einzelnen Erlebnisse,<br />
und zwar die Urimpressionen, die reflexiven Akte, die akti-<br />
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Armin Nassehi<br />
Institut für Soziologie<br />
ven Spontaneitäten, die Phantasieerlebnisse usw. in der gleichen<br />
Reihenfolge und mit den gleichen Höfen von Protentionen und Retentionen<br />
in seinem (des Beobachters) Bewusstsein vorfinden.<br />
Mehr noch: der Beobachter müsste dazu fähig sein, auch alle vorvergangenen<br />
Erlebnisse des Beobachteten in freier Reproduktion<br />
zu durchlaufen, er müsste also dieselben Erlebnisses in ihrer Totalität,<br />
und zwar in ihrer gleichen Abfolge erlebt und in gleicher<br />
Weise Zuwendungen zu ihnen vollzogen haben, wie der Beobachtete<br />
selbst. Das heißt aber nichts anderes, als dass der Bewusstseinsstrom<br />
der durée des Beobachters der nämliche sein müsste,<br />
wie der des Beobachteten, oder mit anderen Worten, dass Beobachter<br />
und Beobachteter ein und dieselbe Person sein müssten.<br />
<strong>Prof</strong>. <strong>Dr</strong>. Armin Nassehi Seite 23
Armin Nassehi<br />
Institut für Soziologie<br />
S.156: Die vorgenommene Analyse zeigt aber in voller Deutlichkeit,<br />
dass eben diese letzten Fragen erst gestellt werden können,<br />
sobald das Ich das vernommene Wort (als von einem alter ego<br />
kundgegeben) in Selbstauslegung erfasst hat, dass also alles echte<br />
Fremdverstehen auf Akten der Selbstauslegung des Verstehenden<br />
fundiert ist.<br />
<strong>Prof</strong>. <strong>Dr</strong>. Armin Nassehi Seite 24
Armin Nassehi<br />
Institut für Soziologie<br />
<strong>Alfred</strong> Schütz: Gesammelte Aufsätze III. Studien zur phänomenologischen<br />
Philosophie, Den Haag 1971<br />
S. 116f: Es kann aber mit Bestimmtheit gesagt werden, dass nur eine<br />
solche Ontologie der Lebenswelt, nicht aber eine transzendentale<br />
Konstitutionsanalyse jenen Wesensbezug der Intersubjektivität<br />
aufzuklären vermögen wird, der die Grundlage sämtlicher Sozialwissenschaften<br />
bildet, obschon er von diesen meistens nur als<br />
schlichte Gegebenheit ungeprüft, d.h. als „selbstverständlich“<br />
angesetzt wird.<br />
<strong>Prof</strong>. <strong>Dr</strong>. Armin Nassehi Seite 25
Armin Nassehi<br />
Institut für Soziologie<br />
<strong>Alfred</strong> Schütz: Gesammelte Aufsätze I. Das Problem der sozialen<br />
Wirklichkeit, Den Haag 1971.<br />
S. 286: Wir können jetzt einige Merkmale der Epoché der wissenschaftlichen<br />
Einstellung zusammenfassen. In dieser Epoché werden<br />
„eingeklammert“: (1) die Subjektivität des Denkers als Mensch<br />
unter Mitmenschen einschließlich seiner körperlichen Existenz als<br />
psycho-physisches menschliches Wesen in der Welt; (2) das Orientierungssystem,<br />
durch das die Alltagswelt nach der tatsächlichen,<br />
der wiederherstellbaren, der erreichbaren Reichweite usw. gegliedert<br />
ist; (3) die grundlegende Sorge und das in ihr gründende System<br />
pragmatischer Relevanzen.<br />
<strong>Prof</strong>. <strong>Dr</strong>. Armin Nassehi Seite 26
Armin Nassehi<br />
Institut für Soziologie<br />
S.262: Ich weiß, dass ich sterben werde und fürchte mich davor.<br />
Diese fundamentale Erfahrung wollen wir die grundlegende Sorge<br />
nennen. Dies ist die ursprünglichste Erwartung, der alle anderen<br />
entstammen, - die vielen untereinander verflochtenen Systeme von<br />
Hoffnungen und Befürchtungen, von Wünschen und Erfüllungen,<br />
von Chancen und Wagnissen – die den Menschen in der natürlichen<br />
Einstellung dazu anspornen, die Meisterung der Welt anzustreben,<br />
Hindernisse zu überwinden, Pläne zu entwerfen und sie zu<br />
verwirklichen.<br />
Doch die grundlegende Sorge selbst ist lediglich ein Korrelat unserer<br />
Existenz als menschliches Wesen innerhalb der ausgezeichneten<br />
Wirklichkeit des alltäglichen Lebens. Daher sind unsere Hoffnungen<br />
und Befürchtungen und die mit ihnen verbundenen Erfüllungen<br />
und Enttäuschungen allein in der Wirkwelt verankert und nur in ihr<br />
<strong>Prof</strong>. <strong>Dr</strong>. Armin Nassehi Seite 27
Armin Nassehi<br />
Institut für Soziologie<br />
möglich. Sie sind wesentliche Bestandteile der Realität dieser Welt<br />
des Wirkens, beziehen sich aber nicht auf unseren Glauben an sie.<br />
Im Gegenteil, es ist bezeichnend für die natürliche Einstellung, dass<br />
sie die Welt und ihre Gegenstände – so lange sie nicht in Frage gestellt<br />
werden – als selbstverständlich gegeben hinnimmt. So lange<br />
das einmal festzulegende Bezugsschema, nämlich das System unserer<br />
eigenen und der fremden verbürgten Erfahrungen nicht fehlschlägt,<br />
so lange das Handeln und Tun unter der Anleitung dieses<br />
Schemas den gewünschten Erfolg hat – so lange vertrauen wir diesen<br />
Erfahrungen. Wir sind gar nicht daran interessiert, herauszufinden,<br />
ob diese Welt wirklich existiert oder ob sie nur ein wohlgefügtes<br />
System zusammenhängender Erscheinung ist. Wir haben keinen<br />
Grund, unsere verbürgten Erfahrungen irgendwie zu bezweifeln, von<br />
denen wir annehmen, dass sie uns die Dinge so darbieten wie sie<br />
wirklich sind.<br />
<strong>Prof</strong>. <strong>Dr</strong>. Armin Nassehi Seite 28
Armin Nassehi<br />
Institut für Soziologie<br />
S. 263: Die Phänomenologie hat den Begriff der Epoché eingeführt.<br />
Sie versteht darunter ein Verfahren, das unseren Glauben an die<br />
Wirklichkeit der Welt ausklammert, um so die natürliche Einstellung<br />
durch eine radikale Weiterentwicklung der Cartesianischen<br />
Methode des philosophischen Zweifels zu überwinden. Man kann<br />
andererseits vielleicht sagen, dass der Mensch in der natürlichen<br />
Einstellung auch eine bestimmte Epoché verwendet, die allerdings<br />
von der des Phänomenologen ganz verschieden ist. Jener klammert<br />
nicht etwa seinen Glauben an die Außenwelt und ihren Gegenständen<br />
aus, sondern, im Gegenteil, seine Zweifel an der Existenz dieser<br />
Welt. Was er „in Klammern setzt,“ ist sein Zweifel daran, dass die<br />
Welt und ihre Gegenstände anders sein könnten, als sie ihm erscheinen.<br />
Wir wollen diese Epoché die Epoché der natürlichen Einstellung<br />
nennen.<br />
<strong>Prof</strong>. <strong>Dr</strong>. Armin Nassehi Seite 29
Armin Nassehi<br />
Institut für Soziologie<br />
S.363: Durch wechselseitiges Verstehen und Einverständnis wird<br />
somit eine gemeinsame kommunikative Umwelt geschaffen,<br />
innerhalb der die Subjekte sich gegenseitig in ihren<br />
Bewusstseinsaktivitäten motivieren.<br />
<strong>Prof</strong>. <strong>Dr</strong>. Armin Nassehi Seite 30