12.07.2015 Aufrufe

Bourdieu - Lehrstuhl Prof. Dr. Armin Nassehi

Bourdieu - Lehrstuhl Prof. Dr. Armin Nassehi

Bourdieu - Lehrstuhl Prof. Dr. Armin Nassehi

MEHR ANZEIGEN
WENIGER ANZEIGEN
  • Keine Tags gefunden...

Sie wollen auch ein ePaper? Erhöhen Sie die Reichweite Ihrer Titel.

YUMPU macht aus Druck-PDFs automatisch weboptimierte ePaper, die Google liebt.

<strong>Armin</strong> <strong>Nassehi</strong>Institut für SoziologieVorlesungSoziologische TheorieSoSe 2013Mo 1015-1145 Uhr, AudiMax1. Juli 2013Pierre <strong>Bourdieu</strong>:Gesellschaft als Distinktionsraum/Soziologie als (Selbst-)Aufklärung<strong>Prof</strong>. <strong>Dr</strong>. <strong>Armin</strong> <strong>Nassehi</strong> Seite 1


<strong>Armin</strong> <strong>Nassehi</strong>Institut für Soziologie<strong>Armin</strong> <strong>Nassehi</strong>:Soziologie. Zehn einführende Vorlesungen2. Aufl.Wiesbaden: VS-Verlag 2011.Hans Joas/Wolfgang Knöbl:Sozialtheorie. Zwanzig einführende VorlesungenAktualisierte AuflageFrankfurt/M./Berlin: Suhrkamp 2004.<strong>Prof</strong>. <strong>Dr</strong>. <strong>Armin</strong> <strong>Nassehi</strong> Seite 2


<strong>Armin</strong> <strong>Nassehi</strong>Institut für SoziologieDas Kursbuch ist wieder da, hg. von <strong>Armin</strong> <strong>Nassehi</strong>Einzelheft € 19,00Vorzugsabo für Studierende:<strong>Dr</strong>ei Ausgaben/Jahr € 48,- (statt € 60,-)Zu beziehen überwww.kursbuch-online.de<strong>Prof</strong>. <strong>Dr</strong>. <strong>Armin</strong> <strong>Nassehi</strong> Seite 3


<strong>Armin</strong> <strong>Nassehi</strong>Institut für SoziologieProgramm22.04.Die Vorgeschichte: Rousseau, Hobbes, Hegel und MarxDie Erfindung der bürgerlichen Gesellschaft und ihre KritikGeorg Wilhelm Friedrich Hegel: Grundlinien der Philosophie des Rechts, Werke, Band 7, Frankfurt/M. 1970, §§ 182-188,S. 339-346; Karl Marx: Zur Kritik der Hegelschen Rechtsphilosophie. Einleitung, in: Marx-Engels-Werke, Band 1,Berlin (DDR) 1969, S. 378-391.29.04.Emile Durkheim:Gesellschaft als integrierte Einheit/Soziologie als MoralwissenschaftEmile Durkheim: Über die Teilung der sozialen Arbeit, Frankfurt/M. 1977, S. 152-173 und 437-450. Emile Durkheim:Regeln der soziologischen Methode, Neuwied 1961, S. 115-128.<strong>Prof</strong>. <strong>Dr</strong>. <strong>Armin</strong> <strong>Nassehi</strong> Seite 4


<strong>Armin</strong> <strong>Nassehi</strong>Institut für Soziologie06.05.Max Weber:Soziologie ohne GesellschaftMax Weber: Über einige Kategorien der verstehenden Soziologie, in: ders.: Schriften 1894-1922, ausgew. v. Dirk Käsler,Stuttgart 2002, S. 275-313.13.05.George Herbert Mead:Gesellschaft als universe of discourse/Soziologie als VerhaltenswissenschaftGeorge Herbert Mead: Geist, Identität und Gesellschaft. Hrsg. von Charles W. Morris. Frankfurt/M. 1992, S. 194-221 und230-265.20.05.Pfingstmontag27.05.Talcott Parsons:Gesellschaft als politische Einheit/Soziologie als Theorie sozialer SystemeTalcott Parsons: Das System moderner Gesellschaften, München 1972, S. 12-42.<strong>Prof</strong>. <strong>Dr</strong>. <strong>Armin</strong> <strong>Nassehi</strong> Seite 5


<strong>Armin</strong> <strong>Nassehi</strong>Institut für Soziologie03.06.Alfred Schütz/Peter Berger/Thomas Luckmann:Gesellschaft als Lebenswelt/Soziologie als Phänomenologie und AnthropologieAlfred Schütz/Thomas Luckmann: Die Lebenswelt des Alltags und die natürliche Einstellung, in: dies.: Strukturen derLebenswelt. Band 1, Frankfurt/M. 2003, S. 29-50.10.06.Gary S. Becker/James ColemanGesellschaft als Situation/Soziologie als Theorie rationaler WahlGary S. Becker: The Economic Way of Looking at Life, Nobel Lecture, Oslo 1992.17.06.Jürgen Habermas:Gesellschaft als System und Lebenswelt/Soziologie als AufklärungsprojektJürgen Habermas: Der normative Gehalt der Moderne, in: ders.: Der philosophische Diskurs der Moderne. ZwölfVorlesungen, Frankfurt/M. 1985, S. 390-425.<strong>Prof</strong>. <strong>Dr</strong>. <strong>Armin</strong> <strong>Nassehi</strong> Seite 6


<strong>Armin</strong> <strong>Nassehi</strong>Institut für Soziologie24.06.Niklas Luhmann:Gesellschaft ohne Zentrum und Spitze/Soziologie als AufklärungNiklas Luhmann: Das Moderne der modernen Gesellschaft, in: ders.: Beobachtungen der Moderne, Opladen 1992, S.11-49.01.07.Pierre <strong>Bourdieu</strong>:Gesellschaft als Distinktionsraum/Soziologie als (Selbst-)AufklärungPierre <strong>Bourdieu</strong>: Leçon sur la leçon, in: ders.: Sozialer Raum und ‘Klassen’. Leçon sur la leçon. Zwei Vorlesungen,Frankfurt/M. 1985, S. 49-81.08.07.Bruno Latour:Gesellschaft posthumaner Kollektive/Soziologie als Theorie hybrider AkteureBruno Latour: Kleine Soziologie alltäglicher Gegenstände, in: ders.: Der Berliner Schlüssel. Erkundungen eines Liebhabersder Wissenschaften, Berlin, S. 15-84.15.07.Klausur<strong>Prof</strong>. <strong>Dr</strong>. <strong>Armin</strong> <strong>Nassehi</strong> Seite 7


<strong>Armin</strong> <strong>Nassehi</strong>Institut für SoziologieWeitere Informationen:Die Texte werden in den Hauptfachtutorien bearbeitet und sollen von allen sonstigen Teilnehmerinnen und Teilnehmernder Vorlesung mitgelesen werden.Die Anmeldeformalitäten für die Klausur bzw. für die Anmeldung zu den Theorie II-Veranstaltungen werden im Laufe derVorlesung erläutert.Sonntags ab spätestens 23.00 Uhr (meist früher) lassen sich die Folien des darauf folgenden Montags von der Homepagedes <strong>Lehrstuhl</strong>s herunterladen (www.nassehi.de).<strong>Prof</strong>. <strong>Dr</strong>. <strong>Armin</strong> <strong>Nassehi</strong> Seite 8


<strong>Armin</strong> <strong>Nassehi</strong>Institut für SoziologiePierre <strong>Bourdieu</strong> (1930-2002)Leçon sur la leçon. In: ders.: Sozialer Raum und >Klassen


<strong>Armin</strong> <strong>Nassehi</strong>Institut für Soziologiedazuzugehören, wer jegliche Mitgliedschaft oder Abstammung verleugnet.So kann der Soziologe, dem sogenannten >Volke< entsprungenund in die sogenannte >Elite< aufgestiegen, jene eigentümliche,mit allen Formen sozialer Entfremdung einhergehendeKlarsicht allein dann erwerben, wenn er gleicherweise die populistischeVorstellung vom Volk, die lediglich ihre eigenen Urhebertäuscht, wie auch die elitäre Vorstellung von den Eliten aufdeckt,die sowohl diejenigen, die ihnen angehören, wie die anderen, dieihnen nicht angehören, zu täuschen vermag.<strong>Prof</strong>. <strong>Dr</strong>. <strong>Armin</strong> <strong>Nassehi</strong> Seite 10


<strong>Armin</strong> <strong>Nassehi</strong>Institut für SoziologieS. 79f.: Dies also wäre wohl zu lernen aus einer soziologischen Inauguralvorlesung,die gewidmet war einer Soziologie der Inauguralvorlesung.Ein Diskurs, der sich selbst zum Gegenstand nimmt,lenkt die Aufmerksamkeit weniger auf den Referenten, der durchjeden anderen Akt ersetzt werden könnte, als vielmehr auf jenespezifische Bezugnahme auf das, was man gerade tut, und darauf,worin dies sich unterscheidet vom schlichten unmittelbaren Tun,vom, wie es so schön heißt: ganz bei der Sache sein. Diese reflexiveWendung hat, zumal wenn sie sich, wie hier, in der Situationsel-ber vollzieht, etwas Ungewöhnliches, nahezu Taktloses: Siebricht den Zauber, ernüchtert. Sie zieht den Blick darauf, was dasunmittelbare Tun zu vergessen und zu vergessen macht sucht. Sieregistriert rednerische, rhetorische Effekte, die, wie das Ablesen<strong>Prof</strong>. <strong>Dr</strong>. <strong>Armin</strong> <strong>Nassehi</strong> Seite 11


<strong>Armin</strong> <strong>Nassehi</strong>Institut für Soziologieeines vorweg geschriebenen Textes im eindringlichen Duktus improvisierterRede, zu beweisen und nachvollziehbar zu machensucht, daß der Redner ganz bei der Sache ist, daß er glaubt, was ersagt, und daß die Aufgabe, die ihm überantwortet ist, seine volleZustimmung findet. Diese reflexive Wendung führt eine Distanzein, die - beim Redner wie bei seinen Zuhörern - den Glauben zuzerstören droht, der die gewöhnliche Voraussetzung für das erfolgreicheFunktionieren der Institution darstellt.<strong>Prof</strong>. <strong>Dr</strong>. <strong>Armin</strong> <strong>Nassehi</strong> Seite 12


<strong>Armin</strong> <strong>Nassehi</strong>Institut für SoziologieVom Gebrauch der Wissenschaft. Für eine klinische Soziologiedes wissenschaftlichen Feldes, Konstanz 1997.S. 20: Jedes Feld, auch das wissenschaftliche, ist ein Kräftefeld undein Feld der Kämpfe um die Bewahrung oder Veränderungen diesesKräftefeldes. Man kann, in einer ersten Annäherung, einen wissenschaftlichenoder religiösen Raum wie eine physikalische Weltbeschreiben, die Kräftebeziehungen, Herrschaftsbeziehungen enthält.Es sind die Akteure, Firmen etwa im ökonomischen Feld, diediesen Raum erschaffen, er besteht in gewisser Weise nur durchseine Akteure und die objektiven Beziehungen zwischen ihnen. EinGroßunternehmen verändert den ganzen ökonomischen Raum, verleihtihm eine bestimmte Struktur. Im Feld der Wissenschaft konnte<strong>Prof</strong>. <strong>Dr</strong>. <strong>Armin</strong> <strong>Nassehi</strong> Seite 13


<strong>Armin</strong> <strong>Nassehi</strong>Institut für SoziologieEinstein, eine Art Großunternehmen, den gesamten Raum umgestalten.Diese Einsteinsche Metapher im Bezug auf Einstein meint,daß es keinen noch so großen oder unbedeutenden Physiker gibt,weder in Brioude noch in Harvard, der nicht (ohne je in unmittelbareBeziehung oder Auseinandersetzung mit ihm getreten zu sein)vom Einfluß Einsteins betroffen, abgedrängt oder ausgegrenzt wordenwäre, ebenso wie die Preissenkungen einer großen Firma eineganze Schar von Kleinunternehmern aus dem ökonomischen Felddrückt.<strong>Prof</strong>. <strong>Dr</strong>. <strong>Armin</strong> <strong>Nassehi</strong> Seite 14


<strong>Armin</strong> <strong>Nassehi</strong>Institut für SoziologieS. 22: Entgegen der machiavellistischen Illusion, von der bestimmteWissenschaftssoziologen übermannt werden, vielleicht, weil sieden Wissenschaftlern ihr eigenes »strategisches«, um nicht zu sagenzynisches Bild der Wissenschaftswelt unterschieben, ist daranzu erinnern, daß nichts schwieriger, um nicht zu sagen unmöglicherist, als ein Feld zu »manipulieren«. Und dann muß gesagt werden,daß bei aller möglichen Könnerschaft in der »Verwaltung vonNetzwerken« (um die sich so viele derer sorgen, die ihre »Wissenschaft«der Wissenschaft einzusetzen verstehen, um ihre Auffassungvon Wissenschaft verbreiten und ihre Entscheidungsmacht imWissenschaftsbetrieb ausbauen zu können) die Chancen eines einzelnenAkteurs, sich die Kräfte des Feldes nach seinen Wünschengefügig zu machen, von seiner Macht über das Feld abhängen, von<strong>Prof</strong>. <strong>Dr</strong>. <strong>Armin</strong> <strong>Nassehi</strong> Seite 15


<strong>Armin</strong> <strong>Nassehi</strong>Institut für Soziologieseinem wissenschaftlichen Kredit also, oder noch genauer, von seinerStellung in der Struktur der Kapitalverteilung. Eine Ausnahmemachen hier nur jene ganz seltenen Fälle, in denen eine revolutionäreEntdeckung die Grundlagen der bestehenden wissenschaftlichenOrdnung selbst in Frage stellt, ein Wissenschaftler die Maßgabender Kapitalverteilung als solche und sogar die Spielregelnselbst neu festlegen kann.______________________________________________________S. 27: Eine Sublimation, die stillschweigend von jedem Neuzuganggefordert wird, und in jener besonderen Form der illusio beschlossenliegt, die zur Teilhabe am Feld notwendig gehört, also im Wissenschaftsglauben,einer Art interesselosem Interesse und Interessean der Interesselosigkeit, das zu Anerkennung des Spiels bewegt,<strong>Prof</strong>. <strong>Dr</strong>. <strong>Armin</strong> <strong>Nassehi</strong> Seite 16


<strong>Armin</strong> <strong>Nassehi</strong>Institut für Soziologiezum Glauben, daß es das wissenschaftliche Spiel, wie man sagt,wert ist, gespielt zu werden, daß es sich lohnt, und gleichzeitig dieGegenstände bestimmt, die des Interesses würdig, bemerkenswert,bedeutend sind, jene also, die den Einsatz lohnen.Es ist mit anderen Worten das Feld, oder genauer gesagt, die antiökonomischeÖkonomie und der geregelte Wettbewerb in ihm, diediese besondere Form der illusio hervorbringen, eben das wissenschaftlicheInteresse, ein Interesse, das im Verhältnis zu den herkömmlichenInteressen des Alltags (und insbesondere denen desökonomischen Feldes) als uneigennützig, unentgeltlich erscheint.Doch unterschwellig ist das »reine«, das uneigennützige Interesseein Interesse an der Uneigennützigkeit, eine Art des Interesses, diezu allen Ökonomien symbolischer Güter, allen antiökonomischenÖkonomien gehört, wo es in gewissem Sinne die Uneigennützig-<strong>Prof</strong>. <strong>Dr</strong>. <strong>Armin</strong> <strong>Nassehi</strong> Seite 17


<strong>Armin</strong> <strong>Nassehi</strong>Institut für Soziologiekeit ist, die sich »auszahlt« (das ist einer der radikalsten Unterschiedezwischen dem »Wissenschaftskapitalisten« und dem einfachenKapitalisten). So sind die Strategien der Akteure in gewisserWeise immer doppelgesichtig, doppelsinnig, interessengeleitet undinteressenlos, beseelt von einer Art Eigennutz der Uneigennützigkeit,der völlig gegensätzliche, aber gleichermaßen falsche, weileinseitige Beschreibungen zuläßt, die eine hagiographisch undidealisierend, die andere zynisch und reduktionistisch, wenn sie ausdem »Wissenschaftskapitalisten« einen Kapitalisten wie jeden anderenmacht.<strong>Prof</strong>. <strong>Dr</strong>. <strong>Armin</strong> <strong>Nassehi</strong> Seite 18


<strong>Armin</strong> <strong>Nassehi</strong>Institut für SoziologieS. 32: Diese zwei Sorten wissenschaftlichen Kapitals folgen unterschiedlichenAkkumulationsgesetzen. Das »reine« wissenschaftlicheKapital wird vor allem durch anerkannte Beiträge zum Fortschrittder Wissenschaft, durch Erfindungen oder Entdeckungenangehäuft (der beste Indikator sind hier Veröffentlichungen, insbesonderein hochselektiven und prestigereichen Organen, ähnlichwie symbolische Bankkredite). Das institutionelle wissenschaftlicheKapital wird im Wesentlichen durch (spezifische) politischeStrategien angesammelt, denen allen gemeinsam ist, Zeit zu beanspruchen- Mitgliedschaft in Kommissionen, in Prüfungsausschüssenund Preisgerichten, Teilnahme an sachlich mehr oder wenigerfiktiven Kolloquien, an Festakten, Zusammenkünften usw. Hierläßt sich manchmal nur schwer entscheiden, ob diesen Strategien,<strong>Prof</strong>. <strong>Dr</strong>. <strong>Armin</strong> <strong>Nassehi</strong> Seite 19


<strong>Armin</strong> <strong>Nassehi</strong>Institut für Soziologiewie seine Inhaber oft freimütig bekennen, ein (kompensatorisches)Streben nach dessen Akkumulation selbst zugrundeliegt, oder obsie das Ergebnis eines nur mäßigen Erfolges bei der Akkumulationeiner spezifischeren und legitimeren Form wissenschaftlichen Kapitalssind.______________________________________________________Reflexive Anthropologie, FfM1996.S. 139f.: Wenn ich sage, daß die Struktur des Feldes - Sie sehen,nach und nach habe ich doch eine Begriffsbestimmung konstruiert -durch die Distributionsstruktur der besonderen Kapitalsorten bestimmtwird, die in ihm aktiv sind, dann heißt das, daß ich bei adäquaterKenntnis der Kapitalformen alles differenzieren kann, wases zu differenzieren gibt. Zum Beispiel - das ist eines der Prinzi-<strong>Prof</strong>. <strong>Dr</strong>. <strong>Armin</strong> <strong>Nassehi</strong> Seite 20


<strong>Armin</strong> <strong>Nassehi</strong>Institut für Soziologiepien, von denen ich mich bei meiner Arbeit über die Hochschullehrerhabe leiten lassen - kann man nicht bei einem Erklärungsmodellstehenbleiben, mit dem keine Differenzierung von Menschenoder vielmehr Positionen möglich ist, die für die gewöhnliche Sichtdes jeweiligen Universums stark gegensätzlich sind, sondern mußsich fragen, ob man nicht irgendwelche Variablen übersehen hat,die eine Unterscheidung zwischen ihnen erlauben würden.<strong>Prof</strong>. <strong>Dr</strong>. <strong>Armin</strong> <strong>Nassehi</strong> Seite 21


<strong>Armin</strong> <strong>Nassehi</strong>Institut für SoziologieÖkonomisches Kapital, kulturelles Kapital, soziales Kapital, in:Soziale Welt, Sonderband 2: Soziale Ungleichheiten, Göttingen1983, S. 183-198.S. 183: Die gesellschaftliche Welt ist akkumulierte Geschichte. Siedarf deshalb nicht auf eine Aneinanderreihung von kurzlebigen undmechanischen Gleichgewichtszuständen reduziert werden, in denendie Menschen die Rolle von austauschbaren Teilchen spielen. Umeiner derartigen Reduktion zu entgehen, ist es wichtig, den Kapitalbegriffwieder einzuführen, und mit ihm das Konzept der Kapitalakkumulationmit allen seinen Implikationen. Kapital ist akkumulierteArbeit, entweder in Form von Materie oder in verinnerlichter,‚inkorporierter’ Form.<strong>Prof</strong>. <strong>Dr</strong>. <strong>Armin</strong> <strong>Nassehi</strong> Seite 22


<strong>Armin</strong> <strong>Nassehi</strong>Institut für SoziologieS. 183: Das Kapital ist eine der Objektivität der Dinge innewohnendeKraft, die dafür sorgt, dass nicht alles gleich möglich oder unmöglichist.______________________________________________________S. 185: Das kulturelle Kapital kann in drei Formen existieren: (1.) inverinnerlichtem, inkorporiertem Zustand, in Form von dauerhaftenDispositionen des Organismus, (2.) in objektiviertem Zustand, inForm von kulturellen Gütern, Bildern, Büchern, Lexika, Instrumentenoder Maschinen, in denen bestimmte Theorien und deren Kritiken,Problematiken usw. Spuren hinterlassen oder sich verwirklichthaben, und schließlich (3.) in institutionalisiertem Zustand, einerForm von Objektivationen, die deswegen gesondert behandelt wer-<strong>Prof</strong>. <strong>Dr</strong>. <strong>Armin</strong> <strong>Nassehi</strong> Seite 23


<strong>Armin</strong> <strong>Nassehi</strong>Institut für Soziologieden muss, weil sie – wie man beim schulischen Titel sieht – demkulturellen Kapital, das sie ja garantieren soll, ganz einmalige Eigenschaftenverleiht.______________________________________________________S. 190: Das Sozialkapital ist die Gesamtheit der aktuellen und potentiellenRessourcen, die mit dem Beseitz eines dauerhaften Netzesvon mehr oder weniger institutionalisierten Beziehungen gegenseitigenKennens und Anerkennens verbunden sind; oder, andersausgedrückt, es handelt sich dabei um Ressourcen, die auf derZugehörigkeit zu einer Gruppe beruhen.<strong>Prof</strong>. <strong>Dr</strong>. <strong>Armin</strong> <strong>Nassehi</strong> Seite 24


<strong>Armin</strong> <strong>Nassehi</strong>Institut für SoziologieSozialer Sinn. Kritik der theoretischen Vernunft, FfM 1987.S. 49f.: Von allen Gegensätzen, die die Sozialwissenschaften künstlichspalten, ist der grundlegendste und verderblichste der zwischenSubjektivismus und Objektivismus. Schon daß diese Spaltung immerwieder in kaum veränderten Formen aufbricht, dürfte zur Genügebelegen, daß die beiden Erkenntnisweisen, zwischen denen sie unterscheidet,für eine Wissenschaft der Sozialwelt, die weder auf eineSozialphänomenologie noch auf eine Sozialphysik reduziert werdenkann, gleichermaßen unentbehrlich sind. Um den Antagonismuszwischen diesen Erkenntnisweisen zu überwinden und dabei dennochdie Errungenschaften beider zu bewahren (oder wegzulassen,was sich aus der interessierten Betrachtung der jeweils entgegen-<strong>Prof</strong>. <strong>Dr</strong>. <strong>Armin</strong> <strong>Nassehi</strong> Seite 25


<strong>Armin</strong> <strong>Nassehi</strong>Institut für Soziologiegesetzten Position ergibt), müssen die Grundannahmen expliziertwerden, die sie als wissenschaftliche Erkenntnisweisen miteinandergemein haben, die gleichermaßen im Gegensatz zur praktischen Erkenntnisweisestehen, der Grundlage der normalen Erfahrung derSozialwelt. Dies erfordert, die wissenschaftstheoretischen und sozialenBedingungen, welche sowohl das reflexive Zurückkommen aufdie subjektive Erfahrung der Sozialwelt als auch die Objektivierungder objektiven Bedingungen dieser Erfahrung möglich machen, einerkritischen Objektivierung zu unterziehen.<strong>Prof</strong>. <strong>Dr</strong>. <strong>Armin</strong> <strong>Nassehi</strong> Seite 26


<strong>Armin</strong> <strong>Nassehi</strong>Institut für SoziologieReflexive Anthropologie, a.a.O.S. 110f.: Daß Praktiken von Mitgliedern derselben Gruppe oder, ineiner differenzierten Gesellschaft, derselben Klasse stets mehr undbesser aufeinander abgestimmt sind, als die Handelnden selber wissenoder wollen, liegt wiederum nach Leibniz daran, daß jeder, »indem(er) nur seinen eigenen Gesetzen folgt, ... dennoch mit den anderenübereinstimmt«. Der Habitus ist nichts anderes als jenes immanenteGesetz, jene den Leibern durch identische Geschichte(n)aufgeprägte lex insita, welche Bedingung nicht nur der Abstimmungder Praktiken, sondern auch der Praktiken der Abstimmung ist.<strong>Prof</strong>. <strong>Dr</strong>. <strong>Armin</strong> <strong>Nassehi</strong> Seite 27


<strong>Armin</strong> <strong>Nassehi</strong>Institut für SoziologieS. 153: Ich habe mich schon so oft zu Bedeutung und Funktion desHabitusbegriffs geäußert, daß ich jetzt zögere, noch einmal auf ihneinzugehen, denn mir ist bewußt, daß ich mich beim Vereinfacheneigentlich nur wiederholen kann, ohne damit unbedingt verständlicherzu werden ... Ich möchte hier nur soviel sagen, daß die Hauptfunktiondieses Begriffs darin besteht, den Bruch mit jener intellektualistischen(und intellektuellozentrischen) Philosophie des Handelnszu betonen, für die vor allem die Rational Action Theory, alsodie Theorie des homo oeconomicus als eines rational Handelndensteht, die gerade wieder in Mode gekommen ist, obgleich viele Ökonomeneigentlich von ihr abgekommen sind (auch wenn sie es mitunternicht sagen oder nicht wissen). Um also die wirkliche Logikder Praxis zu erklären (zwei Wörter, die eigentlich ohnehin zusam-<strong>Prof</strong>. <strong>Dr</strong>. <strong>Armin</strong> <strong>Nassehi</strong> Seite 28


<strong>Armin</strong> <strong>Nassehi</strong>Institut für Soziologiemengehören, denn das gerade ist ja das ureigenste Merkmal der Praxis,daß sie »logisch« ist, eine Logik hat - ich denke an eine scheinbaram wenigsten logische Praktik wie das rituelle Handeln -, ohneihren Ursprung in der Logik zu haben), habe ich eine Theorie derPraxis als Produkt eines Praxis-Sinns entwickelt, eines sozial konstituiertenSinns für das Spiel._______________________________________________________S. 159f.: Darüber hinaus erklärt die Habitus-Theorie, warum der Finalismusder Theorie der rationalen Entscheidung anthropologischzwar falsch ist, empirisch aber dennoch begründet erscheinen kann.Der individualistische Finalismus, der das Handeln als etwas begreift,das von einer bewußten Orientierung an explizit formuliertenZwecken bestimmt wird, ist eine »wohlbegründete Illusion«: Der<strong>Prof</strong>. <strong>Dr</strong>. <strong>Armin</strong> <strong>Nassehi</strong> Seite 29


<strong>Armin</strong> <strong>Nassehi</strong>Institut für SoziologieSinn für das Spiel, der eine antizipatorische Anpassung des Habitusan die mit dem Feld gegebenen Notwendigkeiten und Wahrscheinlichkeitenimpliziert, erweckt nämlich den Anschein, als sei dabeidie Zukunft richtig antizipiert worden. Auch die strukturelle Affinitätder Habitus, die derselben Klasse angehören, kann Praktiken hervorbringen,die konvergent und objektiv aufeinander abgestimmtsind, und zwar jenseits jeder kollektiven Absicht und jedes kollektivenBewußtseins, geschweige denn irgendeiner Form von »Verschwörung«(dies ist zum Beispiel bei dem System der Reproduktionsstrategiender Fall, die von den Herrschenden angewendetwerden und die Reproduktion der Gesellschaftsstruktur mittels objektiverMechanismen sichern helfen). Auf diese Weise lassen sichauch viele Formen jener Schein-Teleologie erklären, die in der so-<strong>Prof</strong>. <strong>Dr</strong>. <strong>Armin</strong> <strong>Nassehi</strong> Seite 30


<strong>Armin</strong> <strong>Nassehi</strong>Institut für Soziologiezialen Welt zu beobachten ist, etwa die »Trittbrettfahrer« (Olson1965), also jene kollektiven Aktions- oder Reaktionsformen, die derTheorie des rationalen Handelns so unüberwindliche Schwierigkeitenbereiten._______________________________________________________S. 163: Der Habitus ist das, was man voraussetzen muß, wenn manerklären will, warum die sozialen Akteure, ohne im eigentlichen Sinnerational zu sein, das heißt ohne ihr Verhalten im Hinblick auf dieMaximierung der ihnen zur Verfügung stehenden Mittel zu organisieren,kurz, ohne Kombinationen, Pläne, Projekte zu machen, vernünftigsind und nicht verrückt, daß sie keine Dummheiten machen(in dem Sinne, wie man von jemandem, der sich bei einer Geldausgabe»übernommen« hat, sagt, er habe eine »Dummheit« gemacht):Sie sind viel weniger abwegig oder irregeleitet, als wir spontan mei-<strong>Prof</strong>. <strong>Dr</strong>. <strong>Armin</strong> <strong>Nassehi</strong> Seite 31


<strong>Armin</strong> <strong>Nassehi</strong>Institut für Soziologienen möchten, und zwar gerade deswegen, weil sie als Ergebnis eineslangen und komplexen Konditionierungsprozesses die objektivenChancen, die sich ihnen bieten, verinnerlicht haben, und weil sie dieZukunft vorhersagen können, die zu ihnen paßt (im Gegensatz zudem, was »nichts für einen ist«), nämlich aufgrund praktischer Antizipationen,die aus der Gegenwart selber das herauslesen, was ohnejedes Besinnen »zu tun« oder »zu sagen« ist (und dann rückblickendals das »einzige« erscheint, was überhaupt zu tun oder zu sagenwar). Die Dialektik von subjektiven Erwartungen und objektivenChancen ist überall in der sozialen Welt wirksam, und meist sorgtsie tendenziell für eine Anpassung der Erwartungen an die Chancen.<strong>Prof</strong>. <strong>Dr</strong>. <strong>Armin</strong> <strong>Nassehi</strong> Seite 32


<strong>Armin</strong> <strong>Nassehi</strong>Institut für SoziologieRede und Antwort, FfM1992.S. 117f.: Zum Abschluß wäre zu fragen, ob die Illusion des universellenökonomischen Kalküls nicht doch auch in der Realität verankertist. Die unterschiedlichen Ökonomien - die Ökonomie der Religionmit der Logik der Opfergabe, die Ökonomie der Ehre mit demAustausch von Gaben und Gegengaben, den wechselseitigen Herausforderungen,den Morden und Racheakten usw. - können teilweiseoder ganz dem Ökonomieprinzip gehorchen und eine Formdes Kalküls, der ratio, zum Einsatz bringen, mit dem Ziel der Optimierungder Kosten-Nutzen-Rechnung. Auf diese Weise entdecktman Verhaltensweisen, die sich als Investitionen zwecks Maximierungdes Nutzens in den verschiedensten (im weitesten Sinn) ökono-<strong>Prof</strong>. <strong>Dr</strong>. <strong>Armin</strong> <strong>Nassehi</strong> Seite 33


<strong>Armin</strong> <strong>Nassehi</strong>Institut für Soziologiemischen Universa - Gebet oder Opferhandlung etwa - begreifen lassenund die zuweilen explizit dem Prinzip des do ut des gehorchen,aber auch in der Logik des symbolischen Austauschs mit all jenenVerhaltensweisen, die so lange als Verschwendung wahrgenommenwerden, solange sie an den Prinzipien der Ökonomie im engerenSinne gemessen werden. Die Universalität des ökonomischen Prinzips,das heißt der ratio im Sinne des Optimumkalküls, auf Grundderen man jedes Verhalten rationalisieren kann (denken wir nur andie Gebetsmühle), nährt den Glauben, man könne alle Ökonomienauf die Logik einer Ökonomie zurückführen: Durch Generalisierungdes Einzelfalls werden alle ökonomischen Logiken, insbesondere dieLogik der auf der Undifferenziertheit der ökonomischen, politischenund religiösen Funktionen begründeten Ökonomien, auf die voll-<strong>Prof</strong>. <strong>Dr</strong>. <strong>Armin</strong> <strong>Nassehi</strong> Seite 34


<strong>Armin</strong> <strong>Nassehi</strong>Institut für Soziologiekommen singuläre Logik der ökonomischen Ökonomie zurückgeführt,in der das ökonomische Kalkül explizit auf ausschließlich ökonomischeZwecke orientiert ist, wie es das bloße Vorhandensein einesökonomischen Feldes postuliert, das als solches sich auf der Basisjenes tautologisch formulierten Axioms: »Geschäft ist Geschäft«konstituiert hat.<strong>Prof</strong>. <strong>Dr</strong>. <strong>Armin</strong> <strong>Nassehi</strong> Seite 35

Hurra! Ihre Datei wurde hochgeladen und ist bereit für die Veröffentlichung.

Erfolgreich gespeichert!

Leider ist etwas schief gelaufen!