25 - Ultimo auf draht
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M<br />
an schreibt das Jahr 1961 im<br />
New Yorker Greenwich Village,<br />
wo in verrauchten Kellerbars<br />
eine kleine Folkmusik-Szene vor sich<br />
hinblüht.InzweiJahrenwirdBob<br />
Dylans „Freewheelin’“-Album herauskommen<br />
und die Folkmusik<br />
zum Soundtrack der <strong>auf</strong>kommenden<br />
Protestbewegung machen.<br />
Aber das ahnt hier noch keiner.<br />
Llewyn Davis (Oscar Isaac) ist ein begnadeter<br />
Folk-Troubadour, dessen<br />
Talente von der Musikindustrie vollkommen<br />
ignoriert werden. Das in<br />
kleiner Auflage erscheinen Debütalbum<br />
„Inside Llewin Davis“ will sich<br />
nicht verk<strong>auf</strong>en, und seit sein<br />
Freund und Mitspieler von der George-Washington-Bridge<br />
gesprungen<br />
ist, macht sich auch eine kreative Krise<br />
breit. Eine Wohnung kann sich<br />
der vagabundierende Musiker nicht<br />
leisten, und so schläft er sich von einer<br />
Couch zur nächsten. Im zwischenmenschlichen<br />
Umgang hat der<br />
Künstler wenig Talent. Dankbarkeit<br />
zu zeigen, gehört nicht zu seinen<br />
Oscar Isaac als Llewyn Davis<br />
SCHÖNE VERLIERER<br />
In »Inside Llewyn Davis« richten die Coen-Brüder ihren gewohnt ironischen Blick<br />
<strong>auf</strong> den Beginn der Folk-Bewegung<br />
Stärken, und so nimmt die Zahl der<br />
Freunde und Verwandten, die ihm<br />
einen Gefallen tun wollen, rapide ab.<br />
„Alles was du anfasst, verwandelt<br />
sich in Scheiße“, sagt Jean (Carey<br />
Mulligan) zu ihm. Sie weiß, wovon<br />
sie spricht, denn aus einem von Llewyns<br />
Übernachtungsbesuchen ist ihre<br />
Schwangerschaft hervorgegangen,<br />
und für die Abtreibung muss sich der<br />
unzuverlässige Gelegenheitsliebhaber<br />
nun das Geld zusammenleihen.<br />
Und dann ist da auch noch die Katze,<br />
<strong>auf</strong> die er für einen seiner Wohltäter<br />
aus der Upper West Side <strong>auf</strong>passen<br />
soll. Natürlich läuft das Tier weg –<br />
und taucht in entscheidenden Momenten<br />
wieder <strong>auf</strong>, um dem<br />
Schicksal des hadernden Helden<br />
einen Stups zu geben.<br />
Keiner kümmert sich im Kino so<br />
gut um die Verlierer dieser Welt wie<br />
die Coen-Brothers. Vom gepeinigten<br />
Autohändler Jerry Lundegaard in<br />
Fargo über den strohdummen Fitnesstrainer<br />
Chad in Burn After Reading<br />
bis zu dem verzweifelnden Familienvater<br />
Larry Gopnik in ASerious<br />
Man waren es immer wieder die<br />
vom Pech verfolgten Kreaturen, die<br />
die Brüder mehr fasziniert haben als<br />
irgendwelche dahergel<strong>auf</strong>enen<br />
Siegertypen.<br />
Inside Llewyn Davis reiht sich ein<br />
in diese Parteinahme für die Gebeutelten,<br />
aber im Gegensatz zu den Vorläuferwerken<br />
paart sich hier der ironische<br />
Blick <strong>auf</strong> das menschliche<br />
Fehlverhalten und die wirren Wege<br />
des Schicksals mit einem Bekenntnis<br />
zu echter Melancholie. Das winterliche<br />
New York, das nur mit ein paar<br />
Haifischflossen-Autos in den frühen<br />
Sechzigern verankert wird, ist ein unwirtlicher<br />
Ort, durch den der strauchelnde<br />
Musiker ohne Mantel und<br />
mit stets hochgezogenen Schultern<br />
mäandert. Allenfalls in den verrauchten<br />
Gewölben des „Gaslight Cafés“<br />
kommt ein wenig Wärme <strong>auf</strong>, wenn<br />
die Sänger <strong>auf</strong> der Bühne in frisch gewaschenen<br />
Strickpullovern ihr ganzes<br />
Herz in die Interpretation traditioneller<br />
Folk-Songs legen. Die Coens<br />
widmen sich dieser Musik mit voller<br />
Aufmerksamkeit. Die Songs<br />
werden prinzipiell in ganzer Länge<br />
ausgespielt und nicht als Hintergrundmusik<br />
eingesetzt.<br />
Eine zarte Unverfälschtheit ist in<br />
dieser Musik, die später einen Grundstein<br />
für die amerikanische Gegenkultur<br />
legen soll. Einmal macht sich<br />
Llewyn <strong>auf</strong> nach Chicago, um einem<br />
bekannten Musikproduzenten vorzuspielen.<br />
Während der verfrorene<br />
Sänger sich die Seele aus dem Leib<br />
singt, schaut der Mann ihm ungerührt<br />
zu. Als der letzte Ton verklungen<br />
ist, bewegt sich der Mund im steinernen<br />
Gesicht des Produzenten und<br />
sagt nur: „I don’t see any money in<br />
this“ – eine hin- und herzzerreißende<br />
Szene, in der künstlerische Ambition<br />
und kommerzielles Kalkül bru-<br />
tal <strong>auf</strong>einander knallen. Auch wenn<br />
man Inside Llewyn Davis als Hommage<br />
an all die talentierten Künstler lesen<br />
kann, die deutlich weniger Glück<br />
in der Unterhaltungsindustrie hatten<br />
als die Filmemacher selbst, heißt das<br />
nicht, dass die Coens mit mitleidigem<br />
Blick <strong>auf</strong> ihren Antihelden schauen.<br />
Wenn die fabelhafte Carey Mulligan<br />
in der Rolle der verbitterten Freundin<br />
Llewyn mit unnachgiebiger Härte<br />
demontiert, würden die Geschworenen<br />
der Anklage in allen Punkten<br />
Recht geben. Dass man den Kerl<br />
trotzdem mögen lernt, ist das Verdienst<br />
der Coens, die auch hier<br />
wieder ihren freien, vorbehaltlosen<br />
und humorvollen Umgang mit den<br />
Unzulänglichkeiten<br />
des<br />
menschlichen Seins unter Beweis<br />
stellen. Martin Schwickert<br />
USA/F 2013 105 min R&B: Joel und Ethan<br />
Coen K: Bruno Delbonnel D: Oscar Isaac,<br />
Carey Mulligan, John Goodman<br />
Carey Mulligan und Justin Timberlake in „Inside Llewyn Davis“<br />
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