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Visionen - VSETH - ETH Zürich

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visionen<br />

12<br />

Klassenlose<br />

Sache<br />

Der Kapitalismus ist kein Naturgesetz. Aber was wäre<br />

die Alternative<br />

Das sozialistisch-marxistische Konzept sieht eine Wirtschaft vor, die si<br />

Von Raphael Fuhrer<br />

«Bei der Finanzkrise handelt es sich aus<br />

marxistischer Sicht um eine klassische Überproduktionskrise.<br />

In einer solchen Situation<br />

gibt es nur noch wenig Möglichkeiten,<br />

Geld gewinnbringend zu investieren. Und das<br />

trifft ein System, das nur der Profitmaximierung<br />

hinterher rennt, natürlich stark», sagt<br />

Urs Diethelm. Mit dem System meint er den<br />

Kapitalismus, denn Diethelm ist Mitglied der<br />

Gruppierung «Sozialistische Alternative/Solidarität».<br />

Wir treffen uns in deren Büro, das<br />

unweit des Basler Bahnhofs liegt, und sprechen<br />

über visionäre Alternativen zur jetzigen,<br />

kapitalistischen Gesellschaft.<br />

Zu viel des Profits<br />

«Zwar gab es im Kapitalismus schon einige<br />

Krisen. Diese ist jedoch besonders<br />

schwerwiegend», meint Urs Diethelm. Die<br />

Milliarden, die in Banken und Unternehmen<br />

gebuttert wurden, würden nun an anderer<br />

Stelle – zum Beispiel bei der sozialen Sicherheit<br />

– fehlen. «Auch bei uns im reichen<br />

Norden stellen sich daher harte Verteilungskämpfe.<br />

Eine sichere Altersvorsorge, Invaliden-<br />

oder Krankheitsversorgung werden<br />

nach der einseitigen Milliardenverteilung<br />

zu Gunsten der Banken nicht mehr selbstverständlich<br />

sein», befürchtet Diethelm. Er<br />

glaubt nicht, dass so weitergemacht werden<br />

kann wie bisher. Der grundlegende Widerspruch,<br />

der das jetzige System verkörpere,<br />

liege offen da: Die Diskrepanz zwischen Profitmaximierung<br />

und den tatsächlichen Bedürfnissen<br />

der Menschen. Genau diese Diskrepanz<br />

habe auch zur aktuellen Finanzkrise geführt.<br />

Mit Schulden der Schulden der Schulden handeln<br />

– aus Profitsicht sinnvoll, aber welchem<br />

echten Bedürfnis entsprechend «Dass so<br />

etwas zusammenbrechen wird, war vorauszusehen»,<br />

stellt der linke Aktivist fest. Auch die<br />

anderen offenkundigen Mängel des Kapitalismus’<br />

wie etwa Umweltzerstörung, Hunger<br />

oder Trinkwassermangel würden die Gesellschaft<br />

schlicht zwingen, über tief greifende<br />

Alternativen nachzudenken.<br />

Elite trifft Entscheide<br />

Der sozialistisch-marxistische Grundgedanke<br />

geht von einer Wirtschaft aus, die sich<br />

an den Bedürfnissen der Menschen orientiert:<br />

«Die Leute sollen die Möglichkeit haben, direkt<br />

Einfluss zu nehmen auf die Frage, was<br />

und wie produziert wird.» Das kann über gesellschaftliche<br />

Demokratie oder über Mitsprache<br />

derer, die produzieren beziehungsweise<br />

eine Dienstleistung erbringen, geschehen.<br />

Im sozialistisch-marxistischen Modell<br />

solle denn auch nicht möglich sein, dass<br />

sich der Einzelne an diesen bedürfnisorientierten<br />

Wirtschaftsprozessen persönlich bereichern<br />

könnte. «Heute ist das ganz anders»,<br />

gibt Diethelm zu bedenken. «Eine<br />

kleine Elite trifft die Entscheide.» Zweifel bezüglich<br />

der Umsetzbarkeit des marxistischen<br />

Gedankenguts versucht Diethelm zu entkräften:<br />

«Es geht bei den Entscheidungen um<br />

grundlegende Angelegenheiten wie genügend<br />

Nahrungsmittel für alle, gutes Trinkwasser<br />

oder eine ökologische Landwirtschaft<br />

und nicht etwa um die Wassertemperatur im<br />

Schwimmbad.» Auch ob Kopfsalat oder Nüsslisalat<br />

angebaut werde, müsse nicht so festgelegt<br />

werden, sondern könnte durch den<br />

Markt bestimmt werden. Aber die Gesellschaft<br />

könnte sich beispielsweise die Frage<br />

stellen, ob sie sich den ökologisch und finanziell<br />

teuren Privatverkehr leisten wolle oder<br />

ob man nicht vermehrt per Velo oder öffentlichen<br />

Verkehrsmitteln, die natürlich ausgebaut<br />

werden müssten, unterwegs sein könnte.<br />

«Wir wären gleichermassen mobil, allerdings<br />

ökologischer und günstiger», erklärt<br />

Diethelm. In diesem Sinne gebe es noch eine<br />

Reihe weiterer Beispiele. Wichtig dabei sei,<br />

so meint er, dass die Menschen – und zwar<br />

global betrachtet, also alle Menschen – ihre<br />

Grundbedürfnisse äussern könnten und diese<br />

auf eine demokratisch bestimmte Art erfüllt<br />

würden. Dies erfordere eine Diskussion über<br />

die Grundbedürfnisse innerhalb der Gesellschaft<br />

und zeige, dass ein Abwägen verschiedener<br />

Bedürfnisse und Freiheiten notwendig<br />

sei. «Ist es ein echtes Bedürfnis, zwischen 150<br />

Automodellen auswählen zu können», fragt<br />

Diethelm rhetorisch. Gewisse Leute reagierten<br />

allergisch, wenn die Auswahl beispielsweise<br />

auf drei Modelle reduziert würde, die ökologische<br />

und soziale Kriterien erfüllen. «Darin<br />

würden diese Leute ihr angebliches Grundbedürfnis<br />

nach Wahlfreiheit verletzt sehen. Dass<br />

Polykum Nr. 4/08–09 Illustration: Tobias Tschopp

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