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Komplexchemie - Ingo Schnell

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der quantitativen Bestimmung von Metall-Ionen Verwendung. Das Phänomen der erhöhten Stabilität, das allgemein<br />

bei mehrzähnigen Liganden auftritt, wird als Chelateffekt bezeichnet (griech., „Krebsschere“).<br />

4. Eine kurze Geschichte der <strong>Komplexchemie</strong><br />

Einzelne Substanzen, deren charakteristischer Inhaltsstoff eine Koordinationsverbindung war, stellte man<br />

schon im Altertum her, wie z. B. den Farblack Alizarin oder Hämderivate aus Tierblut. Erste Dokumentationen<br />

gibt es seit Herodot (450 v. Chr.). Den ersten wissenschaftlich dokumentierten Beleg einer Komplexverbindung<br />

lieferte der Hallenser Arzt und Alchimist Andreas Libavius aber erst 1597. Er beschrieb den Tetraamminkupfer(II)-Komplex,<br />

der jedoch erst viel später als Komplexverbindung charakterisiert wurde. Die erste<br />

Isolierung gelang Diesbach und Dippel 1704 im Falle von “Berliner Blau“, Fe4[Fe(CN)6]3. Eine chemische<br />

Formulierung der Hydrate und Amminkomplexe der Übergangsmetalle gehörte zu dieser Zeit aber noch zu<br />

den ungelösten Problemen der anorganischen Chemie.<br />

Es dauerte bis zum Beginn des 19. Jahrhunderts, dass Komplexverbindungen Gegenstand chemischer Forschung<br />

wurden und in rascher Abfolge eine ganze Reihe von Komplexverbindungen mit einer gezielten präparativen<br />

Methodik hergestellt werden konnten. Die synthetisierten Komplexe benannte man meist nach ihren<br />

Entdeckern. Mit Sophus Mads Jørgensen betrat 1878 der wohl produktivste präparative Komplexchemiker<br />

des 19. Jahrhunderts die Bühne der Wissenschaft. In den folgenden drei Jahrzehnten synthetisierte er<br />

systematisch eine Vielzahl von Komplexverbindungen und beschäftigte sich mit der chemischen Formulierung<br />

der Hydrate und Amminkomplexe der Übergangsmetalle. Jørgensen selbst war Anhänger eines Strukturkonzeptes,<br />

das der Schwede Christian W. Blomstrand entwickelt hatte. Dieses Konzept wurde ab 1870<br />

unter dem Begriff „Kettentheorie“ bekannt und basierte auf den erfolgreich angewendeten Grundprinzipien<br />

der organischen Chemie.<br />

Alfred Werner. Originalpräparate aus Alfred Werners Laboratorium.<br />

Die Widersprüche der Kettentheorie und nicht zuletzt die herausragenden präparativen Arbeiten von Jørgensen<br />

schufen die Grundlage für die Koordinationschemie Alfred Werners (1866-1919), der durch seinen epochalen<br />

Beitrag zum Aufbau der Komplexe heute gern als “Vater der <strong>Komplexchemie</strong>“ bezeichnet wird. Ende<br />

des Jahres 1892 reichte der damals erst 26-jährige Schweizer Chemiker seine Arbeit “Beiträge zur Konstitution<br />

anorganischer Verbindungen“ bei der kurz zuvor gegründeten Zeitschrift für Anorganische Chemie ein<br />

und führte damit die anorganische Chemie aus dem Schatten der alles dominierenden organischen Chemie.<br />

Bei der Formulierung seiner Koordinationstheorie gab Werner die Beschränkung Valenz (Wertigkeit) = Bindigkeit<br />

(Koordinationszahl) auf, die in Orientierung an die Chemie des Kohlenstoffs zu den oben genannten<br />

Kettentheorien geführt hatte. Er postulierte, dass jedes Zentralatom in einem Komplex neben seiner Valenzzahl<br />

(später von ihm umbenannt in “Hauptvalenz“ = Oxidationszahl) eine charakteristische Koordinationszahl<br />

(später “Nebenvalenz“) besitzt. Dabei waren neutrale Liganden direkt an das Metallatom gebunden, während<br />

anionische Liganden entweder “in der ersten Sphäre“ direkt an das Metall gebunden waren oder “in der<br />

zweiten Sphäre“ als Gegenion fungieren konnten. In seiner Neuformulierung des Aufbaus der Metallkomplexe<br />

beschäftigte sich Werner auch mit der Frage der Geometrie solcher Verbindungen und bot für die zur damaligen<br />

Zeit am häufigsten beobachtete Koordinationszahl sechs das Oktaeder als Ligandenpolyeder an.<br />

Für die vierfach koordinierten Pt(II)-Komplexe postulierte er angesichts der beobachteten Konfigurationsisomere<br />

eine quadratisch-planare Geometrie. Ein weiterer bemerkenswerter Aspekt der Arbeit von 1893 war<br />

das Fehlen einer adäquaten empirischen Grundlage für die weitreichenden Thesen (er selber hatte nicht ein<br />

einziges Experiment auf diesem Gebiet bis zu dem Zeitpunkt durchgeführt!). Dieser Umstand veranlasste<br />

später einmal einen deutschen Kollegen, die Wernersche Koordinationstheorie als eine “geniale Frechheit“<br />

zu bezeichnen. Es wurde das wissenschaftliche Lebenswerk Alfred Werners, diese geniale Frechheit auf<br />

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