Reportage - Gossen Kommunikation
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8 menschen REPORTAGE<br />
MENSCHEN REPORTAGE 9<br />
demonstriert Alina stolz ihre Fahrkünste mit dem<br />
E-Rolli. Die Logopädie dauert 45 Minuten. Alina übt<br />
Schlucken und das Trinken mit Strohhalm, sie macht<br />
Kauübungen und pustet Seifenblasen. Ein anstrengendes<br />
Programm, das ihr aber sichtlich Spaß macht<br />
und mit einem Kartenspiel und Sprechübungen endet.<br />
11.20 Uhr: Es duftet nach frisch gebackenem Kuchen.<br />
Nach ihrer Rückkehr in den Gruppenraum hat Alina zunächst<br />
Kevin, dem 17-jährigen Schülerpraktikanten der<br />
Parzival-Schule, beim Backen zugeschaut. Für morgen,<br />
den letzten Tag des Praktikums in der Werkstatt, hat<br />
Kevin, auch er ist Rolli-Fahrer, zu Kaffee und Kuchen<br />
eingeladen. Jetzt nimmt sich Alina eine Pause. Von<br />
ihrem Platz aus verfolgt sie aufmerksam das Geschehen<br />
im Gruppenraum. Neben ihr arbeitet Christa, 54,<br />
die ein Selbstgespräch führt. Dann schauen sich beide<br />
an, lachen, und Alina legt ihre Hand auf Christas.<br />
werden. Die FSJlerin macht das mit einer bewundernswerten<br />
Geduld. In der Pause nach dem Essen herrscht<br />
ein reges Kommen und Gehen. Beschäftigte aus anderen<br />
Gruppen kommen vorbei, man hält einen Plausch auf<br />
dem Sofa, Alina wird von allen freundlich gegrüßt.<br />
13.15 Uhr: Schäferhund<br />
Ruby hat seinen Ein -<br />
satz. Je nach Zeit und Anlass<br />
dürfen die Mitarbeiter<br />
dem Tier Leckerchen geben.<br />
Sabine Klüppel drückt Alina<br />
das Futter in die Hand,<br />
und das Spiel mit Ruby<br />
beginnt. Ganz von alleine<br />
stärkt dies ihre motorischen<br />
Fähigkeiten, die Körperwahrnehmung<br />
und die<br />
Fähigkeiten zur Interaktion.<br />
14.10 Uhr: Nach der kurzen Therapieeinheit braucht<br />
Alina wieder eine Ruhephase. Anschließend holt Ili<br />
Matuszczyk das Bastelmaterial für die Osterdekoration<br />
aus dem Regal. Bereits gestern hat Alina blau bemalte<br />
Hasenfiguren aus Holz mit Korkabdrücken verschönert.<br />
Während die beiden dann mit der Hand Kügelchen<br />
aus Filzwolle rollen und auf ein Holzschäfchen kleben,<br />
erklärt mir Ili Matuszczyk, dass Alina nicht nur gut mit<br />
dem Talker umgehen kann. „Sie versteht alles, was<br />
man sagt, und sie kann lesen. Sie schreibt sogar auf<br />
dem Computer und sendet mir Nachrichten auf Facebook.“<br />
Alina hört aufmerksam zu und bestätigt die<br />
Aussage abschließend mit einem freudigen Jauchzer.<br />
Zur Person<br />
Alina Podborny wurde am 6. Juli 1993 in Aachen geboren.<br />
Schwangerschaft und Geburt verliefen normal, doch im<br />
Alter von zehn Monaten stellten die Ärzte bei ihr Entwicklungsverzögerungen<br />
fest, die auf eine Hirnfehlbildung zurückzuführen<br />
sind. In der Frühförderung der Lebenshilfe fand<br />
Alina erste therapeutische Hilfe. Sie besuchte die integrative<br />
Kita des VKM in der Talbotstraße und wechselte dann zur<br />
Viktor-Frankl-Schule. Seit September 2011 ist die 19-Jährige im<br />
Heilpädagogischen Arbeitsbereich (HPA) unserer Werkstatt<br />
in der Neuenhofstraße. Alina lebt bei ihrer Mutter Stephanie<br />
Orlowski in Walheim. Zuhause sitzt sie gerne am Computer.<br />
Samstags trifft sie meistens ihre Freunde beim Familienentlastenden<br />
Dienst (FeD) der Lebenshilfe. Aktuell bereitet die<br />
Familie Alinas Auszug in die eigenen vier Wände vor. Stephanie<br />
Orlowski ist auf der Suche nach einem Wohnheim-Platz.<br />
15.20 Uhr: Der Arbeitstag geht zu Ende. Ich frage<br />
Sabine Klüppel nach dem Förderplan für Alina. An<br />
der Eingangstür hängt ein Medikamentenplan, Aktivitätsplan,<br />
Pflegeplan, Busplan und Förderplan für<br />
jeden Beschäftigten. Bei Alina steht unter anderem:<br />
Botengänge in der Halle. „Alina ist ja noch nicht lange<br />
bei uns“, sagt die Gruppenleiterin. „Dass sie Botengänge<br />
macht, ist für ihre Orientierung in der Werkstatt<br />
immer noch wichtig. Der Förderplan wird jedes Jahr<br />
neu geschrieben und dann entwickeln wir neue Ziele.“<br />
Damit alle rechtzeitig abfahrbereit sind, beginnen<br />
Sabine Klüppel und ihre Kolleginnen bereits jetzt mit<br />
der Hilfe beim Anziehen. Alina wird warm eingepackt<br />
und um Punkt vier steht ihr Fahrer an der Tür.<br />
12.00 Uhr: Pünktlich bringen Mitarbeiter und Betreuer<br />
aus der Gruppe das Mittagessen, das in der<br />
Werkstatt frisch zubereitet wird. Wer kann, hilft beim<br />
Tischdecken und später beim Spülen. Eine große Hilfe<br />
sind vor allem Sabrina und Ralf. Beide haben eine<br />
Autismus-Spektrums-Störung und achten sehr auf<br />
Ordnung. Am Tisch nehmen alle Platz und geben sich<br />
die Hand: „Wir wünschen uns einen guten Appetit.“<br />
Wieder herrscht eine fast andächtige Ruhe im Raum,<br />
nur Yunus, 27, der schon den ganzen Tag sehr unruhig<br />
ist, muss von Ili Matuszczyk abgelenkt und beschäftigt<br />
Stichwort:<br />
Heilpädagogischer Arbeitsbereich<br />
Der Heilpädagogische Arbeitsbereich (HPA) ist ein besonderes<br />
Angebot der Werkstatt für meist schwer mehrfachbehinderte<br />
Menschen. Am Standort Haaren beschäftigen<br />
wir 49 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter in fünf<br />
Gruppen, am Standort Neuenhofstraße 57 Menschen,<br />
ebenfalls in fünf Gruppen. Viele Mitarbeiter im HPA haben<br />
gleich mehrere Handicaps und brauchen Hilfe<br />
beim Essen, Trinken und bei der Körperpflege. Häufig<br />
sind auch herausfordernde Verhaltensweisen. Die Arbeit<br />
besteht aus augenscheinlich sehr einfachen Tätigkeiten.<br />
Für die Betroffenen sind sie jedoch mit meist großer Anstrengung<br />
verbunden und enorm wichtig für ihr Selbstwertgefühl.