brief eclectic psychotherapy (bep) for posttraumatic stress ... - IFP
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BRIEF ECLECTIC PSYCHOTHERAPY (BEP)<br />
FOR POSTTRAUMATIC STRESS DISORDER<br />
THERAPIEKONZEPT UND MANUAL<br />
Deutsche Fassung, Oktober 2005<br />
basierend auf der revidierten englischen Fassung vom Juni 2004<br />
Copyright 1996<br />
Prof. Berthold P.R. Gersons, Dr. Ingrid V.E. Carlier & Dr. Miranda Olff<br />
Center <strong>for</strong> Psychological Trauma<br />
Psychiatry Section, AMC / de Meren<br />
Tafelbergweg 25<br />
1105 BC AMSTERDAM<br />
The Netherlands<br />
Tel.: +31-20-566 2360<br />
Fax: +31-20-697 8519<br />
E-Mail: b.p.gersons@amc.uva.nl<br />
Übersetzung ins Deutsche:<br />
Prof. Ulrich Schnyder<br />
Psychiatrische Poliklinik<br />
Universitätsspital<br />
Culmannstrasse 8<br />
8091 Zürich<br />
Schweiz<br />
Tel.: +41-44-255 5251<br />
Fax: +41-44-255 4408<br />
E-Mail: uschnyd@psyp.unizh.ch
Wichtiger Hinweis:<br />
Die Autoren übernehmen keine Verantwortung für die Anwendung des<br />
Behandlungskonzeptes ohne vorherige Ausbildung der behandelnden Person.<br />
Frühere Fassungen:<br />
1. (enthalten in) Carlier, I.V.E., Lamberts, R.D., Gersons, B.P.R. Ingrijpende<br />
gebeurtenissen in politiewerk, Gouda Quint, Arnhem, 1994<br />
2. Integral individual treatment protocol <strong>for</strong> <strong>posttraumatic</strong> <strong>stress</strong> disorder.<br />
Longitudinal research project Critical Incidents in Police Work, Academic<br />
Medical Centre (AMC), Amsterdam, 1996<br />
3. Protocol voor een geïntegreerde individuele behandeling van de<br />
posttraumatische <strong>stress</strong>-stoornis, based on the longitudinal research project<br />
Critical Incidents in Police Work, Academic Medical Centre (AMC),<br />
Amsterdam, Januar 1997<br />
4. Integratives individuelles Behandlungsprotokoll der posttraumatischen<br />
Belastungsstörung: Ergebnisse einer Längsschnittstudie über kritische<br />
Zwischenfälle in der Polizeiarbeit, Ausführliche Fassung, Januar 1997.<br />
Übersetzung: Michaela Brückner und Doris Denis, Berlin.<br />
Danksagung:<br />
Für ihre beratende und inhaltliche Mitwirkung an dieser revidierten Fassung sei hier<br />
Ineke Vrijlandt, Ramón Lindauer, Gré Westerveld und Renée Hutter vom Center <strong>for</strong><br />
Psychological Trauma, Abteilung Psychiatrie, AMC / de Meren, Amsterdam, gedankt.<br />
2
Inhalt<br />
1. Einleitung...................................................................................................4<br />
- Indikationen...............................................................................................5<br />
- Kontraindikationen ....................................................................................6<br />
- Medikamente.............................................................................................7<br />
- Wirksamkeit...............................................................................................7<br />
2. Konzept ......................................................................................................8<br />
- Brief Eclectic Psychotherapy: Inhalt ..........................................................8<br />
1. Psychoedukation.................................................................................8<br />
2. Exposition durch Imagination (Exposition in sensu) ............................9<br />
3. Schreibaufgaben und Erinnerungsobjekte ........................................10<br />
4. Bedeutung und Integration................................................................10<br />
5. Abschiedsritual..................................................................................11<br />
3. Beschreibung der 16 Therapiesitzungen ..............................................11<br />
- Psychoedukation.....................................................................................11<br />
Sitzung 1 ...............................................................................................11<br />
- Exposition durch Imagination ..................................................................14<br />
Sitzung 2 ...............................................................................................14<br />
Sitzungen 3 bis 6...................................................................................16<br />
- Bedeutung und Integration......................................................................19<br />
Sitzungen 7 bis 12.................................................................................19<br />
Sitzung 9 ...............................................................................................20<br />
Sitzungen 10 bis 12...............................................................................21<br />
- Abschiedsritual........................................................................................21<br />
Sitzungen 13 bis 16...............................................................................21<br />
Literaturverzeichnis ....................................................................................23<br />
3
1. Einleitung<br />
Für die posttraumatische Belastungsstörung (PTSD – Posttraumatic Stress Disorder)<br />
bestehen zahlreiche therapeutische Konzepte (Foa, Keane, & Friedman, 2000; B. P.<br />
Gersons & Olff, 2005). Sie basieren auf den verschiedenen Paradigmen, die den<br />
sehr unterschiedlichen Psychotherapieschulen zugrunde liegen. Der wohl bekannteste<br />
Ansatz ist die kognitive Verhaltenstherapie (CBT – cognitive-behavioural therapy),<br />
die auf dem Prinzip der Habituation aufbaut. Das in jüngerer Zeit entwickelte Eye<br />
Movement Desensitisation and Reprocessing (EMDR) kommt der kognitiven Verhaltenstherapie<br />
nahe, wobei der Angstabbau auf einem anderen Weg erfolgt. Unser<br />
Konzept der Brief Eclectic Psychotherapy (BEP) baut auf einem psychodynamischen<br />
Konzept auf. Die Behandlung besteht aus einer kurzen, problemorientierten Psychotherapie<br />
und umfasst 16 Sitzungen von je 45 bis 60 Minuten Dauer. Jede Sitzung ist<br />
ein klar definierter Bestandteil von fünf therapeutischen Phasen. Ziel der Behandlung<br />
ist die Reduktion der posttraumatischen Symptomatik, die Unterstützung bei der Integration<br />
des traumatischen Ereignisses in das Leben des Patienten und letztlich die<br />
Wiedererlangung der Kontrolle über sein eigenes Leben.<br />
Die Bezeichnung Brief Eclectic Psychotherapy (BEP) wurde gewählt, weil es sich um<br />
eine Kombination verschiedener Theorien aus der psychodynamischen, kognitivbehavioralen<br />
und direktiven Psychotherapie handelt. Ausgangspunkt war die Pionierarbeit<br />
von Horowitz (Horowitz, 1986), der PTSD-Symptome als ständigen Wechsel<br />
zwischen „Wiedererleben“ und „Vermeidung“ traumatischer Erinnerungen beschrieb.<br />
Das Phänomen des „Wiedererlebens“ (reexperiencing), d.h. das Trauma<br />
ständig neu zu erleben, weist viele Gemeinsamkeiten mit dem Konzept der „Wiederholung“<br />
bei Angstneurosen aus der Theorie der Psychoanalyse auf. „Wiederholung“<br />
bezeichnet die ständige Präsenz von Angstelementen im aktiven Bewusstsein.<br />
„Vermeidung“ ist gemäss Horowitz der Versuch, die Erinnerung an ein traumatisches<br />
Ereignis zu verdrängen. Seiner Ansicht nach eliminiert die psychodynamische Psychotherapie<br />
sowohl Wiederholung als auch Vermeidung durch Konzentration auf die<br />
Bedeutung, die Patienten ihren traumatischen Erlebnissen beimessen, sowie durch<br />
Fokussierung auf das Erleben der damit verbundenen Gefühle. Das Ereignis erhalte<br />
damit einen Platz in der persönlichen Lebensgeschichte des Patienten.<br />
Auf dieser Basis wurde das BEP-Konzept von Gersons in den 1980er und 1990er<br />
Jahren weiterentwickelt. Gersons begann mit der Behandlung von Polizeibeamten<br />
gemäss den Richtlinien der psychodynamischen Psychotherapie (B. P. R. Gersons,<br />
1984, 1988, 1989, 1991; B. P. R. Gersons & Carlier, 1994). Wie bei der psychoanalytischen<br />
Behandlung von Vietnamveteranen durch Lindy (Lindy, 1988) waren die Ergebnisse<br />
von Gersons’ Ansatz sehr befriedigend: Die Polizeibeamten empfanden<br />
ihre verbesserte Selbsteinsicht und die klarere Weltanschauung als positiv. Trotzdem<br />
bestanden die PTSD-Symptome sowohl bei Gersons’ als auch bei Lindys Ansatz<br />
weiter. Während die Vermeidung reduziert werden konnte, hielten die intrusiven (sich<br />
aufdrängenden) Erinnerungen und die Übererregtheit an. Es folgte die Weiterentwicklung<br />
des Konzepts mit einer Methode, die sich stärker mit der Katharsis von Gefühlen<br />
(Freud & Breuer, 1893) befasst und beispielsweise bereits in der Trauertherapie<br />
erfolgreich angewandt wurde. Die Patienten schauten Fotos der verstorbenen<br />
Person an und konnten ihrer Wut und ihrem Leid freien Lauf lassen. Dadurch wurde<br />
die gescheiterte Trauerverarbeitung aktiviert. Im BEP-Konzept erfolgte die Katharsis<br />
durch den Einsatz von Erinnerungsobjekten – Gegenstände oder Bilder, die an das<br />
4
traumatische Ereignis erinnern – und indem der Patient in seiner Erinnerung zum<br />
intensivsten Moment des Ereignisses zurückgeführt wurde. Diese Technik wurde ursprünglich<br />
als „geführte Imagination“ (imaginary guidance) bezeichnet.<br />
Diejenigen Elemente des BEP-Ansatzes, die sich der Katharsis widmen, wurden weiter<br />
ergänzt, damit der Patient während der Behandlung die Kontrolle über die Situation<br />
behalten kann. Ein Grund für diese Ergänzung war Spiegel’s Warnung, dass<br />
„passive Patienten“ mit dem traditionellen psychodynamischen Ansatz zusätzlich<br />
traumatisiert werden könnten (Spiegel, Hunt, & Dondershine, 1988). BEP fördert das<br />
Kontrollgefühl des Patienten durch spezifische Entspannungsübungen parallel zum<br />
Imaginationsprozess. Die Patienten lernen, sich auf bestimmte Art zu entspannen,<br />
damit sie sich voll auf das geführte Nacherleben des Ereignisses einlassen können,<br />
ohne in Trance zu verfallen. Zudem beginnt die Therapie mit ausführlicher Psychoedukation.<br />
Dem Patienten, der in der Regel von einem Partner oder engen Bekannten<br />
begleitet wird, wird das Zusammenspiel zwischen dem traumatischen Ereignis und<br />
den PTSD-Symptomen anhand eines kognitionstheoretischen Erklärungsmodells<br />
ausführlich erläutert. Der Therapeut erklärt in diesem Zusammenhang auch die verschiedenen<br />
Elemente der vorgeschlagenen Therapie und das erwartete Ergebnis.<br />
Ein weiteres Element aus den Erfahrungen der Trauertherapie ist das Verfassen von<br />
Briefen, so genannten „Fortsetzungs<strong>brief</strong>en“. Diese werden hier aber normalerweise<br />
nicht an die verstorbene Person gerichtet (ausser jene Person ist Bestandteil des<br />
Traumas), sondern an eine Person oder Instanz, auf die der Patient sehr wütend ist.<br />
Der Brief hilft dem Patienten, sich seiner Wut bewusst zu werden und sie auszudrücken.<br />
Bei der Imagination befasst sich der Patient primär mit der Trauer aufgrund des<br />
traumatischen Erlebnisses.<br />
In der nächsten Phase geht es darum, dem traumatischen Ereignis eine Bedeutung<br />
zu verleihen und sich mit der Selbsteinsicht und dem Umfeld im weiteren Sinne auseinanderzusetzen.<br />
Die Patienten leiden zu diesem Zeitpunkt nicht mehr unter PTSD-<br />
Symptomen und können sich deshalb wirksam mit diesen grundlegenden Aspekten<br />
befassen. Die BEP-Komponente „Bedeutung und Integration“ ist in den anderen,<br />
vorher erwähnten Therapiekonzepten für posttraumatische Belastungsstörungen weniger<br />
explizit vorhanden. Eine weitere Besonderheit der BEP ist der Abschluss der<br />
Therapie durch ein Abschiedsritual (B. P. R. Gersons, 2003; van der Hart, 2003). In<br />
einem solchen Ritual vergraben oder verbrennen die Patienten den Fortsetzungs<strong>brief</strong><br />
oder Erinnerungsgegenstände wie Kleidungsstücke, Zeitungen und Fotos. Damit<br />
werden die Gefühle ein letztes Mal aktiviert. Das Abschiedsritual dient auch als Akt<br />
der „Wiedervereinigung“ mit der Welt. Anschliessend markiert der Patient mit einer<br />
Feier, dass er nun das traumatische Ereignis in seiner Lebensgeschichte zurücklässt<br />
und wieder in seine aktuelle Lebenswelt zurückkehrt. Die Elemente „Abschiedsritual“<br />
und „Fortsetzungs<strong>brief</strong>“ entstammen der direktiven Therapie. Durch diese Elemente<br />
erlangt der Patient eine grössere Kontrolle über den therapeutischen Prozess.<br />
Indikationen<br />
Vor dem Therapiebeginn durchlaufen die Patienten ein umfassendes Aufnahmeprozedere<br />
mit psychometrischem Assessment und Diagnosestellung (Carlier, van Uchelen,<br />
Lamberts, & Gersons, 1998). Primäre Zielgruppe der Therapie sind Patienten mit<br />
einer chronischen posttraumatischen Belastungsstörung aufgrund eines Typ-1-<br />
Traumas. Dabei muss sorgfältig zwischen Typ-1- und Typ-2-Traumata gemäss Terr<br />
unterschieden werden (Terr, 1991): Typ-1-Traumata sind singuläre, unerwartete<br />
5
Traumatisierungen bei Erwachsenen oder jungen Erwachsenen. Viele Patienten weisen<br />
allerings mehr als ein Trauma des Typs 1 auf. Bei Typ-2-Traumata handelt es<br />
sich um wiederholte schwere Traumatisierungen in der Kindheit oder Jugend, z.B.<br />
andauernde Gewalt oder regelmässiger Missbrauch, welche das Kind zu antizipieren<br />
gelernt hat. Man nimmt an, dass Typ-2-Traumata die Gehirn- und Persönlichkeitsentwicklung<br />
beeinträchtigen. Bei Typ-2-Traumata ist BEP meistens keine Option, da<br />
eine Kurztherapie in solchen Fällen kaum ausreicht. Hier braucht es einen viel grösseren<br />
Aufwand, um eine starke und stabile therapeutische Beziehung aufbauen und<br />
den Patienten bei Bedarf stabilisieren zu können. Wurden die posttraumatischen<br />
Symptome durch ein Typ-2-Trauma ausgelöst, so müssen bei der Entscheidung für<br />
oder gegen BEP die möglichen Auswirkungen auf die Persönlichkeit des Patienten<br />
abgewogen werden. Diesbezüglich fehlt noch immer die empirische Evidenz.<br />
Bei mehrfach traumatisierten Patienten ist zu überlegen, ob jedes einzelne Ereignis<br />
bearbeitet werden soll. Gelegentlich hat ein Patient verschiedene Traumatisierungen<br />
erlebt, die vorerst nicht zu einer posttraumatischen Belastungsstörung geführt haben.<br />
Seine Widerstandsfähigkeit wurde aber so beeinträchtigt, dass die typischen Symptome<br />
dann nach einem verhältnismässig milden Trauma einsetzten. Normalerweise<br />
aber wird die Störung durch ein singuläres Kerntrauma ausgelöst. Dieses Erlebnis<br />
führt beim Patienten zu einem Anfluten von Angst (Adrenalinschub), die ihm den<br />
Atem nimmt. Wenn es gelingt, die heftigen Gefühle, die der Patient in jenem Moment<br />
empfand, in der Therapie zum Ausdruck zu bringen, dann müssen andere traumatische<br />
Erlebnisse in der Regel nicht ebenfalls Gegenstand der therapeutischen Exposition<br />
werden, sondern lassen sich später, in der Phase „Bedeutung und Integration“<br />
bearbeiten. Ein Beispiel: Ein Polizeibeamter hatte früh in seiner beruflichen Laufbahn<br />
ein schockierendes Erlebnis bei einem Einsatz auf einem Bahnhof. Beim Betreten<br />
des Bahnsteigs sah er eine Frau auf den Geleisen liegen. Plötzlich realisierte er,<br />
dass ihr Kopf vom Rumpf abgetrennt war. Ihre Augen waren noch immer geöffnet<br />
und schienen ihn anzuschauen. Dieser makabere Anblick beschäftigte den Beamten<br />
zwar noch mehrere Wochen, löste jedoch vorerst keine posttraumatische Belastungsstörung<br />
aus. Ein Jahr später erlebte er ein zweites Trauma: Während einer<br />
Auseinandersetzung in einer schummrigen Bar sah er plötzlich ein glänzendes Messer<br />
unmittelbar vor seinem Bauch. Adrenalin schoss durch seinen Körper. Nach dieser<br />
Bedrohung in der Bar entwickelte er intrusive Erinnerungen an diese Ereignisse,<br />
insbesondere an die Frau auf den Eisenbahngeleisen. Während der Bedeutungsund<br />
Integrationsphase tauchte die Frage auf, warum sich diese Frau das Leben genommen<br />
hatte. Diese Frage war für den Polizisten erst wichtig geworden, nachdem<br />
er in der Bar selbst um sein Leben hatte fürchten müssen. In der Phase der Exposition<br />
war es also richtig, sich auf den zweiten Vorfall zu konzentrieren, während das<br />
erste Trauma für den zweiten Teil der Therapie besser geeignet war. Die Tatsache,<br />
dass ein Patient mehr als ein traumatisches Erlebnis gehabt hat, ist also nicht zwingend<br />
eine Kontraindikation für BEP.<br />
Kontraindikationen<br />
BEP ist kontraindiziert bei komorbiden Störungen, welche die Durchführung des Therapieprotokolls<br />
zu stark behindern würden, oder welche sich durch BEP verschlimmern<br />
könnten. Komorbidität ist eine relative Kontraindikation, denn posttraumatische<br />
Belastungsstörungen treten beispielsweise recht oft in Kombination mit Depressionen<br />
auf. Der Schweregrad der Depression bestimmt, ob BEP zur Anwendung kommen<br />
kann. Bei leichten Depressionen bringt BEP normalerweise eine Verbesserung.<br />
6
Bei mittelschweren Depressionen müssen zusätzlich zur BEP oft Antidepressiva verschrieben<br />
werden. Schwere Depressionen müssen zunächst separat behandelt werden,<br />
bevor über die Anwendung von BEP entschieden werden kann. Ähnliche Kriterien<br />
werden bei Substanzabhängigkeit angewandt. Als erstes gilt es, den Substanzkonsum<br />
in den Griff zu kriegen, weil die durch die Therapie ausgelösten Emotionen<br />
den Patienten aus dem Gleichgewicht bringen und eine Verstärkung des Konsums<br />
zur Folge haben können. Die gleichen Überlegungen gelten für Patienten mit anderen<br />
Angststörungen neben der PTSD. Mit Ausnahme von leichten Formen sind Persönlichkeitsstörungen<br />
eine Kontraindikation für BEP. Absolut kontraindiziert ist BEP<br />
bei psychotischen Störungen. Bei einem PTSD-Patienten mit einer komorbid bestehenden,<br />
gut kontrollierten bipolaren Störung wurde allerdings kürzlich mit BEP ein<br />
gutes Ergebnis erzielt.<br />
PTSD in Kombination mit dissoziativen Störungen er<strong>for</strong>dert besondere Beachtung.<br />
Vorübergehende dissoziative Symptome treten während eines traumatischen Erlebnisses<br />
häufig auf (peritraumatische Dissoziation). Zum Beispiel wird das Ereignis in<br />
Zeitlupe, als Film oder in totaler Stille erlebt. Letzteres erlebte ein Arzt, der nach einem<br />
Brand in einem Pub jugendliche Verletzte behandeln musste. Für ihn herrschte<br />
vor dem Pub „Totenstille“. Bei einer akuten Belastungsstörung im Vorfeld einer PTSD<br />
kommt es per definitionem zur Dissoziation (APA, 1994). Gewisse Aspekte des Ereignisses<br />
werden im Gedächtnis nicht abgespeichert und können später nicht mehr<br />
abgerufen werden. Bei einigen Patienten kommt es immer dann zur Dissoziation,<br />
wenn sie beginnen, an das traumatische Erlebnis zu denken. Hilfreich sind hier Entspannungsübungen,<br />
um das Auftreten dissoziativer Phänomene zu hemmen, sowie<br />
ein angemessenes, nicht zu hohes Tempo während der therapeutischen Exposition.<br />
Bei Patienten mit schweren dissoziativen Störungen kann BEP nicht angewandt werden.<br />
Medikamente<br />
Medikamente sind nicht Bestandteil des BEP-Ansatzes. Obwohl gewisse Psychopharmaka,<br />
insbesondere die serotoninspezifiischen Antidepressiva (SSRI), bekanntlich<br />
bei PTSD recht gut wirken, wird BEP in der Regel nicht mit Medikamenten kombiniert<br />
– ausser wenn dies wegen einer Komorbidität notwendig ist. Grosse Zurückhaltung<br />
ist geboten bei der Verschreibung von Benzodiazepinen oder Schlafmitteln,<br />
welche bewusstseinstrübend wirken. Obwohl diese Substanzen auf den Patienten<br />
beruhigend wirken, wird das Erleben von Gefühlen derart stark beeinflusst, dass dies<br />
zum Scheitern der BEP führen kann. Auch Antidepressiva können beim Patienten<br />
eine gewisse „Gleichgültigkeit" auslösen, was mit der erwünschten Katharsis nicht<br />
vereinbar ist.<br />
Wirksamkeit<br />
Das BEP-Konzept wurde von Gersons in den 1980er und 1990er Jahren für die Behandlung<br />
von posttraumatischen Belastungsstörungen bei Polizeibeamten entwickelt.<br />
In randomisierten kontrollierten Studien konnte die Wirksamkeit des Protokolls<br />
sowohl bei Polizeibeamten als auch bei anderen PTSD-Patienten mit ganz unterschiedlichen<br />
Traumata belegt werden (B. P. R. Gersons, Carlier, Lamberts, & van<br />
der Kolk, 2000; Lindauer et al., 2005). Lindauer et al. konnten auch eine signifikante<br />
Verbesserung der biologischen Parameter belegen: insbesondere die bei PTSD erhöhte<br />
Herzfrequenz konnte durch BEP signifikant gesenkt werden (Olff & Gersons,<br />
7
2004). Das Frontalhirn (d.h. der Denkprozess) war nach der BEP weniger gehemmt<br />
und schien das limbische System (d.h. die Gefühle) besser kontrollieren zu können.<br />
2. Konzept<br />
Brief Eclectic Psychotherapy: Inhalt<br />
Dieses Protokoll ist als Manual gedacht, das den gesamten psychotherapeutischen<br />
Prozess und die verschiedenen in der BEP eingesetzten Techniken beschreibt. Es<br />
enthält In<strong>for</strong>mationen zum Inhalt und Ablauf jeder einzelnen Therapiesitzung. Die<br />
Therapie besteht aus fünf Kernelementen, die dem Therapieablauf entsprechend<br />
nacheinander erläutert werden:<br />
(1) Psychoedukation<br />
(2) Exposition durch Imagination (Exposition in sensu)<br />
(3) Schreibaufgabe und Erinnerungsobjekte<br />
(4) Bedeutung und Integration<br />
(5) Abschiedsritual<br />
Für diese Therapie ist eine gute Arbeitsbeziehung zwischen Patient und Therapeut<br />
unabdingbar. Viele Patienten mit posttraumatischen Belastungsstörungen haben anderen<br />
Menschen gegenüber ein starkes Misstrauen entwickelt – möglicherweise<br />
selbst dem Psychotherapeuten gegenüber. Traumatisierte Menschen erzählen oft<br />
niemandem von ihren Problemen. Insbesondere die schrecklichen Einzelheiten behalten<br />
sie für sich. Sie sind sich bewusst, dass ihre Geschichten auf andere Menschen<br />
beängstigend wirken. Diese Art der Zurückhaltung fördert jedoch auch das<br />
eigene Vermeidungsverhalten. Heftige Reaktionen drücken sich in der nichtverbalen<br />
Kommunikation der Patienten aus, insbesondere in der Mimik. Der Therapeut muss<br />
den Patienten dazu bringen, ihm seine schreckliche Geschichte zu erzählen. Um sich<br />
diese mit Empathie anhören und das enorme Leiden des Patienten nachvollziehen<br />
zu können, sind vom Therapeuten grosse Konzentration und ein guter Selbstschutz<br />
ge<strong>for</strong>dert. In den ersten Sitzungen steht deshalb der Aufbau einer guten therapeutischen<br />
Beziehung im Vordergrund. Empathie und Verständnis des Therapeuten und<br />
seine gute Kenntnis der „Welten“, in welchen Traumaopfer leben, fördern diesen<br />
Prozess. „Welten“ bezieht sich dabei beispielsweise auf die Erfahrungen gefolterter<br />
Flüchtlinge, Katastrophensituationen, Mechanismen sexueller Gewalt oder auf das<br />
Arbeitsumfeld bestimmter Berufe wie Polizeiarbeit oder Militär.<br />
1. Psychoedukation<br />
Zu Beginn der Therapie sollte der Patient gründlich über den Zusammenhang zwischen<br />
seinen Symptomen und dem traumatischen Erlebnis aufgeklärt werden. Für<br />
die meisten Patienten ist die Verbindung zwischen ihren Symptomen und dem Trauma<br />
völlig neu. Deshalb ist es wichtig, nicht nur zu erklären, wie PTSD von traumatischen<br />
Erlebnissen ausgelöst werden können, sondern auch, wie diese Symptome<br />
die persönliche Funktionsfähigkeit des Patienten beeinflussen und stören. Viele<br />
Symptome lassen sich als sinnvolle, wirksame Reaktionen eines hellwachen Verstandes<br />
in Gefahrensituationen erklären. Bestehen die Symptome jedoch weiter, auch<br />
nachdem die Gefahr vorüber ist, wirken sie störend. Der überlebenswichtige und vor-<br />
8
teilhafte natürliche Sinn für Gefahr ist übersensibilisiert worden und liefert falsche<br />
In<strong>for</strong>mationen. Die Patienten reagieren schreckhaft. Sie können sich zwar gut auf<br />
„Gefahr“ konzentrieren, immer weniger jedoch auf „normale“ Dinge wie Einkaufen<br />
oder tägliche Interaktionen. Viele sind nicht einmal mehr in der Lage, ein Buch zu<br />
lesen, weil sie die Umgebung ständig nach möglichen Gefahren absuchen. Anhand<br />
eines systematischen Überblicks über die Symptome („Framing“) erklärt der Therapeut<br />
dem Patienten (und dem Partner bzw. der Begleitperson) den Zweck sowie die<br />
einzelnen Elemente und Phasen der Therapie.<br />
2. Exposition durch Imagination (Exposition in sensu)<br />
Ein wichtiger Bestandteil dieser Therapie ist das Prinzip, dass der psychodynamischen<br />
Einsicht immer eine Katharsis bisher nicht erlebter Gefühle vorausgehen<br />
muss. Die Erfahrung zeigt klar, dass Gefühle sogar eher unterdrückt werden, wenn<br />
man über sie nur spricht. Imaginative Exposition kann in Patienten extreme Gefühle<br />
von Trauer, Wut und Schuld auslösen, die sie noch nie so stark oder sogar überhaupt<br />
nicht empfunden oder erlebt haben. Expositionstechniken sind auch ein zentrales<br />
Element in der Verhaltenstherapie. Anders als die meisten kognitiven und behavioralen<br />
Ansätze wird bei der BEP jedoch auf die wiederholte Exposition zur<br />
schrittweisen Angstreduktion verzichtet. Vielmehr geht es hier darum, dass die Patienten<br />
die volle Schrecklichkeit ihrer traumatischen Momente noch einmal empfinden<br />
und die Geschehnisse in sämtlichen Einzelheiten noch einmal intensiv nacherleben.<br />
Deshalb beschreibt nicht der Therapeut das traumatische Ereignis, sondern der Patient<br />
selber. Er erzählt so genau und bildlich wie möglich, was er während des geführten<br />
Wiedererlebens des Ereignisses gerade sieht, hört, fühlt bzw. erlebt. Die Exposition<br />
in sensu ist somit ein langsamer Prozess und nimmt pro Sitzung höchstens 15<br />
bis 20 Minuten in Anspruch.<br />
Die Exposition beginnt mit kurzen Entspannungsübungen (siehe unten). In einem<br />
Hier-und-jetzt-Ansatz ruft der Therapeut beim Patienten die Erinnerungen vom Beginn<br />
des Tages ab, an dem sich das Trauma ereignet hat, um den Moment auszuloten,<br />
in dem sich die ersten intensiven, sensorischen und konkreten Erinnerungen<br />
einstellen. Der Patient wird ermutigt, das Ereignis so bildlich und lebensnah wie möglich<br />
wiederzuerleben. Während des Imaginationsprozesses konzentriert sich der Therapeut<br />
auf Gefühle wie Angst, Verwirrtheit, Schmerz und Trauer. Normalerweise löst<br />
dies bei den Patienten dann Erinnerungen an weitere Details aus, die extreme Angst<br />
oder Qual verkörpern. Sie empfinden plötzlich neue Gefühle, die nun zum ersten Mal<br />
an die Oberfläche kommen. Noch wichtiger als die Gefühle während des traumatischen<br />
Ereignisses sind die Emotionen der Patienten beim Nacherleben des Traumas<br />
im Hier-und-jetzt. Der Therapeut sollte sehr darauf achten, dem Patienten genau zuzuhören,<br />
ihn beim Nacherleben der schwierigen und schrecklichen Gefühle zu unterstützen,<br />
diese aber in keiner Form einzuschränken oder zu unterdrücken. Während<br />
dieser Therapiephase sollten keinerlei psychodynamische Deutungen angeboten<br />
werden. Da Ausbrüche von extremer Wut, Trauer oder Weinen auch für den Therapeuten<br />
beängstigend sein können, sollte nach jeder Sitzung Zeit für eine Pause vorgesehen<br />
werden.<br />
Vier bis sechs Sitzungen reichen normalerweise aus, um das gesamte traumatische<br />
Erlebnis eines Patienten Minute für Minute durchzuarbeiten. Wenn ein Patient im<br />
schlimmsten Moment keine Gefühle verspürt, kann das Bild „eingefroren“ werden,<br />
um besonders belastende Gefühle gezielt zu aktivieren. Mehrfach traumatisierte Pa-<br />
9
tienten entscheiden sich wahrscheinlich für das einschneidendste Erlebnis, oft das<br />
Kerntrauma. Auf die Aufarbeitung der anderen traumatischen Erlebnisse kann dann<br />
meist verzichtet werden.<br />
Während der Imagination ist es wichtig, dass der Patient die Kontrolle über den Prozess<br />
behalten kann. Er darf die Exposition jederzeit unterbrechen, die Augen öffnen,<br />
im Raum auf- und abgehen usw. Um zu verhindern, dass der Patient während der<br />
Exposition dissoziiert, können kurze Entspannungs- oder andere Übungen für die<br />
Muskeln durchgeführt werden, oder der Patient lässt seine Augen geöffnet. Zur Dissoziation<br />
kommt es oft, wenn der Therapeut ein zu hohes Tempo anschlägt und nicht<br />
auf den Rhythmus des Patienten eingeht.<br />
3. Schreibaufgaben und Erinnerungsobjekte<br />
Auch diese beiden Methoden dienen dazu, belastende Gefühle im Zusammenhang<br />
mit der Traumatisierung zu aktivieren. Erinnerungsobjekte sind Gegenstände, die<br />
konkret oder symbolisch an das traumatische Erlebnis erinnern. Dazu gehören beispielsweise<br />
Kleider, die der Patient damals getragen hat, Zeitungsausschnitte, Fotos,<br />
Waffen (Polizeidienst) oder eine Tasche, die bei einem Flugzeugabsturz geborgen<br />
wurde. Diese Gegenstände können das Nacherleben von Erinnerungen und Gefühlen<br />
intensivieren. Einige dieser Objekte können später auch in das Abschiedsritual<br />
integriert werden.<br />
Schreibaufgaben dienen ebenfalls dazu, heftige Emotionen zutage zu fördern. Diese<br />
Arbeiten werden jedoch ausserhalb der Therapiesitzungen, also ohne den Therapeuten<br />
durchgeführt. Dadurch spielen die Patienten auch ausserhalb der Sitzungen eine<br />
aktive Rolle in der Therapie und erleben ihre Gefühle in Abwesenheit des Therapeuten.<br />
Die schriftlichen Aufgaben brauchen keine präzisen Aufzeichnungen der traumatischen<br />
Ereignisse zu sein, dienen aber einem eindeutigen Zweck: Wutgefühle gegenüber<br />
bestimmten Personen oder Organisationen zum Ausdruck zu bringen, die<br />
für den Patienten mit dem Trauma in Zusammenhang stehen.<br />
4. Bedeutung und Integration<br />
Nachdem alle schwierigen Gefühle zum Ausdruck gebracht wurden, lassen die meisten<br />
PTSD-Symptome nach. Der Patient wird sich dann zum ersten Mal bewusst,<br />
dass sich sein Leben durch das Trauma drastisch verändert hat. Es ist zwar allgemein<br />
mehr oder weniger bekannt, dass Menschen durch Ereignisse traumatisiert<br />
werden können. Wer aber selber nie ein Trauma erlebt hat, empfindet das eigene<br />
Leben meist als relativ stabil und konstant. Eine Traumatisierung konfrontiert einen<br />
Menschen mit Verletzlichkeit, Hilflosigkeit und den schrecklichen Seiten menschlichen<br />
Verhaltens. Die „Illusion von Sicherheit“ wird zerstört, und das Traumaopfer<br />
beginnt, anderen Menschen grundsätzlich zu misstrauen. Nachdem der Patient die<br />
Tiefen solch intensiver Emotionen erlebt hat, wird er unausweichlich beginnen, sich<br />
gewisse grundlegende, existenzielle Fragen zu stellen. Er thematisiert seine „Sicht<br />
der Dinge“ – wie er die Welt, sich selbst, seine Familie, seine Arbeit und andere Aspekte<br />
seines Lebens sieht. Während einer kurzen Therapie ist es jedoch praktisch<br />
unmöglich, über all das zu sprechen. Entscheidend ist, dass sich der Patient nun<br />
besser fühlt, nachdem er die Katharsis der Gefühle erlebt hat, und beginnt, Leben<br />
und Liebe bewusster zu schätzen. Anstelle des angeschlagenen Sicherheitsgefühls<br />
kann nun eine realistische, klare Erwartung der Zukunft treten. Dies ist oft die Grundlage<br />
für einen Neuanfang im Beruf oder anderen Bereichen.<br />
10
In dieser Kurzzeittherapie werden psychodynamische Themen wie Übertragung oder<br />
Eltern-Kind-Beziehungen nicht aktiv angesprochen. Die Erarbeitung entsprechender<br />
Einsichten ist im Rahmen der BEP nur dann sinnvoll, wenn die Patienten von sich<br />
aus Verbindungen zwischen ihrem Trauma und anderen Ereignissen oder wichtigen<br />
Personen herstellen. Mit Übertragung wird nur implizit gearbeitet. Die Patienten fühlen<br />
sich beim Therapeuten sicher, weil der Behandlungsablauf klar abgegrenzt und<br />
strukturiert ist. Die Beschränkung der Therapie auf 16 Sitzungen trägt ebenfalls dazu<br />
bei, dass sich keine allzu starke Abhängigkeit entwickelt. Die meisten Patienten erleben<br />
die Übertragung als positiv, weil der Therapeut sie versteht und unterstützt. Ihren<br />
negativen Gefühlen können sie bei der Schreibaufgabe und beim Abschiedsritual<br />
Ausdruck verleihen.<br />
5. Abschiedsritual<br />
Die Therapie wird mit einem „Abschiedsritual“ abgeschlossen. Der Therapeut erklärt<br />
dem Patienten (und den Begleitpersonen), dass das Ritual zum Ziel hat, das traumatische<br />
Erlebnis hinter sich zu lassen. Dabei geht es nicht darum, das Erlebnis ganz<br />
aus dem Gedächtnis zu streichen, sondern ihm einen Platz in der persönlichen Lebensgeschichte<br />
einzuräumen. Während der Psychoedukation zu Beginn der Therapie<br />
hat der Therapeut dem Patienten bereits erläutert, dass sein Verhalten noch immer<br />
durch Ereignisse in der Vergangenheit bestimmt wird und der Patient „mit dem<br />
Rücken zur Zukunft“ lebt. Das Abschiedsritual ist der Moment, in dem sich der Patient<br />
umdreht und den Blick aktiv in die Zukunft richtet.<br />
3. Beschreibung der 16 Therapiesitzungen<br />
PSYCHOEDUKATION<br />
Sitzung 1<br />
Dies ist die erste Therapiesitzung; Assessment und Diagnosestellung sind bereits<br />
erfolgt. Die Patienten wissen, dass bei ihnen eine posttraumatische Belastungsstörung<br />
diagnostiziert wurde, zu deren Behandlung die Brief Eclectic Psychotherapy<br />
(BEP) angewandt wird. Bei dieser ersten Sitzung sollte der Partner oder ein anderer<br />
enger Freund bzw. Verwandter des Patienten anwesend sein, wenn dieser einverstanden<br />
ist.<br />
Programm: 1. Erklärung des Zwecks und Inhalts der Therapie<br />
2. Psychoedukation<br />
3. Rückblick auf das traumatische Erlebnis (bei Bedarf)<br />
1. a. Zweck der Therapie ist es, die PTSD-Symptome zu reduzieren, das traumatische<br />
Erlebnis zu verarbeiten und ihm einen Platz in der Lebensgeschichte des<br />
Patienten einzuräumen. Der Partner bzw. enge Freund des Patienten wurde eingeladen,<br />
an der Sitzung teilzunehmen. Auch die Begleitperson soll besser verstehen<br />
lernen, auf welche Art und Weise die Symptome des Patienten mit der Trau-<br />
11
matisierung in Zusammenhang stehen. Der Therapeut erklärt, wie die Symptome<br />
behandelt werden, und weist darauf hin, dass die meisten Symptome erwartungsgemäss<br />
wieder verschwinden sollten. Enge Verwandte des Patienten leiden<br />
oft mit, einerseits weil sie dem Patienten aus dem Weg gehen, um ihn zu schonen,<br />
andererseits weil sie von seiner Schlaflosigkeit, Reizbarkeit, von seinen<br />
Konzentrationsproblemen oder von seinem sozialen Rückzug betroffen sind.<br />
Während der Sitzung haben die Begleitpersonen die Möglichkeit, ihrem Kummer<br />
und Leid Ausdruck zu verleihen. Sie sollten auch beim Abschiedsritual am Ende<br />
der Therapie mitmachen.<br />
b. Die Begleitpersonen haben zudem die Aufgabe, den Patienten wenn möglich<br />
bei den ersten vier bis sechs Sitzungen jeweils zur Therapie zu bringen und ihn<br />
wieder abzuholen. Der Therapeut erklärt, dass das Expositionsverfahren intensive<br />
Gefühle auslösen wird, die nach der Sitzung anhalten und auch vorgängig zu<br />
einer erheblichen Belastung führen können. Dies könnte die Fahrtüchtigkeit oder<br />
gar die Arbeitsfähigkeit des Patienten am betreffenden Tag einschränken. Der<br />
Patient muss jedoch unbedingt darauf hingewiesen werden, dass diese Angstgefühle<br />
und Symptome wie Schlaflosigkeit abnehmen werden, nachdem die angestauten<br />
Emotionen zugelassen wurden.<br />
c. Der Patient wird über die Länge der Therapiedauer (16 Sitzungen) in<strong>for</strong>miert.<br />
Er erfährt, dass sich die Therapie primär seinem „Kerntrauma“ widmet und zu<br />
diesem Zweck verschiedene Therapietechniken eingesetzt werden: imaginatives<br />
Nacherleben des traumatischen Erlebnisses, Zulassen der intensiven Emotionen,<br />
Schreibaufgabe, Auseinandersetzung mit Erinnerungsobjekten, Suche nach der<br />
Bedeutung der traumatischen Erfahrung, Abschluss der Therapie durch ein Abschiedsritual.<br />
2. Im Rahmen der Psychoedukation wird die posttraumatische Symptomatik wie<br />
folgt erläutert (ev. vereinfacht durch die graphische Illustration einzelner Aspekte<br />
auf Papier):<br />
Der Patient verhielt sich bis anhin so, als würde sich das traumatische Erlebnis<br />
demnächst wiederholen. In der Amygdala, dem „Alarmzentrum“ unseres Gehirns,<br />
wurde das schreckliche Erlebnis so abgespeichert, dass der Patient die Umgebung<br />
ständig nach neuen Gefahren absucht. Diese Reaktion erfolgt automatisch:<br />
Menschen, die einen Flugzeugabsturz überlebt haben, ducken sich bei jedem<br />
Flugzeug, das über sie hinwegfliegt, „wie wenn auch diese Maschine gleich abstürzen<br />
würde“. Solche Patienten glauben zwar nicht wirklich an einen Absturz–<br />
auf Nachfrage antworten sie meist: „Nein, eigentlich nicht.“ Die jeweils so<strong>for</strong>t einsetzende<br />
Stressreaktion übersteuert jedoch den langsameren Denkprozess. Dieser<br />
psychobiologische Reflex wäre äusserst funktional, wenn sich das traumatische<br />
Ereignis tatsächlich demnächst wiederholen würde. Bleibt die Gefahr jedoch<br />
aus, wird der Zustand der ständigen Angespanntheit zu einer enormen Belastung.<br />
„Sie können den Reflex nicht einfach abschalten.“<br />
Dies erklärt auch die starke Erschöpfung, die den Patienten oft zu schaffen macht<br />
– ständig harren sie einer Gefahr, die nicht existiert. „Sie sind wie ein Motor, der<br />
im Leerlauf ständig auf Hochtouren läuft.“ Aufgrund der übersteigerten Vigilanz<br />
können Patienten oft nicht einschlafen und wachen kurz nach dem Einschlafen<br />
12
ereits wieder auf („Nickerchen“). Ein besonders deutliches Symptom ist die Unfähigkeit<br />
der Patienten, ein Buch zu lesen. Schon nach zwei Seiten verlieren sie<br />
den Faden, weil es ihnen nicht gelingt, sich den Eindrücken und Geräuschen der<br />
unmittelbaren Umgebung zu entziehen. Es ist ihnen deshalb nicht möglich, sich in<br />
den Lesestoff zu vertiefen. Dieser Mechanismus ist auch dafür verantwortlich, warum<br />
sich Patienten an „gefahrenspezifische In<strong>for</strong>mation“ präzise erinnern, sich<br />
aber „unwichtige“ In<strong>for</strong>mationen wie beispielsweise eine kleine Einkaufsliste nur<br />
schwer merken können. Ihr Gehirn selektiert die In<strong>for</strong>mation zu stark unter dem<br />
Aspekt der Gefahr. Dieses Aufmerksamkeitsdefizit bei gewöhnlichen Dingen kann<br />
auch zu einer raschen Irritation der Patienten durch Menschen um sie herum führen,<br />
mit denen sie „einfach keine Geduld haben“.<br />
Die Symptome des andauernden Wiedererlebens, der Vermeidung und der Übererregtheit<br />
melden sich ständig wieder, weil die extremen und deshalb sehr beängstigenden<br />
Emotionen im Zusammenhang mit der damals lebensbedrohlichen<br />
Situation unterdrückt werden. Die unterdrückten Emotionen verhindern so den<br />
Rückgang der Symptome. In der BEP wird davon ausgegangen, dass diese Angst<br />
zu einem grossen Teil von der lähmenden Furcht vor den heftigen Emotionen herrührt,<br />
die das traumatische Erlebnis ausgelöst hat. Der Patient versucht deshalb<br />
ständig, diese intensiven Gefühle zu unterdrücken.<br />
Entspannungsübungen helfen dem Patienten, sich besser auf das traumatische<br />
Erlebnis zu konzentrieren und sich leichter in die damalige, schreckliche Situation<br />
zurückzuversetzen. Durch Exposition in sensu (Imagination) erlebt der Patient<br />
das Trauma in seiner Vorstellung nach. Dabei sollen die heftigen Gefühle zugelassen<br />
und ausgedrückt werden. Im Zentrum der Verarbeitung steht dabei das<br />
Gefühl der Trauer.<br />
Weiter kommen Erinnerungsobjekte zum Einsatz, damit sich der Patient möglichst<br />
detailliert an das traumatische Erlebnis erinnert. Diese Gegenstände intensivieren<br />
auch das aktive Wiedererleben der Gefühle und können später in das Abschiedsritual<br />
integriert werden. Ein weiteres Instrument ist der Fortsetzungs<strong>brief</strong>, in welchem<br />
das traumatische Erlebnis niedergeschrieben wird und der an eine Person<br />
oder Organisation gerichtet ist, die als teilweise oder vollständig für das traumatische<br />
Erlebnis verantwortlich gesehen wird. Dieser Brief kann dem Patienten helfen,<br />
die gehegten Wutgefühle zuzulassen und auszudrücken.<br />
Nach dem Erleben bzw. dem bewussten Wiedererleben der mit dem Trauma verbundenen<br />
Gefühle werden die Patienten gebeten zu beschreiben, wie sie die<br />
Welt und sich selbst jetzt sehen und wie sie sich wieder in ein normales Leben integrieren<br />
könnten. In diesem Therapieteil geht es darum, die Bedeutung des<br />
Traumas zu ergründen.<br />
Schliesslich symbolisieren die Patienten mit einem Abschiedsritual, dass sie das<br />
Trauma zwar nicht vergessen werden, es aber hinter sich lassen und ihren Blick<br />
auf die Zukunft richten wollen. Das Abschiedsritual bildet den Abschluss der Therapie.<br />
3. Bei Bedarf kann der Patient nun noch einmal über das traumatische Erlebnis berichten.<br />
Der Therapeut muss sich ausreichend in die Situation hineinversetzen<br />
13
können, damit der Patient die Empathie spürt und die Begleitperson von Grund<br />
auf versteht, wie katastrophal das Erlebnis für den Patienten war. Folgende Aspekte<br />
gilt es dabei zu berücksichtigen (aber nicht unnötig zu fördern):<br />
• Einzelheiten des traumatischen Erlebnisses, wichtige Auslöser für spezifische<br />
Gefühle<br />
• Ereignisse unmittelbar vor dem traumatischen Erlebnis<br />
• Reaktionen des Patienten oder von anderen Personen nach dem Ereignis<br />
(Die Ansicht des Partners/der Begleitperson ist hier auch hilfreich)<br />
• Mögliche Sekundärviktimisierung (Zuweisung der Schuld für den Vorfall an<br />
den Patienten)<br />
Der Therapeut versucht in der ersten Sitzung ebenfalls zu eruieren, welche Gefühle<br />
durch das traumatische Ereignis hervorgerufen wurden. Dabei geht es zu<br />
diesem Zeitpunkt nicht darum, in die Tiefen dieser Gefühle vorzudringen, sondern<br />
sie im Sinne eines besseren Gesamtüberblicks zu identifizieren.<br />
EXPOSITION DURCH IMAGINATION<br />
Sitzung 2<br />
(nur mit dem Patienten)<br />
Programm: 1. Exposition durch Imagination<br />
2. Nachbesprechung der Exposition<br />
3. Erläuterung der Erinnerungsobjekte (der „Verbindungsstücke“)<br />
1. Wie immer in diesem Protokoll, erklärt der Therapeut zuerst den Zweck der heutigen<br />
Sitzung und wiederholt gegebenenfalls gewisse Elemente aus der Psychoedukation.<br />
Zu Beginn der Therapiesitzung zeigt der Therapeut dem Patienten Entspannungsübungen.<br />
Diese Übungen helfen dem Patienten, die intensivsten Erinnerungen<br />
des Erlebnisses so gut wie möglich abzurufen. Die Übungen sollten auf<br />
bestimmte Muskelgruppen beschränkt werden. Der Patient soll dabei nicht in<br />
Trance verfallen, sondern jederzeit das Gefühl haben, dass er die Situation unter<br />
Kontrolle hat.<br />
Der Patient setzt sich auf einem bequemen Stuhl und entspannt sich so gut er<br />
kann. Der Therapeut erklärt dem Patienten, dass diese Übung nur dazu dient,<br />
sich zu entspannen, jedoch nicht in eine Art Halbschlaf oder in einen Zustand reduzierten<br />
Bewusstseins zu verfallen. Der Patient sollte während der gesamten<br />
Entspannungsübung die Kontrolle behalten. Der Therapeut führt die Entspannungsübung<br />
zuerst vor. Als erstes werden die Fäuste so stark wie möglich für 30<br />
Sekunden geballt und anschliessend wieder lockergelassen. Der Patient wiederholt<br />
die Übung zweimal. Anschliessend wird der Patient aufge<strong>for</strong>dert, sich auf einen<br />
bestimmten Körperteil zu konzentrieren, z.B. auf den entspannten Mittelfinger<br />
der linken Hand. Damit lernt der Patient, zwischen Anspannung und aktiver Entspannung<br />
zu unterscheiden. Als nächstes werden analog zur ersten Übung die<br />
Fussmuskeln angespannt und wieder gelockert. Dies ist meist ein idealer Moment,<br />
um den Patienten aufzu<strong>for</strong>dern, die Augen zu schliessen, damit sich die<br />
14
gewünschte Entspannung leichter einstellt. Der Patient spürt dann meist auch<br />
andere Dinge, z.B. dass sich das entspannte Fussgelenk „schwer“ anfühlt (bei<br />
Sitzposition mit übereinander geschlagenen Beinen). Diese Anspannungs- und<br />
Entspannungsübungen werden nun analog für Waden, Schultern und Augenbrauen<br />
durchgeführt. Einige Patienten sind insbesondere beim ersten Mal so verkrampft<br />
und nervös, dass eine kontralaterale Entspannung ihrer Fäuste hilfreich<br />
ist. Dabei ballt der Patient nur eine Faust und lässt die andere locker. Dadurch<br />
kann das Kontrollgefühl verbessert werden. Patienten, die zur Dissoziation neigen,<br />
profitieren von diesen Übungen besonders. Auch bewusstes Atmen kann die<br />
Entspannung und die Selbstkontrolle begünstigen.<br />
Wenn sich ein Patient weiterhin davor fürchtet, sich in die traumatische Situation<br />
zurückzuversetzen, kann der Therapeut zur Gewöhnung an den Prozess zuerst<br />
die Imagination eines angenehmen Ereignisses vorschlagen, z.B. wie der Patient<br />
im Sommerurlaub am Strand entspannt in der Sonne liegt. So lernt der Patient,<br />
durch das Abrufen von Gefühlsempfindungen wie „warme Luft“, „kühle Brise“,<br />
„Meeresluft“, „Brandung“ oder „Geschrei der Möwen“ tatsächlich Erlebtes bewusst<br />
wiederzuerleben. Während dieses Prozesses treten oft neue Einzelheiten hervor.<br />
Wenn der Patient signalisiert, dass er genügend entspannt ist, kann mit der Imagination<br />
begonnen werden. Der Therapeut versucht über verschiedene Fragen,<br />
den Patienten zum Tag des Traumas zurückzuführen. Um welchen Wochentag<br />
handelte es sich In welchem Monat, zu welcher Jahreszeit War es draussen<br />
noch dunkel oder bereits hell Die Erinnerungen an die Stunden unmittelbar vor<br />
dem traumatischen Erlebnis sind normalerweise eher unscharf und müssen<br />
manchmal teilweise rekonstruiert werden. Sobald der Patient beim traumatischen<br />
Ereignis angelangt ist, wird er einen scharfen Kontrast in Intensität und Schärfe<br />
der sensorischen Erinnerung spüren. „Ich kann nun diese Socke mit den Knochen<br />
drin spüren.“ „Jetzt wird mir klar, wie seltsam und abwesend ich mich in jenem<br />
Moment fühlte.“ „Ich kann ihn sehen, wie er dort hängt.“ „Nein, sehen kann ich eigentlich<br />
gar nichts, aber der Geruch ist unerträglich. Mir dreht sich der Magen um,<br />
aber ich kann mich nicht von der Stelle bewegen.“ „Ich spüre, wie das Flugzeug<br />
zu schütteln beginnt und ich die Sitzlehne umklammere. Meine Hände sind<br />
schweissnass und ich denke ,Wir schaffen's nicht!’. Ich spüre, wie ein Adrenalinschub<br />
durch meinen Körper schiesst.“ „Mir wird in diesem Moment klar, dass da<br />
nicht ein Stück Holz hervorschaut, sondern Knochen eines Menschen, dessen<br />
Fleisch verrottet ist.“ Dies sind alles Beispiele für die entscheidenden Momente<br />
während des Traumas, zu welchen der Therapeut vordringen möchte. Der Prozess<br />
lässt sich fördern mit Fragen wie: „Was können Sie fühlen, sehen, hören,<br />
riechen“ „Wie ist das Wetter“ „Windet es gerade“ „Ist es hell oder dunkel“<br />
Durch das Antworten auf diese sensorischen Nachfragen beginnen Patienten<br />
spontan von ihrer Erfahrung zu berichten. Der Therapeut ermutigt den Patienten,<br />
sich an jede noch so winzige Kleinigkeit zu erinnern und sie in der Gegenwarts<strong>for</strong>m<br />
zu schildern. „Welche Farben sehen Sie“ „Beschreiben Sie Ihre Kleidung.“<br />
„Wie fühlen Sie sich“<br />
Der Therapeut spürt in diesem Moment, dass die traumatischen Ereignisse vor<br />
den Augen des Patienten noch einmal real ablaufen. Oft beginnt der Therapeut<br />
selbst, sich in die Situation zu versetzen, und verspürt dabei ebenfalls grösste<br />
Anspannung, oft Entsetzen oder gar eine gewisse Angst. Zu diesem Zeitpunkt<br />
15
sollte möglichst nicht interveniert werden, um beim Patienten das bewusste Wiedererleben<br />
des Traumas nicht zu unterbrechen. Dann aber kommt der Zeitpunkt<br />
für die entscheidende Intervention, auch wenn der Patient bereits heftig weint<br />
oder die Gefühle auf andere Art aus ihm hervorbrechen, z.B. durch Schreien oder<br />
Fluchen. Dann fragt der Therapeut: „Fühlen Sie sich nun schlecht“ Oder er <strong>for</strong>muliert<br />
es als Feststellung: „Sie müssen sich nun wohl sehr schlecht fühlen."<br />
Damit wird die Katharsis ausgelöst. Dazu gehört intensives Leid entweder während<br />
des Erlebnisses oder bei der rückblickenden Betrachtung des Erlebnisses<br />
aus heutiger Sicht. Dieser Unterschied ist wichtig, weil einige Patienten im Moment<br />
der Traumatisierung überhaupt keine Gefühle empfinden und durch das Erlebte<br />
völlig abgestumpft sind. Nun spüren sie endlich die unkontrollierbare Qual,<br />
Hilflosigkeit, Angewidertheit oder andere Gefühle im Zusammenhang mit dem<br />
Trauma. Genau in dem Moment, in dem der Patient dieses Leid spürt, bittet ihn<br />
der Therapeut, die Augen zu öffnen, normalerweise nach 15 bis 20 Minuten. Da<br />
BEP nicht auf dem Prinzip der Habituation basiert, geht es nicht darum, die ganze<br />
Trauma-Sequenz durchzugehen, sondern lediglich um das Zulassen der damit<br />
verbundenen Emotionen.<br />
2. Der Therapeut fragt nun den Patienten nach seiner Befindlichkeit bezüglich der<br />
bisherigen Sitzung. Normalerweise sprechen Patienten bereitwillig über die soeben<br />
gemachte und meist neue Erfahrung. Sie fühlen sich durch den Gefühlsausbruch<br />
erleichtert, aber auch müde oder erschöpft. Der Therapeut klärt<br />
den Patienten darüber auf, dass er das Trauma in den kommenden Wochen<br />
möglicherweise öfter wiedererleben wird, und dass die Schlafstörungen nach der<br />
Sitzung vorübergehend schlimmer werden können. Er weist jedoch darauf hin,<br />
dass sich der Aufwand lohnt. Der Patient sollte sich nach der Sitzung etwas Erholung<br />
gönnen, bevor er nach Hause geht. Idealerweise wird der Patient von einer<br />
Begleitperson zur Therapie gebracht und wieder abgeholt.<br />
3. Zum Schluss der Sitzung wird der Patient gebeten, das nächste Mal Erinnerungsobjekte<br />
mitzubringen, d.h. Gegenstände, die sie an das traumatische Erlebnis<br />
erinnern, z.B. Kleider, die sie bei der traumatischen Erfahrung trugen, Fotos<br />
der erlebten Katastrophe oder Zeitungsartikel dazu. Diese Gegenstände dienen<br />
dann der Stimulierung von Gefühlen der Trauer oder Wut. Sie können später<br />
auch in das Abschiedsritual integriert werden.<br />
Sitzungen 3 bis 6<br />
Programm: 1. Rückblick auf die vergangene Woche<br />
2. Wiederaufnahme der Exposition<br />
3. Arbeit mit Erinnerungsobjekten<br />
4. Nachbesprechung<br />
5. Erteilen der Schreibaufgabe<br />
1. Sowohl der Patient als auch der Therapeut werden das Bedürfnis haben, die letzte<br />
Sitzung mit der erstmaligen Exposition zu besprechen. War der Patienten ein<br />
wenig erleichtert, oder führte die Sitzung zu vielen belastenden Nachwirkungen<br />
Idealerweise berichtet der Patient, dass er „etwas loswerden konnte“ oder dass er<br />
so gut geschlafen habe wie schon lange nicht mehr. Es ist jedoch auch möglich,<br />
16
dass das Wiedererleben oder die Alpträume intensiver wurden. Dies ist normalerweise<br />
ein Anzeichen dafür, dass der entscheidende Moment des Traumas („hot<br />
spot“) noch nicht erreicht wurde. Vielleicht hat man es in der letzten Sitzung bei<br />
der Imagination erst bis zum ohrenbetäubenden Lärm des Flugzeugs geschafft,<br />
während der eigentliche Absturz auf der Landebahn in der heutigen Sitzung<br />
nacherlebt werden muss. Viele Patienten fürchten sich dann vor der Wiederaufnahme<br />
der Imagination. Es empfiehlt sich, zügig mit den Entspannungsübungen<br />
zu beginnen und dann so<strong>for</strong>t dort anzuknüpfen, wo letztes Mal abgebrochen wurde.<br />
Es ist darauf zu achten, dass man nicht auf andere Probleme eingeht, die<br />
beim Patienten ausgelöst wurden, z.B. aktuelle Schwierigkeiten am Arbeitsplatz<br />
oder mit Behörden, Beziehungsprobleme oder Probleme aus der Kindheit. Wie<br />
wichtig solche Diskussionen auch immer scheinen – sie sind meist nur ein gemeinsamer<br />
Versuch von Patient und Therapeut, die Fortsetzung der schrecklichen<br />
Erinnerungen zu vermeiden. Dieser Punkt sollte explizit angesprochen werden.<br />
2. In diesen Sitzungen wird das imaginative Nacherleben des Traumas <strong>for</strong>tgesetzt,<br />
wobei der Patient jeweils zuerst Entspannungsübungen durchführt, in aller Regel<br />
selbständig. Die Exposition wird dort wieder aufgenommen, wo sie das letzte Mal<br />
abgebrochen wurde. Neue Erinnerungsfragmente kommen hervor. „Ich hatte völlig<br />
vergessen, dass da diese Frau neben mir sass. Sie hat nicht überlebt.“ „Plötzlich<br />
sah ich, wie sich die Sonne in seiner Machete spiegelte.“ „Jetzt wird mir bewusst,<br />
dass ich meine Tasche mitgenommen habe. Wie war das nur möglich“<br />
„Ich höre gerade, wie ein zweiter Polizist ruft: ‚Ha, deine erste Leiche, deine erste<br />
Leiche!’ Ich habe eine Riesenwut und spüre, wie sich meine Kehle zuschnürt,<br />
wenn ich die Überreste vom Kopf des Kindes dort liegen sehe.“ Weil es sich bei<br />
BEP um einen langsamen Prozess handelt und es jedes Mal nur ein kleines<br />
Stück vorwärts geht, werden stets neue Erinnerungen und intensive Gefühle aktiviert.<br />
Deshalb reichen jeweils 15 bis 20 Minuten aus. Einigen Patienten gelingt es<br />
nicht, ihre Gefühle zuzulassen, oder sie neigen dazu, das Erlebnis „im Laufschritt“<br />
abzuhandeln. Deshalb muss dem Patienten klargemacht werden, dass dies nicht<br />
zweckdienlich ist, weil sie sich so nicht mit ihren Gefühlen konfrontieren können.<br />
Zu diesem Zweck kann die Situation im schlimmsten Augenblick auch „eingefroren“<br />
und der Patient nach seiner Befindlichkeit befragt werden. „Fühlen sie sich<br />
nun schlecht“ Bei einem Einsatz gab ein Feuerwehrmann seine Sauerstoffmaske<br />
einem kleinen Kind. Während er langsam das Bewusstsein verlor, sah er seinen<br />
Lebensfilm vor seinen Augen ablaufen. Er sah seine kleine Tochter, und er<br />
begann zu weinen. Dies zeigt, dass hier weniger die Emotionen während der tragischen<br />
Ereignisse als vielmehr das Gefühl wichtig ist, das der Patient in der Gegenwart<br />
erlebt, wenn er auf das Erlebnis zurückblickt. Die Imagination ist abgeschlossen,<br />
wenn der Patient sämtliche Gefühle erlebt hat. Alle Emotionen wurden<br />
konfrontiert. Der Therapeut kann den Patienten darauf ansprechen: „Haben wir<br />
nun alles besprochen“ Die Patienten fühlen sich nun enorm erleichtert. Die meisten<br />
PTSD-Symptome sind verschwunden. Wenn der Therapeut bezweifelt, ob<br />
wirklich alles angesprochen wurde, soll er dem Patienten die Gründe für seine<br />
Zweifel erklären. Schliesslich sind Patient und Therapeut ja gemeinsam für den<br />
Therapieerfolg verantwortlich.<br />
3. Danach zeigt der Patient dem Therapeuten die Erinnerungsobjekte. Beispiele:<br />
Bilder eines bizarr verunstalteten Kopfes einer Person, die brutal zu Tode getre-<br />
17
ten wurde. Ein Mann mittleren Alters brachte ein kleines rotes Kleid seiner dreijährigen<br />
Schwester, die in eine Melkmaschine geraten und dabei ums Leben gekommen<br />
war. Ein Überlebender eines Flugzeugabsturzes brachte eine stark beschädigte<br />
Kamera, die aus dem Flugzeugwrack geborgen wurde. Der Therapeut<br />
fragt den Patienten erneut, was er gerade empfindet. Verspürt er Trauer Die Erinnerungsobjekte<br />
bringen das traumatische Erlebnis näher und verstärken die Gefühlsempfindungen.<br />
4. Zu jeder Therapiestunde gehört auch ein Rückblick auf die Sitzung, um die Gefühle<br />
zu besprechen, die der Patient während der Exposition erlebt hat. Normalerweise<br />
sprechen Patienten dann neue Aspekte des Traumas an, deren sie sich<br />
nicht bewusst waren und die starke Gefühle auslösen, z.B. Machtlosigkeit. Ein<br />
weiterer Diskussionspunkt ist die Frage, ob der Patient mit dem Vorgehen zufrieden<br />
ist oder gerne anders verfahren möchte.<br />
5. Anschliessend erklärt der Therapeut die Schreibaufgabe. Ziel dieser Technik ist<br />
es, dass der Patient Wutgefühle gegenüber gewissen Personen oder Organisationen<br />
zum Ausdruck bringt, die er mit dem Trauma in Verbindung bringt. Deshalb<br />
wird die Schreibaufgabe oft als „Fortsetzungs<strong>brief</strong>“ bezeichnet. Dieser Brief dient<br />
dazu, negativen, aggressiven Gefühlen freien Lauf zu lassen. Der Brief wird jedoch<br />
niemals abgeschickt. Auch hier geht es darum, heftige Emotionen zuzulassen<br />
und sie ohne Einschränkungen in Worte zu fassen. Einige Patienten wählen<br />
dazu auch einen „kreativeren“ Ansatz, z.B. Malen, Zeichnen oder andere Varianten<br />
der graphischen Gestaltung, um ihre Gefühle zur Darstellung zu bringen. Der<br />
Therapeut empfiehlt dem Patienten, sich spezielle Utensilien zu beschaffen, z.B.<br />
ein kleines Notizbuch, das nur dem Zweck dient, täglich während einer halben<br />
Stunde jeweils zur gleichen Zeit und am gleichen ruhigen Ort einige Gedanken zu<br />
Papier zu bringen. Während dieser Übung zeigen sich oft Gefühle von Wut, Leid<br />
und teilweise auch Schuld. In den darauffolgenden Sitzungen liest der Therapeut<br />
jeweils die vom Patienten verfassten Aufzeichnungen und bespricht die damit<br />
verbundenen Gefühle. Der Fortsetzungs<strong>brief</strong> kann später im Rahmen des Abschiedsrituals<br />
zusammen mit anderen Erinnerungsobjekten vernichtet werden.<br />
Damit kann der Patient mit seinen aggressiven Gefühlen kontrolliert Ausdruck<br />
verleihen.<br />
Grundsätzlich reichen zwei bis sechs Sitzungen für die Exposition in sensu und für<br />
das Schreiben und Besprechen des Fortsetzungs<strong>brief</strong>es aus. Diese Therapiephase<br />
ist abgeschlossen, sobald alle Gefühle vollständig, meist erschöpfend durchgearbeitet<br />
wurden. Der Patient stellt selber fest, dass er im täglichen Leben laufend aktiver<br />
wird. Zu diesem Zeitpunkt ergibt sich die Suche nach der Bedeutung des Traumas<br />
meist von selbst. Für den Therapeuten ist es deshalb sinnvoll, diese Therapiephase<br />
zu evaluieren, indem er abklärt, ob die Katharsis der Gefühle ausreichend erfolgt ist.<br />
Folgende Fragen sind dabei zentral:<br />
a. Wie realistisch wurde das Trauma wiedererlebt<br />
b. Wie stark waren die Angstgefühle<br />
c. Wie stark waren die Trauergefühle<br />
d. Wie stark waren die Wutgefühle<br />
e. Wie stark waren die Schuldgefühle<br />
18
BEDEUTUNG und INTEGRATION<br />
Sitzungen 7 bis 12<br />
Programm: 1. Besprechung der Schreibaufgabe<br />
2. Bedeutungsfindung und Integration<br />
3. Fokussierung auf Aspekte aus dem Alltag<br />
1. Die Schreibaufgabe ist möglicherweise bereits während einer früheren Sitzung<br />
abgeschlossen worden. Ansonsten sollte weiter darauf geachtet werden, wie es<br />
mit dem Schreiben geht. Gelingt es dem Patienten, seine Emotionen zu fühlen,<br />
insbesondere Ohnmacht und Wut Bringt ihm das Schreiben ein Gefühl der Erleichterung<br />
Treten neue Aspekte zu Tage, z.B. Schuldgefühle Der Therapeut<br />
liest jeweils, was der Patient geschrieben hat, oder lässt ihn wichtige Passagen<br />
laut vorlesen, um herauszufinden, wann die Wut am intensivsten war. Wie bereits<br />
erwähnt, geht es bei der Schreibaufgabe viel stärker als bei der Imagination darum,<br />
negative Gefühle wie Wut, Hass oder Schuld zum Ausdruck zu bringen. Der<br />
Therapeut bespricht mit dem Patienten, ob alle Aspekte ausreichend schriftlich<br />
festgehalten wurden.<br />
2. Der Therapeut beginnt nun, gewisse Aspekte der Psychoedukation zu wiederholen.<br />
Das Schwergewicht liegt dabei auf der Art und Weise, wie sich das Trauma<br />
auf das Weltbild des Patienten und sein Selbstbild ausgewirkt hat. Der Patient<br />
wird nie mehr „so sein wie früher“, denn er kann das Trauma nicht einfach ungeschehen<br />
machen. Dadurch ist seine Illusion der Sicherheit zerstört worden – er<br />
betrachtet die Welt von nun an mit anderen Augen. Er verhält sich risikoscheuer<br />
und achtet mehr darauf, wie er sein eigenes Sicherheitsgefühl stärken kann.<br />
Noch bedeutender ist die Tatsache, dass die tragische Konfrontation mit menschlichem<br />
Leid in vielen Fällen zu einem grösseren Bewusstsein für die Verletzlichkeit<br />
des Lebens geführt hat, weshalb der Patient das Leben stärker wertschätzen<br />
wird. Persönliche Beziehungen, Religion und ähnliche Aspekte werden möglicherweise<br />
wichtiger. Weiter kann es sein, dass sich der Patient von bestimmten<br />
Personen distanziert, die ihn enttäuscht haben.<br />
Ein wichtiger Aspekt ist, dass einige Patienten ein neues Selbstwertgefühl aufbauen<br />
müssen, nicht selten weil sie von Schuldgefühlen geplagt werden, überlebt<br />
zu haben („Überlebensschuld“). Beispiele: Zwei Brüder hatten mehrere Passagiere<br />
aus einem Flugzeugwrack gerettet – trotzdem hatten sie Schuldgefühle, weil<br />
sie den Absturz überlebt hatten. Solche Schuldgefühle sollte man nicht mit Vernunftargumenten<br />
abzutun versuchen. Es gilt zu akzeptieren, dass solche Gefühle<br />
nach einem derart schrecklichen Erlebnis „normal“ sind. Schliesslich ist es ganz<br />
einfach schrecklich, dass die anderen Passagiere nicht überlebt haben. Nicht-<br />
Kliniker weisen die Überlebenden einer Katastrophe gerne darauf hin, welch<br />
grosses Glück sie hatten, und sagen damit implizit: „Hör auf zu hadern.“ Doch die<br />
Überlebenden empfinden anders. Ein Polizist, der bei einem Einsatz jemanden<br />
erschossen hatte, wurde bei seiner Rückkehr aufs Polizeirevier von seinen Kollegen<br />
mit Lob und Komplimenten überschüttet. So verständlich solcher Zuspruch<br />
auch sein mag – der Polizist fühlte sich elend. Er hatte etwas getan, was er niemals<br />
tun wollte. Er fühlte sich schuldig, Punkt.<br />
19
Während dieser Therapiephase treten oft Dinge aus den persönlichen Lebensgeschichten<br />
des Patienten in den Vordergrund. Teilweise verknüpft der Patient das<br />
traumatische Erlebnis mit der Bedeutung von Ereignissen seiner Kindheit. Das<br />
Herstellen solcher Verbindungen durch den Patienten fördert die Anpassung an<br />
seine Traumatisierung, die so besser in die persönliche Lebensgeschichte integriert<br />
werden kann. Beispiel: Ein Polizeibeamter, der in einer Schiesserei verletzt<br />
worden war, fühlte sich von seinem Arbeitgeber im Stich gelassen, weil er nach<br />
dem Zwischenfall keinerlei Unterstützung oder Aufmerksamkeit von seinen Vorgesetzten<br />
erhielt. Der Polizeibeamte stellte einen Bezug zu seinem autoritären<br />
Vater her, der ihm ebenfalls nie genügend Aufmerksamkeit oder Unterstützung<br />
gegeben hatte. Wenn der Patient einen Bezug zu seinen Eltern herstellt, so ist<br />
dies dann hilfreich, wenn es sich bei diesen Verbindungen um diejenigen Erklärungen<br />
handelt, welche der Patient sucht. Die Herstellung von Bezügen zu früheren<br />
Erfahrungen sind dann sinnvoll, wenn die Patienten solche Zusammenhänge<br />
suchen.<br />
3. Ein Teil der Therapie besteht in der Diskussion von Aspekten des Alltags, z.B. der<br />
Situation am Arbeitsplatz oder von Schwierigkeiten mit Versicherungen. Auch<br />
dieser Prozess ist wichtig, weil chronischer Stress zu einem erheblichen Teil oft<br />
aus der persönlichen Situation eines Patienten entsteht, die durch das Trauma<br />
völlig durcheinander gebracht wurde. Posttraumatische Belastungsstörungen<br />
schränken zudem die Urteilsfähigkeit des Patienten in Bezug auf persönliche Angelegenheiten<br />
ein und beeinträchtigen den angemessenen Umgang damit. Unsere<br />
Erfahrung mit BEP hat gezeigt, dass zahlreiche Patienten im Anschluss an die<br />
Therapie ihre Arbeit ganz oder teilweise wieder aufnehmen konnten.<br />
Sitzung 9<br />
(Partner oder Begleitperson willkommen, wenn der Patient dies möchte.)<br />
Programm: Gleich wie bei den vorangegangenen Sitzungen, ev. ergänzt durch:<br />
4. Wie haben Patient und Partner die Therapie bisher erlebt<br />
4. Selbstverständlich müssen sowohl der Patient als auch die Begleitperson zu dieser<br />
Zwischenbewertung bereit sein. Sie dient auch dem Therapeuten zu einer<br />
besseren Einschätzung der bisher erreichten Ergebnisse. Konnten die Symptome<br />
reduziert oder ganz abgebaut werden Geht es dem Patienten besser: hat er z.B.<br />
weniger Beeinträchtigungen, Schlafprobleme, Konzentrationsstörungen Wie beurteilt<br />
der Partner den bisherigen Verlauf der Therapie In einigen Fällen finden<br />
die Partner, dass sie den Patienten gut unterstützen können, in anderen Fällen<br />
kommen sich Partner eher ausgeschlossen vor. Dies ist der Zeitpunkt, solche Erfahrungen<br />
zu besprechen. Viele Patienten versuchen, ihren Partner zu „schonen“,<br />
und sind sich der Konsequenzen dieses Verhaltens nicht bewusst. Die Zwischenbewertung<br />
kann dem Partner auch helfen, seine Sorgen und Frustrationen dem<br />
Patienten gegenüber offener auszudrücken. Auch zur Planung des Abschiedsrituals<br />
kann diese Sitzung genutzt werden.<br />
20
Sitzungen 10 bis 12<br />
Zusätzlich zu den normalen Programmpunkten geht es in diesen Sitzungen auch um<br />
die Folgen, die das Trauma für das Leben des Patienten hat. Was hat der Patient<br />
aus dem Ereignis gelernt Ist er in irgendeiner Hinsicht „weiser“ geworden Jeder<br />
Patient hat diesbezüglich andere Gefühle, auf die einzeln eingegangen werden<br />
muss. Dazu gehören u.a. Wut, Trauer, Ohnmacht oder auch der Verlust des Glaubens<br />
an das Gute im Menschen.<br />
Der Patient muss Gelegenheit erhalten, negative Emotionen auszudrücken und sie<br />
besser verstehen zu lernen. Diesem Prozess muss genügend Raum gegeben werden.<br />
Der Therapeut sollte danach auch die eher „positiven“ Aspekte, die mit der<br />
traumatischen Erfahrung verbunden sind, betonen – sofern der Patient diese tatsächlich<br />
als solche wahrnehmen kann. Dies ist der Prozess der Bedeutungsfindung.<br />
In diesen Sitzungen wird auch die Reintegration des Patienten am Arbeitsplatz thematisiert.<br />
ABSCHIEDSRITUAL<br />
Sitzungen 13 bis 16<br />
Programm: 1. Abschiedsritual<br />
2. Evaluation und Therapieabschluss<br />
Das Abschiedsritual läuft folgendermassen ab: Nachdem der Therapeut das Prozedere<br />
erläutert hat, entscheidet sich der Patient, ob er ein Ritual durchführen möchte.<br />
Der Therapeut erklärt die Bedeutung des Rituals und beschreibt verschiedene Varianten.<br />
Zweck des Rituals ist es, auf symbolische Art das Trauma und dessen negative<br />
Auswirkungen auf das Leben des Patienten hinter sich zu lassen. Der Patient wird<br />
das Trauma nie vergessen – mit Hilfe der Therapie kann er das Erlebte jedoch hinter<br />
sich lassen. Das Abschiedsritual wird damit zu einer „Wiedervereinigungsritual“ und<br />
symbolisiert die Rückkehr des Patienten in ein normales Leben. Ein neuer Lebensabschnitt<br />
beginnt, und dies wird mit einer eng vertrauten Person gemeinsam gefeiert.<br />
Hier erklärt der Therapeut nun, wie ein Ritual normalerweise abläuft. Einige Patienten<br />
verbrennen Erinnerungsobjekte wie Briefe, Kleidungsstücke oder Zeichnungen<br />
unter sicheren Bedingungen, zu Hause, in ihrem Garten, oder irgendwo draussen in<br />
der Natur, andere wiederum werfen die Gegenstände ins Meer oder in ein anderes<br />
Gewässer. Wichtig ist, dass die Patienten selber zusammen mit dem Partner oder<br />
einem engen Vertrauten entscheiden, welche Variante für sie die passende ist. Erst<br />
wenn der Patient das Gefühl hat, dass das Trauma nun endgültig Teil seiner Vergangenheit<br />
geworden ist, ist der Zeitpunkt da, dem auch durch ein Abschiedsritual<br />
Ausdruck zu verleihen. Ein letztes Mal werden Gefühle von Trauer und Aggression<br />
ausgedrückt – diesmal jedoch in Anwesenheit einer Person, die dem Patienten nahe<br />
steht. Damit beginnt für den Patienten wieder ein normales Leben. Mit einer symbolischen<br />
Abschiedshandlung (z.B. Duschen) wird das Ritual abgeschlossen und das<br />
Hintersichlassen des Traumas gefeiert, beispielsweise auch durch ein festliches Essen,<br />
einen Spaziergang am Strand oder im Wald mit Partner oder Begleitperson.<br />
21
1. Der Patient wird als erstes gefragt, ob für ihn die Zeit für das Abschiedsritual (das<br />
ihm bereits erklärt wurde) gekommen sei. Der Therapeut <strong>for</strong>dert den Patienten<br />
auf, dies mit seinem Partner zu besprechen und seine Pläne und Überlegungen<br />
beim nächsten Termin mitzuteilen. Das geplante Vorgehen wird dann sorgfältig<br />
besprochen, um sicherzustellen, dass der Patient nicht übereilt handelt oder sich<br />
dem Therapeuten zuliebe dazu drängen lässt. Der Therapeut sollte deshalb abklären,<br />
warum sich der Patient für ein bestimmtes Ritual entschieden hat (z.B.<br />
Verbrennen eines Briefs in der freien Natur), welche Bedeutung der gewählte Ort<br />
oder andere Aspekte haben, und wann das Ritual erfolgen soll. Welche Wirkung<br />
erwarten Patient und Partner von der Durchführung des Rituals Stimmt der<br />
Partner dem Ritual zu Die meisten Patienten möchten, dass das Ritual am Ende<br />
der Therapie stattfindet. Im Grunde stellt das Abschiedsritual tatsächlich den Abschluss<br />
des therapeutischen Prozesses dar. Die meisten Patienten haben jedoch<br />
auch das Bedürfnis, in der letzten Sitzung vom Ritual zu erzählen und dessen<br />
Wirkung zu besprechen.<br />
2. Im Rahmen der Evaluation und dem Abschliessen der Therapie erfolgt noch einmal<br />
Psychoedukation. Der Patient wird gefragt, wie er das Zusammenspiel zwischen<br />
Trauma und Symptomen rückblickend beurteilt. Nun kann der Patient berichten,<br />
ob die Symptome alle verschwunden sind. Der Patient sollte auch darüber<br />
in<strong>for</strong>miert werden, dass gewisse Symptome wie Wiedererleben oder Alpträume<br />
durch belastende Erfahrungen oder sonstige Ereignisse, die den Patienten<br />
an das Trauma erinnern, auch in Zukunft vorübergehend reaktiviert werden<br />
können. Eine gewisse Anfälligkeit in dieser Hinsicht wird bleiben. Gleichzeitig fühlen<br />
sich die meisten Patienten nun zwar „trauriger“, dafür aber umso „weiser“.<br />
Dies bedeutet auch, dass jeweils besprochen werden muss, was der Patient aus<br />
der Therapie gelernt hat und wie er das erworbene Wissen in Zukunft anzuwenden<br />
gedenkt. Zum Schluss erfolgt eine gründliche Evaluation der Therapie durch<br />
den Therapeuten und den Patienten. Was haben wir erreicht Was haben wir<br />
nicht erreicht Was hat sich verändert Sind alle Symptome verschwunden Zu<br />
diesem Zweck kann auch eine Checkliste eingesetzt werden. Besondere Aufmerksamkeit<br />
gilt den Emotionen, die entstehen, wenn die therapeutische Beziehung<br />
zum Abschluss kommt. Für viele Patienten ist der Therapeut etwas ganz<br />
Besonderes, weil er bereit war, all ihren schrecklichen Geschichten zuzuhören,<br />
ihnen als Menschen Aufmerksamkeit entgegenzubringen und ihre intensiven Gefühle<br />
zu verstehen. Für den Therapeuten ist eine Therapie vor allen Dingen eine<br />
professionelle Arbeit. Darüber hinaus entsteht aber auch eine persönliche und oft<br />
sehr emotionale Beziehung. Bei Bedarf können Therapeut und Patient in diesem<br />
Rahmen auch die Möglichkeiten einer Nachbetreuung besprechen.<br />
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