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1.2 Monika Kastner - Vitale Teilhabe - Löcker Verlag

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<strong>Vitale</strong> <strong>Teilhabe</strong>


<strong>Monika</strong> <strong>Kastner</strong><br />

<strong>Vitale</strong> <strong>Teilhabe</strong><br />

Bildungsbenachteiligte Erwachsene und das Potenzial von<br />

Basisbildung<br />

Löcker


Veröffentlicht mit Unterstützung des Fonds zur Förderung der wissenschaftlichen<br />

Forschung, FWF.<br />

Dieses Buch ist auch über www.loecker-verlag.at auch als gratis-download abrufbar.<br />

© Erhard Löcker GesmbH, Wien 2011 – Alle Rechte vorbehalten<br />

Herstellung: General Druckerei, Szeged<br />

ISBN 978-3-85409-610-8


Inhalt<br />

Vorwort 9<br />

1 Vorüberlegungen und Konzeption der Studie 11<br />

1.1 Forschungszugang und generative Fragen 13<br />

<strong>1.2</strong> Erkenntnisinteresse und Forschungsstand 15<br />

1.3 Aufbau und inhaltliche Schwerpunktsetzungen 18<br />

2 Lernen über die Lebensspanne und Bildungsbenachteiligung 27<br />

2.1 Bestandsaufnahme: lebenslanges Lernen als bildungspolitische<br />

Strategie 32<br />

2.1.1 Dokumentenanalyse 32<br />

2.<strong>1.2</strong> Lebenslanges Lernen: ökonomisch, pragmatisch, kritisch,<br />

emanzipatorisch 53<br />

2.2 Bildungsbe(nach)teiligung in Österreich: Datenlage 57<br />

2.3 Analyse von Begrifflichkeiten: sprechen über…<br />

und sprechen mit… 66<br />

2.4 Beteiligung an Weiterbildung: was motiviert, was behindert 73<br />

2.5 Erwerbsarbeitslosigkeit: personenbezogene Perspektive 87<br />

3 Bezugsfeld Erwachsenenbildung 101<br />

3.1 Bildung: Vorgänge, Ansätze und Zieldimensionen 105<br />

3.1.1 Lernen – Aneignung – Bildung 105<br />

3.<strong>1.2</strong> Subjektorientierte Erwachsenenbildung: Begründungen<br />

und Ansätze 115<br />

3.1.3 Dimensionen: mögliche Bildungsinhalte und Bildungsziele 118<br />

3.2 Basisbildung als Teilbereich der Erwachsenenbildung 128<br />

3.2.1 Systematische Annäherungen 129<br />

3.2.2 Zielgruppenorientierung 132<br />

3.2.3 Defizite messbar machen und messen… 135<br />

3.2.4 Inhalts- und Zieldimensionen 138<br />

4 Forschungsansatz und Forschungsprozess 147<br />

4.1 Grounded Theory als qualitativ-empirischer Forschungsansatz 150<br />

4.2 Forschungsleitende Fragestellungen 151<br />

4.3 Forschungsprozess 152<br />

4.4 Auswertungs- und Interpretationsprozess 162


5 Teilnahme und <strong>Teilhabe</strong> an Erwachsenenbildung 169<br />

5.1 Zugänge zum Basisbildungskurs 171<br />

5.1.1 Zugangsmuster 172<br />

5.<strong>1.2</strong> Weiterbildungserfahrungen vor der Basisbildungskursteilnahme 186<br />

5.1.3 Bedingungen im Vorfeld der Teilnahme:<br />

förderliche und hinderliche Einflüsse 195<br />

5.1.4 Anfangssituation: Bildungswunsch und Bildungsrealität 203<br />

5.1.5 Resümee: gelungene Zugänge zum Basisbildungskurs 209<br />

5.2 Lehrhandeln: Kursgeschehen aus der Perspektive der Kursleitenden 214<br />

5.2.1 Stärkung der Teilnehmenden durch Zuwendung 215<br />

5.2.2 Glaubenssätze wahrnehmen und entkräften 225<br />

5.2.3 Kultur der Anerkennung leben 230<br />

5.2.4 Lernfortschritte wahrnehmen 232<br />

5.2.5 Förderung der Lernprozesse 235<br />

5.2.6 Gruppe als Ressource 253<br />

5.2.7 Resümee: Lehrhandeln – Kursgeschehen aus der Perspektive<br />

der Kursleitenden 256<br />

5.3 Lernprozesse: Kursgeschehen aus der Perspektive<br />

der Teilnehmenden 261<br />

5.3.1 Lehr-Lern-Gefüge: der Kurs als Ort des Lernens 261<br />

5.3.2 Hinderliche Glaubenssätze: Bewusstwerdungs- und<br />

Bewältigungsprozesse 264<br />

5.3.3 Unterschiede in den Lernvoraussetzungen:<br />

Selbstverständnis und Selbstbild 270<br />

5.3.4 Abstimmungs- und Aushandlungsprozesse eröffnen<br />

Entwicklungsräume 273<br />

5.3.5 Koppelung von Weiterbildungen: Vorbereitung und Begleitung 281<br />

5.3.6 Vertrauensvolle Beziehungen als Ressource für Entwicklung 283<br />

5.3.7 Die lernende Gemeinschaft: Bedeutung und Grenzen 289<br />

5.3.8 Solidarität: Verbundenheit mit Benachteiligten 294<br />

5.3.9 Resümee: Lernprozesse – Kursgeschehen aus der Perspektive<br />

der Teilnehmenden 299<br />

5.4 Effekte der Teilnahme und Bedingungen des Gelingens 303<br />

5.4.1 <strong>Vitale</strong> <strong>Teilhabe</strong> durch Bildung 304<br />

5.4.2 Zweitspracherwerb: Lernfortschritte und Lernerfolge 316<br />

5.4.3 Muster von Basisbildungsteilnahmen 318<br />

5.4.4 Hürden und Barrieren 323<br />

5.4.5 Resümee: Effekte der Teilnahme und Bedingungen des Gelingens 334<br />

6 Fazit: Von der Teilnahme zur vitalen <strong>Teilhabe</strong> 337


7 Verzeichnis der verwendeten Literatur 347<br />

7.1 Monografien, Beiträge in Zeitschriften und in Sammelbänden 349<br />

7.2 Von Institutionen herausgegebene Materialien,<br />

Materialien aus Internetquellen sowie sonstige Quellen 361<br />

8 Anhang 367<br />

8.1 Interviews mit Teilnehmerinnen und Teilnehmern im Überblick 368<br />

8.2 Interviews mit Kursleiterinnen und Kursleitern im Überblick 370<br />

8.3 Leitfaden für episodische Interviews mit den Teilnehmenden<br />

und Kurzfragebogen 370<br />

8.4 Leitfaden: Kursleiterinnen und Kursleiter 372<br />

8.5 Themenkatalog: offenes Interview mit Sozialarbeiterin 373<br />

8.6 Fragenkatalog für die Datenerhebung: …ein Jahr später 374<br />

8.7 Leitfaden für das Interview mit dem AMS-Vertreter 375<br />

8.8 Transkriptionsregeln für die Interviews 376<br />

8.9 Regeln für die Belege des Datenmaterials 377<br />

Anmerkungen 379


Vorwort<br />

Ausgangspunkt der vorliegenden Studie ist die Frage, welche Chancen sich für Erwachsene,<br />

die Bildungsbenachteiligung erfahren haben und Basisbildungsbedarfe/<br />

-bedürfnisse aufweisen, durch die Teilnahme an einem Basisbildungskurs tatsächlich<br />

eröffnen. Somit geht es um die Frage nach der Sichtbarkeit von Lehren, Lernen<br />

und Bildung im erwachsenenpädagogischen Teilbereich der Basisbildung. Der gegenstandsbezogene<br />

Teil der Studie besteht in der Auseinandersetzung mit relevanten<br />

Wissensbeständen und versteht sich als Hinführung zur qualitativ-empirischen<br />

Untersuchung. Diese nimmt Teilnehmende und Kursleitende in den Blick und richtet<br />

sich auf die Rekonstruktion von subjektiven Handlungen und Deutungen der<br />

Akteurinnen und Akteure im Mikrokosmos der Lehr-Lern-Situation mit dem Ziel<br />

des Verstehens von Lehr-, Lern- und Bildungsprozessen in Basisbildungskursen.<br />

Die Ergebnisse geben Aufschluss darüber, welche Chancen sich für Nicht-Bildungsbegünstigte<br />

durch die Kursteilnahme eröffnen können, und in Hinblick auf<br />

die mikrodidaktische Ebene werden Handlungsorientierungen für umsetzbare Bildung<br />

für bildungsbenachteiligte Erwachsene begründet.<br />

Die Studie wurde als Habilitationsschrift mit dem Titel »Bildungsbenachteiligte<br />

Erwachsene – Basisbildung und das Potenzial der vitalen <strong>Teilhabe</strong>« an der Kulturwissenschaftlichen<br />

Fakultät der Alpen-Adria-Universität Klagenfurt eingereicht<br />

und im Sommer 2010 angenommen. Viele Menschen haben mich während der Arbeit<br />

an der Studie begleitet und unterstützt. Mein herzlicher Dank gilt allen meinen<br />

Interviewpartnerinnen und Interviewpartnern. Ganz besonders möchte ich den<br />

Kursteilnehmerinnen und Kursteilnehmern und den Kursleiterinnen und Kursleitern<br />

für ihre Bereitschaft danken, sich auf ein Gespräch mit mir einzulassen, und<br />

für das mir entgegengebrachte Vertrauen, offen über Erfahrungen und Erlebnisse<br />

zu berichten. Mein Dank richtet sich natürlich auch an alle Mitarbeiterinnen und<br />

Mitarbeiter der Basisbildungseinrichtungen, die mich bei meiner Forschungsarbeit<br />

großzügig unterstützt haben. Besonderer Dank gebührt vor allem Elke Gruber, Professorin<br />

für Erwachsenen- und Berufsbildung am Institut für Erziehungswissenschaft<br />

und Bildungsforschung, für ihr stilles Vertrauen in mich und meine Arbeit<br />

sowie ihre großartige Unterstützung, die immer im richtigen Moment zum Tragen<br />

kam. Meinen Kolleginnen Ulrike Loch, Marion Sigot und Kornelia Tischler<br />

danke ich sehr herzlich für anregende inhaltliche Diskussionen, hilfreiche Kommentare<br />

und insbesondere für die ermutigende Unterstützung im Rahmen unseres<br />

Habilitierendenkolloquiums am Institut für Erziehungswissenschaft und Bildungsforschung.<br />

Harald Sülberg sei gedankt für den bereichernden Austausch, für kluge<br />

Kommentare und insbesondere für die lohnenden Datensitzungen. Sehr herzlich<br />

danke ich Katrin Prüller, die mit der fachkundigen Transkription der Interviews<br />

und ihren Anmerkungen über das Gehörte und Wahrgenommene wertvolle Arbeit<br />

geleistet hat. Besonders danke ich für inhaltliche Unterstützung und für bereichernden<br />

Austausch: Anita Brünner, Antje Doberer-Bey, Christiane Fiegele, Sylvia<br />

- 9 -


Hojnik, Daniela Holzer, Susanne Huss, Irmgard Kaufmann-Kreutler, Karin Kölbl,<br />

Antonia Krummheuer, Katharina Marko, Jutta Menschik-Bendele, Isabella Penz,<br />

Heinz Pichler, Hedwig Presch, Otto Rath, Caroline Roth-Ebner, Christine Schubert,<br />

Barbara Schröttner, Annette Sprung, Anneliese Theuermann und Vladimir<br />

Wakounig. Dem Forschungsrat der Alpen-Adria-Universität Klagenfurt möchte<br />

ich für die finanzielle Förderung dieser Forschungsarbeit danken. Ich danke Laura<br />

R. Rosinger (»TextConsult«, Graz) für das überaus sorgfältige und lohnende Lektorat<br />

sehr herzlich.<br />

Abschließend danke ich dem Wissenschaftsfonds (FWF) für die Förderung der<br />

Drucklegung sowie dem Löcker <strong>Verlag</strong>, insbesondere Alexander Lellek, für die<br />

angenehme Zusammenarbeit.<br />

Klagenfurt, Mai 2011


1 Vorüberlegungen und Konzeption der Studie


1.1 Forschungszugang und generative Fragen<br />

»Der Wort- und Zeichenführer zeigte jedenfalls mit den zum V gespreizten Fingern auf seine<br />

Augen, schrieb imaginäre Zeilen in die Luft und machte dann, wie mir schien, den klappernden<br />

Schnabel einer Ente oder irgendeines anderen schnatternden Vogels nach, und ich<br />

meinte zu verstehen: Lies vor! […] Da die lateinisch geschriebene Bahasa Indonésia für einen<br />

deutschsprachigen Fremden nahezu phonetisch zu lesen ist, wurde dieser Vortrag nur dann<br />

schwierig, wenn eine Steigung den Fahrer zum Schalten zwang und jedes Wort im Diesellärm<br />

unterging. […] Ich las also Satz für Satz, Worte, die ich nicht verstand. Ich weiß nicht, ob alle<br />

meine Zuhörer lesen konnten, wusste aber, daß sie verstanden, was ich las.« (Ransmayr 2004:<br />

225; Hervorh. i. Orig.)<br />

In »Der Weg nach Surabaya. Protokoll einer Lastwagenfahrt« beschreibt Christoph<br />

Ransmayr eine seltsam anmutende und zugleich wunderbare Form des Teilens<br />

und <strong>Teilhabe</strong>ns. Der Reisende, ein Europäer, hat vor Antritt der Fahrt nach<br />

Surabaya auf Java zum Zwecke des Ausstopfens nasser Schuhe eine lokale Zeitung<br />

erstanden. Diese ist verfasst in der Kunstsprache Bahasa Indonésia, einer<br />

»Hilfssprache […], die einen Waranjäger aus Borneo oder Neuguinea mit einem<br />

Busfahrer aus Sumatra und einem Steuerbeamten aus Jakarta sprechen läßt, ohne<br />

das Gespräch in eine der sogenannten Weltsprachen zu zwingen« (ebd.: 223f.;<br />

Hervorh. i. Orig.). Während der Fahrt wird der Reisende von seinen Mitreisenden<br />

aufgefordert, aus dieser Zeitung vorzulesen. Anlass ist das Foto eines Fußballers<br />

auf dem Titelblatt, das ihr Interesse geweckt hat. So werden Worte und<br />

Sätze, die der Europäer zwar nicht verstehen, aber doch verständlich aussprechen<br />

kann, zur Unterhaltung vorgelesen und stiften eine Gemeinschaft auf Zeit. Die<br />

inhaltlich für ihn aufgrund seiner nicht vorhandenen Fremdsprachkompetenz uninteressante<br />

Zeitung wird für seine Mitreisenden, die sie – so vermutet der Europäer<br />

– möglicherweise selbst nicht lesen können, zur gehörten Unterhaltung<br />

während der Fahrt.<br />

Dieses literarische Beispiel deutet den gewählten Forschungszugang an, geht es<br />

in Ransmayrs Protokoll einer Lastwagenfahrt doch um das Thema der <strong>Teilhabe</strong><br />

an der Welt, um die Suche nach <strong>Teilhabe</strong>möglichkeiten und nach Fähigkeiten und<br />

Fertigkeiten, die dafür scheinbar oder tatsächlich notwendig sind. In der hier vorgelegten<br />

Studie werden Erwachsene, die Bildungsbenachteiligung erfahren haben<br />

und an Angeboten der Erwachsenenbildung teilnehmen, in den Blick genommen.<br />

Forschungsgegenstand sind Lehr-, Lern- und Bildungsprozesse in Basisbildungskursen.<br />

Das Hauptaugenmerk richtet sich dabei auf das Feld der Basisbildung als<br />

Teilbereich der Erwachsenenbildung. Die Studie hat somit einen erwachsenenpädagogischen<br />

Fokus; Fragen schulischer Prävention bleiben ausgeklammert. Allerdings<br />

werden durch die Konzentration auf Erwachsene, die Bildungsbenachteiligung<br />

erfahren haben, schulbezogene Aspekte implizit aufgegriffen. Thematisch<br />

geht es jedoch um den Gedanken der Kompensation von Bildungsbenachteiligung<br />

- 13 -


durch Bildungsangebote für Erwachsene – und nicht um den Gedanken der Prävention<br />

als Aufgabe schulischer Bildung.<br />

In Österreich existiert eine überaus wirksame Bildungsbenachteiligung: Die Beteiligungsmuster<br />

an Lernaktivitäten über die Lebensspanne zeigen, dass sich Ungleichheiten<br />

in der schulischen und beruflichen Erstausbildung als so genannter<br />

»Matthäus-Effekt« (siehe dazu Abschnitt 2) in der Weiterbildung fortsetzen. Aus<br />

dieser Bildungsbenachteiligung können Basisbildungsbedarfe/-bedürfnisse resultieren.<br />

Das Bewusstsein für dieses Faktum zirkuliert in den beteiligten wissenschaftlichen<br />

Disziplinen und in einigen Praxisfeldern (u.a. im Pflichtschulwesen,<br />

in der Lehrlingsausbildung, in der Erwachsenenbildung). Das medial produzierte<br />

bzw. verstärkte Entsetzen angesichts bescheidener Ergebnisse bei internationalen<br />

Vergleichsstudien (beispielsweise im Rahmen der PISA 2000-Erhebung für Schülerinnen<br />

und Schüler) führte bislang nicht zur Ursachenforschung in Hinblick auf<br />

systemimmanente Faktoren oder gar zur Thematisierung des sichtbar werdenden<br />

Einflusses der sozialen Herkunft auf Bildungschancen (siehe Bacher 2005; siehe<br />

dazu auch Abschnitt 2). Auch am Weltalphabetisierungstag (am 8. September 1 ), an<br />

dem u.a. darüber informiert wird, dass in Ländern wie Österreich, das über ein solides<br />

Bildungssystem verfügt, Menschen mit den schriftsprachlichen, mathematischen<br />

oder computerbezogenen Anforderungen überfordert sind, dringt dieses Faktum<br />

der überaus wirksamen Bildungsbenachteiligung kurzfristig in das öffentliche<br />

Bewusstsein.<br />

Erwachsenenbildung kann zur Verfestigung von in früheren Lebensphasen grundgelegter<br />

Bildungsbenachteiligung beitragen, gleichzeitig leisten Angebote für Erwachsene<br />

einen Beitrag zur Kompensation von Bildungsbenachteiligung. Dieser<br />

grundlegende Widerspruch wohnt der Erwachsenenbildung inne. Die Frage ist<br />

nun: Welche Chancen eröffnen sich durch die Teilnahme an Bildung im Erwachsenenalter<br />

für Menschen, die Bildungsbenachteiligung erfahren haben, tatsächlich<br />

Die mögliche Kompensation von Benachteiligung durch Bildungsangebote für Erwachsene<br />

kann unterschiedliche Dimensionen von Wirksamkeit haben.<br />

Aktuell hat das Lernen, das der zweckorientierten Verwertbarkeit dient, einen hohen<br />

Stellenwert – insbesondere die anpassungs- und aufstiegsorientierte sowie die<br />

auf Wiedereingliederung ausgerichtete, zumeist arbeitsmarktpolitisch organisierte<br />

berufliche Fortbildung, die auf die Brauchbarkeit des Menschen im Sinne der Herstellung<br />

und des Erhalts seiner Beschäftigungsfähigkeit abzielt. Erwachsene, die<br />

Bildungsbenachteiligung erfahren haben und daher Bildungsbedarfe/-bedürfnisse<br />

aufweisen, werden/sind vielfach von Erwerbsarbeitslosigkeit bedroht/betroffen.<br />

Hier stellt sich die Frage, welche Auswirkungen das auf diese Menschen hat.<br />

Eine Anregung für diese Fragestellungen lieferte meine Auseinandersetzung mit<br />

dem Bildungsverständnis von Hartmut von Hentig in seiner gleichnamigen Aufsatzsammlung<br />

»Die Menschen stärken, die Sachen klären« (Hentig 2003 [1985]).<br />

In Anlehnung an Hartmut von Hentig vertrete ich ein Verständnis von Bildung,<br />

das der individuellen Entfaltung und Entwicklung der Menschen – und zwar aller<br />

- 14 -


Menschen – verpflichtet ist. Auch die von Oskar Negt ausgearbeiteten gesellschaftlichen<br />

Grundkompetenzen – insbesondere die übergeordnete Kompetenz des Vermögens,<br />

Orientierung und Zusammenhang durch Bildung zu stiften sowie durch<br />

Bildung zum Umgang mit bedrohter und gebrochener Identität zu befähigen (vgl.<br />

Negt 1990 und 1998) – waren ein bedeutsamer Impuls.<br />

Eine weitere Anregung lieferte meine Beschäftigung mit dem Feld der Basisbildung<br />

bzw. der Bildungsarbeit mit bildungsbenachteiligten Erwachsenen 2 seit 2004.<br />

Im Zuge dieser Beschäftigung lernte ich zwei recht gegensätzliche pädagogische<br />

Haltungen und Handlungsweisen kennen: zum einen die eher schulorientierte, auf<br />

die Vermittlung von Lehrzielen fokussierte Lehre mit – wie mir schien – wenig Berücksichtigung<br />

der Persönlichkeit, der Bedürfnisse und vor allem der individuellen<br />

Voraussetzungen der Teilnehmenden; zum anderen eine Auseinandersetzung mit<br />

den Bedürfnissen und Interessen von bildungsbenachteiligten Menschen, bei der<br />

offenbar ein humanistisch geprägter Bildungsbegriff handlungsleitend war. Hier<br />

standen die Menschen, dort standen ein Ziel und das Erreichen dieses Ziels im Mittelpunkt<br />

der Aufmerksamkeit.<br />

Aus der Tatsache, dass im Praxisfeld der Basisbildung aufgrund der Vielfältigkeit<br />

der Einrichtungen und Projekte unterschiedliche Inhalts- und Zielvorstellungen<br />

vorzufinden sind, haben sich die generativen Fragen nach der konkreten Gestaltung<br />

von Lehr-Lern-Prozessen in Basisbildungskursen herauskristallisiert. Was<br />

mag die Thematisierung und Bearbeitung von Basisbildungsbedarfen/-bedürfnissen<br />

auf der persönlichen Ebene bedeuten und wie werden die individuellen Lernprozesse<br />

erlebt Und: Wie gestalten die Lehrenden ihr Handeln In Anlehnung an<br />

Hartmut von Hentig (siehe oben) stellte sich zudem die Frage, ob die Teilnehmenden<br />

in der Basisbildung gestärkt werden, und wenn ja, wie sich eine solche Stärkung<br />

vollziehen kann. Und: Wie werden die »Sachen« im Detail geklärt. Insgesamt<br />

ist hiermit die Gestaltung der Lehr-Lern-Prozesse auf der Interaktions- und<br />

Beziehungsebene angesprochen und betrifft die Lehr-/Lernforschung und Fragen<br />

der Mikrodidaktik. Damit in Zusammenhang steht die pädagogische Frage nach<br />

der Sichtbarkeit von Lehren, Lernen und Bildung.<br />

<strong>1.2</strong> Erkenntnisinteresse und Forschungsstand<br />

Das Erkenntnisinteresse der vorliegenden Studie richtet sich ausgehend von den<br />

generativen Fragen auf die Rekonstruktion der subjektiven Handlungen und Deutungen<br />

der Teilnehmer/innen und Kursleiter/innen mit dem Ziel des Verstehens<br />

von Lehr-, Lern- und Bildungsprozessen in der Basisbildung. Es wird versucht,<br />

eine Perspektivenverschränkung zwischen Lehren und Lernen vorzunehmen: Wie<br />

gestalten sich die Lehr-Lern-Interaktionen, die Prozesse der Inhaltsbestimmungen<br />

und die Vermittlung zwischen Teilnehmenden und Kursleitenden Wie werden<br />

die Lehrprozesse als Vermittlungshandlungen gestaltet Werden inhaltlich-thema-<br />

- 15 -


tische Angebote gemacht, werden Inhalte von Teilnehmenden gewünscht und/oder<br />

werden Inhalte ausgehandelt Ist ein weites oder ein enges Verständnis von Basisbildung<br />

vorherrschend Ist dieses eher an den Teilnehmenden oder am Maßstab<br />

der Verwendbarkeit orientiert Wie lässt sich die Gestaltung der Lehr-, Lern- und<br />

Bildungsprozesse auf der Ebene von Interaktion und Beziehung bestimmen Wie<br />

vollziehen sich Lern- und Bildungsprozesse Kann überhaupt zwischen Lern- und<br />

Bildungsprozessen differenziert werden Sind Prozesse feststellbar, die auf die persönliche<br />

Stärkung der Teilnehmenden, auf die Entwicklung von Selbstbestimmung<br />

und die Erhöhung der <strong>Teilhabe</strong> abzielen Sind Veränderungen auf der Individualebene<br />

erkennbar und welcher Art sind gegebenenfalls diese Veränderungen Was<br />

genau tragen die Kursleiter/innen dazu bei – und was die Teilnehmenden Zentral<br />

ist hierbei die Frage nach individuellen Kompensationsmöglichkeiten: Welche<br />

Chancen eröffnen sich für Erwachsene, die Bildungsbenachteiligung erfahren haben,<br />

durch die Teilnahme an einem Basisbildungskurs tatsächlich<br />

Die Studie fokussiert somit mikrodidaktische Aspekte und zielt insbesondere<br />

auf die Rekonstruktion von Lehr-Lern-Situationen in der Basisbildung ab. Sie<br />

lässt sich daher als Beitrag zur erwachsenenpädagogischen Lehr-/Lernforschung<br />

verstehen. Diese wird von Horst Siebert (2001) definiert als »empirische Untersuchung<br />

des Zusammenhangs von Lehren und Lernen in Veranstaltungen der<br />

Erwachsenenbildung« (Siebert 2001: 191). Ziel sei die Rekonstruktion der Bildungsarbeit<br />

und der Bildungsprozesse, »um dadurch auf die Faktorenkomplexion<br />

und Mehrdimensionalität aufmerksam zu machen« (ebd.) sowie Anregungen<br />

für die Gestaltung zu dokumentieren (vgl. ebd.). Rolf Arnold (2001a) hat in<br />

Hinblick auf Didaktik und Methodik bemerkt: »Die eigentlichen mikrodidaktischen<br />

Entscheidungen werden von den Kursleitern […] getroffen, wobei diese<br />

in der Regel relativ ‚frei schalten‘ können;« (Arnold 2001a: 74) Es sei eher selten,<br />

dass die Kursleitenden »von den disponierend Verantwortlichen erwachsenendidaktisch<br />

geleitet, weitergebildet oder gar zur Realisierung einer bestimmten<br />

(z.B. vom Leitbild her nahe liegenden) Erwachsenendidaktik ‚verpflichtet‘«<br />

(ebd.) werden. Christine Zeuner und Peter Faulstich (2009) haben bei der Aufarbeitung<br />

von Resultaten der Erwachsenenbildungsforschung in Bezug auf didaktisches<br />

Handeln, das eigentlich »im Mittelpunkt erwachsenenbildnerischer<br />

Tätigkeit steht« (Zeuner/Faulstich 2009: 82), festgestellt, dass bislang kaum empirische<br />

Studien dazu vorliegen (vgl. ebd.).<br />

Alphabetisierung/Basisbildung war lange Zeit in erster Linie ein Praxisfeld der Erwachsenenbildung.<br />

Die zum Zeitpunkt der Erstellung dieser Studie vorliegenden<br />

Forschungsarbeiten aus erziehungswissenschaftlicher bzw. erwachsenenpädagogischer<br />

Perspektive, die sich auf Deutschland beziehen, 3 fokussieren ihrerseits insbesondere<br />

biografische Aspekte der Entstehung des so genannten »funktionalen Analphabetismus«<br />

(Egloff 1997) bzw. die Perspektive von Kursteilnehmenden auf<br />

das Lesen- und Schreibenlernen im Erwachsenenalter (Linde 2008).<br />

In der vorliegenden Studie wird der Versuch einer Perspektivenverschränkung von<br />

- 16 -


Lehren und Lernen unternommen. Lehr-Lern-Situationen sollen mittels der Rekonstruktion<br />

der subjektiven Handlungen und Deutungen der Kursleitenden und<br />

Teilnehmenden (die befragten Kursleiter/innen haben die Kurse der befragten Teilnehmenden<br />

geleitet) erhellt werden. Hier wurde im Vorfeld bewusst eine Überschneidung<br />

des Samples angestrebt, um eine Perspektivenverschränkung in Hinblick<br />

auf die Gestaltung und Wahrnehmung der Lehr-Lern-Prozesse zu erhalten<br />

(siehe dazu Abschnitt 4.3). Mit dem Ziel der Rekonstruktion und Analyse von<br />

Lehr-, Lern- und Bildungsprozessen in der Basisbildung wird der Mikrokosmos<br />

Lehr-Lern-Situation untersucht. Versucht wird eine Verschränkung der Lernforschung<br />

4 (Perspektive der Teilnehmenden) mit der Erforschung didaktischen Handelns<br />

(Perspektive der Kursleitenden). Es soll keine Gleichsetzung von Lehren und<br />

Lernen, sondern im Gegenteil eine Differenzierung zwischen Lehrhandeln und<br />

Lernprozessen vorgenommen werden. Insgesamt soll durch diese Perspektivenverschränkung<br />

ein Beitrag zur erwachsenenpädagogischen Fundierung der Basisbildung<br />

geleistet werden. Die Studie lässt sich außerdem in den Forschungsstrang der<br />

»Teilnehmerforschung« (siehe dazu auch Abschnitt 2), die sich mit »individuellen<br />

Lernvoraussetzungen und Lernmotiven der Lernenden« (Faulstich/Zeuner 1999:<br />

99) befasst, einordnen.<br />

Ausgehend von den oben erläuterten generativen Fragen vertrete ich die Ansicht,<br />

dass der persönlichen Stärkung der Teilnehmenden, die Bildungsbenachteiligung erfahren<br />

haben, in der Bildungsarbeit eine große Bedeutung zukommen sollte. Daher<br />

wird insbesondere die Gestaltung der Lehr-Lern-Prozesse auf der Interaktionsund<br />

Beziehungsebene in den Blick genommen: Werden die Teilnehmenden gestärkt,<br />

und wenn ja, wie werden sie gestärkt Konstituierend für diesen Fokus war auch<br />

die im Rahmen der Weltbildungskonferenz »Bildung für alle« in Jomtien, Thailand<br />

(1990) formulierte These, dass Alphabetisierung und Grundbildung Voraussetzungen<br />

für die Beteiligung am sozialen, kulturellen, politischen und wirtschaftlichen<br />

Leben schaffen (vgl. Giere 2005: 26). Bei dieser Aufzählung von <strong>Teilhabe</strong>aspekten<br />

fehlt etwas ganz Fundamentales – wie mir scheint –, nämlich die Individualebene.<br />

Ausgehend von der Überlegung, dass Erwerbsarbeitslosigkeit negative psychosoziale<br />

Auswirkungen hat, habe ich mir die Frage gestellt, wie es sich anfühlen<br />

müsste, ganz grundlegende und daher als selbstverständlich vorausgesetzte Fähigkeiten<br />

und Fertigkeiten weniger gut als der Durchschnitt der Bevölkerung zu beherrschen.<br />

Mittlerweile wurde die Bedeutung meiner generativen Frage nach der<br />

möglichen/notwendigen Stärkung der Teilnehmenden in Basisbildungskursen indirekt<br />

bestätigt. Ursula Howard, Visiting Professorial Fellow am NRDC, dem Institute<br />

of Education der University of London, thematisierte in ihrem Gastvortrag im Rahmen<br />

des Weltalphabetisierungstages am 8. September 2008 in Berlin die Bedeutung<br />

des Selbstvertrauens: »Selbstvertrauen trägt maßgeblich zum Erfolg eines Lerners<br />

bei und sollte nicht als sogenannte ‚soft skill‘ abgetan werden.« (Howard 2008: 7)<br />

Mein Forschungsinteresse, das sich ganz stark den Teilnehmenden und Kursleitenden<br />

von Basisbildungskursen zuwendet und versucht, innen liegende Befindlich-<br />

- 17 -


keiten, Handlungsbegründungen, Gefühle und Wahrnehmungen in den Blick zu<br />

nehmen, habe ich in einem während der Fertigstellung der vorliegenden Studie erschienenen<br />

Themenheft (H. 2/2009) der DIE, Zeitschrift für Erwachsenenbildung,<br />

zu »Intimacy …innere Seite des Lernens« wieder gefunden. Paul Bélanger weist mit<br />

seinem Konzept »Intimacy of learning« darauf hin, dass Lernen nicht lebensbegleitend<br />

und lebensweit sein kann, wenn es nicht auch lebenstief ist (vgl. Bélanger 2009:<br />

23). Diese innere Seite des Lernens ist, so der Herausgeber Ekkehard Nuissl im Editorial,<br />

die »dritte Dimension« des Lernens: Das Lernen über die Lebensspanne ist<br />

die erste Dimension; die zweite Dimension ist die Breite des Lernens, diese umfasst<br />

alle Aspekte des Lebens und somit auch alle Lernformen 5 ; der tiefe Blick in die Individualebene<br />

der Lernenden ist die dritte Dimension (vgl. Nuissl 2009: 3): »Lernen<br />

bleibt eine innere, private, intime Erfahrung« (Bélanger 2009: 22).<br />

In der vorliegenden Studie zu Lehr-, Lern- und Bildungsprozessen in der Basisbildung<br />

führten meine theoretischen, gegenstandsbezogenen Ausgangs- und<br />

Bezugspunkte zum interpretativen Paradigma der sozialwissenschaftlichen Forschung;<br />

mit Hilfe des im Vorfeld gewählten Forschungsansatzes der Grounded<br />

Theory wurden die Wahrnehmungen und Perspektiven der Akteurinnen und Akteure<br />

der Lehr-Lern-Situation zum Dreh- und Angelpunkt der gesamten Untersuchung.<br />

So konnte ein Beitrag zur »Erforschung der dritten Dimension des Lernens«<br />

(Nuissl 2009: 3) geleistet werden. Für den begrenzten Ausschnitt der in<br />

dieser Studie untersuchten Bildungsprozesse von Erwachsenen, die Bildungsbenachteiligung<br />

erfahren haben und an Basisbildungsangeboten teilnehmen,<br />

konnten Aussagen darüber getroffen werden, unter welchen Bedingungen sich<br />

gelingendes Lernen und gelingende Bildung im Einzelfall vollziehen können.<br />

Die Datenerhebung beschränkte sich nicht auf eine Momentaufnahme von Lehr-<br />

Lern-Situationen, vielmehr wurde zu einem späteren Zeitpunkt (ein Jahr nach der<br />

Durchführung der Interviews mit den Teilnehmenden und Kursleitenden) eine erneute<br />

Datenerhebung durchgeführt, um einen erweiterten Blick auf die generativen<br />

Fragen zu gewinnen. 6 Im Zentrum stand dabei, wie es den befragten Teilnehmenden<br />

während des vorangegangenen Jahres ergangen war (siehe dazu Abschnitt<br />

4.3). Insgesamt wurde die grundlegende pädagogische Frage nach der Sichtbarkeit<br />

von Lehren, Lernen und Bildung in Basisbildungsangeboten bearbeitet. Unter Bezugnahme<br />

auf das Konzept von Paul Bélanger ist die vorliegende Studie rückblickend<br />

betrachtet der Versuch gewesen, mittels Perspektivenverschränkung die innere<br />

Seite des Lehrens und Lernens in Basisbildungskursen zu erforschen. 7<br />

1.3 Aufbau und inhaltliche Schwerpunktsetzungen<br />

Der gegenstandsbezogene Teil der Studie dient der theoretischen Analyse und ist<br />

die thematisch-inhaltliche Grundlegung unter Bezugnahme auf die generativen<br />

Fragen und das Erkenntnisinteresse. Danach folgen die Erläuterungen zum For-<br />

- 18 -


schungsprozess, die Darstellung der Interpretationsergebnisse sowie die Rückbindung<br />

an den gegenstandsbezogenen Teil. In den folgenden Abschnitten wird der<br />

Aufbau der Studie erläutert und werden die inhaltlichen Schwerpunkte und erste<br />

Ergebnisse vorgestellt.<br />

Bestandsaufnahme zu lebenslangem Lernen und bildungsbenachteiligten<br />

Erwachsenen<br />

Ausgehend von der Frage, was die Forderung nach lebenslangen Lernprozessen<br />

für Menschen, die Bildungsbenachteiligung erfahren haben, bedeuten mag, werden<br />

entsprechende Dokumente der europäischen Bildungs- und Beschäftigungspolitik<br />

sowie ausgewählte nationale bildungsprogrammatische Dokumente untersucht.<br />

Diese Bestandsaufnahme zu den europäischen bildungsprogrammatischen<br />

Forderungen des lebenslangen Lernens orientiert sich insbesondere an den Fragen,<br />

wie bildungsbenachteiligte Personen/Gruppen rhetorische Aufmerksamkeit erhalten,<br />

welche Maßnahmen zur Förderung vorgeschlagen werden und welche Argumentationslinien<br />

und Zieldimensionen sich folglich in diesen Dokumenten feststellen<br />

lassen. Die Dokumentenanalyse zeigt, dass bildungsbenachteiligte Erwachsene<br />

nach und nach in den Fokus der Aufmerksamkeit gerückt werden. Ein Aufmerksamkeitsmuster<br />

ist das der Wahrnehmung bildungsbenachteiligter Personen als gesellschaftliche<br />

Randgruppe, eines ist das der Prävention und ein Aufmerksamkeitsmuster<br />

nimmt gesellschaftliche Ungleichheit und benachteiligende Faktoren in den<br />

Blick und stellt die Frage nach der Kompensation, womit es die Erwachsenenbildung<br />

als Handlungsfeld betrifft. Das Primat der Ökonomie wird in den Dokumenten<br />

reproduziert und dient als Ausgangspunkt und Zieldimension der Argumentationen.<br />

Eine solche Argumentation kommt bildungsprivilegierten Menschen<br />

entgegen.<br />

Daten zur Bildungsbe(nach)teiligung in Österreich<br />

In Österreich hat es bislang kein Monitoring der Weiterbildungsbeteiligung gegeben.<br />

Mit der Teilnahme Österreichs am europäischen Adult Education Survey<br />

(AES) sind solche Daten nun erstmals vorhanden. Mit Hilfe einer sekundärstatistischen<br />

Datenanalyse, beruhend auf »Erwachsenenbildung 2007« (Statistik Austria<br />

2009a), kann die Bildungsbeteiligung der österreichischen Wohnbevölkerung im<br />

Haupterwerbsalter (25 bis 64 Jahre) nachvollzogen werden. Die vorliegenden Daten<br />

zu den formalen, nicht-formalen und informellen Lernaktivitäten belegen die<br />

»Bildungskumulationsthese« (Gnahs 2001; siehe dazu Abschnitt 2). Es wird deutlich,<br />

dass Entwicklungs-, Handlungs- und somit <strong>Teilhabe</strong>möglichkeiten ungleich<br />

verteilt sind. Somit stellt sich die Frage nach der Verteilungsgerechtigkeit, denn es<br />

können eindeutige förderliche und hinderliche Faktoren ausgemacht werden. Benachteiligungen<br />

und Begünstigungen zu Beginn der Bildungskette wirken stark<br />

nach. Werden solche wirksamen Voraussetzungen nicht in den Blick genommen,<br />

muss das lebenslange Lernen weiterhin als elitäres Konzept kritisiert werden.<br />

- 19 -


Analyse themenbezogener Begrifflichkeiten: sprechen über… und sprechen mit…<br />

Ausgehend von der Analyse bildungsprogrammatischer Dokumente und den Daten<br />

zur Bildungsbe(nach)teiligung stellt sich die Frage nach der Praxis der Benennung<br />

der verschiedenen Gruppen: Wie gestaltet sich der Diskurs über bildungsbenachteiligte<br />

Personen (sprechen über…) Und wie werden diese Gruppen als Adressatinnen<br />

und Adressaten von Weiterbildungsangeboten bezeichnet (sprechen mit…)<br />

Wie werden Personen(-Gruppen), die die Forderung nach lebenslangen Lernprozessen<br />

weniger gut erfüllen können, begrifflich bestimmt Welche stigmatisierenden<br />

und welche weniger diskriminierenden Bezeichnungen lassen sich im erwachsenenpädagogischen<br />

Feld vorfinden Es werden ausgewählte Begriffe analysiert,<br />

die themenbezogen in Verwendung sind. Abschließend wird die für die Studie gewählte<br />

Benennungspraxis der Zielgruppe als bildungsbenachteiligte Erwachsene<br />

mit Basisbildungsbedarfen/-bedürfnissen begründet.<br />

Beteiligung an Weiterbildung: was motiviert, was behindert<br />

Die Entscheidungsprozesse, die zu einer Bildungsteilnahme führen können, sind<br />

vielschichtig. Gesellschaftlich geformte strukturelle Bedingungen und individuelle<br />

Voraussetzungen und Beweggründe bilden ein Konglomerat, für das sich die<br />

Teilnehmerforschung und die Praxis der Erwachsenenbildung (das didaktische<br />

Prinzip der Orientierung an den Teilnehmenden) interessieren. Auch motivationspsychologische<br />

und persönlichkeitspsychologische Erkenntnisse sind hierfür aufschlussreich.<br />

Bei der Aufarbeitung dieser Ansätze wurde versucht, diese auf bildungsbenachteiligte<br />

Personen zu beziehen. Damit konnte die Sichtweise gestärkt<br />

werden, dass den quantitativ feststellbaren Mustern von Bildungsbeteiligung Ursachen<br />

zugrunde liegen. Es ist nicht immer eine Frage des Wollens, ob ein Bildungsangebot<br />

in Anspruch genommen wird oder nicht, wie die Ausführungen zum Konstrukt<br />

der Selbststeuerung zeigen. Daher bedarf es immer einer Analyse auf der<br />

Individualebene und somit der Einholung von subjektiven Sichtweisen und Einschätzungen.<br />

Eine solche Analyse kann einen Beitrag zur Erhellung der Fragen zu<br />

Bildungsbeteiligung und Nicht-Bildungsbeteiligung leisten.<br />

Erwerbsarbeitslosigkeit: personenbezogene Perspektive<br />

Die Frage: »Was motiviert, was behindert« (siehe oben), legt den Gedanken an<br />

den erwachsenenpädagogischen Grundsatz der (im Prinzip) freiwilligen Teilnahme<br />

nahe. Ausgehend von dem Leitmotiv des lebenslangen Lernens wird die Wahrnehmung<br />

von Qualifikationsdefiziten als zentrale Ursache von Erwerbsarbeitslosigkeit<br />

befördert (Stichwort: Employability als Arbeitsmarkt- und Beschäftigungsfähigkeit).<br />

Von Erwerbsarbeitslosigkeit betroffene Menschen, das sind insbesondere<br />

Personen, die über niedere formale Qualifikationen verfügen (Pflichtschulabschluss),<br />

müssen bzw. dürfen in Österreich an arbeitsmarktpolitisch organisierten<br />

Weiterbildungsmaßnahmen (an so genannten Schulungen) teilnehmen. Daher erhielt<br />

das Thema der Erwerbsarbeitslosigkeit vorliegend entsprechende Aufmerk-<br />

- 20 -


samkeit, vor allem die psychosozialen Folgen, die seit der Marienthal-Studie<br />

(Jahoda/Lazarsfeld/Zeisel 1975 [1933]) als bekannt vorausgesetzt werden dürfen,<br />

im arbeitsmarktpolitisch organisierten Weiterbildungsfeld jedoch nicht immer ausreichend<br />

Beachtung zu finden scheinen. Hier stellt sich die Frage, welche Bedingungen<br />

Menschen, die Bildungsbenachteiligung erfahren haben und vielfach weiterbildungsungewohnt<br />

sind, d.h., die über wenig bzw. wenig positive oder keine<br />

Erfahrung mit organisierter Bildung verfügen, in solchen Angeboten vorfinden.<br />

Bildung: Vorgänge, Ansätze und Zieldimensionen<br />

Ausgehend von der Beobachtung, dass im bildungspolitischen Feld verstärkt<br />

und überwiegend von Lernen die Rede ist, stellt sich die Frage nach dem Begriff<br />

der Bildung als Kernstück erwachsenenpädagogischen Handelns. Das Konzept<br />

des lebenslangen Lernens scheint den Begriff der Bildung zu verdrängen. Daher<br />

wurde der Frage nachgegangen, was Lernen und Bildung miteinander zu tun haben<br />

und wie diese beiden Begriffe mit dem Thema der Bildungsbenachteiligung<br />

in Zusammenhang stehen. Als Bindeglied zwischen Lernen und Bildung wird dabei<br />

das Prinzip des exemplarischen Lernens in Erinnerung gerufen. Die subjektorientierte<br />

Erwachsenenbildung bietet mit ihrem Bildungsanspruch, der über die<br />

Funktionalität hinausreichen soll und Subjektentwicklung im engeren Sinne als<br />

Zieldimension versteht, anschlussfähige bildungstheoretische Begründungen für<br />

erwachsenenpädagogisches Handeln in der Bildungsarbeit mit Erwachsenen, die<br />

Bildungsbenachteiligung erfahren haben. Die Themenzentrierte Interaktion wird<br />

als bildungs praktisches Modell einer sich als subjektorientiert verstehenden Erwachsenenbildung<br />

gefasst, weil es ihr immer auch um persönliche Entwicklung<br />

und Entfaltung geht. Eine Auseinandersetzung mit dem Begriff der Bildung muss<br />

sich auch der Frage nach möglichen Bildungsinhalten und Bildungszielen stellen.<br />

Hier geht es um Dimensionen abseits kanonischer Vorstellungen.<br />

Basisbildung als Teilbereich der Erwachsenenbildung<br />

Im Anschluss an diese bildungstheoretischen Ausführungen erfolgt die Analyse<br />

von Basisbildung als Teilbereich der Erwachsenenbildung. Hierbei geht es um<br />

sys tematische Annäherungen: Einordnung in die Systematik der Erwachsenenbildung<br />

und Klärung der verwendeten Begrifflichkeiten (Alphabetisierung, Grundbzw.<br />

Basisbildung). Menschen, die Bildungsbenachteiligung erfahren haben und<br />

Basisbildungsbedarfe/-bedürfnisse aufweisen, sind potenzielle Teilnehmende an<br />

Basisbildungsangeboten und werden als Zielgruppe gefasst und adressiert. Die<br />

Größenordnung dieser Zielgruppe ist ungeklärt und dem Ansinnen, Defizite messbar<br />

zu machen und zu messen, kann aus erwachsenenpädagogischer Perspektive<br />

wenig abgewonnen werden. Dass Basisbildungsangebote nachgefragt werden, war<br />

Ausgangspunkt der Studie. Abschließend wird der Frage nach möglichen Inhaltsund<br />

Zieldimensionen der Angebote und nach sich abzeichnenden Entwicklungen<br />

nachgegangen.<br />

- 21 -


Forschungsansatz und Forschungsprozess<br />

Ziel der Untersuchung ist das Erkunden, das Erfassen und Verstehen der subjektiven<br />

Handlungen und Deutungen der Akteurinnen und Akteure im Sinne eines gegenstandsverankerten<br />

Erhebungs-, Interpretations- und Theoriebildungsprozesses.<br />

Durch diese Verschränkung der Perspektiven sollen Lehr-, Lern- und Bildungsprozesse<br />

auf der Ebene der Mikrodidaktik rekonstruiert werden. Es geht um die Frage<br />

nach der Sichtbarkeit von Lehren, Lernen und Bildung und um die Frage nach den<br />

Bedingungen des Gelingens der Teilnahme. Konzipiert und durchgeführt wurde<br />

die Untersuchung mit dem Forschungsansatz der Grounded Theory; die Datenerhebung<br />

erfolgte vorwiegend über qualitative Interviews (episodisches, leitfadengestütztes<br />

und offenes Interview). Die generativen Fragen (siehe oben) machten<br />

eine Perspektivenverschränkung in Hinblick auf die Teilnehmenden und Kursleitenden<br />

mit Fokus auf die Gestaltung und Wirkung von Lehr-, Lern- und Bildungsprozessen<br />

(Mikrokosmos Lehr-Lern-Situation) notwendig. Insgesamt wurden 24<br />

Teilnehmende und neun Kursleitende sowie eine in einer Einrichtung tätige Sozialarbeiterin<br />

befragt. Die befragten Kursleitenden haben die Kurse der befragten Teilnehmenden<br />

geleitet – diese Überschneidung ist bewusst angestrebt worden. Nach einem<br />

Jahr wurde eine weitere Datenerhebung durchgeführt, um zu ermitteln, wie es<br />

den befragten Teilnehmenden während des vorangegangenen Jahres ergangen war.<br />

Zur weiteren Erkundung des Feldes wurde ein Vertreter des Arbeitsmarktservices<br />

(AMS) befragt.<br />

Teilnahme und <strong>Teilhabe</strong> an Erwachsenenbildung<br />

Die Darstellung der Interpretationsergebnisse basiert auf der im Auswertungsprozess<br />

vorgenommenen Strukturierung des Datenmaterials: Zugänge zum Basisbildungskurs;<br />

Lehrhandeln: Kursgeschehen aus der Perspektive der Kursleitenden; Lernprozesse:<br />

Kursgeschehen aus der Perspektive der Teilnehmenden; Effekte der Teilnahme<br />

und Bedingungen des Gelingens. Die Rekonstruktion der subjektiven Handlungen<br />

und Deutungen erfolgt kumulativ und soll insgesamt einen Beitrag zum Verständnis<br />

von Lehr-, Lern- und Bildungsprozessen in der Basisbildung lei s ten.<br />

Zugänge zum Basisbildungskurs<br />

Die Teilnahme an Weiterbildung ist eine Form gesellschaftlicher <strong>Teilhabe</strong>, daher ist<br />

von Interesse, wie den befragten Teilnehmenden der Zugang zum Basisbildungsangebot<br />

gelungen ist. In der Vielfalt der Zugänge werden unterschiedliche Zugangsmuster<br />

deutlich, beispielsweise nicht intendierte Anregungen, die als Schlüsselereignis<br />

wirksam werden, oder die Weitergabe der Informationen über das Angebot<br />

durch wohlwollende Personen in Schnittstellenfunktionen. In den Erzählungen<br />

über die Teilnahme am Basisbildungskurs werden bislang gemachte Erfahrungen<br />

mit Weiterbildung thematisiert; die Basisbildungskurs teilnahme reiht sich somit<br />

in die jeweilige Lerngeschichte ein. Durch die Analyse der Zugangsmuster und<br />

Weiterbildungserfahrungen vor der Teilnahme werden förderliche und hinderliche<br />

- 22 -


Einflüsse als Bedingungen im Vorfeld der Teilnahme im Bewusstwerdungsprozess<br />

(Bildungsbedarfe/-bedürfnisse) und im Entscheidungsprozess der Teilnehmenden<br />

sichtbar. So wird beispielsweise danach gefragt, ob und unter welchen Bedingungen<br />

das AMS als Türöffner für Personen mit Basisbildungsbedarfen/-bedürfnissen<br />

wirksam werden kann. Ein gelungener Zugang zum Basisbildungsangebot mündet<br />

in einem Erstgespräch, und der Übergang in die Weiterbildung beginnt mit der<br />

Anfangssituation im Kurs, in der Bildungswunsch und Bildungsrealität gleichsam<br />

aufeinander treffen. Hierbei ist von Interesse, wie die befragten Teilnehmenden<br />

diese Situation erlebt haben und wie die befragten Kursleitenden die Anfangssituation<br />

gestalten. Im Resümee werden Schlüsse in Hinblick auf die Teilnahme und<br />

<strong>Teilhabe</strong> von bildungsbenachteiligten Erwachsenen an Weiterbildung gezogen.<br />

Lehrhandeln: Kursgeschehen aus der Perspektive der Kursleitenden<br />

Die Rekonstruktion der subjektiven Handlungen und Deutungen der befragten<br />

Kursleitenden eröffnet eine Sichtweise auf den Mikrokosmos der Lehr-Lern-Situation.<br />

Diese Interpretationsergebnisse drehen sich um die Gestaltung des Lehrens,<br />

um das Lehrhandeln, in Hinblick auf die inhaltliche Ebene der Vermittlung<br />

und in Hinblick auf die Beziehungsebene. Von Interesse sind Handlungen, die auf<br />

die persönliche Stärkung der Teilnehmenden, die Entwicklung von Selbstbestimmung<br />

und die Erhöhung der <strong>Teilhabe</strong> abzielen. Die Analyse der Mikrodidaktik<br />

lässt ein Lehrhandeln erkennen, das auf Zuwendung basiert und dessen Ausgangspunkt<br />

das uneingeschränkte und offene Annehmen der Teilnehmenden ist. Hier<br />

wird der Kurs als gestaltbarer Aktionsraum – und zwar gestaltbar sowohl durch die<br />

Kursleitenden als auch die Teilnehmenden – evident, beispielsweise werden Kurse<br />

auch als Gesprächsräume genützt. Zuwendung als Muster im Lehrhandeln basiert<br />

auf dem aktiven Wahrnehmen der Teilnehmenden. Das Feststellen und Entkräften<br />

ihrer Glaubenssätze (ihrer verinnerlichten negativen Überzeugungen) zielt auf eine<br />

individuell abgestimmte Veränderung ab. Eine solche Veränderung, die zeitintensiv<br />

und tief gehend ist und daher kontinuierlicher Begleitung bedarf, führt gekoppelt<br />

an Zuwendung zu einer persönlichen Stärkung der Teilnehmenden. Die in den<br />

Kursen gelebte Kultur der Anerkennung befördert diese Stärkung. Das möglicherweise<br />

banal erscheinende Selbstverständnis, dass über das Ermöglichen und Anerkennen<br />

von Lernfortschritten eine Erhöhung der Selbstwirksamkeit erzielt werden<br />

kann, ist für Erwachsene, die Bildungsbenachteiligung erfahren haben, von<br />

immenser Wichtigkeit – nur so können Glaubenssätze nachhaltig entkräftet werden.<br />

Daher ist auch die Förderung der Lernprozesse durch Abstimmungs- und Aushandlungsprozesse<br />

von Bedeutung. Auf diese Weise kann ermöglicht werden, dass<br />

die Teilnehmenden innere Gewissheit über Lerninhalte gewinnen, und Verbindlichkeit<br />

(Lernsinn) sich einstellt. Dieses Lehrhandeln zielt außerdem auf die Erhöhung<br />

der Eigenständigkeit der Teilnehmenden im Lernprozess ab. Im Lehrhandeln<br />

der befragten Kursleitenden zeigen sich Unterschiede beim Setzen der Themen und<br />

beim Vorgeben der Inhalte. Die genauere Analyse belegt hier Abstimmungs- und<br />

- 23 -


Aushandlungsprozesse, die auf der Wahrnehmung der Teilnehmenden beruhen,<br />

teilweise aber auch aktive Setzungen und Vorgaben, die auf einem kanonischen<br />

Lehrverständnis zu basieren scheinen. Eine ausgeprägte Orientierung an den Teilnehmenden<br />

und vorwiegend individuell abgestimmte Lehr-Lern-Prozesse könnten<br />

bedeuten, der Gruppe keine Bedeutung beizumessen. Allerdings zeigen die Interpretationsergebnisse,<br />

dass die Gruppe als Ressource wahrgenommen und die<br />

Gruppenbildung daher gezielt gefördert wird. So sind Gespräche und Diskussionen<br />

als Bildungsräume und Bildungsmedium zu verstehen, wobei der Heterogenität<br />

der Teilnehmenden insbesondere in Hinblick auf ihr Lebensalter ein bildendes<br />

Moment innewohnt.<br />

Lernprozesse: Kursgeschehen aus der Perspektive der Teilnehmenden<br />

Die Rekonstruktion der subjektiven Handlungen und Deutungen der befragten Teilnehmenden<br />

eröffnet die Sichtweise auf den Mikrokosmos der Lehr-Lern-Situation;<br />

diese Interpretationsergebnisse drehen sich um die Gestaltung und Wahrnehmung<br />

der Lernprozesse aus der Perspektive der Teilnehmenden. Von Interesse ist dabei,<br />

wie die Teilnehmenden ihren Kurs und ihre Lernprozesse erleben; hiermit gerät die<br />

Frage nach der Wirksamkeit von Lehrhandlungen in den Blick.<br />

Die Interpretationsergebnisse machen den Kurs als Ort des Lernens sichtbar. Die<br />

Lernaktivitäten haben und brauchen einen Ort, ein Gefüge, das Sicherheit vermitteln<br />

und Anregung bieten kann, einen Aktionsraum, in dem Erproben stattfindet.<br />

In den Episoden der befragten Teilnehmenden lassen sich Bewusstwerdungs- und<br />

Bewältigungsprozesse feststellen, die eine nachhaltige Veränderung hinderlicher<br />

Glaubenssätze erkennen lassen. So wird beispielsweise deutlich, dass die Teilnehmenden<br />

die stärkenden Botschaften der Kursleitenden tatsächlich zur Kenntnis<br />

nehmen oder erfolgreich vollzogene Lernfortschritte bewusst als solche wahrnehmen<br />

und sich dadurch selbst anerkennen. In einigen Fällen zeigt sich, dass überhaupt<br />

erst eine Aneignungsperspektive entwickelt werden muss – damit ist eine<br />

Vorstellung von sich selbst als lernfähig gemeint. Die untersuchten Lernprozesse<br />

werden individuell gestaltet und vollziehen sich individuell. Aus diesem Grund ist<br />

es notwendig, möglichen Unterschieden in den Lernvoraussetzungen Beachtung<br />

zu schenken. Dabei geht es um Aspekte des Selbstverständnisses und des Selbstbildes,<br />

d.h. um lebensgeschichtliche Ressourcen (beispielsweise frühere Lernerfolge)<br />

und Belastungen bzw. nachwirkende Benachteiligungen. In den Episoden<br />

werden die Effekte der Abstimmungs- und Aushandlungsprozesse evident. Stärkende,<br />

weil erfolgreiche Lernschritte vollziehen sich über das gesteuerte Anknüpfen<br />

an bestehende Interessen und über das Anschließen an vorhandene Kenntnisse.<br />

Es wird deutlich, dass sich die befragten Teilnehmenden dadurch tatsächlich als<br />

lernende Subjekte mit individuellen Voraussetzungen wahrgenommen fühlen, wodurch<br />

sie individuell gestärkt werden. Noch deutlicher wird diese Form gelingender<br />

Lehr-Lern-Prozesse in den Episoden über an die Basisbildungsteilnahme gekoppelte<br />

Weiterbildungsprozesse. Lernanliegen werden im Basisbildungskurs<br />

- 24 -


vorbereitet bzw. parallel begleitet, wodurch drohende Überforderung vermieden<br />

werden kann. Insgesamt kann gezeigt werden, dass vertrauensvolle Beziehungen<br />

zwischen den Teilnehmenden und den Kursleitenden eine Ressource für Entwicklung<br />

darstellen. Gefühlsbetonte Bindungen scheinen wesentliche Voraussetzungen<br />

für gelingende Lehr-Lern-Prozesse zu sein. Darüber hinaus lässt sich die Bedeutung<br />

der lernenden Gemeinschaft rekonstruieren (Austausch, Helfen, Unterschiede<br />

anerkennen), allerdings lassen sich auch Grenzen feststellen, beispielsweise die<br />

Sinnhaftigkeit von Einzelbegleitung beim Lernschritt des Erwerbs von Buchstabenkenntnissen/Er<br />

stlesen. Vielfach haben die befragten Teilnehmenden solidarische<br />

Überlegungen geäußert, die als Verbundenheit mit Benachteiligten interpretiert<br />

worden sind. Diese Überlegungen gehen weit über persönliche Interessen und<br />

Dankbarkeit für das Angebot hinaus und werden vorliegend als Hinweis auf die<br />

(beginnende) Bewältigung von Ausschlusserfahrungen (Vereinzelung, Überforderung,<br />

Verunsicherung) interpretiert, die sich vermutlich auf die positiven Erfahrungen<br />

im Kurs gründet.<br />

Effekte der Teilnahme und Bedingungen des Gelingens<br />

Die Sichtweisen der befragten Teilnehmenden und die der befragten Kursleitenden<br />

werden verschränkt, um einer Klärung der Frage, welche Chancen sich durch die<br />

Teilnahme an Bildung im Erwachsenenalter für Menschen, die Bildungsbenachteiligung<br />

erfahren haben, eröffnen können, näher zu kommen. Dabei geht es in erster<br />

Linie um individuell feststellbare Kompensationsmöglichkeiten. Die Interpretationsergebnisse<br />

beruhen auf den Ergebnissen aus den vorhergehenden Abschnitten<br />

(Zugänge zum Basisbildungskurs, Lehrhandeln und Lernprozesse), den diesbezüglichen<br />

Episoden der befragten Teilnehmenden und den zu einem späteren Zeitpunkt<br />

(ein Jahr nach der Durchführung der Interviews) über die Kursleitenden eingeholten<br />

Informationen über die zuvor befragten Teilnehmenden. Die Effekte der<br />

Teilnahme mussten unter Berücksichtigung der Bedingungen des Gelingens analysiert<br />

werden.<br />

Es zeigt sich, dass sich die Kompensationsmöglichkeiten von Bildungsbenachteiligung<br />

vor allem auf die individuelle Ebene beziehen und als ein Akt ausgleichender<br />

Gerechtigkeit verstanden werden können. Zur Beschreibung dieser Kompensationsmöglichkeiten<br />

wurde das Konzept der vitalen <strong>Teilhabe</strong> aus den Daten heraus<br />

begründet. Das Konzept der vitalen <strong>Teilhabe</strong> bezieht sich auf die positive, gefühlsbetonte<br />

Reaktion von Teilnehmenden auf den Basisbildungskurs und ihren Gewinn<br />

auf der persönlichen Ebene. Das Konzept der vitalen <strong>Teilhabe</strong> kann einige<br />

Dimensionen der festgestellten Effekte erklären: Die Stabilisierung und Stärkung,<br />

die sich in der Entwicklung innerer Sicherheit zeigt, die geteilte Perspektive (vor<br />

dem Kurs und seit Kursbeginn), die eine Bewältigung von tatsächlichen und gefühlten<br />

Ausschlusserfahrungen und die Verarbeitung dieser Erfahrungen im Sinne<br />

einer erlebten Wiedergutmachung sichtbar werden lässt, sowie die positiven Lernund<br />

Bildungserfahrungen im Kurs, die es offenbar ermöglichen, Lernen und Bil-<br />

- 25 -


dung als Wert an sich wahrzunehmen. Solcherart wird die Bildungsteilnahme als<br />

<strong>Teilhabe</strong> erfahren. Exemplarisch werden Bedingungen sowie Lernfortschritte und<br />

Lernerfolge im Bereich des Zweitspracherwerbs analysiert. Danach werden Muster<br />

von Basisbildungsteilnahmen vorgestellt: Basisbildung als Sprungbrett, Basisbildung<br />

als Überbrückung von Erwerbsarbeitslosigkeit, Basisbildung als Orientierung<br />

in Übergängen und Basisbildung als sinnvolle Gestaltungsmöglichkeit von<br />

Lebenszeit. Die Untersuchung der Bedingungen des Gelingens der Teilnahme erforderte<br />

es, den Fokus auf Hürden und Barrieren zu richten. Solche individuell verhindernden<br />

Bedingungen schaffen Ablenkung, binden Kräfte und arbeiten der Erhöhung<br />

von Selbstbestimmung und der Erweiterung von <strong>Teilhabe</strong> entgegen. Eine<br />

verhindernde Bedingung ist beispielsweise eine weiterhin bestehende Unsicherheit<br />

bzw. ein nicht bearbeiteter Bildungsbedarf im Sinne einer fragilen Basis. Eine andere<br />

verhindernde Bedingung kann eine Gefährdung in einer Bewährungssituation<br />

sein. Eine solche Situation findet außerhalb des Basisbildungskurses statt und erfordert<br />

den Transfer erworbener Kenntnisse und Fähigkeiten. Eine individuell verhindernde<br />

Bedingung ist als Problematik der Verfestigung einer gefühlsbetonten<br />

Bindung an eine Kursleiterin beschrieben worden. Des Weiteren sind es finanzielle<br />

und zeitliche Grenzen, die aufgrund der Vereinbarkeitsproblematik (Kurs oder<br />

Erwerbsarbeit) als Stopp-Mechanismus wirksam werden. Eine verhindernde Bedingung<br />

als ungünstige Voraussetzung kann auch das jüngere Lebensalter sein; bei<br />

jüngeren Teilnehmenden scheinen andere Bedingungen zu wirken als bei erwachsenen<br />

Teilnehmenden.<br />

Von der Teilnahme zur vitalen <strong>Teilhabe</strong><br />

In den Schlussbetrachtungen werden zentrale Ergebnisse zu den Lehr-, Lern- und<br />

Bildungsprozessen in der Basisbildung rekapituliert, und es wird auf die gegenstandsbezogenen<br />

Ausführungen Bezug genommen; die Interpretationsergebnisse<br />

werden somit an erwachsenenpädagogische Forschungsergebnisse und Theorien<br />

rückgebunden. Offene Forschungsfragen und Implikationen für die Praxis werden<br />

dokumentiert, auf aktuelle Entwicklungen wird Bezug genommen.


2 Lernen über die Lebensspanne<br />

und Bildungsbenachteiligung


In den folgenden Abschnitten geht es um Aspekte des Lernens über die Lebensspanne<br />

im Zusammenhang mit Bildungsbenachteiligung. Es darf als bekannt vorausgesetzt<br />

werden, dass die Beteiligung an Bildung im Erwachsenenalter mit der<br />

jeweiligen Lern- und Bildungsbiografie, insbesondere mit der schulischen und berufsbezogenen<br />

Erstausbildung, in Zusammenhang steht und auch von der beruflichen<br />

Positionierung abhängig ist (vgl. Lenz 2005: 50). Eine Auswertung der PISA<br />

2000-Erhebung von Johann Bacher (2005) zeigt den starken Einfluss der klassischen<br />

Ungleichheitsdimensionen »Bildung der Eltern« und »berufliche Stellung<br />

der Eltern« auf die Wahrscheinlichkeit, dass das Kind eine weiterführende Schule<br />

besucht (vgl. Bacher 2005: 41 und 52); es existiert ein »leistungsunabhängiger Filter«<br />

(ebd.: 57). 8 Die Weichen werden demnach früh gestellt. In der Weiterbildung<br />

gilt der »Matthäus-Effekt« (siehe unten) unverändert:<br />

»Je höher die formale Ausbildung und [daher] die berufliche Position, um so größer ist die<br />

Weiterbildungsbeteiligung; je konkreter die Berufsaufstiegsmöglichkeiten, um so eher wird<br />

Weiterbildung frequentiert. An der alten Chancenungleichheit hat sich durch Weiterbildung<br />

bisher nur wenig verändert: Noch immer bilden sie diejenigen weiter, die sowieso schon ‚gebildet‘<br />

sind.« (Gruber 2008a: 34)<br />

Es erscheint einsichtig, dass Personen, die Lern- und Bildungsprozesse als sinnvoll,<br />

nutzbringend und vermutlich auch als befriedigend erlebt haben, sich mit größerer<br />

Wahrscheinlichkeit weiterhin neues Wissen oder neue Fähigkeiten aneignen<br />

können und das auch möchten, als Personen, die in ihren Lern- und Bildungsprozessen<br />

benachteiligt wurden und Ausschlüsse erfahren haben. Dieser Befund<br />

verweist auf jenen Forschungsstrang der Erwachsenenbildung, der sich damit beschäftigt,<br />

»Interessen, Motive und Sozialstruktur von Teilnehmenden, potentiell<br />

Teilnehmenden und Nichtteilnehmenden aufzudecken« (Faulstich/Zeuner 1999:<br />

99). Dazu zählen die Adressatenforschung (eingeschränkt die Milieuforschung),<br />

der Zielgruppenansatz und die Teilnehmerforschung. Die Adressatenforschung fokussiert<br />

Fragen der gesellschaftlichen Bedingungen für die Teilnahme oder Nicht-<br />

Teilnahme an Bildungsangeboten (vgl. ebd.). Sie steht in einer sozialwissenschaftlichen<br />

Tradition. Die Milieuforschung, beginnend in den späten 1980er Jahren,<br />

wird ebenfalls der Adressatenforschung zugerechnet (vgl. ebd.: 105). Mittlerweile<br />

wird die Milieuforschung, die stark von strategischen Überlegungen zum Marketing<br />

von Erwachsenenbildungsangeboten vereinnahmt wird, jedoch hinterfragt und<br />

als deterministisch kritisiert (vgl. Zeuner/Faulstich 2009: 122).<br />

In den 1920er Jahren wurde als ein wesentlicher Bereich der Erwachsenenbildungsforschung<br />

damit begonnen zu untersuchen, wer Angebote der Erwachsenenbildung<br />

wahrnimmt, und wurden Faktoren, die diese Beteiligung bestimmend beeinflussen<br />

(soziale Herkunft, Schulbildung, Beruf, Geschlecht), identifiziert. Ihre Fortsetzung<br />

fanden diese Unternehmungen ab den 1950er Jahren mit den so genannten<br />

»Leitstudien der Erwachsenenbildung« (vgl. Faulstich/Zeuner 1999: 103f.). Die<br />

- 29 -


Erkenntnisse dieser Leitstudien (Hildesheimer, Göttinger, Oldenburger Studie) sowie<br />

deren Fortführungen, insbesondere das »deutsche Berichtssystem Weiterbildung«<br />

(es existiert seit 1979), begründeten Mitte der 1970er Jahre den Zielgruppenansatz<br />

als gezielte Ansprache von bestimmten gesellschaftlichen Gruppen, die<br />

bereits damals als benachteiligt gefasst wurden (vgl. ebd.: 104). Zielgruppen sind<br />

spezifische Adressat/inn/en, die ähnliche sozialstrukturelle Merkmale aufweisen<br />

und somit als Gruppe wahrgenommen werden (vgl. ebd.: 99).<br />

In Einrichtungen, die sich der Kompensationsfunktion 9 der Erwachsenenbildung<br />

widmen, ist die Frage der adäquaten Ansprache von Zielgruppen, also die Frage,<br />

wie die Menschen zu erreichen sind, für die die Bildungsangebote konzipiert werden,<br />

der Ausgangspunkt des erwachsenenpädagogischen Bemühens. Das Zielgruppenkonzept<br />

muss allerdings auch kritisch betrachtet werden (siehe dazu auch<br />

Abschnitt 3.2.2). Christiane Schiersmann (1999) verweist auf den historischen<br />

Kontext der Entstehung des Zielgruppenansatzes Mitte der 1970er Jahre: »Die wesentlich<br />

auch vom sozialen und politischen Engagement der Mitarbeiter/-innen der<br />

Erwachsenenbildungseinrichtungen getragene Zielgruppenorientierung zielte darauf<br />

ab, bis dahin von Erwachsenenbildungsinstitutionen faktisch ausgeschlossene<br />

Gruppen für organisierte Lernprozesse zu motivieren und damit zur Demokratisierung<br />

des Bildungswesens beizutragen.« (Schiersmann 1999: 558) Die mit dem<br />

Zielgruppenansatz verbundene Negativzuschreibung sowie die »Gefahr der Pädagogisierung<br />

gesellschaftlicher Problemlagen« (ebd.: 559) müssen jedoch kritisch<br />

reflektiert und in der Bildungspolitik und Bildungspraxis thematisiert und bearbeitet<br />

werden.<br />

Die Teilnehmerforschung – Ende der 1970er Jahre wurden Teilnehmende als »Forschungsgegenstand«<br />

entdeckt (vgl. Faulstich/Zeuner 1999: 107) – befasst sich mit<br />

den individuellen Lernvoraussetzungen und Lernmotiven (vgl. ebd.: 99). Ähnlich<br />

wie das Zielgruppenkonzept ist auch die Teilnehmerforschung für die Praxis der<br />

Erwachsenenbildung von Bedeutung. Sie liefert einen »Orientierungsrahmen« für<br />

Einrichtungen in Hinblick auf die Planung und Durchführung von Angeboten (vgl.<br />

ebd.: 108). Damit in Zusammenhang steht das erwachsenenpädagogische Prinzip<br />

der Orientierung an den Teilnehmenden.<br />

Der eingangs erwähnte Matthäus-Effekt in der Weiterbildung geht auf den in der<br />

Zeitschrift Science erschienenen Beitrag »The Matthew Effect in Science« (1968)<br />

von Robert K. Merton zurück. In diesem Beitrag wird analysiert, wie psychosoziale<br />

Muster der Wahrnehmung und Anerkennung von wissenschaftlichen Leistungen<br />

funktionieren. Wer bereits erfolgreich ist – »scientists of considerable repute«<br />

(Merton 1968: 58) –, wird stärker wahrgenommen, erhält mehr Aufmerksamkeit<br />

und Anerkennung, nicht zuletzt auch mehr Forschungsmittel und hat dadurch wiederum<br />

einen Vorteil in der Weiterarbeit. Die Bibelstelle, auf die sich Robert K.<br />

Merton hier bezieht (vgl. ebd.) wurde dem Gleichnis »Von den anvertrauten Zentnern«<br />

10 entnommen, in dem es am Ende heißt: »Denn wer da hat, dem wird gegeben<br />

werden, und er wird die Fülle haben; wer aber nicht hat, dem wird auch, was<br />

- 30 -


er hat, genommen werden.« (Matthäus 25, Vers 29) Für die vorliegende Studie ist<br />

von Bedeutung, dass der Knecht das wenige ihm anvertraute Geld (einen Zentner<br />

Silber) nicht vermehrt, sondern bis zur Rückkehr seines Herrn sicher verwahrt,<br />

und zwar aus Furcht: »Herr, ich wusste, dass du ein harter Mann bist: Du erntest,<br />

wo du nicht gesät hast, und sammelst ein, wo du nicht ausgestreut hast;« (Matthäus<br />

25, Vers 24) Zu ernten, wo nicht gesät wurde, und einzusammeln, wo nicht ausgestreut<br />

wurde, legt den Gedanken an ungleiche Ausgangsbedingungen nahe. Benachteiligungen<br />

zu Beginn der Bildungskette sind nicht wieder gutzumachen. Wer<br />

vergleichsweise privilegiert ist, wird mit großer Wahrscheinlichkeit weiterhin vom<br />

Bildungssystem profitieren: »Weiterbildung privilegiert die Privilegierten« (Ehmann<br />

2006: 250). Bildungsbenachteiligte Menschen verbindet deshalb auch das<br />

Faktum des Vorhandenseins von ungünstigen Ausgangsbedingungen im Sinne von<br />

ungünstigen Voraussetzungen für Bildungsbeteiligung über die Lebensspanne.<br />

Bezogen auf die Weiterbildung muss Bildung als kumulativer Prozess gesehen<br />

werden, das besagt die »Bildungskumulationsthese« (Gnahs 2001: 303). Peter<br />

Faulstich (1981) hat dafür den Begriff der »doppelten Selektivität« geprägt. Damit<br />

ist gemeint, dass Weiterbildung nicht alle Erwachsenen und insbesondere nur ein<br />

bestimmtes soziales Spektrum erreicht (vgl. Faulstich 1981 zit. n. Faulstich 2003:<br />

39f.). Diese »Auslese« wird – auf höherem Niveau, da die Beteiligung insgesamt<br />

gewachsen ist – fortgeführt (vgl. Faulstich 2003: 40).<br />

Grundsätzlich sind Angebote der Erwachsenenbildung an die Gesamtheit aller Erwachsenen<br />

adressiert. Im Prinzip können demnach alle Erwachsenen als potenzielle<br />

Teilnehmende betrachtet werden. Der Zielgruppenansatz, der sich aus den Erkenntnissen<br />

der Adressatenforschung und der Teilnehmerforschung speist, richtet<br />

sein Augenmerk auf Gruppen, die erreicht werden sollen. Welche Gruppen sind<br />

das nun Christine Zeuner und Peter Faulstich konstatieren in ihrem 2009 vorgenommenen<br />

Forschungsüberblick, dass die heterogene Zielgruppe der »Bildungsbenachteiligten/Bildungsfernen«<br />

in den letzten Jahren verstärkt in den Blick der<br />

theoretischen Auseinandersetzung gekommen ist (vgl. Zeuner/Faulstich 2009:<br />

143). Tatsächlich ist diese Zielgruppe in einem Ende der 1990er Jahre erstellten<br />

Überblick (vgl. Faulstich/Zeuner 1999: 112-137) nicht angeführt. Diese Aufmerksamkeitsverschiebung<br />

wird auf die politische Diskussion um das lebenslange Lernen<br />

sowie auf die damit einhergehende Erwartung permanenter Weiterbildung bei<br />

gleichzeitiger Intensivierung der Ökonomisierung der Weiterbildung zurückgeführt<br />

(vgl. Zeuner/Faulstich 2009: 143).<br />

In diesem Zusammenhang soll die Hypothese formuliert werden, dass mit dem<br />

Beitritt zur Europäischen Union 1995 Österreich in diese politische Diskussion relativ<br />

unvermittelt einsteigen musste. Vermutlich wäre diese Diskussion in Österreich<br />

ohne EU-Beitritt nicht in diesem Ausmaß mit dieser speziellen Fokussierung geführt<br />

worden; außerdem wurden durch den Beitritt EU-Gelder lukrierbar und die Intensivierung<br />

der Alphabetisierung/Basisbildung wurde möglich. Selbstverständlich muss<br />

stets bedacht werden, dass das europäische Konzept des lebenslangen Lernens dem<br />

- 31 -


ökonomischen Paradigma folgt. Um dieses Spannungsfeld geht es in der folgenden<br />

Dokumentenanalyse.<br />

2.1 Bestandsaufnahme:<br />

lebenslanges Lernen als bildungspolitische Strategie<br />

Das Konzept des lebenslangen Lernens bezieht sich auf die gesamte Lebensspanne.<br />

Lebenslanges Lernen umschließt die gesamte Lebenszeit inklusive der Kindheit<br />

und Jugend. Diese frühen Lebensphasen bilden den Grundstock, deshalb sollen vor<br />

allem in diesen Lebensphasen die Lernfähigkeit und das Lerninteresse vermittelt<br />

und gefördert werden (vgl. Nolda 2008: 12). Bildungsaktivitäten im Erwachsenenalter<br />

erhalten durch das Konzept des lebenslangen Lernens mehr Aufmerksamkeit.<br />

Die vertikale Dimension des Lernens (lifelong) wird um eine horizontale (lifewide)<br />

ergänzt. Diese horizontale Dimension relativiert die Bedeutung der institutionell gebundenen<br />

Erstausbildung und betont die Bedeutung des Lernens über die Lebenszeit,<br />

das sich sowohl in institutionellen als auch in nicht-institutionellen Kontexten<br />

vollziehen kann (vgl. Boshier 2005 zit. n. Nolda 2008: 13f.). Es wird »nicht nur<br />

ununterbrochen (‚lebensbegleitend‘), sondern auch überall (‚lebensweit‘) gelernt«<br />

(Wiesner/Wolter 2005: 21). In diesem Zusammenhang stellt sich die Frage, was die<br />

Forderung nach lebenslangen und lebensweiten Lernprozessen für Menschen, die<br />

Bildungsbenachteiligung erfahren haben, bedeuten mag.<br />

Die nationale Bildungspolitik wird seit dem Beitritt Österreichs zur Europäischen<br />

Union 1995 von der europäischen Bildungs- und Beschäftigungspolitik (mit-)bestimmt.<br />

Seit Anfang der 1990er Jahre wird das Konzept des lebenslangen Lernens<br />

als europäische Strategie forciert (vgl. Hof 2009: 41). 11 In Dokumenten der<br />

Europäischen Union finden sich Zielsetzungen in Form von Absichtserklärungen,<br />

die auf nationaler Ebene aufgegriffen und quasi mit Leben gefüllt werden sollten.<br />

Im folgenden Abschnitt werden ausgewählte europäische und relevante nationale<br />

bildungsprogrammatische Dokumente analysiert. Erhalten bildungsbenachteiligte<br />

Personen rhetorische Aufmerksamkeit in Hinblick auf erfahrene Benachteiligung<br />

Werden also Ausschlüsse und Barrieren in den Blick genommen Werden Fragen<br />

der Chancengleichheit oder der sozialen Gerechtigkeit thematisiert Werden entsprechende<br />

Maßnahmen und Strategien vorgeschlagen Welche Argumentationslinien<br />

und Zieldimensionen lassen sich insgesamt feststellen<br />

2.1.1 Dokumentenanalyse<br />

Weißbuch zur allgemeinen und beruflichen Bildung (1996)<br />

Im Jahr 1996 wurde von der Europäischen Kommission ein Weißbuch zur allgemeinen<br />

und beruflichen Bildung mit dem Titel »Lehren und Lernen. Auf dem Weg<br />

- 32 -


zur kognitiven Gesellschaft« (Europäische Kommission 1996) veröffentlicht. Die so<br />

genannte »kognitive Gesellschaft« (heute: Wissensgesellschaft oder auch lernende<br />

Gesellschaft) resultiere aus »drei großen Umwälzungen«: der Entstehung einer Informationsgesellschaft<br />

durch die Entwicklung der neuen Informations- und Kommunikationstechnologien,<br />

der sich verstärkenden Globalisierung der Wirtschaft sowie<br />

der Ausformung einer wissenschaftlich-technologischen Zivilisation (vgl. ebd.:<br />

22-26). Angesichts dieser Umwälzungen und insbesondere angesichts der Problematik<br />

der steigenden Arbeitslosigkeit werden allgemeine und berufliche Bildung –<br />

im Sinne einer »Eignung zur Beschäftigung und zur Erwerbstätigkeit« (ebd.: 21)<br />

– für die Bewältigung dieser Herausforderungen propagiert. Denn es bestehe »die<br />

Gefahr einer Spaltung der europäischen Gesellschaft […] in Wissende und Unwissende.<br />

Die Herausforderung für die kognitive Gesellschaft besteht darin, den Abstand<br />

zwischen diesen Gruppen zu verringern und gleichzeitig die Entwicklung und<br />

Förderung der gesamten Humanressourcen zu ermöglichen« (ebd.: 26f.). Gleichsam<br />

als Versprechen wird formuliert, dass »in der modernen europäischen Gesellschaft<br />

die Notwendigkeit der sozialen Eingliederung, der Herausbildung der Eignung zur<br />

Erwerbstätigkeit sowie der Entfaltung der Persönlichkeit keine unvereinbaren Ziele<br />

sind, die im Widerspruch zueinander stehen, sondern im Gegenteil eng miteinander<br />

verknüpft werden müssen« (ebd.: 19; Hervorh. v. MK). An dieser Stelle soll jedoch<br />

nicht unerwähnt bleiben, dass dieses Weißbuch zur allgemeinen und beruflichen Bildung<br />

bezeichnenderweise auf dem zuvor ausgearbeiteten Weißbuch mit dem Titel<br />

»Wachstum, Wettbewerbsfähigkeit und Beschäftigung« (Europäische Kommission<br />

1993) aufbaut. Es entsteht somit der Eindruck, dass soziale Ziele stets den ökonomischen<br />

Zielen nachgeordnet, wenn nicht sogar diesen untergeordnet werden. Dieser<br />

erste Eindruck bestätigt sich weitgehend bei der weiteren Analyse, gleichwohl muss<br />

festgehalten werden, dass in allen analysierten Dokumenten stets auch sozial- und<br />

gesellschaftspolitische Herausforderungen bzw. Ziele und an einigen Stellen sogar<br />

Werte angesprochen werden. Allerdings scheint die Argumentation zumeist auf dem<br />

Primat der Ökonomie zu beruhen und von diesem auszugehen.<br />

Ein erster Hinweis auf möglicherweise bestehende Ausschlussmechanismen ist<br />

folgende im Weißbuch von 1996 formulierte Forderung: »Der Zugang zur Bildung<br />

muss lebenslang garantiert sein.« (Europäische Kommission 1996: 37) In<br />

puncto Chancengleichheit und Bekämpfung von Benachteiligung werden einige<br />

Gruppen genannt, die »am Wegesrand zurückgeblieben« sind: »Jugendliche ohne<br />

Abschluß, ältere Arbeitnehmer, Langzeitarbeitslose und Berufsrückkehrerinnen«<br />

(ebd.: 67). Die beiden vorgebrachten Vorschläge zur Bekämpfung der Ausgrenzung:<br />

die »Schulen der zweiten Chance« und der »freiwillige Dienst in Europa«<br />

beziehen sich auf ausgrenzungsgefährdete bzw. bereits ausgeschlossene Jugendliche<br />

(vgl. ebd.: 67-71). Für die anderen von Ausgrenzung bedrohten Gruppen werden<br />

keine spezifischen Maßnahmen vorgeschlagen. In Bezug auf die »Förderung<br />

der Investitionen in die Humanressourcen als Anlagewerte« (ebd.: 77) wird von jeder/jedem<br />

Einzelnen gefordert, »in […] berufliche Bildung zu investieren« (ebd.).<br />

- 33 -


Europäisches Jahr des lebensbegleitenden Lernens (1996)<br />

Das Jahr 1996 wurde von der Europäischen Union zum »Europäischen Jahr des lebensbegleitenden<br />

Lernens« zur Förderung der lebenslangen allgemeinen und beruflichen<br />

Bildung erklärt, um die im Weißbuch formulierten Ziele – die Förderung<br />

der Aneignung neuer Kenntnisse, die Annäherung von Schule und Unternehmen,<br />

die Bekämpfung von Ausgrenzung, die Beherrschung von drei Gemeinschaftssprachen<br />

sowie die Gleichbehandlung von materiellen und berufsbildungsspezifischen<br />

Investitionen (vgl. Europäische Kommission 1996: 9-11) – tatsächlich umzusetzen.<br />

Explizit Erwähnung findet die Frage des Zugangs zur Weiterbildung:<br />

»Zu berücksichtigen ist, daß einige Angebote im Bereich der allgemeinen und der beruflichen<br />

Bildung, die z.B. von Volkshochschulen, Einrichtungen der Erwachsenenbildung und<br />

Open Universities kommen, zunehmend an Bedeutung gewinnen. Hierbei ist dafür zu sorgen,<br />

daß diese notwendigen Angebote von allen Bürgern in Anspruch genommen werden<br />

können.« (Amtsblatt L 256/45-48 vom 26. Oktober 1995)<br />

Als Schwerpunkte des Europäischen Jahres werden u.a. genannt:<br />

»1. Bedeutung einer hochwertigen Allgemeinbildung, die allen ohne Diskriminierung<br />

offen steht, einschließlich der Fähigkeit zu selbständigem Lernen, als Vorbereitung auf<br />

das lebensbegleitende Lernen.<br />

2. Förderung einer zu einer Qualifikation führenden Berufsausbildung für alle Jugendlichen,<br />

die eine Voraussetzung für einen harmonischen Übergang in das Berufsleben ist<br />

und die Grundlage für die spätere persönliche Entwicklung, die Wiederanpassung an<br />

den Arbeitsmarkt und die Chancengleichheit für Männer und Frauen darstellt.<br />

3. Förderung der allgemeinen und beruflichen Weiterbildung als Fortsetzung der schulischen<br />

Bildung und der beruflichen Erstausbildung unter Berücksichtigung der neuen Anforderungen<br />

der Arbeitswelt und der Gesellschaft bei gleichzeitiger Gewährleistung der<br />

Qualität und Transparenz dieser allgemeinen und beruflichen Bildung.<br />

4. Motivierung der Bürger für die Teilnahme an Maßnahmen des lebensbegleitenden Lernens<br />

und Entwicklung dieser Maßnahme zugunsten von Personengruppen […] die bisher<br />

kaum oder überhaupt nicht in den Genuß solcher Maßnahmen gekommen sind […].<br />

[…]<br />

7. Sensibilisierung von Eltern für die Bedeutung der allgemeinen und beruflichen Bildung<br />

von Kindern und Jugendlichen im Hinblick auf lebensbegleitendes Lernen und für ihre<br />

diesbezügliche Rolle.« (ebd.: Artikel 2; Hervorh. v. MK)<br />

In Artikel 2 ist in Punkt 1 bis 3 sowie in Punkt 7 meines Erachtens der Gedanke<br />

der Prävention erkennbar und in Punkt 4 sind Anklänge an den Gedanken der<br />

Chancengleichheit und an den der Kompensation von Benachteiligungen enthalten.<br />

- 34 -


Europäischer Rat – Lissabon (2000) und Stockholm (2001)<br />

Im Jahr 2000 wurde in Lissabon vom Europäischen Rat 12 (Europäischer Rat 2000)<br />

bei einer Sondertagung zur Festlegung eines neuen strategischen Ziels (umzusetzen<br />

bis 2010) beschlossen, »die Union zum wettbewerbsfähigsten und dynamischsten<br />

wissensbasierten Wirtschaftsraum in der Welt zu machen – einem Wirtschaftsraum,<br />

der fähig ist, ein dauerhaftes Wirtschaftswachstum mit mehr und<br />

besseren Arbeitsplätzen und einem größeren sozialen Zusammenhalt zu erzielen«<br />

(ebd.: Abs. 5). Argumentiert wird mit ökonomischen Herausforderungen, die es<br />

zu bewältigen gilt, allerdings unter Beachtung der europäischen »Wertvorstellungen«,<br />

dem »Gesellschaftsmodell« (ebd.: Abs. 1) entsprechend und mit dem Ziel<br />

der »Modernisierung der Sozialschutz- und Bildungssysteme« (ebd.: Abs. 2). Als<br />

Schwächen werden die hohen Arbeitslosenzahlen sowie insbesondere die strukturelle<br />

Langzeitarbeitslosigkeit und eine Zunahme der Qualifikationsdefizite angeführt<br />

(vgl. ebd.: Abs. 4). So wird die Halbierung der Zahl der 18- bis 24-Jährigen,<br />

die nur über einen Abschluss der Sekundarstufe I verfügen und keine weitere allgemeine<br />

oder berufliche Ausbildung absolvieren, bis 2010 vorgegeben (vgl. ebd.:<br />

Abs. 26). Die Herausforderung der Entwicklung einer Informationsgesellschaft –<br />

als eine Voraussetzung für den Übergang zu einer wettbewerbsfähigen, dynamischen<br />

und wissensbasierten Wirtschaft – wird besonders hervorgehoben:<br />

»Jedem Bürger müssen die Fähigkeiten vermittelt werden, die für das Leben und Arbeiten<br />

in dieser neuen Informationsgesellschaft erforderlich sind. Mit unterschiedlichen Mitteln<br />

und Wegen des Zugangs muß dafür gesorgt werden, daß niemand von Informationen ausgeschlossen<br />

wird. Die Maßnahmen zur Bekämpfung des Analphabetentums 13 müssen verstärkt<br />

werden.« (ebd.: Abs. 9)<br />

Neben den wirtschaftlichen Zielen werden auch »Investitionen in die Menschen<br />

und Aufbau eines aktiven Wohlfahrtsstaates« (ebd.: Abs. 24) als Ziele formuliert.<br />

Auf Weitsicht lässt die bekundete Absicht schließen, »dass die Herausbildung dieser<br />

neuen Wirtschaftsform die schon bestehenden sozialen Probleme Arbeitslosigkeit,<br />

soziale Ausgrenzung und Armut nicht noch verschärft« (ebd.). Neue Grundfertigkeiten<br />

sollen durch lebenslanges Lernen vermittelt werden: »IT-Fertigkeiten 14 , Fremdsprachen,<br />

technologische Kultur, Unternehmergeist und soziale Fähigkeiten« (ebd.:<br />

Abs. 26). Eine Definition, was genau unter den jeweiligen Schlagworten zu verstehen<br />

ist, bleibt die Erklärung von Lissabon jedoch schuldig. Des Weiteren wird hinsichtlich<br />

der Beschäftigungspolitik das Ziel formuliert, dass Arbeitslose die Möglichkeit<br />

erhalten sollen, »Qualifikationsdefizite« (ebd.: Abs. 29) abzubauen (als wäre Arbeitslosigkeit<br />

rein auf individuelle Qualifikationsdefizite zurückzuführen). Außerdem soll<br />

die Priorität für »ein lebenslanges Lernen als Grundbestandteil des europäischen Gesellschaftsmodells«<br />

gefördert werden, indem die »Komplementarität zwischen lebenslangem<br />

Lernen und Anpassungsfähigkeit durch flexible Gestaltung der Arbeitszeiten<br />

und Wechsel zwischen Ausbildung und Beschäftigung genutzt wird« (ebd.).<br />

- 35 -


Die oben festgestellte Weitsicht hinsichtlich der bestehenden Gefahr einer Verschärfung<br />

der sozialen Problematiken Arbeitslosigkeit, soziale Ausgrenzung und<br />

Armut wird allerdings konterkariert, wenn folgende Prognose formuliert wird:<br />

»Die neue Wissensgesellschaft bietet ein enormes Potential für die Reduzierung<br />

der sozialen Ausgrenzung, indem sie die wirtschaftlichen Voraussetzungen für größeren<br />

Wohlstand durch mehr Wachstum und Beschäftigung schafft und neue Möglichkeiten<br />

der <strong>Teilhabe</strong> an der Gesellschaft eröffnet.« (ebd.: Abs. 32) Zumindest<br />

wird auf die »Gefahr« hingewiesen, »daß der Graben zwischen denen, die Zugang<br />

zum neuen Wissen haben, und denen, die davon ausgeschlossen sind, immer breiter<br />

wird« (ebd.). Meines Erachtens handelt es sich dabei nicht bloß um eine Gefahr,<br />

sondern um einen bereits verfestigten Grabenverlauf, dessen Breite variiert, je<br />

nachdem welche Maßstäbe an das erforderliche bzw. vorausgesetzte Wissen gelegt<br />

werden. Um die Gefahr abzuwenden, »müssen Anstrengungen unternommen werden,<br />

um Fertigkeiten zu verbessern, einen breiteren Zugang zum Wissen und zu Lebenschancen<br />

zu fördern und die Arbeitslosigkeit zu bekämpfen« (ebd.). Und: »Der<br />

beste Schutz gegen soziale Ausgrenzung ist ein Arbeitsplatz.« (ebd.) Das ist angesichts<br />

der Entwicklungen der Erwerbsarbeitslosigkeit ein denkwürdiger Satz. Der<br />

Europäische Rat hat im darauf folgenden Jahr in Stockholm dann auch als Priorität<br />

formuliert, mehr und bessere Arbeitsplätze zu schaffen. Es wurde festgehalten,<br />

dass sich die Europäische Union und die Mitgliedstaaten zum Ziel der Vollbeschäftigung<br />

bekennen (vgl. Europäischer Rat 2001: Abs. 8). Hinsichtlich der erforderlichen<br />

Bildungspolitik wird formuliert: »Eine wissensbasierte Wirtschaft erfordert<br />

eine solide allgemeine Bildung zur Unterstützung der Arbeitskräftemobilität und<br />

des lebenslangen Lernens.« (ebd.: Abs. 10) Erneut wird bekräftigt, dass »Erwerbstätigkeit<br />

[…] der beste Schutz vor Armut und sozialer Ausgrenzung« (ebd.: Abs.<br />

28) sei. Die Argumentationslinie der Notwendigkeit des Abbaus von Qualifikationsdefiziten<br />

(siehe oben) entspricht dieser Logik.<br />

Memorandum über Lebenslanges Lernen (2000)<br />

Der Ausgangspunkt der europäischen Konzeption des lebenslangen Lernens scheint<br />

in der Beschäftigungsstrategie zu liegen: Im »Memorandum über Lebenslanges<br />

Lernen« (Europäische Kommission 2000) wird nämlich »lebenslanges Lernen im<br />

Rahmen der Europäischen Beschäftigungsstrategie definiert als jede zielgerichtete<br />

Lerntätigkeit, die einer kontinuierlichen Verbesserung von Kenntnissen, Fähigkeiten<br />

und Kompetenzen dient« (ebd.: 3; Hervorh. v. MK). Ergänzend wird festgehalten,<br />

dass sich diese Beschäftigungsstrategie auf vier Säulen stützt: »Beschäftigungsfähigkeit,<br />

Unternehmergeist, Anpassungsfähigkeit und Chancengleichheit«<br />

(ebd.). Zwei Ziele des lebenslangen Lernens werden im Memorandum offenbar<br />

gleichbedeutend nebeneinander gestellt: die Förderung der »aktiven Staatsbürgerschaft«<br />

– verbunden mit der Frage nach Möglichkeiten der <strong>Teilhabe</strong> – und die Förderung<br />

der Beschäftigungsfähigkeit, nämlich »eine Beschäftigung zu finden und<br />

in Beschäftigung zu bleiben« (vgl. ebd.: 6). Die Investitionen in Humanressourcen<br />

- 36 -


– »Europas wichtigstes Kapital – das Humankapital« – sollen erhöht werden (vgl.<br />

ebd.: 14). Als ein Ziel wird die »Gewährleistung eines umfassenden und ständigen<br />

Zugangs zum Lernen, damit Qualifikationen erworben und aktualisiert werden<br />

können, die für eine nachhaltige <strong>Teilhabe</strong> an der Wissensgesellschaft erforderlich<br />

sind« (ebd.: 4; Hervorh. i. Orig.), genannt. Ein weiteres Ziel ist der Aufbau einer<br />

integrativen Gesellschaft, »die allen Menschen gleiche Zugangschancen zu hochwertigem<br />

lebenslangem [sic] Lernen bietet und in der sich Bildungs- und Berufsbildungsangebote<br />

in erster Linie an den Bedürfnissen und Wünschen der Einzelnen<br />

ausrichten« (ebd.: 5; Hervorh. i. Orig.).<br />

Das lebenslange Lernen wird im Memorandum als Kontinuum definiert, das mit<br />

der Geburt beginnt und mit dem Tod endet (vgl. ebd.: 9). Die Grundsteinlegung des<br />

lebenslangen Lernens sollte demgemäß in der Kindheit erfolgen – hier wird meines<br />

Erachtens wiederum der Gedanke der Prävention ausgesprochen:<br />

»Eine qualitativ hochwertige, bereits in frühester Kindheit ansetzende Grundbildung für alle<br />

ist ein unverzichtbares Fundament. Diese Grundbildung und die anschließende berufliche<br />

Erstausbildung sollten allen jungen Menschen die neuen Basisqualifikationen vermitteln, die<br />

in einer wissensbasierten Wirtschaft verlangt werden. Auch sollte sichergestellt sein, dass die<br />

jungen Menschen ‚zu lernen gelernt‘ haben und dass sie eine positive Einstellung gegenüber<br />

dem Lernen haben. […] Die individuelle Lernmotivation und eine möglichst große Vielfalt an<br />

Lerngelegenheiten sind letztlich der Schlüssel für eine erfolgreiche Implementierung des lebenslangen<br />

Lernens.« (ebd.; Hervorh. i. Orig.)<br />

Beinahe revolutionär lesen sich die Ausführungen in Hinblick auf bildungsbenachteiligte<br />

Personen – sollen doch ihre individuellen Bedürfnisse und Wünsche Berücksichtigung<br />

finden:<br />

»Die individuelle Lernmotivation und eine möglichst große Vielfalt an Lerngelegenheiten<br />

sind letztlich der Schlüssel für eine erfolgreiche Implementierung des lebenslangen Lernens.<br />

Es kommt entscheidend darauf an, sowohl die Nachfrage nach als auch das Angebot an<br />

Lernmöglichkeiten zu erhöhen, insbesondere für diejenigen, die bisher am wenigsten von Bildungs-<br />

und Ausbildungsangeboten profitiert haben. Jeder sollte die Möglichkeit haben, selbst<br />

gewählte, offene Lernwege einzuschlagen, anstatt gezwungen zu sein, im voraus festgelegten,<br />

auf bestimmte Ziele ausgerichteten Pfaden zu folgen. Kurz gesagt: Bildungs- und Ausbildungssysteme<br />

sollten sich an die individuellen Bedürfnisse und Wünsche anpassen und nicht<br />

umgekehrt.« (Europäische Kommission 2000: 9; Hervorh. i. Orig.)<br />

Sechs Grundbotschaften sind im Memorandum formuliert. Die erste Botschaft ist in<br />

Hinblick auf bildungsbenachteiligte Personen eine interessante Absichtserklärung.<br />

Sie lautet: »Neue Basisqualifikationen für alle. Ziel: Den allgemeinen und ständigen<br />

Zugang zum Lernen gewährleisten und damit allen Bürgerinnen und Bürgern<br />

ermöglichen, die für eine aktive <strong>Teilhabe</strong> an der Wissensgesellschaft erforderlichen<br />

- 37 -


Qualifikationen zu erwerben und zu aktualisieren« (ebd.: 12). Die in dieser Botschaft<br />

benannten Basisqualifikationen sind jene, die im Jahr 2000 in Lissabon vom<br />

Europäischen Rat definiert worden waren (vgl. Europäischer Rat 2000: Abs. 26),<br />

wobei im Memorandum festgehalten wird, dass diese Aufzählung – »IT-Fertigkeiten,<br />

Fremdsprachen, Technologische Kultur, Unternehmergeist und soziale Fähigkeiten«<br />

(Europäische Kommission 2000: 12) – keinen Anspruch auf Vollständigkeit<br />

erhebt. Allerdings würde sie die wesentlichen Bereiche abdecken, womit<br />

aber nicht zum Ausdruck gebracht werden solle, dass die »herkömmlichen Grundkompetenzen,<br />

nämlich Lesen, Schreiben und Rechnen, ihre Bedeutung verloren«<br />

(ebd.) hätten. Gleichsam als politisches Statement wird formuliert: »Personen, denen<br />

es aus irgendwelchen Gründen nicht möglich war, das erforderliche Qualifikationsniveau<br />

[gemeint sind die neuen Basisqualifikationen] zu erwerben, müssen<br />

die Chance bekommen, dies nachzuholen, so oft sie auch gescheitert sind oder versäumt<br />

haben, entsprechende Angebote wahrzunehmen.« (ebd.: 13) Denn: »Qualifikationsdefizite<br />

und dem Anforderungsprofil nicht entsprechende Qualifikationen<br />

[…] zählen allgemein zu den Hauptgründen für die in bestimmten Regionen und<br />

Industriezweigen sowie innerhalb sozial benachteiligter Gruppen anhaltend hohe<br />

Arbeitslosigkeit.« (ebd.) Die zweite Botschaft folgt ebenfalls ökonomischen Prämissen<br />

und lautet: »Höhere Investitionen in die Humanressourcen. Ziel: Investitionen<br />

in Humanressourcen deutlich erhöhen und damit Europas wichtigstes Kapital<br />

– das Humankapital – optimal nutzen« (ebd.: 14). Die strukturellen Systeme und<br />

individuellen Anreizmaßnahmen sollen in den Mitgliedstaaten forciert, aber nicht<br />

einheitlich geregelt werden. Vorgeschlagen werden beispielsweise ein Rahmenabkommen<br />

zum lebenslangen Lernen, das die Sozialpartner schließen, Lernkonten<br />

oder Bildungsurlaube für Arbeitnehmer/innen. Gefordert wird auch die »Entwicklung<br />

von Modalitäten, die für die Teilnahme am lebenslangen Lernen eine<br />

gemeinsame Verantwortung und klare Kofinanzierungsvereinbarungen vorsehen.«<br />

(ebd.: 15) Diese zweite Botschaft richtet sich somit an Arbeitgeber/innen und Arbeitnehmer/innen<br />

– in Hinblick auf mögliche benachteiligte Gruppen findet sich<br />

nur die meines Erachtens lapidare Feststellung: »Auch Arbeitslose haben vielfach<br />

Zugang zu Weiterbildung.« (ebd.: 14) Die dritte Botschaft bezieht sich explizit auf<br />

die Qualität der Vermittlung und die der Lernaktivitäten in den Aus- und Weiterbildungssystemen:<br />

»Innovation in den Lehr- und Lernmethoden. Ziel: Effektive<br />

Lehr- und Lernmethoden und -kontexte für das lebenslange und lebensumspannende<br />

Lernen entwickeln« (ebd.: 16). Vorgeschlagen wird auf Seiten der Lehrenden<br />

in formalen und nicht-formalen Lernumgebungen die Anpassung der pädagogischen<br />

Fähigkeiten (vgl. ebd.). Auf Seiten der Lernenden werden Lernmotivation,<br />

kritisches Urteilsvermögen und »das Wissen, wie man lernt« (ebd.: 17), vorausgesetzt:<br />

»Hauptaufgabe der Lehrenden ist es, genau diese menschlichen Fähigkeiten<br />

zur Aneignung und Nutzung von Wissen zu schulen« (ebd.). Die vierte Botschaft<br />

zielt auf die Messung von Lernerfolgen zur Herstellung von Transparenz ab: »Bewertung<br />

des Lernens. Ziel: Die Methoden der Bewertung von Lernbeteiligung und<br />

- 38 -


Lernerfolg deutlich verbessern, insbesondere im Bereich des nicht-formalen und<br />

des informellen Lernens« (ebd.: 18). Wiederum stehen ökonomische Überlegungen<br />

hinter dieser Botschaft:<br />

»In der Wissensgesellschaft ist die Weiterentwicklung und volle Nutzung der menschlichen<br />

Ressourcen ein die Wettbewerbsfähigkeit entscheidend beeinflussender Faktor. […] Der steigende<br />

Bedarf an qualifizierten Arbeitskräften und der immer schärfer werdende Wettbewerb<br />

um Arbeitsplätze hat zu einer bisher nicht gekannten Nachfrage nach zertifiziertem Lernen geführt.«<br />

(ebd.; Hervorh. i. Orig.)<br />

In einem Nebensatz wird bei der Bezugnahme auf die notwendige aktive Mitwirkung<br />

der Individuen bei der Bewertung und Validierung früherer Lernleistungen<br />

darauf hingewiesen, dass bei diesem Prozess Fertigkeiten und Kompetenzen bewusst<br />

gemacht werden, was stärkend auf das Selbstvertrauen und das Selbstwertgefühl<br />

der Einzelnen wirken kann (vgl. ebd.). Die fünfte Botschaft lautet: »Umdenken<br />

in Berufsberatung und Berufsorientierung. Ziel: Für alle einen leichten Zugang<br />

sichern zu hochwertigen Informations- und Beratungsangeboten über Lernmöglichkeiten<br />

in ganz Europa und während des ganzen Lebens« (ebd.: 19). Auch hier<br />

stehen wiederum ökonomische Überlegungen im Hintergrund: »Leben und arbeiten<br />

in der Wissensgesellschaft erfordert aktive Bürger, die selbstmotiviert ihre eigene<br />

persönliche und berufliche Entwicklung in die Hand nehmen.« (ebd.: 20) Die<br />

Bewältigung aktueller Herausforderungen, beispielsweise die Bewältigung einer<br />

drohenden oder tatsächlichen Erwerbslosigkeit, obliegt demnach dem/r Einzelnen.<br />

Die in der fünften Botschaft beschriebene Form der Unterstützung erscheint nichtsdestotrotz<br />

sinnvoll, zielt sie doch darauf ab, »Menschen auf ihrem individuellen<br />

Lebensweg zu begleiten und zu motivieren, relevante Informationen bereitzustellen<br />

und die Entscheidungsfindung zu erleichtern« (ebd.). Gefordert werden ein proaktiver<br />

Ansatz, d.h. eine Form der aufsuchenden Beratung, sowie die Vertrautheit<br />

der Berater/innen mit dem persönlichen und sozialen Umfeld der Zu-Beratenden,<br />

mit dem lokalen Arbeitsmarkt und den Bedarfen der Arbeitgeber/innen sowie die<br />

Vernetzung der relevanten persönlichen, sozialen und pädagogischen Dienste, um<br />

Fachwissen, Erfahrung und Ressourcen bündeln zu können (vgl. ebd.). Diese fünfte<br />

Botschaft und auch die oben angeführte vierte Botschaft scheinen für die Gruppe<br />

der Benachteiligten einiges an Potenzial zu bieten. Auch die sechste Botschaft birgt<br />

ein solches Potenzial: »Das Lernen den Lernenden auch räumlich näher bringen.<br />

Ziel: Möglichkeiten für lebenslanges Lernen in unmittelbarer Nähe (am Wohnort)<br />

der Lernenden schaffen und dabei gegebenenfalls IKT-basierte Techniken nutzen«<br />

(ebd.: 22). Es wird festgestellt, dass die meisten Menschen lokal lernen und<br />

diese lokale An- und Einbindung auch schätzen. Lokale und regionale Einrichtungen<br />

stellen bedeutsame Unterstützungsstrukturen für das lebenslange Lernen, wie<br />

Kinderbetreuung, Transport und Sozialleistungen, zur Verfügung. Des Weiteren<br />

wird festgehalten, dass die Einbindung in das lokale bzw. regionale soziale Netz<br />

- 39 -


Sicherheit bietet und dadurch Lernmotivation und Lernerfolg gefördert werden.<br />

Vielfältige lokal zugängliche Lernangebote sollen verhindern, dass Menschen zum<br />

Lernen ihre Heimatregion verlassen müssen. Die Informations- und Kommunikationstechnologien<br />

bieten in diesem Zusammenhang die Möglichkeit, verstreute bzw.<br />

isolierte Zielgruppen kostengünstig zu erreichen (vgl. ebd.). 15<br />

Konsultationsprozess in den Mitgliedsländern<br />

Der Veröffentlichung des Memorandums (Europäische Kommission 2000) folgte<br />

ein Konsultationsprozess in den Mitgliedstaaten. Im Rahmen des österreichischen<br />

Konsultationsprozesses wurde hinsichtlich der Beteiligung von bildungsbenachteiligten<br />

Gruppen eine konkrete Frage – neben der sich immer stellenden Frage nach<br />

der Finanzierung des lebenslangen Lernens – aufgeworfen: »Durch welche Maßnahmen<br />

lässt sich ein leichterer Zugang zur Weiterbildung für Erwachsene verwirklichen,<br />

die bisher zu dieser keinen Zugang gefunden haben, z.B. für Menschen<br />

ohne Pflichtschulabschluss, ältere Arbeitskräfte, Teilzeitarbeitskräfte, Arbeitslose<br />

usw.« (Bundesministerium für Bildung, Wissenschaft und Kultur 2001a: 44) –<br />

wobei diese Frage meines Erachtens die Gretchenfrage ist.<br />

Im österreichischen Länderbericht zum Memorandum (Bundesministerium für<br />

Bildung, Wissenschaft und Kultur 2001b) finden sich einige Hinweise auf bildungsbenachteiligte<br />

Gruppen: In Bezug auf die erste Botschaft der Förderung der<br />

neuen Basisqualifikationen wird ein Ausbau der Ressourcen in der Weiterbildung<br />

vorgeschlagen, um Gruppen mit »vergleichsweise geringem Bildungszugang« und<br />

»Gruppen mit Bildungsdefiziten« zu erfassen (vgl. ebd.: 11). Die Gewährleistung<br />

einer »zweiten Chance« zum nachholenden Lernen wird formuliert (vgl. ebd.: 13).<br />

Im nationalen Hintergrundbericht (Bundesministerium für Bildung, Wissenschaft<br />

und Kultur 2001c) werden insbesondere die Förderung des Erreichens des Pflichtschulabschlusses<br />

und die Fortsetzung der Ausbildungsintegration gefordert (vgl.<br />

ebd.: 14-17). Des Weiteren wird die Frage nach der Verhinderung von Dequalifikation<br />

aufgeworfen: »Es geht um die Schaffung von Voraussetzungen für lebenslanges<br />

Lernen auch für weniger Qualifizierte. […] [es geht darum,] bereits vor Eintreten<br />

von Dequalifizierung oder Arbeitslosigkeit in Richtung Weiterbildung vorzusorgen<br />

[…].« (ebd.: 38) In Bezug auf die zweite Botschaft der Erhöhung der Investitionen<br />

in die Humanressourcen werden für die Zielgruppe der Niedrigqualifizierten entsprechende<br />

Maßnahmen (u.a. präventive Maßnahmen gegen Schul- oder Ausbildungsabbruch,<br />

fördernde Maßnahmen für Weiter- und Höherqualifizierung) vorgeschlagen.<br />

Hierfür sollen Unternehmen, die Individuen und insbesondere auch der<br />

Staat finanzielle Verantwortung übernehmen (vgl. Bundesministerium für Bildung,<br />

Wissenschaft und Kultur 2001b: 20). Der Hintergrundbericht betont die Rolle der<br />

Sozialpartner. Diese sollen »Rücksicht auf die Qualifizierung und Beteiligung an<br />

innerbetrieblicher Weiterbildung dieser Gruppe« (Bundesministerium für Bildung,<br />

Wissenschaft und Kultur 2001c: 51) nehmen. Ferner wird festgehalten, dass Personen,<br />

die ihre Basisqualifikationen verbessern möchten, möglicherweise keine<br />

- 40 -


individuelle Kofinanzierung erbringen können (vgl. ebd.: 57). In Bezug auf die<br />

dritte Botschaft der geforderten Innovation im Bereich der Lehr- und Lernmethoden<br />

wird die Zielgruppe der Bildungsbenachteiligten nur hinsichtlich des Einsatzes<br />

von neuen Medien thematisiert. Es wird festgestellt, »dass die neuen IT-Lernumgebungen<br />

bei Personen mit Lernschwierigkeiten auch schlechter greifen bzw. die<br />

Drop-out Rate hier sehr hoch ist« (Bundesministerium für Bildung, Wissenschaft<br />

und Kultur 2001b: 24). Im Hintergrundbericht wird in diesem Zusammenhang darauf<br />

hingewiesen, dass Innovationen im Bereich der Lehr- und Lernformen »kein<br />

Selbstzweck« sind, sondern dass sie »verschiedene integrative Zielsetzungen, etwa<br />

die Verbesserung der Zugangsbedingungen zu Bildung und die Erschließung zusätzlicher<br />

Zielgruppen« (Bundesministerium für Bildung, Wissenschaft und Kultur<br />

2001c: 67) verfolgen. In Bezug auf die vierte Botschaft, die die Bewertung des<br />

Lernens betrifft, wird im Hintergrundbericht auf die österreichische Tradition des<br />

»Zweiten Bildungsweges« verwiesen (vgl. ebd.: 84). Diese Angebote des Zweiten<br />

Bildungsweges, beispielsweise das Nachholen des Hauptschulabschlusses, sind für<br />

Personen, die Bildungsbenachteiligung erfahren haben, tatsächlich von Bedeutung.<br />

In Bezug auf die fünfte Botschaft der Förderung der Berufsberatung und Berufsorientierung<br />

wird festgehalten: »Ausbaubedarf besteht überwiegend bei Angeboten,<br />

die sich primär an Jugendliche bzw. Erwachsene richten, die sich nicht mehr im<br />

Bildungssystem befinden, oder bei Angeboten für benachteiligte Zielgruppen mit<br />

besonderen Bedürfnissen.« (Bundesministerium für Bildung, Wissenschaft und<br />

Kultur 2001b: 30) Neben den öffentlichen Stellen sollen die »zivilgesellschaftlichen<br />

Einrichtungen« zielgruppenadäquate Angebote entwickeln und zugänglich<br />

machen (vgl. ebd.). Die Bedeutung von Informationsangeboten, die über das Internet<br />

zugänglich sind, wird betont (vgl. ebd.: 30f.) – hierbei stellt sich meines Erachtens<br />

jedoch die Frage, wie Personen ohne Bedienungsfähigkeiten von diesem<br />

Informationsangebot Gebrauch machen sollen. Im Hintergrundbericht wird angemerkt,<br />

dass sich Beratung nicht nur auf Berufsberatung und Berufsinformation beziehen,<br />

sondern alle Bereiche des Lebens und Arbeitens umfassen sollte (vgl. Bundesministerium<br />

für Bildung, Wissenschaft und Kultur 2001c: 102). 16 Des Weiteren<br />

wird vorgeschlagen, gerade im Bereich der Beratung die öffentliche Verantwortung<br />

zu stärken, um größere Unabhängigkeit zu erreichen, auch sollten die Orte, an denen<br />

Beratungen stattfinden können, ausgedehnt werden (u.a. auf Schulen, Ämter,<br />

Sozialpartner). In Bezug auf die sechste Botschaft, das Lernen den Lernenden auch<br />

räumlich näher zu bringen, werden »regionale Bildungszentren«, die einen »Abbau<br />

von Benachteiligungen regionaler und sozialer Art« (Bundesministerium für<br />

Bildung, Wissenschaft und Kultur 2001b: 32ff.) ermöglichen, erwähnt. Im Hintergrundbericht<br />

wird die Entwicklung von diversifizierten Angeboten zur Aneignung<br />

von IKT-Kompetenzen vorgeschlagen (vgl. Bundesministerium für Bildung, Wissenschaft<br />

und Kultur 2001c: 109) und die »Entwicklung von neuen Betreuungsformen<br />

(Bildungscoach; Karrierecoach) für die speziellen Bedürfnisse derer, die im<br />

Prozess des lebensbegleitenden Lernens kompetente Unterstützung in Anspruch<br />

- 41 -


nehmen wollen« (ebd.). Das ist wiederum ein Vorschlag mit einigem Potenzial für<br />

die Zielgruppe der Bildungsbenachteiligten.<br />

In Österreich wurden im Rahmen des Konsultationsprozesses über die sechs<br />

Grundbotschaften hinausreichende Aspekte thematisiert und diskutiert (vgl. Bundesministerium<br />

für Bildung, Wissenschaft und Kultur 2001b: 35f.). Die Kritik an<br />

der ökonomischen Ausrichtung des Verständnisses von lebenslangem Lernen wird<br />

deutlich formuliert: Die Botschaften seien vorwiegend arbeitsmarktbezogen (Verwertbarkeitsaspekt),<br />

beim lebenslangen Lernen müssten jedoch »auch der persönlichkeitsbildende<br />

Aspekt und eine humane Gesellschaft« Beachtung finden (vgl.<br />

ebd.: 35). Außerdem wird darauf hingewiesen, »dass die Gefahr einer Marginalisierung<br />

von benachteiligten Gruppen im Zusammenhang mit der Finanzierung,<br />

der Zeit, der Erreichbarkeit von Bildungsangeboten und der Bildungswegentscheidung<br />

bzw. Berufswahl im Memorandum gleichfalls zu wenig klar zum Ausdruck<br />

kommt« (ebd.). Abschließend werden österreichische Strategieansätze zur Förderung<br />

lebenslangen Lernens beschrieben (vgl. ebd.: 37-41). Angemessene Angebote<br />

zum Erwerb von Computer-Bedienungsfähigkeiten werden auch mit »demokratiepolitischer<br />

Begründung« gefordert: »An verschiedenen Lernorten ist daher eine regional<br />

breite und institutionell vielfältige Zugangsmöglichkeit, differenziert nach der<br />

individuellen Lernfähigkeit, zu sichern.« (ebd.: 37) Als wesentliche Voraussetzungen<br />

für lebenslanges Lernen werden die »Verbesserung der Motivation und die Erhöhung<br />

des Weiterbildungsbewusstseins« (ebd.) genannt, daher sei die »verstärkte<br />

Information über Weiterbildung in der Öffentlichkeit« (ebd.) zu forcieren. Unter anderem<br />

werden die Intensivierung eines steuerlichen Anreizsystems für niedrig qualifizierte<br />

Berufstätige sowie der Ausbau der öffentlichen Förderung für bestimmte<br />

Zielgruppen (in peripheren Regionen, mit niedrigen Qualifikationen) vorgeschlagen<br />

(vgl. ebd.: 38f.). Für die zukünftige Strategieentwicklung wird festgehalten:<br />

»In der Erwachsenenbildung hat die Verbesserung des Zugangs zur Bildung für alle, insbesondere<br />

für regional und sozial Benachteiligte auch in Zukunft oberste Priorität. Eine wesentliche<br />

Strategie zur Verwirklichung des lebensbegleitenden Lernens besteht auch in Zukunft darin,<br />

allgemeine Grundlagen und Schlüsselkompetenzen, die die Basis eigenständigen Lernens bilden,<br />

zu vermitteln. Dazu ist die Erforschung, Entwicklung und Umsetzung offener und flexibler<br />

Lernformen voranzutreiben und Konzepte tutorieller Lernbegleitung sind auf breiter Basis<br />

umzusetzen. Weitere regionale Bildungszentren müssen aufgebaut und mit Bildungseinrichtungen,<br />

Büchereien, Museen und kulturellen Einrichtungen vernetzt werden, um Ressourcen<br />

optimal zu nutzen und Synergien herzustellen. Außerdem sind die notwendigen Investitionen<br />

in die entsprechende technische Infrastruktur und in die multimediale Aufbereitung von Lerninhalten<br />

sicherzustellen.« (ebd.: 40f.; Hervorh. v. MK)<br />

Im so genannten »Fortschrittsbericht zum Memorandum« (Europäische Kommission<br />

2003), basierend auf einem Fragebogen der Kommission, wird für Österreich<br />

bei der Frage nach der Sicherstellung des Zugangs zu den grundlegenden Fertig-<br />

- 42 -


keiten auf die Intensivierung der Angebote zum Nachholen des Pflichtschulabschlusses<br />

sowie auf Maßnahmen zur Basisbildung und Alphabetisierung als »Vorfeldmaßnahmen<br />

zu Hauptschulabschluss-Kursen« verwiesen (vgl. ebd.: 15). Als<br />

Antwort auf die Frage nach Maßnahmen zur Vermittlung von IKT-Fertigkeiten, um<br />

den Zugang zur Wissensgesellschaft zu verbessern, werden insbesondere schulische<br />

Maßnahmen beschrieben; im Bereich der Erwachsenenbildung werden Angebote<br />

speziell für Frauen und für Migrant/inn/en als Beispiele angeführt (vgl. ebd.:<br />

16f.). Für Erwerbsarbeitslose werden entsprechende maßgeschneiderte Qualifizierungsangebote<br />

(Aufbau- und Spezialkurse) als Beispiele genannt (vgl. ebd.: 18).<br />

Bei der Frage nach der Förderung des lebenslangen Lernens innerhalb jener Gruppen,<br />

deren Risiko besonders hoch ist, ausgeschlossen zu werden, werden für den<br />

Bereich der Erwachsenenbildung wiederum Angebote für Migrant/inn/en und regional<br />

und sozial benachteiligte Frauen sowie für Menschen mit Behinderung veranschaulicht<br />

(vgl. ebd.: 23f.). In Hinblick auf Maßnahmen zur Verbesserung der<br />

Teilnahme jener Jugendlichen am lebenslangen Lernen, die außerhalb der formalen<br />

Systeme der allgemeinen und beruflichen Bildung stehen, werden spezifische Maßnahmen<br />

des AMS 17 erläutert (vgl. ebd.: 26). In Bezug auf die Beschäftigungsfähigkeit<br />

Jugendlicher wird auch die Förderung der Entwicklung von »sociability« und<br />

»learnability« thematisiert (ebd.: 27). Als Antwort auf die Frage nach Maßnahmen<br />

für ältere Arbeitskräfte und für Personen mit niedrigen Qualifikationen wird festgehalten,<br />

dass arbeitsmarktpolitische Schwerpunkte zur Beschäftigungssicherung<br />

älterer Arbeitskräfte gesetzt wurden und dass Arbeitslose mit fehlenden, mangelnden<br />

oder veralteten Qualifikationen zunehmend zur Zielgruppe von AMS-Schulungen<br />

18 werden (vgl. ebd.: 28). Bei der Frage nach der Bewusstseinsbildung für das<br />

lebenslange Lernen werden im Fortschrittsbericht zum Memorandum (2003) die<br />

»Info-Tage zur Weiterbildung« des Bildungsministeriums (sie wurden 2004 eingestellt)<br />

angeführt, die zum lebensbegleitenden Lernen motivieren sollen und sich<br />

»an Menschen, die lebensbegleitendes Lernen noch nicht als dringende Notwendigkeit<br />

erkannt haben« (ebd.: 31), richten.<br />

Einen europäischen Raum des lebenslangen Lernens schaffen (2001)<br />

Ausgehend vom »Memorandum über Lebenslanges Lernen« wurde im Jahr 2001<br />

eine Mitteilung der Europäischen Kommission mit dem Titel »Einen europäischen<br />

Raum des lebenslangen Lernens schaffen« (Europäische Kommission 2001) veröffentlicht.<br />

Dem ging voraus, dass im Zuge des Konsultationsprozesses in den einzelnen<br />

Mitgliedstaaten von diesen eine weiter gefasste Perspektive auf das lebenslange<br />

Lernen eingefordert worden war: Zum einen wurde die rein wirtschaftliche<br />

Perspektive der Überbetonung der Beschäftigungs- und Arbeitsmarktdimension<br />

abgelehnt (wie oben beschrieben auch im Zuge des österreichischen Konsultationsprozesses)<br />

und wurde dafür votiert, den Gefahren des sozioökonomischen Wandels<br />

– Ungleichheit und soziale Ausgrenzung – stärkere Beachtung zu widmen. Zum<br />

anderen wurde die vorherrschende Reduktion des lebenslangen Lernens auf Er-<br />

- 43 -


wachsenenbildung kritisiert und die Sichtweise gestärkt, dass das lebenslange Lernen<br />

im Vorschulalter beginnt und bis ins Rentenalter dauert und dass sowohl formale<br />

als auch nicht-formale und informelle Lernprozesse stattfinden (vgl. ebd.: 3f.).<br />

Unter Berücksichtigung dieser Anmerkungen wurde die Definition des lebenslangen<br />

Lernens in der Mitteilung weiter gefasst: Lebenslanges Lernen ist »alles Lernen<br />

während des gesamten Lebens, das der Verbesserung von Wissen, Qualifikationen<br />

und Kompetenzen dient und im Rahmen einer persönlichen, bürgergesellschaftlichen,<br />

sozialen, [sic] bzw. beschäftigungsbezogenen Perspektive erfolgt.« (ebd.: 9;<br />

Hervorh. i. Orig.) Die vier Dimensionen des lebenslangen Lernens sind demzufolge:<br />

»persönliche Entfaltung, der aktive und demokratische Bürger 19 , soziale Eingliederung<br />

20 und Beschäftigungs-/Anpassungsfähigkeit 21 « (ebd.; Hervorh. i. Orig.).<br />

Ausgehend von den Botschaften des Memorandums werden in der Mitteilung des<br />

Weiteren strategische Überlegungen angestellt mit dem Ziel, »allen einen Zugang<br />

zu den Grundlagen für lebenslanges Lernen zu ermöglichen, und zwar in jeder Lebensphase,<br />

nicht nur im Rahmen der Pflichtschule« (ebd.: 5). Bei der angestrebten<br />

Verbesserung des Zugangs zu den Bildungsangeboten wird auf Chancengleichheit<br />

– lebenslanges Lernen soll »wirklich allen ohne Diskriminierung zugänglich«<br />

(ebd.: 9) sein – rekurriert, wobei u.a. Geringverdienende, Schulabbrecher/innen,<br />

Migrant/inn/en, Arbeitslose sowie Arbeitnehmer/innen mit niederem Bildungsstand<br />

und geringen Qualifikationen als Zielpersonen angeführt werden (vgl. ebd.:<br />

13). In diesem Zusammenhang werden die »Beseitigung sozialer, geografischer,<br />

psychologischer und sonstiger Hindernisse« (ebd.: 14) und die Bedeutung der<br />

»Grundqualifikationen« als bedeutsam hervorgehoben:<br />

»Die Grundqualifikationen umfassen die Kulturtechniken Lesen, Schreiben und Rechnen,<br />

Lernen zu lernen und die in den Schlussfolgerungen von Lissabon genannten neuen Grundfertigkeiten<br />

[…]. Die Konsultationen bestätigen die entscheidende Bedeutung des Erwerbs von<br />

Grundqualifikationen für die spätere Weiterbildung und als Grundlage für die persönliche Entfaltung,<br />

die Entwicklung zum aktiven und demokratischen Bürger und die Beschäftigungsfähigkeit,<br />

vor allem angesichts der Anforderungen der Wissensgesellschaft. Das Fundament für<br />

lebenslanges Lernen muss der Staat im Rahmen der allgemeinen Schulpflicht legen. Zugleich<br />

sollten Erwachsene mit Defiziten beim Lesen, Schreiben, Rechnen und bei anderen Grundqualifikationen<br />

motiviert werden, kompensatorisch zu lernen.« (ebd.: 23; Hervorh. v. MK)<br />

Die »Charta der Grundrechte der Europäischen Union« (Amtsblatt C 364/1-22<br />

vom 18. Dezember 2000) sieht im Artikel 14 ein »Recht auf Bildung« 22 vor. Dieses<br />

beinhaltet den unentgeltlichen Pflichtschulunterricht sowie den Zugang zur beruflichen<br />

Aus- und Weiterbildung. Die Mitgliedsländer werden aufgefordert, dieses<br />

Recht unabhängig vom Alter geltend zu machen und den nachholenden Erwerb<br />

von Grundqualifikationen unentgeltlich zu ermöglichen. Zudem sollen lerner/innen/zentrierte<br />

Maßnahmen entwickelt werden, damit ausgrenzungsgefährdete Personen<br />

erreicht werden können. Weitere strategische Ziele sind die Sicherstellung<br />

- 44 -


von digitalen Kompetenzen für alle Personen sowie die Förderung des Zugangs zu<br />

Lernangeboten für gering qualifizierte und ältere Arbeitnehmer/innen (vgl. Europäische<br />

Kommission 2001: 24). In einem Ausblick wird angekündigt, die »Hindernisse<br />

für die Beteiligung unterrepräsentierter Gruppen am lebenslangen Lernen«<br />

(ebd.: 31) sowie die »Schlüsselfaktoren zu deren Beseitigung« (ebd.) zu ermitteln.<br />

Entschließung des Rates der Europäischen Union<br />

zum lebensbegleitenden Lernen (2002)<br />

In dieser »Entschließung des Rates vom 27. Juni zum lebensbegleitenden Lernen«<br />

(Amtsblatt C 163/1-3 vom 9. Juli 2002) wird die Bedeutung der allgemeinen und<br />

beruflichen Bildung »für die Förderung des sozialen Zusammenhalts, ein aktives<br />

Staatsbürgertum, ein erfülltes Privat- und Berufsleben sowie für die Anpassungsund<br />

Beschäftigungsfähigkeit« (ebd.: 1) hervorgehoben. Außerdem seien »Strategien<br />

zu entwickeln, mit denen die Gruppen, die wegen ihrer geringen Grundfertigkeiten<br />

von der Wissensgesellschaft ausgeschlossen sind, ermittelt und besser<br />

einbezogen werden können« (ebd.: 3).<br />

Allgemeine und berufliche Bildung – Ziele bis 2010 (2002)<br />

Basierend auf einem Beschluss der damals zuständigen Minister/innen der EU-<br />

Länder (Rat der europäischen Union) hat die Europäische Kommission unter dem<br />

Titel »Allgemeine und berufliche Bildung: Unterschiedliche Systeme, gemeinsame<br />

Ziele für 2010« (Europäische Kommission 2002) drei strategische Ziele mit 13<br />

Teilzielen für die allgemeine und berufliche Bildung, die bis 2010 (Lissabon-Ziel;<br />

siehe oben) verwirklicht werden sollen, formuliert (vgl. ebd.: 12). Als ein Teilziel<br />

wird erneut die Entwicklung der Grundfertigkeiten für die Wissensgesellschaft,<br />

für die jedoch bis dato noch keine gemeinsame Definition vorliegt, aufgegriffen.<br />

Diese Grundfertigkeiten sollen den Heranwachsenden in den Schulen vermittelt<br />

und für Erwachsene in Angeboten des lebenslangen Lernens offeriert werden, wobei<br />

benachteiligten Gruppen besondere Aufmerksamkeit gewidmet werden soll<br />

(vgl. ebd.: 16). Propagiert wird die Notwendigkeit der Kompetenzenfeststellung:<br />

»Die Aneignung oder das Vorhandensein von Schlüsselkompetenzen muss durch akademische<br />

Grade, Diplome, Zeugnisse oder Credits belegt werden […]. Zu diesem Zweck müssen Arbeiten<br />

zur Methodik durchgeführt werden, die auch Bereiche einschließen, in denen eine Feststellung<br />

der Schlüsselkompetenzen problematisch sein kann, z.B. Erwerb von sozialen Kompetenzen.«<br />

(ebd.)<br />

Als ein Teilziel wird die Unterstützung der Weiterentwicklung der erwerbstätigen<br />

Bevölkerung als Beitrag zur Steigerung der Beschäftigungsquoten und zur Hebung<br />

des allgemeinen Qualifikationsniveaus gefordert (vgl. ebd.: 23). Junge Menschen<br />

sollen nach der Pflichtschule weiterführende allgemeine oder berufliche Ausbildungen<br />

absolvieren und Erwachsene sollen motiviert und befähigt werden, lebens-<br />

- 45 -


lang zu lernen (vgl. ebd.: 24). »Lernen muss […] attraktiver werden, damit die<br />

Beschäftigungsquote steigt und die erforderlichen höheren Qualifizierungsniveaus<br />

erreicht werden. Dies ist nur möglich, wenn die Menschen erkennen, welchen Wert<br />

es für sie hat, weiterhin zu lernen und sich für das Lernen zu engagieren.« (Europäische<br />

Kommission 2002: 24) Diese Ziele sowie das übergeordnete Ziel der Verwirklichung<br />

des lebenslangen Lernens werden im darauf folgenden Zwischenbericht<br />

(Rat der Europäischen Union/Europäische Kommission 2004; vgl. dazu auch<br />

CEDEFOP 23 2004) bekräftigt (siehe unten).<br />

Analphabetismus und soziale Ausgrenzung (2002/2009)<br />

Die »Entschließung des Europäischen Parlaments zu Analphabetismus und sozialer<br />

Ausgrenzung« (Amtsblatt C 284 E/343-346 vom 21. November 2002) kommuniziert<br />

Einschätzungen und davon abgeleitete Forderungen. Festgehalten wird,<br />

»dass bei der Konzeption der Gemeinschaftsprogramme die Bedürfnisse der Menschen<br />

mit geringen Grundkenntnissen oder technologischen Wissenslücken nicht<br />

außer Acht gelassen werden dürfen« (ebd.: 344). An die Kommission wird die Forderung<br />

gerichtet, ein Grünbuch über »Analphabetismus, Zahlen-Analphabetismus<br />

und soziale Ausgrenzung« sowie entsprechende Maßnahmen zu erarbeiten (vgl.<br />

ebd.: 345). Neben der mehrfachen Erwähnung des Lissabon-Ziels (siehe oben)<br />

werden allerdings auch humanistisch anmutende Empfehlungen an die Mitgliedstaaten<br />

gerichtet: »Festlegung von vorrangigen Kriterien zur Gewährleistung des<br />

Zugangs zu Programmen für die Ausbildung und persönliche Entfaltung von Erwachsenen,<br />

die nur geringe Grundfähigkeiten besitzen, sowie von für ihre Bedürfnisse<br />

geeigneten Methoden« (ebd.; Hervorh. v. MK).<br />

Das Dokument »Abbau des Analphabetismus. Eine ehrgeizige europäische Strategie<br />

gegen die Ausgrenzung und für die persönliche Entfaltung entwickeln« (Ausschuss<br />

der Regionen 24 2009) legt den Schwerpunkt der Argumentation auf die Prävention<br />

im Bereich der allgemeinen und beruflichen Bildung und weniger auf die<br />

Kompensation von Bildungsbenachteiligung bei Erwachsenen (vgl. ebd.: 8). Es<br />

wird kritisiert, dass ein Grünbuch bis dato nicht erarbeitet wurde (vgl. ebd.: 7). Beinahe<br />

radikal mutet meines Erachtens die folgende Aussage an: »Die Bekämpfung<br />

des Analphabetismus könnte deshalb ein fester Bestandteil der Lissabon-Strategie<br />

sein, die durch die problematische Ausrichtung auf die Eliten und die ausschließliche<br />

Konzentration auf die Innovation klar ihre Grenzen gezeigt hat.« (ebd.: 6; Hervorh.<br />

v. MK)<br />

Allgemeine und berufliche Bildung 2010 – die Dringlichkeit von Reformen (2004)<br />

Im gemeinsamen Zwischenbericht des Rates der Europäischen Union und der<br />

Europäischen Kommission mit dem Titel »‚Allgemeine und berufliche Bildung<br />

2010’ – die Dringlichkeit von Reformen für den Erfolg der Lissabon-Strategie«<br />

(Rat der Europäischen Union/Europäische Kommission 2004) werden »Alarmsignale«<br />

festgestellt: So gibt es weiterhin zu viele Schulabbrecher/innen und zu<br />

- 46 -


wenig Personen, die die Sekundarstufe II abschließen (bis 2010 sollen mindestens<br />

85 Prozent der 22-Jährigen über einen solchen Abschluss verfügen, 2002<br />

lag die Quote bei 76 Prozent). Fast 20 Prozent der Jugendlichen verfügen über<br />

unzureichende Schlüsselkompetenzen (gemeint sind in diesem Zusammenhang<br />

Lesekompetenzen und Fremdsprachen) und zu wenig Erwachsene nehmen am lebenslangen<br />

Lernen teil. Der Anteil sollte von 8,5 Prozent (2002) auf 12,5 Prozent<br />

steigen (vgl. ebd.: 19-22). Bekräftigt wird das Ziel der Vermittlung von Schlüsselkompetenzen<br />

25 :<br />

»Die persönliche Entwicklung und Selbstverwirklichung, die soziale und berufliche Integration<br />

und etwaige spätere Lernerfahrungen des einzelnen Menschen hängen weitgehend davon<br />

ab, ob er am Ende seiner Schulpflichtzeit über ein Paket von Schlüsselkompetenzen verfügt.<br />

Dieses Paket, für das die Mitgliedstaaten zuständig sind, könnte die Kommunikation in der<br />

Muttersprache und in Fremdsprachen, mathematische Bildung und Grundkenntnisse in den<br />

Naturwissenschaften und der Technik, IKT-Kenntnisse, die Fähigkeit, Lernen zu lernen, zwischenmenschliche<br />

und staatsbürgerliche Kompetenzen sowie unternehmerische Fähigkeiten<br />

und kulturelles Bewusstsein umfassen.« (ebd.: 26)<br />

Gefordert wird die »Ausrichtung der Maßnahmen auf benachteiligte Gruppen«<br />

(ebd.: 28):<br />

»Menschen mit niedrigem Bildungs- bzw. Qualifikationsniveau, ältere Arbeitnehmer, in benachteiligten<br />

Gebieten und abgelegenen Regionen lebende Gruppen und Menschen mit Lernschwierigkeiten<br />

oder Behinderungen [sind] oft vergleichsweise schlecht über die Möglichkeiten<br />

informiert, die ihnen die allgemeine und berufliche Bildung bietet. Die vorhandenen<br />

Einrichtungen und Programme erscheinen ihnen für ihre Bedürfnisse kaum relevant.« (ebd.;<br />

Hervorh. v. MK)<br />

Diese Einschätzung ist meines Erachtens durchaus bemerkenswert, übt sie doch<br />

an für benachteiligte Zielgruppen möglicherweise wenig adäquaten Einrichtungen<br />

und Angeboten sowie noch nicht abgebauten Informationsbarrieren Kritik.<br />

Fortschrittsbericht bezogen auf die allgemeine und berufliche Bildung (2005)<br />

Im Fortschrittsbericht des Rates der Europäischen Union und der Europäischen<br />

Kommission über die Umsetzung des Arbeitsprogramms »Allgemeine und berufliche<br />

Bildung 2010« – eine Mitteilung der Kommission mit dem Titel »Modernisierung<br />

der allgemeinen und beruflichen Bildung: ein elementarer Beitrag zum<br />

Wohlstand und zum sozialem [sic] Zusammenhalt in Europa« (Europäische Kommission<br />

2005a) – wird das Nichterreichen der »Benchmarks« (der »Alarmsignale«;<br />

siehe oben) festgestellt (vgl. ebd.: 7). Diese »Benchmarks« werden mit der drohenden<br />

sozialen Ausgrenzung in Verbindung gebracht: »zum Nachteil der Bürger<br />

selbst, aber auch zum Schaden der Wirtschaft und der Gesellschaft insgesamt«<br />

- 47 -


(ebd.: 12). Effizienz, Qualität und Gerechtigkeit sollen daher grundlegende Prinzipien<br />

der fortzuführenden Reformanstrengungen sein (vgl. ebd.):<br />

»Die Systeme gerecht zu gestalten – das bedeutet, sicherzustellen, dass die Ergebnisse und der<br />

Nutzen der allgemeinen und beruflichen Bildung unabhängig sind vom sozioökonomischen<br />

Hintergrund und von anderen Faktoren, die zu Benachteiligungen in der Bildung führen könnten.<br />

Die Systeme sollten allen offen stehen, und der Lernweg der Bürger sollte sich nach ihren<br />

individuellen Bildungsbedürfnissen richten.« (ebd.: 12f.; Hervorh. v. MK)<br />

Österreichischer Fortschrittsbericht zur allgemeinen<br />

und beruflichen Bildung (2005)<br />

Der vom Bundesministerium für Bildung, Wissenschaft und Kultur vorgelegte Fortschrittsbericht<br />

»Allgemeine und berufliche Bildung 2010. Österreichischer Zwischenbericht<br />

über die erzielten Fortschritte bei der Umsetzung des EU-Arbeitsprogramms«<br />

(Bundesministerium für Bildung, Wissenschaft und Kultur 2005) betont<br />

in Bezug auf Reformprioritäten in der Weiterbildung die Erhöhung der Beteiligung<br />

an Programmen zur Basisbildung und zum Nachholen von Abschlüssen sowie den<br />

Ausbau der Bildungsinformation und Bildungsberatung (vgl. ebd.: 7). Für den Bereich<br />

der Weiterbildung wird festgehalten, dass zur Erhöhung der Beteiligungsquoten,<br />

insbesondere von benachteiligten Gruppen, zusätzliche Mittel erforderlich<br />

sind (vgl. ebd.: 8). Es wird festgestellt, dass eine zunehmende Zahl an Angeboten<br />

zum Nachholen des Hauptschulabschlusses finanziert wird und dass mit dem Konzept<br />

der Bildungsstandards versucht wird, die Vermittlung der schulischen Basisqualifikationen<br />

zu sichern (vgl. ebd.: 13f.). Der Fokus auf Jugendliche und die<br />

Sicherung ihrer Erstausbildung (Ausbildungsplatz) wird als seit 1996 bestehende<br />

bildungs- und arbeitsmarktpolitische Priorität vorgestellt (vgl. ebd.: 15). In Zukunft<br />

soll jedoch auch älteren Personen mit dem Ziel der Erhaltung der Beschäftigungsfähigkeit<br />

verstärkte Aufmerksamkeit gewidmet werden (vgl. ebd.: 22f.).<br />

Schlüsselkompetenzen für lebenslanges Lernen (2005/2006)<br />

2005 wurde von der Europäischen Kommission ein Vorschlag zu Schlüsselkompetenzen<br />

für ein lebenslanges Lernen vorgelegt, wobei diese Schlüsselkompetenzen<br />

»persönliche Entfaltung, soziale Integration, aktive Bürgerschaft und Beschäftigung«<br />

(Europäische Kommission 2005b: 3) fördern sollen. Das wird wie folgt begründet:<br />

»Die zunehmende Globalisierung der Wirtschaft beeinflusst die Arbeitswelt, bewirkt rasche<br />

und häufige Veränderungen, bringt neue Technologien und neue Ansätze für die Unternehmensorganisation<br />

mit sich. Die Arbeitskräfte müssen sowohl bestimmte berufsbezogene Fähigkeiten<br />

und Fertigkeiten laufend aktualisieren, als auch allgemeine Kompetenzen erwerben, um<br />

diese Veränderungen bewältigen zu können. Die Kenntnisse, Fähigkeiten und Einstellungen<br />

der Erwerbsbevölkerung sind ein wichtiger Faktor für Innovation, Produktivität und Wettbe-<br />

- 48 -


werbsfähigkeit; sie tragen zur Motivation und Jobzufriedenheit der Arbeitskräfte und zur Qualität<br />

der Arbeit bei.« (ebd.: 4; Hervorh. v. MK)<br />

Die ökonomisch motivierte Begründung ist unübersehbar: »[P]ersönliche Entfaltung,<br />

soziale Integration, aktive Bürgerschaft« können offensichtlich nur in Zusammenhang<br />

mit der Ausübung einer Erwerbsarbeit und dem Erhalt der Beschäftigungsfähigkeit<br />

gedacht werden. Ein Jahr später sind die Schlüsselkompetenzen<br />

für lebensbegleitendes Lernen: muttersprachliche und fremdsprachliche Kompetenz,<br />

mathematische und grundlegende naturwissenschaftlich-technische Kompetenz,<br />

Computerkompetenz, Lernkompetenz, soziale Kompetenz und Bürgerkompetenz,<br />

Eigeninitiative und unternehmerische Kompetenz, Kulturbewusstsein und<br />

kulturelle Ausdrucksfähigkeit als Referenzrahmen verbindlich festgelegt worden<br />

(vgl. Amtsblatt L 394/10-18 vom 30. Dezember 2006: 13-18) (siehe dazu Abschnitt<br />

3.2.4).<br />

Effizienz und Gerechtigkeit im allgemeinen und beruflichen<br />

Bildungssystem (2006)<br />

In der Mitteilung der Kommission an den Rat und das Europäische Parlament zu<br />

»Effizienz und Gerechtigkeit in den europäischen Systemen der allgemeinen und<br />

beruflichen Bildung« (Europäische Kommission 2006a) wird der Fokus auf benachteiligte<br />

Personen gerichtet. Unter Bezugnahme auf eine Vorstellung von ausgleichender<br />

Gerechtigkeit wird deutlich auf die Notwendigkeit von kompensatorischen<br />

Maßnahmen hingewiesen:<br />

»Die Berufsbildung hat einen großen gesellschaftlichen und kulturellen Nutzen, da die Lernenden<br />

auch angeleitet werden, sich in der Gesellschaft zu engagieren, und da sie dazu beiträgt,<br />

dass Erwachsene wieder in den Lernzyklus zurückfinden. Aus Gerechtigkeitsgründen<br />

müssen Arbeitslose und diejenigen, die während der Pflichtschulzeit nicht den angestrebten<br />

Bildungsstand erreichen konnten, Zugang zu öffentlich finanzierten Erwachsenenbildungsprogrammen<br />

erhalten.« (ebd.; Hervorh. v. MK)<br />

Indikator- und Benchmark-Rahmen in Bezug auf die Lissabon-Ziele (2007)<br />

Von der Europäischen Kommission ist 2007 die Mitteilung »Ein kohärenter Indikator-<br />

und Benchmark-Rahmen zur Beobachtung der Fortschritte bei der Erreichung<br />

der Lissabon-Ziele im Bereich der allgemeinen und beruflichen Bildung«<br />

(Europäische Kommission 2007a) vorgelegt worden, in der acht vorrangige politische<br />

Zielgebiete festgelegt sind: Verbesserung der Gerechtigkeit im Bildungssystem,<br />

Steigerung der Effizienz im Bildungssystem, lebenslanges Lernen Realität<br />

werden lassen, Schlüsselkompetenzen junger Menschen, Modernisierung der<br />

Schulbildung, Modernisierung der beruflichen Aus- und Weiterbildung (Kopenhagen-Prozess),<br />

Modernisierung der Hochschulbildung (Bologna-Prozess) und Beschäftigungsfähigkeit<br />

(vgl. ebd.: 4). In dieser Mitteilung wird festgestellt, dass die<br />

- 49 -


Teilnahme am lebenslangen Lernen bedeutsam für die Wettbewerbs- und Beschäftigungsfähigkeit,<br />

für wirtschaftlichen Wohlstand, für soziale Eingliederung, aktiven<br />

Bürgersinn und die persönliche Entfaltung ist (vgl. ebd.: 5). Ein Abschluss<br />

der Sekundarstufe II sei eine »unerlässliche Voraussetzung für eine erfolgreiche<br />

berufliche Laufbahn und die uneingeschränkte Teilnahme am lebenslangen Lernen«<br />

(ebd.: 6). Betont wird, dass auch »der Aktualisierung und Verbesserung der<br />

Kenntnisse von Erwachsenen eine große Bedeutung beigemessen wird« (ebd.: 6).<br />

Die Schlüsselkompetenzen für junge Menschen – Basis für »persönliche Entfaltung<br />

und Entwicklung, aktiven Bürgersinn, soziale Integration und Beschäftigung«<br />

(ebd.) – werden als neue Grundfertigkeiten festgelegt. Unter dem Schlagwort »Arbeitsmarkteignung«<br />

(ebd.: 8) wird das Ziel der Erhöhung der Erwerbsquote aufgegriffen:<br />

»Der Bildungsstand und die Schlüsselkompetenzen (zu denen auch der<br />

Unternehmergeist zählt) sind die maßgeblichen Faktoren für die Eignung für den<br />

Arbeitsmarkt eines Menschen und seine lebenslange Anpassungsfähigkeit […].«<br />

(ebd.: 8f.)<br />

Konzepte zur Umsetzung des lebenslangen Lernens in Österreich<br />

(2005/2007/2008)<br />

Bereits im Juni 2000 wurden auf der Tagung des Europäischen Rates in Feira und<br />

auch auf der Tagung des Europäischen Rates in Stockholm 2001 die Mitgliedstaaten,<br />

der Rat und die Kommission aufgefordert, kohärente Strategien und praktische<br />

Maßnahmen zur Förderung des lebenslangen Lernens zu erarbeiten. Diese Aufforderung<br />

wurde in der Entschließung des Rates vom 27. Juni 2002 (Amtsblatt C<br />

163/1-3 vom 9. Juli 2002) zum lebensbegleitenden Lernen bekräftigt. Darin werden<br />

die Mitgliedstaaten beauftragt, Strategien zu entwerfen und umzusetzen, die<br />

auf der Mitteilung der Kommission »Einen europäischen Raum des lebenslangen<br />

Lernens schaffen« (Europäische Kommission 2001) beruhen.<br />

Im Auftrag des Bundesministeriums für Bildung, Wissenschaft und Kultur wurden in<br />

Österreich im Jahr 2005 von einer facheinschlägigen Expert/inn/engruppe im Rahmen<br />

des Workshops »Vorschläge zur Implementierung einer kohärenten LLL-Strategie<br />

in Österreich bis 2010«, erste Leitlinien, insbesondere für den Bereich der Erwachsenen-<br />

und Weiterbildung, konzipiert (vgl. LLL-Strategie für Österreich 2005)<br />

und nach einer Konsultation 2007 überarbeitet (vgl. LLL-Strategie für Österreich<br />

2007). Unter Bezugnahme auf die festgestellte Fortsetzung von bildungsspezifischen<br />

Ungleichheiten im Bereich der Weiterbildung und zur Verhinderung von sozialer<br />

Ausgrenzung wird »eine zielgruppenspezifische Förderung spezifischer sozial<br />

und geografisch benachteiligter Gruppen, behinderter Menschen, MigrantInnen,<br />

bildungsferner Schichten, Personen mit niedrigen Basisqualifikationen, Wiedereinsteigerinnen,<br />

Arbeitsloser und von Arbeitslosigkeit bedrohter ArbeitnehmerInnen«<br />

(ebd.: 8ff.) vorgeschlagen. Die »Lebensphasenorientierung« als eine der fünf erarbeiteten<br />

Leitlinien 26 des Konzeptes des lebenslangen Lernens meint u.a., dass der<br />

(Wieder-)Einstieg in Lernprozesse in jeder Phase des Erwerbs- und Lebenszyklus<br />

- 50 -


möglich sein sollte (vgl. ebd.: 10ff.). Die Leitlinie »Life Long Guidance« sieht in der<br />

Sicherstellung der Entwicklung von Lernfreude und Bildungsmotivation sowie von<br />

Lernkompetenz eine Aufgabe der Schule und in dieser Sicherstellung den Ausgangspunkt<br />

für lebenslanges Lernen (vgl. ebd.: 14). Beratung sollte zudem »bildungsferne<br />

und benachteiligte Gruppen« fokussieren (vgl. ebd.). Unter der Leitlinie »Förderung<br />

der Teilnahme an Lebenslangem Lernen« wird von der Expert/inn/engruppe eine flächendeckende<br />

Grundversorgung mit Angeboten zur allgemeinen und beruflich verwertbaren<br />

Basisbildung vorgeschlagen (vgl. ebd.: 18f.). Eine Empfehlung, die zwar<br />

im Vorschlagspapier aus dem Jahre 2005 enthalten ist, nicht mehr aber in dem aus<br />

dem Jahre 2007, ist in Hinblick auf die Beteiligung von Bildungsbenachteiligten und<br />

von Personen mit geringen Qualifikationen von Bedeutung: Es wird empfohlen, die<br />

Kompetenzen der Betreuer/innen des AMS auf die Bildungs-, Berufs- und Karriereplanung<br />

auszudehnen, da das Arbeitsmarktservice (AMS) vielfach die »erste Anlaufstelle«<br />

dieser Personen ist. Das würde jedoch »eine entsprechende Zusatzqualifizierung<br />

der BetreuerInnen« voraussetzen (vgl. LLL-Strategie für Österreich 2005: 18).<br />

In Bezug auf die Finanzierung von Basisbildungsangeboten ist im Papier aus dem<br />

Jahre 2007 Folgendes festgehalten worden: »Aufgrund umfangreicher positiver externer<br />

Effekte (hohe soziale Erträge, Weichenstellungen für weitere Bildungswege)<br />

ist die Basisbildung unabhängig vom Alter des Lernenden als öffentliches Gut zu betrachten<br />

und daher öffentlich zu finanzieren.« (LLL-Strategie für Österreich 2007:<br />

21) Des Weiteren wird die Basisbildung als offenes Feld charakterisiert: »Welche Bildungsabschlüsse<br />

oder Kompetenzen als Basisbildung definiert werden, ist auf breiter<br />

Ebene politisch zu entscheiden.« (ebd.) Möglicherweise könnte sogar die Sekundarstufe<br />

II als zur Basisbildung (in einem sehr weiten Verständnis) gehörig verstanden<br />

werden, als Vorschlag wird nämlich formuliert, dass »die öffentliche Vollfinanzierung<br />

auf das Nachholen von Bildungsabschlüssen und die Basisbildung bis zur Sekundarstufe<br />

2 ausgeweitet« (ebd.: 22f.) werden und auch die »Vollfinanzierung des<br />

vorschulischen Bereichs« durch die öffentliche Hand inkludieren sollte (vgl. ebd.).<br />

Spezielle Förderungen bzw. Programme (beispielsweise Alphabetisierung) für benachteiligte<br />

Zielgruppen sollte es jedenfalls weiterhin geben: »Zu diesen Zielgruppen<br />

zählen (Langzeit-)Arbeitslose, gesellschaftliche Randgruppen, Personen mit besonderen<br />

Bedürfnissen, gering qualifizierte Personen und Personen mit sprachlichen<br />

Defiziten und AnalphabetInnen.« (ebd.: 25)<br />

2008 wurde das im Auftrag des Bundesministeriums für Unterricht, Kunst und Kultur<br />

erarbeitete Konsultationspapier »Wissen – Chancen – Kompetenzen. Strategie<br />

zur Umsetzung des lebenslangen Lernens in Österreich« (Bundesministerium für<br />

Unterricht, Kunst und Kultur 2008) vorgelegt. Es basiert auf den Vorarbeiten der<br />

Expert/inn/engruppe (siehe oben). In diesem Konsultationspapier wird festgehalten,<br />

dass Bildungs- und Berufsberatung im Rahmen der Lifelong Guidance »insbesondere<br />

bildungsferne Gruppen adäquat« berücksichtigen sollte (vgl. ebd.: 70).<br />

Als Handlungsfelder werden die »Senkung des Betreuungsschlüssels für Gruppen<br />

schwer vermittelbarer Arbeitssuchender«, flächendeckende Angebote für »gesund-<br />

- 51 -


heitlich gefährdete oder beeinträchtigte Arbeitnehmer/innen« sowie »Case-Management<br />

im Bereich der Arbeitsvermittlung und Betreuung« (ebd.: 73) beschrieben.<br />

Die Leitlinie »Förderung der Teilnahme an lebenslangem Lernen« nimmt<br />

Barrieren in den Blick: »Lernbarrieren wie negative Lernerfahrungen und mangelnde<br />

Lernkompetenzen, soziale und wirtschaftliche Barrieren, Informationsdefizite<br />

sowie hindernde institutionelle Rahmenbedingungen in den Bereichen Arbeits-,<br />

Sozial- und Steuerrecht müssen identifiziert und abgebaut werden.« (ebd.:<br />

79) Ziele im Bereich der Bildung für Benachteiligte sind die »[f]lächendeckende,<br />

kostenfreie Grundversorgung mit Angeboten zur Basisbildung bzw. grundlegenden<br />

Kulturtechniken wie Lesen, Schreiben, Rechnen, IT-Kenntnisse« (ebd.: 82) und<br />

»[w]eiterer Ausbau der kostenfreien Angebote zum Nachholen des Hauptschulbzw.<br />

Pflichtschulabschlusses« (ebd.). 27<br />

Erwachsenenbildung: Man lernt nie aus (2006)<br />

Die Bedeutung der Erwachsenenbildung für das lebenslange Lernen wird 2006 mit<br />

der Mitteilung der Europäischen Kommission »Erwachsenenbildung: Man lernt nie<br />

aus« (Europäische Kommission 2006b) bekräftigt. Als Ziele werden in der Mitteilung<br />

die »Entschärfung der Schulabbrecherproblematik« und die »Verbesserung der<br />

Kompetenzen und der Anpassungsfähigkeit von gering qualifizierten Arbeitnehmern<br />

über 40 Jahre, so dass sie mindestens eine Qualifikationsstufe höher kommen« (ebd.:<br />

4) formuliert. 28 Des Weiteren werden die berufliche Integration von Migrant/inn/en<br />

und die Verhinderung von »neue[n] Formen des Analphabetismus […] die durch<br />

den fehlenden Zugang zu Informations- und Kommunikationstechnologien im Alltag<br />

entstehen« (ebd.: 4f.), als Zieldimensionen formuliert. Als grundsätzliche Forderungen<br />

werden mehr und bessere Lernangebote für Erwachsene zur Hebung des generellen<br />

Kompetenzniveaus sowie (einmal mehr) eine koordinierte und kohärente<br />

LLL-Strategie in den Mitgliedstaaten postuliert, wobei es von der Planung zur Umsetzung<br />

kommen sollte (vgl. ebd.: 5f.). Die Mitgliedstaaten stehen hierbei vor zwei<br />

Herausforderungen: Zum einen stellt sich die Aufgabe der Steigerung der Beteiligung<br />

an Erwachsenenbildung insgesamt (vgl. ebd.: 6). Zum anderen geht es um die<br />

Beseitigung von Ungleichheiten: »Um diejenigen zu erreichen, die bislang am wenigsten<br />

von den Systemen der allgemeinen und beruflichen Bildung profitiert haben,<br />

müssen gezielte staatliche Investitionen getätigt werden.« (ebd.: 7) Notwendig<br />

hierfür sind »Begleitungsangebote, Alphabetisierungsmaßnahmen und Vermittlung<br />

von Lerntechniken« (ebd.). Ältere Bürger/innen und Migrant/inn/en werden als Zielgruppen<br />

hervorgehoben, wobei diese Angebote »den Bedürfnissen der Lernenden<br />

entsprechen und somit effizient« (ebd.: 9ff.) sein sollen.<br />

Aktionsplan Erwachsenenbildung: Zum Lernen ist es nie zu spät (2007)<br />

Die Bedeutung der Erwachsenenbildung für das lebenslange Lernen wird 2007<br />

mit dem »Aktionsplan Erwachsenenbildung: Zum Lernen ist es nie zu spät« (Europäische<br />

Kommission 2007b), beruhend auf der Mitteilung zur Erwachsenen-<br />

- 52 -


ildung (siehe oben), erneut bekräftigt. Der Aktionsplan konzentriert sich auf<br />

diejenigen, »die aufgrund eines geringen Bildungsniveaus, unzureichender beruflicher<br />

Qualifikationen bzw. eines Mangels an Kompetenzen für eine erfolgreiche<br />

Integration in die Gesellschaft benachteiligt sind« (ebd.: 3). Als Zielgruppen<br />

werden Menschen mit Migrationshintergrund und Behinderung, Frauen und<br />

Ältere genannt (vgl. ebd.). Hier stellt sich die Frage, ob nicht auch junge Erwachsene<br />

oder Männer mittleren Alters ohne Migrationshintergrund Benachteiligungen<br />

erfahren können. Ziele sind »Höherqualifizierung«, das Eindämmen von<br />

»Armut und soziale[r] Ausgrenzung« und das Erreichen »eine[r] bessere[n] Integration<br />

von Migranten« (vgl. ebd.). Bemerkenswert erscheint der Hinweis hinsichtlich<br />

der Umsetzung, bei der »es um Motivation und Bedürfnisse der Lernenden<br />

im Kontext des Bedarfs von Gesellschaft und Wirtschaft geht« (ebd.: 5;<br />

Hervorh. v. MK). Eigene Bildungswünsche oder Bildungsinteressen sind offenbar<br />

nicht wirklich von Bedeutung, wichtig(er) scheinen die Bedarfe der Gesellschaft<br />

und der Wirtschaft zu sein – schließlich ist von einer »gründliche[n] Bedarfsanalyse«<br />

(ebd.: 6) die Rede.<br />

2.<strong>1.2</strong> Lebenslanges Lernen: ökonomisch, pragmatisch, kritisch,<br />

emanzipatorisch<br />

Ausgangspunkt der Analyse von ausgewählten europäischen und relevanten nationalen<br />

bildungsprogrammatischen Dokumenten war die Frage, ob bildungsbenachteiligte<br />

Personen rhetorische Aufmerksamkeit in Hinblick auf erfahrene Benachteiligung<br />

erhalten. Es interessierten die Ausprägungen dieser rhetorischen<br />

Aufmerksamkeit in Bezug auf die Argumentationslinien und Zieldimensionen. Der<br />

Gemeinplatz vom bekanntermaßen geduldigen Papier soll an dieser Stelle nicht<br />

strapaziert werden. Selbstverständlich ist die Umsetzung von Absichtserklärungen<br />

und Forderungen die erste Gretchenfrage, die sich vor allem auf Fragen der Finanzierung<br />

bezieht. Die zweite Gretchenfrage ist dann diejenige nach den Auswirkungen<br />

dieser strategischen Überlegungen. Dazu gehört die Übersetzung von bildungspolitischen<br />

Vorgaben in das Handeln auf der Makro- und der Mikroebene der<br />

Erwachsenenbildung als Teilbereich des lebenslangen Lernens. Die Dokumentenanalyse<br />

hat gezeigt, dass bildungsbenachteiligte Erwachsene nach und nach in den<br />

Fokus der Aufmerksamkeit rücken, wobei sich meines Erachtens folgende Aufmerksamkeitsmuster<br />

in den analysierten europäischen bildungsprogrammatischen<br />

Dokumenten finden lassen:<br />

• Ein Aufmerksamkeitsmuster ist die Wahrnehmung von benachteiligten Menschen<br />

als problematische Randgruppen, wobei mögliche Ursachen dieser Benachteiligung<br />

allerdings keine Beachtung finden, was den Anschein des individuellen<br />

Versagens erweckt.<br />

- 53 -


• Ein weiteres Aufmerksamkeitsmuster ist das der Prävention. So gelte es im Bereich<br />

der Bildung von Kindern und Jugendlichen offenbar zu verhindern, dass<br />

die gesellschaftlichen Problemgruppen (z.B. aufgrund von Schulabbruch) Zuwachs<br />

erhalten.<br />

• Ein weiteres Aufmerksamkeitsmuster ist das der Kompensation. Wenn klar ist,<br />

dass es aufgrund gesellschaftlicher Ungleichheit benachteiligte Menschen gibt<br />

und Prävention alleine es nicht verhindern kann, dass Benachteiligungen entstehen<br />

und sich fortsetzen (so wie Bildung überhaupt nicht alleine gesellschaftliche<br />

Schieflagen beheben kann – sie kann dazu nur einen Beitrag leisten), dann<br />

wird die Idee der kompensatorischen Bildung für Erwachsene gestärkt.<br />

Diese Aufmerksamkeitsmuster sehe ich nicht als lineare Entwicklung im Sinne einer<br />

Abfolge, sondern sie changieren in den unterschiedlichen Dokumenten. Der<br />

»Aktionsplan Erwachsenenbildung: Zum Lernen ist es nie zu spät« (Europäische<br />

Kommission 2007b) als aktuelles Programm fokussiert beispielsweise diejenigen,<br />

»die aufgrund eines geringen Bildungsniveaus, unzureichender beruflicher Qualifikationen<br />

bzw. eines Mangels an Kompetenzen für eine erfolgreiche Integration in<br />

die Gesellschaft benachteiligt sind« (ebd.: 3), und spricht somit den Gedanken der<br />

Kompensation an. Allerdings wird mit gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Bedarfen<br />

argumentiert (vgl. ebd.: 5) und mögliche Ursachen für feststellbare Benachteiligungen<br />

werden nicht thematisiert.<br />

Wie lässt sich das Konzept des lebenslangen Lernens, wie es in den europäischen<br />

und relevanten nationalen bildungsprogrammatischen Dokumenten begegnet<br />

(siehe Abschnitt 2.1.1.), theoretisch einordnen Silke Schreiber-Barsch und Christine<br />

Zeuner (2007) haben (basierend auf Zeuner 2002) diesbezüglich eine aufschlussreiche<br />

Analyse der mit unterschiedlichen Akzentuierungen vorliegenden<br />

bildungspolitischen Konzeptionen vorgenommen. Die Autorinnen argumentieren<br />

wie folgt: Bildungsökonomisch ist ein Konzept, wenn es auf den stetigen Wandel<br />

des Arbeitsmarktes verweisend permanentes Lernen als erforderlich propagiert.<br />

Bildungstheoretisch ist ein Konzept, das die Entfaltung der Persönlichkeit mit dem<br />

Ziel der individuellen und gesellschaftlichen Mündigkeit mit dem ökonomischen<br />

Nutzen von Lernen verbindet. 29 Ein Konzept ist emanzipatorisch, wenn das Ziel<br />

über individuelle Mündigkeit hinausgeht und wenn es Kritikfähigkeit sowie kritisch-politische<br />

Handlungsfähigkeit und Gestaltungswillen bei gleichzeitiger Sicherstellung<br />

der individuellen ökonomischen und sozialen Sicherheit vorsieht (vgl.<br />

Schreiber-Barsch/Zeuner 2007: 689ff.). Für die erste Generation der bildungspolitischen<br />

Konzepte 30 , entstanden zwischen Anfang und Mitte der 1970er Jahre, bedeutet<br />

dies, dass die Argumentationslinien der UNESCO 31 als bildungstheoretisches<br />

Konzept eingestuft werden, diejenigen der OECD 32 – Recurrent Education<br />

(wiederkehrendes Lernen) – als bildungsökonomisches Konzept und schließlich<br />

»Deschooling Society« von Ivan Illich (1971) und »Freiheit zum Lernen. Alternativen<br />

zur lebenslänglichen Verschulung« (1976), herausgegeben von Heinrich<br />

- 54 -


Dauber und Etienne Verne 33 , als emanzipatorische Konzepte 34 (vgl. Schreiber-<br />

Barsch/Zeuner 2007: 691f.). Das Konzept des Europarates – Permanent Education<br />

– weist Silke Schreiber-Barsch und Christine Zeuner zufolge sowohl Bezüge zum<br />

UNESCO-Konzept als auch zum OECD-Konzept auf und wird daher von ihnen als<br />

bildungspragmatisches Konzept klassifiziert. Bildungspragmatisch meint »die aktive,<br />

subjektorientierte Lernerperspektive« sowie eine nach demokratischen Prinzipien<br />

organisierte Gesellschaft (vgl. ebd.: 693). Silke Schreiber-Barsch begründet<br />

diese Klassifizierung mit der »Prioritätensetzung auf die aktive Gestaltungsebene<br />

des Individuums und der Realisierung eines tatsächlichen Handlungsfeldes lebenslanger<br />

Lernstrukturen« (Schreiber-Barsch 2007 zit. n. ebd.: 692). In den 1990er<br />

Jahren (zweite Generation der Konzepte) behalten UNESCO und OECD ihre jeweiligen<br />

Argumentationslinien bei, ein emanzipatorischer Ansatz fehlt jedoch. Die<br />

Position des Europarates wird von der Europäischen Kommission mit dem Weißbuch<br />

»Teaching and Learning: Towards the Learning Society« fortgeführt. Im Jahr<br />

2000 wird mit dem »Memorandum über Lebenslanges Lernen« der Europäischen<br />

Kommission das Schlüsseldokument der dritten Generation der Konzepte vorgelegt,<br />

wodurch die bildungspragmatische Konzeption weiter gestärkt worden sei<br />

(vgl. Schreiber-Barsch/Zeuner: 2007: 693).<br />

Sehr prononciert erfolgt in den analysierten europäischen bildungsprogrammatischen<br />

Dokumenten (siehe Abschnitt 2.1.1) meines Erachtens die Bezugnahme auf<br />

die wirtschaftliche Notwendigkeit lebenslanger Lernprozesse: deutlich in der unverhüllten<br />

Rekapitulation des Lissabon-Ziels als Begründung, etwas weniger deutlich<br />

in der Bezugnahme auf mangelnde soziale Integration und Ausgrenzung aufgrund<br />

von Armut bedingt durch Arbeitslosigkeit. Der Gedanke, soziale Integration<br />

über Bildung zu erreichen, ist in den Dokumenten ebenfalls ersichtlich und wird<br />

zumeist als Bürgersinn oder aktive Bürgerschaft bezeichnet. Dem humanistischen<br />

Ziel der Entfaltung und Entwicklung der Persönlichkeit als Ziel von Bildung wird<br />

nur an einigen Stellen Rechnung getragen. Wird an die analysierten Dokumente<br />

insbesondere das Kriterium der aktiven, subjektorientierten Lerner/innen/perspektive<br />

angelegt (siehe oben), scheint sich die von Silke Schreiber-Barsch und Christine<br />

Zeuner formulierte These des Vorliegens einer bildungspragmatischen Konzeption<br />

des lebenslangen Lernens zu bestätigen. Allerdings reproduzieren die<br />

analysierten Dokumente das Primat der Ökonomie als Ausgangspunkt und Zieldimension<br />

lebenslangen Lernens. Es bleibt die Frage, ob tatsächlich die individuellen<br />

Voraussetzungen bildungsbenachteiligter Personen in den Blick gekommen sind<br />

oder ob die Bestrebungen der Zurichtung des Humankapitals im Sinne des Lissabon-Zieles<br />

einfach auf diese Zielgruppe ausgeweitet wurden Bei allem notwendig<br />

scheinenden Pragmatismus sollte sich die Erwachsenenbildung einen Freiraum<br />

bewahren/schaffen und kritisch-emanzipatorische sowie humanistische Zieldimensionen<br />

wieder stärker in den Blick nehmen, insbesondere wenn es um die Übersetzung<br />

von bildungspolitischen Vorgaben in das Handeln auf der Makro- und der<br />

Mikroebene geht. Eine kritische Sichtweise würde vor allem die gesellschaftlichen<br />

- 55 -


Verhältnisse fokussieren: gesellschaftliche Schieflagen, ungleiche Entwicklungsund<br />

<strong>Teilhabe</strong>möglichkeiten und deren Auswirkungen auf Individuen (Lernvoraussetzungen,<br />

Lernmotive). Die emanzipatorische Dimension würde die Perspektive<br />

der Veränderung der gesellschaftlichen Verhältnisse über den Weg der Selbstbestimmung<br />

betonen. Die Erwachsenenbildung sollte weniger den gesellschaftlichen<br />

Bedarf als vielmehr die Wünsche und Bedürfnisse der Menschen als Ausgangspunkt<br />

nehmen und die Wahrnehmung und Förderung von Interessen als Prozessdimension<br />

begreifen. Ich möchte daher ein Verständnis von Bildung stärken, das der<br />

individuellen Entfaltung und Entwicklung aller Erwachsenen ohne Einschränkungen<br />

in allen Lebensphasen und in allen Lebenslagen verpflichtet ist, und dies nicht<br />

ausschließlich bezogen auf die <strong>Teilhabe</strong> am Erwerbsleben.<br />

Das allgegenwärtige Paradigma der Nutzenabwägung befördert kurzfristig und<br />

zielorientiert angelegte Lernaktivitäten. Dieses kurzfristige Schulungslernen beruht<br />

auf der Vorstellung einer/eines lebenslangen Lernerin/Lerners – Menschen,<br />

die sich friktionsfrei, flott und flexibel auf (scheinbar) immer neue Herausforderungen<br />

einlassen und diese erfolgreich lernend bewältigen wollen und können. Ein<br />

solches Menschenbild lässt die individuellen und gesellschaftlichen Rahmenbedingungen<br />

und Voraussetzungen außer Acht. Hartmut von Hentig (2003 [1985])<br />

hat in diesem Zusammenhang die folgenden negativen Folgen skizziert: »totale<br />

Bildungsinstitutionen, Bildung als Berechtigung, die Horrorversion des lifelong<br />

learning, das ja nicht Erweiterung der Erfahrung, Zunahme an Weisheit, lustvoller<br />

Wandel der Gewohnheiten, fortschreitendes, in sich bedeutsames Philosophieren<br />

bedeutet (sonst hätte man es so genannt!), sondern Schulung, Weiterschulung,<br />

Umschulung.« (Hentig 2003 [1985]: 46; Hervorh. i. Orig.) Eine solche Verfasstheit<br />

des Lernens, die den Prämissen schneller, besser und mehr gehorcht, kommt<br />

bildungsprivilegierten Menschen entgegen. Mir erscheint ein Verständnis von Lernen<br />

und Bildung notwendig, das dem Wohl aller Menschen verpflichtet ist und<br />

insbesondere die gesellschaftlichen Schieflagen nicht aus dem Blick verliert. Die<br />

UNESCO vertritt eine solche Bildungsprogrammatik, der ein humanistisches Bildungsideal<br />

zugrunde liegt. Mit den sechs Zielen von »Bildung für alle« und der<br />

Ausrufung der »Literacy Decade 2003 bis 2012« hat sie entsprechende Zielvorgaben<br />

definiert und entsprechende Anstrengungen unternommen. 35 Als ein wesentliches<br />

bildungsprogrammatisches Dokument der UNESCO soll auf die Hamburger<br />

Deklaration zum Lernen im Erwachsenenalter inklusive der Agenda für die Zukunft<br />

(CONFINTEA 36 1998) Bezug genommen werden. In der Hamburger Deklaration<br />

ist festgehalten: »Lernen im Erwachsenenalter kann zur Identitätsfindung<br />

beitragen und dem Leben Sinn geben.« (ebd.: 1) Menschen können »ihre Fähigkeiten<br />

entfalten, ihr Wissen erweitern und ihre fachlichen oder beruflichen Qualifikationen<br />

verbessern oder sie neu ausrichten, um ihren eigenen Bedürfnissen und<br />

denjenigen ihrer Gesellschaft zu entsprechen.« (ebd.) Hervorgehoben wird, dass es<br />

ungleiche Ausgangsbedingungen gibt. So wird in Hinblick auf »Grundbildung für<br />

alle« festgehalten, dass »die Anerkennung des Rechts auf lebenslanges Lernen von<br />

- 56 -


Maßnahmen flankiert wird, die die Voraussetzung für die Ausübung dieses Rechts<br />

schaffen« (ebd.: 4; Hervorh. v. MK). Für die »Alphabetisierung von Erwachsenen«<br />

bedeutet das, »durch Bewußtseinsbildung und Förderung die Voraussetzungen<br />

für das Lernen« (ebd.: 5) zu schaffen. Damit ist die unerlässliche Übersetzung<br />

von bildungspolitischen Vorgaben in didaktisches Handeln angesprochen und somit<br />

auf die Ebene der Individuen bezogen. Pädagogischer Optimismus in Hinblick<br />

auf die Wirksamkeit von Lehr-Lern-Prozessen ist in den Handlungsfeldern der Erwachsenenbildung<br />

unerlässlich. In Bezug auf kompensatorische Angebote dürfen<br />

allerdings keine überzogenen Erwartungen an Bildungsaktivitäten im Erwachsenenalter<br />

gestellt werden:<br />

»Von der Weiterbildung zu erwarten, sie würde in zahlenmäßig relevantem Umfang die in den<br />

vorhergehenden Bildungsstufen exekutierte soziale Selektion minimieren oder gar aufheben<br />

können, entbehrt jeder realitätsnahen Grundlage. Individuell trägt sie ab und an zur Verbesserung<br />

der Lebensperspektiven bei. Deswegen ist es wichtig, Weiterbildung zu fördern.« (Ehmann<br />

2006: 253; Hervorh. v. MK)<br />

Erwachsene, die Bildungsbenachteiligung erfahren haben, haben lebensgeschichtlich<br />

bedeutsame Nachteile davongetragen. Jahrelange berufliche Nachteile aufgrund<br />

fehlender oder geringer beruflicher Qualifikation, insbesondere ein geringes<br />

Einkommen oder physische und/oder psychische Schäden infolge ungünstiger<br />

Arbeitsbedingungen auf Einfacharbeitsplätzen können durch Bildungsaktivitäten<br />

wohl kaum wieder gutgemacht werden. Mit der möglichen Verbesserung der Lebensperspektiven<br />

(siehe oben) sind Kompensationspotenziale auf der Individualebene<br />

angesprochen. Bezugnehmend auf die oben angeführte Perspektive der<br />

UNESCO in Hinblick auf »Grundbildung für alle« müssen die entsprechenden<br />

Voraussetzungen für die Teilnahme an Bildungsaktivitäten im Erwachsenenalter<br />

vielfach erst geschaffen werden. Auf diesen Aspekt ist das Erkenntnisinteresse der<br />

vorliegenden Studie gerichtet.<br />

2.2 Bildungsbe(nach)teiligung in Österreich: Datenlage<br />

In diesem Abschnitt wird mittels sekundärstatistischer Datenanalyse versucht, Bildungsbenachteiligung<br />

in Bezug auf Bildungsbeteiligung sichtbar zu machen. Für<br />

Österreich hat es bislang kein Monitoring der Weiterbildungsbeteiligung wie beispielsweise<br />

das »Berichtssystem Weiterbildung« in Deutschland gegeben. Daten<br />

für das Jahr 2003 liegen für Österreich aus dem Modul »Lebenslanges Lernen« im<br />

Rahmen des Mikrozensus vor (Statistik Austria 2004). 2009 sind die Ergebnisse<br />

des Adult Education Survey (AES) »Erwachsenenbildung 2007« publiziert worden<br />

(Statistik Austria 2009a). 37<br />

- 57 -


Für Deutschland hat das »Berichtssystem Weiterbildung« seit Jahren entsprechende<br />

Daten geliefert. Faktoren, die Einfluss auf die Weiterbildungsteilnahme nehmen,<br />

sind daher bekannt. So gelten folgende Einflussfaktoren für Deutschland als empirisch<br />

gesichert und sind im Verlauf der untersuchten Jahre auch relativ stabil gewesen:<br />

38 Jüngere Personen nehmen häufiger an Weiterbildung teil als ältere Personen.<br />

Die Höhe der schulischen Bildung und der beruflichen Qualifikation (Bildungsstand)<br />

wirken sich auf die Weiterbildungsbeteiligung positiv aus. Die Art der beruflichen<br />

Qualifikation bedingt die Teilnahme: Personen mit Hochschulabschluss<br />

oder Meister- bzw. Fachschulabschlüssen nehmen an Weiterbildung häufiger teil<br />

als Personen ohne Berufsausbildung oder mit einer abgeschlossenen Lehre oder einem<br />

Berufsfachschulabschluss. Die berufliche Position übt Einfluss aus: Leitende<br />

Angestellte und höhere Beamte nehmen häufiger an Weiterbildung teil als ausführende<br />

Angestellte und Beamte des einfachen, mittleren und gehobenen Dienstes<br />

und Arbeiter/innen. Die Größe des Betriebes hat Auswirkungen auf die Teilnahmewahrscheinlichkeit:<br />

je größer der Betrieb, desto größer das Weiterbildungsangebot.<br />

Der Status der Erwerbstätigkeit beeinflusst die Beteiligung: Berufstätige nehmen<br />

häufiger teil. In Bezug auf das Geschlecht ist die Faktenlage multiperspektivisch zu<br />

betrachten: Frauen nahmen 2003 etwas seltener an Weiterbildung teil. Sie waren in<br />

der allgemeinen Weiterbildung stärker und in der beruflichen Weiterbildung geringer<br />

repräsentiert. Bei vollzeiterwerbstätigen Personen ließ sich allerdings kein geschlechtsspezifischer<br />

Unterschied feststellen (vgl. Kuwan et al. 2006: 73-182 zit.<br />

n. Zeuner/Faulstich 2009: 114f.).<br />

»Erwachsenenbildung 2007« (Statistik Austria 2009a) gibt basierend auf dem Adult<br />

Education Survey Aufschluss über die Lernaktivitäten der österreichischen Wohnbevölkerung<br />

im Haupterwerbsalter von 25 bis 64 Jahren (im Erhebungszeitraum waren<br />

das 4,56 Millionen Menschen) innerhalb des Zeitraums von zwölf Monaten vor dem<br />

Zeitpunkt der Erhebung in den Jahren 2006/2007 (vgl. Statistik Austria 2009a: 15).<br />

Das der Erhebung zugrunde liegende Verständnis von lebenslangem Lernen meint<br />

das intentionale, also absichtliche Lernen, das in drei Kategorien erfasst wird: formale<br />

Bildung im regulären Schul- und Hochschulwesen von Schüler/inne/n, Studierenden<br />

und Lehrlingen, das zu anerkannten Abschlüssen in Form von formalen<br />

Qualifikationen führt; nicht-formale Bildung als organisiertes und nachhaltiges Lernen<br />

in einem institutionalisierten Rahmen (Ausnahme: reguläres Schul- und Hochschulwesen),<br />

das insbesondere Weiterbildungsveranstaltungen (Kurse, Vorträge,<br />

Seminare u.Ä.) sowie die Ausbildung am Arbeitsplatz unter Anleitung beinhaltet;<br />

informelles Lernen als bewusste (und nicht beiläufige) Lernaktivität, die nicht institutionalisiert,<br />

wenig strukturiert und ortsunabhängig ist: Lernen von Familienangehörigen,<br />

Freund/inn/en oder Kolleg/inn/en; Lernen durch das Lesen von Büchern<br />

und Fachzeitschriften; Lernen mit Hilfe des Computers; Lernen durch Fernsehen,<br />

Radio oder Videofilme; Lernen durch Führungen in Museen, an historischen Stätten,<br />

Naturschauplätzen, Industriestätten; Lernen in Bibliotheken oder Lernzentren (vgl.<br />

ebd.: 20f.). Somit liefert der Adult Education Survey zusätzlich zu den Daten über<br />

- 58 -


das Teilnahmeverhalten (formale und nicht-formale Bildung) auch Daten über das<br />

Lernverhalten in Bezug auf informelle Lernaktivitäten.<br />

Bildungsstand der österreichischen Wohnbevölkerung<br />

In Hinblick auf die formale Bildung, das sind im regulären Schul- und Hochschulwesen<br />

erlangte anerkannte Abschlüsse, zeigt sich innerhalb der österreichischen<br />

Wohnbevölkerung im Haupterwerbsalter (25 bis 64 Jahre) für den Erhebungszeitraum<br />

folgendes Bild:<br />

• Über einen Lehrabschluss als höchste abgeschlossene Schulbildung verfügen<br />

rund 40 Prozent der Wohnbevölkerung. Hier liegt der Frauenanteil mit knapp 32<br />

Prozent deutlich unter dem Männeranteil mit 49 Prozent (vgl. Statistik Austria<br />

2009a: 23).<br />

• Knapp 19 Prozent der Wohnbevölkerung können einen Pflichtschulabschluss<br />

als höchste abgeschlossene Schulbildung vorweisen. Der Frauenanteil liegt mit<br />

rund 23 Prozent deutlich über dem der Männer mit 14 Prozent (vgl. ebd.).<br />

• Einen Maturaabschluss einer höheren Schule (AHS/BHS) haben rund 14 Prozent<br />

der Wohnbevölkerung (Frauenanteil: 14,1 Prozent, Männeranteil: 14,7 Prozent)<br />

(vgl. ebd.).<br />

• Eine berufsbildende mittlere Schule (BMS) haben knapp 14 Prozent der Bevölkerung<br />

abgeschlossen. Der Frauenanteil liegt hier mit rund 18 Prozent deutlich<br />

über dem der Männer mit rund neun Prozent (vgl. ebd.).<br />

• Über einen Universitäts- oder Fachhochschulabschluss oder einen Abschluss einer<br />

hochschulverwandten Ausbildung verfügen knapp 13 Prozent der Wohnbevölkerung<br />

(Frauenanteil: 12,5 Prozent, Männeranteil: 12,9 Prozent) (vgl. ebd.).<br />

• Der Anteil der in Österreich lebenden Personen mit einer anderen Staatsangehörigkeit<br />

als der österreichischen 39 , die keinen über die Pflichtschule hinausgehenden<br />

Abschluss vorweisen können, ist mit knapp 38 Prozent viel höher<br />

als jener von Personen mit österreichischer Staatsbürgerschaft, der bei knapp<br />

17 Prozent liegt. In Österreich lebende Personen mit einer anderen Staatsangehörigkeit<br />

als der österreichischen weisen mit einem Anteil von rund 17<br />

Prozent deutlich häufiger einen höheren Bildungsabschluss auf (Universität,<br />

Fachhochschule, hochschulverwandte Ausbildung) als Personen mit österreichischer<br />

Staatsbürgerschaft. Deren Anteil liegt bei rund 12 Prozent (vgl.<br />

ebd.: 23f.).<br />

• Der schulische Bildungsstand hat sich innerhalb der letzten Jahrzehnte erhöht.<br />

Beispielsweise liegt der Anteil der Pflichtschulabsolvent/inn/en in der Altersgruppe<br />

der 25- bis 34-Jährigen bei knapp 13 Prozent und in der Altersgruppe<br />

der 55- bis 64-Jährigen bei knapp 28 Prozent. Bei der Matura als höchstem Abschluss<br />

und bei den über die Matura hinausgehenden Abschlüssen kehrt sich<br />

das Bild um: Die jüngeren Altersgruppen weisen hier höhere Anteile auf (vgl.<br />

ebd.: 23). Bei der festgestellten Höherqualifizierung zeigen sich – wenig überra-<br />

- 59 -


schend – deutliche Unterschiede nach sozialer Herkunft: Die Schulbildung der<br />

Eltern bestimmt den erreichten Bildungsstand der Kinder maßgeblich mit (vgl.<br />

ebd.: 24f.).<br />

Bildungsbeteiligung der österreichischen Wohnbevölkerung<br />

Folgende Teilnahmequoten am »lebenslangen Lernen« sind festgestellt worden:<br />

Rund vier Prozent der 25- bis 64-Jährigen haben sich formal, d.h. innerhalb des regulären<br />

Schul- und Hochschulwesens weitergebildet. 40 Knapp 40 Prozent haben<br />

an einer nicht-formalen Bildungsaktivität teilgenommen und knapp 76 Prozent haben<br />

informell gelernt (vgl. Statistik Austria 2009a: 21). Rund 20 Prozent der 25-<br />

bis 64-Jährigen haben weder formal noch nicht-formal oder informell gelernt und<br />

knapp zwei Prozent haben sowohl formal als auch nicht-formal und informell gelernt<br />

(vgl. ebd.). Rund 20 Prozent haben sich im Referenzzeitraum nicht und knapp<br />

zwei Prozent haben sich intensiv am lebenslangen Lernen beteiligt.<br />

Werden nicht-formale Lernaktivitäten (Beteiligungsquote insgesamt: 39,8 Prozent)<br />

genauer betrachtet, fällt auf, dass Männer (41,8 Prozent) häufiger als Frauen (37,8<br />

Prozent) teilgenommen haben. Am stärksten haben sich die 35- bis 44-Jährigen<br />

(46,9 Prozent), die 45- bis 54-Jährigen (42,5 Prozent) und die 25- bis 34-Jährigen<br />

(40,2 Prozent) beteiligt. Die Altersgruppe der 55- bis 64-Jährigen hat dagegen eine<br />

Beteiligung von 25,2 Prozent aufgewiesen (vgl. ebd.: 29).<br />

Die Daten belegen den Einfluss der höchsten abgeschlossenen Schulbildung auf<br />

die Teilnahme an nicht-formaler Bildung: Je höher der bereits erreichte Bildungsstand,<br />

desto größer ist auch die weitere Beteiligung an nicht-formalen Lernaktivitäten;<br />

die Bildungsbeteiligung steigt mit der Höhe des formalen Bildungsniveaus<br />

(vgl. ebd.):<br />

• Pflichtschule: 17,2 Prozent<br />

• Lehre: 33,5 Prozent<br />

• Berufsbildende mittlere Schule (BMS): 44 Prozent<br />

• Allgemeinbildende/Berufsbildende höhere Schule (AHS/BHS): 55,5 Prozent<br />

• Universität/Fachhochschule/hochschulverwandte Ausbildung: 70,6 Prozent<br />

Die Daten belegen auch den Einfluss der Erwerbsbeteiligung auf die Bildungsteilnahme:<br />

Erwerbstätige haben eine Beteiligung von 47,1 Prozent, arbeitslose Personen<br />

eine Beteiligung von 37,5 Prozent und Nicht-Erwerbspersonen einschließlich<br />

Personen in Elternkarenz eine Beteiligung von 19,4 Prozent aufgewiesen (vgl.<br />

ebd.).<br />

Auch das Vorliegen der österreichischen Staatsangehörigkeit beeinflusst die Beteiligung<br />

positiv: Die Beteiligungsquote von Personen mit österreichischer Staatsbürgerschaft<br />

ist mit 40,7 Prozent ausgewiesen, die Beteiligungsquote von Personen<br />

mit einer anderen Staatsangehörigkeit liegt dagegen bei 30,3 Prozent (vgl. ebd.).<br />

Hinsichtlich der arbeitsbezogenen nicht-formalen Bildungsaktivitäten zeigt sich<br />

- 60 -


als ein wesentlicher Befund, dass Personen mit höherer Bildung (Abschluss einer<br />

Universität, Hochschule oder einer hochschulverwandten Lehranstalt) viel häufiger<br />

(41,8 Prozent) in ihrer bezahlten Arbeitszeit an nicht-formaler Bildung teilgenommen<br />

haben als Personen, die über keinen über die Pflichtschule hinausgehenden<br />

Abschluss verfügen (5,6 Prozent) (vgl. ebd.: 36f.).<br />

Somit zeigt sich deutlich, dass die Handlungs- und Entwicklungsmöglichkeiten ungleich<br />

verteilt sind. Peter Faulstich (2008) hat in Hinblick auf die »Temporalstrukturen«<br />

des lebenslangen Lernens die Frage nach der zeitlichen Verfügungsmacht<br />

betont: »Zeit zum Lernen ist Teil des gesellschaftlichen Wohlstands und deshalb<br />

einbezogen in Verteilungsfragen.« (Faulstich 2008: 34) Die in den Daten sichtbar<br />

gewordene markante Bevorzugung von formal höher gebildeten Erwerbstätigen<br />

und die starke Benachteiligung von formal bildungsbenachteiligten Erwerbstätigen<br />

in Hinblick auf die Möglichkeit, an Weiterbildungen in der bezahlten Arbeitszeit<br />

teilzunehmen, belegt den diesbezüglichen (eigentlich hinlänglich bekannten)<br />

Reformbedarf.<br />

Die Beteiligung der österreichischen Wohnbevölkerung im Haupterwerbsalter von<br />

25 bis 64 Jahren an informellen Lernaktivitäten ist mit rund 76 Prozent bestimmt<br />

worden (vgl. Statistik Austria 2009a: 21). Das Lesen von Büchern, Fachzeitschriften<br />

ist als informelle Lernaktivität am meisten verbreitet gewesen, auf diese Weise haben<br />

knapp 62 Prozent gelernt. Als wesentliche positive Einflussfaktoren sind hierbei<br />

die Höhe des formalen Bildungsstands und das Vorhandensein der österreichischen<br />

Staatsangehörigkeit bestimmt worden.<br />

Rund 44 Prozent der befragten Personen haben informell von Familienangehörigen,<br />

Freund/inn/en oder Kolleg/inn/en gelernt. Hierbei hat sich gezeigt, dass diese<br />

Form des informellen Lernens mit zunehmendem Lebensalter zurückgegangen ist.<br />

Neben dem Lebensalter hat wiederum der Bildungsstand beeinflussend gewirkt: Je<br />

höher die höchste abgeschlossene Schulbildung, desto wahrscheinlicher sind diese<br />

informellen Lernaktivitäten. Auch der Status der Erwerbstätigkeit hat positive Auswirkungen<br />

auf die Beteiligung an diesen informellen Lernaktivitäten gehabt.<br />

Rund 43 Prozent haben informell mit Hilfe des Computers gelernt, wobei der Anteil<br />

der Männer deutlich höher als der der Frauen und der Anteil der jüngeren Erwachsenen<br />

sehr viel höher als der Anteil der älteren gewesen ist. Als stärkster positiver<br />

Einflussfaktor ist für diese Form des informellen Lernens die Höhe des<br />

Bildungsstands bestimmt worden (vgl. ebd.: 40).<br />

Über Fernsehen, Radio oder Videofilme haben rund 38 Prozent informell gelernt.<br />

Hierbei haben sich vielfach gegenläufige Muster (wobei die Unterschiede aber geringer<br />

ausgefallen sind) im Vergleich zum informellen Lernen mit Hilfe des Computers<br />

(siehe oben) gezeigt: Frauen haben häufiger als Männer, Ältere häufiger<br />

als Jüngere, Nicht-Erwerbspersonen häufiger als Erwerbstätige und Arbeitslose<br />

und relativ mehr Personen mit einer anderen Staatsangehörigkeit als Personen mit<br />

österreichischer Staatsbürgerschaft über Fernsehen, Radio oder Videofilme gelernt.<br />

Die Höhe des formalen Bildungsstands hat hier deutlich weniger Einfluss auf die<br />

- 61 -


Häufigkeit dieser Lernaktivität genommen als bei den bereits beschriebenen informellen<br />

Lernformen (vgl. ebd.: 41). Das kann als ein markanter Hinweis auf die<br />

Niederschwelligkeit dieser Medien (Fernsehen, Radio, Video) interpretiert werden.<br />

Dass das Ausmaß informellen Lernens mit Hilfe des Computers in einer deutlichen<br />

Abhängigkeit zum erreichten formalen Bildungsstand steht, verdeutlicht das<br />

Faktum des digitalen Gap. Die Erwartung, dass Bildungsbenachteiligung durch informelles<br />

Lernen, insbesondere mit Hilfe des Computers, gleichsam selbstorganisiert<br />

und mühelos kompensiert werden könnte, erweist sich damit wohl endgültig<br />

als falsch. Bei der Computer- und Internetnutzung zeigt sich nämlich der starke<br />

Zusammenhang zwischen Alter bzw. Bildungsstand und Häufigkeit der Nutzung<br />

(vgl. ebd.: 47ff.). Rund 85 Prozent der 25- bis 64-Jährigen mit einer über die Matura<br />

hinausreichenden Ausbildung haben angegeben, den Computer (fast) täglich<br />

zu nutzen; der Anteil der Personen mit Pflichtschule als höchste abgeschlossene<br />

Ausbildung liegt hier bei rund 21 Prozent (vgl. ebd.: 156f., Tabelle F03). Rund 78<br />

Prozent der 25- bis 64-Jährigen mit einer über die Matura hinausreichenden Ausbildung<br />

gaben an, das Internet (fast) täglich zu verwenden; der Anteil der Personen<br />

mit Pflichtschule als höchste abgeschlossene Ausbildung liegt hier bei rund 15 Prozent<br />

(vgl. ebd.: 158f., Tabelle F04).<br />

Im Rahmen von Führungen durch Museen, an historischen Stätten, Naturschauplätzen<br />

oder Industriestätten haben knapp 32 Prozent der Befragten informell gelernt:<br />

Frauen haben häufiger als Männer und Ältere häufiger als Jüngere auf diese Weise<br />

gelernt. Stark positiv hat sich wiederum die Höhe des Bildungsstands auf diese Form<br />

des informellen Lernens ausgewirkt; auch der Status als Erwerbstätige/r sowie das<br />

Vorliegen der österreichischen Staatsangehörigkeit haben das Ausmaß dieser Lernaktivität<br />

positiv beeinflusst (vgl. ebd.: 42).<br />

Insgesamt haben nur rund 14 Prozent informell in Bibliotheken oder Lernzentren<br />

gelernt, wobei mehr Frauen als Männer auf diese Weise gelernt haben. Positiv auf<br />

diese Lernaktivität hat sich die Höhe des Bildungsstands ausgewirkt (vgl. ebd.).<br />

Im Adult Education Survey sind der Informationszugang zu Bildungsangeboten<br />

und Bildungshindernisse erhoben worden (vgl. ebd.: 43-46). Welche Ergebnisse<br />

liegen nun hinsichtlich des Informationszugangs zu Bildungsangeboten vor<br />

Rund 30 Prozent der 25- bis 64-Jährigen haben in den zwölf Monaten vor der Erhebung<br />

nach Informationen über Aus- und Weiterbildungsmöglichkeiten gesucht.<br />

Von denjenigen, die fündig geworden sind (das waren rund 87 Prozent der Suchenden),<br />

haben rund 97 Prozent auch tatsächlich an Bildungsaktivitäten (an formalen,<br />

nicht-formalen und informellen) teilgenommen (vgl. ebd.: 43). Die Daten zeigen,<br />

dass sich die Höhe der abgeschlossenen Schulbildung positiv auf das Suchen<br />

und Finden, also den Anteil der Informationssuchenden und den Anteil der Personen,<br />

die tatsächlich Informationen über Aus- und Weiterbildungsmöglichkeiten gefunden<br />

haben, ausgewirkt hat (vgl. ebd.: 44). Es kann des Weiteren gezeigt werden,<br />

dass überdurchschnittlich viele Personen, die zum Zeitpunkt der Befragung<br />

erwerbsarbeitslos gewesen sind, nach Informationen zu Aus- und Weiterbildungs-<br />

- 62 -


möglichkeiten gesucht haben. Jedoch hat nur ein unterdurchschnittlicher Anteil<br />

von ihnen auch tatsächlich passende Informationen gefunden. Hierbei lassen sich<br />

eindeutige Disparitäten nach Bildungsstand feststellen, denn noch einmal deutlich<br />

weniger Personen, die keine über die Pflichtschule hinausreichende formale Bildung<br />

abgeschlossen haben, waren bei ihrer Suche erfolgreich (vgl. ebd.).<br />

Welche Ergebnisse liegen nun zu den Bildungshindernissen vor Knapp 49 Prozent<br />

der Wohnbevölkerung haben in den zwölf Monaten vor der Befragung weder<br />

an formalen oder nicht-formalen Bildungsaktivitäten teilgenommen noch haben sie<br />

das vorgehabt. Folgende Gründe haben diese Personen hierfür genannt:<br />

• Kein Nutzen für den Job (diesen Grund haben vor allem die Männer angegeben),<br />

• Alter oder Gesundheit würden dagegen sprechen,<br />

• familiäre Verpflichtungen würden das nicht zulassen (vor allem die Frauen haben<br />

ihre Nicht-Teilnahme derart begründet),<br />

• Unvereinbarkeit mit den Arbeitszeiten (diesen Grund haben vor allem die Männer<br />

genannt) (vgl. ebd.: 45).<br />

Knapp neun Prozent der Wohnbevölkerung, die an keinen formalen oder nicht-formalen<br />

Bildungsaktivitäten zwölf Monate vor der Befragung teilgenommen haben,<br />

das aber eigentlich beabsichtigt hatten, haben vor allem zeitliche Gründe als Hindernis<br />

angeführt: Frauen überwiegend infolge ihrer familiären Verpflichtungen und<br />

Männer überwiegend mit Hinweis auf ihre Arbeitszeiten. Ein weiterer bedeutsamer<br />

Grund waren zu hohe Kosten (vgl. ebd.: 46).<br />

Rund 23 Prozent der Wohnbevölkerung haben in den letzten zwölf Monaten vor<br />

der Befragung an formalen oder nicht-formalen Bildungsangeboten teilgenommen,<br />

wollten zum Befragungszeitpunkt darüber hinaus jedoch keine weiteren Bildungsaktivitäten<br />

setzen. Nur jede zweite dieser Personen hat einen »wichtigsten«<br />

Hindernisgrund hierfür angeführt: Am häufigsten sind unpassende Ausbildungszeiten<br />

angegeben worden, danach die zu hohen Kosten (Frauen nannten diesen<br />

Grund häufiger als Männer) und das Finden einer geeigneten Ausbildung sowie der<br />

schwierig zu erreichende Ausbildungsort (vgl. ebd.).<br />

Knapp elf Prozent der Wohnbevölkerung haben in den letzten zwölf Monaten vor<br />

der Befragung formal oder nicht-formal gelernt und hätten zum Befragungszeitpunkt<br />

darüber hinaus gerne noch weitere Bildungsaktivitäten gesetzt. Als hinderlich<br />

erwiesen sich vor allem die Unvereinbarkeit mit den Arbeitszeiten (vor allem<br />

für die Männer), die familiären Verpflichtungen (vor allem für die Frauen) und die<br />

zu hohen Kosten (vgl. ebd.).<br />

Bildungsbeteiligung der Erwerbstätigen<br />

Der Adult Education Survey hat nicht nur die österreichische Wohnbevölkerung<br />

im Haupterwerbsalter von 25 bis 64 Jahren, das waren zu diesem Zeitpunkt rund<br />

- 63 -


4,56 Millionen Menschen, sondern auch die Gruppe der Erwerbstätigen (zu diesem<br />

Zeitpunkt rund 3,2 Millionen Menschen) in den Blick genommen (vgl. Statistik<br />

Aus tria 2009a: 65-80). 78,9 Prozent der 3,2 Millionen Erwerbstätigen haben zum<br />

Befragungszeitpunkt informell und 47,1 Prozent in nicht-formalen Bildungszusammenhängen<br />

gelernt. Diese Anteile waren damit höher als jene der österreichischen<br />

Wohnbevölkerung mit einer Beteiligungsquote von 75,7 Prozent an informellen<br />

bzw. einer Beteiligungsquote von 39,8 Prozent an nicht-formalen Lernaktivitäten.<br />

Drei Prozent der Erwerbstätigen haben an formaler Bildung teilgenommen, der<br />

Anteil der österreichischen Wohnbevölkerung lag hier mit rund vier Prozent höher<br />

(vgl. ebd.: 65).<br />

Teilnahme der Erwerbstätigen an nicht-formalen und informellen<br />

Bildungsaktivitäten<br />

Besonders deutliche Unterschiede zeigen sich bei der Beteiligungsquote an nichtformaler<br />

Bildung in Hinblick auf die berufliche Stellung: Beamtinnen/Beamte und<br />

Vertragsbedienstete weisen eine Beteiligungsquote von knapp 70 Prozent, Angestellte<br />

und freie Dienstnehmer/innen eine Beteiligungsquote von knapp 57 Prozent<br />

auf. Die Beteiligungsquote der Selbständigen (einschließlich der mithelfenden Familienangehörigen)<br />

liegt bei 42 Prozent und die der Arbeiter/innen bei knapp 24<br />

Prozent (vgl. Statistik Austria 2009a: 66).<br />

Ein wesentlicher Befund ist, dass die Teilnahme an Weiterbildung, insbesondere<br />

an nicht-formaler Bildung, mit der Einkommenshöhe zusammenhängt. Rund 72<br />

Prozent der Personen mit einem Einkommen von 2.000 Euro netto pro Monat und<br />

mehr haben an nicht-formaler Bildung teilgenommen. Personen mit einem Einkommen<br />

bis <strong>1.2</strong>50 Euro netto pro Monat haben hingegen eine Beteiligungsquote<br />

von knapp 37 Prozent aufgewiesen (vgl. ebd.). Daraus resultiert, dass sich unter<br />

den Teilnehmenden an nicht-formalen Weiterbildungsaktivitäten fast ebenso viele<br />

Personen, die 2.000 Euro oder mehr verdienen, befunden haben, wie Personen, die<br />

<strong>1.2</strong>50 Euro oder weniger verdienen, obwohl es von diesen einkommensschwachen<br />

Personen fast doppelt so viele gibt (vgl. ebd.: 66f.). Werden aus den niederen Einkommen<br />

(bis <strong>1.2</strong>50 Euro netto pro Monat) die Teilzeitbeschäftigten herausgerechnet,<br />

wird der Zusammenhang zwischen Einkommen und Bildungsbeteiligung noch<br />

deutlicher: Vollzeiterwerbstätige, die bis zu <strong>1.2</strong>50 Euro netto pro Monat verdienen,<br />

weisen eine Beteiligungsquote von rund 32 Prozent auf (vgl. ebd.: 67).<br />

Sehr deutliche Unterschiede haben auch die Ergebnisse nach Berufsgruppen zu<br />

Tage befördert: In der untersten ausgewiesenen Berufsgruppe (Maschinenbediener/innen<br />

und Montierer/innen, Hilfsarbeitskräfte, Soldaten) liegt die Beteiligungsquote<br />

an nicht-formaler Bildung bei rund 22 Prozent, in der obersten ausgewiesenen<br />

Berufsgruppe (Führungskräfte, akademische Berufe, Fachkräfte mittlerer<br />

Qualifikation) bei rund 62 Prozent (vgl. ebd.: 68).<br />

Die Grundgesamtheit der 25- bis 64-Jährigen betreffend, ist bereits gezeigt worden<br />

(siehe oben), dass Personen mit höherer Bildung deutlich häufiger in der be-<br />

- 64 -


zahlten Arbeitszeit an nicht-formaler Bildung teilnehmen können (vgl. ebd.: 36f.).<br />

In Hinblick auf beruflich motivierte nicht-formale Bildungsaktivitäten in der bezahlten<br />

Arbeitszeit haben sich auch deutliche Unterschiede nach Geschlecht erkennen<br />

lassen. Rund 68 Prozent der beruflich motivierten nicht-formalen Bildungsaktivitäten<br />

erwerbstätiger Männer haben ausschließlich in der bezahlten Arbeitszeit<br />

stattgefunden, bei Frauen liegt dieser Anteil hingegen bei knapp 55 Prozent (vgl.<br />

ebd.: 71). Einfluss auf die Möglichkeit zur Teilnahme an nicht-formaler Bildung<br />

während der bezahlten Arbeitszeit nimmt auch der formale Bildungsstand: Diesbezüglich<br />

hohe Anteile weisen Personen mit Abschluss einer höheren Schule (AHS/<br />

BHS) und Personen mit Lehrabschluss auf; wesentlich geringer sind die Anteile<br />

bei BMS-Absolvent/inn/en und Personen mit über die Matura hinausgehenden Abschlüssen.<br />

Bei Personen mit Pflichtschulabschluss als höchste formale Ausbildung<br />

fällt dieser Anteil allerdings noch einmal deutlich geringer aus. Auch das Ausmaß<br />

der Beschäftigung wirkt sich aus, denn beruflich motivierte nicht-formale Bildungsaktivitäten<br />

vollzeitbeschäftigter Personen fanden zum Befragungszeitpunkt<br />

zu rund 64 Prozent ausschließlich in der bezahlten Arbeitszeit statt, der Vergleichswert<br />

für die Teilzeitbeschäftigten liegt bei knapp 54 Prozent.<br />

Ein weiterer bedeutsamer Befund ist, dass sich die Dauer der Unternehmenszugehörigkeit<br />

positiv auf die Teilnahme an nicht-formaler Weiterbildung in der bezahlten<br />

Arbeitszeit auswirkt. Die Höhe des Einkommens nimmt ebenfalls deutlich<br />

Einfluss: So sind in den Gruppen mit den geringsten Einkommen die Anteile an beruflich<br />

motivierten nicht-formalen Bildungsaktivitäten in der bezahlten Arbeitszeit<br />

deutlich unterdurchschnittlich ausgefallen (vgl. ebd.).<br />

In Bezug auf alle Formen des informellen Lernens hat sich bei den Erwerbstätigen<br />

der Einfluss der Berufsgruppenzugehörigkeit überaus deutlich gezeigt. Die oberste<br />

ausgewiesene Berufsgruppe (Führungskräfte, akademische Berufe, Fachkräfte<br />

mittlerer Qualifikation) hat nämlich bei allen Formen des informellen Lernens die<br />

höchsten Teilnahmequoten erkennen lassen (vgl. ebd.: 74f.). Dieser Befund verdeutlicht<br />

einmal mehr die unberechtigte Hoffnung, über informelles Lernen könnte<br />

sich Kompensation von Bildungsbenachteiligung einstellen. Es profitieren diejenigen,<br />

die ohnedies begünstigt sind und diese (Bildungs-)Begünstigung auch in einer<br />

entsprechenden beruflichen Position umsetzen konnten.<br />

Suche nach Bildungsangeboten durch Erwerbstätige<br />

Bei der Gruppe der Erwerbstätigen wurde untersucht, ob sie in den letzten zwölf<br />

Monaten vor der Befragung nach Informationen über Aus- und Weiterbildungsmöglichkeiten<br />

gesucht und diese auch gefunden haben (vgl. Statistik Austria<br />

2009a: 75ff.). Suchend waren knapp 34 Prozent, das mit Abstand am häufigsten<br />

eingesetzte Suchmedium war das Internet (vgl. ebd.: 75). Der Anteil der Suchenden,<br />

die entsprechende Informationen tatsächlich auch gefunden haben (rund 89<br />

Prozent), stieg mit der Höhe des Bildungsstandes, mit der Höhe des Einkommens<br />

und mit der Arbeitsstättengröße (vgl. ebd.: 75f.).<br />

- 65 -


Werden die Berufsgruppen betrachtet, sind Disparitäten feststellbar: Rund 46 Prozent<br />

der obersten ausgewiesenen Berufsgruppe (Führungskräfte, akademische Berufe,<br />

Fachkräfte mittlerer Qualifikation) haben nach Aus- und Weiterbildungsmöglichkeiten<br />

gesucht. Der Anteil der Suchenden, die entsprechende Informationen<br />

auch gefunden haben, liegt in dieser Berufsgruppe bei rund 92 Prozent. In der untersten<br />

ausgewiesenen Berufsgruppe (Maschinenbediener/innen und Montierer/innen;<br />

Hilfsarbeitskräfte, Soldaten) liegt der Anteil der Suchenden bei knapp 15 Prozent,<br />

und der Anteil der Suchenden in dieser Berufsgruppe, die entsprechende Informationen<br />

tatsächlich auch gefunden haben, bei rund 81 Prozent (vgl. ebd.: 77).<br />

Fazit: Wer hat, dem wird gegeben…<br />

Die Daten des Adult Education Survey »Erwachsenenbildung 2007« (Statistik Austria<br />

2009a) belegen für die Bildungsbeteiligung in Österreich die »Bildungskumulationsthese«<br />

(Gnahs 2001: 303). Benachteiligungen und Begünstigungen zu Beginn<br />

der Bildungskette wirken stark nach. Die Chancen auf Entwicklung und Entfaltung<br />

durch die <strong>Teilhabe</strong> an Lernaktivitäten im Erwachsenenalter sind ungleich verteilt.<br />

Ein sozioökonomischer und soziokultureller Startvorteil (soziale Herkunft, schulische<br />

und berufliche Erstausbildung) kann in eine entsprechend höherwertige berufliche<br />

Positionierung umgesetzt werden, die sich wiederum förderlich auf weitere<br />

Lernaktivitäten auswirkt. Der »Matthäus-Effekt« in Hinblick auf nicht-formale Lernaktivitäten<br />

wird deutlich sichtbar im nachweisbaren Zusammenhang zwischen Einkommenshöhe<br />

und Teilnahme an Weiterbildung und im Zusammenhang zwischen<br />

der beruflichen Positionierung und der Möglichkeit, in der bezahlten Arbeitszeit an<br />

Weiterbildung teilzunehmen. Der »Matthäus-Effekt« zeigt sich auch sehr deutlich<br />

in Hinblick auf informelle Lernaktivitäten. Damit wird offensichtlich, dass ungleiche<br />

Voraussetzungen zu einer differierenden Beteiligung führen. Es leitet sich die<br />

Erkenntnis ab, dass die Voraussetzungen von Erwachsenen in den Blick genommen<br />

werden müssen. Zu erwarten, dass Handlungen gesetzt werden – nämlich Lernaktivitäten<br />

im Erwachsenenalter –, für die die Voraussetzungen fehlen, entbehrt einer gewissen<br />

Logik und verweist auf die Notwendigkeit von kompensatorischer Erwachsenenbildung,<br />

die strukturellen und individuellen Gegebenheiten Rechenschaft trägt.<br />

Sonst bleibt das Potenzial von Lern- und Bildungsaktivitäten über die Lebensspanne<br />

auf bestimmte Gruppen beschränkt und das Konzept des lebenslangen Lernens muss<br />

sich weiterhin mit dem Vorwurf, elitär zu sein, konfrontieren lassen.<br />

2.3 Analyse von Begrifflichkeiten:<br />

sprechen über… und sprechen mit…<br />

Geht es um Fragen von Bildung und Beteiligung im Sinne von Teilnahme und<br />

Nicht-Teilnahme an Bildungsaktivitäten im Erwachsenenalter, so erscheint die Praxis<br />

der Benennung verschiedener Gruppen, die sich mehr oder weniger beteiligen<br />

- 66 -


(können), problematisch, wenn mit dem verwendeten Begriff auf ein Defizit verwiesen<br />

wird und wenn unterstellt wird, die so Bezeichneten wären eine homogene<br />

Gruppe und würden als verbindendes Moment dasselbe Defizit aufweisen. Gerät<br />

das Individuum mit seinen jeweiligen Stärken und Schwächen aus dem Blick, erscheint<br />

eine konstruierte Gruppe als gleichförmig und defizitär. Allerdings: Wenn<br />

feststellbare Benachteiligungen und Defizite und daraus resultierende Nachteile<br />

nicht benannt werden, verschwinden diese aus der bildungspolitischen und bildungspraktischen<br />

Aufmerksamkeit. Aber: Rhetorische Präsenz allein genügt natürlich<br />

nicht. So ist das Anliegen beim Sprechen über… und beim Sprechen mit…,<br />

Personen und Personengruppen nicht durch Begrifflichkeiten zu stigmatisieren und<br />

dennoch bestehende Benachteiligungen und Nachteile zu benennen.<br />

Ein pädagogisches Anliegen ist dadurch charakterisiert, dass es über eine bloße Zustandsbeschreibung<br />

hinausreicht. Pädagogisch Tätige möchten intentional erzieherisch<br />

und/oder bildend handeln. Wenn ihrem intentional erzieherischen und/oder<br />

bildenden Handeln eine gewisse Gerechtigkeitsvorstellung, die auf Ausgleich 41<br />

abzielt, zugrunde liegt, dann wird klar, dass bestimmte Gruppen erreicht werden<br />

wollen bzw. erreicht werden sollen. Die Erwachsenenbildung adressiert mit ihren<br />

Angeboten im Prinzip alle Erwachsenen; dass Erwachsene in unterschiedlichem<br />

Maße erreicht werden (können), kann mittels Statistiken belegt werden (siehe Abschnitt<br />

2.2). Es scheint ein Faktum zu sein, dass Entwicklungs- und somit <strong>Teilhabe</strong>chancen<br />

ungleich verteilt sind und feststellbare Unterschiede verursachen. Auch<br />

darf davon ausgegangen werden, dass es sich hierbei in erster Linie nicht um naturgegebene<br />

Unterschiede, sondern um gesellschaftlich produzierte bzw. zumindest<br />

um gesellschaftlich mit verursachte Unterschiede handelt. Daher werden auch<br />

Maßnahmen zur Reduktion der Benachteiligung geplant und umgesetzt. Wer gehört<br />

nun konkret zu den benachteiligten Personen Gerhild Brüning (2002) dokumentiert<br />

in ihrem Beitrag die »klassischen Zielgruppen der Förderprogramme« in<br />

Deutschland:<br />

»Erwachsene unter 25 Jahren ohne abgeschlossene Schul-/Berufsausbildung; Arbeitslose,<br />

Langzeitarbeitslose; Sozialhilfe-Empfänger/innen; Behinderte; Ausländer/innen, Aussiedler/<br />

innen; Alleinerziehende; Berufsrückkehrerinnen; An- und Ungelernte (Teilqualifizierte); Personen<br />

in ländlichen Regionen; Erwachsene mit Lernproblemen; Analphabeten, Post-Analphabeten;<br />

Strafgefangene; Ältere über 55 Jahre.« (Brüning 2002: 37)<br />

Zu ergänzen wäre hier für Österreich (anstelle der für Deutschland relevanten<br />

Gruppe der Aussiedler/innen) die zur Wohnbevölkerung gehörende Gruppe der<br />

Menschen mit Migrationshintergrund, die (noch) keine oder nur geringe Kenntnisse<br />

in ihrer Zweitsprache Deutsch erwerben konnten 42 und/oder beruflich gering<br />

qualifiziert sind und/oder entsprechende Arbeiten verrichten müssen. In Hinblick<br />

auf die Beteiligung an beruflich motivierter Weiterbildung sind unter Berücksichtigung<br />

der Daten zur Bildungsbe(nach)teiligung in Österreich (siehe Abschnitt 2.2)<br />

- 67 -


auch teilzeitbeschäftigte Personen sowie insbesondere Personen mit geringem Einkommen<br />

als benachteiligt zu nennen.<br />

Das Sprechen über… als Diskurs über als benachteiligt identifizierte Gruppen birgt<br />

immer die Gefahr der Stigmatisierung durch das Hervorheben von Negativ-Merkmalen.<br />

Beim Sprechen über… wird vielfach mit Begrifflichkeiten operiert, die aus<br />

einer soziologischen Perspektive bzw. aus einer Perspektive der quantitativ-empirischen<br />

Bildungsforschung notwendig sind oder notwendig scheinen. Vielfach geht<br />

es um ein Haben oder Nicht-Haben wie beispielsweise bei der Variable höchste abgeschlossene<br />

Schulbildung (Bildungsstand). Beim Sprechen mit… im Sinne einer<br />

gesellschaftlichen Kommunikation mit als benachteiligt identifizierten Personen<br />

bzw. Personengruppen erscheint es als problematisch, wenn wissenschaftsgebundene<br />

Begriffe, die zur Operationalisierung von bestimmten Phänomenen dienen,<br />

im öffentlichen Diskurs auftauchen. So verhält es sich beispielsweise mit dem häufig<br />

verwendeten Begriff des funktionalen Analphabetismus. 43 Andrea Linde (2004)<br />

fragt daher ironisch: »Sind Sie funktional alphabetisiert« (Linde 2004: 27) Die<br />

UNESCO, auf die die Bezeichnung »funktionaler Analphabetismus« zurückgeht<br />

(vgl. Hubertus 1995 zit. n. ebd.), wollte damit wohl die Gesellschaftsgebundenheit<br />

notwendiger Voraussetzungen im Sinne grundlegender Fähigkeiten und Fertigkeiten<br />

und auch deren Dynamik angesichts des gesellschaftlichen Wandels betonen.<br />

Im öffentlichen Diskurs den funktionalen Analphabetismus zu thematisieren,<br />

birgt allerdings die Gefahr von Zuschreibungsprozessen. Schließlich ist damit gemeint,<br />

dass schriftsprachliche Fähigkeiten und Fertigkeiten nicht in ausreichendem<br />

Maße vorhanden sind und daher die Betroffenen in unserer Gesellschaft und<br />

an ihren Arbeitsplätzen nicht wie gewünscht funktionieren. Der Begriff der Funktionalität<br />

mutet technokratisch an; »Analphabetismus« ist eine allumfassende Negativ-Zuschreibung,<br />

die den individuellen Menschen mit seinen Fähigkeiten und<br />

Fertigkeiten ignoriert.<br />

Im Folgenden werde ich einige Begriffe analysieren, die im Kontext von Bildung<br />

und gesellschaftlicher <strong>Teilhabe</strong> diskutiert werden bzw. in Verwendung sind. Es<br />

geht dabei nicht um eine vollständige Abbildung und Aufarbeitung, sondern um<br />

eine Diskussion der Begrifflichkeiten und insbesondere ihrer Bedeutungen. Abschließend<br />

werde ich die für diese Studie gewählte Benennungspraxis der Zielgruppe<br />

als bildungsbenachteiligte Erwachsene mit Basisbildungsbedarfen/-bedürfnissen<br />

begründen.<br />

Benachteiligung<br />

Der Begriff der Benachteiligung informiert darüber, dass behindernde und verhindernde<br />

Strukturen und Mechanismen am Werke sind. Bildungsbenachteiligt meint,<br />

dass Personen oder Gruppen mit ähnlichen Merkmalen weniger Möglichkeiten haben,<br />

ein Bildungsziel zu erreichen. Vielfach ist in diesem Zusammenhang auch<br />

von Bildungschancen die Rede; dieser Begriff bezeichnet die Möglichkeit von Personen<br />

oder Gruppen, an Bildung zu partizipieren. In industrialisierten, westlichen<br />

- 68 -


Ländern sind Bildungschancen vor allem von der sozialen Herkunft und weniger<br />

vom Geschlecht oder von der Religionszugehörigkeit abhängig. Folge einer Bildungsbenachteiligung<br />

ist eine schlechtere Ausstattung mit Bildung. In ihrer stärksten<br />

Form zeigt sich Bildungsbenachteiligung als tatsächlicher Ausschluss.<br />

Begünstigung – Bevorzugung<br />

Das Gegenstück zum Begriff bildungsbenachteiligt ist das Wort bildungsprivilegiert<br />

im Sinne einer Begünstigung und – deutlicher – einer Bevorzugung aufgrund<br />

bestimmter Merkmale. Diese Termini verweisen auf das Konstrukt der Chancen(un)<br />

gleichheit als (un-)gerechte Verteilung von Zugangs- und Lebenschancen. Ungleiche<br />

Ausgangsbedingungen und fehlende kompensatorische Maßnahmen führen zu<br />

sozialer Ungleichheit. Soziale Ungleichheit meint die asymmetrische Verteilung<br />

knapper und begehrter Güter auf gesellschaftliche Positionen und die so entstehenden<br />

vorteilhaften bzw. nachteiligen Lebensbedingungen von Menschen (vgl.<br />

Hradil 2000: 589ff.). Der Forderung nach Chancengleichheit wohnt eine gefährliche<br />

Konnotation inne, sie sei nämlich »ein Indikator dafür, dass es Ungleichheit<br />

gibt und geben soll. Denn Chancengleichheit wird als eine Wettbewerbsformel erkennbar,<br />

die der Leistungsgesellschaft unausweichlich eingeschrieben ist« (Sattler<br />

2008: 61). Soziale Gerechtigkeit als Wertvorstellung geht davon aus, dass soziale<br />

Ungleichheiten existieren und abgebaut werden sollen. Rechtliche und wirtschaftliche<br />

Rahmenbedingungen sollen zur Beseitigung der Ungleichheit führen und soziale<br />

Gerechtigkeit soll erzielt werden (vgl. Reinhold/Lamnek/Recker 2000: 206).<br />

Bildungsarmut<br />

Dieser Begriff bezeichnet die Abwesenheit von formaler Bildung, insbesondere die<br />

Abwesenheit von (verwertbaren) beruflichen Qualifikationen. So ist vielfach im arbeitsmarktpolitischen<br />

Kontext die Rede von Personen, die über geringe formale<br />

Qualifikationen verfügen. 44 Der Begriff der Bildungsarmut lehnt sich an den (soziologischen<br />

und sozialpädagogischen) Armutsbegriff an, der die Abwesenheit von<br />

vor allem materiellen Ressourcen signalisiert. Untersuchungen zu Bildungswegentscheidungen<br />

von Kindern und Jugendlichen verdeutlichen den massiven Einfluss<br />

des sozioökonomischen Hintergrundes der Familie (vgl. Schlögl 2009: 157).<br />

Bildungsarmut wird in Abhängigkeit zum erreichten Bildungsstand bestimmt und<br />

kann absolut oder in Relation zum Durchschnitt der Wohnbevölkerung gesetzt werden.<br />

Wird Bildungsarmut absolut verstanden, so wäre ein negativer Hauptschulabschluss<br />

bzw. keine über die Pflichtschule hinausgehende schulische oder berufliche<br />

Ausbildung das Kennzeichen für Bildungsarmut (vgl. ebd.: 158).<br />

Bildungsdefizit<br />

Anders als der Begriff der Bildungsarmut, der die sozioökonomischen Bedingungen<br />

des Aufwachsens von Kindern und Jugendlichen durch die Nähe zum Armutsbegriff<br />

explizit macht und somit eine Erklärung für Bildungsarmut ins Kalkül<br />

- 69 -


zieht, stellt der Begriff Bildungsdefizit einen Mangel fest. Dieser zugeschriebene<br />

Mangel betont die Abwesenheit von Bildung und verstärkt die Negativ-Perspektive<br />

durch die Fokussierung auf ein (abwesendes) Merkmal. So werden bestimmte<br />

gesellschaftliche Gruppen (beispielsweise Menschen mit geringen formalen Qualifikationen;<br />

siehe oben) als defizitär bezeichnet und (zumeist: umfassend) als defizitär<br />

wahrgenommen.<br />

(Weiter-)Bildungsbedarf<br />

Der Begriff Bildungsbedarf markiert ebenfalls etwas Abwesendes, legt allerdings<br />

– anders als die Feststellung eines Defizits – den Fokus auf eine Entwicklungsperspektive.<br />

Ein Bedarf bestimmt ausgehend von einem festgestellten Ist-Zustand<br />

den zu erreichenden Soll-Zustand in Abhängigkeit von den zugrunde gelegten Kriterien.<br />

Der Begriff des Bildungsbedarfs ist beispielsweise häufig in der berufsbezogenen<br />

Weiterbildung und der Personalentwicklung zu finden (siehe Arnold/<br />

Krämer-Stürzl/Siebert 1999: 173-178). Ein Ist-Soll-Abgleich mit impliziten oder<br />

expliziten Kriterien verleiht diesem Begriff eine konkrete Zielorientierung.<br />

(Weiter-)Bildungsabstinenz<br />

Der Begriff der Abstinenz in Zusammenhang mit (Weiter-)Bildung und Bildungsbenachteiligung<br />

mutet seltsam an, denn Abstinenz meint eine Form von bewusst<br />

gewünschter Enthaltsamkeit. In Anlehnung an Amartya Sen (2000) muss jedoch<br />

festgehalten werden, dass hungern zu müssen etwas anderes ist als fasten zu wollen<br />

(vgl. Sen 2000: 95). Es existieren vielfältige Barrieren, die Personen und Personengruppen<br />

von Bildung fernhalten. Der oben erläuterte Begriff der Bildungsarmut<br />

verweist auf sozioökonomische Barrieren, die insbesondere im Kindes- und<br />

Jugendalter wirksam sind und Bildungsbenachteiligung erzeugen. Im Erwachsenenalter<br />

setzt sich zum einen die früher erfahrene Bildungsbenachteiligung fort<br />

(Stichwort: »Matthäus-Effekt«), zum anderen sind Barrieren wirksam, die eine bewusst<br />

gewünschte Enthaltsamkeit als Erklärungsansatz wenig plausibel erscheinen<br />

lassen (siehe dazu Abschnitt 2.4).<br />

Bildungsfern – bildungsnah/Bildungsaffinität<br />

Der Begriff bildungsfern bezieht sich auf den Bildungsstand der Eltern und ist somit<br />

in erster Linie ein soziologischer Arbeitsbegriff. Er fokussiert – ähnlich wie der<br />

Begriff der Bildungsarmut – die sozioökonomischen familialen Verhältnisse: den<br />

Bildungsstand und die Berufsposition der Eltern sowie das Familieneinkommen<br />

(Schicht, Milieu 45 – sozioökonomische Merkmale und die soziokulturelle Ausstattung,<br />

wie beispielsweise der Wohnort, finden Berücksichtigung). Bildungsfern<br />

wird häufig als Bezeichnung für so genannte Problem- oder Randgruppen verwendet.<br />

Zudem wird der Begriff vielfach auf deren schwierig erscheinende Arbeitsmarktintegration<br />

bezogen – bildungsfern meint damit letztlich wenig geeignet oder<br />

ungeeignet für den Arbeitsmarkt. Er unterstellt eine vorsätzliche Distanz des Indi-<br />

- 70 -


viduums zu Lernen und Bildung. 46 Erfolgt die Zuschreibung weiterbildungsfern,<br />

verschleiert diese Begriffsverwendung die Bedeutung der sozioökonomischen und<br />

soziokulturellen Lebensbedingungen im Kindes- und Jugendalter (Stichwort: Bildungswegentscheidungen)<br />

sowie sich fortsetzende kumulative Nachteile und Benachteiligungen<br />

im Erwachsenenalter (Einfluss von Berufsposition, Einkommen,<br />

Lebenssituation und Lebenslage etc.).<br />

Lernungewohnt – weiterbildungsungewohnt<br />

Personen als lernungewohnt zu beschreiben, suggeriert, die so Bezeichneten hätten<br />

noch nie oder schon sehr lange nicht(s) mehr gelernt. Diese Annahme denkt Lernen<br />

als Aktivität, die in offiziellen Einrichtungen bzw. organisierten Lernkontexten<br />

stattfindet. Daneben existiert aber auch ein Lernen, das sich nebenbei und beiläufig<br />

vollziehen kann, das nicht bewusst selbst initiiert und nicht bewusst zielgerichtet<br />

als Lernaktivität betrieben wird, aber zu einem Zuwachs an Wissen, Fertigkeiten<br />

oder Kompetenzen führt. 47 Da es darüber hinaus im Alltag vielfältige Lernanlässe<br />

gibt, die eine Lernanstrengung und/oder einen Lernerfolg bewirken, ist demnach<br />

wohl kaum jemand wirklich lernungewohnt. Das Konzept des informellen Lernens<br />

wertet intentionales Lernen und teilweise auch das Lernen »en passant« auf. Personen,<br />

die selten oder nie an formalen und nicht-formalen Weiterbildungsangeboten<br />

teilnehmen, könnten als weiterbildungsungewohnt bezeichnet werden – unter der<br />

Voraussetzung, dass Weiterbildung als Systembegriff verstanden wird. Es darf davon<br />

ausgegangen werden, dass ein gewisser Anteil dieser Personen über wenig positive<br />

Erfahrungen mit Lernaktivitäten, die an Institutionen gebunden sind/waren,<br />

verfügen. Aufgrund dessen ist es wahrscheinlich, dass im Weiterbildungssystem<br />

notwendige Lernstrategien kaum entwickelt werden konnten. Hier eröffnet sich<br />

wiederum eine Anbindung an den Begriff der Bildungsbenachteiligung. Schließlich<br />

ist davon auszugehen, dass den wenigen und den wenig positiven Lernerfahrungen<br />

gewisse Ursachen zugrunde liegen und dass die Herstellung eines positiven<br />

Bezugs zum Lernen nicht wirklich gefördert wurde.<br />

Bildungsbenachteiligte Personen mit Basisbildungsbedarfen/-bedürfnissen<br />

Personen, die sich selten oder nie an Bildungsaktivitäten beteiligen wollen/können,<br />

dürften dafür unterschiedliche und möglicherweise gute Gründe haben. Es<br />

ist denkbar, dass die für eine Beteiligung an Lernaktivitäten scheinbar oder tatsächlich<br />

notwendigen Voraussetzungen nicht erworben werden konnten. Schätzungen,<br />

die sich auf die österreichische Bevölkerung beziehen, gehen von mindestens<br />

300.000 Erwachsenen 48 als Größenordnung für notwendige Basisbildungsprogramme<br />

aus (vgl. Schneeberger/Petanovitsch/Schlögl 2008: 51). Es liegen höhere<br />

Schätzungen vor, die von 670.000 bis 1,34 Millionen Betroffenen sprechen; insgesamt<br />

wären das 10 bis 20 Prozent der über 15-jährigen Bevölkerung (vgl. Rath<br />

2007: 3). Die nationalen PISA-Ergebnisse zeigen, dass gut ein Fünftel der Schulabgänger/innen<br />

»elementare Leseaufgaben nicht routinemäßig lösen kann« (Schnee-<br />

- 71 -


erger/Petanovitsch/Schlögl 2008: 51). Die sich angesichts dieser Einschätzung<br />

stellende Frage der Prävention muss an anderer Stelle, nämlich im vorschulischen<br />

und schulischen Bildungssystem, geklärt werden. Die Frage der Kompensation allerdings<br />

betrifft die Erwachsenenbildung. Wird aus erwachsenenpädagogischer<br />

Perspektive über diese Zielgruppe gesprochen, sollte sie als bildungsbenachteiligt<br />

bezeichnet werden. Damit wird nämlich deutlich zum Ausdruck gebracht, dass<br />

diese Personen Bildungsbenachteiligung erfahren haben. Diese Perspektive nimmt<br />

die äußeren Rahmenbedingungen, die sozialen Umfeldbedingungen, die familialen,<br />

schulischen, ausbildungs- und berufsbezogenen Entwicklungsbedingungen in<br />

den Blick. In der vorliegenden Studie ist die Frage nach möglichen Ursachen für<br />

Basisbildungsbedarfe/-bedürfnisse nicht zentral, aber es muss davon ausgegangen<br />

werden, dass Benachteiligungen erfahren und Beschädigungen erlitten wurden<br />

(siehe dazu Abschnitt 3.2.2).<br />

Durch die bewusste Verwendung des Benachteiligungsbegriffs wird deutlich, dass<br />

die Verantwortung nicht in erster Linie dem Individuum zugeschrieben wird. Mit<br />

der zusätzlichen Bezeichnung Basisbildungsbedarfe/-bedürfnisse kann auf bestimmte<br />

grundlegende Wissensbestände, Fähigkeiten und Fertigkeiten hingewiesen<br />

werden, ohne beim Sprechen über… stigmatisierend zu sein. Daher verwende ich<br />

die Bezeichnung bildungsbenachteiligte Erwachsene mit Basisbildungsbedarfen/<br />

-bedürfnissen, wenn ich über die Zielgruppe spreche. Ich folge damit der pointierten<br />

Differenzierung, die Ekkehard Nuissl vorgenommen hat: »Unter Bedarf wird<br />

gemeinhin die ‚objektivierte‘ Seite von Bedürfnis verstanden. Bedürfnis folgt dem<br />

individuellen Interesse, Bedarf der gesellschaftlichen Notwendigkeit (oder was<br />

man dafür hält).« (Nuissl 2000: 16; Hervorh. v. MK; siehe dazu auch Abschnitt<br />

3.2.3 und Abschnitt 3.2.4) Die Verwendung der beiden Begriffe im Plural soll die<br />

als notwendig erachtete inhaltliche Offenheit signalisieren.<br />

Basisbildungsangebote sind Angebote der Erwachsenenbildung. Erwachsene können<br />

sich für Angebote entscheiden. Es scheint nicht unbedingt notwendig zu sein,<br />

in der Kommunikation mit Personen, die als der Zielgruppe des Angebotes zugehörig<br />

betrachtet werden, diese zu spezifizieren (sprechen über…). Sinnvoll mutet<br />

es vielmehr an zu beschreiben, was die Annahme eines solchen Angebotes bewirken<br />

könnte, wie beispielsweise die Erweiterung von Wissensbeständen oder das<br />

Auffrischen von Fähigkeiten und Fertigkeiten oder das Gewinnen von Sicherheit<br />

in Hinblick auf etwas. Mögliche Potenziale eines Angebotes, die sich auf die Entwicklung<br />

und Entfaltung und Erweiterung von <strong>Teilhabe</strong> beziehen, sollten aus der<br />

Perspektive von potenziellen Teilnehmenden beschrieben werden. Diese Beschreibung<br />

sollte sich nicht an einem unterstellten generalisierten Defizit orientieren,<br />

sondern mögliche individuelle Bedarfe und Bedürfnisse (Interessen, Wünsche, Anliegen)<br />

ansprechen (sprechen mit…).<br />

- 72 -


2.4 Beteiligung an Weiterbildung: was motiviert, was behindert<br />

Die individuellen Entscheidungsprozesse, die zu einer Teilnahme oder Nicht-Teilnahme<br />

an Weiterbildung führen, sind vielschichtig. Sie werden von gesellschaftlich<br />

geformten strukturellen Bedingungen (insbesondere von zeitlichen und finanziellen<br />

Ressourcen) beeinflusst. Die individuellen Voraussetzungen und Beweggründe,<br />

die ebenfalls auf Entscheidungsprozesse einwirken, können zudem in vielen Fällen<br />

nicht zur Gänze geklärt werden. Für das erwachsenenpädagogische Handeln ist<br />

eine Annäherung an dieses Konglomerat aus strukturellen Bedingungen und individuellen<br />

Voraussetzungen und Beweggründen jedoch von großer Bedeutung. Zum<br />

einen aus einer kritischen Perspektive, wie sie Horst Siebert (2006) formuliert:<br />

»Das Interesse an Forschungen zur Lernmotivation Erwachsener scheint nachgelassen zu haben.<br />

Es drängt sich die Vermutung auf, dass sich das (politische, ökonomische, gesellschaftliche)<br />

‚System‘ für Funktionen, Strukturen, Kosten-Nutzen-Relationen, aber kaum noch für die<br />

Motive von Personen interessiert. Wenn Menschen als Humankapital, als Humanressource, als<br />

Wirtschaftsfaktor verrechnet werden, wird lebenslanges Lernen zu einer ökonomischen Variable.<br />

Subjektive Gründe und Befürchtungen spielen dann keine Rolle – es sei denn als Störfaktoren.<br />

Wo aber die Systemzwänge ausschlaggebend sind, erscheint eine pädagogische Motivationsforschung<br />

überflüssig.« (Siebert 2006: 116)<br />

Zum anderen haben Entscheidungsprozesse und insbesondere die ihnen zugrunde<br />

liegenden Faktoren Auswirkungen auf das Verhalten der Teilnehmenden in den jeweiligen<br />

Lehr-Lern-Situationen. Sich diesem Konglomerat verstehend anzunähern,<br />

gehört zur Schaffung von Grundlagen, die eine Beachtung des erwachsenenpädagogischen<br />

Prinzips der Orientierung an den Teilnehmenden ermöglichen.<br />

Die Frage nach den Motiven und nach der Motivation – warum ein Mensch handelt<br />

und warum er welche Handlungen setzt – ist untrennbar mit der jeweiligen Persönlichkeit<br />

verbunden und gehört somit in den Themenbereich der Psychologie. Zentrale<br />

Teilbereiche hiervon sind die Motivations- und die Persönlichkeitspsychologie (vgl.<br />

Kuhl 2001: 5). Die Motivationspsychologie rückt »Aktivitäten, die das Verfolgen eines<br />

angestrebten Ziels erkennen lassen und unter diesem Gesichtspunkt eine Einheit<br />

bilden« (Heckhausen/Heckhausen 2006: 1), ins Zentrum der Aufmerksamkeit. Julius<br />

Kuhl (2001) nennt sechs persönlichkeitspsychologische Kernfragen, die in ihren<br />

Auswirkungen die Unterschiedlichkeit von Menschen, deren Persönlichkeit, konstituieren<br />

und interindividuell unterschiedliches Handeln in scheinbar ähnlichen Situationen<br />

beobachtbar machen. Diese persönlichkeitspsychologischen Kernfragen sollen<br />

im Folgenden kurz wiedergegeben werden (vgl. Kuhl 2001: 69):<br />

• Angst und Verdrängung: Bedrohliches oder Unangenehmes kann intensiv durchlebt<br />

bzw. erlebt werden. Es kann aber auch ohne große Anstrengung ausgeblendet<br />

werden.<br />

- 73 -


• Soziale Motive: Menschlichen Zielen liegen Grundmotive – sozialer Anschluss<br />

und Nähe, Autonomie und Macht sowie Problemlösen und Leistung – zugrunde.<br />

• Entfremdung, Sachlichkeit, Echtheit: Es lassen sich Unterschiede hinsichtlich<br />

des bewussten Zugangs zu den eigenen, aber auch zu fremden Gefühlen feststellen,<br />

und inwiefern sich Menschen von ihren eigenen Gefühlen und Bedürfnissen,<br />

aber auch von denen anderer Menschen leiten lassen.<br />

• Willensstärke: Die Verwirklichung erreichbarer Ziele hängt von der Fähigkeit<br />

ab, Aufmerksamkeit, Energie, Motivation, Wissen und Fertigkeiten entsprechend<br />

zu koordinieren bzw. einzusetzen.<br />

• Regression und Fixierung: In belastenden Situationen kann die bewusste Selbststeuerung<br />

und Selbstbestimmung ausfallen, vielfach wird auch auf einfachere<br />

Verhaltens- und Erlebnisweisen zurückgegriffen. Eine Fixierung auf hinderliche<br />

Gefühle, Gedanken und Verhaltensmuster kann die Folge sein.<br />

• Selbstverwirklichung: Es lassen sich Unterschiede hinsichtlich des Ausmaßes,<br />

in dem die eigenen Fähigkeiten, Bedürfnisse, Werte, Verpflichtungen frei und<br />

selbstbestimmt verwirklicht werden können, feststellen.<br />

Zugegebenermaßen oberflächlich betrachtet, resultieren diese sechs persönlichkeitspsychologischen<br />

Dimensionen von Unterschieden zwischen Menschen einerseits aus<br />

der Veranlagung im Sinne von möglicherweise festgelegten Charakterdispositionen<br />

und andererseits – gerade für das erwachsenenpädagogische Handeln von immenser<br />

Bedeutung – aus der jeweiligen Lebensgeschichte: In welche Familie wird ein<br />

Mensch hineingeboren Welche Bezugspersonen hat dieser Mensch im Verlauf seines<br />

Aufwachsens und Lebens und welche dieser Bezugspersonen ist/sind prägend in<br />

eher positivem oder eher negativem Sinne Welche Erlebnisse müssen verarbeitet<br />

werden Welche Förderungen lassen diesen Menschen wachsen Welche Benachteiligungen<br />

beeinflussen seine Entwicklung und sein Fortkommen Kurzum: Unsere<br />

Persönlichkeit prägt unsere Lebensgeschichte und gestaltet diese dadurch mit, und<br />

unsere Lebensgeschichte prägt unsere Persönlichkeit und formt diese mit. Werden<br />

Lern- und Bildungsprozesse fokussiert, können diese sechs persönlichkeitspsychologischen<br />

Kernfragen als Hintergrundinformation dienen und zum Verständnis dieser<br />

Prozesse beitragen. Beispielsweise ist bekannt, dass Erwachsene vielfach das soziale<br />

Motiv des Anschlusses und der Nähe, das ihnen eine Kursteilnahme eröffnet, schätzen.<br />

Lernblockaden oder Lernwiderstände in erwachsenenpädagogischen Settings<br />

können als Regression und Fixierung verstanden werden. Der Wunsch nach Selbstverwirklichung<br />

kann Anlass sein, sich in einen Lern- und/oder Bildungsprozess zu<br />

begeben. Darauf zielen beispielsweise feministische Bildungsangebote ab, aber auch<br />

künstlerisch-kreative Angebote bieten hierfür einen Raum.<br />

Was sind nun Motive<br />

»Motive beruhen auf der impliziten Repräsentation ausgedehnter Netzwerke von Situationen<br />

und Handlungen, die zur Befriedigung sozialer Bedürfnisse von Belang sein können, und füh-<br />

- 74 -


en zu Unterschieden zwischen Personen in der Bereitschaft, bestimmte Klassen von Zielen<br />

anzustreben, angetroffene Situationen im Sinne der vorherrschenden Bedürfnislage zu interpretieren<br />

bzw. zu verändern oder neue Situationen aufzusuchen oder zu schaffen, die dem dominanten<br />

Motiv entgegenkommen.« (Kuhl 2001: 120)<br />

Diese Definition klingt meines Erachtens doch etwas sperrig, daher versuche ich<br />

sie im Folgenden vor dem Hintergrund meines Erkenntnisinteresses zu lesen. Zuvor<br />

ist allerdings noch von Interesse, was ein Bedürfnis ist, denn in der oben angeführten<br />

Definition wird die »Befriedigung sozialer Bedürfnisse« als Zieldimension<br />

eines Motivs eingeführt:<br />

»Ein Bedürfnis ist der subkognitive und subaffektive Kern eines Motivs, der dessen Sollwert<br />

definiert, also wieviel zwischenmenschliche Interaktion (Affiliationsmotiv), wieviel Bewältigung<br />

schwieriger Aufgaben (Leistungsmotiv) oder wieviel Durchsetzung eigener Interessen<br />

jemand braucht, bis die Folgen einer Diskrepanz zwischen dem motivspezifischen Sollwert<br />

und dem Ist-Zustand beseitigt sind […] oder bis das angestrebte Ausmaß an positivem Affekt<br />

erreicht ist (der durch die Verringerung der Ist-Sollwert Diskrepanz ansteigt).« (ebd.: 121)<br />

Um zu erkennen, dass es eine Situation oder Handlung gibt, die eine Bedürfnisbefriedigung<br />

ermöglicht, muss eine entsprechende Repräsentation bekannt oder zumindest<br />

vorstellbar sein. Durch Bildung privilegierte Erwachsene verfügen über<br />

eine implizite Repräsentation der Potenziale von Weiterbildungsangeboten, damit<br />

meine ich, dass sie während ihres Lebens Bildung vielfach als gewinnbringend<br />

und sinnstiftend erfahren haben. Sie konnten einen neutralen bis positiven Bezug<br />

zu Bildung und Weiterbildung, zum Lernen insgesamt aufbauen. Bildungsbenachteiligte<br />

Erwachsene verfügen möglicherweise nicht über die implizite Repräsentation<br />

von Bildungsangeboten und deren Potenziale. Selbstverständlich wird nicht<br />

jedes Bedürfnis, »der subkognitive und subaffektive Kern eines Motivs« (ebd.),<br />

zu einer Lernaktivität und/oder einer Bildungsteilnahme führen – andere Aktivitäten<br />

sind zur Bedürfnisbefriedigung möglicherweise besser geeignet, aber: Kursteilnahme<br />

und daraus resultierende erhoffte oder tatsächlich erwartbare Effekte (z.B.<br />

ein Zertifikat) könn(t)en in bestimmten Lebensphasen ein möglicher »Sollwert«<br />

sein. Wie verhält es sich, wenn die Möglichkeit zur »Verringerung der Ist-Sollwert<br />

Diskrepanz« (ebd.) nicht gegeben ist, wenn beispielsweise der Kurs zu teuer oder<br />

der Kursort nicht erreichbar ist oder wenn überhaupt nicht bekannt ist, dass es ein<br />

solches Angebot gibt<br />

Was wird nun unter Motivation im Unterschied zu einem Motiv verstanden Motivation<br />

ist: »Der Prozess der Initiierung, der Steuerung und der Aufrechterhaltung<br />

physischer und psychischer Aktivitäten; einschließlich jener Mechanismen, welche<br />

die Bevorzugung einer Aktivität sowie die Stärke und Beharrlichkeit von Reaktionen<br />

steuern.« (Zimbardo/Gerrig 2004: 503) Noch etwas detaillierter ist die folgende<br />

Definition von Klaus Schneider und Heinz-Dieter Schmalt:<br />

- 75 -


»Motivation ist ein prozeßhaftes Geschehen, in dem Handlungsziele herausgebildet und das<br />

Verhalten und Erleben auf diese Ziele ausgerichtet werden. Eine solche Motivation entsteht<br />

durch das Zusammenwirken von situativen Anreizen und Motiven. Umweltgegebenheiten, die<br />

eine motivationale Bedeutung haben, werden durch die Motive hinsichtlich ihrer Bedeutung<br />

bewertet, sie gewinnen dadurch einen Aufforderungscharakter, der zum Handeln motiviert.«<br />

(Schneider/Schmalt 2000: 34f.)<br />

Jutta Heckhausen und Heinz Heckhausen (2006) stellen fest, dass die Motivationspsychologie<br />

»die Richtung, Persistenz und Intensität von zielgerichtetem Verhalten<br />

zu erklären« (Heckhausen/Heckhausen 2006: 3) versucht, wobei »personenbezogene<br />

und situationsbezogene Faktoren« (ebd.) zum Tragen kommen. Sie<br />

schlagen ein Modell zu »Determinanten und Verlauf motivierten Handelns« vor,<br />

das wie folgt aussieht: Ausgangspunkt ist eine Person mit Bedürfnissen, Motiven<br />

und Zielen (1) sowie eine Situation, die Gelegenheiten und/oder mögliche Anreize<br />

bietet (2), danach folgt die Interaktion zwischen Person und Situation (3), danach<br />

folgt die Handlung (4), daraus das Ergebnis (5) und am Schluss stehen die Folgen<br />

(6) wie langfristige Ziele, Fremd- und Selbstbewertung, materielle Vorteile (vgl.<br />

ebd.). Mit Hilfe dieses Modells wird versucht, eine eher vereinfachende Darstellung<br />

komplexer Zusammenhänge vorzunehmen (das liegt in der Natur der Sache<br />

und soll hier nicht kritisiert werden). Interessant erscheint mir, dass Person (1) auf<br />

Situation (2) trifft und Interaktion (3) stattfindet und daraus die Handlung (4) folgt.<br />

Dieses lineare Modell ist die Idealvorstellung von Bildungsbeteiligung bzw. Teilnahmemotivation:<br />

Interaktion zwischen Person und Situation führt zur Handlung<br />

= Kursteilnahme. Doch vielfältige Barrieren struktureller Art können diese Handlung<br />

verunmöglichen, wie beispielsweise ein teurer Kurs oder unpassende Kurszeiten<br />

(ungeeignete Situation) oder überhaupt die Unkenntnis über ein mögliches<br />

Angebot (keine Situation). Situationsimmanente Anreize können wiederum die Interaktion<br />

positiv beeinflussen (passende Situation). Desgleichen können »[e]xternale<br />

Reize oder Belohnungen, die Verhalten motivieren, obwohl sie nicht in direktem<br />

Bezug zu einem biologischen Bedürfnis stehen« (Zimbardo/Gerrig 2004: 505),<br />

zur Handlung motivieren. Jutta Heckhausen und Heinz Heckhausen (2006) definieren<br />

»Anreiz« wie folgt:<br />

»Alles was Situationen an Positivem oder Negativem einem Individuum verheißen oder andeuten,<br />

wird als ‚Anreiz‘ bezeichnet, der einen ‚Aufforderungscharakter‘ zu einem entsprechenden<br />

Handeln hat. Dabei können Anreize an die Handlungstätigkeit selbst, das Handlungsergebnis<br />

und verschiedene Arten von Handlungsergebnisfolgen geknüpft sein.« (Heckhausen/<br />

Heckhausen 2006: 5)<br />

Bei den Situationsfaktoren werden intrinsische und extrinsische Anreize unterschieden.<br />

Die Rede ist vom »Druck und Zug, der von der Situation ausgeht«<br />

(ebd.). Intrinsische Anreize resultieren aus der Tätigkeit selbst oder aus deren Er-<br />

- 76 -


gebnis (vgl. ebd.). Extrinsische Handlungsanreize resultieren aus den Folgen von<br />

Handlung und Ergebnis (siehe oben). Die Situationsfaktoren stehen gleichwertig<br />

neben den Personenfaktoren, den impliziten und expliziten Motiven. 49 Implizite<br />

Motive sind »in der frühen Kindheit gelernte emotional getönte Präferenzen (habituelle<br />

Bereitschaften), sich immer wieder mit bestimmten Arten von Anreizen auseinanderzusetzen<br />

(McClelland, Koestner & Weinberger, 1989)« (ebd.: 4; vgl. dazu<br />

auch Brunstein 2006: 236f.). Intrinsische Motivation kann verstanden werden als<br />

Bedürfnis nach Selbstbestimmung und Kompetenz, als Interesse und Involviertheit<br />

und als Übereinstimmung von Mittel und Zweck sowie als das Aufgehen im Tätigsein<br />

50 (siehe dazu Rheinberg 2006). Implizite Motive prägen unseren Umgang<br />

mit den drei großen Motiven »Leistung, Anschluss und Macht« (vgl. Heckhausen/<br />

Heckhausen 2006: 4). Im Zusammenhang mit Fragen der Weiterbildungsbeteiligung<br />

ist das Leistungsmotiv – »[d]as unterstellte grundlegende menschliche Bedürfnis,<br />

nach der Erreichung von Zielen zu streben, welches eine große Bandbreite<br />

von Verhalten und Denkprozessen motiviert« (Zimbardo/Gerrig 2004: 532)<br />

– von Interesse. Eine Studie von David McClelland und Carol Franz aus dem<br />

Jahr 1992 hat gezeigt, dass Kinder, die mit hohem Leistungsdruck erzogen worden<br />

waren, ein stärker ausgeprägtes Leistungsmotiv aufwiesen. Außerdem wurde<br />

festgestellt, dass diese Kinder als Erwachsene vergleichsweise mehr verdienten<br />

(Gehalt als Maßeinheit) als diejenigen, die ohne Leistungsdruck erzogen worden<br />

waren. Daraus kann der Schluss gezogen werden, dass das Ausmaß des individuellen<br />

Leistungsmotivs bereits in den ersten Lebensjahren grundgelegt wird (vgl.<br />

ebd.: 533). 51 Explizite Motive sind im Gegensatz zu den impliziten Motiven »bewusste,<br />

sprachlich repräsentierte (oder zumindest repräsentierbare) Selbstbilder,<br />

Werte und Ziele, die sich eine Person selbst zuschreibt« (ebd.; vgl. dazu auch Brunstein<br />

2006: 237). Es wird davon ausgegangen, »dass bedeutsame menschliche Motivation<br />

nicht aus den objektiven Realitäten der externalen Welt entsteht, sondern<br />

aus der subjektiven Interpretation der Realität« (ebd.: 509). Und wie Menschen die<br />

Realität interpretieren, hängt in hohem Maße von ihrer Persönlichkeit, ihrer Biografie,<br />

ihren Lernerfahrungen, ihrer Lebenslange und ihrer Lebenssituation ab.<br />

Wie kommt es nun zu motiviertem Handeln Die Motivation entsteht aus dem Zusammenwirken<br />

von Situation und Person. Der »Aufforderungscharakter, der zum<br />

Handeln motiviert« (Schneider/Schmalt 2000: 35), führt zum Begriff der Volition<br />

(Intentionsbildung), d.h. zur Frage, »wie die handelnde Umsetzung einer bereits<br />

gesetzten Zielintention reguliert wird« (Achtziger/Gollwitzer 2006: 281). Hier ist<br />

der Erklärungsansatz, der mit dem so genannten »Rubikon-Modell« vorliegt, aufschlussreich<br />

(vgl. ebd.: 278-281; vgl. dazu auch Kuhl 2001: 143f.). Das Rubikon-<br />

Modell unterscheidet vier Handlungsphasen. Die erste Phase dient dem Abwägen,<br />

hier kommt es zur Intentionsbildung, die Motivation steht im Zentrum, und es<br />

wurde noch keine Entscheidung getroffen. Bevor es zur zweiten Phase, dem Planen,<br />

kommt – hier geschieht der Übergang zur Volition –, muss »der ‚Rubikon‘<br />

vom Wunsch zum Ziel« (ebd.: 279) überschritten werden. Durch das Überschrei-<br />

- 77 -


ten des Rubikons »entsteht ein Gefühl der Verpflichtung, dieses Ziel auch wirklich<br />

in die Tat umzusetzen« (ebd.). Die zweite Phase (Planung) ist präaktional. Darauf<br />

folgt die dritte Phase, in der die Handlung gesetzt und vollzogen wird. In der vierten<br />

Phase wird die Handlung abgeschlossen und im Rückgriff auf die Motivation<br />

bewertet: Einschätzung der Zielerreichung, des Erfolgs im Sinne positiver Konsequenzen,<br />

Erledigung der Handlungsintention oder Erkennen der Notwendigkeit<br />

möglicher weiterer Handlungen.<br />

Welche Erkenntnisse liegen nun für den Bereich der Beteiligung an Bildung (Teilnahmemotivation)<br />

und für den Bereich der Lernmotivation vor Horst Siebert hat<br />

mit »Lernmotivation und Bildungsbeteiligung« (2006) ein Standardwerk für die<br />

Erwachsenenbildung vorgelegt. Die von ihm zusammengefasst dargestellten Lernund<br />

Motivationstheorien 52 sollen im Folgenden kurz wiedergegeben werden. Alle<br />

beschriebenen Theorien bieten ein gewisses Erklärungspotenzial; in ihrer Gesamtheit<br />

geben sie Aufschluss über Teilnahme- und Lernmotivation. 53<br />

Behavioristische Zugänge konzentrieren sich in ihrer Vorstellung des Lernens auf<br />

das Setzen eines Reizes, auf den eine Reaktion folgt, wobei Verstärkung – im positiven<br />

Sinne als Lob und im negativen Sinne als Tadel bzw. Bestrafung – das<br />

pädagogische Moment ist. Nachahmung, das so genannte Lernen am Modell, insbesondere<br />

durch Beobachtung der Eltern oder Lehrpersonen, gehört ebenfalls zu<br />

diesem Paradigma. Als Feedback finden wir die Verstärkung auch in Kursen der<br />

Erwachsenenbildung; kritisiert werden bei dieser Lerntheorie die Fremdsteuerung,<br />

das Anpassungslernen (Lernen auf Abruf) sowie die Abhängigkeit von einer Autorität<br />

(vgl. Siebert 2006: 66f.).<br />

Bei der Leistungsmotivation wird der Zusammenhang zwischen den Fähigkeiten<br />

von Personen und den gesellschaftlichen Handlungsanforderungen in den Mittelpunkt<br />

gerückt. Nicht die subjektiven Bedürfnisse, sondern die quasi objektiven Leistungsanforderungen<br />

werden als Motiv und Motivation betrachtet (vgl. ebd.: 67). Die<br />

Rede ist von einer sich daraus ergebenden »Handlungsnotwendigkeit« (Rosemann<br />

1974: 63 zit. n. ebd.: 68). Leistung zählt wie sozialer Anschluss und Macht zu den<br />

drei großen Motiven (vgl. Heckhausen/Heckhausen 2006: 4; siehe oben). Sie ist<br />

daher durchaus positiv besetzt. Allerdings ist übermäßiges Leistungsstreben abgekoppelt<br />

von den Zielen und Zwecken der eigentlichen Leistung und das kann negative<br />

Folgen zeitigen (vgl. Siebert 2006: 68f.).<br />

Humanistische Ansätze von Lern- und Motivationstheorien beziehen sich auf die<br />

Verwirklichung von Autonomie und Mündigkeit durch Bildung. Dieser Ansatz, der<br />

auf Wilhelm von Humboldt (neuhumanistische Bildungstheorie) zurückgeht, betont<br />

die Entfaltung der Potenziale und die Erweiterung von Kompetenzen (vgl.<br />

ebd.: 69f.). Ein prominenter Vertreter dieses Ansatzes aus dem Bereich der humanistischen<br />

Psychologie ist Abraham Maslow mit seiner Taxonomie menschlicher<br />

Bedürfnisse, der so genannten »Bedürfnispyramide«, an deren Basis biologische<br />

Grundbedürfnisse (wie Nahrung und Wasser) sowie Sicherheit und an deren<br />

Spitze Selbstverwirklichung und Weltverständnis stehen. 54 Erich Fromm, in der<br />

- 78 -


Tradition der humanistischen Philosophie stehend, hat seine gesellschaftstheoretischen<br />

Überlegungen in einen humanistischen Lernbegriff übertragen (vgl. ebd.:<br />

72ff.). Die von ihm getroffene Unterscheidung charakterisiert das Lernen im Modus<br />

des Habens als »Anhäufung von Wissen« (ebd.: 74) und das Lernen im Modus<br />

des Seins als »selbstgesteuert, nachhaltig, reflexiv« (ebd.)<br />

Politische Lern- und Motivationstheorien, zur politischen bzw. kritischen Psychologie<br />

gehörend, haben als Ausgangspunkt die politische Verantwortung der Bürger/innen.<br />

Daher rührt das Bemühen der Erwachsenenbildung, die Motivation zum<br />

politischen Lernen und zum politischen Engagement zu fördern (vgl. ebd.: 74). 55<br />

Die Lerntheorie von Klaus Holzkamp, der kritischen Psychologie zuordenbar, verbindet<br />

Motivation mit Begründung, d.h. mit der emotional-motivationalen Begründungsstruktur.<br />

Die Gründe für das Lernen resultieren aus Handlungsproblematiken<br />

(Problemen, Hindernissen, Aufgaben). Expansives Lernen meint die Erweiterung<br />

von Handlungskompetenzen; Lernen als Reaktion auf äußere Handlungsanforderungen<br />

ist defensiv (vgl. ebd.: 76f.).<br />

Die Interessentheorie rückt das Interesse an einem Gegenstand in den Mittelpunkt.<br />

Das Interesse verweist auf die pädagogischen Kernelemente Themen und Inhalte –<br />

das Interesse ist die Beziehung zwischen der Person und dem Lerngegenstand (vgl.<br />

ebd.: 77) und »Interessen sind Grundlagen für eine stabile Lernmotivation« (ebd.:<br />

78). Interessen entstehen im Laufe unseres Lebens, sie stiften und prägen – als »generative<br />

Themen« (ebd.) – unsere Identität und sind gleichzeitig mit unserer (Lebens-)Welt<br />

verbunden, eingebunden in den gesellschaftlichen Kontext und oft hervorgegangen<br />

aus Interaktionen, meist mit Bezugspersonen (vgl. ebd.). 56 So weisen<br />

neue Interessen von Erwachsenen zumeist biografische Anschlussfähigkeit auf, gehen<br />

oftmals auf kritische Lebensereignisse und/oder soziale Kontakte bzw. Kommunikation<br />

zurück (vgl. ebd.: 79). 57<br />

Systemischen Konzepten von Lernen und Motivation wohnt die ganzheitliche Sichtweise<br />

inne, dass zwischen gesellschaftlichen und individuellen Faktoren eine Wechselwirkung<br />

besteht. Die »Feldtheorie« von Kurt Lewin ist ein solches systemisches<br />

Konzept (vgl. ebd.). Lernmotivation entsteht ihm zufolge in »komplexen, dynamischen<br />

‚Feldern‘: Der Mensch reagiert nicht nur auf externe Reize, er interessiert sich<br />

auch selbstbewusst und intentional für seine Umwelt« (ebd.), wobei der Mensch<br />

immer auch »Bestandteil seiner Umwelt« (ebd.) ist. In diesen komplexen, dynamischen<br />

Feldern wirken selbst gewählte Zielsetzungen, psychophysische Energien<br />

und Anspruchsniveaus, Aufgaben und Anforderungen, die ein Spannungssystem<br />

aus Wechselwirkungen und Begründungsnetzen verursachen, die wiederum eine<br />

Lernmotivation erzeugen können (vgl. ebd.). Im Motivationsfeld wird versucht, ein<br />

Gleichgewicht zwischen unterschiedlichen Interessen, Erwartungen und Anforderungen<br />

herzustellen, dabei sind »dauerhafte Dispositionen und Handlungszwänge«<br />

aber auch »kurzfristige, situative Faktoren« von Bedeutung (vgl. ebd.: 80). Der systemische<br />

Konstruktivismus besitzt ein Naheverhältnis zu dieser systemischen Sichtweise,<br />

geht aber über die (scheinbar objektive) Analyse des Feldes hinaus und weist<br />

- 79 -


darauf hin, dass im Feld unterschiedliche Akteurinnen und Akteure Unterschiedliches<br />

wahrnehmen (vgl. ebd.: 81). Das konstruktivistische Motivationskonzept rückt<br />

diesen Aspekt der »Wirklichkeitskonstruktion« (ebd.: 82) in den Mittelpunkt: »Konstruiert<br />

werden erstens der Lernanlass und die damit verbundene Lernaufgabe, zweitens<br />

das Selbstkonzept als Lernender (‚was kann ich, was traue ich mir zu‘) und<br />

drittens das Lernangebot (welche Lerngelegenheiten und Lernmöglichkeiten existieren)«<br />

(ebd.). Dieses konstruktivistische Motivationskonzept knüpft an die »Theorie<br />

der kognitiven Repräsentanz« von Hans Thomae an (vgl. ebd.). Die kognitiven<br />

Repräsentanzen sind die »subjektive Wahrnehmung, Interpretation« von scheinbar<br />

objektiven Situationen (vgl. Lehr/Thomae 2000: 140 zit. n. ebd.). Solche kognitiven<br />

Repräsentanzen werden auch als »innere Bilder« (Hüther 2005: 9 zit. n.<br />

ebd.: 84) bezeichnet. Unsere inneren Bilder – »Fühl-Denk-Verhaltensprogramme«<br />

(Ciompi 2003: 62 zit. n. ebd.) – konstruieren auch unsere Lernmotive: »Lernmotive<br />

sind finale ‚Um-zu‘-Motive, sie antizipieren eine wünschenswerte Zukunft.« (Siebert<br />

2006: 84) Vor dem Hintergrund der Hirnforschung erhalten diese inneren Bilder<br />

eine besondere – und für die Erwachsenenbildung gewichtige – Bedeutung. Innere<br />

Bilder beruhen auf »Verschaltungen zwischen neuronalen Netzen«, sind »neurobiologische<br />

‚Spuren’« (ebd.: 85) – »wenn die Pfade unseres Gehirns nicht mehr begangen<br />

werden – dann verkümmern die Potenziale« (ebd.). So hat Lernmotivation zwei<br />

Bedeutungen, einerseits die der Motivation zum Lernen und andererseits die des Erlernens<br />

von Motivation (vgl. ebd.). Erwachsene sind zum Lernen motiviert, »wenn<br />

sie sich selbst für lernfähig halten (self efficacy), Lernherausforderungen der Umwelt<br />

wahrnehmen (Relevanz) und Lernangebote für attraktiv halten (Viabilität)« (ebd.).<br />

Der zeitlichen, lebensgeschichtlichen Dimension kommt in dieser Motivationstheorie<br />

eine große Bedeutung zu, denn unsere kognitiven Repräsentanzen, unsere inneren<br />

Bilder, d.h. unsere Wahrnehmung der Welt, sind biografisch verankert und geprägt<br />

(vgl. ebd.: 87), die »Allgegenwärtigkeit von Geschichte und Zukunft« (ebd.: 88) bestimmt<br />

unser (Da-)Sein.<br />

Diese im Überblick referierten Lern- und Motivationstheorien weisen in der Zusammenschau<br />

und Verknüpfung einiges an Erklärungspotenzial auf. Jede einzelne dieser<br />

Theorien beinhaltet axiomatische Überlegungen, die nachvollziehbar erscheinen<br />

und Erklärungsansätze für individuelles Lernen und individuelle Interessen sowie<br />

Lernmotive und Bildungsmotivation bieten. Wesentlich ist, dass Lernmotivation und<br />

Bildungsbeteiligung miteinander in Verbindung stehen, allerdings darf kein verkürzter<br />

Schluss gezogen werden, denn die tatsächliche Beteiligung an Weiterbildungsangeboten<br />

wird von vielfältigen Faktoren und nicht ausschließlich von der Motivation<br />

der einzelnen Erwachsenen beeinflusst (vgl. ebd.: 47). Geht es jedoch um die Lernmotivation<br />

an sich, um (Einfluss-)Faktoren, die auf Seite der Personen stehen, hält<br />

Horst Siebert fest: »Lernmotivationen können als biografisch verwurzelte und in soziale<br />

Kontexte eingebundene Handlungsdispositionen definiert werden.« (ebd.: 106)<br />

In diesem Zusammenhang skizziert er acht Dimensionen von Lernbiografien, die im<br />

Folgenden kurz dargestellt werden sollen. »Lernbiografie« wird als »Sammelbegriff<br />

- 80 -


mehrdimensionaler Verläufe und Veränderungen im Leben« (ebd.: 108) verstanden.<br />

In diesen Verläufen und aus diesen Veränderungen können sich Anlässe für Lernen<br />

ergeben bzw. kann Motivation für die Beteiligung an einem Weiterbildungsangebot<br />

resultieren. Zu den acht Dimensionen von Lernbiografien zählen (vgl. ebd.: 107f.):<br />

• Das biologische Alter, d.h. der körperliche Zustand, der Lernkapazitäten und<br />

Lernenergien beeinflusst,<br />

• die Bildungsbiografie, die sich aus Erfahrungen mit institutionalisierten Lernprozessen<br />

in Schule, Hochschule und Erwachsenenbildung zusammensetzt und prägend<br />

bzw. steuernd wirkt,<br />

• die Berufsbiografie, die Lerninteressen bewirkt und durch Qualifikationsanforderungen<br />

beeinflussend wirkt,<br />

• die Freizeitbiografie, die zur Lerngeschichte gehört, denn Lerninteressen erwachsen<br />

aus Freizeitbeschäftigungen bzw. auch aus ehrenamtlichem Engagement,<br />

• die Kommunikationsbiografie, die auf unterschiedliche Kommunikationspartner/<br />

innen, Kommunikationsthemen und Kommunikationsmedien verweist, die wir in<br />

unterschiedlichen Zusammenhängen antreffen und aufsuchen, vorschlagen und<br />

gestalten sowie nutzen bzw. einsetzen; umfassender gedacht, besteht beim Thema<br />

der Kommunikation ein deutlicher Konnex zur Persönlichkeitsentwicklung,<br />

• die Rollenbiografie, die auf den sozialen Wandel und auf Lernanlässe, die daraus<br />

sowie aus der Übernahme von Rollen an sich resultieren, verweist,<br />

• die Lebenswelt, d.h. gesellschaftliche Strukturen sowie deren subjektive Wahrnehmung<br />

und Interpretation. Veränderungen, wie beispielsweise die Erfahrung<br />

von Erwerbsarbeitslosigkeit oder ein Wohnortwechsel, können Lernanlässe schaffen,<br />

• Interkulturalität, wenn unser Leben, beispielsweise unsere beruflichen Tätigkeiten,<br />

ganz oder teilweise im Ausland verortet sind, wenn Freizeitgewohnheiten, religiöse<br />

Haltungen, Kulturangebote u.Ä. multi- bzw. transkulturell sind.<br />

Bei den Verläufen und Veränderungen im Leben, die Ursache und Anlass für Lernen<br />

sein können (siehe oben), kann es sich natürlich auch um kritische Lebensereignisse<br />

handeln. Einiges Erklärungspotenzial bietet das auf Hartmut Griese zurückgehende<br />

»Konzept der biografischen Schaltstellen«. Diese Schaltstellen sind »Zäsuren, Übergänge,<br />

‚kritische Lebensereignisse‘« (ebd.: 110), die mit »notwendigen Neuorientierungen«<br />

und häufig mit »Identitätskrisen« verbunden sind; »Lernen ist eine – pädagogisch<br />

erwünschte – Coping-Strategie« (ebd.: 110). Zwei Aspekte sind hierbei von<br />

Bedeutung: Kritische Situationen oder Ereignisse im Leben sind nur begrenzt durch<br />

Lernaktivitäten zu bewältigen, und die Einstellung zum Lernen ist Teil des Habitus.<br />

Die Bewältigung von Herausforderungen oder problematischen Situationen durch<br />

Lernen ist abhängig von der Persönlichkeit, von der Lernbiografie, von den bislang<br />

gemachten Lernerfahrungen. Bedeutsam ist dabei auch, dass eine Bewältigung durch<br />

Lernen adäquater und insbesondere auch tatsächlich verfügbarer Lern- bzw. Bera-<br />

- 81 -


tungsangebote bedarf (vgl. ebd.: 110f.). Hiermit ist das oben beschriebene Modell<br />

der Interaktion zwischen Person und Situation, die zur Handlung führen kann, angesprochen<br />

(vgl. Heckhausen/Heckhausen 2006: 3).<br />

Welche Motive fördert nun die Teilnehmerforschung zu Tage Horst Siebert beschreibt<br />

zusammenfassend die von Roger Boshier (1982) entwickelten sechs<br />

Motivdimensionen, die mit dem »Education Participation Scale«, einem für die<br />

Erwachsenenbildung entworfenen aus 40 Items bestehenden Motivationstest, erhoben<br />

werden können (vgl. Boshier 1982 zit. n. Siebert 2006: 117). Es sind das:<br />

• Items, die auf »social contact« verweisen, auf »soziale Motive des Kontakts, der<br />

Anerkennung, der Freundschaft, der Integration« (Siebert 2006: 117)<br />

• Items, die auf »social stimulation« verweisen, auf »Bedürfnisse nach Abwechslung,<br />

Vermeidung von Langeweile, Aktivität, Entspannung« (ebd.)<br />

• Items, die auf »professional advancement« verweisen, auf den »Wunsch nach<br />

beruflichem Aufstieg, Kompetenzerweiterung, Wettbewerbsfähigkeit, formalen<br />

Abschlüssen« (ebd.)<br />

• Items, die auf »community service« verweisen, auf »bürgerschaftliches Engagement,<br />

ehrenamtliche Tätigkeit, kommunalpolitische Aufgaben, politische Mitbestimmung«<br />

(ebd.)<br />

• Items, die auf »external expectations« verweisen: »Lernanlässe sind Anordnungen<br />

durch Arbeitgeber, Familienangehörige, der Verlust von Arbeitsplatz und<br />

sozialem Status, formale Anforderungen, z.B. durch Gesetze« (ebd.)<br />

• Items, die auf »cognitive interest« verweisen, auf »Neugier, Horizonterweiterung,<br />

zweckfreies Bildungsinteresse, Freude am Lernen« (ebd.)<br />

Insbesondere biografische Interviews geben Aufschluss über Motive und Motivationen<br />

im Zusammenhang mit möglicher oder tatsächlicher Weiterbildungsteilnahme.<br />

Horst Siebert berichtet über die Ergebnisse einer 2004 an der Universität Hannover<br />

durchgeführten Studie, die auf 73 halbstandardisierten Interviews mit Erwachsenen<br />

zu deren Weiterbildungsmotivation beruhte (vgl. Siebert 2006: 126f.). Folgende Konzepte<br />

konnten auf der Basis dieser biografiefokussierten Interviews beschrieben werden:<br />

»Weiterbildung als Zeitverschwendung«, »Als Akademiker braucht man keine<br />

Erwachsenenbildung«, »Negativerfahrungen in der Erwachsenenbildung«, »Wenn<br />

es denn sein muss«, »Krisenverarbeitung als Lernprozess« und schließlich »Lernen<br />

als Lebensstil« (vgl. ebd.: 127-130). Diese in sich schlüssigen Kurzbeschreibungen<br />

der Interviews bilden Haltungen und Einstellungen zum Lernen bzw. zu organisierter<br />

Weiterbildung eindrucksvoll ab. Lese ich die Kurzbeschreibungen vor dem Hintergrund<br />

einer meiner erkenntnisleitenden Fragen, so weckt die Interviewbeschreibung<br />

»Weiterbildung als Zeitverschwendung« (ebd.: 127) mein Interesse: Es handelt<br />

sich dabei um einen älteren Arbeiter mit Lehrabschluss, der über negative schulische<br />

Erfahrungen berichtet, der meint, er habe zum Lesen keine Zeit, dem die Erledigung<br />

seiner (körperlichen) Arbeit am wichtigsten ist, der noch nie an einer orga-<br />

- 82 -


nisierten Weiterbildung teilgenommen hat und der sich allenfalls die Teilnahme an<br />

einem Computerkurs vorstellen könnte (vgl. ebd.). Weiterbildung als Zeitverschwendung,<br />

als etwas Überflüssiges zu sehen, könnte meines Erachtens in diesem Fall als<br />

ein Ausweichen verstanden werden: Weiterbildungsungewohnt, mit negativen schulischen<br />

Erfahrungen belastet und in einem höheren Lebensalter zu sein, könnte bedeuten,<br />

sich Lernaktivitäten nicht zuzutrauen. Es könnte heißen, über die für eine<br />

Teilnahme (vermeintlich) notwendigen Fertigkeiten nicht in ausreichendem Maße<br />

zu verfügen (oder das zu glauben) und daher in Sorge zu sein, in einer Kurssituation<br />

bloßgestellt zu werden oder bei einem Einstufungstest zu versagen. Denkbar ist<br />

auch, dass in Hinblick auf Kursgebühren unklar sein dürfte, was denn tatsächlich damit<br />

gekauft wird. Diese meine Lesart ist rein hypothetisch. Erwachsenenbildner/innen<br />

im Basisbildungskontext können allerdings von solchen Ängsten ihrer Teilnehmer/innen<br />

und über entsprechende Hemmnisse berichten. Wird nach Motiven und<br />

der Motivation für die Beteiligung an Weiterbildung gefragt, müssen auch mögliche<br />

Faktoren in den Blick genommen werden, die als Barrieren wirksam werden können.<br />

Die Datenlage für Österreich ist in Abschnitt 2.2 referiert worden; hinter diesen<br />

Beteiligungsmustern stehen verschiedene Ursachen und Wirkungszusammenhänge.<br />

Eine frühe Untersuchung, die individuelle und strukturelle Barrieren einer bestimmten<br />

Adressat/inn/engruppe aufgezeigt hat, ist »Warum kommen wenig Industrie-Arbeiter<br />

in die Volkshochschule« von Hans Tietgens aus dem Jahr 1964 (Tietgens<br />

1978 [1964]). Die »üblichen Begründungen« – »der Mangel an Geld, der Mangel<br />

an Zeit und der Mangel an Begabung« (ebd.: 124) – werden von ihm in verstehender<br />

Weise und zugunsten der Gruppe der Industrie-Arbeiter differenziert analysiert<br />

und in der einfachen Schlussfolgerung als Antwort auf die eingangs gestellte Frage<br />

zurückgewiesen (vgl. ebd.: 124-129). Ergänzend führt Hans Tietgens eine »unbeabsichtigte<br />

oder absichtliche Distanzierung durch die Sprache« (ebd.: 159; Hervorh. i.<br />

Orig.), die als Fachsprache Ausschlüsse bewirkt, weil sie weniger auf die Verdeutlichung<br />

von Sachverhalten abzielt, als mögliche Begründung für die wenigen Industrie-Arbeiter<br />

an der Volkshochschule an. Die »Gebärde der Offenheit« (ebd.: 161;<br />

Hervorh. i. Orig.) in Hinblick auf den Ablauf und die Inhalte eines Angebotes spreche<br />

eher diejenigen an, die offene Abläufe und Inhalte gewohnt sind. Daher plädiert<br />

Hans Tietgens für ein klares Angebot mit einem deutlichen Hinweis auf den inhaltlichen<br />

Gewinn (vgl. ebd.: 165f.). Diese von Hans Tietgens begründete und verlangte<br />

organisationskulturelle Veränderung, um Menschen zu erreichen, die (eher) nicht<br />

in die Erwachsenenbildungseinrichtung kommen, verdeutlicht meines Erachtens<br />

das Bemühen, die Perspektive zu wechseln und diese Menschen, insbesondere ihre<br />

»[s]ubjektive[n] Gründe und Befürchtungen« (Siebert 2006: 16), ernst zu nehmen.<br />

Nicht nur Motive und die Motivation für die Beteiligung an Weiterbildung sind in<br />

ihrer Entstehung und Wirkung komplex, sondern auch die Barrieren. Letztendlich<br />

vermag nur der tiefe Blick in die Individualebene über wirksame Barrieren Aufschluss<br />

zu geben. Gerhild Brüning (2002) hat den Versuch unternommen, Faktoren<br />

der Benachteiligung zu systematisieren. So zählt sie zu den individuellen Fakto-<br />

- 83 -


en die Bildungsbiografie in Form eines Schul- und Berufsabschlusses, die Lernsozialisation<br />

und Lerninteressen, das Alter und Geschlecht, das Verwertungsinteresse<br />

sowie Werthaltungen und Einstellungen zur Weiterbildung. Zu den sozialen Faktoren<br />

zählt sie soziales Milieu und Status der Herkunftsfamilie, Erwerbstätigkeit sowie<br />

beruflichen Status und Einkommen, Familienstand und Nationalität/Ethnizität.<br />

Weitere Faktoren, die ebenso erheblich als Barriere für die Beteiligung an Weiterbildung<br />

wirksam werden können, sind soziale Beziehungen, Religionszugehörigkeit,<br />

Freizeitausmaß, regionale Zugehörigkeit, berufliche Arbeitsanforderungen<br />

und betriebliche Einstellungen zur Weiterbildung (vgl. Brüning 2002: 17). Institutionell-strukturelle<br />

Einflussfaktoren auf Einrichtungs- bzw. Angebotsebene sind<br />

Erreichbarkeit, Kinderbetreuung, Zeitstruktur und zeitlicher Umfang, finanzieller<br />

Umfang, Organisationsformen, Vermittlungsformen, unterstützende Angebote wie<br />

beispielsweise Lernberatung oder sozialpädagogische Begleitung sowie die Qualität<br />

des pädagogischen Personals (vgl. ebd.: 18).<br />

Helmut Kuwan (2002) hat mithilfe einer qualitativen Befragung von 25 »bildungsfernen<br />

Personen« (Kuwan 2002: 120) vertiefte Einblicke in die »persönliche Disposition<br />

der Befragten« gewonnen (vgl. ebd.: 119-122) und die folgend dargestellten<br />

personenbezogenen Weiterbildungsbarrieren identifiziert:<br />

• »Angst vor Misserfolg«: Diese konstituiert sich u.a. aus Prüfungsängsten, Unsicherheiten,<br />

bedrohlicher oder tatsächlicher Überforderung (vgl. ebd.: 158-161).<br />

• »Fehlende Eigeninitiative«: Diese wird als »Passivität« beschrieben. Sie kann jedoch<br />

mit der festgestellten Angst vor Misserfolg erklärt werden. Zudem würden<br />

es hier Helmut Kuwan zufolge die Personen als eine Notwendigkeit betrachten,<br />

»sich mit Jobs durchzuschlagen«. Der Gedanke, »sich durch Weiterbildung bessere<br />

Chancen zu verschaffen«, stehe ihnen fern. Zusätzlich sei das Vorhandensein<br />

einer Beschäftigung in vielen Fällen bereits ausreichend für berufliche Zufriedenheit.<br />

Vielfach ist diesen Personen auch gar nicht bekannt, welche Angebote es gibt<br />

und welcher Nutzen daraus resultieren könnte (vgl. ebd.: 161f.).<br />

• »Geringe Zielorientierung und Planung« in Hinblick auf die berufliche Zukunft<br />

wurden als weitere Barrieren identifiziert. Diese haben sich vielfach bereits<br />

während und nach der Schulzeit als »Orientierungslosigkeit« gezeigt und sind<br />

aktuell noch wirksam. Diese Faktoren wurden als Bedarf nach einer »Standortbestimmung«<br />

gefasst (vgl. ebd.: 162-165).<br />

• »Mangelndes Durchhaltevermögen«: Dieses zeigt sich vielfach in Schul-, Ausbildungs-<br />

und Weiterbildungsabbrüchen, die als »Brüche im beruflichen Lebensweg«<br />

sichtbar und wirksam geworden sind (vgl. ebd.: 165ff.).<br />

• »Geringes Interesse am Lernen«: So sei »die Lust auf Neues […] kein Motivationsfaktor<br />

für diese Zielgruppe, sich an formal organisiertes Lernen zu wagen«<br />

(ebd.: 167). Diese Barriere kann vielfach durch die unmittelbare Umsetzbarkeit<br />

des Gelernten oder der Notwendigkeit, eine »Wissenslücke zu schließen«, aufgehoben<br />

werden (vgl. ebd.: 167f.).<br />

- 84 -


Angesichts dieser für bildungsbenachteiligte Erwachsene identifizierten Barrieren<br />

muss die Frage gestellt werden, ob diesen individuell wirksamen Voraussetzungen<br />

in Einrichtungen und Angeboten Bedeutung beigemessen wird (ganz abgesehen<br />

von der Bildungspolitik).<br />

Christiane Schiersmann hat mit ihrer Untersuchung über »Weiterbildungserfahrungen<br />

und Lernbereitschaft der Erwerbsbevölkerung« (2006) gleichsam die Innensicht<br />

von Weiterbildungsbarrieren erforscht, nämlich personenbezogene Einstellungen<br />

und Verhaltensweisen. Es handelt sich dabei um eine für Deutschland<br />

repräsentative Untersuchung der deutsch sprechenden Bevölkerung im Alter von<br />

19 bis 64 Jahren mit dem Fokus auf berufliche Weiterbildung (vgl. Schiersmann<br />

2006: 8). Dem Konstrukt der Selbststeuerung ist besondere Aufmerksamkeit gewidmet<br />

worden, und zwar im Sinne einer »personenbezogenen kognitiven Dimension«<br />

(ebd.: 9). Folgende Annahmen konstituieren dieses Konstrukt: Die Lernenden<br />

zeichnen sich dadurch aus, dass sie<br />

»die Initiative ergreifen, um Lernbedürfnisse zu befriedigen, sich geplant Lernziele setzen,<br />

situativ auf unterschiedliche Formen der Unterstützung zurückgreifen, geeignete Hilfsmittel<br />

beim Lernen wählen, den Lernprozess verfolgen und überprüfen, über realistische Einschätzungen<br />

der eigenen Kompetenzen und Grenzen verfügen, über ein positives Selbstbild verfügen,<br />

das auf vergangenen Erfahrungen beruht, und außerdem ihre Stärken, Fähigkeiten und<br />

Motivationslagen kennen.« (ebd.: 18)<br />

Dazu sind in operationalisierter Form folgende Items (»Selbststeuerungsindex«)<br />

vorgelegen:<br />

»Ich eigne mir lieber neue Kenntnisse an, als mich mit Dingen zu beschäftigen, die ich schon<br />

beherrsche. Beim Lernen bin ich in der Regel sehr erfolgreich. Einen großen Teil meiner Zeit<br />

verbringe ich damit, Neues zu lernen. Ich kann eine Vielzahl von Weiterbildungen nachweisen,<br />

zu denen mich niemand verpflichtet hat. Wenn ich beim Lernen nicht weiterkomme, besorge<br />

ich mir so viel Hilfe, wie ich brauche. Ich bin beim Lernen auch dann bei der Sache,<br />

wenn ich wenig Anerkennung von anderen dafür bekomme. Ich verfolge regelmäßig die Fachzeitschriften<br />

in meinem Arbeitsgebiet.« (ebd.)<br />

Ergänzend zu den Variablen Geschlecht, Schulbildungsniveau und Berufsbildungsniveau,<br />

Alter und soziodemografische Merkmale wurden Items zur »familialen<br />

Förderung« (»sozialisationsrelevante Variable«) formuliert:<br />

»Ich habe von meinen Eltern viele Anregungen erhalten. Meine Eltern waren schon immer<br />

sehr stolz auf mich. Bei uns zu Hause wurde viel diskutiert. Meine Eltern haben immer darauf<br />

geachtet was ich mache. Auf gute Leistungen in der Schule wurde bei uns sehr viel Wert<br />

gelegt.« (ebd.: 19)<br />

- 85 -


Die Variable »familiale Förderung« nimmt den größten Einfluss auf die Ausprägung<br />

der Variable »Selbststeuerung« (vgl. ebd.). Christiane Schiersmann interpretiert<br />

dieses Ergebnis als einen Beleg für die These, dass der Kindheit und Jugend<br />

eine hohe Bedeutung für die Herausbildung von Lernkompetenzen zukommt und<br />

dass die Möglichkeiten zur nachholenden Entwicklung im Erwachsenenalter eingeschränkt<br />

sind (vgl. ebd.: 22). Den zweitgrößten Einfluss auf die »Selbststeuerung«<br />

hat die Variable »Berufsausbildungsniveau«: Mit der Höhe der Berufsausbildung<br />

steigt die Selbststeuerung (vgl. ebd.: 20); gefolgt von der Variable »Erwerbsstatus«:<br />

Bei den Erwerbstätigen ist die Selbststeuerung deutlich ausgeprägter, wobei<br />

hier angenommen wird, dass die Erfahrung der Erwerbsarbeitslosigkeit einen<br />

negativen Einfluss auf die Selbsteinschätzung nimmt und dass die Gruppe der Erwerbslosen<br />

im Durchschnitt über ein niedrigeres Bildungs- und Ausbildungsniveau<br />

verfügt als die Gruppe der Erwerbstätigen (vgl. ebd.: 20).<br />

Um die Bedeutung des lebenslangen Lernens »im Bewusstsein der Bevölkerung«<br />

einschätzen zu können, wurde von Christiane Schiersmann nach dem zukünftigen<br />

Bedarf an beruflicher Weiterbildung gefragt. Gut die Hälfte der Befragten (51<br />

Prozent) ortete einen solchen Bedarf, 34 Prozent sahen keine zukünftige Notwendigkeit<br />

und 15 Prozent antworteten mit »weiß nicht« (vgl. ebd.: 43f.). In diesem<br />

Zusammenhang zeigte sich wiederum die Bedeutung der Ausprägung der Selbststeuerung:<br />

Von jenen Personen, die ihr Lernen als überdurchschnittlich selbstgesteuert<br />

eingestuft haben, gaben rund 69 Prozent an, für sich selbst einen Weiterbildungsbedarf<br />

zu orten. Von denjenigen, die sich als unterdurchschnittlich<br />

selbstgesteuert eingestuft haben, gaben nur knapp 28 Prozent an, für sich einen<br />

Weiterbildungsbedarf zu sehen (vgl. ebd.: 47).<br />

In Bezug auf subjektiv empfundene Barrieren für eine Weiterbildungsbeteiligung<br />

wurden die entsprechenden Items zu Kategorien zusammengefasst. Die prozentuelle<br />

Aufteilung gestaltete sich wie folgt: Belastung und Zeitmangel waren für 37<br />

Prozent, fehlender Nutzen für 31 Prozent, Informations- und Angebotsdefizite für<br />

19 Prozent, zu hohe Kosten für elf Prozent und mangelnde Qualität der Weiterbildung<br />

für drei Prozent der persönlich wichtigste Grund, nicht an Weiterbildung<br />

teilzunehmen (vgl. ebd.: 47f.). Von zum Zeitpunkt der Befragung weiterbildungsaktiven<br />

Personen wurden eher Belastung und Zeitmangel als Barrieren genannt.<br />

Personen, die weniger weiterbildungsaktiv waren (v.a. Geringqualifizierte, Ältere<br />

und Personen, die ihr Lernen als unterdurchschnittlich selbstgesteuert beschrieben),<br />

haben eher den fehlenden Nutzen als ausschlaggebende Barriere angegeben<br />

(vgl. ebd.: 48 und 54). Aufschlussreich erscheint, dass Personen mit niedrigem<br />

Ausbildungsniveau häufiger Informations- und Angebotsdefizite als Barriere angeführt<br />

haben (vgl. ebd.: 52). Erhellend ist auch das Ergebnis zur Frage nach der<br />

persönlichen Empfindung, die mit dem Wort »Weiterbildung« verbunden wird: So<br />

hat die Hälfte der Befragten der Aussage zugestimmt, dass Weiterbildung eine Notwendigkeit<br />

sei, um beruflich fit zu bleiben. 19 Prozent haben Weiterbildung als<br />

etwas, »das Spaß macht«, betrachtet. 13 Prozent sind der Meinung gewesen, sie<br />

- 86 -


hätten genug gelernt und elf Prozent haben die Meinung vertreten, Weiterbildung<br />

bringe ja doch nichts (vgl. ebd.: 70). Hierbei zeigt sich ein bedenklicher Befund:<br />

Personen ohne qualifizierte Berufsausbildung haben häufiger die Meinung vertreten,<br />

genug gelernt zu haben bzw. Weiterbildung bringe ja doch nichts (vgl. ebd.).<br />

Auf der Basis ausgewählter Indices wurden zwei »Lernerprofile« – »weiterbildungsbewusste<br />

Lerner« und »weiterbildungsdistanzierte Lerner« – erstellt (vgl.<br />

ebd.: 75ff.). Geprüft wurde, ob sich die beiden Lernerprofile in Hinblick auf soziodemografische<br />

Merkmale unterscheiden (vgl. ebd.: 79). So finden sich im Cluster<br />

der weiterbildungsdistanzierten Lerner deutlich häufiger Erwerbspersonen mit<br />

Hauptschulabschluss. Erwerbspersonen mit höherem Ausbildungsniveau fanden<br />

sich deutlich öfter im Cluster der weiterbildungsbewussten Lerner und diese wurden<br />

auch deutlich häufiger familial überdurchschnittlich gefördert (vgl. ebd.: 80f.).<br />

Diese Bestandsaufnahme zu Motivation und Barrieren verdeutlicht mögliche Ursachen,<br />

die den quantitativ feststellbaren Mustern der Bildungsbeteiligung zugrunde<br />

liegen. Diese Ursachen müssen im Sinne eines verstehenden Zugangs zu bildungsbenachteiligten<br />

Erwachsenen und deren Voraussetzungen wahrgenommen werden<br />

und auch Aufmerksamkeit erfahren. Die Voraussetzungen wiederum müssen der<br />

zentrale Ausgangspunkt für didaktisches Handeln sein. Letztendlich müssen hierfür<br />

auch individualisiert die subjektiven Gründe und Befürchtungen der Menschen<br />

eingeholt werden. Das so gewonnene Verständnis kann einen Beitrag zur Erhellung<br />

der Frage von Bildungsbeteiligung und Nicht-Beteiligung leisten.<br />

Im folgenden Abschnitt geht es um die Entwicklung einer personenbezogenen Perspektive<br />

auf das Thema Erwerbsarbeitslosigkeit. Dieses Thema wird deshalb bearbeitet,<br />

weil die Teilnahme an Weiterbildung nicht immer auf einer (mehr oder<br />

weniger) freiwilligen Entscheidung des Individuums basiert. Die Teilnahme an arbeitsmarktpolitisch<br />

organisierten Weiterbildungsmaßnahmen wird oftmals verordnet<br />

(und das ist in Österreich ein offenes Geheimnis), um die in Schulungsmaßnahmen<br />

befindlichen erwerbsarbeitslosen Personen aus der Arbeitslosenstatistik quasi<br />

herausrechnen zu können. Dieses Thema wird außerdem deshalb fokussiert, weil<br />

Personen, die von Erwerbsarbeitslosigkeit betroffen sind, eine Zielgruppe für Bildungsmaßnahmen<br />

darstellen. So wird »Bildungsarbeit mit Erwerbslosen und ‚von<br />

Arbeitslosigkeit bedrohten Personen‘« (Faulstich/Zeuner 1999: 133) als eine zielgruppenorientierte<br />

Aufgabe der Erwachsenenbildung gefasst, wobei berufs- und<br />

abschlussbezogene Angebote und sozialpädagogische Angebote unterschieden<br />

werden (vgl. ebd.: 135).<br />

2.5 Erwerbsarbeitslosigkeit: personenbezogene Perspektive<br />

Das bildungspolitische Leitmotiv des lebenslangen Lernens befördert die Wahrnehmung<br />

von Qualifikationsdefiziten als Ursache von Erwerbsarbeitslosigkeit.<br />

Eine solche Individualisierung der Problemlage dürfte das Gefühl der eigenen Un-<br />

- 87 -


zulänglichkeit verstärken. Die Problemlage ließe sich nämlich wohl – so das vorherrschende<br />

Verständnis – durch angemessene Anstrengung und persönlichen Einsatz<br />

bekämpfen. Karlheinz Geißler hat diesbezüglich zynisch bemerkt: »Es soll<br />

[…] mehr aus uns Menschen gemacht werden, und dies durch stetige Selbstverbesserung.<br />

[…] Nicht die Politik, wir stehen unter Zugzwang.« (Geißler 2004: 67;<br />

Hervorh. i. Orig.) Selbstorganisation und Selbststeuerung sind zu dominanten Paradigmen<br />

geworden: Wir tragen selbst die Verantwortung für unsere Lernprozesse,<br />

wir sind lebenslang für unsere Employability, den nutzenfokussierten Lernerfolg,<br />

selbst verantwortlich. Hier allerdings – und das darf nicht unbeachtet bleiben<br />

– werden ungleiche Voraussetzungen wirksam: Wer einen hohen formalen Bildungsabschluss<br />

nachweisen kann, verfügt üblicherweise über eine entsprechende<br />

berufliche Position, kann aus bestehenden Bildungsangeboten auswählen, an institutionalisierten<br />

Bildungsprozessen (insbesondere der beruflichen/betrieblichen<br />

Weiterbildung) erfolgreich partizipieren und auch, falls gewünscht oder notwendig,<br />

selbstgesteuert informell lernen. Kumulative Effekte begünstigen die ohnedies<br />

Begünstigten. Für diese scheint Bildungskumulation daher tatsächlich zu funktionieren<br />

(siehe die vorangegangenen Ausführungen in Abschnitt 2). Heute müssen<br />

sich Personen »über Weiterbildung und lebenslanges Lernen fit und ‚employable‘<br />

halten. Dann besteht zumindest eine Chance« (Gruber 2005: 13) – eine Chance, in<br />

Beschäftigung zu bleiben. 58 Erich Ribolits hat dieses Versprechen, das er als falsch<br />

bezeichnet, kritisiert: »Hier werden Illusionen verkauft. Speziell die Illusion, über<br />

Bildung ließe sich das Problem der Arbeitslosigkeit lösen.« (Ribolits 2003: 7) Daher<br />

müssen auch die in der arbeitsmarktpolitisch organisierten Weiterbildung gängigen<br />

Vermittlungsquoten hinterfragt werden:<br />

»Der simple Rechenansatz, die in berufliche Weiterbildung investierten Mittel mit der Reintegrationsquote<br />

in Beziehung zu setzen und nur die Investitionen als sinnvoll anzusehen, die sich<br />

in Form eines Erwerbsarbeitsplatzes amortisieren, wäre selbst bei Vollbeschäftigung fragwürdig;<br />

in Zeiten von Massenarbeitslosigkeit wirkt er zynisch.« (Epping/Klein/Reutter 2001: 38)<br />

Menschliche Arbeit ist vielfältig; Erziehungsarbeit, Pflege- und Versorgungsarbeit,<br />

Haus- und Gartenarbeit, ehrenamtliche Arbeit sind bedeutsame Arbeitsformen in<br />

der westlichen Gesellschaft. Im Folgenden spreche ich bewusst von Erwerbsarbeitslosigkeit,<br />

wenn ich die bezahlte Erwerbsarbeit meine. 59 Erwerbsarbeit, die<br />

von Arbeitnehmer/inne/n für Arbeitgeber/innen gegen Lohn bzw. Gehalt erbracht<br />

wird, ist eine für die entwickelten Industrienationen wesentliche Form von Arbeit.<br />

»Arbeitslosigkeit als gesellschaftliches Problem großen Maßstabs gibt es nur dort,<br />

wo die überwiegende Mehrheit der Erwerbstätigen in einem Lohnarbeitsverhältnis<br />

steht.« (Ludwig-Mayerhofer 2005: 200)<br />

In Österreich ist das Arbeitsmarktservice (AMS) für die finanzielle Abwicklung<br />

der Ersatzleistungen aus der Arbeitslosenversicherung zuständig. Dabei handelt es<br />

sich um die so genannte »passive Arbeitsmarktpolitik«. Das AMS übernimmt die<br />

- 88 -


»Vermittlerfunktion« im Sinne der »Zusammenführung von Arbeitskräfteangebot<br />

und -nachfrage« (Arbeitsmarktservice Österreich 2009: 14). Aufgaben sind neben<br />

der Beratung und Vermittlung die Finanzierung und/oder Organisation von Kursen<br />

und Aus- und Weiterbildungsmaßnahmen (auch für in Beschäftigung stehende Personen)<br />

sowie von Maßnahmen des so genannten »zweiten Arbeitsmarktes« (vor<br />

allem Qualifizierungs-/Beschäftigungsprojekte, Programme für spezifische Zielgruppen).<br />

Dabei handelt es sich um die so genannte »aktive Arbeitsmarktpolitik«. 60<br />

Das AMS ist somit ein Träger von Weiterbildung.<br />

Die Größenordnung der Erwerbsarbeitslosigkeit in Österreich gestaltet sich folgendermaßen:<br />

Im Jänner 2010 belief sich die Zahl der Menschen ohne Erwerbsarbeit<br />

auf 402.692, davon befanden sich 79.041 Personen in AMS-Schulungsmaßnahmen<br />

(vgl. Oswald 2010: 1). Das AMS selbst gab die Zahl der Arbeitslosen mit 323.651<br />

an (vgl. Arbeitsmarktservice Österreich 2010); die Anzahl der Personen, die sich<br />

in AMS-Schulungsmaßnahmen befanden, wurde also herausgerechnet. Das »Arbeitslosigkeitsrisiko<br />

(Arbeitslosenquote) nach Bildungsabschluss« ist im Jahr 2008<br />

für Pflichtschulabsolvent/inn/en bei rund 14 Prozent und für Personen mit Lehrabschluss<br />

bei fünf Prozent gelegen. Für Personen mit darüber hinausgehenden Bildungsabschlüssen<br />

hat sich das Risiko, arbeitslos zu werden, zwischen 1,9 und 3,1<br />

Prozent bewegt. Damit hat sich ein seit Jahren bestehender Trend fortgesetzt (vgl.<br />

Putz 2009: o.S.). Von den insgesamt 212.253 Erwerbsarbeitslosen im Jahr 2008<br />

konnten 99.197 maximal einen Pflichtschulabschluss (das entspricht 46,7 Prozent)<br />

und 73.598 einen Lehrabschluss (das entspricht 34,7 Prozent) vorweisen. 81,4 Prozent<br />

der Erwerbsarbeitslosen im Jahr 2008 haben maximal über einen Pflichtschulbzw.<br />

Lehrabschluss verfügt. Die restlichen 18,6 Prozent haben sich auf die höheren<br />

Bildungsabschlüsse (das entspricht 38.545 Personen mit über Pflichtschul- bzw.<br />

Lehrabschluss hinausgehenden Bildungsabschlüssen) verteilt, wobei davon bei<br />

0,4 Prozent, das entspricht 913 Personen, der Bildungsstand ungeklärt blieb (vgl.<br />

ebd.). 48 Prozent der unselbständig Beschäftigten mit höchstens Pflichtschulabschluss<br />

(die so genannten »formal Geringqualifizierten«) sind zumindest einmal<br />

im Jahr von Arbeitslosigkeit betroffen. In dieser Gruppe sind Frauen und vor allem<br />

– auch jüngere – Personen mit Migrationshintergrund stark überrepräsentiert.<br />

Bei Personen mit über die Pflichtschule hinausgehenden Abschlüssen betrifft das<br />

nicht einmal jede/n Fünfte/n (vgl. Dornmayr 2009: 1). Aufgrund des zu erwartenden<br />

Ausscheidens älterer Jahrgänge aus dem Erwerbsleben, die besonders hohe<br />

Anteile von Pflichtschulabsolvent/inn/en verzeichnen, ist mit einem Rückgang von<br />

Personen, die keinen über den Pflichtschulabschluss hinausgehenden Abschluss<br />

vorweisen können, im Arbeitskräfteangebot zu rechnen. 61 Allerdings löst diese demografische<br />

Entwicklung nicht das Problem: Schließlich wird – basierend auf einer<br />

repräsentativen Unternehmensbefragung – weiterhin mit einer (eher) sinkenden<br />

Nachfrage nach ungelernten und angelernten Arbeitskräften gerechnet (vgl.<br />

Dornmayr 2009: 2; vgl. dazu auch Dornmayr/Lachmayr/Rothmüller 2008: 12-30).<br />

Im Jahr 2008 sind knapp 400 Millionen Euro für die passive Arbeitsmarktpoli-<br />

- 89 -


tik an Ersatzleistungen aus der Arbeitslosenversicherung verausgabt worden (vgl.<br />

Arbeitsmarktservice Österreich 2009: 41). Rund 882 Millionen Euro sind für aktive<br />

arbeitsmarktpolitische Maßnahmen zur Verfügung gestellt worden. Davon<br />

sind knapp 70 Prozent für Qualifizierung, rund 22 Prozent für Beschäftigung und<br />

rund acht Prozent für Unterstützung aufgewendet worden. 144.264 Personen haben<br />

vom AMS beauftragte Kurs-Maßnahmen besucht und 42.312 haben vom AMS<br />

finanzierte Kurse auf dem so genannten »freien Bildungsmarkt« absolviert (vgl.<br />

ebd.: 29f.). Zur Qualifizierung gehören auch Berufsorientierung, Aktivierungsmaßnahmen<br />

sowie »Training für Zielgruppen mit besonderen Problemstellungen«<br />

(vgl. ebd.: 30). Die »Beschäftigungsförderung« umfasst »betriebliche Eingliederungsbeihilfen,<br />

Kurzarbeitsbeihilfen und Beschäftigungsprojekte«, wobei im Jahr<br />

2008 für 42.535 Personen eine geförderte Beschäftigung (Eingliederungsbeihilfe,<br />

Sozialökonomische Betriebe, Gemeinnützige Beschäftigungsprojekte) bewilligt<br />

wurde (vgl. ebd.: 32). Für rund 58.700 Personen sind »Unterstützungsbeihilfen«<br />

genehmigt worden (vgl. ebd.). Für Personen mit »besonderen Problemlagen« war<br />

in der jeweiligen regionalen Geschäftsstelle »arbeitsmarktbezogene Beratung im<br />

Vor- und Umfeld der Arbeitsvermittlung, z.B. bei Verschuldung« vorgesehen (vgl.<br />

ebd.). Wie groß der Anteil der Mittel ist, die für diese Art von personenbezogener<br />

Beratung aufgewendet wurden, kann auf Basis des Geschäftsberichtes (Arbeitsmarktservice<br />

Österreich 2009) nicht ermittelt werden. Aus diesen Mitteln werden<br />

nämlich auch das Unternehmensgründungsprogramm, die Qualifizierungsberatung<br />

und die Flexibilitätsberatung für Betriebe finanziert (vgl. ebd.: 32f.).<br />

Für das Jahr 2009 und das Folgejahr sind ein Einbruch der Konjunktur und sinkende<br />

Beschäftigungschancen prognostiziert worden (vgl. Alteneder/Städtner/Wagner-Pinter<br />

2009: o.S.). Diese Prognosen sind aus heutiger Perspektive tatsächlich<br />

(siehe die oben angegebene Zahl der Erwerbsarbeitslosen) eingetroffen.<br />

Nach diesen Anmerkungen zum aktuellen Stand der Erwerbsarbeitslosigkeit in<br />

Österreich folgen nun einige Befunde zur Erwerbsarbeitslosigkeit generell. Es existieren<br />

verschiedene Theorien über Arbeitslosigkeit (vgl. Ludwig-Mayerhofer 2005:<br />

201-208). Aus ökonomischer Sicht kann Arbeitslosigkeit als eine Nicht-Übereinstimmung<br />

von Angebot und Nachfrage nach Arbeitskräften gefasst werden (vgl.<br />

ebd.: 201). Das so genannte »neoklassische Modell« geht davon aus, dass staatliche<br />

Eingriffe wie beispielsweise Kündigungsschutz oder Mindestlöhne für eine Verteuerung<br />

der Arbeitskraft verantwortlich wären. Dies führe zu <strong>Verlag</strong>erungen von<br />

Arbeitsplätzen in andere Länder und zwinge zur Produktivitätssteigerung im Inland<br />

mit der Folge des weiteren Abbaus von Arbeitsplätzen (vgl. ebd.: 202f.). Das so<br />

genannte »keynesianische Modell« geht davon aus, dass Arbeitslosigkeit auf Defizite<br />

bei der Güternachfrage zurückzuführen sei, die Absatzschwierigkeiten, Beschäftigungsabbau<br />

und Betriebsschließungen nach sich ziehen würden (vgl. ebd.: 203).<br />

Diese beiden Modelle werden um weitere theoretische Ansätze ergänzt. Ein Ansatz<br />

geht davon aus, dass in modernen, wissensbasierten Industrienationen eine hohe<br />

Nachfrage nach qualifizierten Arbeitskräften und somit ein Überschuss an bestimm-<br />

- 90 -


ten, nämlich gering qualifizierten Arbeitskräften, bestehe (vgl. ebd.: 204). Die so genannte<br />

»Hysteresis-Theorie« beobachtet die Entwicklung der Arbeitslosigkeit insgesamt<br />

und stellt eine Steigerung in Stufen fest, wobei die Arbeitslosigkeit jeweils auf<br />

dem erreichten höheren Niveau verbleibt (vgl. ebd.). Erklärt wird das mit der Entwertung<br />

des Humankapitals und den Screening-Effekten durch die anhaltende Dauer<br />

der Arbeitslosigkeit. Damit ist gemeint, dass Arbeitgeber/innen zurückhaltend mit<br />

der Einstellung von bereits seit längerem erwerbsarbeitslosen Personen sind, denn<br />

es wird diesen unterstellt, sie seien bereits mehrmals geprüft und wahrscheinlich für<br />

ungeeignet beurteilt worden (vgl. ebd.: 211). Diese theoretischen Modelle sind umstritten;<br />

die empirische Forschung habe bislang noch wenig zu ihrer Klärung beigetragen<br />

(vgl. ebd.: 207).<br />

Befunde zeigen, dass sowohl Langzeitarbeitslosigkeit als auch Mehrfacharbeitslosigkeit,<br />

die jedoch in stärkerem Ausmaß von strukturellen Bedingungen in entsprechenden<br />

Branchen bzw. Teilarbeitsmärkten abhängig ist, mit einer fehlenden Berufsausbildung<br />

erklärt werden können. Langzeitarbeitslosigkeit wird zusätzlich noch durch<br />

gesundheitliche Beeinträchtigungen sowie einem höheren Lebensalter (50plus) erklärt<br />

(vgl. ebd.: 226). Folgender Befund wird für Einfacharbeitsplätze formuliert:<br />

»Die Mobilität zwischen den verschiedenen Teilarbeitsmärkten ist – vor allem in<br />

den deutschsprachigen Ländern – stark über die Berufs- und Weiterbildung geregelt.«<br />

(Becker/Hecken 2005: 142) In Bezug auf Geringqualifizierte wird festgestellt:<br />

»Die ‚Jedermannsarbeitsmärkte‘ in großen Betrieben sind – unter typischen Wettbewerbsbedingungen<br />

– unqualifizierten Arbeitnehmern, sozialen Randgruppen und<br />

Ausländern ‚vorbehalten‘ und zeichnen sich durch ungünstige Arbeits-, Lernbedingungen<br />

und Karrierechancen aus.« (ebd.) In Österreich hat der Strukturwandel vor<br />

allem einen Rückgang bei den Einfacharbeitsplätzen in Industrie und dem produzierenden<br />

Gewerbe, aber auch im Dienstleistungssektor verursacht (vgl. Schneeberger<br />

2005: 6). 80 Millionen EU-Bürger/innen gehören der Gruppe der gering qualifizierten<br />

Arbeitskräfte an, für diese wird ein »dramatischer Rückgang der Beschäftigungsaussichten«<br />

prognostiziert. Außerdem wird angenommen, dass für die Hälfte der neu<br />

geschaffenen Arbeitsplätze ein tertiärer Bildungsabschluss Voraussetzung sein wird<br />

(vgl. CEDEFOP 2004 zit. n. Schlögl 2009: 159f.).<br />

Geringqualifizierte, insbesondere Personen mit maximal Pflichtschulabschluss (ungelernte<br />

und angelernte Personen), tragen ein hohes Risiko, erwerbsarbeitslos zu<br />

werden (siehe oben). Für diese Personen besteht tendenziell eine höhere Wahrscheinlichkeit,<br />

mit dem Arbeitsmarktservice als Kundin/Kunde (so die organisationsinterne<br />

Bezeichnung) in Kontakt zu kommen (Ersatzleistung, Vermittlung) und daher auch<br />

an arbeitsmarktpolitisch organisierten Maßnahmen in Form von Qualifizierung, Beschäftigung,<br />

Aktivierung, Beratung teilzunehmen bzw. teilnehmen zu müssen (so<br />

auch Dornmayr 2009: 1). Eine im Jahr 2007 erschienene Studie widmet sich der<br />

Situation der Trainer/innen im arbeitsmarktpolitisch organisierten Trainingsbereich<br />

(Mosberger/Kreiml/Steiner 2007). Die Autor/inn/en stellen fest, dass »TrainerInnen<br />

und WeiterbildnerInnen, die mit einem arbeitsmarktpolitischen Auftrag Arbeit-<br />

- 91 -


suchende trainieren und weiterbilden, eine Schlüsselfunktion im arbeitsmarktpolitischen<br />

Geschehen einnehmen« (ebd.: 69). Was für die Trainer/innen gilt, gilt ebenso<br />

für die Zielgruppe dieses arbeitsmarktpolitisch organisierten Trainingsbereiches.<br />

Dieser wurde seit dem Ende der 1990er Jahre intensiviert, hat jedoch bislang kaum<br />

wissenschaftliche Aufmerksamkeit erfahren (vgl. ebd.: 18). 62 Mit dieser Studie über<br />

die Situation von Trainer/inne/n im arbeitsmarktpolitisch organisierten Trainingsbereich<br />

liegt eine bedeutsame Teilanalyse dieses Bereiches vor. Die notwendige, ergänzende<br />

Teilanalyse wäre meines Erachtens die Untersuchung der Perspektive der Teilnehmenden:<br />

Wie ergeht es den Menschen, die erwerbsarbeitslos geworden sind und<br />

an arbeitsmarktpolitisch organisierten Maßnahmen teilnehmen Einige Befunde über<br />

die Situation der Trainer/innen regen zum Nachdenken an. Die Einschätzungen der<br />

eigenen Arbeitsbedingungen lassen nämlich Rückschlüsse auf die Situation der Teilnehmenden<br />

zu. Anders formuliert: Was sagen die Einschätzungen der Trainer/innen<br />

über die Zielgruppe aus, mit der sie arbeiten (müssen) Ein erster, bedeutsamer Befund<br />

ist, dass Trainer/innen in arbeitsmarktpolitischen Maßnahmen ein vergleichsweise<br />

geringeres Honorar beziehen (Honorarbarometer der IG work@education der<br />

GPA zit. n. ebd.: 19). Handelt es sich hierbei um an den Rand gedrängte Akteurinnen<br />

und Akteure Vergleichsweise gering entlohnte Trainer/innen in vielfach prekären<br />

Beschäftigungsverhältnissen (vgl. Mosberger/Kreiml/Steiner 2007: 48-57) treffen<br />

auf Teilnehmende, die durch ihre Erwerbsarbeitslosigkeit vielfach ebenfalls finanziell<br />

an den (gesellschaftlichen) Rand gedrängt erscheinen. Ein weiteres Ergebnis der<br />

Studie ist der Befund, dass sich die Trainer/innen weitgehend von der Auftrag gebenden<br />

Organisation ausgeschlossen fühlen; die Trainer/innen geben an, über geringe<br />

Autonomie in Hinblick auf organisatorische Rahmenbedingungen zu verfügen, etwas<br />

mehr Autonomie haben sie bei der inhaltlichen Gestaltung (vgl. ebd.: 27f. und<br />

58). Sie sind Subauftragnehmer/innen, die in einem starren Rahmen mit den ihnen<br />

zugewiesenen Teilnehmenden arbeiten. Hier scheinen sowohl die Trainer/innen als<br />

auch die Teilnehmer/innen in einem Korsett zu stecken, das wenig Freiraum gewährt.<br />

Ein weiterer Befund legt die individuelle Abgeschlossenheit der Trainer/innen nahe:<br />

So bestimme sich ihr »Marktwert« auf Basis ihres didaktisch-methodischen Wissens<br />

und Know-hows (vgl. ebd.: 28). Angesichts der bestehenden und gefühlten Konkurrenzsituation<br />

ist das Teilen im Sinne einer Weitergabe von Wissen und Know-how<br />

an Kolleg/inn/en scheinbar gefährlich. Prägt ein solches Klima von Geschlossenheit<br />

und Konkurrenz möglicherweise die Gestaltung der Lehr-Lern-Prozesse auf der Subjekt-<br />

und Gruppenebene Die Trainer/innen berichten in Hinblick auf ihre »Arbeitsrealität«<br />

von psychischen Belastungen durch die Arbeit mit der als belastet erlebten<br />

Zielgruppe (vgl. ebd.: 57f.). Als erschwerend wird die Heterogenität der Gruppen<br />

erlebt, für die das nicht erfolgte Matching zwischen Teilnehmer/in und Maßnahme<br />

verantwortlich gemacht wird. Der Verdacht der willkürlichen Zuweisung wird geäußert,<br />

aus der wiederum Widerstände der Teilnehmenden 63 zu resultieren scheinen<br />

(vgl. ebd.: 58). Ein weiteres Ergebnis der Studie ist, dass Trainer/innen zum Teil den<br />

Wunsch zu hegen scheinen, aus dem arbeitsmarktpolitisch organisierten Trainingsbe-<br />

- 92 -


eich aus- bzw. eigentlich aufzusteigen: »Wer weiterkommen will, wird Coach bzw.<br />

BeraterIn. Diese Arbeitsbereiche werden mit hohem Einkommen und höherem Prestige<br />

in Verbindung gebracht und sind deshalb auch relativ begehrt.« (ebd.: 59) So<br />

scheint sich die Marginalisierung und Stigmatisierung der Zielgruppe auf die Trainer/innen<br />

zu übertragen. Die Tätigkeit wird möglicherweise als Nur-Zwischenstation<br />

imaginiert, sicherlich auch wegen der nicht als ideal wahrgenommenen Rahmen- und<br />

Arbeitsbedingungen (vgl. ebd.: 61; siehe oben). Nehmen diese Gefühle wiederum<br />

Einfluss auf die Gestaltung der Lehr-Lern-Prozesse An dieser Stelle sei jedoch angemerkt,<br />

dass es auch Trainer/innen zu geben scheint, die ihre Tätigkeit als sinnstiftend<br />

erleben und als Beitrag zu ihrer »Selbstverwirklichung« verstehen (vgl. ebd.: 33<br />

und 61f.). Der Gedanke der Unterscheidung zwischen Beruf und Berufung liegt nahe.<br />

Gerade für diese Gruppe der Trainer/innen, die ihre Tätigkeit als sinnstiftend erleben,<br />

dürfte es frustrierend sein, dass die ehemals geltenden Prinzipien der Langfristigkeit<br />

und Nachhaltigkeit, die »Maßnahmendauer und Maßnahmenqualität« positiv beeinflusst<br />

hatten, sukzessive zurückgefahren wurden (vgl. ebd.: 66).<br />

Nach diesem kurzen Einblick in die Sichtweisen der Trainer/innen von arbeitsmarktpolitisch<br />

organisierten Maßnahmen soll der Frage nachgegangen werden,<br />

wie Erwerbsarbeitslosigkeit von den betroffenen Menschen erlebt wird. Oskar<br />

Negt hat in »Arbeit und menschliche Würde« (2001) folgende fundamentale Feststellung<br />

getroffen:<br />

»Arbeitslosigkeit ist ein Gewaltakt. Sie ist ein Anschlag auf die körperliche und seelisch-geistige<br />

Integrität, auf die Unversehrtheit der davon betroffenen Menschen. Sie ist Raub und Enteignung<br />

der Fähigkeiten und Eigenschaften, die innerhalb der Familie, der Schule und der Lehre (vorausgesetzt,<br />

diese Ausbildungsstufe wird überhaupt noch erreicht) in einem mühsamen und aufwendigen<br />

Bildungsprozeß erworben wurden und die – von ihren gesellschaftlichen Betätigungsmöglichkeiten<br />

abgeschnitten – in Gefahr sind, zu verrotten und schwere Persönlichkeitsstörungen<br />

hervorzurufen. Vielfältige Formen der Selbstachtung und der sozialen Anerkennung im friedlichen<br />

Verkehr miteinander sind nach wie vor in zentraler Weise mit dem Wesensgehalt einer Arbeit<br />

verknüpft, die ihres Lohnes würdig ist.« (Negt 2001: 10f.; Hervorh. v. MK)<br />

Wer erwerbsarbeitslos wird, ist ganz unmittelbar in seiner Identität, seiner »Identitätsbalance«<br />

(ebd.: 530) bedroht: »Vertreibung ist ein konstitutives Element unserer<br />

Gesellschaft, Vertreibung aus gewachsenen Lebensverhältnissen, aus dem Erwerbsleben,<br />

aus Heimat und Wohnmilieu.« (ebd.)<br />

»Mit dem Verlust des Arbeitsplatzes erhöhen sich für die Betroffenen von einem Augenblick<br />

auf den anderen nicht nur die materiellen Lebensrisiken; die Trennung bewirkt vielmehr einen<br />

plötzlichen Bruch in der Wirklichkeitswahrnehmung. Die von Arbeitslosigkeit betroffenen<br />

Menschen fallen gleichsam auf eine andere Realitätsebene, selbst wenn Sicherungssysteme<br />

diesen Fall für eine bestimmte Zeit mildern.« (ebd.: 241f.)<br />

- 93 -


Solche ausschließenden Erfahrungen bedrohen und brechen im schlimmsten Fall<br />

den inneren Kern eines Menschen. Diese Einschätzung der bedrohlichen Auswirkungen<br />

auf die betroffenen Menschen wird von Oskar Negt in eine gesamtgesellschaftliche<br />

Analyse mit dem Befund der Erosionskrise eingebettet (vgl. ebd.:<br />

115-141; siehe dazu Abschnitt 3.1.3). In diesem Zusammenhang ist das von ihm<br />

formulierte Bildungsziel der Förderung und Entwicklung von Identitätskompetenz<br />

von Bedeutung:<br />

»Die Kompetenz einer aufgeklärten Umgangsweise mit bedrohter und gebrochener Identität<br />

gehört […] zu den Grundausstattungen von Lernprozessen, die auf Zukunft gerichtet sind. In<br />

einer Welt, in der Flexibilität zum Zauberwort von Krisenlösungen geworden ist, wird lernender<br />

und wissender Umgang mit bedrohter und gebrochener Identität zur Lebensfrage.« (ebd.:<br />

531; Hervorh. v. MK)<br />

Die oben angeführten Formen von »Vertreibung« dürften für sozial- und bildungsbenachteiligte<br />

Menschen besonders bedrohliche Wirkungen entfalten. Daher wäre<br />

es dringend notwendig, im Rahmen der aktiven Arbeitsmarktpolitik das Ziel der<br />

(Wieder-)Herstellung der so genannten Beschäftigungsfähigkeit zugunsten der von<br />

Oskar Negt thematisierten »Lebensfrage« in der Bildungsarbeit (die diesen Namen<br />

tatsächlich verdient; siehe dazu Abschnitt 3.1.1) zurückzunehmen. Die Realität ist<br />

»mit ihrer fatalen Eigendynamik von Arbeitslosigkeit, depressivem Zirkel, Armut<br />

und Elend, aus der mit bloßen individuellen Anstrengungen so schwer wieder herauszukommen<br />

ist« (ebd.: 253), äußerst wirksam. Jedoch legt die schiere Menge an<br />

erwerbsarbeitslosen Personen nahe, dass »hier unmöglich individuelles Versagen<br />

allein den Ausschlag gegeben haben kann. Millionen Menschen, die in einer vor<br />

Reichtum überquellenden Gesellschaft in Arbeitslosigkeit 64 und Armut verfallen,<br />

sind Ausdruck eines Systemdefekts, der nur durch Veränderung des Systems behoben<br />

werden kann.« (ebd.: 254)<br />

Wie bereits in Abschnitt 2.4 thematisiert, zeigen die empirischen Befunde von<br />

Christiane Schiersmann (2006), dass das Ausmaß der Selbststeuerung (im Sinne<br />

einer personenbezogenen, kognitiven Dimension) in erster Linie vom Ausmaß der<br />

familialen Förderung, gefolgt von der Höhe des Berufsausbildungsniveaus und<br />

vom Erwerbsstatus beeinflusst wird (vgl. Schiersmann 2006: 19f.). Die Auswirkung<br />

des Erwerbsstatus ist besonders bedenklich:<br />

»Bei jeder Ausprägung des Grades an familialer Förderung ist der Selbststeuerungsgrad<br />

der Gruppe der Erwerbslosen niedriger als der der Erwerbstätigen. Besonders krass fällt<br />

die Differenz bei den Arbeitslosen mit unterdurchschnittlich ausgeprägter familialer Förderung<br />

aus: Der Grad der Selbststeuerung dieser Gruppe liegt extrem unter dem Mittelwert<br />

und weist eine besonders große Differenz zu der Gruppe der Erwerbslosen mit überdurchschnittlich<br />

ausgeprägter familialer Förderung auf. Hierbei handelt es sich folglich um eine<br />

Gruppe, die nur sehr wenige Kompetenzen für die Selbststeuerung ihrer Lernprozesse auf-<br />

- 94 -


weist und die auf entsprechende Appelle, sich verstärkt selbst um ihre Weiterbildung zu<br />

kümmern, kaum reagieren dürfte.« (ebd.: 20f.; Hervorh. i. Orig.)<br />

Es hat sich des Weiteren gezeigt, dass die Gruppe der Arbeitslosen überproportional<br />

häufig den fehlenden Nutzen als subjektive Barriere für eine Weiterbildungsteilnahme<br />

genannt hat (vgl. ebd.: 52). Dieser Befund wird als Hinweis auf die »vielfach<br />

in der Öffentlichkeit beklagte mangelnde Passgenauigkeit von Weiterbildungsmaßnahmen<br />

für diese Gruppe« (ebd.) gewertet. Bei der Frage nach der persönlichen<br />

Empfindung, die mit dem Wort »Weiterbildung« verbunden wird, vertreten Arbeitslose<br />

überdurchschnittlich häufig die Meinung, »Weiterbildung bringe ja doch nichts«<br />

(vgl. ebd.: 70). Meines Erachtens könnte eine Interpretation dieser Befunde auch<br />

dahin gehen, dass von Erwerbsarbeitslosigkeit betroffene Personen über eine realistische<br />

Selbsteinschätzung verfügen. Wer wenig aussichtsreiche Perspektiven hat<br />

(Bedrohung durch Erwerbsarbeitslosigkeit oder tatsächliche Phasen von Erwerbsarbeitslosigkeit,<br />

Tätigkeit auf wechselnden Einfacharbeitsplätzen, eventuell wenig<br />

förderliches Betriebsklima, geringes Einkommen u.Ä.), wird wohl kaum den Ausweg<br />

des Aufstiegs durch Bildung für sich als realistischen Nutzen in Betracht ziehen<br />

(können). Der Eindruck, »Weiterbildung bringe ja doch nichts«, könnte durch<br />

die ausgeprägte Zieldimension arbeitsmarktpolitisch organisierter Maßnahmen forciert<br />

werden. Ziel ist schließlich die Vermittlung. Wenn sich nach der verordneten<br />

Weiterbildung das Ziel, eine Anstellung zu erhalten, nicht eingestellt hat, führt das zu<br />

der meines Erachtens völlig berechtigten Einschätzung, dass diese Weiterbildungsanstrengung<br />

sinnlos gewesen sei (und in weiterer Folge führt das zu Frustration). Oskar<br />

Negt hat festgestellt: »Die betriebswirtschaftliche Mentalität hat so etwas wie<br />

eine Kontamination, eine Ansteckung zur Folge. Alle sind angesteckt, die Opernhäuser,<br />

die Schauspielhäuser, alles soll in der gleichen Weise rationalisiert werden wie<br />

die Autoproduktion.« (Negt 2005: 128) Die im Rahmen der aktiven Arbeitsmarktpolitik<br />

eingesetzten Mittel müssen schließlich als return on investment sichtbar werden<br />

– das erklärt die ausgeprägte Zieldimension. Oskar Negt warnt jedoch:<br />

»Bildungsprozesse lassen sich nicht so organisieren wie [die] Autoproduktion, sondern sind<br />

immer verknüpft mit einer Art Vorratsbildung. Man legt etwas an: Begriffe, Sichtweisen,<br />

Dinge, die nicht sofort verwendbar sind. Die schnelle Verwendbarkeit von angelernten Dingen<br />

ist tödlich für Lernprozesse und vor allen Dingen für Kreativität.« (Negt 2005: 131)<br />

Diese Idee der »Vorratsbildung« bietet für arbeitsmarktpolitisch organisierte Weiterbildung<br />

einiges Potenzial, wenn nämlich nicht auf ein Ziel hin qualifiziert wird,<br />

sondern didaktisch-methodisch angemessene Angebote Freiräume für »Vorratsbildung«<br />

eröffnen können.<br />

Seit der eindrücklichen Studie »Die Arbeitslosen von Marienthal«, Anfang der<br />

1930er Jahre konzipiert und durchgeführt und 1933 erstmals von Marie Jahoda, Paul<br />

F. Lazarsfeld und Hans Zeisel veröffentlicht, sind sozialpsychologische Dimen-<br />

- 95 -


sionen möglicher Auswirkungen von Erwerbsarbeitslosigkeit bekannt. Ein diesbezüglich<br />

aussagekräftiger Befund ist die Charakterisierung von Marienthal als eine<br />

»müde Gemeinschaft« (Jahoda/Lazarsfeld/Zeisel 1975 [1933]: 55). Bemerkenswert<br />

an der Marienthal-Studie ist, dass eine durch die Schließung der örtlichen Textilfabrik<br />

gleichsam erwerbsarbeitslos gewordene Gemeinschaft (in Gramatneusiedl, Niederösterreich)<br />

in ihrer Gesamtheit untersucht werden konnte. 65 Mehr als drei Viertel<br />

aller Familien bezogen nach der Stilllegung der Fabrik Arbeitslosenunterstützung<br />

(vgl. ebd.: 39). »Die Arbeitslosen von Marienthal« waren jedoch nur rudimentär finanziell<br />

abgesichert, der ökonomische Abstieg der von Langzeitarbeitslosigkeit betroffenen<br />

Familien war unaufhaltsam (Hausrat, Kleidung und Schuhe). Zumindest<br />

die Versorgung mit Nahrungsmitteln konnte vielfach durch die Nutzung von Schrebergärten<br />

sichergestellt werden (vgl. ebd.: 42f.). 66 Für die Forscher/innen hatte sich<br />

die Frage gestellt, ob die Auswirkungen der Erwerbsarbeitslosigkeit durch das Wissen,<br />

nicht alleine davon betroffen zu sein, abgeschwächt wurden – oder ob sich im<br />

Gegenteil die negativen Auswirkungen durch die Betroffenheit des gesamten Dorfes<br />

noch potenzieren konnten (vgl. ebd.: 25f.). Die Forschungsgruppe schrieb über »die<br />

müde Gemeinschaft«: »[H]ier leben Menschen, die sich daran gewöhnt haben, weniger<br />

zu besitzen, weniger zu tun und weniger zu erwarten, als bisher für die Existenz<br />

als notwendig angesehen worden ist.« (ebd.: 55) Es wurde eine »Schrumpfung<br />

bestimmter Lebensäußerungen« (ebd.: 58) festgestellt, beispielsweise eine<br />

abnehmende Begeisterung beim Theaterspielen, ein Rückgang der Entlehnungen<br />

in der örtlichen Bibliothek sowie der Beteiligung an Vereinen (vgl. ebd.: 56-59).<br />

Nachdenklich stimmt meines Erachtens die Einschätzung »einer als Ganzes resignierten<br />

Gemeinschaft, die zwar die Ordnung der Gegenwart aufrechterhält, aber<br />

die Beziehung zur Zukunft verloren hat« (ebd.: 75; Hervorh. v. MK). In Hinblick<br />

auf die Zeit(-Verwendung) ist festgehalten worden, dass sich die »Freizeit als tragisches<br />

Geschenk« erwies:<br />

»Losgelöst von ihrer Arbeit und ohne Kontakt mit der Außenwelt, haben die Arbeiter die materiellen<br />

und moralischen Möglichkeiten eingebüßt, die Zeit zu verwenden. Sie, die sich nicht<br />

mehr beeilen müssen, beginnen auch nichts mehr und gleiten allmählich ab aus einer geregelten<br />

Existenz ins Ungebundene und Leere.« (ebd.: 83; Hervorh. v. MK)<br />

Als Resultat einer vertieften Untersuchung der Familien wurden insgesamt vier<br />

Typen herausgearbeitet, die sich durch ihre Haltungen und Stimmungen sowie ihr<br />

Aktivitätspotenzial voneinander unterscheiden ließen: Ungebrochenheit, Resignation,<br />

sowie eher Verzweiflung bzw. eher Apathie in der Gruppe der Gebrochenen<br />

(vgl. ebd.: 70-82). Ausgehend von biografischen Skizzen waren hierfür lebensgeschichtliche<br />

Details und vorgefundene Haltungen von den Forscher/inne/n mit der<br />

aktuellen Situation der Erwerbsarbeitslosigkeit erklärend in Zusammenhang gebracht<br />

worden (vgl. ebd.: 93-112). Gesucht worden war nach möglichen Potenzialen<br />

und Ressourcen für »Widerstandskraft« (ebd.: 93) und »Elastizität« (ebd.:<br />

- 96 -


110), die individuelle Reaktions- und Verhaltensweisen in der ähnlichen Situation<br />

der Erwerbsarbeitslosigkeit erklären konnten. In diesem Kontext haben auch nur<br />

minimale Unterschiede in der Ausstattung mit materiellen Ressourcen eine Rolle<br />

gespielt (vgl. ebd.: 96). Allerdings galt es zu berücksichtigen, dass »Verzweiflung<br />

[…] in Orten, wo nicht gleichmäßig die gesamte Bevölkerung von der Arbeitslosigkeit<br />

betroffen wurde, schon bei einer höheren Einkommensstufe einsetzen<br />

[mochte]. Der Vergleich mit der Umgebung spielt[e] sicher eine sehr große Rolle<br />

bei allen Fragen der Stimmung und Haltung.« (ebd.: 96f.)<br />

Heute liegen gesicherte Befunde über die Auswirkungen von Erwerbsarbeitslosigkeit<br />

vor: »Depressivität, Angstsymptome, psychosomatische Beschwerden und die<br />

Auswirkungen auf das Selbstwertgefühl sind als psychische Folgen der Erwerbslosigkeit<br />

nachgewiesen.« (Mohr/Richter 2008: 26) Gesichert scheint auch, dass der<br />

»Verursachungseffekt« (Erwerbsarbeitslosigkeit wirkt sich negativ aus) etwas stärker<br />

ist als der »Selektionseffekt« (erwerbsarbeitslos wird, wer psychisch vorbelastet<br />

ist) (vgl. ebd.; siehe auch Ludwig-Mayerhofer 2005: 223). Warum wirkt sich Erwerbsarbeitslosigkeit<br />

so negativ aus<br />

»Das Fehlen von Arbeit […] entlässt den Menschen aus der durch die Arbeit generierten raumzeitlichen<br />

Strukturierung des Alltags in die Strukturlosigkeit, beendet die Sinnproduktion, die<br />

mit der Arbeit einhergeht, bedingt einen Verlust zumindest der aus der Arbeitswelt herrührenden<br />

Kooperations-, Kommunikations- und Beziehungsstrukturen und der damit verbundenen<br />

nahräumlichen Anerkennung.« (Promberger 2008: 12)<br />

Diese soziale Anerkennung wird als »Nährboden des Selbstwertgefühles« beschrieben<br />

(vgl. ebd.: 9). Wolfgang Ludwig-Mayerhofer (2005) weist im Rückgriff<br />

auf eine schwedische Studie aus dem Jahr 1999 darauf hin, dass sich die von Marie<br />

Jahoda 1982 formulierte Annahme, Arbeitslosigkeit sei auch ein Angriff auf<br />

die Identität und somit auf die Befindlichkeit, zu bestätigen scheint (vgl. Ludwig-<br />

Mayerhofer 2005: 223f.). Negative Folgen von Arbeitslosigkeit werden seit Mitte<br />

der 1990er Jahre als sozialer Ausschlussfaktor gefasst bzw. als Exklusion diskutiert<br />

(vgl. ebd.: 213). Mit dem Begriff der Exklusion wurde (zuerst in Frankreich)<br />

Arbeitslosigkeit als ein Faktor, der die Integration der Betroffenen in die Gesellschaft<br />

und damit in weiterer Folge den sozialen Zusammenhalt bedroht, bezeichnet.<br />

Von der Europäischen Union wurde der Begriff der Exklusion »in etwas trivialisierter<br />

Art und Weise« übernommen und vor allem als Reduktion sozialer und<br />

kultureller Partizipation auf der Individualebene verstanden (vgl. ebd.: 213f.). So<br />

verweist auch Oskar Negt kritisch darauf, »dass die Arbeitslosen bekämpft werden<br />

und nicht die Arbeitslosigkeit« (Negt 2005: 130). Das heißt, die Individualebene<br />

gewinnt an Bedeutung und die gesellschaftliche Ebene mitsamt der eigentlich politischen<br />

Verantwortung gerät aus dem Blick.<br />

Aus psychologischer Sicht fordern Gisela Mohr und Peter Richter (2008) zur erfolgreichen<br />

Vermittlung von Erwerbslosen, dass es die »erste Aufgabe« sein muss,<br />

- 97 -


deren »psychische Stabilität zu sichern« (vgl. Mohr/Richter 2008: 29). Gesichert<br />

scheint zudem, dass die oben angeführten negativen Auswirkungen deutlich zurückgehen,<br />

wenn wieder eine Erwerbsarbeit aufgenommen werden kann. Ausgenommen<br />

sind jedoch so genannte »bad jobs«, darunter werden ungesicherte und<br />

schlecht bezahlte Tätigkeiten mit einer unterdurchschnittlichen Arbeitszeit (»underemployment«)<br />

verstanden (vgl. ebd.: 26).<br />

Neben den psychischen Auswirkungen und dem Einkommensverlust hinterlässt<br />

Arbeitslosigkeit auch »Narben« (Ludwig-Mayerhofer 2005: 214): Verlust von Humankapital,<br />

fehlende Berufserfahrung und eine schlechtere Verhandlungsposition<br />

bei der Aufnahme einer Beschäftigung sowie ein höheres Risiko, erneut erwerbsarbeitslos<br />

zu werden (vgl. ebd.). Beeinflussend auf die Bewältigung der Erwerbsarbeitslosigkeit<br />

wirkt u.a.:<br />

• Dass die schlechte finanzielle Lage mit eingeschränkter Gesundheit einhergeht,<br />

• dass eingeschränkte Möglichkeiten zur Gestaltung der Freizeit den Selbstwert<br />

beschädigen,<br />

• dass emotionale Unterstützung den Selbstwert schützt, wobei die Unterstützung<br />

von ebenfalls Betroffenen als hilfreicher erlebt wird,<br />

• dass gesundheitliche Beeinträchtigungen bei Geringqualifizierten ausgeprägter<br />

sind als bei Höherqualifizierten und<br />

• dass ein vorangegangener anspruchsvoller Beruf Lernaktivitäten während der<br />

Phase der Erwerbsarbeitslosigkeit begünstigt und unterstützend auf den Wiedereinstieg<br />

wirkt (vgl. Mohr/Richter 2008: 27f.).<br />

Als Subtext dieser Einflussfaktoren können soziale Herkunft, bisheriger Bildungsweg<br />

und durch zertifizierte Qualifikationen nachweisbares »Humankapital« mitgedacht<br />

werden. Es macht folglich einen fundamentalen Unterschied, ob eine Person<br />

mit Pflichtschulabschluss oder mit akademischem Abschluss (neben wahrscheinlich<br />

ebenfalls wirksamen Persönlichkeitseigenschaften) von Erwerbsarbeitslosigkeit<br />

betroffen ist. Und es darf angenommen werden, dass das Vertrauen in die eigenen<br />

Fähigkeiten, das durch erfolgreiche Bildungswege, formale Abschlüsse und<br />

eine entsprechende berufliche Positionierung vor der Erwerbsarbeitslosigkeit gestärkt<br />

wurde, den Selbstwert während der Phase der Erwerbsarbeitslosigkeit möglicherweise<br />

auch über eine längere Zeit hinweg eher stabil halten kann.<br />

Die Ergebnisse eines deutschen Forschungsprojektes – überschrieben mit »Aktivieren<br />

als Form sozialer Kontrolle« (Behrend 2008) – legen nahe, dass die Forderung<br />

nach psychischer Stabilisierung von Erwerbsarbeitslosen aus psychologischer Sicht<br />

(siehe oben) mit den bei den Mitarbeiter/inne/n der Arbeitsverwaltung vorgefundenen<br />

Deutungsmustern kollidiert und eigentlich unvereinbar scheint. In den mit Mitarbeiter/inne/n<br />

der Arbeitsverwaltung geführten Interviews wird deutlich, dass die<br />

Wiederaufnahme einer Erwerbsarbeit »zu einer vom Willen der Arbeitslosen abhängigen<br />

Leistung« imaginiert wird (vgl. Behrend 2008: 18). »Denn die objektive Situa-<br />

- 98 -


tion auf dem Arbeitsmarkt spielt hier keine Rolle mehr: Arbeit zu finden wird subjektiviert.«<br />

(ebd.: 19; Hervorh. i. Orig.) Als Deutungsmuster und als Forderungen<br />

in den »Aktivierungsgesprächen« tauchen die gesetzlichen Vorgaben auf (beispielsweise<br />

die Abkehr vom Berufsschutz und die erwünschte Bereitschaft, für wenig/er<br />

Geld zu arbeiten), die verinnerlicht wurden und nun auch von den Erwerbsarbeitssuchenden<br />

als Haltung übernommen werden sollten (vgl. ebd.: 19f.), sprich eingefordert<br />

werden. Von den Mitarbeiter/inne/n der Arbeitsverwaltung darf den Ergebnissen<br />

zufolge nur wenig Verständnis für Erwerbsarbeitslose erwartet werden, und die<br />

etwas andere Ausgestaltung von (noch immer vorhandenen) Handlungsspielräumen<br />

bei der Umsetzung der entsprechenden gesetzlichen Vorgaben wird durch ihre Verinnerlichung<br />

von »Aktivieren als Form sozialer Kontrolle« wohl verhindert. Warum<br />

mag das so sein Zwei mögliche Erklärungen sind meines Erachtens denkbar: Zum<br />

einen handeln die Mitarbeiter/innen der Arbeitsverwaltung aus Selbstschutz – angesichts<br />

der wenig aussichtsreichen Lage am Arbeitsmarkt darf die (mit)gefühlte und<br />

tatsächliche Ausweglosigkeit der erwerbsarbeitslosen Personen nicht raumgreifend<br />

werden. Die eigene Tätigkeit der Stellenvermittlung dürfte in vielen Fällen als sinnlos<br />

wahrgenommen werden – die professionelle Haltung als Arbeitsvermittler/in erfordert<br />

es aber, ungeachtet der Lage am Arbeitsmarkt an die Vermittelbarkeit zu glauben.<br />

Zum anderen wäre die (fatale) Interpretation möglich, dass gesellschaftliche<br />

Ressentiments verinnerlicht wurden – wer will, findet eine Stelle. Allerdings kann<br />

das Ressentiment, dass Erwerbsarbeitslose nicht arbeiten wollen, empirisch entkräftet<br />

werden – so werden Stellenangebote von den Arbeitsuchenden überwiegend angenommen.<br />

Der Anteil der nicht unbedingt »Arbeitswilligen« wird auf 10 bis 20 Prozent<br />

geschätzt, wobei festgehalten werden muss, dass diese Zahl keinesfalls auch nur<br />

einen nennenswerten Anteil der Arbeitslosenquote erklären kann (vgl. Ludwig-Mayerhofer<br />

2005: 220f.).<br />

Abschließend soll auf die besondere Bedeutung der Humankapitaltheorie in Hinblick<br />

auf den Arbeitsmarkt aufmerksam gemacht werden: »Allgemeine Bildung<br />

und berufliche Qualifikationen werden […] zu Kapitalgütern, in die ein Akteur investieren<br />

kann.« (Hinz/Abraham 2005: 33) Die »Produktivität und damit der Wert«<br />

der Arbeitnehmer/innen werden durch Wissen und Fähigkeiten bestimmt, die auf<br />

den Markt mitgebracht werden (vgl. ebd.). Ein gesicherter Befund ist in diesem Zusammenhang,<br />

dass mit höherem allgemeinen und berufsspezifischen Humankapital<br />

eine höhere Beschäftigungsstabilität einhergeht (vgl. ebd.: 38). Ich gehe davon<br />

aus, dass die (angenommene) Produktivität und der (angenommene) Wert eines<br />

Menschen als Humankapital auch im Falle der Erwerbsarbeitslosigkeit eine Rolle<br />

spielen. Es ist durchaus vorstellbar, dass Personen, die über ein vergleichsweise geringes<br />

Humankapital verfügen, im Rahmen der aktiven Arbeitsmarktpolitik anders<br />

behandelt werden als Personen, die über ein vergleichsweise hohes Humankapital<br />

verfügen. Es könnte auch sein, dass sich je nach Zugehörigkeit zu einer der beiden<br />

Gruppen Unterschiede in Bezug auf Vermittlung, Beratung und/oder Zuweisung in<br />

arbeitsmarktpolitisch organisierte Maßnahmen feststellen lassen.<br />

- 99 -


3 Bezugsfeld Erwachsenenbildung


Der Ermöglichung einer Bildung, die nicht nur die Verwertbarkeit im Sinn hat – in<br />

meinen Augen das Kernstück erwachsenenpädagogischen Handelns – scheint aktuell<br />

gesamtgesellschaftlich wenig Bedeutung beigemessen zu werden. Das Erkenntnisinteresse<br />

der vorliegenden Studie speist sich aus der Wahrnehmung der zurzeit<br />

vorherrschenden Vorgänge in der Bildungswelt. Effizienz und Effektivität zählen.<br />

Bildung, die sich auf kurvigen Wegen vollziehen darf, beim langsamen Voranschreiten,<br />

einem gemütlichen und anregenden Spaziergang vergleichbar, und nicht nur im<br />

Sprinttempo mit einem klaren Ziel vor Augen, scheint keinen Raum mehr zu haben.<br />

Rasche und vor allem nachweisbare Ergebnisse, geringe Kosten und hohe Renditen<br />

der eingesetzten Investitionen in das Humankapital scheinen die Gradmesser<br />

für Lernerfolge zu sein. Das allgegenwärtige europäische Leitmotiv des lebenslangen<br />

Lernens ist medial präsent und rückt das Lernen sowie das Bildungssystem und<br />

seine Einrichtungen näher in das Zentrum der gesellschaftspolitischen Aufmerksamkeit.<br />

Pädagogische Fragestellungen und Befunde (beispielsweise aus internationalen<br />

schulbezogenen Vergleichsstudien) werden diskutiert. Oberflächlich betrachtet handelt<br />

es sich dabei um einen Gewinn für pädagogisch Tätige, erfahren pädagogische<br />

Berufs- und Handlungsfelder durch diese rhetorische Präsenz doch eine (scheinbare)<br />

Aufwertung. Kritisch betrachtet stehen jedoch das Lernen FÜR ETWAS – schließlich<br />

scheint die europäische Wettbewerbsfähigkeit auf dem Spiel zu stehen – und das<br />

Lernen UM ZU – um Erwerbsarbeitslosigkeit vor allem selbstorganisiert und selbstgesteuert<br />

zu vermeiden bzw. zu bekämpfen – im Mittelpunkt, womit wir bei der Employability,<br />

der Arbeitsmarkt- und Beschäftigungsfähigkeit, angelangt wären. Hier<br />

drängt sich die Frage auf, wo die Bildung bleibt Elke Gruber (2009) hat in ihrer<br />

Analyse über Herausforderungen und Trends der Erwachsenenbildung in Österreich<br />

folgendes aufschlussreiches Resümee gezogen: »Vorbei sind die Zeiten, wo inhaltliche,<br />

pädagogische und didaktische Themen im Vordergrund standen, angeführt wird<br />

die aktuelle Diskussion von strukturellen Fragen und strategischen Zielsetzungen.«<br />

(Gruber 2009: 3) Wie in Abschnitt 2.1.1 dargelegt, sind in Österreich im Rahmen des<br />

Konsultationsprozesses über das »Memorandum über Lebenslanges Lernen« (Europäische<br />

Kommission 2000) einige über die sechs Grundbotschaften des Memorandums<br />

hinausreichende Aspekte thematisiert und diskutiert worden (vgl. Bundesministerium<br />

für Bildung, Wissenschaft und Kultur 2001b: 35f.): Die Botschaften des<br />

Memorandums seien vorwiegend arbeitsmarktbezogen (Verwertbarkeitsaspekt), jedoch<br />

sollten beim lebenslangen Lernen »auch der persönlichkeitsbildende Aspekt<br />

und eine humane Gesellschaft« Beachtung finden (vgl. ebd.: 35). Die »Gefahr einer<br />

Marginalisierung von benachteiligten Gruppen im Zusammenhang mit der Finanzierung,<br />

der Zeit, der Erreichbarkeit von Bildungsangeboten und der Bildungswegentscheidung<br />

bzw. Berufswahl« (ebd.) werde zu wenig berücksichtigt. Dieser im<br />

Memorandum als vernachlässigt reklamierte Aspekt der Persönlichkeitsbildung sowie<br />

der Verweis auf eine humane Gesellschaft in Hinblick auf mögliche benachteiligte<br />

Personengruppen rekurrieren auf einen im Hintergrund (noch) vorhandenen und<br />

wirksamen Bildungsbegriff.<br />

- 103 -


Der Begriff Bildung ist im deutschsprachigen Raum historisch aufgeladen und<br />

weist vielfältige Konnotationen auf. Durch die aktuell starke Fokussierung auf Lernen,<br />

Lernprozesse und vor allem Lernergebnisse wird allerdings eine Einschränkung<br />

der Bedeutungsmöglichkeiten vorgenommen. Der Begriff der Bildung – und<br />

somit auch das Verständnis dieser Sichtweise – scheint vom Begriff des Lernens<br />

abgelöst zu werden. 67 Werner Lenz (2000) hat seine Analyse des Wandels im Bildungsbereich<br />

mit der treffenden Frage »Lernen statt Bildung« überschrieben (vgl.<br />

Lenz 2000: 53). Durch diesen Wandel sei die mit dem Begriff der Bildung verbundene<br />

aufklärerische Intention zurückgedrängt worden. Die Bedeutungszunahme<br />

von auf Qualifizierung bezogenen Angeboten fördere eine rezeptiv angepasste und<br />

nicht eine sich kritisch auseinandersetzende Haltung (vgl. ebd.). Möglicherweise<br />

mag dafür der in den letzten Jahren beobachtbare Siegeszug der Neurobiologie, die<br />

uns darüber informiert, wie Lernen funktioniert, also physisch vonstattengeht, mitverantwortlich<br />

sein. Wahrscheinlich ist die unaufhaltsam scheinende Verbetriebswissenschaftlichung<br />

von pädagogischen Feldern, insbesondere das ökonomisch<br />

motivierte Abwägen von Kosten und Nutzen, ebenfalls mitverantwortlich für die<br />

Dominanz des Lernbegriffs: Es muss gelernt werden, in wiederkehrenden Phasen,<br />

in kürzeren Abständen, intensiv, effektiv und effizient. Lernen hat eine funktionelle<br />

Konnotation erhalten und tritt als beschleunigend auf: immer schneller, immer<br />

mehr. Bildungsbegünstigte Menschen können solchen Ansprüchen genügen,<br />

sie möglicherweise kritisch reflektieren, sich diesen Ansprüchen sogar punktuell<br />

entziehen oder gar widersetzen, ohne Gefahr zu laufen, daraus schwerwiegende<br />

Nachteile zu ziehen. Die betriebswirtschaftliche Logik scheint die pädagogische<br />

Logik zu dominieren. Oskar Negt hat kritisch bemerkt, dass die »betriebswirtschaftliche<br />

Mentalität« eine »Kontamination« zur Folge habe – »alles soll in der<br />

gleichen Weise rationalisiert werden wie die Autoproduktion« (Negt 2005: 128).<br />

Der Gedanke der Gewinnung von Steuerungs- und Kontrollmacht über eigentlich<br />

so verborgen ablaufende Vorgänge wie Bildungsprozesse hat offenbar etwas Verführerisches.<br />

Von Bildung im (neu-)humanistischen Verständnis ist kaum mehr die<br />

Rede – Bildung scheint zum Systembegriff degradiert zu werden. Hartmut von<br />

Hentig (1999a) bietet hierfür folgende Erklärung an:<br />

»Nach dem Zweiten Weltkrieg wandelte sich die geisteswissenschaftliche Pädagogik 68 zur<br />

Erziehungswissenschaft, einem Clearing-Haus für die Erkenntnisse unzähliger Hilfswissenschaften<br />

von der Entwicklungspsychologie bis zur Sprachsoziologie und Bildungsökonomie.<br />

An die Stelle des Grundbegriffs ‚Bildung‘ (den Dünkel und Tiefsinn gleichermaßen belasteten)<br />

trat der Grundbegriff ‚Lernen‘, das schon John Dewey zu einem normativen Vorgang gemacht<br />

hatte (und das sich wissenschaftlich bestimmen ließ); das Wort Bildung wurde nur noch<br />

als Bereichsbezeichnung verwendet: für das, was mit Schule zu tun hat.« (Hentig 1999a: 51f.)<br />

Hartmut von Hentig hält am Bildungsbegriff fest, wenn er feststellt: »Die ‚Rückkehr‘<br />

zur Bildung ist pädagogisch geboten – ein Fortschritt.« (ebd.: 53) Auch Pe-<br />

- 104 -


ter Faulstich (2003) spricht sich gegen die Verwendung des inhaltsleeren Begriffs<br />

des Lernens aus und plädiert für den Bildungsbegriff, der »gegenüber ökonomischen<br />

und sozialen Anpassungszwängen personale Entfaltungsmöglichkeiten betont«<br />

(Faulstich 2003: 14). Als Gegenentwurf schlägt er »lebensentfaltende Bildung«<br />

(ebd.: 15) vor, dieser Begriff vermag Lernprozesse und Bildungsaktivitäten<br />

auf individuelle und gesellschaftliche Perspektiven auszurichten.<br />

3.1 Bildung: Vorgänge, Ansätze und Zieldimensionen<br />

In den folgenden Abschnitten geht es um eine begriffliche Annäherung an Lernen,<br />

Aneignung und Bildung, an Vorgänge (exemplarisches Lernen) und Ansätze<br />

(subjektorientierte Erwachsenenbildung) sowie um Dimensionen von Bildung,<br />

um mögliche Inhalte und mögliche Ziele. Dabei wird stets versucht, Bezüge zum<br />

Thema der Bildungsbenachteiligung herzustellen.<br />

3.1.1 Lernen – Aneignung – Bildung<br />

Lernen im Erwachsenenalter verbinde ich in erster Linie mit der Aneignung von<br />

Wissen und Fertigkeiten bzw. der Ausbildung von Wissensstrukturen sowie der<br />

zielgerichteten Auseinandersetzung mit vorhandenen Wissensbeständen und deren<br />

Erweiterung. Diese Aktivitäten können in Anlehnung an die Unterscheidung zwischen<br />

formalen, nicht-formalen und informellen Lernaktivitäten innerhalb eines<br />

institutionellen Rahmens, unter Anleitung oder selbstorganisiert vollzogen werden<br />

oder auch nebenbei geschehen, wobei hier keine vordergründige Zieldimension<br />

vorhanden ist.<br />

Lernen als pädagogischer Grundbegriff wird vor allem mit schulbezogenem Lernen<br />

verbunden (vgl. Treml/Becker 2006: 106): »Lernen von Vokabeln, von mathematischen<br />

Formeln, von grammatischen Regeln etc. Lernen meint hier den bewussten<br />

Vorgang der Einprägung von Kenntnissen, der Aneignung und Entwicklung<br />

von Wissen, Erkenntnissen, Fertigkeiten, Verhaltensweisen und Haltungen.« (ebd.)<br />

Dieses Lernen wird auf Unterricht bezogen: »[D]as Hineinbegeben in einen pädagogischen<br />

Kontext signalisiert allen Beteiligten die Absicht bewussten Lernens.«<br />

(ebd.) Auf die Zukunft gerichtet, wird eine Abkehr von Bildungsgütern im Sinne<br />

eines feststehenden Kanons vermutet, muss doch gelernt werden, »in der Zeitdimension<br />

mit Gewissheit und Ungewissheit, in der Sachdimension mit Wissen und<br />

Nichtwissen und in der Sozialdimension mit Sicherheit und Unsicherheit umzugehen«<br />

(ebd.: 113; Hervorh. i. Orig.). In diese Richtung weist auch der folgende<br />

Definitionsversuch, der Lernen »als eine innere Organisation der sinnverstehenden<br />

Auseinandersetzung des Menschen mit seiner Umwelt« (Kron 2001: 69) versteht.<br />

Zu leben heißt demnach zu lernen. Um die alltäglichen Leistungen von der<br />

- 105 -


Reflexionsebene abzugrenzen, wird der Begriff der Bildung eingeführt: »[J]ene Prozesse<br />

[sollen] Bildungsprozesse heißen, in welchen die unterschiedlichen Lernprozesse<br />

in ihrem Ablauf, in ihren Inhalten und Zielen, Niveaus und Zwecksetzungen<br />

reflexiv gemacht werden.« (ebd.: 70) Was hier als »Bildungsprozesse« gefasst wird,<br />

könnte auch mit der Erweiterung von Lernfähigkeit 69 oder der Entwicklung von<br />

Lernkompetenz 70 beschrieben werden. Gerade das Nachdenken über Ablauf, inhaltliche<br />

Dimensionen und Anforderungen in Lernprozessen kann als Erweiterung<br />

der Lernfähigkeit, die im Vollzug des Lernprozesses durch die Auseinandersetzung<br />

mit und die Aneignung von Wissen entwickelt wird, gefasst werden. Mit einer solchen<br />

Einordnung würde der Bildungsbegriff noch weitestgehend frei für darüber<br />

hinaus reichende Dimensionen bleiben. Eine kritische und konstruktive Reflexion<br />

der Zwecksetzung eines Lernprozesses allerdings eröffnet ein erstes Begriffsverständnis<br />

von Bildung. Zuvor muss jedoch in Anlehnung an Herbert Gudjons (2001)<br />

nach dem pädagogischen Moment des Lernens gefragt werden (vgl. Gudjons 2001:<br />

229). Herbert Gudjons stellte nach seinem Überblick über Lerntheorien (vgl. ebd.:<br />

213-229) ernüchternd fest: »Die lebensgeschichtliche Bedingtheit von Lernen, die<br />

Subjekthaftigkeit des Lernenden und sein Sinnbedürfnis beim Lernen (entsprechend<br />

übrigens seine Lernstörungen als Sinnkrisen!) kommen [darin] nicht zur<br />

Sprache.« (ebd.: 229; Hervorh. i. Orig.) Wie kann nun Lernen aus pädagogischer<br />

Perspektive (d.h. den pädagogischen Moment des Lernens berücksichtigend) konstituiert<br />

werden Ulla Bracht (2001) verweist auf die Notwendigkeit, spezifische<br />

Fragestellungen zu entwickeln, um den Lernbegriff aus erziehungswissenschaftlicher<br />

Perspektive untersuchen und Ergebnisse anderer Disziplinen entsprechend<br />

einordnen und bewerten zu können (vgl. Bracht 2001: 86). In dem Sammelband<br />

»Pädagogische Theorien des Lernens« grenzen die Herausgeber in ihrer Einleitung<br />

die Frage nach den pädagogischen Theorien des Lernens von psychologischen und<br />

neurobiologischen Lerntheorien sowie didaktischen Aspekten ab und stellen fest:<br />

»Lernen zu verstehen heißt aus pädagogischer Sicht immer, ein Verhältnis zwischen<br />

Lernendem und Welt als Möglichkeit der Weiterentwicklung dieses Verhältnisses<br />

zu begreifen.« (Göhlich/Wulf/Zirfas 2007: 7) Eine pädagogische Lerntheorie<br />

richte daher den »Blick auf die Qualität der Beziehung zwischen Mensch und<br />

Welt und auf Möglichkeiten einer Verbesserung dieser Beziehung im Interesse beiderseitiger<br />

Weiterentwicklung« (ebd.: 11). Vorgeschlagen werden folgende (theoretische)<br />

Lerndimensionen: Wissen-Lernen als Sachdimension, Können-Lernen<br />

als »verkörperlichte Handlungsfähigkeit«, Leben-Lernen als lebenspraktische Dimension<br />

und Lernen-Lernen als Querschnittsdimension (vgl. ebd.: 16-19). Hier sei<br />

die kritische Frage erlaubt, ob diesen Lerndimensionen nicht auch insbesondere ein<br />

bildendes Moment innewohnt Oder können bzw. sollen pädagogische Theorien<br />

des Lernens gleichsam (auch) als Bildungstheorien verstanden werden Mögliche<br />

Grenzziehungen zwischen Lernen und Bildung könnten in dieser Beschreibung<br />

von (theoretischen) Lerndimensionen meines Erachtens dynamisch verstanden<br />

werden – einige der Ausführungen und Überlegungen werfen in ihrem Kern näm-<br />

- 106 -


lich bildungstheoretische Fragen auf – so beispielsweise der Beitrag von Jörg Zirfas<br />

(2007) im genannten Sammelband über »Das Lernen der Lebenskunst«. Nach<br />

Jörg Zirfas fokussiert eine »Pädagogik der Lebenskunst […] nicht primär Lebensbewältigung,<br />

sondern Gestaltung des Lebens« (Zirfas 2007: 166). Wenn das Ziel<br />

ein geglücktes, weil selbstbestimmt gestaltetes und gelingendes Leben ist, dann<br />

stellt sich meines Erachtens auch die bedeutsame Frage, ob hierfür bestimmte Voraussetzungen<br />

geschaffen werden bzw. vorliegen müssen. Diese Betrachtung wird<br />

vom Autor allerdings ausgespart:<br />

»Ob und inwiefern die folgenden Dimensionen wie rechtliche, materielle, soziale und zeitliche<br />

Ressourcen, Selbstachtung, Genussfähigkeit, Arbeit, Spiel, Betrachtung und Reflexion, Kommunikation<br />

und Bindung, Partizipation, kulturelle Ausdrucksmöglichkeiten, ja Lernen selbst<br />

für ein glückliches und schönes Leben notwendig und hinreichend sind, soll hier nicht entschieden<br />

werden.« (ebd.: 170; Hervorh. v. MK)<br />

Das Lernen der Lebenskunst scheint auf diese Weise den ohnedies vom Leben Begünstigten<br />

vorbehalten zu sein und wird somit zu einem elitären Konzept, das ähnlich<br />

der Vorstellung des selbstgesteuerten Lernens gleichsam vergisst oder übersieht,<br />

dass gewisse Anforderungen mehr oder weniger gut bewältigt werden können<br />

und dass unterschiedliche Voraussetzungen dafür verantwortlich sind (siehe dazu<br />

unten). Im Beitrag »Überleben lernen« befasst sich Stephan Sting (2007) mit der<br />

Armutsproblematik in eigentlich reichen und entwickelten Gesellschaften, d.h. mit<br />

dem Faktum der sozialen Ungleichheit: »‚Überleben lernen‘ in Armutssituationen<br />

lenkt die Aufmerksamkeit auf die Frage, wie man angesichts drohender sozialer<br />

Ausgrenzung Chancen zur sozialen Integration, zum Erhalt der Selbstwertschätzung<br />

und zum Erwerb von sozialer Anerkennung bewahren kann.« (Sting 2007:<br />

179) Unter Bezugnahme auf feststellbare Bewältigungsstrategien im Umgang<br />

mit Armut wird für eine individuell begleitete Reflexion dieser lebensgeschichtlichen<br />

Bewältigungshandlungen im Sinne einer biografischen Reflexion des eigenen<br />

Überleben-Lernens plädiert, um »Wege für Bildungsprozesse zu eröffnen« (ebd.:<br />

185), die »ein auf <strong>Teilhabe</strong> und Anerkennung gründendes ‚Leben lernen‘« (ebd.:<br />

186.) befördern. In dieser Betrachtungsweise werden Ungleichheiten ernst genommen<br />

und als Ausgangspunkt für Reflexionen und Bildungsprozesse bestimmt.<br />

Aus der Perspektive der Erwachsenenbildung schlägt Erhard Meueler (1998) vor,<br />

den Begriff des Lernens in erwachsenenpädagogischen Zusammenhängen aufzugeben<br />

und propagiert unter Bezugnahme auf Christoph Scheilke stattdessen den<br />

Begriff der Aneignung: »Am Aneignungsbegriff fasziniert die Perspektive, daß<br />

die Initiative des Lernens vom Subjekt ausgeht.« (Meueler 1998: 119) Außerdem<br />

schätzt er beim Aneignungsbegriff, dass dieser »nicht die klassische Lehrer-Schüler-Beziehung<br />

einschließt« (ebd.: 121), sondern »selbständige Verstandes- und Aneignungsleistungen<br />

beschreibt« (ebd.). »Aneignung bedeutet also Tätigwerden.«<br />

(ebd.: 122). Jochen Kade (2001) betont für den Begriff der Aneignung die Perspek-<br />

- 107 -


tive der Differenz »zwischen Kursleitenden und Teilnehmenden, zwischen professionellem<br />

Handeln und subjektiver Aneignung, zwischen Lehren und Lernen«<br />

(Kade 2001: 20). »Aus dieser Perspektive stellt sich Erwachsenenbildung nicht als<br />

in sich geschlossene kompakte Einheit dar, die den Erwachsenen mit Bildungsansprüchen<br />

entgegentritt, sondern als eine komplexe soziale Realität, der gegenüber<br />

und innerhalb derer Teilnehmende ihre Autonomie durch Differenzbildungen behaupten<br />

können.« (ebd.) 71<br />

Diese Eigenaktivität, diese Subjektleistung, dass nämlich »die Initiative des Lernens<br />

vom Subjekt« (Meueler 1998: 119) ausgehe, lässt ein lernendes Subjekt möglicherweise<br />

als solitär und autonom erscheinen. In den Ausführungen von Erhard<br />

Meueler wird allerdings deutlich, dass das lernende Subjekt in der Erwachsenenbildung<br />

ein Gegenüber, und zwar den »Erwachsenenlehrer« (ebd.: 196) hat. Lernen<br />

und Lehren scheinen somit untrennbar miteinander verbunden zu sein. Doch<br />

diese scheinbar ontologische Zusammengehörigkeit wird mit der Propagierung des<br />

selbstgesteuerten Lernens in Frage gestellt. 72 Und so weist Susanne Kraft (2006)<br />

ironisch darauf hin, dass die Themen Lehren und Lehrforschung aktuell recht unbeliebt,<br />

beinahe »out« zu sein scheinen (vgl. Kraft 2006: 209) und dass das Thematisieren<br />

oder gar Formulieren von Lehrzielen »im Zeitalter des Konstruktivismus<br />

nahezu als Frevel an der Disziplin« (ebd.) wahrgenommen werde. Susanne<br />

Kraft definiert Lehren als »Kernaufgabe der Weiterbildung«. Sie sieht im praktischen<br />

Feld der Weiterbildung keine Anzeichen dafür, dass das nicht auch weiterhin<br />

der Normalfall sein sollte (vgl. ebd.: 210). Als normatives Argument formuliert sie<br />

die Notwendigkeit, gute und adäquate Lehrangebote bereitzustellen und dadurch<br />

zur Teilnahme zu motivieren und anzuregen (vgl. ebd.: 211).<br />

Im Zirkel der erwachsenenpädagogischen Scientific Community ist meines Erachtens<br />

Selbststeuerung im professionellen Handeln wohl der Normalfall. Die<br />

Mitglieder sind gut ausgebildet und verfügen über finanzielles, soziales und kulturelles<br />

Kapital. Unter solchen Bedingungen erscheint die Entwicklung der Hinwendung<br />

zu einer Vorstellung von einem autonomen und selbstgesteuerten Lernen<br />

bei gleichzeitiger Abkehr vom Auftrag des Lehrens nachvollziehbar, weil wohl individuell<br />

stimmig, erfüllbar und dadurch selbstwertstärkend. Christiane Schiersmann<br />

(2006) hat aber eindrücklich gezeigt, dass die Fähigkeit zur Selbststeuerung<br />

in der frühen Kindheit grundgelegt wird, weil diese Fähigkeit vor allem aus der<br />

entsprechenden familialen Förderung resultiert (siehe Abschnitt 2.4). Daraus ergeben<br />

sich klare Startvorteile und ganz eindeutige Startnachteile. Der Diskurs über<br />

das selbstgesteuerte Lernen scheint demnach ein akademisch-elitärer zu sein. Es<br />

entsteht der Eindruck, das selbstgesteuerte Lernen sei das ideale didaktische Konzept<br />

für Angehörige der so genannten Bildungselite und könnte von diesen am besten<br />

erfüllt werden. Susanne Kraft hat darauf hingewiesen, dass die Selbststeuerung<br />

den Lernenden entsprechende Anforderungen abverlangt (vgl. Kraft 1999 zit. n.<br />

Kraft 2006: 212). 73 Solche Anforderungen können – siehe oben – mehr oder weniger<br />

gut erfüllt werden, abhängig von familialer Förderung, Schulbildung und be-<br />

- 108 -


uflichem Status. Gute Lehre und gute Lehrangebote können folglich einen Beitrag<br />

dazu leisten, frühere Benachteiligungen zu kompensieren und individuelle Potenziale<br />

zu realisieren.<br />

Vielfach ist in der Erwachsenenbildung ein entsprechender Etikettenwechsel zu beobachten:<br />

Es gibt keine/keinen Kursleiterin/Kursleiter mehr, sondern eine Person, die<br />

den Lernprozess moderiert oder beim Lernprozess beratend wirkt. Darf nicht mehr<br />

gelehrt werden Joachim Ludwig (2006) hat auf diesen Widerspruch innerhalb der<br />

»konstruktivistischen Argumentation« hingewiesen: »Auf der einen Seite wird jede<br />

Form von Intervention als Illusion decouvriert, auf der anderen Seite wird entwickelt,<br />

gefördert, angeregt und begleitet.« (Ludwig 2006: 107) Auf diesem Widerspruch aufbauend<br />

wird nach der »dialektischen Gestaltung des Verhältnisses von Lernenden,<br />

Lehrenden und Inhalt« (ebd.) gefragt, die mit diesem Spannungsfeld produktiv umzugehen<br />

vermag. Wiltrud Gieseke (2007) macht in ihrer Studie über »Wirkungen von<br />

Emotionen auf Bildungsprozesse aus beziehungstheoretischer Perspektive« ihre Kritik<br />

an der Übertragung von Systemtheorie und Konstruktivismus auf die Pädagogik<br />

insbesondere an der Nicht-Beachtung der für die Pädagogik als bedeutsam wahrgenommenen<br />

Faktoren Bindungen und Beziehungen fest:<br />

»Bindungen und Beziehungen als Bedingungen von Lernentwicklungen der einzelnen Individuen,<br />

und nicht Selbstreferenzialität und Autopoiese, sind emotionstheoretisch die Bedingungen<br />

und Voraussetzungen von Lernen und Lernentwicklung, welche für theoretische pädagogische<br />

Betrachtungen in den Vordergrund zu treten haben. Der Mensch lernt nicht allein<br />

für sich, sondern ist auf ein Gegenüber angewiesen. Er/Sie sucht relationale Bedingungen, um<br />

über sich und seine/ihre erlebte Situation hinauszuwachsen.« (Gieseke 2007: 107)<br />

Das Paradigma der Selbststeuerung als idealisierte Denkfigur der völligen Autonomie<br />

in Lernprozessen begünstigt demnach Personen, die einen positiven Bezug<br />

zum eigenen Lernen haben. Wiltrud Gieseke bezieht sich in diesem Zusammenhang<br />

auf eine Studie mit dem Titel »No education without relation« (2004), die gezeigt<br />

hat, dass weniger didaktisch-methodische Arrangements eine Rolle spielen<br />

»als die Subjektivität der Lehrperson, wenn es im Lernprozess eine gibt« (Bingham/Sidorkin<br />

2004 zit. n. ebd.: 114). »Das heißt, ein Konzept der Selbststeuerung<br />

verzichtet auf den entscheidenden, lernfördernden Moment der Interpersonalität.«<br />

(Gieseke 2007: 114) Zu betonen seien aber »Bindungen und Beziehungen als Bedingungen<br />

von Lernentwicklungen der einzelnen Individuen« (ebd.: 107). Erhard<br />

Meueler (1998) hat ganz grundlegend auf die Chimäre des selbstbestimmten Lernens<br />

verwiesen: »Subjekthaftigkeit realisiert sich stets nur in der Dialektik von<br />

angestrebter Selbstbestimmung und Angewiesensein auf andere.« (Meueler 1998:<br />

99) Sehen wir dieses Trugbild als wahr an, so berauben wir uns der Möglichkeiten,<br />

von anderen und durch andere zu lernen.<br />

Nach der Auseinandersetzung mit Lernen bzw. Prozessen der Aneignung geht es nun<br />

darum zu klären, wie Bildung gefasst werden kann. Im Gegensatz zu den recht kon-<br />

- 109 -


kreten Begriffen des Lernens und der Aneignung scheint Bildung ein Hülsen-Wort zu<br />

sein; ein Wort, das mit vielen Bedeutungen gefüllt werden und als Behältnis für Unterschiedliches<br />

(Prozesse, Inhalte, Zielsetzungen) dienen kann. Bildung ist ein dehnbarer,<br />

ein als inhaltsleer oder inhaltlich überfrachtet wahrgenommener bzw. wahrnehmbarer<br />

Begriff; außerdem ist Bildung immer auch ein struktureller Terminus, der<br />

sich im Bildungssystem wiederfindet. Für viele pädagogisch Tätige und insbesondere<br />

für Erwachsenenpädagoginnen und Erwachsenenpädagogen ist Bildung einer<br />

der zentralen Begriffe des Fachs – für viele DER zentrale Begriff: gleichsam Richtschnur<br />

und Zielvorstellung in Hinblick auf das professionelle Selbstverständnis und<br />

das berufliche Handeln. Was ist nun Bildung Elke Gruber (2004) stellt fest: Bildung<br />

ist zugleich Prozess und Produkt; Bildung kann die Bedeutung der Befähigung anderer<br />

Menschen und die Selbstbefähigung beinhalten (vgl. Gruber 2004: 5); Bildung<br />

kann verstanden werden als »reflektiertes Denken und darauf aufbauendes Handeln«<br />

(ebd.). Ähnlich argumentiert Werner Lenz (2004), ermöglicht doch Bildung »Orientierung<br />

im Denken und Handeln« (Lenz 2004: 5). Voraussetzung hierfür ist es, sich<br />

in Lernprozessen Wissen anzueignen; Wissen ist die Basis für die Bewertung von<br />

Angelegenheiten und für Entscheidungsfindungsprozesse (vgl. ebd.). Wenn Bildung<br />

bezogen auf sich selbst erfolgt, wenn sie auf das Individuum rückbezogen ist, so ist<br />

meines Erachtens erstens dieser Prozess während unseres irdischen Daseins nie abgeschlossen,<br />

drängt sich zweitens die Frage nach möglichen Grundlagen und Ausgangsvoraussetzungen<br />

für diesen Prozess auf und stellt sich drittens die Frage nach<br />

den gestaltenden Kräften, die in diesem Prozess wirksam sind.<br />

Die Geburtsstunde von Bildung als »politische Kraft« und ein zu entfaltendes<br />

»Konzept« wird von Armin Bernhard (2001) in die Epoche der Aufklärung verlegt<br />

(vgl. Bernhard 2001: 63). Die Aufklärung war verbunden mit »dem Versuch, eine<br />

neue Gesellschaft mit gleichen Rechten für alle Individuen aufzubauen« (ebd.: 64);<br />

Bildung sollte der »Selbstermächtigung der Menschen zur Gestaltung ihrer gesellschaftlichen<br />

Praxis« (ebd.) dienen. Allerdings: Mit dem Erstarken des Bürgertums<br />

trat die emanzipatorische Kraft zurück und Bildung »wurde zunehmend zum Instrument<br />

der Selektion und Allokation der Heranwachsenden« (ebd.). Dieser Befund<br />

hat noch immer seine Gültigkeit: »Die auf sozialer Ungleichheit aufgebaute<br />

Gesellschaft bedarf der Bildung als Qualifikation, als Schulung, als Training, nicht<br />

aber als eines emanzipativen Erkenntnisvermögens.« (ebd.: 70; Hervorh. i. Orig.)<br />

Hartmut von Hentig kritisiert in Hinblick auf Schule: »In der wissenschaftlichen<br />

Zivilisation sind aus der Schulbildung das Mittel und das Kriterium der akademischen<br />

Berufslaufbahn geworden.« (Hentig 1999a: 50) Schlimmer noch, es scheint<br />

sich zu bewahrheiten, »daß man in der Schule seine Karriere beginnt oder verpaßt«<br />

(ebd.: 52). In Abgrenzung zur Erziehung, die die Funktion der Reproduktion der<br />

Gesellschaft erfüllt, und über sie hinausgehend ist Bildung verknüpft mit der »Entstehung<br />

von Bewußtsein« (Bernhard 2001: 65; Hervorh. i. Orig.) und zielt ab auf<br />

die »geistige Erschließung von Welt« (ebd.). Dieses Bewusstsein bezieht sich nicht<br />

nur auf die kognitive Ebene, sondern umfasst gleichermaßen das bewusste Wachs-<br />

- 110 -


tum und die Entfaltung der Persönlichkeit (vgl. ebd.), das »Selbstbewußtsein, Bewußtsein<br />

von sich selbst als [den] Subjekten des Erlebens und Erkennens« (ebd.).<br />

Der Schule wird hierfür eine besondere Aufgabe zugedacht. »Indem die lernenden<br />

Subjekte in Bildungsprozessen die Welt erschließen, werden sie gleichsam in<br />

die Lage versetzt, sich selbst zu erschließen und damit eine Identität auszubilden.«<br />

(ebd.: 66) Allerdings: Aus der Sicht der kritischen Bildungstheorie »meint Bildung<br />

das unabgeschlossene Projekt emanzipativer Selbstfindung« (ebd.: 68; Hervorh.<br />

i. Orig.) und »die permanente Anstrengung, die Selbstverfügung über die eigenen<br />

Lebens- und Sozialisationserfahrungen zu gewinnen« (ebd.: 69). Armin Bernhard<br />

schlägt aus diesem Grund vor, »das individuelle Leiden zum Ausgangspunkt eines<br />

Bildungsprozesses« (ebd.: 67) zu machen, »der die Zusammenhänge zwischen den<br />

individuell erfahrenen Zwängen und den Strukturprinzipien der Gesellschaft herzustellen<br />

vermag« (ebd.). In einer solchen Analyse und Reflexion könne sich das<br />

kritisch-emanzipatorische Moment von Bildung entfalten.<br />

Der Bildungsbegriff selbst ist untrennbar mit Wilhelm von Humboldt verbunden:<br />

Das neuhumanistische Bildungsideal eines aufgeklärten Bürgertums rückte das<br />

zur Selbstbestimmung fähige Individuum in den Mittelpunkt: »Der Kernpunkt der<br />

humboldtschen Gedankenführung kreist um den Primat des Individuums oder der<br />

individuellen Selbstgestaltung.« (Kron 2001: 75) In der »Auseinandersetzung mit<br />

der Welt« (ebd.: 76) entstand so eine Dialektik: »Das Individuum bedarf […] der<br />

Welt, um der Entfaltung seiner Kräfte willen, und die Welt bedarf des Individuums<br />

und seines Handelns, um überhaupt kulturelle und gesellschaftliche Welt zu sein.«<br />

(ebd.) Diese Dialektik sah Wilhelm von Humboldt wohl begrenzt durch die Unvollkommenheit<br />

der (realen) gesellschaftlichen Verhältnisse seiner Zeit, weshalb er<br />

sich der griechischen und römischen Antike zuwandte (vgl. ebd.). Aus dieser Engführung<br />

auf bestimmte Kulturgüter resultierte das klassische Verständnis von Bildung<br />

des (deutschen) Bildungsbürgertums des 19. Jahrhunderts, realisiert im entsprechenden<br />

Gymnasium (vgl. ebd.: 77).<br />

Wolfgang Klafki entwickelte die neuhumanistischen Ideen weiter und verwies dabei<br />

auf die »Allgemeingültigkeit der Reflexivität des Bildungsprozesses« (vgl.<br />

Kron 2001: 77):<br />

»Kategoriale Bildung bedeutet grundlegende Bildung, insofern sich in diesem Prozess grundlegende<br />

Formen und Inhalte der Erkenntnis bzw. des Verstehens im wahrsten Sinne des Wortes<br />

‚herausbilden‘. Kategorial ist diese Bildung des Weiteren, wenn und weil sie Kategorien<br />

im Menschen erzeugt, mit deren Hilfe der Mensch sich selbst und die Welt sowie sein Verhältnis<br />

zu sich selbst und der Welt interpretieren und damit auch ein begründetes Handeln entwickeln<br />

kann. Kategorien können daher als Grundformen und -inhalte menschlicher Selbst- und<br />

Welterkenntnis begriffen werden, die sinnvolles Handeln überhaupt erst ermöglichen.« (ebd.)<br />

Wolfgang Klafki reicherte den Bildungsbegriff zudem auf der inhaltlichen Ebene<br />

mit einer kritischen Komponente an, indem er einen »gesellschaftlich-geschichtli-<br />

- 111 -


chen und politischen Zusammenhang« betonte (vgl. Kron 2001: 78). Seine Bezugnahme<br />

auf den Neuhumanismus bezeichnete er selbst als »kritisch« und als »konstruktiv«<br />

in Hinblick auf sich aktuell stellende Herausforderungen 74 (vgl. Klafki<br />

1995). Sein Konzept einer neuen, zeitgemäßen Allgemeinbildung sollte sich denn<br />

auch im schulischen Kontext in der Wahrnehmung und Bearbeitung der so genannten<br />

»epochaltypischen Schlüsselprobleme« entfalten (Klafki 1995, 1998 und<br />

1999). Bildung konstituiere sich über folgende »Grundelemente«:<br />

»als Befähigung zu vernünftiger Selbstbestimmung des Menschen, als Subjektentwicklung<br />

im Medium historisch wandelbarer, gleichwohl objektiv-allgemeiner Inhaltlichkeit, als je neu<br />

hervorzubringende dialektische Synthesis von Individualität und Gemeinschaftlichkeit und<br />

als individuell akzentuierbare Vielseitigkeit der moralischen, kognitiven, ästhetischen, praktischen<br />

und politischen Aufgaben und Möglichkeiten der Person.« (Klafki 1998: 34f.)<br />

Vom Anspruch her wird diese »allgemeine Bildung verstanden als Bildung für<br />

alle« (Klafki 1995: 11; Hervorh. i. Orig.). Im Prozess dieser allgemeinen Bildung<br />

sind drei zusammenhängende Grundfähigkeiten zu erarbeiten bzw. als Ergebnis zu<br />

erwarten:<br />

»Fähigkeit zur Selbstbestimmung jedes einzelnen über seine individuellen Lebensbeziehungen<br />

und Sinndeutungen zwischenmenschlicher, beruflicher, ethischer, religiöser Art; […] Mitbestimmungsfähigkeit,<br />

insofern jeder Anspruch, Möglichkeit und Verantwortung für die Gestaltung<br />

unserer gemeinsamen kulturellen, gesellschaftlichen und politischen Verhältnisse<br />

hat; […] Solidaritätsfähigkeit, insofern der eigene Anspruch auf Selbst- und Mitbestimmung<br />

nur gerechtfertigt werden kann, wenn er nicht nur mit der Anerkennung, sondern mit dem<br />

Einsatz für diejenigen und dem Zusammenschluß mit denjenigen verbunden ist, denen eben<br />

solche Selbst- und Mitbestimmungsmöglichkeiten aufgrund gesellschaftlicher Verhältnisse,<br />

Unterprivilegierung, politischer Einschränkungen oder Unterdrückungen vorenthalten oder<br />

begrenzt werden.« (ebd.: 11; Hervorh. i. Orig.)<br />

Ebenso wie Wolfgang Klafki, der von »Bildung für alle« (ebd.: 11; Hervorh. i.<br />

Orig.) spricht, stellt Hartmut von Hentig (1999a) fest: »Alle Menschen sind der<br />

Bildung bedürftig und fähig.« (Hentig 1999a: 59) Und: »‚Anlässe für Einsicht und<br />

Freude‘ – dies scheint mir die knappste Formel für das zu sein, was wir den jungen<br />

Menschen schulden, damit sie zu sich bildenden Subjekten werden können […].«<br />

(ebd.: 72; Hervorh. i. Orig.) Einsicht und Freude, also: »Die Menschen stärken,<br />

die Sachen klären« 75 – so hat Hartmut von Hentig 1985 seine Aufsatzsammlung<br />

»Plädoyer für die Wiederherstellung der Aufklärung« betitelt (siehe Hentig 2003<br />

[1985]) und so möchte er schulische Lernbedingungen gestalten bzw. gestaltet wissen<br />

(vgl. Hentig 1999a: 106-125). Als geeignete Anlässe für Bildung beschreibt er<br />

»bildende Lebenstätigkeiten« (ebd.: 101), die im schulischen Kontext stattfinden<br />

bzw. organisiert werden können – und zwar ausgehend von den Schulfächern, die<br />

- 112 -


er als »eine Ressource, ein Übungsfeld« (ebd.: 179) betrachtet, denn: »Die Fächer<br />

der herkömmlichen Schule sind brauchbare Anlässe für Bildung.« (ebd.) Hartmut<br />

von Hentig bezieht sich hier auf die Schule – analog haben seine Überlegungen<br />

auch für die Bildungsaktivitäten erwachsener Menschen Bedeutung, ja Gültigkeit.<br />

Bindeglied zwischen Lernen und Bildung: das Prinzip des exemplarischen<br />

Lernens<br />

Das Prinzip des exemplarischen Lernens ist mit Martin Wagenschein 76 verbunden<br />

(vgl. Negt/Brock 2001: 109). Martin Wagenschein, der noch bis kurz vor seinem<br />

Tod 1988 als Hochschullehrer tätig war, Vorträge hielt und publizierte (vgl. Rumpf<br />

2002: 169), charakterisiert sich selbst in einem Briefwechsel mit Horst Rumpf als<br />

»langsam im Kapieren, und zäh am Staunen« (ebd.: 3) – ein ganz wunderliches<br />

Plädoyer für Langsamkeit, Intensität und Entdeckungslust in Verstehens- und Aneignungsprozessen.<br />

So beschreibt Hans Christoph Berg (1999) das Merkmal des<br />

Wagenschein‘schen Verständnisses von Lernen und Bildung auch als »Expedition<br />

statt Museumsführung« (Berg 1999: 180) und bezeichnet seine Bildung insgesamt<br />

als »Lebenskraft« (ebd.). Hartmut von Hentig (1999b) bemerkt über Martin Wagenschein,<br />

dieser tue nur das, »was jeder Pädagoge tun sollte: er hilft Kindern beim Lernen.<br />

Er ist kein besonderer Pädagoge, sondern ein wirklicher Pädagoge – aus Liebe<br />

zu den Kindern und, wie er in einer autobiographischen Notiz schreibt: aus einer großen<br />

‚Lust am Klarmachen‘.« (Hentig 1999b: 10; Hervorh. i. Orig.) Für Martin Wagenschein<br />

war es eine der grundlegenden Bedingungen für produktives Lernen,<br />

»ZEIT WIE HEU« (Rumpf 2002: 16; Hervorh. i. Orig.) zu haben. Horst Rumpf<br />

fragt daher auch rückblickend nach den Erfolgsaussichten bzw. überhaupt der Daseinsberechtigung<br />

dieser Art von »Sondierungen« (vgl. ebd.: 17): »Wenn doch die<br />

Zeichen der Zeit viel eher auf rasche Bewältigung und Erledigung des Vielzuvielen<br />

stehen als auf intensive Vertiefung in das Wenige und Karge« (ebd.) In seinem<br />

Buch »Verstehen lehren« (1968) beschreibt Martin Wagenschein seine »Lehrweise«<br />

als »genetisch-sokratisch-exemplarisch«:<br />

»Die sokratische Methode gehört dazu, weil das Werden, das Erwachen geistiger Kräfte, sich<br />

am wirksamsten im Gespräch vollzieht. Das exemplarische Prinzip gehört dazu, weil ein genetisch-sokratisches<br />

Verfahren sich auf exemplarische Themenkreise beschränken muß und<br />

auch kann. Denn es ist […] ‚muße-fordernd‘ und deshalb von hohem Wirkungsgrad. Und umgekehrt:<br />

ein streng exemplarisches Verfahren muß ‚Genetisch‘ sein. Denn die besondere Art<br />

‚Gründlichkeit‘, die zu ihm gehört, ist erst mit dem Attribut des ‚Genetischen‘ ganz erreicht.«<br />

(Wagenschein 1968: 55f.; Hervorh. i. Orig.)<br />

Wissen darf nicht einfach dargeboten werden, sondern muss von einem angemessenen<br />

Ausgangspunkt aus entdeckt werden (exemplarisch) und diskursiv im Gespräch<br />

gemeinsam von Schüler/inne/n und Lehrer/inne/n erarbeitet werden (sokratisch).<br />

Es ist das gemeinsame Suchen und Entdecken – »das Selbst-Teilnehmen am<br />

- 113 -


Suchen – Irren – finden – In-Worte-Fassen« (Wagenschein 2002 [1985]: 57). Der<br />

vielfach verkürzt verstandene Wagenschein‘sche Mut zur Lücke meint eigentlich<br />

»den Mut zur Gründlichkeit und bei begrenzten Ausschnitten intensiv zu verweilen.<br />

Anstelle also des gleichmäßig oberflächlichen Durchlaufens des Kenntniskataloges,<br />

Schritt für Schritt: die Erlaubnis, ja die Pflicht, sich hier und dort festzusetzen,<br />

einzugraben, Wurzel zu schlagen, einzunisten.« (Wagenschein 1968: 10) Eine<br />

mögliche Antwort, die Aufschluss über die sinnstiftende Verbindung zwischen den<br />

Vorgängen des Lernens und des (Sich-)Bildens geben könnte, ist das »verstehende<br />

Lächeln« (Wagenschein 2002 [1960]: 80). Das verstehende Lächeln stellt sich bei<br />

Menschen ein, wenn ein Sachverhalt tatsächlich verstanden wurde und Wissen in<br />

der Tat angeeignet werden konnte, weil Einsicht im Nachvollziehen gewonnen<br />

worden war (genetisch). Damit wird deutlich, weshalb Wolfgang Klafki das Prinzip<br />

des exemplarischen Lernens als »Bildendes Lernen« (Klafki 1996: 143) beschrieben<br />

hat. Wilhelm Büthe (1975 [1959]) legt in seiner Ausarbeitung des exemplarischen<br />

Lehrens für die Volksschule dar, wie über die Auseinandersetzung mit<br />

bzw. Aneignung von Inhalten das Erschließen neuer unbekannter Gegenstände ermöglicht<br />

wird (vgl. Büthe 1975 [1959]: 92). Die Einsichten, die aus solchen exemplarischen<br />

Lehr-Lern-Prozessen resultieren können, werden von Wolfgang Klafki<br />

als kategorial bezeichnet. Solche kategorialen Einsichten bringen gleichzeitig neue<br />

Wissensstrukturen, Zugangsweisen, Lösungsansätze oder Handlungsoptionen hervor<br />

(vgl. Klafki 1996: 144). Um auf die Schaffung notwendiger Grundlagen zu verweisen,<br />

verwendet Wolfgang Klafki den Begriff der so genannten »instrumentellen<br />

Voraussetzungen« (Klafki 1998: 47); er selbst nennt diese Bezeichnung »eine Verlegenheitslösung«<br />

(ebd.: 50). Damit sind »Voraussetzungen für Bildungsprozesse«<br />

gemeint, wie beispielsweise spezifische Arbeitsverfahren oder bereichsspezifische<br />

Grundbegriffe. Vorgeschlagen wird, in Abstimmung mit den konkreten Bedingungen,<br />

in der Lehr-Lern-Situation zu entscheiden, ob diese instrumentellen Voraussetzungen<br />

vor der problemorientierten Unterrichtseinheit geschaffen oder innerhalb<br />

dieser erarbeitet werden sollen (vgl. ebd.: 47):<br />

»Mit Sicherheit läßt sich jedoch unter dem Gesichtspunkt des Primats einsichtigen Lernens<br />

und unter dem Aspekt der Lernmotivation sagen, daß es pädagogisch unvertretbar wäre, ganzen<br />

Bildungsstufen vorwiegend den Auftrag zuordnen zu wollen, ‚instrumentelle‘ Voraussetzungen<br />

für Bildungsprozesse bereitzustellen, deren Sinn erst zu erheblich späteren Zeitpunkten<br />

erfaßt werden kann.« (ebd.)<br />

Wolfgang Klafki betrachtet diese instrumentellen Voraussetzungen als »aufschließendes<br />

Wissen und Können« (Klafki 1996: 155f.). Das erinnert an den aktuell<br />

häufig gebrauchten und meines Erachtens eher missverständlichen Begriff<br />

des Lernen lernen, der als scheinbar eigenständiges Lernziel propagiert wird –<br />

als könnte das Lernen gleichsam im Vakuum gelernt werden. Wahr ist vielmehr,<br />

dass die Auseinandersetzung (exemplarisch – sokratisch) mit bestimmten Inhal-<br />

- 114 -


ten die Aneignung im Sinne der Verinnerlichung von Wissen und die Ausbildung<br />

von Wissensstrukturen (genetisch) erst ermöglicht, d.h., gerade dann wenn innerhalb<br />

der Lehr-Lern-Prozesse eine reflexive Aneignung dieser Prozesse angeleitet<br />

und somit ermöglicht wird.<br />

3.<strong>1.2</strong> Subjektorientierte Erwachsenenbildung: Begründungen und Ansätze<br />

Erhard Meueler zufolge ist »Bildung als bewertetes und bewertendes Lernen […]<br />

ein offener Prozeß der Aneignung lebensnotwendigen Wissens und menschlicher<br />

Verhaltensmöglichkeiten mit einer besonderen Qualität informierter, kritischer<br />

Auseinandersetzung mit der Welt und sich selbst.« (Meueler 1998: 154) Bildungsanspruch<br />

der subjektorientierten Erwachsenenbildung sei es, dass die »Bildung<br />

zum Subjekt [dann] erfolgt, wenn es zum Wachstum all jener Kräfte, Fähigkeiten<br />

und Fertigkeiten, zur Zunahme von Kenntnissen, Einsichten und Einstellungen<br />

kommt, die die bloße Funktionalität übersteigen.« (ebd.: 157; Hervorh. i. Orig.)<br />

Die möglicherweise als Tautologie verstandene »subjektivitätsfördernde Erwachsenenbildung«<br />

(ebd.: 169) argumentiert er wie folgt:<br />

»In der Tat ist mit dem klassischen Bildungsbegriff im Zusammenklang von Wissenserwerb<br />

und kritischer Auseinandersetzung mit dem zu Lernenden und dem Gelernten immer schon<br />

Subjektentwicklung gemeint. Der Bildungsbegriff ist als Terminus der Verwaltungssprache<br />

[…] aber so entwertet worden, daß es heute besonderer Kommentierung bedarf, um an seine<br />

ursprüngliche Bedeutung zu erinnern. Der Zusatz ‚subjektorientierte‘ Erwachsenenbildung ist<br />

als solch kräftige Akzentuierung gedacht.« (ebd.: 169f.; Hervorh. i. Orig.)<br />

Jochen Kade (1982) hat schon zu Beginn der 1980er Jahre die »Grundlinien einer<br />

subjektivitäts- und erfahrungsorientierten Erwachsenenbildung« skizziert<br />

und einleitend festgestellt, es könne ihm der Vorwurf des »wissenschaftlichen<br />

Zeitvertreibs« gemacht werden, »Eulen nach Athen (oder besser: Belehrungen<br />

zum Pädagogen) zu tragen« (Kade 1982: 9), weil er die Bedeutung des Subjektund<br />

Erfahrungsbezugs in der und für die Pädagogik hervorhebe: »Und dennoch<br />

werden Erziehungsziele und Erziehungsprobleme immer wieder aus der Perspektive<br />

der Gesellschaft und nicht aus der der Individuen formuliert und diskutiert.«<br />

(ebd.)<br />

Dieser Befund der vernachlässigten Individualebene erscheint ungeheuer aktuell<br />

angesichts des normativen Charakters des Konzeptes des lebenslangen Lernens<br />

und des durch dieses Konzept (angeblich) möglich gemachten Erreichens<br />

von Beschäftigungsfähigkeit, Qualifikationen und (Schlüssel-)Kompetenzen. Die<br />

Perspektive der Individuen in den Blick zu nehmen, würde jedoch heißen, Erwachsene<br />

mit ihren Bedürfnissen und Erfahrungen ernst zu nehmen und entsprechende<br />

Bildungsräume zu schaffen. Über die Möglichkeiten der Schaffung sol-<br />

- 115 -


cher Bildungsräume und die Gestaltung von Bildungsprozessen hat Jochen Kade<br />

bemerkt, dass es darum gehe »das Individuum kennenzulernen, wie es sich ganzheitlich<br />

in seinen praktischen und theoretischen, alltagsbezogenen Lebensäußerungen<br />

ausdrückt.« (ebd.: 56) Aber: »Die Standardisierung von Kurszielen und<br />

Kursinhalten, die Ritualisierung von Methoden, der Aufbau eines Zertifikatssystems,<br />

die Bürokratisierung der Organisation etc. machen die Äußerungen individueller<br />

Produktivität – von Dozenten [Kursleitenden] und Teilnehmern [Teilnehmerinnen]<br />

– zur Peripherie.« (ebd.)<br />

Karlheinz Geißler hat die Frage gestellt, wie »eine an der individuellen Subjektivität<br />

und an der Erfahrung der Beteiligten orientierte Didaktik der Erwachsenenbildung«<br />

(Geißler 1982: 73) aussieht. Die Prinzipien der Orientierung an Zielgruppen<br />

und Teilnehmenden und der Orientierung an deren Erfahrungen und<br />

Lebenswelten sind in der Erwachsenenbildung bereits unumstritten handlungsleitend.<br />

Allerdings: »In der […] Bildungspraxis zeigt sich, ob mit den Vorerfahrungen<br />

der beteiligten Subjekte und damit mit ihrer Subjektivität nur umgegangen<br />

wird, oder ob diese Erfahrungen für einen, die Erfahrungsmöglichkeiten<br />

erweiternden und die Subjektivität entwickelnden Lernprozeß fruchtbar gemacht<br />

werden.« (ebd.: 74) Denn: »Allein die Vielfältigkeit der Erfahrungsbereiche […]<br />

und die jeweils spezifischen Biographien machen generelle Aussagen über die<br />

Teilnehmer recht spekulativ. Die dort gemachten Erfahrungen werden verschieden<br />

interpretiert, angeeignet und zu einer spezifischen Subjektivität verarbeitet.«<br />

(ebd.) In diesem Hinweis auf die spezifische Subjektivität, die es in Lernprozessen<br />

wahrzunehmen gilt, klingt die so genannte »dritte Dimension des Lernens« an,<br />

die innere Seite des Lernens (»Intimacy«), der aufmerksame und tiefgehende Blick<br />

in die Individualebene (siehe dazu Abschnitt <strong>1.2</strong>). Karlheinz Geißler hat meines<br />

Erachtens zu Recht kritisiert, dass die Quasi-Homogenität von zielgruppenspezifischen<br />

Angeboten, zumeist basierend auf demografischen Angaben, die Kursleitenden<br />

von der Aufgabe zu entbinden scheine, »ihre jeweiligen Teilnehmer wirklich<br />

einmal anzuschauen und sich auf sie einzulassen« (ebd.: 76f.; Hervorh. v.<br />

MK). Damit verbunden wird kritisiert, dass in der Erwachsenenbildung vielfach<br />

»Fremd erfahrungen« (ebd.: 89) – und zwar wissenschaftliche Erfahrungen<br />

– vermittelt werden. »Die Systematisierung und Generalisierung von Erfahrungen<br />

durch Wissenschaft entfremden von lebenspraktischer Erfahrung.« (ebd.) Aber:<br />

»Zur Organisierung unmittelbarer Erfahrungen stellen die relativ abstrakten Kategorien<br />

aus wissenschaftlichen Erfahrungsverarbeitungen wertvolles und unverzichtbares<br />

Reflexionspotential bereit.« (ebd.: 91) Wie kann es nun zu einer produktiven<br />

Integration lebensweltlicher und wissenschaftlicher Erfahrungen kommen<br />

»Sie [die didaktische Transferleistung] gelingt erst dort, wo die von allen am Lehr-Lernprozeß<br />

Beteiligten vorgenommenen Anknüpfungs- und Integrationsleistungen individuelle und gesellschaftliche<br />

Subjektivität zu berühren vermag, wo Aufklärung und deren Begriffe mit den Erfahrungen<br />

und mit der Phantasie der Subjekte verknüpft werden.« (ebd.: 96; Hervorh. i. Orig.)<br />

- 116 -


Dass das nicht nur der didaktischen Planung, sondern auch der Spontaneität im<br />

Lehr-Lern-Prozess sowie entsprechender zeitlicher Rahmenbedingungen bedarf,<br />

liegt auf der Hand.<br />

Die Themenzentrierte Interaktion (TZI) nach Ruth C. Cohn verstehe ich als bildungspraktisches<br />

Modell für eine subjektorientierte Erwachsenenbildung. Die<br />

Themenzentrierung fokussiert die Sachebene, die Ebene der Wissensvermittlung,<br />

die kognitive Ebene des Erkennens (das Es), verbunden mit dem Fokus auf die<br />

in der Lerngruppe vorhandenen Personen und deren Ressourcen, Potenziale und<br />

Aktivitäten (das Ich bzw. die Ichs), die Interaktionen innerhalb der Lerngruppe<br />

(das Wir) sowie die Berücksichtigung der diese Lerngruppe und die beteiligten<br />

Personen umgebenden Umwelt (der Globe) mit dem Ziel des lebendigen Lernens.<br />

Die Gruppenleitung ist dabei für eine dynamische Balance aus Anleitung und Begleitung,<br />

Organisation von selbsttätiger Aneignung von Inhalten sowie Beteiligung,<br />

Austausch und Reflexion verantwortlich. Die Gruppenmitglieder übernehmen<br />

ebenfalls Verantwortung für die Gestaltung der Lehr-Lern-Prozesse. Diese<br />

Prozesse sind insgesamt durch die Postulate und Hilfsregeln der TZI bestimmt<br />

und sollen es ermöglichen, Es-, Wir-, Ich- und Globe-Aspekte ganzheitlich zu bearbeiten.<br />

77 Das Modell der TZI wurde von Ruth C. Cohn aus ihrer eigenen psychoanalytischen<br />

Arbeit heraus entwickelt. Darauf beruht auch ihr Anspruch an<br />

die TZI: »Von der Psychoanalyse zur themenzentrierten Interaktion. Von der Behandlung<br />

einzelner zu einer Pädagogik für alle« (Cohn 1975). Es sei ihr nämlich<br />

aufgefallen, dass »die Lebendigkeit gruppentherapeutischen Lernens vor allem<br />

mit einer achtungsvollen Einstellung zur Gefühlswelt und zum persönlichen Befinden<br />

des einzelnen zu tun« (ebd.: 112) hat. Die Betonung der Bedeutung von<br />

Gefühlen in Lehr-Lern-Prozessen geht ebenfalls auf eine psychoanalytische Einsicht<br />

zurück, nämlich, stets in der »eigenen inneren Welt« zu leben. Wechselseitige<br />

Verständigung und Wahrnehmung seien möglich: »Meine Gedanken, meine<br />

Gefühle können und müssen jedoch meine Brücke zu dir sein. Sie sind der einzige<br />

Weg von Insel zu Insel.« (ebd.: 130) Die bekannten Versatzstücke aus den<br />

Postulaten und Hilfsregeln der TZI, beispielsweise dass Störungen Vorrang hätten<br />

78 und dass per ich und nicht per man gesprochen werden sollte, werden in Veranstaltungen<br />

der Erwachsenenbildung an entsprechenden Zitaten sichtbar. Das<br />

theoretische Fundament der TZI ist allerdings mehr als eine didaktisch-methodische<br />

Regieanweisung. 79 Als etwas scheinbar Selbstverständliches wird in der<br />

TZI vorausgesetzt und nicht axiomatisch definiert: »Keine Methode ersetzt persönliche<br />

Wärme, Toleranz und positive Einstellung zum Menschen.« (ebd.: 114)<br />

Das Fundament der TZI ist eine Grundhaltung, die in den folgenden Axiomen<br />

zum Ausdruck gelangt: Erstens seien Menschen eine »psycho-biologische Einheit«<br />

und gleichzeitig »Teil des Universums«. Daher seien sie zugleich autonom<br />

und interdependent (vgl. ebd.: 120). Und: »Autonomie (Eigenständigkeit) wächst<br />

mit dem Bewußtsein der Interdependenz (Allverbundenheit).« (ebd.; Hervorh. i.<br />

Orig.) Zweitens: »Ehrfurcht gebührt allem Lebendigen und seinem Wachstum.<br />

- 117 -


Respekt vor dem Wachstum bedingt bewertende Entscheidungen. Das Humane<br />

ist wertvoll; Inhumanes ist wertbedrohend.« (ebd.) Drittens: »Freie Entscheidung<br />

geschieht innerhalb bedingender innerer und äußerer Grenzen. Erweiterung<br />

dieser Grenzen ist möglich.« (ebd.) Die folgenden Aussagen sind gleichsam der<br />

Schlüssel zu dieser pädagogischen Haltung: »Unser Maß an Freiheit ist, wenn wir<br />

gesund, intelligent, materiell gesichert und geistig gereift sind, größer, als wenn<br />

wir krank, beschränkt oder arm sind und unter Gewalt und mangelnder Reife leiden.<br />

Bewußtsein unserer universellen Interdependenz ist die Grundlage humaner<br />

Verantwortung.« (ebd.; Hervorh. i. Orig.) »Menschen kommen mit unterschiedlichem<br />

Potential zur Welt. Ihre Umgebung begünstigt oder verdirbt es.« (ebd.: 181;<br />

Hervorh. v. MK) Innerhalb dieser Unfreiheit bestehen dennoch Chancen für Autonomie.<br />

So sei es die Aufgabe in Erziehungs- und Bildungszusammenhängen,<br />

»eine Situation vorzubereiten, in der Veränderung möglich wird« (ebd.: 181; Hervorh.<br />

i. Orig.). 80<br />

3.1.3 Dimensionen: mögliche Bildungsinhalte und Bildungsziele<br />

Oskar Negt hat sich mit der Frage, was Menschen – Kinder und Jugendliche und<br />

Erwachsene – lernen sollen, beschäftigt (Negt 1998, 2002a und 2002b). Auf Basis<br />

einer gesamtgesellschaftlichen Analyse findet er Antworten auf den Umgang<br />

mit der festgestellten »Erosionskrise« (vgl. Negt 2001: 115-141), die sich dadurch<br />

auszeichnet, dass Grundsätzliches in Frage gestellt zu sein scheint: »die Institutionen<br />

ebenso wie die subjektiven Einstellungen, Wertsysteme und Erziehungsmuster,<br />

die politischen Regulationsmechanismen ebenso wie die Organisationsformen<br />

von Interessen und das Parteiensystem. Die Gesamtgesellschaft gerät aus den Fugen,<br />

kaum ein Stein bleibt mehr auf dem anderen.« (ebd.: 120) Er beschreibt Kompetenzen,<br />

die er als »gesellschaftliche Schlüsselqualifikationen« konzipiert und als<br />

»Voraussetzung […] für eine befriedigende Lebensorientierung« (ebd.: 527) bestimmt.<br />

Diese Antworten auf den Umgang mit der festgestellten »Erosionskrise«,<br />

Oskar Negts gesellschaftliche Schlüsselqualifikationen, sind gleichsam Bildungsinhalte<br />

und Bildungsanlässe. Seine gesamtgesellschaftliche Analyse aus soziologischer<br />

Perspektive bezieht Oskar Negt auf pädagogische und psychologische Fragen,<br />

wenn er nach dem »Lernen in einer Welt gesellschaftlicher Umbrüche« (Negt<br />

1998) fragt. Im Anschluss an Émile Durkheims Theorie der Anomie, die sich im<br />

Ergebnis als »moralisches Vakuum« präsentiert, wendet er den Begriff der Erosion<br />

stärker auf den feststellbaren »Prozeß der Zersetzung« an (vgl. ebd.: 123). »Fragmentierung,<br />

Spaltung, Abkoppelung sind die Hauptmechanismen dieses Krisentyps<br />

[des Prozesses der Zersetzung], was den Bereich unterschlagener Wirklichkeit<br />

immer weiter wachsen läßt.« (ebd.: 125) Dieser »Bereich unterschlagener Wirklichkeit«<br />

hat Auswirkungen auf die Individualebene – diese sind unmittelbar oder<br />

indirekt spürbar oder erschließen sich möglicherweise über ein gefühltes Unbeha-<br />

- 118 -


gen angesichts der wahrgenommenen gesellschaftlichen, wirtschaftlichen und politischen<br />

Verhältnisse. Oskar Negt ortet in diesem Zusammenhang fünf Krisenherde<br />

des Kapitalismus (vgl. ebd.: 130-136): erstens die massiven Umgestaltungen von<br />

Nationen und territorialen Gefügen (Ost – West; so genannte »erste«, »zweite« und<br />

»dritte Welt«; Gebilde der Europäischen Union im Erweiterungsprozess); zweitens<br />

die technologischen und medizinischen Entwicklungen, die in Natur und menschliches<br />

Leben eingreifen (können); drittens »Kindheit und Schule in einer Welt der<br />

Umbrüche«, die tendenziell fragmentierten Sozialisations- und Lernorte; viertens<br />

die Herausforderungen in Hinblick auf die Verrückungen von Nähe und Distanz<br />

im Verhältnis zwischen Individuen und zwischen Individuum und Gesellschaft;<br />

fünftens die Veränderungen der Arbeits- und Erwerbsgesellschaft und insbesondere<br />

deren Auswirkungen auf die Menschen. Angesichts dieser Krisenherde bedarf<br />

es einer »Übersetzungs- und Orientierungsarbeit«, die im Rahmen der politischen<br />

Bildung in Schule und Erwachsenenbildung erfolgen sollte (vgl. ebd.: 525ff.):<br />

»Was müssen Menschen wissen, damit sie in der heutigen Krisensituation begreifen können,<br />

was vorgeht Welche Möglichkeiten gibt es für sie, ihre Lebensbedingungen in solidarischer<br />

Kooperation mit anderen zu verbessern Mit welchen Orientierungen und Sachkompetenzen<br />

müssen sie ausgestattet sein, um sich in dieser Welt der Umbrüche zurechtfinden zu können«<br />

(ebd.: 527)<br />

Das Prinzip des »exemplarischen Erfahrungslernens« soll die Herstellung von Zusammenhängen<br />

ermöglichen. 81 Auf diese Weise könne die Fähigkeit entwickelt<br />

werden, »Beziehungen zwischen den Dingen und Verhältnissen herzustellen, orientierende<br />

Zusammenhänge zu stiften« (ebd.: 528). Des Weiteren meint Oskar Negt:<br />

»Für jedes Lernen, das dem einzelnen Menschen Orientierungswissen vermittelt,<br />

ist die Rückbeziehung auf den eigenen Lebenszusammenhang unerläßlich.« (Negt<br />

1990: 17) Damit eröffnet sich eine Anbindung an die Theorie der subjektorientierten<br />

Erwachsenenbildung (siehe Abschnitt 3.<strong>1.2</strong>). Bedeutsam sei nämlich »die bewußte<br />

Herstellung eines Zusammenhangs zwischen den Interessen und Bedürfnissen<br />

des lernenden Subjekts und der Objektwelt« (ebd.: 16; Hervorh. v. MK). Ein<br />

solches Lernen vermag tatsächlich zu orientieren, basiert es doch auf der »Entwicklung<br />

innerer Reserven und geistiger Lagerhaltungen« (Negt 1998: 30).<br />

Die Ausführungen in Abschnitt 2.5 zu den psychosozialen Folgen von Erwerbsarbeitslosigkeit<br />

lassen in Hinblick auf die Individualebene insbesondere die von Oskar<br />

Negt benannte Kompetenz zur Wahrung bzw. Wiederherstellung der »Identitätsbalance«<br />

(Negt 1998: 33) als bedeutsam erscheinen: 82 »Die Kompetenz einer<br />

aufgeklärten Umgangsweise mit bedrohter und gebrochener Identität gehört […]<br />

zu den Grundausstattungen von Lernprozessen, die auf Zukunft gerichtet sind.«<br />

(Negt 2001: 531) Zudem gehe es dabei auch darum, »den Verlust von Selbstwertgefühlen<br />

zu verarbeiten« (Negt 2002b: 56; Hervorh. v. MK). Wilhelm Mader (1990)<br />

hat im Anschluss an Oskar Negt den Versuch unternommen, »Kompetenz im Um-<br />

- 119 -


gang mit gebrochener Identität« zu fassen. Er definiert Identität als soziale Kategorie,<br />

die sich in Beziehungen konstituiert und entfaltet: »Identität (Erkennen, Wiedererkennen,<br />

Anerkennen) findet dort statt, wo dem Ich-bin-Ich ein erkennendes<br />

und anerkennendes Du-bist-Du entspricht. […] gebrochene Identität bedeutet radikale<br />

Vereinzelung.« (Mader 1990: 21) Was bedeutet das für die Erwachsenenbildungsarbeit,<br />

in der Identitätskonstruktionen als »spezifische Oberflächenstruktur«<br />

(ebd.: 24) der teilnehmenden Menschen sichtbar werden »Diese Oberfläche als<br />

psychosoziale Folge enthält und bewahrt die Verwerfungen, die aus den konflikthaften<br />

Bewältigungen von Brüchen resultieren.« (ebd.: 25) Hier, an dieser sichtbaren,<br />

geteilten, gezeigten, wahrnehmbaren Oberfläche darf in der Erwachsenenbildungsarbeit<br />

demnach angesetzt werden. Wie das geschehen kann, entscheidet<br />

sich in der Praxis, und zwar im situativen Einzelfall zwischen den Teilnehmenden<br />

und den Lehrenden (vgl. ebd.: 29f.). »Jede papierene Feststellung wäre von<br />

Übel, da unsere eigene Geschichte gebrochener Identität existentiell in die professionelle<br />

Kompetenz hineingewoben werden muß. […] Die Brüche selbst sind der<br />

Lernstoff dieser Kompetenz.« (ebd.) Diese Aufforderung, in der Erwachsenenbildungsarbeit<br />

ausschließlich an der gezeigten Oberfläche anzusetzen, könnte streng<br />

genommen gegen eine Vermittlung entsprechender Kompetenzen in Bildungsangeboten<br />

sprechen. Oskar Negt selbst hat jedoch die Herausforderung thematisiert, die<br />

eine Umsetzung der von ihm formulierten Kompetenzen in didaktischer Hinsicht<br />

innerhalb von Bildungsangeboten bedeutet (vgl. Negt 2001: 533). In enger Bezugnahme<br />

auf die Überlegungen von Oskar Negt wurde in dem Projekt »Politische<br />

Partizipation durch gesellschaftliche Kompetenz: Curriculumentwicklung für die<br />

politische Grundbildung« 83 eben diese Umsetzung für die politische Grundbildung<br />

in Form von Studienheften für sechs gesellschaftliche Kompetenzen vorgenommen.<br />

Dass diese sechs Kompetenzen untrennbar miteinander verbunden sind, ist<br />

von Bedeutung. Schließlich betrifft die Identitätskompetenz die Subjektebene. Und<br />

diese Subjekte stehen in ihrem Verhältnis zu Gesellschaft, Kultur und Tradition<br />

(gefordert werden historische Kompetenz und Gerechtigkeitskompetenz), leben<br />

in ihrer jeweiligen (regionalen bis globalen) Umwelt (gefordert sind ökologische<br />

und technologische Kompetenz) und sind von gesellschaftlichen und insbesondere<br />

wirtschaftlichen Entwicklungen betroffen (gefordert ist ökonomische Kompetenz)<br />

(vgl. Schreiber-Barsch u.a. 2005: 7f.). Von Bedeutung in Hinblick auf die verwendeten<br />

Begrifflichkeiten ist, dass diese gesellschaftlichen Kompetenzen sich in die<br />

Tradition der kritischen Pädagogik 84 mit deren Bildungsanspruch und Bildungsziel<br />

der individuellen und kollektiven Emanzipation stellen. 85 Daher wird von den<br />

am Projekt mitarbeitenden Wissenschaftler/inne/n und Bildungspraktiker/inne/n<br />

auf die Tendenz zur Zurichtung der Menschen aufmerksam gemacht, die vor allem<br />

mit dem Schlüsselqualifikations- und Kompetenzbegriff im Bereich der beruflichen<br />

Ausbildung und der berufsbezogenen Weiterbildung befördert wurde: »Aus<br />

Qualifikationen werden Kompetenzen, aus Qualifizierung Kompetenzentwicklung.<br />

Was bleibt ist der Verzicht auf anthropologisch-humanistische und bildungstheo-<br />

- 120 -


etisch-emanzipatorische Anteile, die jedoch dringender denn je benötigt werden.«<br />

(ebd.: 18) Genau diese emanzipatorische Perspektive wird mit den Negt‘schen Bildungszielen<br />

im Rahmen des Projekts fokussiert; mögliche Dimensionen von Identitätskompetenz<br />

werden bestimmt:<br />

»Kompetenz der Selbst- und Fremdwahrnehmung, die befähigt, grundlegende Veränderungen<br />

der Gesellschaft, die teilweise die Auflösung traditioneller Strukturen in Gesellschaft, Familie<br />

und Arbeitswelt zur Folge haben, zu erkennen und zu verstehen. Der Zwang, sich auf neue<br />

Realitäten einzulassen, fordert von den Menschen in erhöhtem Maß die Fähigkeit, sich mit bedrohter<br />

oder gebrochener Identität aufgeklärt auseinander zu setzen. Die Entwicklung neuer,<br />

individueller wie gesellschaftlicher Wertmaßstäbe gehört zu einem zukunftsbezogenen Lernprozess.«<br />

(ebd.: 7)<br />

Wie kann nun diese Kompetenz im Rahmen von Bildungsangeboten entwickelt und<br />

gefördert werden Dezidiert wird von den Wissenschaftler/inne/n und Bildungspraktiker/inne/n<br />

festgehalten, dass die Eigenaktivität der sich bildenden Personen,<br />

das »eigene Handlungspotenzial selbst erkennen und auch gestalten [zu] wollen«<br />

(ebd.), unerlässlich ist. Aber: »Einen förderlichen und anregenden Rahmen für solche<br />

Lernprozesse zu schaffen, ist […] definitiv als Verantwortung von organisierten<br />

Bildungsaktivitäten zu kennzeichnen.« (ebd.) Als Kernelemente dieser Verantwortlichkeit<br />

werden bestimmt: erstens der am Dialog orientierte Anspruch, die<br />

Individuen stets in Beziehung zu ihrer Lebenswelt/Umwelt zu setzen und durch<br />

Einbeziehung größerer Zusammenhänge und Fragestellungen diese Kontexte reflexiv<br />

einzubetten; zweitens die Ausbildung der Fähigkeit zum Perspektivenwechsel<br />

durch Förderung von »Multiperspektivität« und drittens die Ermöglichung von<br />

»Teilnahme aller an Beteiligungsstrukturen« (vgl. ebd.: 53f.). Somit zielt Bildung,<br />

wie die Wissenschaftler/innen und Bildungspraktiker/innen weiter ausführen, auf<br />

die Förderung, Begleitung und Unterstützung von identitätsbezogenen Lernprozessen<br />

ab, indem entsprechende Räume zur Entwicklung und Entfaltung eröffnet<br />

werden: Reflexive Lernprozesse beziehen sich auf die individuelle Situation und<br />

Handlungsfähigkeit sowie die jeweiligen Bezüge zu gesellschaftlichen Strukturen.<br />

Methoden, die eine Reflexion der eigenen Lebensgeschichte ermöglichen, können<br />

hierbei Brüche und Widersprüche erkennbar und verstehbar machen. Im Bildungsraum<br />

können neue Handlungsstrategien und individuelle Veränderungen erprobt<br />

werden (vgl. ebd.: 54f.).<br />

Die Diskussion um mögliche Bildungsinhalte verweist stets auch auf Vorgänge und<br />

(implizite oder explizite) Bildungsziele. Wird Bildung verstanden als Bezugnahme<br />

auf das, »was an menschlichen Möglichkeiten noch nicht realisiert ist« (Meueler<br />

1998: 155; vgl. auch Buddrus 1996: 390), sind damit Prozesse der Entfaltung<br />

und Entwicklung, Prozesse der Subjektwerdung, angesprochen. Dabei geht es um<br />

die Realisierung von individuell vorhandenen Potenzialen – Bildung sei »geistige<br />

Gestaltwerdung des Individuums« (Böhme 2005: 302). »Entwicklung soll […]<br />

- 121 -


nicht biologisch (als Wachstum), sondern als Veränderung und Erweiterung von<br />

Fähigkeiten, Wünschen, Ideen, Erfahrungen, Einsichten, Wissen und Kreativität<br />

verstanden werden. Sie kann nicht erzwungen, aber gefördert und bewußt unterstützt<br />

und erleichtert werden.« (Meueler 1998: 123) Auch berufsbezogene Weiterbildungsprozesse<br />

bieten die Chance auf Entwicklung und Entfaltung der Subjekte<br />

– diese möglicherweise gar nicht intendierten Wirkungen beschreibt Erhard Meueler<br />

(1998) als den zweiseitigen Charakter von Qualifikationen: »Qualifikationen<br />

haben große funktionelle Anteile, gleichwohl verstärken sie, erfolgreich vollzogen,<br />

unsere Selbstwertgefühle. Sie bieten immer auch subversives Know-how, sich mit<br />

ihrer Hilfe gegen Überwältigung zur Wehr setzen zu können.« (ebd.: 166) Hiermit<br />

ist das Moment von Selbstbestimmung angesprochen. Das ist die »Dialektik von<br />

angestrebter Selbstbestimmung und Angewiesensein auf andere« (ebd.: 99), die in<br />

Bildungsprozessen, aber auch im Leben an sich zum Tragen kommt:<br />

»Jeder von uns ist vom ersten Tag an auf Gesellschaft bezogen. Das menschliche Leben ist<br />

hauptsächlich und wesentlich Zusammenleben mit anderen. Nicht nur von klein an, sondern<br />

grundsätzlich existiert der Mensch durch andere. Leicht überschätzt er die eigenen Anteile an<br />

seiner Entwicklung. Er wird hauptsächlich durch andere, was und wie er ist.« (ebd.: 97; Hervorh.<br />

v. MK)<br />

Das erste Axiom der Themenzentrierten Interaktion nach Ruth C. Cohn veranschaulicht<br />

genau diese Betrachtungsweise: Menschen seien eine »psycho-biologische<br />

Einheit« und zugleich »Teil des Universums« (Cohn 1975: 120), daher<br />

autonom und interdependent. »Autonomie (Eigenständigkeit) wächst mit dem Bewußtsein<br />

der Interdependenz (Allverbundenheit).« (ebd.; Hervorh. i. Orig.) Das<br />

Chairperson-Postulat 86 betont die Selbst-Verantwortung in Hinblick auf Autonomie<br />

und Interdependenz. Der Satz »Werde, wer Du bist« (Kroeger 1974 zit. n. ebd.:<br />

181), der auf Entfaltung verweist, wird mithilfe des Postulats, dass jede/r ihre/seine<br />

eigene Chairperson sein sollte, um den Aspekt der Selbstbestimmung und Selbstverantwortung<br />

ergänzt. In interaktionellen Gruppen kann diese »Freiheit in Bedingtheit«<br />

(Cohn 1975: 120) erfahren und geübt werden. Es geht darum, sich seiner<br />

eigenen Begrenztheit bewusst und dennoch handlungsfähig zu sein: »Ich akzeptiere<br />

mich, wie ich bin – was meine Wünsche, mich selbst zu ändern, einschließt.«<br />

(ebd.: 121) Das ist die Erfahrung, die die Erkenntnis ermöglicht, nicht allmächtig<br />

und auch nicht ohnmächtig zu sein (vgl. ebd.).<br />

Entfaltung und Selbstbestimmung sind untrennbar miteinander verbunden. Selbstbestimmung<br />

ist der Anspruch der Aufklärung – sich seines eigenen Verstandes zu<br />

bedienen und sich aus fremden Händen zu befreien, was Emanzipation wortwörtlich<br />

bedeutet. Sigrid Nolda (2001) bestimmt die Autonomie, das Prinzip der Aufklärung,<br />

als das der Erwachsenenbildung zugrunde liegende Moment. Klarerweise<br />

könne es hierbei keinesfalls um »absolute«, sondern nur um »relative« Autonomie<br />

gehen (vgl. Nolda 2001: 37f.). Wolfgang Klafki (1995) hält fest, dass Selbstbestim-<br />

- 122 -


mung über »Lebensbeziehungen und Sinndeutungen zwischenmenschlicher, beruflicher,<br />

ethischer, religiöser Art« (Klafki 1995: 11) komplettiert werden muss durch die<br />

Fähigkeit zur Mitbestimmung als »Möglichkeit und Verantwortung für die Gestaltung<br />

unserer gemeinsamen kulturellen, gesellschaftlichen und politischen Verhältnisse«<br />

(ebd.: 11). Diese beiden Fähigkeiten müssen um die Fähigkeit zur Solidarität<br />

ergänzt werden, die ihren Ausdruck im »Einsatz« für Benachteiligte, Eingeschränkte<br />

und Unterdrückte findet (vgl. ebd.; siehe Abschnitt 3.1.1). Wenn der Befund von<br />

Christiane Schiersmann – dass vor allem diejenigen Personen über einen hohen Grad<br />

an Selbststeuerung verfügen, die aufgrund ihrer Herkunftsfamilie gute Chancen hatten,<br />

diese Fähigkeit zu entwickeln (siehe Abschnitt 2.4) – tatsächlich ernst genommen<br />

wird, dann muss die Beseitigung von ungleichen Voraussetzungen, wie Erhard<br />

Meueler plädiert, zum vorrangigen Bildungsziel werden:<br />

»Bewußte Unterstützung von Subjektentwicklung bedeutet in der Bildungsarbeit, auf Fähigkeiten<br />

der Beteiligten zu setzen, die in der schulischen Erziehung, in der Berufsausbildung und<br />

im beruflichen Leben sowohl übersehen als auch bewußt mißachtet und abgeschliffen wurden:<br />

die Fähigkeit, selbst zu entscheiden, was für wert erachtet wird, gelernt zu werden, die Fähigkeit,<br />

selbst die besten Wege ausfindig zu machen, die zu selbstgesteckten Zielen führen, die<br />

Fähigkeit, NEIN zu sagen, die Fähigkeit, gegenteilige Überzeugungen zur Position der jeweiligen<br />

Autoritätsposition zu entwickeln […].« (Meueler 1998: 174; Hervorh. i. Orig.)<br />

Als idealtypische Vorstellung bzw. als Anspruch an pädagogisch Tätige fordert er,<br />

dass »Lernmöglichkeiten« organisiert werden,<br />

»in denen die Fragen der ‚Teilnehmer‘ bestimmend sind und in denen die Selbstbestimmung<br />

und die Selbstbildung der beteiligten Erwachsenen auf eine möglichst intensive, durch und<br />

durch demokratische Weise gefördert werden. Dies mit dem Vorsatz, nicht nur über Subjektentwicklung<br />

zu reden, sondern sie im gemeinsamen Handeln bewußt erlebbar zu machen. Hier<br />

muß Bildung nicht in Widerständigkeit erstritten werden, sondern hier erfolgt auf ganz selbstverständliche<br />

Weise die Freigabe und Herstellung von Freiräumen in gemeinsam organisierten<br />

Lerngelegenheiten.« (ebd.: 169)<br />

Ein weiterer Hinweis auf die Möglichkeit, durch subjektorientierte Erwachsenenbildung<br />

die individuelle Selbstbestimmung zu fördern bzw. zu erhöhen, ist Erhard<br />

Meuelers Forderung, das »Lernen im Alltag« ernst zu nehmen: »Dem Alltag entstammen<br />

ihre Gegenstände. Der Alltag ist ihr Thema.« (ebd.: 176) Bildung fördert<br />

folglich die Selbstbestimmung, wenn sie die Ressourcen in den Blick nimmt, die<br />

im Alltag bedeutsam sind.<br />

<strong>Teilhabe</strong> bezeichnet einerseits die Möglichkeit, überhaupt an Bildung teilzuhaben im<br />

Sinne von teilnehmen können (siehe für die Erwachsenenbildung Forneck/Wiesner/<br />

Zeuner 2006), andererseits aber auch die verschiedenen Partizipationsmöglichkeiten<br />

in gesellschaftlichen Zusammenhängen, oft einseitig verstanden als Beteiligung<br />

- 123 -


am (demokratischen) politischen Geschehen. Sigrid Nolda (2008) hat <strong>Teilhabe</strong> als<br />

einen historischen Begriff bestimmt. Die Aufklärung im 18. Jahrhundert berief sich<br />

auf Vernunft und beförderte die Mündigkeit und <strong>Teilhabe</strong> der (vor allem männlichen)<br />

Bürger. Im 19. Jahrhundert wurde diese Einschränkung kritisiert und postuliert, <strong>Teilhabe</strong><br />

auch für die unteren Volksschichten und insbesondere die Arbeiterschaft zu ermöglichen<br />

(vgl. Nolda 2008: 19-22). Die politische (Erwachsenen-)Bildung geht<br />

heute davon aus, dass <strong>Teilhabe</strong> ein »Bedürfnis aller Menschen« ist, und nimmt dieses<br />

Bedürfnis zum Ausgangspunkt ihrer Bemühungen (vgl. ebd.: 23). <strong>Teilhabe</strong> als Begriff<br />

scheint in aktuellen Gegenwartsanalysen durch das Begriffspaar Inklusion/Exklusion<br />

ersetzt zu werden, wobei sich aber sowohl <strong>Teilhabe</strong> als auch Inklusion/Exklusion<br />

auf politische, soziale, bildungsbezogene und kulturelle Aspekte beziehen<br />

(vgl. ebd.: 23f.). So hat Robert Castel (2008) »Exklusion« als »ein Allzweckwort«<br />

(Castel 2008: 69) bezeichnet, das sich seit einiger Zeit durchgesetzt habe und mit<br />

dem sich »alle Varianten des Elends der Welt durchdeklinieren« (ebd.) ließen (siehe<br />

auch Abschnitt 2.5). 87 Bezugnehmend auf ihre Wortwurzeln verdient <strong>Teilhabe</strong> 88 meines<br />

Erachtens ihren Platz in erwachsenenpädagogischen Diskursen und sollte auch<br />

nicht vorschnell und gänzlich zugunsten der Verwendung des Begriffspaares Inklusion/Exklusion<br />

89 aufgegeben werden. Mit diesem Begriffspaar wird ein Entwederoder<br />

konstruiert – entweder Einschluss oder Ausschluss. So wird mit der negativen<br />

Benennung ein Mangel bezeichnet, und zwar »ohne zu sagen, worin er besteht oder<br />

woher er kommt« (Castel 2008: 71). Dieser Mangel kann durch Intervention der Sozialarbeit<br />

– im Sinne einer »Behebung von Schäden« – behoben werden (vgl. ebd.:<br />

75). <strong>Teilhabe</strong> hingegen ist als Denkfigur facettenreicher. Abstufungen sind leichter<br />

vorstellbar und die prinzipielle Chance, durch (Erwachsenen-)Bildung einen Beitrag<br />

zur Erweiterung von <strong>Teilhabe</strong>formen leisten zu können, bleibt als Möglichkeit<br />

bestehen. <strong>Teilhabe</strong> fokussiert etwas Positives und scheint auf Erweiterung gerichtet<br />

zu sein. Für die Erwachsenenbildung ist daher <strong>Teilhabe</strong> im Sinne einer Erweiterung<br />

von Wissensbeständen, Handlungsoptionen und Reflexionsvermögen, die zu einem<br />

Zugewinn an Selbstbestimmung und selbst gewählter Beteiligung führt, der sinnvollere<br />

Arbeitsbegriff.<br />

Bildungszielen wohnt immer auch ein normierender Charakter inne. Geht es um<br />

schulbezogene Konzepte von Bildung, ist die Erziehungsdimension durch den<br />

schulischen Erziehungsauftrag für Kinder und Jugendliche legitimierbar. Hartmut<br />

von Hentig hat folgende Anlässe – und zwar »Lebenstätigkeiten« (Hentig 1999a:<br />

101) – für die sich im Rahmen von Schule vollziehende Bildung 90 skizziert: Geschichten<br />

(beispielsweise Märchen), Gespräche, Sprachen und Reisen, Theater,<br />

Naturerfahrung, Politik, Arbeit, das Feiern von Festen und die Musik (vgl. ebd.:<br />

102-135). Als »Bildungskriterien«, die Maßstab für mögliche Ergebnisse dieser<br />

bildenden Anlässe und der entsprechenden Tätigkeiten sein sollen, definiert er:<br />

»Abscheu und Abwehr von Unmenschlichkeit; die Wahrnehmung von Glück; die Fähigkeit<br />

und den Willen, sich zu verständigen; ein Bewußtsein von der Geschichtlichkeit der eige-<br />

- 124 -


nen Existenz; Wachheit für letzte Fragen; und – ein doppeltes Kriterium – die Bereitschaft<br />

zu Selbstverantwortung und Verantwortung in der res publica.« (ebd.: 73; Hervorh. i. Orig.)<br />

Eckard Liebau (1999, siehe auch 2001) hat sein Konzept einer »Pädagogik der<br />

<strong>Teilhabe</strong>« eindeutig als »Werteerziehung« ausgewiesen. In den Grundzügen sehe<br />

ich einige Parallelen zu Hartmut von Hentigs Überlegungen. 91 Eckard Liebau nennt<br />

folgende Werte, »an denen das Konzept sich zu bewähren hat« (Liebau 1999: 40):<br />

»[p]olitische und ökonomische Mündigkeit, Bildung als Welt- und Selbstvervollkommnung<br />

und Entfaltung der Subjektivität« (ebd.). Im Rahmen der schulischen<br />

Erziehungs- und Bildungsarbeit sei »nach den tatsächlichen und den möglichen<br />

<strong>Teilhabe</strong>formen von Kindern und Jugendlichen zu fragen« (ebd.). So gehe es um<br />

die Frage der <strong>Teilhabe</strong> »an der gesellschaftlichen Arbeit in ihren nicht-bezahlten<br />

und in ihren bezahlten Formen, an lokaler und überregionaler Politik und Öffentlichkeit,<br />

an Kunst und Kultur, an der Wissenschaft, an der Religion und am Alltag«<br />

(ebd.: 41). Ähnlich den bildenden Anlässen von Hartmut von Hentig sollen diese<br />

<strong>Teilhabe</strong>formen direkt im schulischen Alltag stattfinden, aktiv erfahren werden und<br />

dadurch spätere <strong>Teilhabe</strong>möglichkeiten vorbereiten (vgl. ebd.: 45). Als Dimensionen<br />

schulischer <strong>Teilhabe</strong> nennt Eckard Liebau die: »Erziehung zur Arbeit«. Diese<br />

ziele auf das produktive Tätig-Werden ab, wodurch »allgemeine Arbeitskompetenzen«<br />

erworben sowie »Arbeitshaltungen und Arbeitstechniken […] kultiviert«<br />

(ebd.: 49) werden können. Gesellschaftliche Arbeit schließt in diesem Zusammenhang<br />

sowohl Reproduktions- und Familienarbeit als auch unbezahlte Arbeit für das<br />

Gemeinwohl ein (vgl. ebd.). Die Dimension »Bildung zur Politik« verbindet »profunde<br />

Wissensvermittlung und die Forderung und Förderung der politischen Reflexion«<br />

(ebd.: 50), nicht zuletzt durch »alltägliche demokratische Praxis« (ebd.). Die<br />

Dimension der »Entfaltung der Subjektivität: Ästhetik« findet ihren Ort in einzelnen<br />

Fächern, die jedoch vielen anderen Fächern von ihrer Bedeutung her untergeordnet<br />

sind. Allerdings sollte der »Kultivierung des kreativen und phantasieorientierten<br />

Lernens« ähnliche Aufmerksamkeit wie dem »wissenschaftsorientierte[n]<br />

Lernen« (ebd.) gewidmet werden. Vorschläge für Orte dieser Kultivierung sind<br />

Chor, Orchester, Theater, Ausstellungen u.Ä. (vgl. ebd.). Als Orientierung für die<br />

genannten <strong>Teilhabe</strong>formen nennt Eckard Liebau die »Wissenschaft als Frage nach<br />

der Wahrheit, Religion als Frage nach dem Sinn und Ethik als Frage nach den Prinzipien<br />

des guten Lebens« (ebd.: 51).<br />

Eine noch stärker normierende Diktion weist die Datenerhebung zur kulturellen<br />

und sozialen <strong>Teilhabe</strong> im Rahmen des Adult Education Survey (AES) 92 auf; diesem<br />

Erhebungsmodul ist nämlich die Annahme zugrunde gelegt worden, dass »starke<br />

soziale und kulturelle Beteiligung als erstrebenswerter und zufriedenstellender Lebensstandard<br />

definiert werden« (Statistik Austria 2009a: 54) kann. Die Ergebnisse<br />

des AES zeigen in Hinblick auf kulturelle Beteiligung und Bildungsstand (höchste<br />

abgeschlossene Schulbildung) ein wenig überraschendes und sehr deutliches Muster<br />

(»Bildungseffekt«): Die kulturelle Beteiligung, der Besuch von Theater-, Kon-<br />

- 125 -


zert-, Opern-, Ballett- oder Tanzaufführungen und Kino sowie der Besuch von Kulturstätten<br />

wie Museen, Ausstellungen etc. steigt mit dem Bildungsniveau stark an.<br />

Bei den Sportaktivitäten ist ein solches Muster nicht feststellbar (vgl. ebd.: 54ff.).<br />

Ein Muster zeigt sich auch in der Korrelation von Bildungsteilnahme (Teilnahme<br />

am lebenslangen Lernen) und kultureller Beteiligung: je höher die Beteiligung an<br />

formalen und nicht-formalen Bildungsaktivitäten, desto höher die Beteiligung an<br />

kulturellen Aktivitäten (vgl. ebd.). In Hinblick auf die Ausübung einer kreativen<br />

Aktivität ist ebenfalls ein Bildungseffekt feststellbar: Die Beteiligung an den Aktivitäten<br />

Fotografieren und Filmen sowie Malen, Zeichnen, Bildhauerei, Computergrafik,<br />

Webdesign steigt mit dem Bildungsniveau stark und eindeutig an (vgl. ebd.:<br />

57). Bei literarischen Aktivitäten sowie bei der Mitwirkung an einer kulturellen<br />

Aufführung ist die Beteiligung generell nicht so hoch. Überdurchschnittlich hohe<br />

Beteiligungsquoten weisen hier Personen mit über die Matura hinausgehenden Abschlüssen<br />

auf (vgl. ebd.). Die Ergebnisse zum Leseverhalten (in der Freizeit) stellen<br />

sich wie folgt dar: Ein Viertel der Befragten (25,2 Prozent) hat in den letzten<br />

zwölf Monaten vor der Befragung kein Buch gelesen. Knapp 27 Prozent haben ein<br />

bis drei Bücher gelesen. Knapp 19 Prozent haben vier bis sieben Bücher gelesen.<br />

Knapp 12 Prozent haben acht bis zwölf Bücher und knapp 17 Prozent haben mehr<br />

als zwölf Bücher gelesen. Wenig überraschend sind hier nach höchster abgeschlossener<br />

Schulbildung starke Unterschiede zu verzeichnen (vgl. ebd.: 58). Des Weiteren<br />

zeigt sich ein Zusammenhang zwischen der Höhe der Beteiligungsquote am<br />

lebenslangen Lernen und dem Ausmaß der Leseaktivität in der Freizeit: Knapp 48<br />

Prozent der Personen ohne Bildungsaktivitäten im Referenzzeitraum haben in ihrer<br />

Freizeit kein Buch gelesen. Rund 25 Prozent der informell Lernenden und lediglich<br />

rund 14 Prozent der formal oder nicht-formal Lernenden haben in ihrer Freizeit<br />

kein Buch gelesen (vgl. ebd.: 58ff.). In Hinblick auf die soziale Beteiligung lässt<br />

sich folgendes Bild erkennen: Knapp 53 Prozent der Befragten haben in ihrer Freizeit<br />

unbezahlte Nachbarschaftshilfe oder Freiwilligenarbeit außerhalb einer Organisation<br />

oder eines Vereins geleistet. Knapp 39 Prozent haben an Freizeitgruppen<br />

aktiv teilgenommen oder dort Freiwilligenarbeit geleistet. Rund 20 Prozent haben<br />

sich im Rahmen einer kirchlichen Einrichtung bzw. einer Religionsgemeinschaft<br />

engagiert. Knapp 17 Prozent sind im Rahmen einer sozialen oder karitativen Organisation<br />

aktiv gewesen. Knapp neun Prozent haben sich in einer politischen Organisation<br />

engagiert, rund acht Prozent in einem Berufsverband und knapp fünf<br />

Prozent in anderen Gruppen, beispielsweise Umweltschutz, Bürgerinitiative (vgl.<br />

ebd.: 60). Werden soziale Beteiligung und Bildungsteilnahme aufeinander bezogen,<br />

zeigt sich, dass Personen, die an Lernaktivitäten (formal und nicht-formal)<br />

teilgenommen haben, auch in stärkerem Ausmaß soziale Beteiligungsaktivitäten<br />

gezeigt haben (vgl. ebd.). Eine Ausnahme diesbezüglich sind Aktivitäten im Rahmen<br />

einer kirchlichen Einrichtung bzw. einer Religionsgemeinschaft. In dieser Beteiligungsform<br />

sind nur geringfügige Unterschiede nach Höhe des Bildungsstandes<br />

zu verzeichnen (vgl. ebd.: 184f.). Die Unterschiede nach Bildungsstand fallen hin-<br />

- 126 -


sichtlich der sozialen Beteiligung grundsätzlich weniger eindeutig als hinsichtlich<br />

der kulturbezogenen Aktivitäten aus (vgl. ebd.).<br />

Diese Daten über kulturelle (und in abgeschwächter Form soziale) Beteiligung<br />

zeigen einen deutlichen Kumulationseffekt – wer Bildung hat, dem eröffnet sich<br />

auch kulturelle <strong>Teilhabe</strong> in den hier gemessenen Ausprägungen. Kritisch muss angemerkt<br />

werden, dass die über die entsprechenden Items erfassten kulturbezogenen<br />

Aktivitäten einer eher traditionellen, bürgerlichen Bildungsvorstellung entsprechen.<br />

Wie aber können Ausprägungen gesellschaftlicher <strong>Teilhabe</strong> thematisiert<br />

und untersucht werden, ohne normierend zu sein Möglicherweise hilft die Bezugnahme<br />

auf das Konstrukt der Lebensqualität weiter. Objektive Größen machen<br />

Lebensbedingungen messbar und vergleichbar (Lebensstandard, Wohlfahrtsforschung)<br />

(vgl. Schulz 2008: 121), beispielsweise misst der Human Development<br />

Index 93 das Pro-Kopf-Einkommen, die Lebenserwartung und bildungsbezogene<br />

Werte (vgl. ebd.: 125). Die oben zitierten Daten zur kulturellen und sozialen <strong>Teilhabe</strong><br />

weisen einen solchen Zugang auf. Lebensqualität hat jedoch auch eine »subjektive<br />

Dimension«. Hierbei sind »die Bewertungen der Lebensumstände, die erfahrene<br />

Qualität des eigenen Lebens« (ebd.: 121) von Bedeutung, also kognitive<br />

und emotionale Dimensionen der Einschätzungen und Wahrnehmungen von Lebensqualität<br />

(vgl. ebd.). Diese Dimensionen werden von der Glücksforschung und<br />

der Forschung zur Zufriedenheit bzw. zum Wohlbefinden fokussiert (siehe z.B.<br />

Mayring 2007a). Bedeutsam im Zusammenspiel zwischen den objektiven Lebensumständen<br />

und der subjektiven Wahrnehmung und Einschätzung der Lebenssituation<br />

ist das Bestehen eines Zusammenhangs, der jedoch nicht linear ist (vgl.<br />

Schulz 2008: 122). Die Psychologie interessiert sich für die individuelle Variation<br />

im subjektiven Wohlbefinden (Bestimmung von relevanten Faktoren) und die Soziologie<br />

fokussiert gruppenspezifische Unterschiede (Schicht, Geschlecht, Nation<br />

etc.) (vgl. ebd.). Insgesamt gehe es jedoch darum »zu ergründen, unter welchen Lebensbedingungen<br />

Menschen besser oder schlechter leben, um Hinweise für mögliche<br />

Interventionen zu gewinnen« (ebd.). Dass die Lebensqualität höher ist, wenn<br />

positive objektive Lebensbedingungen und subjektives Wohlbefinden zusammentreffen,<br />

bleibt jedoch unbestritten (vgl. Mayring 2007a: 191). So kommt der Qualität<br />

menschlicher Beziehungen und der Erfahrung von Liebe eine tief gehende Bedeutung<br />

für die Wahrnehmung von Glück zu (vgl. ebd.: 193f.). Ein Ansatz, der sich<br />

an die Maslow‘sche Bedürfnispyramide anlehnt, ist der von Erik Allardt aus den<br />

1970er Jahren (vgl. Schulz 2008: 123). Als Überbegriffe für grundlegende menschliche<br />

Bedürfnisse werden von ihm »Having, Loving, and Being« vorgeschlagen<br />

(vgl. Allardt 1993: 89). Having bezieht sich auf die materiellen Bedürfnisse und<br />

entspricht den objektiven Lebensumständen, die gemessen werden können (vgl.<br />

ebd.; siehe oben). Loving 94 bezieht sich auf Kontakte und Beziehungen in der Gemeinde<br />

bzw. Nachbarschaft, auf Kontakte mit Angehörigen von Gemeinschaften<br />

und Organisationen, auf Freundschaften und Arbeitskolleg/inn/en sowie familiäre<br />

Bindungen (vgl. ebd.: 91). 95 Being 96 bezieht sich auf das Ausmaß der Steuerung des<br />

- 127 -


eigenen Lebens in Hinblick auf Entscheidungen und Aktivitäten, auf die politische<br />

Partizipation, die Freizeitgestaltungsmöglichkeiten, die Möglichkeiten einer als<br />

sinnvoll erlebten Arbeit und die Möglichkeit, Natur zu genießen, einerseits durch<br />

Kontemplation, andererseits durch Aktivitäten wie beispielsweise Spazierengehen<br />

oder Gärtnern. Hierbei geht es um das Gefühl von persönlicher Entwicklung und<br />

Entfaltung und somit um das Gegenteil von Entfremdung (vgl. ebd.).<br />

Amartya Sen hat mit seinem Capability-Approach einen Ansatz formuliert, in dem<br />

objektive Lebensbedingungen und subjektiv empfundene Lebensqualität stärker<br />

verbunden werden (siehe z.B. Sen 1993). Entwicklung 97 wird definiert »als Prozeß<br />

der Erweiterung realer Freiheiten […], die den Menschen zukommen« (Sen 2000:<br />

13). Diese Freiheiten von Individuen sind die Grundbausteine (vgl. ebd.: 29). »Daher<br />

gilt die Aufmerksamkeit vor allem der Erweiterung der ‚Verwirklichungschancen‘<br />

der Menschen, genau das Leben führen zu können, das sie schätzen, und zwar<br />

mit guten Gründen.« (ebd.) In Hinblick auf Freiheit werden »die Verfahren, die<br />

Handlungs- und Entscheidungsfreiheit ermöglichen, und die realen Chancen, die<br />

Menschen angesichts ihrer persönlichen und sozialen Umstände haben« (ebd.: 28;<br />

Hervorh. i. Orig.) unterschieden:<br />

»Unfreiheit kann unzulänglichen Verfahren entspringen – beispielsweise der Verletzung des<br />

Wahlrechts oder anderer politischer bzw. bürgerlicher Rechte – oder den unzulänglichen<br />

Chancen, die man hat, um auch nur minimale Ziele zu erreichen – darunter das Fehlen solch<br />

grundlegender Chancen wie die Vermeidung von vorzeitigem Sterben, von Krankheiten oder<br />

Hungersnot.« (ebd.: 28f.)<br />

Bedeutsam ist der unmittelbare Bezug dieses Ansatzes zum Ziel einer gerechten<br />

Gesellschaft, bei der die Individualebene eine gewichtige Rolle spielt, denn<br />

die Aufmerksamkeit gilt insbesondere der Erweiterung individueller Verwirklichungschancen.<br />

Zwischen erträglichen Lebensbedingungen und wahrhaftiger Lebensqualität im<br />

Sinne vielfältiger, selbst geschaffener und selbst gewählter Formen von <strong>Teilhabe</strong>,<br />

die subjektives Wohlbefinden und Zufriedenheit bewirken, liegen unendlich viele<br />

Realisierungsvarianten. Im Anschluss an diese Überlegungen stellt sich die Frage<br />

nach der Erweiterung der Verwirklichungschancen von Erwachsenen, die Bildungsbenachteiligung<br />

erfahren haben, und ob Bildungsangeboten diesbezüglich<br />

ein Potenzial zukommt.<br />

3.2 Basisbildung als Teilbereich der Erwachsenenbildung<br />

Folgende Fragen haben die Auseinandersetzung mit diesem erwachsenenpädagogischen<br />

Handlungsfeld geleitet: Wie lässt sich dieser Teilbereich in die Erwachsenenbildung<br />

systematisch einordnen und welche Begrifflichkeiten werden verwen-<br />

- 128 -


det An wen richten sich die Angebote der Basisbildung Welche Erkenntnisse<br />

liegen zur Größenordnung der Zielgruppe vor Welche Inhaltsdimensionen und<br />

Zieldimensionen sind bislang bestimmt worden und welche Entwicklungen zeichnen<br />

sich diesbezüglich ab<br />

3.2.1 Systematische Annäherungen<br />

In Österreich existieren Angebote der Basisbildung für Erwachsene seit Anfang der<br />

1990er Jahre. Für diese vielen sich in den letzten zwei Jahrzehnten weitgehend unabhängig<br />

voneinander entwickelnden Angebote prägte Otto Rath die treffende Beschreibung<br />

einer »vielfältige[n] Landschaft« (vgl. Rath 2008: 41). Erste Kooperationsbemühungen<br />

zeichneten sich zu Beginn dieses Jahrtausends ab: Im Netzwerk<br />

Basisbildung und Alphabetisierung in Österreich arbeiten seit 2002 Vertreter/innen<br />

verschiedenster Einrichtungen zusammen – u.a. mit dem Ziel der flächendeckenden<br />

Angebotsbereitstellung, der Qualitätssicherung und Qualitätsentwicklung<br />

sowie der nachhaltigen Öffentlichkeitsarbeit durch Sensibilisierung (vgl. ebd.). In<br />

Deutschland wurde die Alphabetisierungsarbeit bereits Ende der 1970er Jahre begonnen<br />

(vgl. Völker 1983: 81) und Alphabetisierung/Grundbildung als Praxisfeld<br />

der Erwachsenenbildung mit Beginn der 1980er Jahre etabliert (vgl. Tröster 2001).<br />

Johannes Weinberg hat eine Systematik der Erwachsenenbildung (bezogen auf<br />

Deutschland) ausgearbeitet, in der die Grundbildung als eigene Säule inkludiert<br />

ist. Grundbildung wird, zusammen mit der politischen Bildung, dem Bereich der<br />

allgemeinen Erwachsenenbildung zugeordnet. Neben dieser allgemeinen Erwachsenenbildung<br />

gibt es die berufliche Weiterbildung mit den Bereichen Fortbildung<br />

und Umschulung. Allgemeine Erwachsenenbildung und berufliche Weiterbildung<br />

sind in dieser Systematik an Institutionen gebunden und stehen damit neben der<br />

nicht-institutionalisierten Erwachsenenbildung bzw. dem informellen Erwachsenenlernen<br />

(vgl. Weinberg 2000: 39). Aufgabe der allgemeinen Erwachsenenbildung<br />

sei es, »[s]oweit Erwachsene auf Erwerbsarbeit angewiesen sind, […] [für]<br />

eine Grundausstattung an Wissen, Können und Ich-Stärke [Sorge zu tragen], damit<br />

sie darauf aufruhend auch beruflich verwertbare Qualifikationen erwerben […]<br />

können.« (ebd.: 11; Hervorh. v. MK) Die allgemeine Erwachsenenbildung dient<br />

folglich dem Erhalt und der ständigen Ausweitung dieser Grundausstattung, im<br />

Detail: die Grundbildung dem »subjektiv-individuellen« Bereich und die politische<br />

Bildung dem »sozial-öffentlichen« Bereich (vgl. ebd.). In Anlehnung an Wolfgang<br />

Schulenberg rechnet Johannes Weinberg dem subjektiv-individuellen Bereich Angebote<br />

zu, die dem Nachholen und dem Aufstocken von Schulabschlüssen dienen,<br />

sowie Angebote, die die Aneignung von in der Vergangenheit entgangenen oder im<br />

gesellschaftlichen Wandel neu entstandenen Wissensbeständen ermöglichen. Zum<br />

einen ist Grundbildung folglich als kompensatorisch und zum anderen, angesichts<br />

neu entstehender Wissensbestände, als komplementär zu verstehen (vgl. ebd.: 11f.).<br />

- 129 -


Elke Gruber hat darauf hingewiesen, dass es notwendig ist, Lernen nicht länger als<br />

Behebung eines Mangels zu verstehen (vgl. Gruber 2006: 11). 98 Der Grundbildung<br />

haftet meines Erachtens aufgrund der Tatsache, dass ein gewisses Ausmaß an Wissen<br />

und Fertigkeiten von der Gesellschaft stillschweigend vorausgesetzt wird, ein<br />

Stigma an – nachgelernt wird, was eigentlich aufgrund der gesetzlich vorgesehenen<br />

Unterrichtspflicht vorhanden sein sollte. Die angebotene Möglichkeit zur Kompensation<br />

sollte nicht als Behebung eines Mangels, sondern als Kompensation einer<br />

vorangegangenen Benachteiligung verstanden werden. Zum einen hat die Erwachsenenbildung<br />

in diesem Bereich tatsächlich kompensatorische Aufgaben wahrzunehmen.<br />

Zum anderen sollte die Aufgabe der Erwachsenenbildung, komplementär<br />

zu wirken, gestärkt werden. Wird nur die Kompensation in den Blick genommen,<br />

liegt die Behebung eines Mangels als Denkfigur nahe. 99 Wird die Vorstellung eines<br />

auch komplementären Angebotes gestärkt, gelangen Entwicklungs- und Entfaltungspotenziale<br />

ins Zentrum der Aufmerksamkeit. So wäre es notwendig, solche<br />

Angebote nicht nur als inhaltlich kompensatorisch zu begreifen – sondern in stärkerem<br />

Ausmaß als komplementär und erweiternd.<br />

Sowohl in Österreich als auch in Deutschland findet sich der Begriff der Alphabetisierung<br />

zur Bezeichnung dieses Teilbereichs der Erwachsenenbildung. Ausgangspunkt<br />

war die Alphabetisierungsarbeit, die noch heute sein Kern ist. Gertrud<br />

Kamper hat den in diesem Kontext lange Zeit verwendeten Begriff des Analphabetismus<br />

kritisiert (vgl. Kamper 1997: 10). Zum einen verweist sie auf die negative<br />

Beschreibung eines Defizits. Zum anderen kritisiert sie den Begriff auf der inhaltlichen<br />

Ebene, weil er mit einem »alphabetischen Schriftsystem« verbunden ist:<br />

»Etwas problematisch, sobald man an Kulturen denkt, die eine nicht-alphabetische<br />

Schrift verwenden. Und auch nicht ganz befriedigend, wenn man an die Beherrschung<br />

anderer Zeichensysteme, wie z.B. der mathematischen, denkt.« (ebd.)<br />

In Deutschland wird die Bezeichnung Alphabetisierung um Grundbildung (früher<br />

auch: Elementarbildung) und in Österreich um Basisbildung ergänzt, d.h. in<br />

der Praxis der Erwachsenenbildung dienen ähnliche Begriffe zur erweiterten Benennung<br />

dieses Teilbereichs der Erwachsenenbildung. Die Bezeichnung Grundbildung/Basisbildung<br />

verweist auf eine inhaltliche Erweiterung, geht folglich über die<br />

Alphabetisierungsarbeit, über die Vermittlung von schriftsprachlicher Kompetenz<br />

(Lesen und Schreiben) 100 hinaus. Diese inhaltliche Erweiterung – von der Alphabetisierung<br />

zur Grundbildung/Basisbildung – ist aber noch in Diskussion (siehe dazu<br />

Abschnitt 3.2.4). <strong>Monika</strong> Tröster hat die Angebotspalette der Grundbildung/Basisbildung<br />

(für Deutschland) wie folgt gefasst: »Lese- und Schreibkurse unterschiedlicher<br />

Niveaustufen, Rechnen, PC-Kurse, Deutsch im Alltag/Deutsch für den Beruf,<br />

Vorbereitung auf den Hauptschulabschluss und Lernen lernen.« (Tröster 2001:<br />

17) In den verschiedenen Modellversuchen, die vielfach projektförmig organisiert<br />

sind und abhängig von der jeweiligen Einrichtung durchgeführt werden, werden<br />

unterschiedliche Zieldimensionen verfolgt. In Österreich hat sich im Praxisfeld<br />

und in der wissenschaftlichen Diskussion offensichtlich der Begriff Basisbildung<br />

- 130 -


durchgesetzt. 101 Basisbildung hebt sich von der mit (der deutschen) Grundschule 102<br />

konnotierten Grundbildung ab. Im arbeitsmarktpolitischen Kontext ist von berufsbezogener<br />

Grundausbildung bzw. Grundqualifikation die Rede. Auch von diesen<br />

beiden Begriffen hebt sich der Begriff der Basisbildung ab. Daran schließt die<br />

Frage an, ob sich die Worte Grund und Basis überhaupt begrifflich unterscheiden<br />

lassen. Die Begriffe dürfen im alltäglichen Sprachgebrauch synonym verwendet<br />

werden – im Duden wird als Synonym für das Wort Grund nämlich Basis angegeben<br />

(vgl. Duden, Bd. 8: 456); Synonyme, die für das Wort Grund, aber nicht<br />

für den Begriff Basis genannt werden, sind u.a. »Anlass«, »Ansporn«, »Anstoß«,<br />

»Antrieb«, »Auslöser«, »Beweggrund«, »Ursache«, »Veranlassung«; »Motiv«,<br />

»Motivation« (ebd.). Bezugnehmend auf diese Synonyme könnte dem Begriff der<br />

Grundbildung die mögliche Konnotation eines Anlasses, eines Auslösers für (weitere)<br />

Bildung beigefügt werden. Das Wort Grund weist aber auch sprachgeschichtlich<br />

Bezüge zu den Begriffen »Erde« und »Boden« auf (vgl. Duden, Bd. 7: 305).<br />

Von seiner Bedeutung her bezeichnet »Grund-« (als Präfixoid) das »im Basiswort<br />

Genannte als etwas, was grundlegend, fundamental, wesentlich, die eigentliche<br />

Grundlage, die Voraussetzung ist, was einer Sache zugrunde liegt« (Duden, Bd. 10:<br />

444), und als Beispiele hierfür werden u.a. die Begriffe »Grundaussage«, »Grundbedingung«,<br />

»Grundbedürfnis«, »Grundbegriff«, »Grundfehler« und »Grundgedanke«<br />

angegeben. Bezugnehmend auf diese Bedeutung von Grund könnte dem<br />

Begriff der Grundbildung die mögliche Konnotation einer Grundlage und Voraussetzung<br />

für (weiterführende) Bildung beigemessen werden. Die griechische Herkunft<br />

von Basis bedeutet, »etwas, auf das man treten kann, worauf etwas stehen<br />

kann« (Duden, Bd. 7: 72). Im Lateinischen war der Begriff Basis ein Terminus der<br />

Geometrie und der Baukunst (Grundlinie, Sockel, Fundament) (vgl. ebd.). Die Bedeutung<br />

von Basis wird definiert als »etwas, worauf sich etwas gründet, stützt, was<br />

den festen Grund für etwas bildet, worauf jemand aufbauen kann« (Duden, Bd. 10:<br />

175). Als Synonyme für Basis werden beispielsweise »Arbeitsgrundlage«, »Ausgangspunkt«,<br />

»Fundament«, »Grundlage«, »Operationsbasis« und »Plattform« angegeben<br />

(vgl. Duden, Bd. 8: 168f.). Resümierend soll Folgendes festgehalten werden:<br />

Die Bedeutung von Basis als etwas, worauf jemand aufbauen kann und was<br />

den festen Grund für etwas bildet, legt den Gedanken an ein sicheres, stabiles Fundament<br />

nahe. Auch Grund kann als Fundament verstanden werden. Grund hat jedoch<br />

auch die Bedeutung von etwas, das vorhanden sein muss, im Sinne einer Voraussetzung<br />

für etwas. So scheint dieser Bedeutung auch eine Zieldimension, ein<br />

mögliches Fortschreiten (beispielsweise in Richtung Nachholen des Hauptschulabschlusses<br />

oder des Erwerbs einer beruflichen Qualifikation) innezuwohnen. Der<br />

Begriff der Basis legt meines Erachtens eher den Gedanken an die Errichtung eines<br />

Fundaments und die Sicherstellung eines Ausgangspunkts nahe – im Zentrum<br />

der Aufmerksamkeit scheint diese Aktivität an sich zu stehen und weniger eine zu<br />

erreichende Zieldimension.<br />

- 131 -


3.2.2 Zielgruppenorientierung<br />

Grundsätzlich sind alle Erwachsenen Adressatinnen und Adressaten von organisierter<br />

Erwachsenenbildung. Erwachsene, an die sich Angebote der Basisbildung richten,<br />

werden als spezifische Zielgruppe wahrgenommen und angesprochen. Horst<br />

Siebert ordnet die Zielgruppenorientierung als didaktisches Prinzip auf der Subjektebene<br />

ein. Das Ansprechen bestimmter Gruppen über eine entsprechende didaktische<br />

Orientierung sei so alt wie die »veranstaltete Erwachsenenbildung selber« (vgl. Siebert<br />

2003: 90f.). Eine Idee, die mit der Zielgruppenorientierung befördert wird, beschreibt<br />

Horst Siebert als die Schaffung homogener Lernvoraussetzungen zur Effizienzsteigerung<br />

(vgl. ebd.: 92); Einstufungstests oder eine gestufte Angebotsstruktur<br />

sind Ausdruck dieser Idee. Die Zielgruppenorientierung wird zunehmend aber auch<br />

als »Marketingstrategie« (ebd.: 93) eingesetzt. Über die Definition und Konstruktion<br />

von Zielgruppen und die zielgruppenspezifische Angebotsplanung werden, wie<br />

Horst Siebert ausführt, entsprechende Bedarfe aufgenommen oder aber erst konstruiert,<br />

um neue Gruppen von Teilnehmenden zu gewinnen (vgl. ebd.). Allerdings wird<br />

die Erwachsenenbildung nicht ausschließlich dem freien Spiel der Kräfte von Angebot<br />

und Nachfrage überlassen – wenngleich viele Einrichtungen nach dieser Marktlogik<br />

funktionieren. Zielgruppenorientierung ist nämlich insbesondere mit dem gesellschaftspolitischen<br />

Ziel der Beförderung von Chancengleichheit verbunden. Diese<br />

Zielgruppenorientierung im engeren Sinne, beginnend in den 1970er Jahren, zielte<br />

auf den »Abbau sozialstruktureller Bildungsbenachteiligungen« (ebd.: 92) – das Angebot<br />

kreiste um die gemeinsame »Problemlage« mit dem Ziel der Verbesserung der<br />

als kollektiv angenommenen Lebenssituation (vgl. ebd.). Diese gesellschaftskritische<br />

Richtung der Zielgruppenorientierung wurde, so Horst Siebert weiter, in den 1980er<br />

Jahren durch »sozialpolitisches ‚Krisenmanagement‘« des Staates (ebd.; Hervorh. i.<br />

Orig.) überlagert. Zielgruppen waren jetzt so genannte »Randgruppen«, wobei die<br />

Bildungsarbeit um sozialpädagogische und teils therapeutische Maßnahmen ergänzt<br />

wurde, um vor allem berufliche Qualifizierung zu erreichen (vgl. ebd.). Als Weiterentwicklung<br />

dieser »fürsorgliche[n] Zielgruppenarbeit« bestimmt Horst Siebert die<br />

sozialintegrative Bildungsarbeit. Die Gefahr, die Isolation von bestimmten Gruppen<br />

durch auf sie zugeschnittene Maßnahmen zu befördern und zur Stigmatisierung aller<br />

Personen, auf die das Merkmal möglicherweise auch zutrifft bzw. zuzutreffen<br />

scheint, beizutragen, wurde hier ernst genommen. Die Vorteile, die aus gemischten,<br />

also heterogenen Gruppen auch resultieren können, insbesondere Lernanregungen<br />

und eben das soziale Integrationspotenzial, traten in den Vordergrund (vgl. ebd.: 93).<br />

Eine Form der Zielgruppenorientierung gehört laut Horst Siebert in den »Grenzbereich<br />

der Erwachsenenbildung«: Es sind das die so genannten »Sozialkampagnen«<br />

in verschiedenen Bereichen, wie beispielsweise die Alphabetisierung im Bildungsbereich<br />

(vgl. ebd.: 93f.).<br />

Die Zielgruppenorientierung im engeren Sinne findet sich in vielen Einrichtungen<br />

der Erwachsenenbildung wieder. Insbesondere Einrichtungen und deren Angebote,<br />

- 132 -


die ein Nachholen von Bildungsabschlüssen ermöglichen, beziehen sich heute vielfach<br />

auf den Zweiten Bildungsweg, der sich den Adressatinnen und Adressaten –<br />

gleichsam als zweite Chance – eröffnet. Auch die mit Alphabetisierung verbundene<br />

Hoffnung auf Erweiterung von <strong>Teilhabe</strong> verweist auf diese Zielgruppenorientierung<br />

im engeren Sinne. 103 Die von Horst Siebert als sozialpolitisches Krisenmanagement<br />

gefasste Richtung der Zielgruppenorientierung ist beispielsweise in<br />

Maßnahmen für die Personengruppe der Langzeiterwerbsarbeitslosen im arbeitsmarktpolitischen<br />

Kontext vorzufinden. So sind Einrichtungen des so genannten<br />

zweiten Arbeitsmarktes ebenfalls Ausdruck dieser Zielgruppenorientierung, wobei<br />

Beschäftigung und/oder Qualifizierung mit dem Ziel der Wiedereingliederung in<br />

den so genannten ersten Arbeitsmarkt im Zentrum stehen. Auch die arbeitsmarktpolitischen<br />

Aktivitäten, die Jugendliche auffangen, die keine Lehrstelle finden<br />

konnten, sind dieser Zielgruppenorientierung zuzurechnen. 104 Ein sozialintegrativer<br />

Ansatz liegt beispielsweise in einer Vorbereitungsmaßnahme zum Nachholen<br />

des Hauptschulabschlusses mit einer altersheterogenen Gruppe vor oder wenn in<br />

einer Einrichtung, die Basisbildung anbietet, Personen mit Deutsch als Erstsprache<br />

und Personen mit einer anderen Erstsprache gemeinsam lernen. Sozialkampagnen<br />

gehören in Bezug auf die Alphabetisierung gerade nicht in den »Grenzbereich der<br />

Erwachsenenbildung« (Siebert 2003: 93), sondern sind eine der eigentlichen Bildungsarbeit<br />

vorgelagerte Maßnahme. Durch Kampagnen sollen potenzielle Teilnehmer/innen<br />

erreicht und zur Teilnahme bewegt werden.<br />

Zielgruppenorientierung in ihren vielfältigen Ausprägungen ist, wie diese Beispiele<br />

zeigen konnten, in der Erwachsenenbildung ein Faktum, birgt jedoch die<br />

Gefahr von Stigmatisierung durch Zuschreibungen:<br />

»Generell ist eine Zielgruppe ein Konstrukt derjenigen, die Zielgruppe definieren. Eine Zielgruppendefinition<br />

klassifiziert Menschen in Gruppen, indem sie eine ‚Leitdifferenz‘ (Luhmann)<br />

[…] betont und andere Persönlichkeitsmerkmale vernachlässigt. Eine solche ‚Reduktion‘<br />

kann didaktisch sinnvoll und im Interesse der Betroffenen sein. Gerät aber der<br />

konstruktivistische Charakter der Zielgruppenorientierung in Vergessenheit, so sind Stigmatisierungen<br />

zu befürchten […].« (ebd.: 95; Hervorh. i. Orig.)<br />

Eine Analyse von <strong>Monika</strong> Völker aus den Anfängen der Alphabetisierungsarbeit<br />

in Deutschland – »Analphabetismus – eine Herausforderung für die Erwachsenenbildung«<br />

(1983) – verdeutlicht die Problematik, durch das Hervorheben negativer<br />

Erkennungsmerkmale zur Stigmatisierung der Betroffenen beizutragen. Damals<br />

herrschte die Annahme, dass es Analphabetismus bei Erwachsenen doch gar<br />

nicht geben könne, und so verdeckte die »Ungläubigkeit« die »Ausgrenzung« dieser<br />

Personen (vgl. Völker 1983: 87). Die zunehmende Präsenz der Zielgruppe in<br />

den Massenmedien ermöglichte es vielen Betroffenen zwar, »ihre Isolation aufzugeben«<br />

und das Lesen und Schreiben zu erlernen (vgl. ebd.: 88), gleichzeitig<br />

wohnte dieser medialen Präsenz aber auch ein bedrohliches Moment inne: In Be-<br />

- 133 -


zug auf die Zielgruppe wurde stets hervorgehoben, dass »erwachsene Analphabeten<br />

[…] keineswegs dumm [seien]« (ebd.: 88). Diese überhebliche Zuschreibung<br />

von Intelligenz gründete sich auf die angenommene Fähigkeit dieser Personen, das<br />

Manko über lange Jahre verheimlicht zu haben – wirklich gemeint war, dass »man<br />

es nicht mit geistig Behinderten« (ebd.: 88) zu tun habe. 105<br />

Die Gefahr der Stigmatisierung durch negative Konstruktionen und Zuschreibungen<br />

muss ernst genommen werden (siehe dazu Abschnitt 2.3). Nichtsdestotrotz<br />

kann der Zielgruppenarbeit in didaktischer Hinsicht ein großes Potenzial beigemessen<br />

werden (vgl. Siebert 2003: 95ff.):<br />

»Die Forderung nach homogener Zielgruppenarbeit betont die Notwendigkeit, dass vor allem<br />

‚unsichere‘ Gruppen in einem relativen Schonraum die Möglichkeit der Selbstvergewisserung<br />

und psychosozialen Stabilisierung benötigen. Eine solche ‚beschützende‘ Bildungsarbeit kann<br />

lernbiografisch als Übergangsstadium zu einer selbstbewussten Teilnahme an ‚gemischten‘<br />

Gruppen verstanden werden.« (ebd.: 97)<br />

Diese Form der beschützenden Bildungsarbeit verweist auf das didaktische Prinzip<br />

der Orientierung an den Teilnehmenden, wobei sich diese Orientierung in einem<br />

Spannungsverhältnis zur Zielgruppenorientierung befindet:<br />

»Zielgruppen als ‚Sozialcharaktere‘ haben eine kollektive, soziologische Grundlage. TNO<br />

[Teilnehmerorientierung] verweist dagegen auf Individualisierungsprozesse, auf individuelle<br />

Lerninteressen, auf psychologische Grundlagen und die ‚Autonomie des Subjekts‘. Eine dezidierte<br />

Orientierung am einzelnen Teilnehmer kollidiert so mit dem Anspruch kollektiver<br />

Emanzipation in der Zielgruppenarbeit. Radikalisiert hat TNO letztlich einen ‚Einzelunterricht‘<br />

zur Folge.« (ebd.)<br />

Horst Siebert betont in diesem Zusammenhang, dass eine »gut gemeinte ‚andragogische‘<br />

paternalistische, fürsorgliche« (ebd.: 104) Orientierung an den Teilnehmenden<br />

»immer in Gefahr einer heimlichen Dozentenorientierung und einer normativen<br />

Pädagogik« (ebd.) ist. Diese Gratwanderung dürfte sich in der Alphabetisierungsund<br />

Basisbildungsarbeit verstärkt stellen. Schließlich geht es nicht nur um reine Wissensvermittlung<br />

und das Erlernen gewisser Kulturtechniken. Birte Egloff hat in ihrer<br />

qualitativen Studie »Biographische Muster ‚funktionaler Analpha beten‘« (1997)<br />

neben Bewältigungsstrategien insbesondere Entstehungsbedingungen des Analphabetismus<br />

fokussiert. Das Ergebnis zeigte, dass es sich dabei zentral um ungünstige<br />

Bedingungen der sozialen Herkunft (Milieu) handelt, d.h., sich nachteilig auf das<br />

Kind auswirkende Familienkonstellationen (beispielsweise eine große Geschwisterzahl<br />

und/oder eine nachteilige Position innerhalb der Geschwisterreihe), teilweise<br />

weisen auch die Eltern eine belastete Biografie auf. Vielfach wurde von Gewalt oder<br />

der Erfahrung von Gleichgültigkeit und Vernachlässigung (die so genannte »vorenthaltene«<br />

Kindheit) berichtet. Von einigen wurde die Schule kurzfristig als Ausweg<br />

- 134 -


aus den als nachteilig erlebten Familienverhältnissen erfahren, dann jedoch setzte<br />

sich die »schulische Versagensverlaufskurve« in Gang und zu den ungünstigen familiären<br />

Bedingungen kam die Schule verstärkend hinzu. In einigen Fällen schloss<br />

sich an diese »schulische Versagensverlaufskurve« eine negative berufliche Verlaufskurve<br />

an (vgl. Egloff 1997: 174f.; siehe dazu auch die Ergebnisse von Ehling/<br />

Müller/Oswald 1981: 10-13). 106 Solche lebensgeschichtlichen Erfahrungen ihrer<br />

Teilnehmer/innen bleiben Kursleiter/inne/n wohl kaum verborgen. In der Erwachsenenbildung<br />

wird prinzipiell davon ausgegangen, dass Erwachsene immer mit ihrer<br />

gesamten Lebensgeschichte in einen Kurs kommen. Geht es um Basisbildungsangebote<br />

dürften die lebensgeschichtlichen Erfahrungen stärker in das Kursgeschehen<br />

hineinwirken, weil durch den Lehr-Lern-Prozess die jeweilige Lebensgeschichte unmittelbar<br />

berührt wird und dadurch präsent ist. Bereits in den Anfängen der Alphabetisierungsarbeit<br />

in Deutschland sind deshalb neben der Frage nach den für Erwachsene<br />

geeigneten Vermittlungs- und Aneignungsmethoden des Lesens und Schreibens<br />

Überlegungen angestellt worden, die ihren Fokus auf die »Einbeziehung von psychotherapeutischen<br />

Elementen und Techniken« sowie auf »Elemente der Sozialarbeit«<br />

in Hinblick auf »Selbstorganisation und Selbsthilfe« gerichtet haben (vgl. Ehling/<br />

Müller/Oswald 1981: 34).<br />

3.2.3 Defizite messbar machen und messen…<br />

Die Konstruktion einer Zielgruppe beinhaltet stets Bedarfsüberlegungen im Sinne<br />

von Bedarfszuschreibungen. Ekkehard Nuissl hat für die Erwachsenenpädagogik<br />

folgende Differenzierung vorgenommen:<br />

»Motive, Interessen und Bedürfnisse, die sich nicht konkret äußern, werden oft als latenter Bedarf<br />

bezeichnet. Ihm wird der manifeste Bedarf, der sich auf eine konkrete Maßnahme richtet,<br />

gegenüber gestellt. Diese Begriffe sind daher nur bei einem gegebenen Angebot überprüfbar.<br />

Zudem ist der Begriff Bedarf irreführend. Unter Bedarf wird gemeinhin die ‚objektivierte‘ Seite<br />

von Bedürfnis verstanden. Bedürfnis folgt dem individuellen Interesse, Bedarf der gesellschaftlichen<br />

Notwendigkeit (oder was man dafür hält).« (Nuissl 2000: 16; Hervorh. i. Orig.)<br />

Diese Definition eines Bedarfs ermöglicht die Planung und Offerierung eines entsprechenden<br />

Angebotes. In der Wahrnehmung der Adressat/inn/en kann mit einem<br />

solchen Angebot ein bereits bewusster Bedarf oder ein latentes oder manifestes Interesse<br />

angesprochen werden. Es ist auch möglich, dass das Angebot einen Bedarf<br />

anspricht, der eigentlich nicht mit einem Bedürfnis oder einem Interesse korrespondiert.<br />

Desgleichen ist es denkbar, dass ein Angebot ein Bedürfnis oder ein<br />

Interesse bewusst macht oder einen diesbezüglich vorhandenen Wunsch verstärkt<br />

(siehe dazu auch Abschnitt 2.4). Bedeutsam ist meines Erachtens vor allem die<br />

Frage, ob in der Umsetzung des für die konstruierte Zielgruppe geplanten Angebo-<br />

- 135 -


tes die individuellen Bedürfnisse und Interessen der Teilnehmenden ernst genommen<br />

werden und ob auf deren Bedürfnisse und Interessen tatsächlich eingegangen<br />

wird oder ob nur der unterstellte Bedarf im Zentrum der Bemühungen steht. In<br />

Hinblick auf die subjektive Wahrnehmung der Teilnehmenden wird es einen Unterschied<br />

machen, ob ein Bedarf zugeschrieben und somit unterstellt wird, oder ob ein<br />

Bedürfnis bewusst wird oder sich gar entwickeln darf. Die Zuschreibung eines Bedarfs<br />

zementiert die Defizit-Perspektive. Dadurch geraten vorhandene Kenntnisse,<br />

Fähigkeiten und Fertigkeiten der (potenziellen) Teilnehmenden aus dem Blick. Außerdem<br />

öffnen Bedarfsüberlegungen immer auch die Tür für überbordende und<br />

in ihrer Fülle überfordernd wirkende Lernziele und Lernanforderungen, die mit<br />

den individuell vorhandenen Bedürfnissen und Interessen möglicherweise wenig<br />

zu tun haben.<br />

Anforderungen zur Umsetzung von Bedarfen in Angeboten bzw. die Modifizierung<br />

von Angeboten stellen sich im gesamten Bildungsbereich. Der gesellschaftliche<br />

Bildungsbedarf ist zum einen von der schulischen und beruflichen Erstausbildung<br />

sowie der beruflichen Fortbildung zu beobachten und zu decken. Zum anderen ist<br />

der Bereich der Weiterbildung herausgefordert (vgl. Nuissl 2000: 106-109), denn<br />

»Weiterbildung ist […] insofern enger mit gesellschaftlichen und politisch umgesetzten<br />

Bedarfsanforderungen verbunden, als die Institutionen und Lehrkräfte flexibler<br />

reagieren (können), die Angebote kurzfristiger sind, die Abhängigkeit von<br />

einer realisierten Nachfrage deutlich höher ist.« (ebd.: 107) Erwachsenenbildungseinrichtungen<br />

haben lange bevor das Thema Basisbildung auf die österreichische<br />

bildungspolitische Agenda gekommen war, entsprechende Angebote konzipiert<br />

und offeriert. Seit Basisbildung ein bildungspolitisches Thema geworden ist, verlangen<br />

die politischen Akteurinnen und Akteure mit Nachdruck Angaben zur Größenordnung<br />

der Zielgruppe. Österreich wird sich an der informell als PISA für Erwachsene<br />

bezeichneten Studie »PIAAC – Programm for International Assessment<br />

of Adult Competencies« beteiligen. Frühestens ab 2011 wird diese Studie eine datenbasierte<br />

Annäherung an die nationale Größenordnung erlauben (vgl. Schneeberger/Petanovitsch/Schlögl<br />

2008: 52; zu diesem Vorhaben der OECD siehe Gnahs<br />

2007). 107 Im Rahmen der internationalen Untersuchungen der OECD (Organisation<br />

for Economic Co-Operation and Development) zu »Literacy« – »International<br />

Adult Literacy Survey (IALS)« – wurden Daten in 21 Ländern bei der 16-<br />

bis 65-jährigen Bevölkerung erhoben und vergleichend ausgewertet (vgl. OECD<br />

2000). 108 Die Daten beziehen sich auf drei Ausprägungen von »Literacy Skills«:<br />

»Prose literacy« als Fähigkeit, Texte zu verstehen und entnommene Informationen<br />

zu verwenden (z.B. Zeitungsartikel); »Document literacy« als Fähigkeit, Informationen<br />

in unterschiedlichen textbasierten Formaten (z.B. Lohnabrechnung, Bewerbungsformularen)<br />

zu finden und zu verwenden; »Quantitative literacy« als die<br />

Fähigkeit, mathematische Operationen auszuführen oder in Texte eingebettete Rechenaufgaben<br />

durchzuführen. Diesen drei Ausprägungen wurden fünf Stufen zugeordnet.<br />

Stufe 1 bedeutet, einem Text keine grundlegende Information entneh-<br />

- 136 -


men zu können. Stufe 3 wird als adäquates Minimum an Fähigkeiten angesehen,<br />

um mit Herausforderungen im modernen Privat- und Berufsleben zurechtzukommen.<br />

Stufe 4/5 repräsentiert das Vorhandensein der Fähigkeit zur korrekten Informationsverarbeitung<br />

(vgl. ebd.: xf.). In allen teilnehmenden Ländern wurden in der<br />

gesamten Bevölkerung (nicht nur bei als benachteiligt geltenden Gruppen) signifikante<br />

Defizite in allen drei Ausprägungen der »Literacy Skills« festgestellt. 15 Prozent<br />

der Befragten (und mehr) haben in nahezu allen teilnehmenden Ländern nur<br />

Stufe 1 erreicht (vgl. ebd.: xiii). Österreich hat an der IALS nicht teilgenommen.<br />

Folgend finden sich die Ergebnisse für Deutschland und für Schweden, das am besten<br />

abgeschnitten hat.<br />

Tab. 1: Ergebnisse der IALS für Deutschland (Schweden)<br />

Literacy Skills Level 1 Level 2 Level 3 Level 4/5<br />

Prose 14,4% (7,5%) 34,2% (20,3%) 38,0% (39,7%) 13,4% (32,4%)<br />

Document 9,0% (6,2%) 32,7% (18,9%) 39,5% (39,4%) 18,9% (35,5%)<br />

Quantitative 6,7% (6,6%) 26,6% (18,6%) 43,2% (39,0%) 23,5% (35,8%)<br />

Quelle: In Anlehnung an OECD 2000: 136f., Table 2.2<br />

Die Anteile der Bevölkerung, die sich auf Level 1 und Level 2 befinden, geben Anlass<br />

zur Sorge. Schätzungen, 109 die sich auf die österreichische Bevölkerung beziehen,<br />

gehen von mindestens 300.000 Erwachsenen 110 aus (vgl. Schneeberger/Petanovitsch/Schlögl<br />

2008: 51). Höhere Schätzungen sprechen von 670.000 bis 1,34<br />

Millionen Menschen, die der Zielgruppe zuzurechnen wären, das entspricht 10 bis<br />

20 Prozent der Über-15-Jährigen (vgl. Rath 2007: 3). Werden die Ergebnisse für<br />

Deutschland (siehe oben) als Schätzungsgrundlage herangezogen, so liegt der Anteil<br />

der Personen, die Schwierigkeiten mit dem Textverständnis und mit Rechenaufgaben<br />

haben, tatsächlich noch höher.<br />

Wie die Größenordnung der Zielgruppe ist die Datenlage zur Angebotsstruktur<br />

(Einrichtungen, Angebote, Teilnahmen 111 ) für Österreich noch nicht geklärt. 112 Für<br />

die Volkshochschulen, die Basisbildungsangebote offerieren, 113 bildet der Statistikbericht<br />

des Verbands österreichischer Volkshochschulen (VÖV) die Teilnahmen<br />

nach Fachbereichen ab. Die Kategorie »Grundbildung und Zweiter Bildungsweg«<br />

umfasst Basisbildungskurse, Vorbereitungskurse für das Nachholen des Hauptschulabschlusses<br />

sowie die Berufsreifeprüfung, 114 daher bleibt ungeklärt, wie viele<br />

Teilnahmen es tatsächlich im Bereich Alphabetisierung und Basisbildung gegeben<br />

hat. 115<br />

Im deutschen Forschungsverbund »alphabund« zur Alphabetisierung und Grundbildung<br />

beschäftigt sich das Projekt »Monitor Alphabetisierung und Grundbildung«<br />

mit der Größenordnung dieses Teilbereichs der Erwachsenenbildung. Ziel<br />

- 137 -


ist es, mit Hilfe einer jährlich stattfindenden Erhebung, die alle Träger umfassen<br />

soll, ein Monitoring zu ermöglichen. Für das Jahr 2008 sind folgende Daten bei<br />

201 Einrichtungen, die insgesamt 2.786 Angebote im Bereich Alphabetisierung<br />

und Grundbildung durchgeführt haben, erhoben worden: An Angeboten zur Alphabetisierung<br />

(Lesen und Schreiben) haben 13.655 Personen teilgenommen. An Angeboten<br />

zur Grundbildung (u.a. außerschulische Grundbildung, Rechnen im Alltag,<br />

Sozialtechniken) haben 9.543 Personen teilgenommen (vgl. Monitor Alphabetisierung<br />

und Grundbildung 2009). Wird von vier Millionen Betroffenen (»funktionalen<br />

Analphabeten«) ausgegangen, wie es der deutsche Bundesverband Alphabetisierung<br />

e.V. vorschlägt (vgl. Döbert/Hubertus 2000: 29-34), zeigt sich auf dieser<br />

Datenbasis, dass 0,58 Prozent der Zielgruppe erreicht werden konnten.<br />

Faktum ist, dass erwachsene Menschen an bestehenden Basisbildungsangeboten teilnehmen<br />

und dass solche Angebote nachgefragt werden, weil sie ganz offensichtlich<br />

auf Interesse stoßen und Bedarfe/Bedürfnisse anzusprechen scheinen. 116 Von Bedeutung<br />

wäre daher die kontinuierliche Finanzierung bestehender Angebote und Einrichtungen.<br />

Abschließend soll festgehalten werden, dass die nicht geklärte Größenordnung<br />

der Zielgruppe für quantitativ-empirisch orientierte Bildungsforscher/innen<br />

unbefriedigend sein mag. Dem Ansinnen, Defizite messbar zu machen und zu messen,<br />

ist aus der Perspektive der Erwachsenenbildung jedoch nur wenig abzugewinnen.<br />

3.2.4 Inhalts- und Zieldimensionen<br />

Mit Begründungen für Lernen und Bildung und mit der Ausdifferenzierung von Inhalten<br />

gehen immer gewisse pädagogische Überzeugungen einher, die einen normierenden<br />

Charakter aufweisen können. Normierungen im schulischen Kontext<br />

legitimieren sich über den von der Gesellschaft an die Schule verliehenen Erziehungs-<br />

und Bildungsauftrag. An Erwachsene werden ebenfalls – verdeckt oder<br />

offen – Lern- und Bildungsziele herangetragen. Im Folgenden werden einige<br />

Anmerkungen zur inhaltlichen Ausgestaltung von Basisbildung gemacht. Erkenntnisleitend<br />

war die Frage, ob hierbei eher normierende Zieldimensionen maßgeblich<br />

sind oder ob eine stärkere Orientierung an den Teilnehmenden und ihren Voraussetzungen<br />

feststellbar ist.<br />

Ekkehard Nuissl thematisiert Grundbildung unter dem Aspekt des gesellschaftlichen<br />

Bildungsbedarfs. Dieser gesellschaftliche Bildungsbedarf ist von individuellen<br />

Bildungsbedürfnissen zu unterscheiden (vgl. Nuissl 2000: 100f.). Grundbildung<br />

meint »den sich jeweils historisch verändernden Satz von Kulturtechniken,<br />

die Menschen dazu befähigen, selbständig und interessengeleitet in einer industrialisierten<br />

Gesellschaft leben zu können« (ebd.: 104). Zu den elementaren Kulturtechniken<br />

zählen das Lesen, Schreiben und Rechnen. Bedingt durch gesellschaftliche<br />

Entwicklungen seien weitere Kulturtechniken gefragt, so die Beherrschung<br />

- 138 -


von digitalen Medien und die Beherrschung der englischen Sprache (vgl. ebd.:<br />

105) sowie »das Entschlüsseln von Bildern« (Nuissl 1999: 563 zit. n. Tröster<br />

2000: 13). Dazu kämen noch die so genannten »Schlüsselqualifikationen«, zu denen<br />

beispielsweise »Kreativität, die Fähigkeit zum Lernen, die Fähigkeit zur sozialen<br />

Kommunikation oder die Fähigkeit zum Transfer« (Nuissl 2000: 105) gezählt<br />

werden können. Erweitert um die Frage nach notwendigen berufsbezogenen<br />

Qualifikationen und Schlüsselqualifikationen wie Sprach- und Kulturkompetenzen<br />

(vgl. ebd.: 105ff.) sowie soziale Kompetenzen (vgl. Nuissl 1999: 563 zit. n. Tröster<br />

2000: 13), scheinen die Lernzielbereiche des gesellschaftlichen Bildungsbedarfs<br />

vollends auszuufern.<br />

Grundbildung als Teilbereich der Erwachsenenbildung ist in Veränderung begriffen.<br />

In den frühen 1980er Jahren ist in Deutschland <strong>Monika</strong> Völkers Buchbeitrag<br />

über Analphabetismus/Alphabetisierung (1983) noch ganz selbstverständlich in<br />

die Rubrik »Allgemeinbildung« eingeordnet worden, die weiteren Rubriken dieses<br />

von Erhard Schlutz herausgegebenen Sammelbandes waren: »Arbeit«, »Kultur«<br />

und »Politik« (siehe Schlutz 1983). In den frühen 2000er Jahren ist der von<br />

<strong>Monika</strong> Tröster herausgegebene Sammelband »Berufsorientierte Grundbildung«<br />

(2002) erschienen. Ziel und Anspruch dieser Sammlung von Konzepten und Praxishilfen<br />

war es, »die – besonders im beruflichen Kontext geforderte – Handlungskompetenz<br />

mit der gleichermaßen bedeutsamen Persönlichkeitsentfaltung zu verknüpfen,<br />

um Menschen darin zu unterstützen, sowohl ihre Lebensgestaltung als<br />

auch ihren beruflichen Alltag besser bewältigen zu können.« (Tröster 2002: 11f.;<br />

Hervorh. v. MK) Das heißt, dass die allgemeinbildende Ausrichtung der Grundbildung<br />

um die berufliche Anforderungsperspektive ergänzt wurde. Begonnen im<br />

Jahr 2007 werden bis 2012 in Deutschland über 20 Forschungs- und Entwicklungs-<br />

Verbundprojekte zu Alphabetisierung und Grundbildung, untergliedert in rund 100<br />

Teilprojekte, vom Bundesministerium für Bildung und Forschung gefördert werden.<br />

117 Die Verbundprojekte sind in vier Themenbereichen angesiedelt. Neben der<br />

Verbesserung des Forschungsstandes, der Erhöhung von Effizienz und Qualität von<br />

Unterstützungs- und Beratungsangeboten sowie der Professionalisierung von Lehrenden<br />

ist der vierte Bereich die »Alphabetisierung und Grundbildungsarbeit im<br />

Kontext von Wirtschaft und Arbeit« (vgl. Lübke 2008: 8ff.). Die ersten Ergebnisse<br />

zum Themenbereich »Alphabetisierung im Kontext von Wirtschaft und Arbeit«<br />

werden als viel versprechend in Hinblick auf den Ȇbergang junger Erwachsener<br />

in den Beruf« beschrieben; mittels Schulungen in Arbeitsagenturen und in Firmen<br />

wird thematisch sensibilisiert und aufgeklärt (vgl. Döbert 2009: 12f.). Es fällt auf,<br />

dass das auf Bildungsinhalte bezogene Thema der geförderten Projekte den Kontext<br />

von Wirtschaft und Arbeit fokussiert. Es liegt mir fern, diese thematische Ausrichtung<br />

von Alphabetisierung und Grundbildung zu kritisieren. Möglicherweise<br />

geht es bei den Projekten im Bereich Wirtschaft und Arbeit auch um das von <strong>Monika</strong><br />

Tröster beschriebene Ziel und den Anspruch, die Förderung der beruflichen<br />

Handlungskompetenzen mit Persönlichkeitsbildung zum Wohle der teilnehmen-<br />

- 139 -


den Menschen zu verbinden (vgl. Tröster 2002: 11f.; siehe oben). Warnen möchte<br />

ich in diesem Zusammenhang jedoch vor zwei Problemen. Das erste Problem hat,<br />

wie bereits ausgeführt, Erich Ribolits als »Illusion« charakterisiert, nämlich das<br />

falsche Versprechen, »über Bildung ließe sich das Problem der Arbeitslosigkeit lösen«<br />

(Ribolits 2003: 7). Und auch Karlheinz Geißler hat darauf hingewiesen, dass<br />

wir zur »stetige[n] Selbstverbesserung« (Geißler 2004: 67) angehalten sind: »Nicht<br />

die Politik, wir stehen unter Zugzwang.« (ebd.; Hervorh. i. Orig.) Die Individualisierung<br />

von Problemlagen wird durch diese Form der Pädagogisierung vorangetrieben<br />

und die Politik scheint aus der Verantwortung entlassen zu sein. Vergessen<br />

wird hierbei immer, dass die Anzahl der erwerbsarbeitslosen Personen sowohl in<br />

Deutschland als auch in Österreich hoch ist. Es ist nicht zulässig, die Hoffnung zu<br />

schüren, über berufsbezogene Weiterbildungsangebote in Erwerbsarbeit zu kommen<br />

und auch zu bleiben. Genau diese falsche Hoffnung kanalisieren solche Lernund<br />

Weiterbildungsprozesse aber, schließlich ist deren Ziel – die unmittelbare berufliche<br />

Verwertbarkeit – klar auszumachen. Das zweite Problem resultiert aus der<br />

arbeitsmarktpolitischen Logik: Für Deutschland ist diese Logik nachzulesen in der<br />

Stellungnahme der Bundesagentur für Arbeit zur Finanzierung von Alphabetisierung<br />

und Grundbildung: »Eine Förderung der Alphabetisierung ist im Rahmen der<br />

Basisinstrumente möglich, wenn dies für die berufliche Eingliederung notwendig<br />

ist und ein anderer Leistungsträger für die Kostenübernahme nicht zuständig ist.«<br />

(Bundesagentur für Arbeit 2009: 30) Ein bei einer Arbeitsgemeinschaft (ARGE)<br />

tätiger Arbeitsvermittler 118 sieht für Alphabetisierung und Grundbildung durch die<br />

Zugehörigkeit zur Allgemeinbildung grundsätzlich keinen Finanzierungsauftrag,<br />

allerdings sei »Analphabetismus ein Vermittlungshemmnis« und seine Aufgabe<br />

als Arbeitsvermittler sei es, Vermittlungshemmnisse abzubauen (vgl. Stürenburg<br />

2009: 28). Die arbeitsmarktpolitische Logik folgt dem Ziel der Vermittlung. Sie ist<br />

die primäre Aufgabe (sowohl in Deutschland als auch in Österreich). Daraus ergibt<br />

sich die Notwendigkeit der Verwertung jeglicher arbeitsmarktpolitisch organisierter<br />

Lernaktivität durch die danach zu erfolgende Vermittlung. Alphabetisierungsund<br />

Basisbildungsangebote sind hier – falls überhaupt – Mittel zum Zweck. Diese<br />

betriebswirtschaftliche Perspektive im Sinne einer Kosten-Nutzen-Rechnung reduziert<br />

meines Erachtens ganz eindeutig das Potenzial einer Bildung, die zur Entfaltung<br />

und Entwicklung der Menschen beitragen kann. Sehr wahrscheinlich ist, dass<br />

kurzfristig angelegte Lernprozesse bevorzugt werden (um Vermittlungshemmnisse<br />

rasch abzubauen; siehe oben). Basisbildung bedarf jedoch größerer zeitlicher Dimensionen<br />

– gerade wenn sie das Ziel der Entwicklung und Entfaltung der Menschen<br />

ernst nimmt (wofür es gute Gründe gibt). Eine solche Überzeugung steht der<br />

Logik des kurzfristigen Schulungsdenkens für arbeitsmarktpolitische Zielsetzungen<br />

allerdings diametral gegenüber. 119<br />

Die Alphabetisierungsarbeit hat sich zu Beginn auf die Vermittlung der Fähigkeiten<br />

des Lesens und Schreibens konzentriert. Hinzugekommen sind Angebote zur<br />

Vermittlung von mathematischen Fähigkeiten und die Einbeziehung von neuen<br />

- 140 -


Medien 120 in die Angebotsplanung und Angebotsdurchführung, insbesondere der<br />

Computer wurde zum Lerngegenstand und Lernmedium. Diese Ausweitungen<br />

dürften auf das Zusammenwirken des gesellschaftlichen Bedarfs und der individuellen<br />

Bedürfnisse und Interessen von Erwachsenen zurückgehen. 121 Neben einem<br />

eher engen Verständnis von Basisbildung, das sich auf die klassische Alphabetisierung<br />

(Lesen und Schreiben) zurückzieht, ist auch ein (zu) weites Verständnis von<br />

Basisbildung mit überbordenden und in ihrer Fülle überfordernden Lernzielen für<br />

Erwachsene, die Bildungsbenachteiligung erfahren haben, nicht unbedingt förderlich.<br />

Es besteht zudem die Gefahr, vor allem den gesellschaftlichen Bedarf – »oder<br />

was man dafür hält« (Nuissl 2000: 16) – im Auge zu haben und weniger die Bedürfnisse<br />

der potenziellen und tatsächlichen Teilnehmenden. Ein solches Beispiel<br />

für überbordende Lernziele sind die in Abschnitt 2.1.1 angeführten Überlegungen<br />

im Kontext der bildungspolitischen Strategie des lebenslangen Lernens. Im »Memorandum<br />

über Lebenslanges Lernen« (Europäische Kommission 2000) wurden<br />

sechs Grundbotschaften genannt. Die erste Botschaft lautet: »Neue Basisqualifikationen<br />

für alle«. Diese neuen Basisqualifikationen – IT-Fertigkeiten, Fremdsprachen,<br />

Technologische Kultur, Unternehmergeist und soziale Fähigkeiten inklusive<br />

der herkömmlichen Grundkompetenzen: Lesen, Schreiben und Rechnen (vgl. Europäische<br />

Kommission 2000: 12) – werden als »Kompetenzen« definiert, »die Voraussetzung<br />

sind für eine aktive <strong>Teilhabe</strong> an der wissensbasierten Gesellschaft und<br />

Wirtschaft – am Arbeitsmarkt und am Arbeitsplatz, in realen und virtuellen Gemeinschaften<br />

und in der Demokratie« (ebd.: 13; Hervorh. i. Orig.) – wobei auch<br />

impliziert sei, »dass diese Kompetenzen es Bürgern ermöglichen, eine Identität<br />

zu finden und sich Lebensziele vorzugeben« (ebd.). Gerade der Kompetenzbegriff<br />

birgt meines Erachtens die Gefahr von Zuschreibungen – abseits der Wahrnehmung<br />

der Bedürfnisse von Erwachsenen – vor Aufnahme einer Bildungsaktivität<br />

(Adressatinnen und Adressaten bzw. Personen, die der Zielgruppe zugerechnet<br />

werden) und in Lernprozessen (Teilnehmerinnen und Teilnehmer). Rolf Arnold<br />

(2001c) hat kritisch bemerkt, »dass nahezu alle Facetten eines neuzeitlichen Bildungsideals<br />

zu eigenständiger Kompetenz hochstilisiert werden« (Arnold 2001c:<br />

176). Für die Europäische Union sind »Schlüsselkompetenzen für lebensbegleitendes<br />

Lernen« als Referenzrahmen verbindlich festgelegt worden (vgl. Amtsblatt der<br />

Europäischen Union L 394/10-18 vom 30. Dezember 2006; siehe Abschnitt 2.1.1):<br />

Schlüsselkompetenzen würden Menschen »für ihre persönliche Entfaltung, soziale<br />

Integration, Bürgersinn und Beschäftigung« benötigen. Schlüsselkompetenzen<br />

sollten junge Menschen in »Grundbildung und Ausbildung« als »Grundlage für das<br />

weitere Lernen sowie das Arbeitsleben« erwerben, und Erwachsene sollten Schlüsselkompetenzen<br />

»ein Leben lang weiterentwickeln und aktualisieren« (vgl. ebd.:<br />

11). Als Schlüsselkompetenzen wurden bestimmt (vgl. ebd.: 13-18):<br />

• Muttersprachliche Kompetenz (Hören, Sprechen, Lesen, Schreiben)<br />

• Fremdsprachliche Kompetenz inklusive eines interkulturellen Verständnisses<br />

- 141 -


• Mathematische und grundlegende naturwissenschaftlich-technische Kompetenz<br />

(Wissen, Anwendung von Verfahren und Werkzeugen, Ausbildung von Denkstrukturen)<br />

• Computerkompetenz inklusive der Fähigkeit zur Informationssammlung und<br />

Verarbeitung<br />

• Lernkompetenz: positive Einstellung zum Lernen; Lernprozesse aufnehmen und<br />

organisieren, Wahrnehmen eigener Lernbedürfnisse, Ermittlung vorhandener<br />

Lern- und Beratungsangebote<br />

• Soziale Kompetenz und Bürgerkompetenz für gesellschaftliche und berufliche<br />

<strong>Teilhabe</strong> sowie für demokratische Beteiligung am staatsbürgerlichen Leben<br />

• Eigeninitiative und unternehmerische Kompetenz: Kreativität, Innovation und<br />

Risikobereitschaft, Projektplanung und -durchführung (privat, beruflich, gesellschaftlich)<br />

im Sinne einer »unternehmerische[n] Einstellung«<br />

• Kulturbewusstsein und kulturelle Ausdrucksfähigkeit: u.a. Kenntnisse der kulturellen<br />

Hauptwerke; eigene kulturelle Ausdrucksfähigkeit und Teilnahme am kulturellen<br />

Leben<br />

Für die Schlüsselkompetenz »Lernkompetenz« wird darauf hingewiesen, dass<br />

diese zunächst die Fähigkeit erfordere, wesentliche, für das weitere Lernen notwendige<br />

Grundfertigkeiten wie Lesen und Schreiben, Rechnen sowie im Bereich<br />

IKT zu erwerben« (ebd.: 16; Hervorh. v. MK). Aus der Perspektive der Erwachsenenpädagogik<br />

erstaunt, dass die Kulturtechniken gleichsam im Vakuum vorbereitend<br />

erworben werden sollten (siehe Abschnitt 3.1.1). Die Förderung und Entwicklung<br />

von Lernfreude und Lernfähigkeit wird sich nur über sinnvoll erlebte Inhalte,<br />

über die Aneignung von Wissensbeständen und selbstverständlich auch über die<br />

Einübung dieser zentralen Fertigkeiten, vollziehen können.<br />

Diese Ansammlung von ausdifferenzierten Kompetenzen als »Schlüsselkompetenzen<br />

für lebensbegleitendes Lernen« legt den Gedanken an das von Rolf Arnold kritisch<br />

gefasste neuzeitliche Bildungsideal nahe (vgl. Arnold 2001c: 176). Sie ist in<br />

ihrer Ausdifferenzierung stark normierend und weist meines Erachtens starke Bezüge<br />

zu Erziehungszielen auf. Ob diese zielbewusste Zurichtung von Menschen in<br />

Angeboten der Erwachsenenbildung und gerade im Teilbereich der Basisbildung<br />

vertretbar ist, wage ich zu bezweifeln. Es wird davon ausgegangen, dass ein nicht<br />

unerheblicher Anteil der Zielgruppe der bildungsbenachteiligten Erwachsenen mit<br />

Basisbildungsbedarfen/-bedürfnissen mit dem schulischen Bildungssystem überaus<br />

schlechte Erfahrungen gemacht hat. Ruth C. Cohn hat das schulische Bildungssystem<br />

als dem »Rivalitätsprinzip« untergeordnet analysiert und plädiert für ein »Kooperationsmodell«<br />

als Weg zur »Humanisierung der Schule« 122 (vgl. Cohn 1975: 152-175):<br />

»[I]n der Rivalitätsschulwelt [wird] von Menschen durch klassifizierende Zahlen und unmenschliche<br />

Nicht-Begegnungen die Wissensspreu von dem Wissensweizen fein säuberlich<br />

geschieden. Die Weizenpflanzen sind fast ausschließlich Kinder begünstigter und begünsti-<br />

- 142 -


gender elterlicher Verhältnisse (finanziell, intellektuell und emotionell), während die Spreu<br />

der Unbemittelten (in Geld oder Vorbildung oder Anlage) zur sozialen oder naturgegebenen<br />

Ungerechtigkeit hinzu nun auch noch das Beschämtwerden in Schulen erleiden muß, was ihnen<br />

den letzten Impuls zum Überwinden der Handikaps und zur Entwicklung eines tragfähigen<br />

Selbstbewußtseins vergällt.« (Cohn 1975: 157)<br />

Andrea Linde hat in ihrer Studie über das Lesen- und Schreibenlernen von Erwachsenen<br />

im Kontext der Kategorie »Angst« folgende datenbasierte Feststellung über<br />

Teilnehmende aus Alphabetisierungskursen gemacht:<br />

»Erleichterung verschafft den Betroffenen die Erfahrung, dass im Alphabetisierungskurs kein<br />

negativer Wettbewerb vorherrscht, sondern dass die anderen Teilnehmenden sich in ähnlichen<br />

Problemlagen befinden und ein unterstützender Austausch möglich ist. Austausch und Unterstützung<br />

sind notwendig, um eine vertrauensvolle Atmosphäre aufkommen zu lassen und die<br />

Ängste und Hemmschwellen überwinden zu können, die seit den Schulerfahrungen mit Lernsituationen<br />

assoziiert werden.« (Linde 2008: 123; Hervorh. v. MK)<br />

Erwachsene sollten – und das ist durchaus eine moralische Forderung – in Basisbildungskursen<br />

nicht mit Erziehungszielen und Zurichtungsvorstellungen, resultierend<br />

aus gesellschaftlichen Bedarfsüberlegungen, behelligt und dadurch unter<br />

Druck gesetzt werden. Denn auf diese Weise ist »Lernkompetenz« (eine der<br />

»Schlüsselkompetenzen für lebensbegleitendes Lernen«; siehe oben) wohl nicht zu<br />

erreichen. Neben der moralischen Forderung sehe ich auch einen didaktischen Aspekt:<br />

Wenn das Prinzip des exemplarischen Lernens als Ausgangspunkt gelingende<br />

Lern- und Bildungsprozesse ermöglichen kann (siehe dazu Abschnitt 3.1.1), so widerspricht<br />

eine Überfrachtung der Basisbildung mit zu entwickelnden Kompetenzen<br />

bzw. zu bearbeitenden Lerninhalten und zu erreichenden Lernzielen diesem<br />

Prinzip. Statt sich in ausgesuchte Bereiche vertiefen zu können und entsprechend<br />

fundierte Sicherheit zu erlangen (und damit »Lernkompetenz«), würden die Stofffülle<br />

bzw. die Fülle an möglichen Lernzielen es erfordern, möglichst rasch und effizient<br />

voranzuschreiten. Die Förderung der Lernfähigkeit sollte als Querschnittsdimension<br />

Beachtung finden und reflexiv alle Basisbildungsaktivitäten ergänzen;<br />

Lernfähigkeit kann nur an Inhalten im Prozess des Lernens und der Aneignung erfahren<br />

und dadurch entwickelt werden.<br />

Die Erörterung von »Schlüsselkompetenzen« hat im Basisbildungsbereich Spuren<br />

hinterlassen. Im Jahr 2007 hat das Netzwerk Basisbildung und Alphabetisierung<br />

in Österreich »folgende Kompetenzen als Elemente der Basisbildung« (Rath<br />

2007: 2) definiert: »Schreiben, Lesen, mündliche Sprachkompetenz, Zuhören, Verstehen,<br />

Rechnen, Umgang mit Daten und Zahlen, Umgang mit Maßen und Formen;<br />

IKT (Informationstechnologien) und die Schlüsselkompetenzen: Kommunikation,<br />

Problemlösung, Arbeiten mit anderen und Lernkompetenz; DaZ (Deutsch<br />

als Zweitsprache): mündliche Kommunikation, Lesen und Schreiben.« (ebd.) Im<br />

- 143 -


Jahr 2008 sind als Inhalte die Kulturtechniken Lesen, Schreiben, Rechnen und Umgang<br />

mit dem PC, ergänzt um »die Kompetenz des autonomen Lernens«, festgelegt<br />

worden (vgl. Rath 2008: 42). Das zeigt, dass Diskussion und Entwicklung<br />

stattfinden und dass es unterschiedliche Sichtweisen auf die Ausgestaltung von Basisbildung<br />

gibt. Es fällt auf, dass der bedeutsame Bereich Deutsch als Zweitsprache<br />

nicht mehr explizit in der Aufzählung der Elemente der Basisbildung genannt<br />

wird. Basisbildungsangebote für Erwachsene mit Migrationshintergrund können<br />

eine wichtige Funktion für die Entwicklung und Entfaltung der Teilnehmenden<br />

übernehmen (siehe dazu <strong>Kastner</strong> 2009). Verena Plutzar hat argumentiert, sprachliche<br />

Bildung von Migrant/inn/en nicht als »Frage der ‚Inneren Sicherheit‘ oder ‚Diversität‘«<br />

(Plutzar 2008: 3) zu betrachten (Stichwort: Integrationsvereinbarungs-<br />

Verordnung 123 ), sie sollte vielmehr als Aufgabe der Erwachsenenbildung in deren<br />

Kompetenzbereich übergehen (vgl. ebd.: 3). 124<br />

Dass sich »die Kompetenz des autonomen Lernens« gleichwertig neben den Kulturtechniken<br />

wiederfindet (siehe oben) ist wohl auf den Diskurs des lebenslangen<br />

Lernens innerhalb der Erwachsenenbildung zurückzuführen. Die Diskussion<br />

um selbstgesteuertes Lernen hat die Vorstellung von autonom handelnden und lernenden<br />

Subjekten befördert. Spätestens mit der Wahrnehmung des »Matthäus-Effektes«<br />

und der ungeklärten Frage nach der Chancen(un)gleichheit in der Weiterbildung<br />

(so z.B. Gruber 2008a) und insbesondere unter Berücksichtigung der<br />

Ergebnisse von Christiane Schiersmann (2006) zur Selbststeuerungskompetenz<br />

muss akzeptiert werden, dass Menschen mit ungleichen Voraussetzungen für die<br />

(erfolgreiche) Beteiligung an Bildungsangeboten und Lernprozessen über die Lebensspanne<br />

ausgestattet sind.<br />

Im Zusammenhang mit Bildung im Erwachsenenalter stellt sich stets die Frage der<br />

Finanzierung von Angebot und Teilnahme. Die Finanzierung einer Teilnahme im<br />

Bereich der allgemeinen Erwachsenenbildung obliegt zumeist den Teilnehmenden.<br />

Im Bereich der beruflichen Weiterbildung ist das weniger eindeutig. Für die Alphabetisierung/Basisbildung<br />

ist ein Konsens darüber erzielt worden, dass die Teilnahme<br />

kostenfrei sein muss. Das entsprechende Bekenntnis findet sich im Strategiepapier<br />

zur Umsetzung des lebenslangen Lernens in Österreich »Wissen – Chancen<br />

– Kompetenzen«, das im Auftrag des Bundesministeriums für Unterricht, Kunst<br />

und Kultur erarbeitet und 2008 zur Konsultation vorgelegt wurde: »Flächendeckende,<br />

kostenfreie Grundversorgung mit Angeboten zur Basisbildung bzw. grundlegenden<br />

Kulturtechniken wie Lesen, Schreiben, Rechnen, IT-Kenntnisse« (Bundesministerium<br />

für Unterricht, Kunst und Kultur 2008: 82) und: »Weiterer Ausbau<br />

der kostenfreien Angebote zum Nachholen des Hauptschul- bzw. Pflichtschulabschlusses«<br />

(ebd.) sowie »Abstimmung der Förderinstrumente des Bundes und der<br />

Länder im Bereich der Erwachsenenbildung bzw. Weiterbildung 125 – Schaffung eines<br />

umfassenden lernerzentrierten Finanzierungsinstruments, das transparent und<br />

einfach administrierbar ist« (ebd.). Aktuell wird mit der »Initiative Erwachsenenbildung«,<br />

eine »Länder-Bund-Initiative zur Förderung grundlegender Bildungsab-<br />

- 144 -


schlüsse für Erwachsene inklusive Basisbildung/Grundkompetenzen« (2009), ein<br />

Programm vorbereitet, das ein kostenfreies Nachholen von Bildungsabschlüssen<br />

(Sekundarstufe I und II) für bildungsbenachteiligte und nicht mehr schulpflichtige<br />

Personen in erwachsenengerechter Form ermöglichen soll. Das Programm fokussiert<br />

Basisbildung und den Erwerb von Grundkompetenzen, das Nachholen des<br />

Hauptschulabschlusses sowie das Ablegen der Berufsreifeprüfung (vgl. Initiative<br />

Erwachsenenbildung 2009: 4). Mit dieser Initiative werden ungleiche Voraussetzungen<br />

in den Blick genommen.


4 Forschungsansatz und Forschungsprozess


In den folgenden Abschnitten werden die Konzeption und Durchführung des qualitativ-empirischen<br />

Forschungsprozesses erläutert, um die forschungsmethodischen<br />

Entscheidungen transparent zu machen. Diese Inhalte schaffen das notwendige<br />

Verständnis für die darauf folgende Darstellung der Interpretationsergebnisse<br />

und den Versuch einer gegenstandsbezogenen Theoriebildung (siehe Abschnitt 5).<br />

Eingebettet ist dieser Forschungsprozess in methodologische Überlegungen, die<br />

vorab kurz skizziert werden sollen: Das Interesse an Bildungsprozessen von Erwachsenen,<br />

die Bildungsbenachteiligung erfahren haben, hat sich mit dem Interesse an<br />

Bildungsprozessen, die individuelle Entwicklung und Entfaltung ermöglichen können,<br />

verbunden. Meine Aufmerksamkeit hat sich auf die Gestaltung von Basisbildungskursen<br />

gerichtet; Ziel war es, über die Rekonstruktion von subjektiven Handlungen<br />

und Deutungen die Lehr-, Lern- und Bildungsprozesse in der Basisbildung<br />

zu verstehen. Dieser rekonstruktive, verstehende Forschungsansatz beansprucht das<br />

Gütekriterium der Objektivität nicht. Sandra Harding hat jedoch ganz generell den<br />

Anspruch der Objektivität als ein Gütekriterium von (anerkannter) Forschung ironisiert<br />

und positiv gewendet: »Wenn alle Erkennenden im Prinzip austauschbar sind,<br />

dann ist das von weißen, westlichen, ökonomisch privilegierten, heterosexuellen<br />

Männern erzeugte Wissen ebenso gut wie das Wissen, das beliebige andere Personen<br />

hervorbringen können.« (Harding 1994: 65) In ihrem Aufsatz »Situiertes Wissen. Die<br />

Wissenschaftsfrage im Feminismus und das Privileg einer partialen Perspektive« argumentiert<br />

Donna Haraway ähnlich für eine begrenzte Verortung der Wissenschaftler/innen<br />

und der Wissenschaft, wenn sie feststellt:<br />

»Relativismus ist ein Mittel, nirgendwo zu sein, während man beansprucht, überall in gleicher<br />

Weise zu sein. Die ‚Gleichheit‘ der Positionierung leugnet Verantwortlichkeit und verhindert<br />

eine kritische Überprüfung. In den Objektivitätsideologien ist der Relativismus das perfekte<br />

Spiegelbild der Totalisierung: Beide leugnen die Relevanz von Verortung, Verkörperung und<br />

partialer Perspektive, beide verhindern eine gute Sicht. Relativismus und Totalisierung sind<br />

‚göttliche Tricks‘.« (Haraway 1995: 84)<br />

Sie schlägt Positionierung, Lokalisierung und Situierung als entscheidende wissensbegründende<br />

Praktiken – für »eine gute Sicht« – vor: »Die Etablierung der Fähigkeit,<br />

von den Peripherien und den Tiefen heraus zu sehen, hat Priorität. Im Anspruch,<br />

eine Perspektive aus der Position der weniger Mächtigen einzunehmen,<br />

liegt allerdings auch die ernstzunehmende Gefahr einer Romantisierung und/oder<br />

Aneignung dieser Sichtweise.« (ebd.: 83) Schließlich votiert Donna Haraway für<br />

die »Verknüpfung partialer Sichtweisen und innehaltender Stimmen zu einer kollektiven<br />

Subjektposition, die eine Vision der Möglichkeiten einer fortgesetzten,<br />

endlichen Verkörperung und von einem Leben in Grenzen und in Widersprüchen<br />

verspricht, das heißt von Sichtweisen, die einen Ort haben.« (ebd.: 91)<br />

Der vorliegend offen und erkundend angelegte Forschungsprozess zielt auf eine<br />

Exploration von Lehr-, Lern- und Bildungsprozessen in der Basisbildung ab. Die-<br />

- 149 -


sen Zugang als wissensbegründende Praktik zu wählen, bedeutet den Ausführungen<br />

Donna Haraways folgend, für »eine gute Sicht« (ebd.: 84) zu sorgen. Mein<br />

wissenschaftliches Interesse hat auch lebensgeschichtliche Wurzeln; ausschließlich<br />

Distanz zu wahren, ist ein wenig sinnstiftender Anspruch. Um mit den Worten<br />

von Donna Haraway zu sprechen: »Wir sind immer mittendrin« (ebd.: 98). Es ist<br />

eine Gratwanderung erforderlich, wenn die Sichtweisen der beteiligten Akteurinnen<br />

und Akteure die wissensbegründende Basis darstellen und hieraus die Gefahr<br />

einer Romantisierung, einer Vereinnahmung durch die unreflektierte Aneignung<br />

der Sichtweisen (vgl. ebd.: 83) erwächst. Es bedeutet, sich als Forscherin tatsächlich<br />

auf das Forschungsfeld einzulassen und gleichzeitig reflexive Distanz zu wahren.<br />

Thomas Lau und Stephan Wolff haben im Kontext ihrer Forschungsarbeit den<br />

Begriff der »solidarischen Forschung« eingeführt und diesen versuchsweise und<br />

mit Bezug auf ihr Untersuchungsfeld definiert (vgl. Lau/Wolff 1983: 427f.). Die<br />

Zurückweisung von »Entlarvungsforschung« (ebd.: 427) und insbesondere die<br />

dennoch bestehende Option einer Entwicklung von »Ansätze[n] für Reformvorschläge«<br />

(ebd.) ist für die vorliegende Forschungsarbeit als bedeutsam wahrgenommen<br />

worden, verweist diese doch auf ein kritisch-konstruktives Verständnis;<br />

ein solches Verständnis von Pädagogik ist von Lutz Rothermel wie folgt formuliert<br />

worden: »Solange die gesellschaftliche Realität Unterdrückung und Elend hervorbringt,<br />

wäre ein Verzicht auf theoretische Anstrengungen zur Überwindung inhumaner<br />

Verhältnisse letztlich zynisch.« (Rothermel 2001: 26)<br />

4.1 Grounded Theory als qualitativ-empirischer Forschungsansatz<br />

Einem Forschungsansatz, der sich als qualitativ-empirisch versteht, wird das »Ziel<br />

einer möglichst gegenstandsnahen Erfassung der ganzheitlichen, kontextgebundenen<br />

Eigenschaft sozialer Felder« (Terhart 1997: 27; Hervorh. i. Orig.) zugeschrieben.<br />

Dieser Verweis auf die Ganzheitlichkeit rückt die Bedeutungszuschreibungen<br />

und Bedeutungskonstruktionen der im sozialen Feld handelnden Personen in den<br />

Vordergrund (vgl. ebd.). Das bedeutet, »die soziale Welt ‚mit den Augen der Handelnden<br />

selbst‘ zu sehen, d.h. subjektive Sinnstrukturen nachzuvollziehen« (ebd.:<br />

29), und »Lebenswelten ‚von innen heraus‘ aus der Sicht der handelnden Menschen<br />

zu beschreiben« (Flick/Kardorff/Steinke 2000: 14), um zu einem »besseren<br />

Verständnis sozialer Wirklichkeit(en)« (ebd.) beizutragen und auf »Abläufe, Deutungsmuster<br />

und Strukturmerkmale aufmerksam« (ebd.) zu machen.<br />

Eine Theorie über den Forschungsgegenstand aus den Daten heraus entwickeln<br />

zu wollen, d.h., im Datenmaterial zu begründen, kann diesem Anspruch gerecht<br />

werden. Barney G. Glaser und Anselm L. Strauss (2005 [1967]) sind die Begründer<br />

der Grounded Theory. Weiterentwicklungen sind von Anselm L. Strauss (1998<br />

[1987]) und Anselm L. Strauss gemeinsam mit Juliet Corbin (1996 [1990]) vorgenommen<br />

worden. Grounded Theory ist »als ein Stil zu verstehen, nach dem man<br />

- 150 -


Daten qualitativ analysiert und der auf eine Reihe von charakteristischen Merkmalen<br />

hinweist« (Strauss 1998 [1987]: 30). Dazu zählen »das Theoretical Sampling<br />

und gewisse methodologische Leitlinien, wie etwa das kontinuierliche Vergleichen<br />

und die Anwendung eines Kodierparadigmas, um die Entwicklung und Verdichtung<br />

von Konzepten sicherzustellen« (ebd.). Die Grounded Theory ist ein qualitativ<br />

ausgerichteter Forschungsansatz, der sich zur Erkundung für eine »explorativinterpretative<br />

Erschließung« (Mayring 2002: 121) anbietet.<br />

»Grounded Theory lässt sich als gegenstandsbegründete oder -verankerte Theorie übersetzen.<br />

Sie erlaubt auf der Basis empirischer Forschung in einem bestimmten Gegenstandsbereich,<br />

eine dafür geltende Theorie zu formulieren, die aus vernetzten Konzepten besteht und<br />

geeignet ist, eine Beschreibung und Erklärung der untersuchten sozialen Phänomene zu liefern.«<br />

(Böhm 2000: 476)<br />

Der Forschungsprozess beginnt mit generativen Fragen. Die generativen Fragen beziehen<br />

sich zu Beginn auf einen »Untersuchungsbereich – was in diesem Bereich relevant<br />

ist, wird sich erst im Forschungsprozeß herausstellen.« (Strauss/Corbin 1996<br />

[1990]: 8) Die »erste generative Frage« kann einer Einsicht folgen, »die das Interesse<br />

des Wissenschaftlers an einem Aspekt eines bestimmten Phänomens weckt<br />

und ihn somit herausfordert, genau diesen Aspekt zu untersuchen« (Strauss 1998<br />

[1987]: 44). Es ist für den Forschungsprozess von »entscheidender Bedeutung, daß<br />

man generative Fragen stellt. Diese ergeben sich, wenn der Forscher das Datenmaterial<br />

untersucht und darüber nachdenkt, und zwar oft in Verbindung mit seinem Kontextwissen«<br />

(ebd.). Im Verlauf des Forschungsprozesses sind die Phasen der Erhebung,<br />

Auswertung und Theoriebildung ineinander verwoben. Die Analyse beginnt<br />

bereits während der Datenerhebung: Mögliche Hauptthemen, vorläufige Antworten<br />

auf generative Fragen, die Wahrnehmung von Phänomenen im Feld sind hierbei bedeutsam.<br />

Bei der Verschriftlichung der Analyseergebnisse gewinnt die Analyse an<br />

Intensität. Ihr (vorläufiges) Ende findet sie in der Darstellung und Diskussion der Interpretationsergebnisse<br />

im Sinne einer gegenstandsbezogenen Theoriebildung.<br />

4.2 Forschungsleitende Fragestellungen<br />

Aus meiner Beschäftigung mit Basisbildung als Teilbereich der Erwachsenenbildung<br />

sind folgende generative Fragen hervorgegangen:<br />

• Was bedeutet die Thematisierung und Bearbeitung von Basisbildungsbedarfen/<br />

-bedürfnissen im Rahmen eines Basisbildungsangebotes auf der Ebene des Individuums<br />

Wie fühlt sich das an Wie werden die individuellen Lernprozesse erlebt<br />

• Wie werden die Lehr-Lern-Prozesse tatsächlich gestaltet Wie gestalten also die<br />

Lehrenden ihr Handeln<br />

- 151 -


Dieses Interesse an der inhaltlichen Gestaltung ist aus der Beobachtung resultiert,<br />

dass im Basisbildungsbereich vielfach eine große Gestaltungsfreiheit wahrnehmbar<br />

ist, dass – an einen heimlichen Lehrplan erinnernd – über die inhaltliche sowie<br />

die organisationale Ausgestaltung jedoch auch normierende Anforderungen an<br />

die Teilnehmenden gestellt werden. Hier hat sich die Frage nach der konkreten Gestaltung<br />

der Lehr-Lern-Prozesse auf der Interaktions- und Beziehungsebene angeschlossen:<br />

• Werden die Teilnehmenden gestärkt, und wenn ja, wie werden sie gestärkt<br />

Aus diesen generativen Fragen haben sich folgende forschungsleitende Fragestellungen<br />

entwickelt: Wie lässt sich die Gestaltung der Lehr-, Lern- und Bildungsprozesse<br />

in der Basisbildung auf der Ebene der Mikrodidaktik bestimmen Welche<br />

Prozesse vollziehen sich in Basisbildungskursen in Hinblick auf die persönliche<br />

Stärkung der Teilnehmenden, die Entwicklung von Selbstbestimmung und die Erhöhung<br />

von <strong>Teilhabe</strong> Wie sind die Teilnehmenden zu ihrem Basisbildungskurs<br />

gekommen, wie also gelingt der Zugang als erster Schritt Wie gestalten sich die<br />

Lehr-Lern-Prozesse auf der inhaltlichen Ebene der Vermittlung und der Interaktions-<br />

und Beziehungsebene Und: Welcher Art sind individuell feststellbare Kompensationsmöglichkeiten<br />

Die zentrale Frage ist, welche Chancen sich durch die<br />

Teilnahme an Bildung im Erwachsenenalter für Menschen, die Bildungsbenachteiligung<br />

erfahren haben, tatsächlich eröffnen.<br />

Die Perspektivenverschränkung zwischen Lehrenden und Lernenden (Mikrodidaktik)<br />

möchte innen liegenden Befindlichkeiten, Handlungsbegründungen, Gefühlen<br />

und Wahrnehmungen sowie Bedingungen des Gelingens von Lehr-, Lern- und Bildungsprozessen<br />

auf die Spur kommen. Es geht somit um die Frage nach der Sichtbarkeit<br />

von Lehren, Lernen und Bildung.<br />

4.3 Forschungsprozess<br />

Die Erläuterung des Forschungsprozesses gliedert sich in folgende Aspekte:<br />

• Auswahl der Datenquellen<br />

• Theoretisches Sampling: Datenerhebung im Prozess der Datenauswertung<br />

• Erhebungsmethoden<br />

• Fixierung der Daten<br />

Danach folgt die Darstellung des Auswertungs- und Interpretationsprozesses (siehe<br />

Abschnitt 4.4).<br />

- 152 -


Auswahl der Datenquellen<br />

Den forschungsleitenden Fragen wurde durch die Perspektivenverschränkung von<br />

Lehren und Lernen nachgegangen. Die Rekonstruktion von subjektiven Deutungsund<br />

Begründungszusammenhängen erfolgte über die Befragung von Lehrenden<br />

und Lernenden. Durch diese Verschränkung der Perspektiven von Teilnehmenden<br />

und Kursleitenden sollten basisbildungsbezogene Lehr-, Lern- und Bildungsprozesse<br />

erhellt werden. Ziel war das Erkunden, das Erfassen und Verstehen der<br />

subjektiven Deutungen und Handlungsbegründungen in einem gegenstandsverankerten<br />

Erhebungs-, Interpretations- und Theoriebildungsprozess. 126 Diese Vorgehensweise<br />

rückt die Individuen in den Mittelpunkt und verleiht deren Sichtweisen<br />

Gewicht.<br />

Bei der Auswahl der Datenquellen waren die generativen Fragen (siehe Abschnitt<br />

4.2) handlungsleitend. Hans Merkens spricht von der Notwendigkeit, einen »gate<br />

keeper«, einen »Türwächter« zu finden, »eine Person, die von der Stellung her<br />

in der Lage ist, dem Forscher Zugang zum Feld zu verschaffen« (Merkens 1997:<br />

101). Der Begriff des Türwächters hat die Konnotation eines geschlossenen Feldes,<br />

eines gleichsam geschlossenen Raumes. 127 Für die vorliegende Untersuchung<br />

fungierten in der Basisbildung tätige Expertinnen und Experten als Türöffner/innen<br />

und waren von immenser Wichtigkeit, denn sie haben mir den Zutritt zum Praxisfeld<br />

erst ermöglicht. 128 Rosalie H. Wax befasst sich mit der oftmals im Forschungsprozess<br />

und insbesondere in der Dokumentation vernachlässigten vorbereitenden<br />

Phase, in der<br />

»der Forscher jene Kommunikationskanäle und sozialen Stützpunkte findet, angeboten bekommt<br />

und akzeptiert, durch die und von denen aus er seine Beobachtungen machen wird und<br />

die Erlaubnis zur Teilnahme erhalten wird. Ebenfalls in diesem Stadium entscheidet sich, ob<br />

er die Aufgabe, die er sich gestellt hat, überhaupt ausführen kann. Und häufig wird in diesem<br />

Stadium der Charakter, Umfang und Schwerpunkt seines Problems oder seiner Untersuchung<br />

bestimmt.« (Wax 1979: 69)<br />

In dieser vorbereitenden Phase habe ich während einer Fachveranstaltung im Oktober<br />

2006 durch Mitarbeiterinnen einer Bildungseinrichtung die Leiterin der Basisbildungseinrichtung,<br />

in der ich schließlich die meisten Interviews führen konnte<br />

(Einrichtung A), kennen gelernt. Durch unsere gemeinsam geteilte Sichtweise auf<br />

erwachsenenpädagogische Voraussetzungen und Ziele in der (Basis-)Bildungsarbeit<br />

mit bildungsbenachteiligten Erwachsenen war nach kurzer Zeit eine grundlegende<br />

Kommunikationsbasis entstanden. Die Beschreibung meines Forschungsinteresses<br />

und die Erläuterung meiner generativen Fragen bewogen die Leiterin der<br />

Basisbildungseinrichtung dazu, mir Zugang zu ihrer Einrichtung zu gewähren. Im<br />

Rahmen eines Jour fixe konnte ich im Juni 2007 mein Forschungsvorhaben vor Ort<br />

vorstellen und das Einverständnis zur Kooperation in der Einrichtung einholen. 129<br />

Im Verlauf des Datenerhebungsprozesses wurde evident, dass es für einen kontras-<br />

- 153 -


tierenden Vergleich notwendig war, andere Datenquellen zu befragen. Aus diesem<br />

Grund kontaktierte ich im August 2007 den Leiter einer anderen Basisbildungseinrichtung<br />

130 (Einrichtung B) mit der Bitte um Kooperation. Die Vorstellung des Forschungsvorhabens<br />

und die Organisation von Interviews erfolgten per E-Mail und<br />

telefonisch.<br />

Theoretisches Sampling: Datenerhebung im Prozess der Datenauswertung<br />

Das theoretische Sampling ist als Methode der Datenerhebung für die Grounded<br />

Theory entwickelt worden. Im Verlauf des Forschungsprozesses werden während<br />

der Datenerhebung und unter Bezugnahme auf die vorläufige Auswertung Entscheidungen<br />

darüber getroffen, welche Datenquelle als nächstes ausgewählt wird.<br />

Die Offenheit zu Beginn des Datenerhebungsprozesses ermöglicht es, »feinere Unterschiede<br />

zu entdecken« (Strauss/Corbin 1996 [1990]: 155) und somit eine »größere<br />

Konsistenz in der Datengewinnung« (ebd.) zu erreichen. Auf diese Weise<br />

werden Daten gewonnen, »die das ganze Spektrum zur Forschungsfragestellung<br />

abdecken. Später werden Daten gesucht, die die bereits (vorläufig) entwickelten<br />

Kategorien der Theorie bestätigen bzw. differenzieren« (Böhm 2000: 476), d.h.<br />

kontrastierende Fälle, partiell andere Erzählungen. Im Fortschreiten soll nämlich<br />

die Auswahl der zu untersuchenden Gruppen bzw. Untergruppen Resultat des Datenerhebungs-<br />

und Forschungsprozesses sein (vgl. Glaser/Strauss 2005 [1967]: 53-<br />

83). Theoretisches Sampling meint folglich die »Auswahl einer Datenquelle […]<br />

auf der Basis von Konzepten, die eine bestätigte theoretische Relevanz für die sich<br />

entwickelnde Theorie besitzen« (Strauss/Corbin 1996 [1990]: 148).<br />

Von Juli 2007 bis November 2007 habe ich in den beiden Basisbildungseinrichtungen<br />

(Einrichtung A und Einrichtung B) insgesamt 24 Interviews mit Teilnehmerinnen<br />

und Teilnehmern sowie neun Interviews mit Kursleiterinnen und Kursleitern<br />

geführt (siehe die Tabellen im Anhang, Abschnitt 8.1 und 8.2). Die befragten Kursleiter/innen<br />

haben die Kurse der befragten Teilnehmenden geleitet. Hier ist bewusst<br />

eine Überschneidung des Samples angestrebt worden, um eine Perspektivenverschränkung<br />

in Hinblick auf die Gestaltung und Wahrnehmung der Lehr-Lern-Prozesse<br />

zu erhalten. Im oben angegebenen Zeitraum ist auch die in einer Einrichtung<br />

beschäftigte Sozialarbeiterin befragt worden. 131<br />

Als Datenquellen sind alle Teilnehmenden, unabhängig von Lebensalter, Geschlecht,<br />

ethnischer Herkunft, Schulbildung, Berufstätigkeit, Lebenssituation,<br />

Lernfortschritt und anderen möglichen anzulegenden Kriterien, betrachtet worden.<br />

Voraussetzungen waren hinreichende Deutschkenntnisse bei Teilnehmenden mit<br />

einer anderen Erstsprache als Deutsch, um verstanden zu werden und verstehen zu<br />

können, und eine Mindestteilnahme von zwei Monaten, um Lehr-Lern-Prozesse<br />

thematisieren zu können. Zu Beginn des Forschungsprozesses wurden alle Teilnehmenden,<br />

die sich dazu bereit erklärt hatten, interviewt. 132 Parallel zu den geführten<br />

Interviews wurde das Gehörte, Gesehene und schriftlich Festgehaltene in Forschungs-<br />

und Theoriememos 133 transferiert.<br />

- 154 -


Insgesamt wurden 12 Teilnehmerinnen und 12 Teilnehmer befragt. Vier der befragten<br />

Teilnehmerinnen und ein befragter Teilnehmer sind nicht in Österreich<br />

geboren worden. 134 Die befragten Teilnehmer/innen waren zum Befragungszeitpunkt<br />

zwischen 18 und 74 Jahre alt. In der Altersgruppe bis 25 Jahre befanden<br />

sich fünf Teilnehmer, in der Altersgruppe 26 bis 35 Jahre eine Teilnehmerin<br />

und drei Teilnehmer. Der Altersgruppe 36 bis 45 Jahre gehörten sechs Teilnehmerinnen<br />

und drei Teilnehmer, der Altersgruppe ab 46 Jahre fünf Teilnehmerinnen<br />

und ein Teilnehmer an. Die beiden kürzesten Interviews dauerten 15 Minuten,<br />

das längste Interview dauerte 75 Minuten. Es wurden sieben Kursleiterinnen<br />

und zwei Kursleiter sowie die Sozialarbeiterin einer Einrichtung befragt. Deren<br />

Altersspanne reichte zum Befragungszeitpunkt von Mitte 20 bis Ende 50. Das<br />

kürzeste Interview dauerte 45 Minuten, das längste Interview 100 Minuten. Wegen<br />

der geringen Anzahl dieser Interviews werden an dieser Stelle keine weiteren<br />

Eckdaten angegeben, um Rückschlüsse auf die Interviewpartner/innen zu<br />

verhindern. Ein Jahr nach der Durchführung dieser Datenerhebung ist im Sommer/Herbst<br />

2008 eine weitere Datenerhebung vorgenommen worden, um einen<br />

erweiterten Blick auf die generativen Fragen zu ermöglichen. Zentral war die<br />

Frage, wie es den befragten Teilnehmenden während des vorangegangenen Jahres<br />

ergangen war. Die Einholung der Informationen erfolgte über die Kursleitenden.<br />

Dieses Vorgehen war pragmatischen Gründen geschuldet, da es die personellen<br />

und finanziellen Grenzen des Forschungsvorhabens nicht erlaubten, alle<br />

befragten Teilnehmenden noch einmal zu kontaktieren und zu befragen. Im Dezember<br />

2008 wurde ein Interview mit einem Vertreter des AMS aus dem Geschäftsfeld<br />

Förderungen durchgeführt. Dabei ist es um die Erhebung von Informationen<br />

und das Ausloten der organisationskulturellen Abläufe gegangen. Von<br />

Interesse war auch die Haltung gegenüber Kundinnen und Kunden, insbesondere<br />

gegenüber jenen mit Basisbildungsbedarfen/-bedürfnissen.<br />

Für diese Datenerhebung soll der Anspruch der theoretischen Sättigung, der zur<br />

größtmöglichen »Dichte der Theorie« (Glaser/Strauss 2005 [1967]: 69; vgl. auch<br />

Strauss/Corbin 1996 [1990]: 159) führt, nicht erhoben werden. Aufgrund der begrenzten<br />

finanziellen und zeitlichen Ressourcen dieses Eigenprojektes fand der<br />

hohe Anspruch der theoretischen Sättigung ein pragmatisch motiviertes Ende. Anselm<br />

Strauss und Juliet Corbin (1996 [1990]) geben diesbezüglich folgenden Hinweis:<br />

»Das Vorgehen [theoretisches Sampling] kann auch dann schwierig sein,<br />

wenn Sie keinen unbegrenzten Zugang zu Orten, Personen oder Dokumenten haben.<br />

Realistisch gesehen, müssen Sie auf der Basis dessen auswählen, zu dem Sie<br />

Zugang haben oder auf das Sie stoßen.« (Strauss/Corbin 1996 [1990]: 157) Und:<br />

Obwohl ein zirkulärer Prozess der Erhebung und Auswertung von Daten (das<br />

Theoretische Sampling) zum Erreichen einer theoretischen Sättigung vorgesehen<br />

ist (vgl. ebd.: 159), darf ein Vergleich auf theoretischer Basis auch innerhalb der<br />

tatsächlich vorliegenden Daten durchgeführt werden (vgl. ebd.: 164).<br />

- 155 -


Erhebungsmethoden<br />

Im Forschungsprozess wurden verschiedene Erhebungsmethoden eingesetzt, die<br />

im Folgenden erläutert werden:<br />

• Episodische Interviews mit den Teilnehmerinnen und Teilnehmern inklusive<br />

Kurzfragebogen<br />

• Leitfadengestützte Interviews mit den Kursleiterinnen und Kursleitern<br />

• Offenes Interview mit der Sozialarbeiterin einer Basisbildungseinrichtung<br />

• Datenerhebungen vor Ort, telefonisch und per E-Mail ca. ein Jahr nach der<br />

Durchführung der Interviews<br />

• Leitfadengestütztes Interview mit einem Vertreter des AMS<br />

Es wurden Befragungen eingesetzt, denn diese ermöglichen die »Rekonstruktion<br />

der subjektiven Sichtweisen und Deutungsmuster der sozialen Akteure« (Flick/<br />

Kardorff/Steinke 2000: 20). Alle Interviews sind in Hinblick auf die Konzeption<br />

an das von Michael Meuser und Ulrike Nagel beschriebene »ExpertInneninterview«<br />

angelehnt; dieses »eignet sich zur Rekonstruktion komplexer Wissensbestände«<br />

(Meuser/Nagel 1997: 481) und dient der »Erfassung von praxisgesättigtem<br />

Expertenwissen« (ebd.). Die Teilnehmerinnen und Teilnehmer sind Expertinnen<br />

und Experten für ihr Lernen, ihre Lernprozesse, für ihre Bedarfe und Bedürfnisse.<br />

Die Kursleiterinnen und Kursleiter sind Expertinnen und Experten für das basisbildungsbezogene<br />

Lehren und die Gestaltung von Lehr-Lern-Prozessen. Die Sozialarbeiterin<br />

ist Expertin für ihre Klientinnen und Klienten. Der AMS-Vertreter repräsentiert<br />

als Experte seine Organisation. Als Erhebungsinstrument wird von Michael<br />

Meuser und Ulrike Nagel ein »leitfadengestütztes offenes Interview« (ebd.: 486)<br />

vorgeschlagen. Von detaillierten und ausformulierten Fragen wird abgeraten, begründet<br />

durch das »Prinzip einer offenen und flexiblen Interviewführung« (ebd.:<br />

487). In allen Interviews ist daher versucht worden, Themensetzungen durch die<br />

Interviewpartnerinnen und Interviewpartner zu ermöglichen und immer wieder zu<br />

Detailerzählungen anzuregen. Längere Erzählpassagen sind nämlich »Schlüsselstellen<br />

für die Rekonstruktion des ExpertInnenwissens« (ebd.: 487).<br />

Episodische Interviews mit den Teilnehmenden inklusive Kurzfragebogen<br />

Die episodischen Interviews mit den Teilnehmerinnen und Teilnehmern wurden in<br />

den Räumlichkeiten der Basisbildungseinrichtungen bzw. der dezentralen Kursorte<br />

während der Kurszeiten geführt. In den Interviews sind u.a. folgende Aspekte<br />

thematisiert worden (siehe Leitfaden im Anhang, Abschnitt 8.3): Wie ist es zur<br />

Kursteilnahme gekommen Welche Erwartungen sind vorhanden gewesen Sind<br />

Bildungsbedarfe/-bedürfnisse formuliert worden/bewusst gewesen Wie ist das<br />

Angebot/der Kurs wahrgenommen worden Wie werden die Lerninhalte und Lernprozesse<br />

wahrgenommen und eingeschätzt Werden festgestellte Veränderungen<br />

auf die Teilnahme zurückgeführt<br />

- 156 -


Bei der Technik des episodischen Interviews kommt ein Leitfaden zum Einsatz,<br />

allerdings wird im Gespräch immer wieder eine Aufforderung zum Erzählen formuliert<br />

(vgl. Friebertshäuser 1997: 388). Barbara Friebertshäuser charakterisiert<br />

»Leitfaden-Interviews« und »Erzählgenerierende Interviews« als zwei entgegengesetzte<br />

Pole (vgl. ebd.: 372f.). Das episodische Interview, von Uwe Flick entwickelt,<br />

versucht, die Vorteile der beiden Techniken zu vereinen (vgl. ebd.: 388). »Ziel<br />

des episodischen Interviews ist, bereichsbezogen zu ermöglichen, Erfahrungen in<br />

allgemeinerer, vergleichender etc. Form darzustellen, und gleichzeitig die entsprechenden<br />

Situationen und Episoden zu erzählen.« (Flick 2007: 239) Die Interviews<br />

mit den Teilnehmenden sind vom Prinzip her als offene, jedoch leitfadengestützte<br />

Interviews, die der Idee des episodischen Interviews – der »kontextbezogene[n]<br />

Darstellungen in Form von Erzählungen« (ebd.) – folgen, geführt worden. Die<br />

Wahl des episodischen Interviews war der Versuch, die Interviewsituation möglichst<br />

offen zu halten, um den befragten Teilnehmenden Raum für ihre eigenen Erzählungen<br />

zu geben. Der Leitfaden sollte dazu dienen, die Erzählungen thematisch<br />

zu strukturieren und »situationsbezogene Detailerzählung[en]« (ebd.: 246) zu initiieren;<br />

damit ist eine gewisse Vergleichbarkeit der Interviews erreicht worden. In der<br />

Interviewsituation wurde um »mehrere umgrenzte Erzählungen« (ebd.: 244) gebeten;<br />

es hat vielfach ein relativ offener Dialog stattgefunden, in dem auch »Frage-<br />

Antwort-Sequenzen« (ebd.: 245) stattgefunden haben, die das Gespräch strukturiert<br />

und zu vertiefenden Ausführungen angeregt haben. Birte Egloff, die eine erste<br />

qualitativ-empirische Studie über »Biographische Muster ‚funktionaler Analphabeten‘«<br />

(1997) für Deutschland vorgelegt hat, hat in Hinblick auf den von ihr gewählten<br />

biografischen Forschungsansatz folgende Herausforderung konstatiert:<br />

Ein narratives Interview wird, abgesehen von einer offen gestellten Eingangsfrage,<br />

von der Interviewpartnerin bzw. dem Interviewpartner eigenständig bestritten. Die<br />

Interviewerin bringt sich erst in einem Nachfrageteil wieder gesprächsleitend ein,<br />

um Erzählungen durch Nachfragen zu klären und durch Fragen zu weiteren Erzählungen<br />

anzuregen. Birte Egloff dokumentiert, dass einige der von ihr befragten<br />

Personen Schwierigkeiten beim Erzählen hatten, weil sie offenbar nicht auf die<br />

Vorstellung einer biografischen Identität zurückgreifen konnten (vgl. Egloff 2007:<br />

73). Das in der vorliegenden Untersuchung eingesetzte episodische Interview ist<br />

somit der Versuch gewesen, die Teilnehmenden durch Strukturierungs angebote zu<br />

unterstützen und sie mittels dieser Strukturierungsangebote zu vielen umgrenzten<br />

Detailerzählungen anzuregen. Zur Erhebung von lebensgeschichtlichen Eckdaten<br />

ist ein standardisierter Kurzfragebogen verwendet worden. Um einen möglichst<br />

unvoreingenommenen Einstieg in das Interview zu gewährleisten, sind die Interviewpartner/innen<br />

erst nach dem Abschluss des episodischen Interviews unter Verwendung<br />

des Kurzfragebogens um Auskünfte über lebensgeschichtliche Eckdaten<br />

gebeten worden. Das Abfragen lebensgeschichtlicher Details zu Beginn hätte die<br />

für die Durchführung des episodischen Interviews notwendige Vertrauensbasis gefährdet.<br />

Mit Fragen zu beginnen, die Kindheit oder schulbezogene Themen betref-<br />

- 157 -


fen, hätte bedeutet, mein Gegenüber an möglicherweise höchst unangenehme Erfahrungen<br />

zu erinnern. Der erste Erzählimpuls zu Beginn des episodischen Interviews<br />

hat sich auf den aktuell besuchten Basisbildungskurs bezogen (»Erzählen Sie mir<br />

doch bitte, wie Sie zu diesem Kurs gekommen sind, wie war denn das«). Ein weiterer<br />

Grund für diese Vorgehensweise war, dass auch ich offen, ohne Vorannahmen<br />

über mein Gegenüber, in das Interview gehen wollte. Verfügt beispielsweise eine<br />

Teilnehmerin oder ein Teilnehmer über einen Sonderschulabschluss, so bedeutet das<br />

nicht automatisch, dass eine Lernschwäche oder eine Behinderung vorliegt. Es kann<br />

sein, dass ein Kind, das scheinbar nicht der gängigen Norm entspricht, in die Sonderschule<br />

abgeschoben wird, weil Lehrer/innen überfordert sind und/oder ihre Aufmerksamkeit<br />

den weniger problematischen Kindern widmen und darüber vergessen,<br />

dass zu unterrichten nicht nur zu fordern, sondern insbesondere auch zu fördern<br />

bedeutet. 135 Der Zweck des Kurzfragebogens ist es gewesen, die für die Analyse<br />

notwendigen lebensgeschichtlichen Daten (Alter, Schulbildung, Berufstätigkeit<br />

etc.) aller befragten Teilnehmenden zu erheben und gleichzeitig relevante Themen<br />

(Kindheit, aktuelle Lebenssituation und Zukunftspläne) anzusprechen, um dadurch<br />

weitere, vertiefende oder erklärende Detailerzählungen zu generieren. 136 Auf dem<br />

Kurzfragebogen sind nach dem Interview der Code für die Interviewpartnerin/den<br />

Interviewpartner sowie Datum, Dauer und Ort des Interviews zur Systematisierung<br />

und Dokumentation der Interviews vermerkt worden. Die Rückseite des Fragebogens<br />

ist zum Festhalten von Eindrücken, Erklärungen und Fragen in Form von kurzen<br />

Memos verwendet worden.<br />

Die Anfangssituation jedes Interviews ist aufgrund der Unterschiedlichkeit meiner<br />

Interviewpartner/innen interessant und auch herausfordernd gewesen; die befragten<br />

Teilnehmenden waren in ihrer Vielfalt beeindruckend, die angemessene<br />

Gesprächsführung gestaltete sich als eine Herausforderung: Bei Teilnehmenden<br />

mit einer anderen Erstsprache als Deutsch ist eine gewisse Zeit notwendig gewesen,<br />

um die passive Sprachkompetenz abzuschätzen, um angemessene Fragen, die<br />

zu Erzählungen anregen, formulieren zu können. Bei einigen Teilnehmenden mit<br />

Lernschwierigkeiten ist es mir vielfach nicht gelungen, die Fragen im Gesprächsverlauf<br />

angemessen zu formulieren, und einige Fragen konnten daher auch nicht<br />

beantwortet werden. 137 Beispielsweise ist es einigen der Befragten schwergefallen,<br />

über ihre Lernprozesse Auskunft zu geben; in solchen Situationen musste abgeschätzt<br />

werden, ob meine Nachfragen als belastend empfunden wurden und ob sie<br />

überhaupt zu dieser Frage Auskunft geben konnten.<br />

Alle Interviewpartnerinnen und Interviewpartner sind vorab über das Forschungsvorhaben<br />

und den Zweck des Interviews von ihrer/ihrem Kursleiterin/Kursleiter informiert<br />

worden. Durch die gewährte Unterstützung des Vorhabens durch die Kursleitenden<br />

ist mir von Seiten der Teilnehmenden ein gewisser Vertrauensvorschuss<br />

entgegengebracht worden. Nur eine Interviewpartnerin hat in der Anfangssituation<br />

kein Vertrauen zu mir gefasst und nach und nach das Gespräch verweigert, obwohl<br />

sie vorab – wie alle anderen auch – dem Interview zugestimmt hatte. Bei einem In-<br />

- 158 -


terviewpartner hat sich die Vertrauensbildung während des Interviews vollzogen. Er<br />

war zu Beginn des Interviews ganz offensichtlich nervös: Er atmete hörbar ein und<br />

aus, antwortete schnell und in kurzen Sätzen als hoffte er, dass die ungewohnte Situation<br />

dieses Interviews bald vorbei sein möge, hielt keinen Blickkontakt, sondern<br />

blickte auf seine Hände bzw. zu Boden. Als er davon berichtete, dass es aus unterschiedlichen<br />

Gründen schwierig für ihn sei, ausreichend Zeit für die Kursteilnahme<br />

zu finden, weil er u.a. einen einjährigen Sohn habe, zeigte er mir ein Foto seines Kindes.<br />

Spontan äußerte ich bei der Betrachtung des Fotos, wie hübsch der Kleine sei<br />

und wie entzückend Kinder in diesem Alter sind, weil ich doch selbst einen Neffen<br />

in diesem Alter hätte. Nach dieser Sequenz änderte sich das Verhalten meines Interviewpartners,<br />

er erzählte zunehmend frei und offen, erkennbar an längeren und auch<br />

selbst initiierten Erzählungen, sowie mit wachsender Ruhe (Stimme, Atmung) und<br />

mit Blickkontakt über seine Kursteilnahme und sein Leben.<br />

Die unerwartet große Offenheit der meisten Interviewpartner/innen ist förderlich<br />

für das Gespräch gewesen. Diese große Offenheit hat sich im Bemühen um ausführliche<br />

Erzählungen gezeigt, Hinweise hierfür sind beispielsweise längere Phasen<br />

des Nachdenkens vor oder auch während der Ausführungen sowie das wiederholte<br />

Eingehen auf Nachfragen gewesen. Aufgrund dieser großen Offenheit der<br />

meisten Interviewpartner/innen ist die größte Herausforderung darin gelegen, die<br />

lebensgeschichtlichen Erzählungen nach dem Interview zu verarbeiten. Bereits in<br />

der Anfangsphase der Interviewdurchführung hat sich das Konzept des beschädigten<br />

Lebens als zusammenfassende Bezeichnung der meisten Lebensgeschichten<br />

der interviewten Teilnehmenden herauskristallisiert. Damit ist gemeint, dass meine<br />

Interviewpartner/innen im Laufe ihres Lebens, insbesondere während ihrer Kindheit<br />

und Jugend, in psychischer und physischer Hinsicht von anderen Menschen<br />

verletzt oder zumindest in ihren Bedürfnissen missachtet worden sind. Viele sind<br />

durch die Lebenssituation ihrer Herkunftsfamilie in ihrer Entwicklung und ihren<br />

Möglichkeiten eingeschränkt gewesen und haben im schulischen Bereich wenig<br />

bis keine Förderung erhalten. Diese Verletzungen und Benachteiligungen haben<br />

sich im Erwachsenenalter als gefühlte und tatsächliche Ausschlüsse fortgesetzt.<br />

Leitfadengestützte Interviews mit Kursleiterinnen und Kursleitern<br />

Folgende Forschungsfragen sind in Hinblick auf die Kursleiter/innen wesentlich<br />

gewesen (siehe Leitfaden im Anhang, Abschnitt 8.4): Wie gestalten die Kursleiter/<br />

innen die Lehr-Lern-Prozesse Tragen sie zur Stärkung der Teilnehmenden bei und<br />

wie handeln sie gegebenenfalls Fördern sie die Selbstbestimmung im Lernen und<br />

wie handeln sie gegebenenfalls Leisten sie Beiträge zur Erhöhung der individuellen<br />

<strong>Teilhabe</strong>chancen, und wenn ja, wie Und: Welche Veränderungen bei den Teilnehmenden<br />

können während des Kurses beobachtet werden Der Leitfaden bildet<br />

meine Auseinandersetzung mit dem Thema Basisbildung ab. In der Interviewsituation<br />

ist mit größtmöglicher Offenheit agiert worden, um selbst gewählte Themensetzungen<br />

durch die Interviewpartner/innen zu ermöglichen.<br />

- 159 -


Die leitfadengestützten Interviews sind in den Räumlichkeiten der Basisbildungseinrichtungen<br />

bzw. der dezentralen Kursorte vor einem Kurs oder nach einem Kurs<br />

geführt worden. Die Interviews mit den Kursleitenden sind relativ einfach zu führen<br />

gewesen. Die Kursleitenden haben ihre Erzählungen vielfach selbst strukturiert<br />

und darauf geachtet, die Fragen umfassend zu beantworten; bei Abschweifungen<br />

haben sie selbst zur eingangs gestellten Frage zurückgefunden; teilweise haben sie<br />

laut über die Qualität ihrer Antworten nachgedacht – und damit natürlich über die<br />

Qualität der gestellten Fragen.<br />

Offenes Interview mit der Sozialarbeiterin einer Basisbildungseinrichtung<br />

Da meines Wissens zum Zeitpunkt der Konzeption dieser Studie keine theoretischen<br />

Konzepte oder empirischen Studien zur Tätigkeit einer Sozialarbeiterin<br />

oder eines Sozialarbeiters in einer Bildungseinrichtung, die Basisbildungskurse<br />

anbietet, vorgelegen sind, 138 ist die Entscheidung für ein offenes Interview getroffen<br />

worden. Während der Durchführung der Interviews mit Teilnehmenden und<br />

Kursleitenden haben sich jedoch einige relevante Aspekte herauskristallisiert, die<br />

in einem Themenkatalog dokumentiert wurden (siehe Themenkatalog im Anhang,<br />

Abschnitt 8.5). Nach den ersten Ausführungen zur Eingangsfrage hat sich eine offene<br />

Gesprächssituation mit Fragen, Antworten und Gegenfragen ergeben. In den<br />

Ausführungen der Interviewpartnerin sind aufgrund von biografischen Eckdaten<br />

zwei von mir befragte Teilnehmerinnen erkennbar geworden. Dadurch konnten<br />

einzelne Episoden aus diesen Interviews mit denen der Sozialarbeiterin abgeglichen<br />

und Rekonstruktionen vervollständigt bzw. korrigiert werden, was für eine<br />

abgesicherte Interpretation als Prozess des Verstehens der Daten unerlässlich ist.<br />

Hier hat sich erneut gezeigt, wie wichtig es ist, aus unterschiedlichen Perspektiven<br />

auf den Forschungsgegenstand zu blicken. 139 Das Interview mit der Sozialarbeiterin<br />

hat wesentlich zum Verständnis über Basisbildungsteilnehmende beigetragen,<br />

was in der Phase der Auswertung und Theoriebildung als Kontextwissen von großem<br />

Nutzen gewesen ist.<br />

…ein Jahr später: wie ist es den befragten Teilnehmerinnen und Teilnehmern<br />

ergangen<br />

Im Sommer/Herbst 2008 – ein Jahr nach der Durchführung der Interviews mit den<br />

Teilnehmerinnen und Teilnehmern – ist für einen erweiterten Blick auf die generativen<br />

Fragen eine ergänzende Datenerhebung durchgeführt worden. Erkenntnisleitend<br />

ist hierbei die Frage gewesen, wie es den befragten Teilnehmenden während<br />

des vorangegangenen Jahres ergangen war und wie es ihnen aktuell geht. In<br />

Einrichtung A, in der ich die meisten Interviews geführt habe, konnte ich die Daten<br />

während des Jour fixe der Einrichtung direkt bei den Kursleitenden erheben;<br />

vorab habe ich einen Fragenkatalog übermittelt (siehe Fragenkatalog im Anhang,<br />

Abschnitt 8.6). In Einrichtung B habe ich die befragten Kursleiterinnen per E-Mail<br />

kontaktiert und um Auskunft (analog zum Fragenkatalog, siehe oben) gebeten. Zu-<br />

- 160 -


sätzliche Informationen (Nachfragen, Klärungen) habe ich in beiden Einrichtungen<br />

sowohl per E-Mail als auch in telefonischen Gesprächen eingeholt.<br />

Leitfadengestütztes Interview mit einem Vertreter des AMS<br />

Im Dezember 2008 ist ein Interview mit einem Vertreter des AMS aus dem Geschäftsfeld<br />

Förderungen durchgeführt worden. Dabei ist es um die Erhebung von<br />

Informationen und das Ausloten von organisationskulturellen Abläufen in Hinblick<br />

auf arbeitsmarktpolitische Maßnahmen (u.a. Zuweisung zu Schulungen) gegangen.<br />

Von Interesse ist auch die Haltung des Vertreters bzw. des AMS gegenüber den<br />

Kundinnen und Kunden, insbesondere gegenüber jenen mit Basisbildungsbedarfen/<br />

-bedürfnissen, gewesen (siehe Leitfaden im Anhang, Abschnitt 8.7).<br />

Fixierung der Daten<br />

Die Interviews mit den Teilnehmenden, Kursleitenden und der Sozialarbeiterin sind<br />

auf Tonband aufgenommen und transkribiert worden. 140 Hierfür sind Transkriptionsregeln<br />

festgelegt worden (siehe Transkriptionsregeln im Anhang, Abschnitt 8.8). Alle<br />

Transkripte sind in einem Kontrolldurchgang mit den Tonbandaufnahmen abgeglichen<br />

und gegebenenfalls korrigiert und ergänzt worden. Dabei sind auch die Kopfteile<br />

der Interviews mit Informationen aus den Texten und aus den Gesprächen mit<br />

der Transkripteurin 141 ergänzt worden. Die Ergebnisse der ein Jahr nach der Durchführung<br />

der Interviews durchgeführten Datenerhebung (…ein Jahr später) sind von<br />

mir im Detail protokolliert worden. Ergänzungen, resultierend aus schriftlich per E-<br />

Mail und telefonisch erfolgten Nachfragen, sind in den Protokollen (Protokoll A für<br />

die Einrichtung A und Protokoll B für die Einrichtung B) dokumentiert worden.<br />

An dieser Stelle muss eine Anmerkung zur Nomenklatur der Interviewpartnerinnen<br />

und Interviewpartner erfolgen: Es ist für mich außer Frage gestanden, meine Interviewpartnerinnen<br />

und Interviewpartner, die an Basisbildungskursen teilnehmen, als Teilnehmerin<br />

oder Teilnehmer bzw. als Teilnehmende – wie in der Erwachsenenbildung<br />

üblich (vgl. dazu Schäffter 2001: 303f.; Tietgens 2001: 304f.) – zu bezeichnen. 142 In<br />

der Darstellung der Interpretationsergebnisse werden die befragten Teilnehmenden daher<br />

als Teilnehmerin bzw. als Teilnehmer ausgewiesen. Die beigefügte Nummer resultiert<br />

aus der Reihenfolge der Durchführung der Interviews und verweist eindeutig auf<br />

das entsprechende Transkript. Diese notwendige Anonymisierung der Mitwirkenden in<br />

diesem Forschungsprozess mag als Entpersonalisierung erscheinen, wird hier aber als<br />

neutrale Bezeichnung verstanden. 143 Die befragten Kursleiterinnen und Kursleiter sind<br />

ebenfalls entsprechend ihrer Funktion als Kursleiterin bzw. Kursleiter bezeichnet worden.<br />

Der beigefügte Buchstabe resultiert aus der Reihenfolge der Durchführung und<br />

verweist eindeutig auf das entsprechende Transkript.<br />

Das Interview mit dem Vertreter des AMS ist ebenfalls aufgenommen und überwiegend<br />

wortwörtlich transkribiert worden, stellenweise wurden Inhalte paraphrasiert.<br />

Die Daten liegen als Protokoll C vor. Nachfragen bei diesem Interviewpartner<br />

und notwendige Klärungen, die bei weiteren Einrichtungen im arbeitsmarktpoliti-<br />

- 161 -


schen Kontext eingeholt wurden, sind ebenfalls in diesem Protokoll (Protokoll C)<br />

dokumentiert worden.<br />

4.4 Auswertungs- und Interpretationsprozess<br />

Als Werkzeug für die systematische Organisation der Transkripte und zur Unterstützung<br />

des Analyseprozesses ist das Programm ATLAS.ti, Version 5.0 eingesetzt<br />

worden. Es handelt sich dabei um eine Software, die einen qualitativen Auswertungsprozess<br />

unterstützt und entsprechende Features bietet. Das Datenmaterial<br />

(Transkripte und Protokolle) ist fortlaufend in die Hermeneutic Unit, den Pool an<br />

Daten, mit denen im Auswertungsprozess gearbeitet wird, aufgenommen worden.<br />

Innerhalb des Forschungsansatzes der Grounded Theory ist das theoretische Kodieren<br />

als Auswertungsverfahren vorgesehen. Dieses Kodieren setzt sich aus drei<br />

Formen zusammen: dem offenen, dem axialen und dem selektiven Kodieren. Diese<br />

drei Formen sind weder eindeutig chronologisch im Fortschreiten noch eindeutig<br />

linear in Hinblick auf zunehmende Intensität zu verstehen. Insgesamt ist das<br />

theoretische Kodieren ein relativ flexibel zu handhabendes Analyseverfahren und<br />

wurde folglich für das konkret vorliegende Datenmaterial adaptiert.<br />

Offenes Kodieren<br />

Das offene Kodieren ist der erste Auswertungsschritt (vgl. Strauss 1998 [1987]:<br />

56-68). Es handelt sich dabei um ein Eintauchen in das Datenmaterial und entspricht<br />

einem beschreibenden Vorgehen, das sich um die Frage dreht, welche Aspekte<br />

in Erfahrung gebracht werden konnten. Dieses offene Kodieren ist die erste<br />

Interpretation des Materials und hat das Entdecken und Benennen von Kategorien<br />

zum Ziel (vgl. ebd.: 56). Es besitzt den »Stellenwert eines Versuchs« (ebd.: 58) auf<br />

dem Weg der Entwicklung von »Schlüsselkategorien« (ebd.: 65). Solche Schlüsselkategorien<br />

wiederum sind die Bestandteile der sich entwickelnden bzw. der zu<br />

entdeckenden gegenstandsbezogenen Theorie (vgl. ebd.: 65-68). Über das offene<br />

Kodieren wird versucht, eine konzeptionelle Ordnung herzustellen. Dabei ist es unerlässlich,<br />

über das Paraphrasieren, das zusammenfassende Wiedergeben von Textstellen,<br />

hinauszugelangen, dafür ist es hilfreich, »‚theoriegenerierende‘ Fragen an<br />

den Text« (Böhm 2000: 477) zu stellen und dabei selbstverständlich das Kontextwissen<br />

über die Daten und das Hintergrundwissen über den Gegenstand einzusetzen<br />

(vgl. ebd.: 478). Nützlich ist auch die Suche nach so genannten »In-vivo-Codes,<br />

die als umgangssprachliche Deutungen der Phänomene direkt aus der Sprache<br />

des Untersuchungsfeldes stammen« (ebd.: 478) und somit direkt den zu analysierenden<br />

Texten entnommen werden. Das offene Kodieren liefert erste Beschreibungen<br />

des Materials und somit vorläufige Antworten auf generative Fragen.<br />

Das kontinuierliche Vergleichen meint in dieser Phase, dass jedes »Vorkommnis«<br />

kodiert, d.h. in »Analysekategorien« überführt werden soll, »damit werden zugleich<br />

- 162 -


die Kategorien und die auf sie passenden Daten greifbar« (Glaser/Strauss 2005<br />

[1967]: 111); durch das ständige Vergleichen von Vorkommnissen und die Zuordnung<br />

von Daten zu der zu erarbeitenden Kategorie stabilisieren sich die Kategorien.<br />

Damit »ist weniger die Suche nach identischen Inhalten gemeint, sondern die Suche<br />

nach Ähnlichkeiten und Unterschieden« (Böhm 2000: 476; Hervorh. i. Orig.). 144<br />

Barney G. Glaser und Anselm L. Strauss sprechen von der »Generierung von theoretischen<br />

Eigenschaften der Kategorie« (Glaser/Strauss 2005 [1967]: 112), wozu auch<br />

das kontinuierliche Schreiben von Memos 145 als Unterstützung gehört (vgl. ebd.:<br />

113). Memos dokumentieren Erkenntnisprozesse und sichern Erkenntnisse und leisten<br />

dadurch einen wesentlichen Beitrag zur gegenstandsbezogenen Theoriebildung.<br />

Bereits während der Durchführung und Nachbereitung der ersten Interviews haben<br />

sich in den Memos relevante Themen wie beispielsweise verschiedene Zugangsmuster<br />

zu den Basisbildungskursen oder das Konzept des beschädigten Lebens abgebildet.<br />

Solche relevanten Themen haben als Ankerpunkte für die Analyse gedient. In<br />

dieser frühen Phase hat sich der Eindruck verdichtet, dass ein in den Daten gegründetes<br />

Konzept von <strong>Teilhabe</strong> entwickelt werden sollte. So schien ein Konzept von <strong>Teilhabe</strong>,<br />

das kulturelle, politische, soziale und ökonomische Beteiligung fokussiert, zu<br />

wenig präzise zu sein (siehe Abschnitt <strong>1.2</strong>), schien doch der persönliche Gewinn, der<br />

aus der Kursteilnahme erwächst, oftmals in ganz anderen Bereichen zu liegen; in dieser<br />

frühen Phase wurde dieser Gewinn als Konzept der Bewältigung von Ausschlüssen<br />

(siehe zum Interpretationsergebnis Abschnitt 5.4.1) benannt. Wichtig ist jedoch:<br />

»Jede Art von Interpretation hat an diesem Punkt [des Auswertungsprozesses] noch<br />

den Stellenwert eines Versuchs.« (Strauss 1998 [1987]: 58; Hervorh. v. MK) Im Fortschreiten<br />

werden die Daten nach und nach zu empirischen Indikatoren für die sich<br />

entwickelnden Konzepte (vgl. ebd.: 54). Vorläufige Antworten auf generative Fragen<br />

sind Beschreibungsversuche. Können diese Konzepte datenbasiert verdichtet werden,<br />

entstehen Hinweise auf die zentralen Themen, ihre Erklärungen, Dimensionen,<br />

Eigenschaften (bezogen auf Sichtweisen und Perspektiven), wodurch die Schlüsselkategorien<br />

bzw. eine Schlüsselkategorie greifbar wird. Diese Schlüsselkategorie ist<br />

das Hauptthema und korrespondiert zumeist mit den generativen Fragen.<br />

Axiales Kodieren<br />

Das axiale Kodieren wird als ergänzender Analyseschritt zum offenen Kodieren<br />

im Auswertungsprozess eingesetzt. Axiales Kodieren meint die intensivere Analyse<br />

jeweils einzelner Kategorien (vgl. Strauss 1998 [1987]: 63) und wird so bezeichnet,<br />

»weil sich die Analyse an einem bestimmten Zeitpunkt um die ‚Achse‘<br />

einer Kategorie dreht« (ebd.). Diese Art des Kodierens ergänzt die Phase des offenen<br />

Kodierens; durch das permanente Vergleichen der Fälle stabilisieren sich die<br />

Kategorien, d.h., sie lassen sich verdichten. 146<br />

Axiales Kodieren ist mit Andreas Böhm als relationales Kodieren zu verstehen,<br />

mit dem Beziehungen und Zusammenhänge untersucht werden (vgl. Böhm 2000:<br />

479). Es bedeutet, dass »durch das Erstellen von Verbindungen zwischen Katego-<br />

- 163 -


ien die Daten nach dem offenen Kodieren auf neue Art zusammengesetzt werden«<br />

(Strauss/Corbin 1996 [1990]: 75). Ein »Kodier-Paradigma« gelangt zur Anwendung,<br />

das darauf abzielt,<br />

»eine Kategorie (Phänomen) in Bezug auf die Bedingungen zu spezifizieren, die das Phänomen<br />

verursachen; den Kontext (ihren spezifischen Satz von Eigenschaften), in den das Phänomen<br />

eingebettet ist; die Handlungs- und interaktionalen Strategien, durch die es bewältigt,<br />

mit ihm umgegangen oder durch die es ausgeführt wird; und die Konsequenzen dieser Strategien<br />

[herauszuarbeiten]« (ebd.: 76; Hervorh. i. Orig.).<br />

Diese Ausdifferenzierungen werden als »Subkategorien« bezeichnet (ebd.), wobei<br />

axiales Kodieren »der Prozeß des In-Beziehung-Setzens der Subkategorien zu einer<br />

Kategorie« (ebd.: 92) ist.<br />

Selektives Kodieren<br />

Das axiale Kodieren verweist bereits auf den nächsten Schritt zur Verdichtung, und<br />

zwar auf die Bestimmung von »Schlüsselkategorien«, die gleichsam die Hauptthemen<br />

im Material repräsentieren (vgl. Strauss 1998 [1987]: 66). Diese Schlüsselkategorien<br />

geben Antwort auf folgende Fragen: »Worum geht es hier Was habe ich durch<br />

die Untersuchung gelernt Was steht im Mittelpunkt Welche Zusammenhänge [zu<br />

anderen Schlüsselkategorien] bestehen« (Böhm 2000: 482f.) Dieser Schritt wird als<br />

selektives Kodieren bezeichnet. Ziel des Auswertungs- und Interpretationsprozesses<br />

ist es, über vorläufige Konzepte zu Kategorien zu gelangen, mögliche Beziehungen<br />

und Zusammenhänge aufzudecken und eine oder mehrere bedeutsame Schlüsselkategorien<br />

ausführlich zu beschreiben, um dadurch den Gegenstand mit gegenstandsbezogenen<br />

Beschreibungen und konsistenten Erklärungen zu erhellen und mögliche<br />

weiterführende Fragen zu generieren. In dieser Phase des Analyse- und Interpretationsprozesses<br />

sind Präsentation und Diskussion der Versuche besonders hilfreich<br />

gewesen. Mögliche Hauptthemen und vorläufige Antworten auf generative Fragen<br />

konnten als Vorläufer von stabileren Kategorien konstruiert, als Schlüsselkategorie/n<br />

stabilisiert oder eben auch wieder dekonstruiert werden. 147<br />

Kombination mit inhaltsanalytischem Vorgehen<br />

Im Prozess des theoretischen Kodierens ist auf zwei weitere qualitative Auswertungs-<br />

und Interpretationsansätze zurückgegriffen worden: Strukturierung und Typisierung<br />

im Sinne der qualitativen Inhaltsanalyse. Diese Ansätze sind auf das Material<br />

und die erkenntnisleitenden Fragen abgestimmt worden. Die Fülle des vorliegenden<br />

Materials hat es nämlich notwendig gemacht, den Fokus auf Ausschnitte zu richten.<br />

Der oben beschriebene eher offene Modus der Kategorienbildung – aus dem Material<br />

heraus – ist mit einer stellenweise stärker theoriegeleiteten Textanalyse – Inhaltsanalyse<br />

(vgl. Mayring 2002: 121) – kombiniert worden. Philipp Mayring hat auf die<br />

Möglichkeit einer Verschränkung dieser Verfahren im Prozess der Analyse ausdrück-<br />

- 164 -


lich hingewiesen (vgl. Mayring 2000: 474). Die qualitative Inhaltsanalyse (Mayring<br />

2007b) eignet sich zur Feststellung von Inhalten (von Bedeutungsinhalten, konkreten<br />

Inhalten wie z.B. Ereignissen oder Häufigkeiten), die im Datenmaterial vorhanden<br />

sind, anhand von systematisch abgeleiteten Auswertungsgesichtspunkten, den<br />

so genannten »Kategorien« (vgl. Mayring 2002: 115). Der Auswertungsprozess im<br />

Sinne der qualitativen Inhaltsanalyse erfolgt über die Entwicklung und Verwendung<br />

eines Filters, der über das Material gelegt wird. Dieser Filter ist ein »theoriegeleitet<br />

am Material entwickeltes Kategoriensystem; durch dieses Kategoriensystem werden<br />

diejenigen Aspekte festgelegt, die aus dem Material herausgefiltert werden sollen«<br />

(ebd.: 114). 148 Für den hier zur Anwendung gelangten Auswertungs- und Interpretationsprozess<br />

ist der Filter, der über das Material gelegt wurde, aus den generativen<br />

Fragen und den erkenntnisleitenden Fragestellungen heraus entwickelt worden. Verwendung<br />

fand die Technik der Strukturierung: 149 »Ziel […] ist es, bestimmte Aspekte<br />

aus dem Material herauszufiltern, unter vorher festgelegten Ordnungskriterien einen<br />

Querschnitt durch das Material zu legen oder das Material aufgrund bestimmter Kriterien<br />

einzuschätzen.« (vgl. Mayring 2007b: 58) Die Fülle des vorliegenden Datenmaterials<br />

ist unter den folgenden vier Aspekten geordnet und analysiert worden:<br />

• Wie ist der Zugang zum Basisbildungsangebot gelungen (Zugänge)<br />

• Wie gestalten die Kursleiter/innen ihr Lehrhandeln<br />

• Wie können die Lernprozesse aus der Perspektive der Teilnehmenden gefasst<br />

werden<br />

• Welche Effekte der Teilnahme und welche Bedingungen des Gelingens sind<br />

feststellbar<br />

Mit der Technik der typisierenden Strukturierung (vgl. Mayring 2007b: 90f.) wird<br />

die Typisierung, die Entdeckung und Beschreibung besonders interessanter Fälle,<br />

unterstützt. Diese Strukturierungen »wollen Aussagen über ein Material treffen,<br />

indem sie besonders markante Bedeutungsgegenstände herausziehen und genauer<br />

beschreiben« (ebd.: 90), und zwar anhand von »Prototypen« (ebd.). Hier lässt sich<br />

eine Verbindung zur vorgeschlagenen Weiterentwicklung der Grounded Theory<br />

durch dichte Fallbeschreibungen herstellen. 150 Andreas Böhm (2000) verweist<br />

auf diese Weiterentwicklung, wenn er ausführt, dass »Charmaz (1990) […] ausführliche<br />

(‚dichte‘) Falldarstellungen als Ausgangspunkt der Theorieentwicklung<br />

[nimmt].« (Böhm 2000: 485) Diese dichten Falldarstellungen sollen das Verständnis<br />

über den Gegenstand intensivieren. Solche Typologien leisten einen wesentlichen<br />

Beitrag zur Abstraktion und sind daher wesentliche Schritte bei der Entwicklung<br />

der Schlüsselkategorie/n. Hier habe ich mich auf die »typologische Analyse«<br />

(vgl. Mayring 2002: 130-133) bezogen; diese ermöglicht eine Ordnung des Materials<br />

und lässt zugleich detaillierte Fallbeschreibungen zu (vgl. ebd.: 132). Bei der<br />

Typisierung – »Typenkonstruktion« und »Typendeskription« (ebd.: 132) – können<br />

unterschiedliche Kriterien als Zuordnungsmerkmal herangezogen werden: Idealty-<br />

- 165 -


pen, besonders häufige oder seltene – auch unerwartete und daher überraschende –<br />

Fälle, Extremtypen und solche von besonderem theoretischen Interesse (vgl. ebd.:<br />

131). 151 Typologien – dichte Beschreibungen und deren Vergleich anhand von exemplarischen<br />

Fällen – sind wesentlich für die Benennung von Schlüsselkategorien<br />

innerhalb der vorliegenden Themenbereiche gewesen.<br />

Die nachstehende Übersicht soll die Schritte im Auswertungs-, Interpretations- und<br />

Theoriebildungsprozess verdeutlichen.<br />

Tab. 2: Auswertungs-, Interpretations- und Theoriebildungsprozess<br />

Fokus im<br />

Fokus der Darstellung Datenbasis Abschnitt 5<br />

Auswertungsprozess<br />

Zugänge der befragten • Analyse der gelungenen • 24 Interviews mit Abschnitt 5.1<br />

Teilnehmenden zum Zugänge zu den<br />

Teilnehmenden<br />

Basisbildungskurs Basisbildungskursen<br />

• Interview mit einem<br />

(Zugangsmuster)<br />

Vertreter des AMS<br />

• Analyse der Erfahrungen<br />

mit Weiterbildungen vor<br />

der Teilnahme<br />

• Analyse von<br />

förderlichen und<br />

hinderlichen Einflüssen<br />

inklusive Gestaltung der<br />

Anfangssituation<br />

Kursgestaltung • Lehrhandeln:<br />

Kursgeschehen aus<br />

der Perspektive der<br />

Kursleitenden<br />

Kursgestaltung • Lernprozesse:<br />

Kursgeschehen aus<br />

der Perspektive der<br />

Teilnehmenden<br />

Effekte der Teilnahme<br />

und Bedingungen<br />

des Gelingens der<br />

Teilnahme<br />

Quelle: eigene Darstellung<br />

• Analyse von<br />

Veränderungen, die<br />

auf die Teilnahme<br />

zurückgeführt werden<br />

(können)<br />

• Verhindernde<br />

Bedingungen (Hürden,<br />

Barrieren)<br />

• Analyse der Frage<br />

nach der Sichtbarkeit<br />

von Lehr-, Lern- und<br />

Bildungsprozessen<br />

• Neun Interviews mit<br />

Kursleitenden<br />

• Neun Interviews mit<br />

Kursleitenden<br />

• Interview mit Sozialarbeiterin<br />

• 24 Interviews mit<br />

Teilnehmenden<br />

• 24 Interviews mit<br />

Teilnehmenden<br />

• Erhebung bei den<br />

Kursleitenden ein Jahr<br />

später<br />

• Interview mit dem<br />

Vertreter des AMS<br />

Abschnitt 5.2<br />

Abschnitt 5.3<br />

Abschnitt 5.4<br />

- 166 -


Insgesamt wird der Versuch einer gegenstandsbezogenen und -begründeten Theoriebildung<br />

unternommen, wobei die Strukturierung der Darstellung der Interpretationsergebnisse<br />

aus dem Auswertungsprozess resultiert. Die jeweiligen Überschriften<br />

innerhalb der vier Abschnitte sind aus Analysekategorien generiert bzw. von<br />

diesen abgeleitet worden. Die vier Abschnitte enden mit einem Resümee; darin<br />

werden jeweils die zentralen Interpretationsergebnisse rekapituliert und es werden<br />

themenbezogene Schlüsse gezogen. Daran anschließend (Abschnitt 6) werden<br />

die Interpretationsergebnisse zu Lehr-, Lern- und Bildungsprozessen von Erwachsenen,<br />

die Bildungsbenachteiligung erfahren haben, und an einem Basisbildungskurs<br />

teilnehmen, an erwachsenenpädagogische Erkenntnisse rückgebunden, und es<br />

werden offene Forschungsfragen dokumentiert.


5 Teilnahme und <strong>Teilhabe</strong> an Erwachsenenbildung


Die Darstellung der Interpretationsergebnisse wird in vier Abschnitten vorgenommen.<br />

In Abschnitt 5.1 geht es um die Analyse gelungener Zugänge zum Basisbildungskurs.<br />

In Abschnitt 5.2 wird das Lehrhandeln, d.h. die Kursgestaltung aus<br />

Sicht der Kursleitenden analysiert. In Abschnitt 5.3 steht die Kursgestaltung aus<br />

Sicht der Teilnehmenden im Mittelpunkt, fokussiert werden die Lernprozesse. In<br />

Abschnitt 5.4 werden Effekte der Teilnahme untersucht und Bedingungen des Gelingens<br />

herausgearbeitet. Die Rekonstruktion der subjektiven Handlungen und<br />

Deutungen erfolgt kumulativ und kann insgesamt einen Beitrag zum Verständnis<br />

von Lehr-, Lern- und Bildungsprozessen in der Basisbildung leisten.<br />

5.1 Zugänge zum Basisbildungskurs<br />

Die Teilnahme an Weiterbildung ist eine Form gesellschaftlicher <strong>Teilhabe</strong> auf hohem<br />

Niveau. Das Ausmaß der Weiterbildungsteilnahme von Erwachsenen hängt<br />

von der Höhe ihrer schulischen und berufsbezogenen Erstausbildung ab und steht<br />

in Zusammenhang mit ihrer beruflichen Position; erklärbar wird dieses Beteiligungsmuster<br />

mit dem »Matthäus-Effekt« (siehe dazu Abschnitt 2). Basisbildung<br />

als Teilbereich der Erwachsenenbildung ist eine Form von Weiterbildung, die auf<br />

Kompensation bestehender Bildungsbenachteiligung abzielt. Damit basisbildungsbezogene<br />

Lehr-Lern-Prozesse überhaupt wirksam werden können, ist es unumgänglich,<br />

dass potenzielle Teilnehmende Zugang zum passenden Weiterbildungsangebot<br />

finden bzw. erhalten.<br />

Die folgend dargestellten Interpretationsergebnisse beruhen auf den Erzählungen<br />

der befragten Teilnehmenden. Es kann daher ausschließlich über gelungene Zugänge<br />

Auskunft gegeben werden. Durch die ergänzende Perspektive der Kursleitenden<br />

werden Sachverhalte und Rekonstruktionen gegebenenfalls belegt und<br />

gewonnene Einschätzungen gestützt. 152 Im ersten Abschnitt geht es um Zugangsmuster<br />

(Abschnitt 5.1.1). Von besonderem Interesse sind hierbei Erzählungen, die<br />

auf einen Weiterbildungswunsch vor der Teilnahme hinweisen. Dabei geht es um<br />

Begründungen für die Teilnahme: Wie entstehen Bildungswünsche Wird und wie<br />

wird der Bildungsbedarf bewusst Lassen sich Bewusstwerdungsprozesse oder<br />

Wünsche nach Erweiterung des Handlungsspektrums als Anlass/Auslöser der Bildungsteilnahme<br />

feststellen Werden von außen herangetragene Anforderungen –<br />

vermittelt als Notwendigkeiten oder als Zwang – wirksam Um diese Fragen zu<br />

beantworten, werden jene Begründungen einer Bildungsteilnahme, die von den Erzählenden<br />

zeitlich vor der Kursteilnahme angesiedelt werden, zu erfassen versucht<br />

und von jenen unterschieden, die gleichsam im Nachhinein/rückblickend genannt<br />

werden und die ich in Form einer Annäherung als ein Ergebnis der Teilnahme im<br />

Sinne einer Entdeckung von neuen und erweiterten Begründungen für die Kursteilnahme<br />

interpretieren möchte. Wie wirkt sich also die tatsächliche Teilnahme<br />

auf die Wahrnehmung bzw. Einschätzung der eigenen Motive vor der Teilnahme<br />

- 171 -


im Rückblick aus. In Abschnitt 5.<strong>1.2</strong> geht es um Weiterbildungserfahrungen vor<br />

der Basisbildungskursteilnahme. In den Episoden über die Zugänge zum Basisbildungskurs<br />

ist vielfach über bislang gemachte Erfahrungen mit Weiterbildung<br />

berichtet worden. Die Basisbildungskursteilnahme lässt sich somit in die jeweilige<br />

Teilnahme- und Lerngeschichte einordnen. In Abschnitt 5.1.3 werden förderliche<br />

und hinderliche Einflüsse, die im Vorfeld der Teilnahme wirksam wurden, herausgearbeitet.<br />

Förderliche Faktoren können die Entscheidungsfindung unterstützen<br />

bzw. die Entscheidung für eine Teilnahme ermöglichen. Sind diese bekannt, lassen<br />

sich darauf aufbauend Überlegungen zur möglichen Förderung der Zugänge<br />

ableiten. Zugangsmuster in den Blick zu nehmen, bedeutet aber auch, die lebensgeschichtlichen<br />

Dimensionen erlittener Ausschlusserfahrungen zu thematisieren.<br />

Vor der Teilnahme bestehende Weiterbildungswünsche lassen demzufolge Rückschlüsse<br />

auf mögliche Barrieren zu, die eine Realisierung des Bildungswunsches<br />

verhindert haben. Auf Basis der Interpretationsergebnisse können hinderliche Einflüsse<br />

identifiziert werden. Ist der Zugang zum Angebot gelungen, treffen die handelnden<br />

Akteurinnen und Akteure des Lehr-Lern-Prozesses im Erstgespräch und<br />

in der Anfangsphase aufeinander und loten ihre Zusammenarbeit aus (Bildungswunsch<br />

und Bildungsrealität). Abschnitt 5.1.4 untersucht demnach wie die befragten<br />

Teilnehmenden die Anfangssituation erlebt haben und wie die Kursleitenden<br />

diese gestalten. Im Resümee (Abschnitt 5.1.5) wird auf zentrale Interpretationsergebnisse<br />

Bezug genommen und es werden Schlüsse auf die Teilnahme und <strong>Teilhabe</strong><br />

von bildungsbenachteiligten Erwachsenen an Weiterbildung gezogen.<br />

5.1.1 Zugangsmuster<br />

Wirksame Öffentlichkeitsarbeit und das Potenzial von Medien<br />

Für die Erwachsenenbildung gilt, dass Informationen über Weiterbildungsangebote<br />

die Adressatinnen und Adressaten vielfach über schriftliche Einladungen oder Ankündigungen<br />

erreichen. Einige der befragten Teilnehmenden sind tatsächlich über<br />

Öffentlichkeitsarbeit und durch Themenberichte aus den Medien auf die Weiterbildungsangebote<br />

aufmerksam geworden. Das medial vermittelte Angebot wird demnach<br />

wahrgenommen und angenommen, die erste Kontaktaufnahme erfolgt mehr<br />

oder weniger eigenständig auf Basis des selbst festgestellten Bildungsbedarfs oder<br />

eines bestehenden Bildungswunsches.<br />

Teilnehmerin 4 schildert, wie sie »zufällig« eine Information über das Basisbildungsangebot<br />

entdeckt hat:<br />

»(T) Gelesen habe ich das einmal zufällig, dann hab ich mal gefragt beim AMS und dann hat<br />

der gesagt: Na ja, ich soll das mal probieren. Weil zu mir früher mal der Hausarzt gesagt hat,<br />

ich soll eine Umschulung machen. Er hat gesagt, ich soll schauen, dass ich einen Beruf erlernen<br />

kann.<br />

- 172 -


(I) Und wissen Sie noch, wo Sie das gelesen haben<br />

(T) Unten ist es irgendwo, im Schaufenster, ist es drin gehängt, ein Zettel.« (TNin4, 25-30)<br />

Hier stellt sich die Frage, wie zufällig ihr Blick auf die Ankündigung wirklich gefallen<br />

ist: Zum einen ist die räumliche Dimension von Bedeutung: Wo genau im öffentlichen<br />

Raum und wie viele dieser »Zettel« mussten verteilt werden, damit ihr<br />

Blick »zufällig« darauf fallen konnte Zum anderen zeigt die Thematisierung des<br />

Hausarztes, dass sie offenbar seine Diktion des lebenslangen Lernens übernommen<br />

und verinnerlicht hat:<br />

»Weilst dich wesentlich schwerer tust dann im Leben, so wennst jetzt zum Beispiel keine<br />

Lehre und nix hast. Und du musst aber schauen, dass du weiterkommst. Weil du sonst ja auf<br />

der Strecken bleibst, wennst nicht schaust, dass du dich irgendwie weiterbildest.« (TNin4, 14-<br />

17)<br />

Teilnehmer 10 fühlt sich von einem Zeitungsbericht – trotz der Tatsache, dass in<br />

diesem Bericht die meines Erachtens diskriminierende Zuschreibung »Analphabeten«<br />

verwendet wurde – angesprochen. Wichtiger als die stigmatisierende begriffliche<br />

Zuweisung scheint für ihn die Information gewesen zu sein, dass er mit seinem<br />

Bildungsbedarf nicht alleine ist, sondern einer von vielen:<br />

»Na ja von dem Kurs hab ich, glaub ich, in der Wirtschaftszeitung, hab ich irgendetwas gelesen.<br />

Dass es so viele Analphabeten gibt, ja. Was weiß ich wie viele in Österreich. Ja, ich hab<br />

mir gedacht: Na ja, wenn es nicht viel kosten tät, könnte man einmal fragen. Nachher hab ich<br />

angerufen.« (TNer10, 18-21)<br />

Auf eine entsprechende Nachfrage hin erläutert er seine Selbsteinschätzung in Bezug<br />

auf seinen Bildungsbedarf:<br />

»(I) Ja, und wie war das, wie Sie sich gedacht haben, das könnte was sein für mich Wie haben<br />

Sie das gedacht oder woran gemerkt<br />

(T) Na, ich, ich weiß schon was ich für Stärken gehabt habe beim Lernen, ja. Und wo auch die<br />

Schwächen waren. Das habe ich gewusst, ja.« (TNer10, 34-37)<br />

Teilnehmerin 3 setzt sich aufgrund eines Zeitungsberichts mit ihrem latenten Bildungswunsch<br />

auseinander:<br />

»[…] weil ich Rechtschreibschwächen habe. Weil beim Rechtschreiben bin ich mir SO unsicher.<br />

Und irgendwie hat es mich immer gestört. Ich habe zwar die, hab meine Söhne gehabt.<br />

Ich habe es nicht so notwendig gebraucht, aber gut. Es ist trotzdem. Wenn man wohin kommt<br />

oder was. Man muss immer studieren und dann weiß man nicht, hat man das jetzt richtig geschrieben<br />

oder nicht.« (TNin23, 27-31)<br />

- 173 -


Sie nimmt mit der Basisbildungseinrichtung Kontakt auf, der Beginn ihrer Teilnahme<br />

verzögert sich dann allerdings aufgrund einer übernommenen familiären<br />

Verpflichtung, die einem geschlechtstypischen Muster entspricht (vgl. TNin23, 18-<br />

26 und 77-87).<br />

Teilnehmer 5, ein beruflich sehr erfolgreicher Mann, schildert seinen Zugang folgendermaßen:<br />

»Zum Kurs bin ich gekommen durch das Fernsehen […]. Und da haben sie auch einen gezeigt,<br />

der hat auch [in einem ähnlichen Berufsfeld] gearbeitet und dann hat er körperlich nicht mehr<br />

so können. Ich glaube, er war auch so über 40 und hat halt auch mit Lesen und Schreiben auch,<br />

nicht Und da haben sie das gezeigt und da haben sie […] auch die Adresse und auch, und dass<br />

man sich an das wenden soll […].« (TNer5, 16-20)<br />

Auffallend ist, wie sehr die Lebensgeschichte eines Protagonisten dieser TV-Reportage<br />

über bildungsbenachteiligte Menschen mit Basisbildungsbedarfen/-bedürfnissen<br />

seiner eigenen ähnelt, was sich in dieser Episode durch die gehäufte Verwendung<br />

des Wortes »auch« zeigt. Dass in dieser Reportage mehrere in Österreich lebende<br />

Basisbildungsteilnehmende zu Wort kommen, erleichtert offenbar die Identifikation:<br />

Die sprachliche Nähe bewirkt Authentizität, die wiederum Vertrauen schafft. Das reale<br />

Vorbild ermöglicht ihm die Entwicklung der Vorstellung, ebenfalls einen Kurs zu<br />

besuchen. Er ist berührt und wird zur Teilnahme angeregt. In dieser gefühlsbestimmten<br />

Situation fällt es ihm schwer, sich die in der Reportage genannte und gezeigte<br />

Telefonnummer zu notieren, und er bittet eine Verwandte um Unterstützung bei der<br />

Kontaktaufnahme mit der Einrichtung (vgl. TNer5, 21-25).<br />

Nicht intendierte Anregung als Auslöser: wirksames Schlüsselereignis<br />

Eine nicht intendierte Anregung aus dem näheren Umfeld kann zeitgleich einen<br />

Bedarf bewusst machen, ein Bedürfnis ansprechen, die Vorstellung eines Zugangs<br />

ermöglichen und eine entsprechende Aktivität auslösen.<br />

Bei Teilnehmerin 1 ist das Schlüsselereignis das Gewahrwerden der Möglichkeit<br />

einer tatsächlichen Realisierbarkeit eines lang gehegten Wunsches. In ihrem Herkunftsland<br />

hat sie die Schule nur knapp ein Jahr lang besucht und daher das Lesen<br />

und Schreiben in ihrer Erstsprache nicht erlernt (vgl. TNin1, 433-468). Im Rahmen<br />

ihrer beruflichen Tätigkeit in einer Wäscherei in Österreich war sie mit schriftsprachlichen<br />

Anforderungen konfrontiert:<br />

»Ich möchte lernen sehr lange Schreiben. […] Ich habe diese Schwierigkeiten gehabt. Weil ich<br />

arbeite mit Garderobe zu tun und müssen lesen hinten von Bon für Garderobe (unverständlicher<br />

Satzteil). Und einmal habe ich eine türkische Frau [Arbeitskollegin] gesehen und ich habe<br />

gefragt: Warum kannst du lesen und schreiben in Deutsch Und sie habe gesagt: Ich habe einen<br />

Kurs gemacht. Dann habe ich gesagt: So, und so was gibt es!« (TNin1, 27-31)<br />

- 174 -


Ihre Arbeitskollegin, ebenfalls eine Frau mit Migrationshintergrund, hat in einem<br />

Kurs das Lesen und Schreiben in der Zweitsprache Deutsch erlernt. Teilnehmerin<br />

1 ist überrascht (»So, und so was gibt es!«), dass es Kurse gibt, die ihrem<br />

Bildungswunsch entsprechen könnten. Sie erkundigt sich diesbezüglich sowohl<br />

beim Arbeitsmarktservice (AMS) als auch bei Bekannten, die ebenfalls aus ihrem<br />

Herkunftsland migriert sind, versteckt dabei jedoch ihren tatsächlichen und<br />

vordringlichen Bedarf, Lesen und Schreiben zu lernen, hinter dem Schutzmantel,<br />

Deutsch erlernen zu wollen:<br />

»(T) Habe ich gesagt: Ich möchte einen Kurs in Deutsch. Aber ich habe nicht gesagt: Ich kann<br />

nicht, verstehen Aber immer habe ich gesagt. Nein, hier gibt es keine Schule von große Leute,<br />

nur von kleine.<br />

(I) Aha.<br />

(T) (unverständlicher Satzteil) Immer habe ich gesagt: Du bist nicht Kleine, ich bin schon<br />

Große. Aber ich habe nicht erzählt, dass ich nicht kann Lesen und Schreiben.<br />

(I) Also, Sie haben gesagt, Sie möchten Deutsch lernen<br />

(T) Ja, aber ich habe nicht die Wahrheit gesagt, warum.<br />

(I) Ja.<br />

(T) Welche war meine Grund (sie lacht): Ich will lesen und schreiben.« (TNin1, 647-656)<br />

Sie wird trotz ihrer zum damaligen Zeitpunkt noch sehr geringen Deutschkenntnisse<br />

in eine arbeitsmarktpolitische Maßnahme geschickt (ein Deutschkurs wäre<br />

wohl sinnvoller gewesen). Einige Jahre später wendet sie sich erneut an das AMS<br />

und kann mit einem zu diesem Zeitpunkt neu eingerichteten Basisbildungskurs beginnen<br />

(vgl. TNin1, 40-69).<br />

Teilnehmerin 2, ebenfalls eine Frau mit Migrationshintergrund, entdeckt durch eine<br />

Person in ihrem sozialen Umfeld ihre Berufung und ist sich gleichzeitig ihres Bildungsbedarfs<br />

zur Realisierung dieses Ausbildungswunsches bewusst:<br />

»Dass ich habe sehr viel Schwierigkeit gehabt in meinem Leben. Und dann nachher habe ich<br />

eine Behandlung besucht. Das hat sechs Wochen gedauert und ich habe sehr viel Hilfe bekommen,<br />

genau von sozialer Unterstützung, von diesen Menschen, von Therapeuten. Und das war<br />

richtig Auslöser bei mir, dass ich einfach gedacht habe, ich möchte auch so was für andere<br />

Menschen machen. Und das war gleich bewusst, ich kann das nicht einfach machen, ohne dass<br />

ich nicht gut Schreiben und gut Lesen kann. Und das war Start, wo ich meine 15-jährigen Job<br />

aufgegeben habe.« (TNin2, 60-67)<br />

Sie kündigt ihre Stelle und organisiert sich zur Vorbereitung auf die von ihr angestrebte<br />

berufliche Erstausbildung die Teilnahme an einem Deutschkurs eines<br />

kommerziellen Bildungsanbieters. Sie vermutet allerdings, dass die vorgesehenen<br />

Kurseinheiten nicht ausreichen werden, und die Vorstellung, ihren Sprachbildungsbedarf<br />

in kurzer Zeit bearbeiten zu müssen, überfordert sie (vgl. TNin2, 392-417).<br />

- 175 -


Zwischenzeitlich erfährt sie von einer Sozialarbeiterin von einem kostenlosen und<br />

zeitlich nicht limitierten Basisbildungskurs. Sie beginnt mit diesem Kurs und stellt<br />

fest, dass dieser aufgrund der kleinen Gruppe ein ihrem Bedarf entsprechendes<br />

Lernen, nämlich ausbildungsvorbereitende Bildung, ermöglicht (vgl. TNin2, 23-<br />

33 und 103ff.).<br />

Sich anvertrauen (können) und Unterstützung erhalten<br />

Vier der befragten Teilnehmenden nützen in ihrem aktiven Bemühen, einen geeigneten<br />

Ort für die angestrebte Veränderung zu finden, ein bestehendes Vertrauensverhältnis<br />

bzw. wenden sich an eine als hilfreich imaginierte Person. Um diesen<br />

Zugang wählen zu können, müssen sie über die Fähigkeit verfügen, sich mit dem<br />

festgestellten Bildungsbedarf bzw. dem vorhandenen Bildungsbedürfnis einer anderen<br />

Person anvertrauen zu können.<br />

Ein Beispiel hierfür liefert Teilnehmerin 7. Sie fasst während einer arbeitsmarktpolitischen<br />

Maßnahme für Wiedereinsteigerinnen Vertrauen zu der Trainerin und berichtet<br />

dieser von ihrem seit langem bestehenden Bildungswunsch:<br />

»Ich bin schon lange zu Hause. Ich bin Hausfrau und Mutter und habe AMS-Kurse, ist mir angeboten<br />

worden […] Und ich habe schon immer mein Problem, dass ich nichts vorlesen kann.<br />

Und das habe ich einer Trainerin erzählt und die hat mir, mir das dann gesagt, dass es das gibt,<br />

die Bildungswerkstätte da. […] weil Lesen und Schreiben, ich kann´s ja! Ich habe so ein Problem,<br />

ich habe so eine Unsicherheit. Ich bin schwerer Legastheniker. Das habe ich schon immer<br />

beheben wollen, weil ich kann nirgends vorlesen, ich fange voll stottern an, wenn ich wem<br />

Fremden was vorlesen muss, na.« (TNin7, 20-31)<br />

Diese Trainerin kennt eine Kursleiterin der Basisbildungseinrichtung und somit<br />

das Basisbildungsangebot. Teilnehmerin 7 gelangt demnach bereits beim ersten<br />

Anlauf an die richtige Informantin; ihr Bemühen ist von Erfolg gekrönt. Gemeinsam<br />

recherchieren sie die entsprechenden Informationen:<br />

»(I) Und die Information haben Sie bekommen von der Trainerin […]<br />

(T) Ja. […] Die hat in ihrer Ausbildung ein Seminar bei der Frau [Nachname ihrer Kursleiterin]<br />

gemacht. Und dann hat sie gesagt: Da gibt es eine Internetseite, da schauen wir gleich rein. Da haben<br />

wir gleich rein geschaut, ob was, was da angeboten wird. […] Ich habe das nicht gewusst, dass<br />

es das gibt. Ich habe ja gar nicht gewusst, dass überhaupt, sonst hätte ich das ja schon viel früher<br />

gemacht. Ich habe gar nicht gewusst, dass es das für Erwachsene so gibt, in dieser Form.«<br />

(TNin7, 56-67)<br />

Auch Teilnehmer 15 berichtet von seinem seit langem bestehenden Bildungswunsch<br />

und davon, dass er sich schon seit sehr langer Zeit aktiv bemüht hat, an einem<br />

– wie er sagt: »Rechtschreibkurs oder so was« (TNer15, 81) – teilnehmen zu<br />

können:<br />

- 176 -


»Ja, nein, ich, ich habe schon so längere Zeit, also meine Firma hat den Konkurs gemacht,<br />

Konkurs gemacht […]. Und seitdem bin ich arbeitslos […]. Und ich habe, ich habe schon länger,<br />

tue so, also nicht, also BEVOR sie den Konkurs gemacht haben, schon länger so was,<br />

so was, so was gesucht. Also, und ich habe ja nie was gefunden oder was, weil ich tue gerne<br />

schreiben und das. Tue ich gerne, aber ich schreib deswegen nicht, weil ich nicht gescheit<br />

schreiben kann.« (TNer15, 15-21)<br />

Nach einer ausgedehnten Odyssee durch diverse arbeitsmarktpolitische Maßnahmen<br />

trifft er in einer Einzelberatung zufällig auf eine Beraterin, die seinen Bildungswunsch<br />

mit dem Angebot der Basisbildungseinrichtung in Verbindung bringen<br />

kann und ihm dadurch den Zugang zu dem für ihn passenden Kurs eröffnet:<br />

»(T) […] und DA zufällig bei einem Kurs hat die, die Leiterin, was, was das Ganze geleitet<br />

hat, hat gesagt: Da ist, ist was, dass man, dass man so was. Weil ich habe, ich habe allerweil<br />

gesagt: Ich möchte, ich möchte wieder einmal Schreiben lernen, bevor ich einmal überhaupt<br />

was angehe oder was. Und das, das mache ich jetzt, das.<br />

(I) Also, das war eigentlich ein Zufall oder Dass sie gewusst hat<br />

(T) JA (bestätigend, mit Nachdruck), Zu, ja, Zufall, dass da das ist.« (TNer15, 69-74)<br />

Teilnehmer 9 schildert, wie er bei der Vorbereitung auf die Führerscheinprüfung<br />

seinen Bildungswunsch entwickelt hat:<br />

»Ich bin doch schon / 20 Jahre aus der Schule und da in der Fahrschule haben´s mir auch immer<br />

gesagt: Na, ich soll nicht traurig sein, wenn ich beim ersten Mal durchfalle, weil den Älteren das<br />

Lernen eben nicht mehr so leicht fallt wie mit 20. Ja, und da habe ich, habe ich mir gedacht: Irgendwas,<br />

was dagegen unternehmen.« (TNer9, 32-35)<br />

Er wendet sich an eine Vertrauensperson aus seinem nahen Umfeld, die für ihn Erkundigungen<br />

einholt (vgl. TNer9, 17-40).<br />

Teilnehmer 22 leidet unter beruflichen Nachteilen:<br />

»Und, und Rechtschreibung so in der Firma drin, immer wen anders schreiben lassen. Und,<br />

und hast dich halt versteckt. Weil du, du hast zwar schreiben können, aber die t, die h und gewisse<br />

Laute habe ich halt nicht richtig schreiben können. Groß- und Kleinschreibung so und<br />

so. Die Zusammenhänge halt, nicht. Also ob es dann (unverständlicher Satzteil), anständig geschrieben<br />

und solche Sachen. Und dadurch hast auch das Handicap für dich selber, dass du dir<br />

selber nachher immer weniger zutraust.« (TNer22, 41-46)<br />

Er erzählt einer Freundin von diesen belastenden beruflichen Nachteilen, worauf<br />

sie den Appell an ihn richtet: »geh in die Schule!« (TNer22, 57f.) Diese Freundin<br />

versorgt ihn mit Informationen zum Kursangebot der Basisbildungseinrichtung<br />

und er beginnt sich mit diesen auseinanderzusetzen. Nach einer zweiwöchi-<br />

- 177 -


gen Nachdenkphase vereinbart er einen Termin für das Erstgespräch (vgl. TNer22,<br />

58-63).<br />

Wiederaufnahme: Nutzung des bestehenden Zugangs<br />

Die Kenntnis von Einrichtung und Angebot und ein bestehendes Vertrauensverhältnis<br />

bzw. eine positive Bindung erleichtern es, erneut eine Bildungsaktivität aufzunehmen.<br />

Es ist das mehr als eine offene Tür, um Erhard Meuelers Bild von den<br />

»Türen des Käfigs« aufzugreifen, es handelt sich dabei um eine hilfreiche Hand<br />

und einen stets offenen Zugang, der von den Teilnehmenden und den Kursleitenden<br />

genutzt werden kann.<br />

Teilnehmerin 11 hat bereits zu einem früheren Zeitpunkt an einem Basisbildungskurs,<br />

der von einer psychosozialen Einrichtung organisiert worden war, teilgenommen.<br />

Von ihrer damaligen Kursleiterin wird sie auf die Möglichkeit einer erneuten<br />

Teilnahme angesprochen, als sie einander in einem multifunktionalen Gebäude begegnen<br />

(vgl. TNin11, 47-59). Die Teilnehmerin gibt zu Beginn des Interviews über<br />

mögliche Basisbildungsbedarfe/-bedürfnisse keine Auskunft, sondern bezieht sich<br />

auf die bestehende Gruppe (vgl. TNin11, 86-96). Die Frage, wie sie den Kursbeginn<br />

erlebt hat, beantwortet sie mit dem Wort »angenehm« (TNin11, 280). Sie hat<br />

keinen Basisbildungsbedarf im engeren Sinn: Sie liest gerne (vgl. TNin11, 347-<br />

402) und schreibt Gedichte, zwei ihrer Gedichte trägt sie während des Interviews<br />

vor (vgl. TNin11, 131-180), und sie kann auch mit dem Computer versiert umgehen<br />

(vgl. TNin11, 321-324). Aus Andeutungen geht hervor, dass sie Unterstützungsstrukturen,<br />

zu denen insbesondere Beratungs- und Selbsthilfegruppen gehören,<br />

aktiv aufsucht (vgl. TNin11, 53; 356 und 549). Ihr Teilnahmemotiv scheint<br />

demzufolge eher ein soziales Motiv zu sein.<br />

Teilnehmer 16 berichtet, dass er vor einigen Jahren im Rahmen seines Qualifizierungsprojektes<br />

von der Basisbildungseinrichtung bei der Vorbereitung auf die<br />

Lehrabschlussprüfung unterstützt worden war (vgl. TNer16, 18-24). Er ist im<br />

World Wide Web aktiv, woraus selbst gewählte schriftsprachliche Anforderungen<br />

(u.a. die Erstellung von Texten und Pflege von Homepages) resultieren. Zum Zeitpunkt<br />

des Interviews ist er seit einem Jahr wieder im Basisbildungskurs, weil ihm<br />

aufgefallen war, dass er erneut vermehrt Rechtschreibfehler macht (vgl. TNer16,<br />

155-196). Im Rahmen seiner aktuellen Tätigkeit in einem Beschäftigungsprojekt<br />

muss er, oftmals unter Druck, schriftsprachliche Anforderungen erfüllen:<br />

»(I) Du hast vorher gesagt, dann bist du wieder freiwillig [zur Basisbildungseinrichtung] gekommen<br />

(T) Genau, weil ich eigentlich gemerkt habe, du machst Fehler, es sind mehr geworden, viel,<br />

viel mehr als vorher wieder, und, woran liegt das /<br />

(I) Und<br />

(T) Das liegt einfach teilweise an der Faulheit, teilweise einfach Wörter vertauscht, verlernt,<br />

hat mehrere Gründe, jetzt kann ich auch sagen, es ist stressbedingt.« (TNer16, 287-292)<br />

- 178 -


Teilnehmerin 18 folgt der Einladung der Basisbildungseinrichtung zu einem Evaluierungsgespräch.<br />

Dort erfährt sie, dass sie ihre Teilnahme wieder aufnehmen<br />

könnte. Sie hatte nämlich im Rahmen eines Beschäftigungsprojektes an Kursen<br />

dieser Basisbildungseinrichtung teilgenommen (vgl. TNin18, 24-35). Ihre Verbundenheit<br />

mit der Basisbildungseinrichtung und ihr prinzipielles Interesse – nicht<br />

zuletzt ein berufliches Verwertungsinteresse – führen zur Wiederaufnahme. 153 Die<br />

Einrichtung und die Teilnehmerin nutzen folglich einen bestehenden Zugang. Der<br />

Wunsch, die Fähigkeit zur Computer-Anwendung zu entwickeln, war bereits während<br />

ihrer Erwerbstätigkeit im Verkauf entstanden: »Äh ich war nicht, ja, ich war<br />

nicht zufrieden, mit, dass ich nur angelernt bin beim Computer. Und ich glaube,<br />

da ist mein Entschluss gefasst, ich möchte mehr lernen.« (TNin18, 70-82) Mit ihrer<br />

ersten Kursteilnahme im Rahmen des Beschäftigungsprojektes konnte sie diesen<br />

Wunsch konkretisieren (vgl. TNin18, 51-59), den sie nach erneuter Aufnahme<br />

einer Erwerbstätigkeit mithilfe eines einführenden Computerkurses eines kommerziellen<br />

Bildungsanbieters weiter verfolgte (vgl. TNin18, 90). Nachdem sie erneut<br />

erwerbsarbeitslos geworden war, kommt ihr das kostenlose Angebot der Basisbildungseinrichtung<br />

entgegen. Sie setzt die individuell passgenaue Erweiterung ihrer<br />

Anwenderinnenkenntnisse im Basisbildungskurs fort. Ihre Wiederaufnahme begründet<br />

sie folgendermaßen:<br />

»[…] ich finde es schön, wenn ich etwas dazu lernen kann. Und in dem Fall Computer, weil<br />

ich das, weil mir das bewusst ist, dass ich das brauche. Und ja, ich weiß, dass ich viel lernen<br />

muss. Dass man immer wieder etwas Neues lernt. Egal was, aber man lernt immer wieder etwas.«<br />

(TNin18, 154-156)<br />

Weitergabe von Informationen durch wohlwollende Personen in Schnittstellenfunktionen<br />

Bei diesem Zugang erkennt eine wohlwollende Person an einer Schnittstelle den<br />

Bedarf und formuliert eine adäquate Aufforderung zur Teilnahme. Voraussetzungen<br />

für das Erkennen des Basisbildungsbedarfs und die adäquate Handlung sind<br />

die achtsame Aufmerksamkeit und die wohlwollende Auseinandersetzung in der<br />

Begegnung.<br />

Teilnehmerin 19, eine Frau mit Migrationshintergrund wird im Rahmen ihres Beschäftigungsprojekts<br />

für langzeiterwerbsarbeitslose Frauen zur Basisbildungskursteilnahme<br />

aufgefordert. Das Angebot nimmt sie gerne an, für diese positive Reaktion<br />

scheint die Verbundenheit mit der Informantin und dem Beschäftigungsprojekt<br />

bedeutsam gewesen zu sein:<br />

»(I) Und erinnern Sie sich an, an Ihr Gefühl ahm als jemand gesagt hat, da können Sie Deutsch<br />

lernen War das, haben Sie sich gefreut Oder war das eher: Das möchte ich nicht Oder wie<br />

war das<br />

(T) Oh ja. Oh ja. Oh ja. Ich will das. Ich bin zufrieden von diese Projekt. Wissen Sie, hat mir<br />

- 179 -


so VIEL geholfen. So viel! Hat gesagt: Frau […], Sie machen alles, aber Sie könnten nicht<br />

so viel reden, Sie muss machen diese Kurs! […] Und ich war zufrieden.« (TNin19, 93-100)<br />

Teilnehmerin 20 kommt ebenfalls über ihr Beschäftigungsprojekt zum Kurs. Der<br />

vorgebrachte Vorschlag wird von ihr, da sie ihren Bildungsbedarf in Hinblick auf<br />

ihr Ziel, die Lehrabschlussprüfung nachzuholen, erkannt hat, gerne angenommen:<br />

»Ja, weil ich habe gewusst, also, die Schule ist schon so lange her, ich habe mit dem überhaupt<br />

nichts mehr zu tun gehabt. Also mit Prozentrechnungen, was ich da alles brauche, also für den<br />

Abschluss. Habe ich mir gedacht, na so schaffe ich ihn sicher nicht. Also da brauche ich Unterstützung.<br />

(TNin20, 61-64)<br />

[…]<br />

Ja. Weil ich habe dann zu Hause einmal probiert. Ja, so Prozentrechnungen oder das […] DIVIDIE-<br />

REN und so. Ja, wie dividiert man (in ratlosem Ton) Also.« (TNin20, 75f.)<br />

Im Vorfeld der Teilnahme ist sie etwas unsicher ob des Nutzens, doch es stellt sich<br />

heraus, dass die Lerninhalte passgenau an ihrem Bedarf ausgerichtet werden (vgl.<br />

TNin20, 43-46).<br />

Teilnehmerin 6 schildert das Gewahrwerden ihres Bildungsbedarfs in ihrer Zweitsprache<br />

im Kontext einer lebensgeschichtlich herausfordernden Situation:<br />

»Und ich könnte Deutsch, früher ich rede nur [in ihrer Erstsprache] mit meinem, der Vater von<br />

meine Kinder, wenn er kann gut [ihre Erstsprache] sprechen. Er hat kein Interesse, dass ich<br />

Deutsch lerne. Dann […] wir sind geschieden und automatisch alleine, muss alles machen. Es<br />

kommt automatisch diese Gefühle, nicht ich kann, ich MUSS Deutsch.«(TNin6, 24-27)<br />

Nach ihrer Scheidung ist sie Erwerbsarbeit suchend. Sie nimmt an einer arbeitsmarktpolitischen<br />

Maßnahme für Wiedereinsteigerinnen teil. Im ersten Moment<br />

freut sie sich sehr über diese für sie neue Möglichkeit. Während der Teilnahme<br />

wird sie mit ihrem Bildungsbedarf in ihrer Zweitsprache konfrontiert. Sie erfährt<br />

die Einschränkungen in ihrem sprachlichen Ausdrucksvermögen und ihrer schriftsprachlichen<br />

Kompetenz als extrem belastend:<br />

»[…] ich habe mich gefreut und ich möchte was machen, was Neues, war neugierig. Aber in<br />

der anderen Situation mehr war traurig auch, wenn ich könnte überhaupt nicht schreiben, ich<br />

könnte mit die Buchstaben überhaupt nichts, ja. […] und wirklich, ich war wirklich traurig, ich<br />

war, ich habe fast immer nur geweint. Immer wann ich muss was sprechen, wann ich muss lesen,<br />

wann ich muss schreiben. Und ich weiß, ich könnte nicht was machen. Für mich wirklich<br />

war traurig.« (TNin6, 29-36)<br />

Das sprichwörtliche Glück im Unglück eröffnet ihr den Zugang zum Basisbildungskurs:<br />

Eine aufmerksame Trainerin informiert sie über das Basisbildungsan-<br />

- 180 -


gebot (vgl. TNin6, 36-43). Die veränderte Lebenssituation aufgrund der Scheidung<br />

führt über einen unangenehmen Umweg zur richtigen Information und zum adäquaten<br />

Angebot.<br />

Zum Kurs getragen werden: Empfehlung mit Aufforderungscharakter<br />

In allen bislang beschriebenen Fallbeispielen fällt die Information über das Basisbildungsangebot<br />

gleichsam auf fruchtbaren Boden und erhält aufgrund des bewussten<br />

bzw. selbst festgestellten Bedarfs Gewicht und eine positive Bedeutung. Im<br />

Zusammenhang mit potenziellen Schnittstellen, die zwischen Basisbildungsbedarf<br />

und Basisbildungsangebot vermitteln können, stellt sich die Frage, wie eine solche<br />

Empfehlung oder Aufforderung aufgenommen wird und wie sich das diesem Zugangsmuster<br />

inhärente Moment der Aufforderung durch die Zuschreibung eines<br />

Bedarfs fassen lässt.<br />

Eine Verschiebung in Richtung eines zugeschriebenen Bedarfs und ein gewisser<br />

Aufforderungscharakter sind feststellbar, wenn Personen gewissermaßen zum Basisbildungskurs<br />

getragen werden, wenn gleichsam für sie entschieden wird. Aus einem<br />

dichten sozialen Umfeld (institutionell und/oder familiär) resultiert fallweise<br />

ein Umsorgtsein, das zu einer Teilnahme führt.<br />

Teilnehmer 12 und Teilnehmer 13, zwei junge Männer mit Lernschwierigkeiten 154 ,<br />

sind familiär gut umsorgt und werden von externen Betreuungspersonen bei der<br />

Berufsfindung bzw. der beruflichen Einbindung unterstützt. Beide scheinen gut behütet<br />

und eingebettet zu sein. Beide werden gleichsam zum Kurs getragen. Die von<br />

ihnen erzählten Episoden klingen nach wohliger Fremdbestimmung, die auf gelernter<br />

Fremdbestimmung zu basieren scheint: Das Eingebundensein in Betreuungs-<br />

und Unterstützungsstrukturen könnte folglich für das Erproben und Entwickeln<br />

von Selbstbestimmung nicht unbedingt förderlich sein. Für beide Teilnehmer<br />

wird entschieden, und sie akzeptieren diese Entscheidung (vgl. TNer12, 18-66; vgl.<br />

TNer13, 10-18).<br />

Teilnehmer 12 hat eine kontinuierliche Betreuungsperson, die er als »Sozialhilfe«<br />

(TNer12, 25) bezeichnet und mit der er sich zu identifizieren scheint:<br />

»Nachher dann, wie ich dann fertig war, // (murmelt) ja, dann haben wir eh wieder ein wenig,<br />

eine Zeit lang gesucht und dann nachher, na ja, dann ist uns eingefallen, dass ich da her<br />

gekommen bin. […] Ich und die Frau […] haben eh die Idee gehabt, dass wir noch, we, wegen<br />

die Sachen auch noch, eben wegen dem auch, wegen dem Maße und so lernen, nachlernen<br />

tue.« (TNer12, 35-40)<br />

Aus der Behütung und der Einbettung resultiert für Teilnehmer 12 und Teilnehmer<br />

13 eine adäquate Förderung: Ihre Benachteiligungen werden lebensgeschichtlich<br />

früh abgefangen, gemildert und teilweise beseitigt. Bei Teilnehmerin 3 und<br />

Teilnehmerin 24 erfolgt die Öffnung des Zugangs in einem wesentlich höheren<br />

Lebensalter, und zwar durch Personen im familiären Umfeld, die über den Ba-<br />

- 181 -


sisbildungsbedarf informiert sind. Wesentlich ist hier, dass der Zugang zu einem<br />

späteren Zeitpunkt in der Lebensgeschichte erfolgt.<br />

Teilnehmerin 3 wird von der Pflegerin ihres Lebensgefährten zur Basisbildungskursteilnahme<br />

animiert. Ihr Lebensgefährte unterstützt sie sehr beim Lernen (vgl.<br />

TNin3, 268-275 und 362-367) und die Vermutung liegt nahe, dass die Information<br />

auf sein Betreiben hin eingeholt wurde. Es entsteht auch der Eindruck, dass die<br />

Lernbegründungen durch die Kursteilnahme selbst entwickelt wurden, denn bereits<br />

vor der Teilnahme bestehende Bildungswünsche oder einen vorher selbst festgestellten<br />

Bildungsbedarf spricht sie nicht an:<br />

»Aber dann habe ich gesagt: Nein nichts, ich muss den Willen zusammenbringen und dann<br />

muss ich da her gehen (sie flüstert), weil es ist doch einmal was Wichtiges und muss was unterschreiben,<br />

und ich kann das nicht nachher, und ich kann das nicht durchlesen (sie atmet tief<br />

durch). Drum mache ich den Kurs auch. Weil wenn ich einen Brief schreiben will oder was,<br />

dass ich den schreiben kann und auch ohne Fehler, nicht« (TNin3, 906-911)<br />

Teilnehmerin 24 wird von ihrem Ehemann vorgeschlagen, sich das Angebot einmal<br />

anzusehen:<br />

»Ich bin zum Kurs gekommen, mein Mann. In der Zeitung ist gestanden. Du […] hat er gesagt:<br />

Es ist ein, im Herbst fängt so was an, so ein Schreibkurs. Gehst, hat er gesagt: Schau es dir einmal<br />

an, wenn es dir gefällt, gehst und sonst lasst es. Und jetzt bin ich, habe ich gesagt: Ja, mir<br />

taugt es, und jetzt bin ich schon vier Jahre dabei.« (TNin24, 18-21)<br />

Zu ihrer Lernbegründung sagt sie: »Und mit taugt´s, das Computern, weil da lernst<br />

du was, Rechnen, Lesen, ich bin überall ein bisschen schwach, sowieso mehr beim<br />

Rechnen.« (TNin24, 25) Es entsteht der Eindruck, dass diese Lernbegründung erst<br />

im Nachhinein und infolge ihrer Kursteilnahme entstanden ist, denn die Sinnhaftigkeit<br />

des Besuchs wird durch die entsprechende Realität, im tatsächlichen Tun,<br />

erkannt:<br />

»(T) Hast wohl das Kind, aber. Mit dem kann ich auch nichts mehr anfangen. Der ist schon<br />

15. (sie lacht)<br />

(I) Der ist schon 15. Ja. Der wird jetzt selbstständig, gell, eigentlich<br />

(T) Ja. Der ist schon mehr unterwegs als wie daheim. Und dann, was soll ich denn allein tun<br />

Da ist gescheiter, ich gehe Kurs. Habe ich mehr davon.« (TNin24, 76-82)<br />

Zum Kurs geschickt werden: Aufforderung mit Verpflichtungscharakter<br />

In den oben dargestellten Fallbeispielen fällt die Empfehlung zur Teilnahme auf<br />

fruchtbaren Boden. Teilnehmer 17, ein junger Mann mit Lernschwierigkeiten, der<br />

ähnlich wie Teilnehmer 12 und Teilnehmer 13 gut behütet und umsorgt ist, wird<br />

- 182 -


ebenfalls zur Teilnahme aufgefordert. Von ihm wird dies allerdings als ein Geschickt-Werden<br />

empfunden: Er wird von der Einrichtung für Menschen mit Lernschwierigkeiten<br />

und Behinderung, bei der er eine Ausbildung absolviert, zur<br />

Teilnahme aufgefordert – anfangs kann ihn dieser Gedanke nicht begeistern; mittlerweile<br />

ist er jedoch zur Überzeugung gelangt, von seiner Teilnahme profitieren<br />

zu können:<br />

»(T) Ja, schon, aber normal bin ich schon zu alt für die Schule und deswegen ist es eigentlich<br />

gut, dass es hier noch was gibt, wo man jetzt, sag ma, für ältere Leute, die noch Probleme haben,<br />

also für Mathe, Deutsch und überhaupt zum Lernen, dass wir die Chance haben, dass wir<br />

es noch lernen können und verbessern.<br />

(I) Und ist das auch so Ihr Wunsch Das aufzufrischen und zu verbessern<br />

(T) / (er lacht) Ja, sagen wir, damals nicht so, weil jetzt haben elf Jahre schon gereicht eigentlich<br />

in der Schule, und jetzt denk ich eigentlich schon, dass es, ja, gut ist und was bringt.«<br />

(TNer17, 33-39)<br />

Mit seiner Kursteilnahme verknüpft der Interviewpartner die Hoffnung auf bessere<br />

berufliche Chancen; er wird seine Ausbildung in absehbarer Zeit beenden (vgl.<br />

TNer17, 79-100).<br />

Teilnehmer 8, ein junger Mann mit Lernschwierigkeiten, nimmt seine Basisbildungskursteilnahme<br />

nach einer entsprechenden Aufforderung durch das Arbeitsmarktservice<br />

wieder auf: »AMS, die haben gesagt, in einen Kurs, dass ich Lesen und Schreiben<br />

lernen tue. Da soll ich runter kommen, soll mit dem Kurs wieder anfangen und<br />

machen, das alles (unverständlicher Satzteil)«. (TNer8, 19-20) Bei ihm entsteht daraufhin<br />

der Eindruck, seine Bezüge seien von einer Teilnahme abhängig (vgl. TNer8,<br />

199-213), sodass sein Kursbesuch für ihn zu einer Verpflichtung wird.<br />

Teilnehmer 21, ein junger Mann mit Migrationshintergrund, der von Lernschwierigkeiten<br />

berichtet, wird von einem Mitarbeiter des von ihm frequentierten Jugendzentrums<br />

zur Teilnahme aufgefordert. Dieser Mitarbeiter hat ihm auch seine<br />

momentane Beschäftigung in einem Qualifizierungsprojekt vermittelt: »Der [Vorname]<br />

ist zu mir gekommen und hat gesagt, hier gibt es einen Kurs, dass ich also<br />

ein bisschen mit Leute, also, dass ich Deutsch lernen soll und Mathematik und so,<br />

solche, diese Sachen.« (TNer21, 16f.) In den folgenden Episoden zeigt sich die gefühlte<br />

Ambivalenz von Aufforderungscharakter und Verpflichtungsgefühl, denn er<br />

schwankt zwischen dem Eindruck, zu einer Teilnahme aufgefordert zu werden und<br />

verpflichtet zu sein, hin und her. Das scheint ein gewisses Gefühl des Ausgeliefertseins<br />

zu erzeugen, sagt er doch, er kenne sich nicht aus, aber es wäre eben so besprochen<br />

worden. Einerseits akzeptiert er seine Teilnahme, andererseits fühlt er<br />

sich zur Teilnahme gezwungen:<br />

»Und dann hab ich gewartet für Arbeit, schlecht und so. Da hab ich von [Vorname des Mitarbeiters<br />

des Jugendzentrums] gehört, hat er gesagt: Gibt Arbeit. Passt, bin ich gegangen, [seine<br />

- 183 -


Beschäftigung], das, das, passt schon, angemeldet und arbeiten. Und am Freitag gehen, Freitag<br />

muss ich herkommen, halb neun.« (TNer21, 46-49)<br />

»(I) Und Sie werden hierher kommen<br />

(T) Jeden Freitag, muss ich das machen.<br />

(I) Und ist das unangenehm oder<br />

(T) NEIN (betont und auch ungläubig über die Frage), nix, was soll das unangenehm sein<br />

Passt alles.« (TNer21, 106-110)<br />

»(I) Aber hierher kommen Sie freiwillig<br />

(T) NA (stark betont) hier musst, muss man machen.<br />

(I) Weil Sie´s gerne machen<br />

(T) NA, NET GERNE. Weil / das hat die Firma gesagt. Das haben die mit Firma, ich weiß jetzt<br />

nicht, meine Firma und diese haben, ich kenn mich nicht aus, er hat nur gesagt: Montag bis Donnerstag<br />

Arbeitszeit und Freitag hier.« (TNer21, 165-170)<br />

Eventuell werden Teilnehmer 8 und Teilnehmer 21 mit Unterstützung ihrer Kursleiterin<br />

bzw. ihres Kursleiters subjektiv sinnvolle Lernbegründungen (Lernsinn) entwickeln<br />

können. Sie würden somit von einem Zustand des Müssens in einen Zustand<br />

des Wollens gelangen. Diese idealtypische Vorstellung speist sich zumindest<br />

aus der entsprechenden Erzählung von Teilnehmer 17 (vgl. TNer17, 33-39).<br />

Teilnehmer 14 berichtet, dass er von seinem AMS-Betreuer aufgefordert wurde,<br />

zum Kurs zu kommen. Es zeigt sich, dass er dieser Aufforderung durchaus etwas<br />

abgewinnen kann, und er nimmt den Vorschlag an (vgl. TNer14, 46-50 und 74-<br />

93). Der Basisbildungskurs bietet ihm nämlich die für ihn rare Gelegenheit zur außerhäuslichen<br />

und außerfamiliären Aktivität sowie zur Pflege sozialer Kontakte –<br />

seine Eltern sind behütend und er ist aktuell Erwerbsarbeit suchend. Er hat einen<br />

positiven Hauptschulabschluss, kann gut Lesen und Schreiben, auch Englisch hat<br />

er gelernt, Mathematik möchte er auffrischen. Er nimmt das Potenzial einer Teilnahme<br />

wahr, das ihm durch die entsprechende Aufforderung eröffnet wird: »Mir<br />

ist es eigentlich nur drum gegangen, dass ich unter Leute komme.« (TNer14, 87)<br />

Wie schätzen nun die befragten Kursleiterinnen und Kursleiter den Umstand ein,<br />

dass viele ihrer Teilnehmenden zur Teilnahme aufgefordert werden Oftmals wird<br />

diese Tatsache akzeptiert: »Das ist einfach so.« (KLinA, 330), schließlich werden<br />

einige dieser Einrichtungen teilweise über das Arbeitsmarktservice als Träger<br />

finanziert. Die Rekonstruktionen der Zugänge der Teilnehmenden zum Kurs haben<br />

gezeigt, dass das Angebot mehrheitlich gerne und ohne Vorbehalte angenommen<br />

wird. Die potenziellen Teilnehmenden erfahren, wo sie lernen können – Bildungsbedarf<br />

und Bildungsangebot fügen sich zusammen. Dementsprechend kann<br />

die Aufforderung zur Teilnahme als willkommen erlebt werden. Kursleiterin B thematisiert<br />

das durchaus bestehende Einschätzungsvermögen der Teilnehmenden:<br />

- 184 -


»[…] ich habe sehr oft mit Menschen gearbeitet, die in irgendwelchen Maßnahmen waren, in<br />

irgendwelchen Beschäftigungsprojekten und so weiter, und dort die Sozialarbeiterinnen einfach<br />

gemerkt haben, dass sie da Defizite haben und ihnen gesagt haben: He, da ist eine Chance<br />

das zu machen. Ja // meistens ist es so, dass sie einfach ein Defizit erleben und dass sie nicht<br />

mehr damit weiterleben möchten. […] Sei es, dass sie jemand mit der Nase darauf gestoßen<br />

hat oder, wissen tun sie es im Grunde ja eh.« (KLinB, 324-330)<br />

In diesem Zusammenhang fällt auch der Begriff »Leidensdruck« (KLinB, 333;<br />

KLerC, 342), der erklärt, warum die Bereitschaft zur Teilnahme prinzipiell vorhanden<br />

zu sein scheint.<br />

Mögliches Zugangsmuster: eigene Kinder als Anlass und Auslöser<br />

Fünf der befragten Kursleitenden berichten, dass oftmals die Kinder von Personen<br />

mit Basisbildungsbedarfen/-bedürfnissen deren Wunsch auslösen bzw. konkretisieren,<br />

sich in einen Basisbildungsprozess zu begeben, um die eigenen Kinder beim<br />

(schulischen) Lernen unterstützen zu können. 155 Elf der befragten Teilnehmenden<br />

haben ein Kind oder mehrere Kinder. 156 Der Umstand, Mutter/Vater zu sein, taucht<br />

jedoch in den Episoden der befragten Teilnehmenden als Anlass oder Auslöser für<br />

die Entscheidung zur Teilnahme nicht auf. Und auch der Wunsch, dem eigenen<br />

Kind bzw. den eigenen Kindern beim (schulischen) Lernen behilflich sein zu können,<br />

begegnet nicht als (Teilnahme-)Motiv. Eine von Teilnehmer 10 erzählte Episode<br />

ist in diesem Kontext interessant, denn er sagt in Bezug auf das schulische<br />

Lernen seines Kindes: »da lernen wir mit« (TNer10, 58). Offenbar verhält es sich<br />

weniger so, dass er helfend unterstützen möchte, als dass er durch die Teilnahme am<br />

Lernen seines Kindes dazu angeregt wird, sich etwas anzueignen bzw. etwas aufzufrischen.<br />

Möglicherweise wird ihm also bei der Wahrnehmung der schulischen<br />

Lernanforderungen seines Kindes bewusst, dass er etwas nicht oder nur teilweise<br />

beherrscht. Folgende Hypothese kann daher formuliert werden: Nicht der Wunsch,<br />

dem eigenen Kind bzw. den eigenen Kindern zu helfen, sondern das Erkennen des<br />

eigenen Bildungsbedarfs könnte motivierend wirken – es ist nur schonender, vom<br />

Wunsch zu sprechen als vom Bildungsbedarf, der individuell als Schwäche wahrgenommen<br />

wird. Für die fehlende Eindeutigkeit in den Daten hierzu gibt es zwei<br />

Erklärungen: Möglicherweise sind ausschließlich Teilnehmende mit durchwegs anderen<br />

Anlässen bzw. Lernbegründungen befragt worden. Möglicherweise entwickelt<br />

sich die Vorstellung, das eigene Kind bzw. die eigenen Kinder beim schulischen Lernen<br />

unterstützen zu können, aber auch erst mit fortschreitenden Lernerfolgen und<br />

wachsender Sicherheit in Bezug auf die eigenen Fähigkeiten und Fertigkeiten. Eine<br />

sich entwickelnde Lernbegründung könnte dann retrospektiv als auslösendes Motiv<br />

interpretiert werden, obwohl es sich eigentlich um eine spezifische Lernmotivation<br />

handelt, die durch die Teilnahme entwickelt wurde.<br />

- 185 -


Zugangsmuster im Überblick<br />

Die dargestellte Vielfalt der gelungenen Zugänge zum Basisbildungskurs lässt sich<br />

zusammenfassend in folgenden Zugangsmustern abbilden:<br />

• Wirksame Öffentlichkeitsarbeit und das Potenzial von Medien<br />

• Nicht intendierte Anregungen als Auslöser: wirksames Schlüsselereignis<br />

• Sich anvertrauen (können) und Unterstützung erhalten<br />

• Wiederaufnahme: Nutzung des bestehenden Zugangs<br />

• Weitergabe von Informationen durch wohlwollende Personen in Schnitt stellenfunktionen<br />

• Zum Kurs getragen werden: Empfehlung mit Aufforderungscharakter<br />

• Zum Kurs geschickt werden: Aufforderung mit Verpflichtungscharakter<br />

• Mögliches Zugangsmuster: eigene Kinder als Anlass und Auslöser<br />

Die Zugänge der befragten Teilnehmenden berühren lebensgeschichtliche Erfahrungen<br />

mit Bildungsprozessen und Lernaktivitäten. Diese Erfahrungen werden im<br />

Folgenden dargestellt.<br />

5.<strong>1.2</strong> Weiterbildungserfahrungen vor der Basisbildungskursteilnahme<br />

Statistisch gesehen ist die Bildungsbeteiligung von bildungsbenachteiligten Erwachsenen<br />

stets gering. Die vorangegangene Bildungsbenachteiligung im schulischen<br />

Kontext und deren Fortsetzung im Kontext der (nicht erfolgten) Erstausbildung<br />

sowie Beschäftigung auf Einfacharbeitsplätzen verursachen sich fortsetzende<br />

Ausschlüsse. Daher ist es von Interesse, ob und welche Erfahrungen die befragten<br />

Teilnehmenden bislang (bis zur Teilnahme an Basisbildungskursen) mit Weiterbildung<br />

und Lernaktivitäten gemacht haben. Jede Basisbildungskursteilnahme reiht<br />

sich somit in die jeweilige Lerngeschichte ein.<br />

Informelles, selbstgesteuertes Erlernen der Zweitsprache<br />

Teilnehmerin 2 hat ihre Zweitsprache bis zum Besuch eines Basisbildungskurses<br />

ausschließlich durch deren Verwendung im Alltag erlernt:<br />

»Nein, ich habe so gelernt von den Leuten. Und ich habe immer sehr froh und glücklich war,<br />

wenn mich jemand ausgebessert hat, und hat gesagt, so und so ist es falsch. Da war ich schon<br />

sehr dankbar, weil dadurch habe ich halt gelernt […].« (TNin2, 97ff.)<br />

Besonders bedeutsam waren hierfür ihre Kolleg/inn/en an ihrem langjährigen Arbeitsplatz.<br />

Für die Ausübung ihrer beruflichen Tätigkeit selbst waren keine schriftsprachlichen<br />

Kenntnisse notwendig (vgl. TNin2, 200-209). Teilnehmerin 2 bittet<br />

auch ihren österreichischen Lebensgefährten ausdrücklich darum, ihren mündli-<br />

- 186 -


chen Ausdruck zu korrigieren (vgl. TNin2, 464-472). Für ihr erfolgreiches informelles<br />

Lernen lassen sich personenbezogene Voraussetzungen erkennen: Sie traut<br />

sich zu fragen, hat keine Angst vor möglichen Fehlern, kann sich anderen Personen<br />

anvertrauen und nimmt die Aneignung der Zweitsprache als Herausforderung an:<br />

»Aber ich habe immer gesagt, Mensch muss sich einfach TRAUEN. Ob es falsch oder ist nicht<br />

falsch, aber da gibt es sehr viel nette Leute, das immer verbessern und uns sagen, wie man<br />

das richtig sagen, sonst wer, kann man das nicht wissen, ob das richtig oder ist das nicht richtig.«<br />

(TNin2, 153-157)<br />

In diesen Episoden werden aber auch die Grenzen des selbstgesteuerten Spracherwerbs<br />

sichtbar: Auf informellem Weg können die Grammatik und die schriftliche<br />

Umsetzung (Rechtschreibung), auf die sich ihr Bildungsbedarf hauptsächlich bezieht,<br />

wohl nicht gelernt werden, »weil auf der Straße, so was kriegt man nix mit«<br />

(TNin2, 289).<br />

Teilnehmerin 6 war vor ihrer Scheidung nicht berufstätig. Ihr damaliger Mann hat<br />

alles für sie und die drei Kinder erledigt. Daher waren die Lernanlässe im Alltag<br />

gering, insbesondere weil ihr damaliger Mann ihre Erstsprache gut spricht: »früher<br />

ich rede nur [in ihrer Erstsprache] mit meinem, der Vater von meine Kinder, wenn<br />

er kann gut [ihre Erstsprache] sprechen. Er hat kein Interesse, dass ich Deutsch<br />

lerne.« (TNin6, 24f.) Allerdings berichtet sie, dass sie ihre Deutschkenntnisse über<br />

das Fernsehen und ihre Kinder, die in Österreich geboren wurden und hier zur<br />

Schule gehen, erworben hat (vgl. TNin6, 278f.). Sie hat folglich einen Weg gefunden,<br />

sich trotz der familiären Isolation und der Sprachgemeinschaft mit ihrem damaligen<br />

Mann Deutschkenntnisse anzueignen.<br />

Für Teilnehmerin 19 ging die Erwerbsarbeit zur Existenzsicherung stets vor. An<br />

ihrem langjährigen Arbeitsplatz bestand eine Sprachgemeinschaft mit Arbeitskolleginnen,<br />

die ebenfalls aus ihrem Herkunftsland emigriert sind. Im Gegensatz<br />

zu Teilnehmerin 2, die vor allem von und mit ihren Arbeitskolleg/inn/en Deutsch<br />

gelernt hat, hat dieser Arbeitsplatz kein informelles Zweitsprachenlernen ermöglicht:<br />

»Aber ich bin schuld (in sehr bestimmtem Tonfall). Ich habe bei [Name der Fabrik] gearbeitet.<br />

[…] Neun Jahre. Und ich habe zusammen gearbeitet nur mit [Frauen aus ihrem Herkunftsland]<br />

am Band und habe nicht so viel Deutsch geredet. […] Für mich interessiere<br />

nicht, also so Sprache, nur Arbeit, Arbeit, Arbeit, Arbeit. Und jetzt kann ich nicht so gut reden.«<br />

(TNin19, 55-60)<br />

Im Alltag, insbesondere für das Einkaufen des täglichen Bedarfs, hat sie sich mit<br />

einem Wörterbuch beholfen und sich die notwendigen Wörter angeeignet (vgl.<br />

TNin19, 424-431).<br />

- 187 -


Selbstorganisiertes Lernen<br />

Teilnehmer 15 berichtet darüber, dass er sich grundlegende Fähigkeiten der Computer-Bedienung<br />

selbst durch Ausprobieren angeeignet hat. Er wollte sehen, »wie<br />

das funktioniert und wie das geht« (TNer15, 689), und probiert an einem alten, geschenkten<br />

Gerät das Hochfahren, den Einstieg in Programme und das Herunterfahren<br />

aus (vgl. TNer15, 679-694).<br />

Auch Teilnehmer 16 hat sich seine umfassenden Computer-Kenntnisse, die über<br />

die reine Anwendung hinausgehen, selbst angeeignet (vgl. TNer16, 197-210). Dieser<br />

Teilnehmer ist im Gegensatz zu Teilnehmer 15 aufgrund seines Lebensalters ein<br />

digital native und dürfte daher mit der Funktionsweise von elektronischen Geräten<br />

prinzipiell vertraut(er) sein.<br />

Teilnehmerin 20 hat sich im mittleren Erwachsenenalter mit Hilfe eines Verwandten<br />

die Computer-Bedienung angeeignet (vgl. TNin20, 453ff.):<br />

»(T) […] mich hat´s interessiert und er hat gesagt: Na gut. Wenn, er ist aber so, so ein schlechter<br />

Lehrer also. Jedenfalls hat er es mir beigebracht doch, ja. (sie lacht)<br />

(I) Schlechter Lehrer warum<br />

(T) Ja, so nervös. […] er glaubt, alles, was er kann, muss der andere auch sofort wissen. Ja,<br />

wenn er das sagt, dann muss man das sofort kapieren und das ist halt ein Nachteil halt doch.«<br />

(TNin20, 486-491)<br />

Auf Basis der angeeigneten Grundlagen und an einem geschenkten, alten Gerät<br />

setzt sie diese Lernaktivität fort. Weiß sie nicht weiter, fragt sie nun eine nahe Verwandte<br />

um Rat. Sie organisiert sich selbst eine Ratgeberin, die verständlich und geduldig<br />

erklärt, und die ihr Bedürfnis nach ruhigen und auch mehrfachen Erklärungen<br />

beachtet (vgl. TNin20, 482-525).<br />

Die von Teilnehmerin 18 entwickelte Reiselust ist Anlass für ihre Lernaktivitäten.<br />

Bildung und Weiterbildung sind positiv besetzt. Sie erläutert das Zustandekommen<br />

ihrer positiven Haltung zum Lernen wie folgt:<br />

»Na, ich habe irgendwann in meiner beruflichen Tätigkeit angefangen mit Urlaubsreisen. Und<br />

dort bin ich drauf gekommen, dass ich Englisch lernen muss und mich auf die jeweiligen Länder<br />

vorbereiten. […] Und da bin ich dann bewusst darauf gekommen, dass man lernen muss. Wo<br />

Lernen sowieso immer stattfindet, weil man immer lernt. […] Auch wenn man es nicht wahrnimmt.<br />

Und ja, und da ist mir bewusst geworden, Lernen ist eine der Arbeiten, Beschäftigungen,<br />

die man immer macht. Und ja, und da habe ich dann angefangen zu lernen.« (TNin18, 259-267)<br />

Sie nimmt bei Bekannten private Sprachstunden, absolviert Englisch-Kurse an der<br />

Volkshochschule und besucht bei einem Aufenthalt in einem englischsprachigen<br />

Land einen Sprachkurs. Hier zeigt sich, wie sich der Radius ihrer Lernaktivitäten<br />

erweitert: vom geschützten privaten Rahmen über eine nicht-formale Bildungseinrichtung<br />

hin zum Sprachenlernen im Ausland. 157 Sie verfügt über einen Lehrab-<br />

- 188 -


schluss, war über 20 Jahre lang in ihrem erlernten Beruf erwerbstätig; ihr Basisbildungsbedarf<br />

liegt im Bereich der Computer-Bedienung. Es erscheint nahe liegend,<br />

bei Teilnehmerin 18 die Frage zu stellen, warum sie in einer Basisbildungseinrichtung<br />

lernt. Schließlich verfügt sie über eine hinreichende Bildung (Lehrabschluss)<br />

und auch über gute Selbstorganisationsfähigkeiten (siehe oben). Fakt ist jedoch,<br />

dass sie an diesem Basisbildungskurs gratis teilnehmen und dort bedarfsorientiert<br />

lernen kann. Das ist im Kontext ihrer Erwerbsarbeitslosigkeit und ihres Bildungsbedarfs<br />

im Bereich der Computer-Bedienung bedeutsam.<br />

Teilnehmerin 23 hat immer gern gelesen, vor allem Bücher mit historischen Themen<br />

bzw. Tatsachenberichte. Beim Lesen war es ihr ein Anliegen, sich gewisse<br />

Fakten und Zusammenhänge zu merken, und sie hat ihre Aufmerksamkeit beim<br />

Lesen teilweise auch auf die Grammatik bzw. Rechtschreibung gerichtet (vgl.<br />

TNin23, 356-373), weil sie hier ihren Bildungsbedarf sieht (vgl. TNin23, 27-31).<br />

Für Teilnehmerin 18 und für Teilnehmerin 23 ist der Basisbildungskurs aus unterschiedlichen<br />

Gründen ein adäquater Lernort: Teilnehmerin 18 kann während einer<br />

Phase der Erwerbsarbeitslosigkeit ohne finanziellen Aufwand und an ihrem Bedarf<br />

orientiert ihre Computer-Kenntnisse auffrischen und erweitern. Teilnehmerin 23 erlebt<br />

ihren Versuch der Aneignung von Grammatik und Rechtschreibung über ihre<br />

Leseaktivitäten im Alltag als anstrengend und wenig effizient (vgl. TNin23, 356-<br />

373) – den Lehr-Lern-Prozess im Basisbildungskurs erfährt sie als deutlich komfortabler.<br />

Arbeitsplatzspezifische Anforderungen und berufsbezogenes Lernen<br />

Teilnehmerin 1 berichtet über Anforderungen am Arbeitsplatz, die sie eigenständig<br />

bewältigt hat. Möglicherweise resultiert aus dieser positiv bewältigten Herausforderung<br />

eine Stärkung ihres Selbstwertes – zumindest klingt diesbezüglich ein gewisser<br />

Stolz (»Aber das war mit Kraft.«) an:<br />

»(T) Das ich war in eine Wäscherei. […] Aber müssen wo die Garderobe gehören. Vom alte<br />

Hemd, von jede Paket eine alte Hemd, das ist eine große Wäscherei, viel groß. […] Von Krankenhaus<br />

[…] von viele Stadt, ja müssen lesen zu wissen wo diese Garderobe gehören. […]<br />

Aber ich habe schon neun Jahre geschafft, aber (unverständlicher Satzteil) […] Und bei dem<br />

Computer auch, bei einen Computer muss ich programmieren.<br />

(I) Wirklich<br />

(T) Von wo die Garderobe, wo müssen hin. Aber das war mit Kraft. Weil ich kann nicht lesen.«<br />

(TNin1, 476-489)<br />

Teilnehmer 10 erzählt, dass ihm bei seiner früheren beruflichen Tätigkeit schriftsprachliche<br />

Anforderungen zu schaffen gemacht haben. Er hätte sich dabei Unterstützung<br />

sowohl von der Firmenleitung als auch von den Kollegen erhofft, eigentlich<br />

sogar erwartet:<br />

- 189 -


»[…] es gibt ja auch keine Unterstützung, nicht, dass die Firma einmal sagt: He, passt´s auf,<br />

schreibt´s die Wörter richtig. Die nehmen sich nicht Zeit, die werden ja vielleicht nur, ich sage,<br />

unter Anführungszeichen, lachen noch, na, schau wie die schreiben, ja. […] Es gibt keiner geschwind<br />

einmal einen Tipp auch als Erwachsener. Das habe ich nicht erlebt, dass das eigentlich<br />

gesagt wird. Es wird auch unter Männergruppen: He, du schreibst falsch. Aber dass du sagst: He,<br />

kannst das groß schreiben oder schöner schreiben, dass man es lesen kann. Das geht halt in der<br />

Gesellschaft, wir geben unser Wissen, sage ich, sehr wenig weiter.« (TNer10, 70-77)<br />

Er hat keine Unterstützung erfahren und darauf beruht seine gesellschaftsbezogene<br />

Kritik der Reproduktion von Ausschlüssen. Bei einigen berufsspezifischen Fortbildungen<br />

hat er aufgrund der starken Praxisorientierung keine Ausschlusserfahrungen<br />

erleben müssen: »Ja, früher in der Firma […] habe ich verschiedene Fachkurse<br />

gemacht, aber da hat man halt 90, sagen wir 99 Prozent nur Praktisches gemacht.<br />

Da haben wir nichts schriftlich, oder mit dem Schreiben zu tun gehabt.« (TNer10,<br />

370ff.)<br />

Teilnehmer 15 war an seinem früheren Arbeitsplatz mit schriftsprachlichen Anforderungen<br />

konfrontiert. Um diese rasch und korrekt erfüllen zu können, hat<br />

er zu Hause in Ruhe und durch Verwendung eines Wörterbuches »Spickzettel«<br />

(TNer15, 422) vorbereitet. Es war ihm ein Anliegen zu verhindern, dass er möglicherweise<br />

Spott erfahren könnte – »Weil sonst lachen sie über mich.« (TNer15,<br />

429) –, und dass er diese Anforderungen bestmöglich erfüllte (vgl. TNer15, 420-<br />

441). Er konnte offenbar vorhandene Ressourcen aktivieren und sich entsprechend<br />

auf die schriftsprachlichen Anforderungen vorbereiten. 158<br />

Teilnehmer 5 ist seit seinem Austritt aus der Volksschule ununterbrochen berufstätig<br />

gewesen. In einer Episode berichtet er von einem berufsrelevanten Kurs, zu<br />

dem er verpflichtet worden war und vor dem er »davon gerannt« (TNer5, 51) ist,<br />

den er dann aber doch »mit Unterstützung« (TNer5, 57) meistern konnte. Zwei<br />

weitere von ihm absolvierte berufsspezifische Kurse waren praktisch ausgerichtet<br />

(ähnlich wie bei Teilnehmer 10) und daher relativ unproblematisch zu bewältigen:<br />

»zum Schreiben war da nicht viel« (TNer5, 452).<br />

Lernaktivitäten: Anstrengung, Unterstützung, Erfolg, Schwellen<br />

Teilnehmerin 2 berichtet, wie sie mit Kraftanstrengung und unter Einsatz großer<br />

zeitlicher Ressourcen für die Führerscheinprüfung gelernt und diese bestanden hat.<br />

Dem Unterricht selbst hat sie aufgrund des schnellen Vortrags und aufgrund von<br />

Schwierigkeiten beim Verstehen der Zusammenhänge nicht gut folgen können,<br />

weshalb sie zu Hause viel lernen und nachholen musste (vgl. TNin2, 575-590). Einen<br />

Hinweis auf die Bedeutung dieser von Erfolg gekrönten Lernanstrengung für<br />

ihre Einstellung zur Weiterbildung, die sich auf Zuversicht und Vertrauen in die eigenen<br />

Fähigkeiten, insbesondere in die Lernfähigkeit gründet, mag folgende Passage<br />

geben:<br />

- 190 -


»Aber diese Freude, das war riesige erste Freude in meinem Leben. Das war schon was. Ich<br />

habe es geschafft, Führerschein! Und überhaupt, mit dem deutsche Sprache, wo ich auch<br />

100-prozentig nicht sicher war. Aber es ist einfach, denke ich schon, menschlicher Mut: Ich<br />

WILL das und ich schaffe das! Und positive Denken ist Hauptsache (sie lacht).« (TNin2, 592-<br />

595)<br />

Teilnehmer 9 besteht die Führerscheinprüfung entgegen der wenig hilfreichen Voraussage<br />

des Fahrschulpersonals – »da in der Fahrschule haben´s mir auch immer<br />

gesagt: Na, ich soll nicht traurig sein, wenn ich beim ersten Mal durchfalle, weil<br />

den Älteren das Lernen eben nicht mehr so leicht fallt« (TNer9, 33f.) – auf Anhieb:<br />

»[…] ich habe vor eineinhalb Jahren den Führerschein gemacht. Eineinhalb Jahre ist es her.<br />

Und äh da ist mir eigentlich das bewusst worden, äh, dass ich mich eigentlich mit dem Lernen<br />

sehr schwer tue. Und das wollte ich, dass ich da auffrische, aber ich habe den Führerschein<br />

beim ersten Mal geschafft.« (TNer9, 19-22)<br />

Diese erfolgreiche Lernanstrengung – »Ja, hat mir aber auch bis vier in der Früh<br />

gekostet, das Lernen.« (TNer9, 24) – dürfte eine positive Wirkung entfaltet haben.<br />

Die Entwicklung von Vertrauen in die eigene Lernfähigkeit ist möglicherweise<br />

auch auf die Erfahrung des begleiteten Lernens zurückzuführen, wurde er doch<br />

beim Lernen von einem Zivildiener unterstützt (vgl. TNer9, 27f.). Eventuell konnte<br />

dadurch die demotivierende Zuschreibung, mit der Teilnehmer 9 in der Fahrschule<br />

aufgrund seines vergleichsweise höheren Lebensalters konfrontiert wurde, keine<br />

Wirkung entfalten.<br />

Teilnehmer 5 analysiert grundlegende Faktoren des Ausschlusses, wenn er feststellt:<br />

»Aber wie willst einen Kurs machen Das ist, wie ich gesagt hab, das ist so wie wenn du zu<br />

einem sagst: Du darfst essen, aber darfst kein Besteck nehmen. Oder nicht mal die Staberln<br />

wie´s die Chinesen haben (er lacht). Wennst die Grundbegriffe nicht kannst.« (TNer5, 456-<br />

459)<br />

Teilnehmer 5 besaß keine Entscheidungsfreiheit und musste an den berufsbezogenen<br />

Kursen teilnehmen. Die unangenehmen Erfahrungen, die er mit den Kursen<br />

gemacht hat, treffen ihn massiv in der Anfangssituation im ersten von ihm besuchten<br />

Basisbildungskurs; erst die Einzelbetreuung in der untersuchten Einrichtung eröffnet<br />

ihm den Aufbau von Vertrauen in seine Lernfähigkeit (siehe dazu Abschnitt<br />

5.1.4).<br />

Im Gegensatz zu Teilnehmer 5, der keine Wahl gehabt hat, berichtet Teilnehmerin 7<br />

über ihre immens großen Ängste, in einer Gruppe vorlesen bzw. vortragen oder frei<br />

sprechen zu müssen, die sie bislang an einer Weiterbildungsteilnahme gehindert<br />

haben: »Ich meine, wenn du in die Kurse, das war eigentlich meine größte Angst,<br />

- 191 -


ich wollte nie einen Kurs machen oder irgendwas, weil ich Angst gehabt habe, dass<br />

ich was vorlesen muss. Weißt, das ist so SCHLIMM!« (TNin7, 78ff.) In einer arbeitsmarktpolitischen<br />

Maßnahme gelingt es ihr, sich der Trainerin anzuvertrauen,<br />

und erfährt so adäquate Unterstützung (siehe dazu Abschnitt 5.1.1).<br />

Teilnahme an arbeitsmarktpolitisch organisierten Maßnahmen<br />

Vielfach sprechen die befragten Teilnehmenden über ihre Erfahrungen mit arbeitsmarktpolitisch<br />

organisierten Maßnahmen. Teilnehmerin 4 beispielsweise thematisiert<br />

deren disziplinierenden Charakter: »Wennst nicht hingehst, streichen´s dir ja<br />

das Geld. Genau so, wenn sie dich hinaufschicken ins Arbeitstraining, musst auch<br />

gehen, ob du willst oder nicht.« (TNin4, 96ff.) Teilnehmer 16 bringt seine enttäuschten<br />

Hoffnungen in Bezug auf seine wiederholte Teilnahme an kürzeren Maßnahmen<br />

zur Berufsorientierung zum Ausdruck, wenn er feststellt: »danach hast du<br />

keinen Job, noch immer nicht« (TNer16, 501).<br />

Teilnehmer 15 hat aufgrund seiner Langzeiterwerbsarbeitslosigkeit eine entsprechende<br />

Kursgeschichte hinter sich. Er hat sich vom Arbeitsmarktservice – längere<br />

Zeit vergeblich – Unterstützung bei der Realisierung seines Lernwunsches erhofft.<br />

Er kritisiert die Kurse, an denen er teilgenommen hat, als sinnlos in Hinblick auf<br />

die Wiederaufnahme einer Erwerbsarbeit und bringt diesbezüglich seine oftmals<br />

enttäuschten Hoffnungen und Erwartungen zum Ausdruck:<br />

»[…] von AMS die Kurse sind, wenn ich es jetzt grob […] ausspreche sinnlos. Komplett.<br />

Aber komplett sinnlos. Weil du kriegst keine, deswegen keine Arbeit nicht. Du kriegst deswegen<br />

keine Arbeit nicht, weil so, so Kurse, da hast zwar, zwar nachher einen Zettel. Du hast<br />

den Kurs besucht. Aber praktisch gesagt, helfen tut dir der gar nichts. Der hilft dir überhaupt<br />

nichts.« (TNer15, 243-247)<br />

Von einem Kurs hat er Positives zu berichten: Es war das ein eintägiges »Aufbautraining«<br />

mit einem »Motivator«, »der baut dich auf« (TNer15, 253f.). Davon<br />

hätte er sich mehr gewünscht (vgl. ebd.). Hier klingt der Wunsch nach Stabilisierung<br />

und Stärkung auf der Ebene der Persönlichkeit an. Die Persönlichkeit<br />

wird aber geradezu zerstörerisch angegriffen, wenn in einem der von ihm besuchten<br />

Kurs unter anderem das Verfassen von Bewerbungsschreiben vermittelt<br />

wurde: »Weil Bewerbungsschreiben, gut und schön, wenn du schreiben kannst.«<br />

(TNer15, 673f.) Aufgrund einer Zusatzausbildung, die er über das AMS absolvierte,<br />

fand er letztlich im Dienstleistungsbereich Beschäftigung. Er berichtet<br />

von einer Überfrachtung dieses Kurses mit Inhalten, die über die tatsächlich ausgeübte<br />

Tätigkeit zu sehr hinausgingen, und seiner daraus resultierenden Überforderung<br />

(vgl. TNer15, 125-135), die auch auf seinen Basisbildungsbedarf zurückgeführt<br />

werden könnte.<br />

Teilnehmerin 20 blickt ebenfalls auf eine entsprechende Kursgeschichte zurück.<br />

Viele dieser Kurse waren nicht an ihrem Bedarf orientiert:<br />

- 192 -


»Bewerbungsschreiben und so. Ich meine, ich, in meinem Alter habe ich schon so viel Bewerbungen<br />

geschrieben. Also mir braucht keiner mehr erzählen wie man sich vorstellt oder wie<br />

man sich bewirbt. Aber ich hab es ja trotzdem gemacht. Ja, und so Computer war auch noch<br />

dabei. Habe mich aber eh, Computer kenne ich mich, durch meinen Schwager, weil äh so, da<br />

hat mir auch keiner mehr was beibringen können.« (TNin20, 451-455)<br />

Die Lerninfrastruktur der Computerkurse erlebt sie teilweise als inadäquat: »da<br />

waren wir, ich glaube, 27 oder 28 Leute, und 15 Computer haben sie gehabt, und<br />

die anderen sind herumgestanden. […] bin aufgestanden und habe gesagt: Setz<br />

dich nieder, weil ich kenne mich eh aus.« (TNin20, 554-557) Sie empfindet die<br />

Kurse oft als sinnlos und neben der enttäuschten Hoffnung (»durch keinen Kurs<br />

eine Arbeit gekriegt«), macht sich ein Gefühl des Betrogenwerdens breit:<br />

»[…] ich meine ich, ich habe das, durch keinen Kurs eine Arbeit gekriegt. […] also es gibt auch<br />

sehr viele Kurse, was überhaupt unnötig sind. So, wirklich wahr. Also. Da, da war ich in Kurse,<br />

da habe ich den Kopf gebeutelt. Ich habe mir gedacht, da sitz ich einfach nur, das ist einfach, die<br />

stecken dich in einen Kurs, das Arbeitsamt. Weil, wie, dass du dann in der Statistik einfach nicht<br />

mehr erscheinst. Nicht, als arbeitslos. Aber sonst ist das. Die geben lieber ein Haufen Geld aus,<br />

aber. Nein, es gibt schon schreckliche Kurse, also was UNNÖTIG sind.« (TNin20, 530-536)<br />

Während einer längeren Phase der Erwerbsarbeitslosigkeit nützt sie nichtsdestotrotz<br />

arbeitsmarktpolitisch organisierte Kurse gezielt, um ihr berufliches<br />

Ziel, im Verkauf zu arbeiten, zu erreichen und absolviert mehrere berufseinschlägige<br />

Kurse. Im Rückblick konnte sie jedoch nur von einem dieser Kurse profitieren<br />

(vgl. TNin20, 434-481), alle anderen beschreibt sie mit »die Zeit absitzen«<br />

(TNin20, 560).<br />

Teilnehmerin 11 berichtet von einigen arbeitsmarktpolitisch organisierten Maßnahmen,<br />

u.a. von einem Arbeitstraining, in dessen Rahmen sie positive Erfahrungen<br />

gemacht hat: Sie hat gerne gearbeitet und für ihre Leistungen Lob erfahren (vgl.<br />

TNin11, 584-595). Auf die Frage hin: »Und sonst noch irgendwelche Kurse«, ergab<br />

sich folgende Passage:<br />

»(T) Nein, nein.<br />

(I) Aber den Führerschein haben Sie gemacht<br />

(T) Das ist ja nicht vom AMS aus.<br />

(I) Nein, nein, nein, eh nicht. Es, überhaupt um Kurse geht es. Ob Sie weitere Kurse gemacht<br />

haben<br />

(T) Führerschein, das ist ja kein Kurs, nein (klingt empört).<br />

(I) Nein<br />

(T) Ich hab ja gezahlt dafür! Das kostet ja einen Haufen Geld. Das kannst du ja nicht als Kurs<br />

nehmen.<br />

(I) Nicht<br />

- 193 -


(T) NEIN. (sie lacht) (unverständlicher Satzteil)<br />

(I) Okay. Aber da muss man auch lernen, oder<br />

(T) Na, sicher muss ich lernen.« (TNin11, 634-647)<br />

Lernen und Weiterbildung scheinen für sie eng mit arbeitsmarktpolitischen Maßnahmen<br />

verknüpft zu sein. Dass für kommerzielle Weiterbildung üblicherweise bezahlt<br />

wird, scheint für sie kein nahe liegender Gedanke zu sein. Wird ihre Lebenssituation<br />

in den Blick genommen, fällt auf, dass sie von arbeitsmarktspezifischen und<br />

beraterisch tätigen, psychosozialen Einrichtungen gut umsorgt wurde und wird (u.a.<br />

mit kostenlosen Kursen). Ihr eigenes Bemühen um eine von ihr gewünschte berufliche<br />

Weiterbildung (eigentlich: Erstausbildung, denn sie hat ihre Lehre abgebrochen)<br />

wird von ihrem AMS-Berater mit folgender Begründung nicht unterstützt: »Schauen<br />

Sie, hat er gesagt – und das habe ich ihm auch geglaubt – es stehen so viele, dazumal<br />

schon, ja, es stehen so viele Handelsschüler vor geschlossener Stelle, nicht.«<br />

(TNin11, 658ff.) Ihr bleibt die Möglichkeit versagt, sich für den Arbeitsmarkt mit<br />

besseren Chancen, sprich einem formalen Abschluss, auszustatten. Möglicherweise<br />

weiß der AMS-Berater über ihre psychische Erkrankung Bescheid und sieht daher<br />

aus seiner Perspektive keine Notwendigkeit einer Investition in Form einer Qualifizierungsmaßnahme.<br />

159 Sie erhält – wohl aufgrund ihrer psychischen Erkrankung<br />

eine Pension – äußert aber im Interview den Wunsch, in naher Zukunft eine Erwerbsarbeit<br />

(Einfacharbeitsplatz) aufnehmen zu wollen (vgl. TNin11, 803-809): »(mit leiser<br />

Stimme) Weil ich lieber arbeiten ginge. (unverständlicher Satzteil) erstens nur<br />

wegen der Gesellschaft, dann wegen dir persönlich: Ich kriege das Geld, was ich geleistet<br />

habe, das ist viel schöner.« (TNin11, 803f.)<br />

Teilnehmerin 19 hat aufgrund ihrer langen Erwerbsarbeitslosigkeit ebenfalls zahlreiche<br />

arbeitsmarktpolitisch organisierte Schulungen besucht. Sie kritisiert das zu<br />

schnelle Sprechtempo und die starke Dialektfärbung der Vortragenden, die ihr das<br />

Verstehen erschwert haben. Außerdem ist aufgrund der großen Gruppengröße und<br />

der knapp bemessenen Zeit keine individuelle Betreuung durch die Trainer/innen<br />

möglich gewesen, und somit blieben ihre Lernfortschritte in Bezug auf die Inhalte<br />

der Maßnahmen bescheiden (vgl. TNin19, 103-156 und 384ff.): »Dort vorbei Tage,<br />

kannst du nichts ein Wort reden mit Lehrerin. So viele Mensch.« (TNin19, 399f.) In<br />

diesen sie sprachlich überfordernden AMS-Kursen ersucht sie einige Teilnehmende,<br />

mit ihr langsam und korrekt zu sprechen (vgl. TNin19, 141f.). Sie bringt Stärke und<br />

Selbstbewusstsein zum Ausdruck, wenn sie sagt: »Aber für mich ist egal, wann ich<br />

verstehen nichts etwas, ich fragen. Immer fragen.« (TNin19, 388)<br />

Teilnehmer 22 berichtet, dass er eine AMS-geförderte berufliche Ausbildung abgebrochen<br />

hat. Der Abbruch scheint auf ein Bündel von Ursachen zurückzuführen zu<br />

sein, wobei sein Basisbildungsbedarf nur eine Ursache gewesen sein mag:<br />

»Nur das Problem war eigentlich, dass, da war ich zu unreif und zu feige, das durchzuziehen.<br />

Und da hast aber eigentlich den Stempel gehabt: Sonderschule. Und da hast müssen das hinein-<br />

- 194 -


schreiben. Und da haben sie dich schon, bei der Kursmaßnahme schon SO behandelt, nicht. Also<br />

//« (TNer22, 814ff.)<br />

Er kehrte auf einen Einfacharbeitsplatz zurück, an dem er wiederum Nachteile wegen<br />

seines Basisbildungsbedarfs erfuhr (vgl. TNer22, 85-95). Damals fasste er den<br />

Entschluss, an dem Basisbildungskurs teilzunehmen. Nachdem er ihn ca. ein Jahr<br />

lang besucht hatte, traf er die Entscheidung, seine Beschäftigung zu beenden, um einen<br />

Beruf zu erlernen. Er finanzierte sich diese Ausbildung im Pflegebereich selbst<br />

(vgl. TNer22, 95-102). Bezugnehmend auf die ausbleibende finanzielle Unterstützung<br />

durch das AMS kritisiert er die vielfach nicht erfolgte Passung zwischen Maßnahme<br />

und Person:<br />

»[…] habe ich mir selber finanziert, weil das Arbeitsamt, in dem Sinn, das alte sture Denken hat:<br />

Sie wollen dich immer vermitteln. […] Aber ich denke mir einfach, sie sind auch nur Menschen,<br />

aber DAS System was SO beim Arbeitsamt abläuft, ICH finde es nicht richtig, weil bei gewisse<br />

tun sie das Geld so verlagern. Der sagt, er will nicht, kriegt den Kurs gezahlt. Der andere will und<br />

darf nicht. Also da, da verstehe ich die Welt nicht, weil es eigentlich der falsche Weg ist. Weil das<br />

Geld verkehrt angelegt ist.« (TNer22, 102-108)<br />

Unterstützung erfuhr er beim Lernen für seine selbst finanzierte Ausbildung 160 im<br />

Basisbildungskurs (vgl. TNer22, 230-246).<br />

In Bezug auf arbeitsmarktpolitisch organisierte Maßnahmen sprechen die Teilnehmenden<br />

von enttäuschten Erwartungen. Dieses Gefühl speist sich aus der erfahrenen<br />

Sinnlosigkeit der Kurse, in einem Fall sogar aus dem Gefühl des Betrogenwerdens.<br />

Das übergeordnete Ziel arbeitsmarktpolitisch organisierter Maßnahmen ist die Wiedereingliederung<br />

in den Arbeitsmarkt, wird dieses Ziel nicht eingelöst, sind die genannten<br />

Gefühle auf der Individualebene durchaus nachvollziehbar. Hinzu kommen<br />

offenbar nicht ausreichend bedarfsorientierte Angebote, die fallweise in zu großen<br />

Gruppen und mit einer nicht angemessenen Infrastruktur abgehalten werden.<br />

5.1.3 Bedingungen im Vorfeld der Teilnahme:<br />

förderliche und hinderliche Einflüsse<br />

In der Erwachsenenbildung wird von Suchbewegungen 161 gesprochen. Menschen<br />

verspüren den Wunsch oder den Bedarf, sich in einen Lernprozess zu begeben und<br />

mäandern auf der Suche nach dem passenden Angebot durch die Weiterbildungslandschaft.<br />

Die Analyse der Zugänge der befragten Teilnehmenden rückt das Moment<br />

des Zufalls in den Vordergrund – einige der befragten Teilnehmenden werden<br />

gefunden – die Information fällt ihnen zu. Es gibt auch konkrete Anlässe und<br />

Auslöser, die das Gewahrwerden der Möglichkeit, sich in einen Lernprozess zu<br />

begeben, markieren (Schlüsselereignis). Oftmals bedarf es einer Vertrauensperson<br />

- 195 -


im näheren Umfeld, um dann tatsächlich zum Angebot der Basisbildungseinrichtung<br />

zu gelangen. Denn: Den Wunsch zu verspüren, eine wahrgenommene Schwäche<br />

zu bearbeiten oder den eigenen Bildungsbedarf zu befriedigen, bedeutet noch<br />

nicht, entsprechende Angebote tatsächlich aktiv aufzusuchen bzw. aufsuchen zu<br />

können. Die Analyse der Zugänge der befragten Teilnehmenden rückt das Potenzial<br />

von Personen in Schnittstellenfunktionen in den Vordergrund. Diese Personen<br />

stehen mit der Zielgruppe in Kontakt. Basisbildungseinrichtungen leisten in hohem<br />

Maße Öffentlichkeitsarbeit im Sinne einer Vernetzung mit in ähnlichen Feldern tätigen<br />

Einrichtungen, um Personen, die mit der Zielgruppe in Kontakt stehen, über<br />

das Basisbildungsangebot zu informieren. Diese Personen können eine Empfehlung<br />

oder eine Aufforderung zur Teilnahme aussprechen. Die Schnittstellen können<br />

und sollen zwischen Basisbildungsbedarfen/-bedürfnissen und Basisbildungsangebot<br />

vermitteln.<br />

Nun richtet sich der Blick auf förderliche Faktoren gleichwie auf Schwellen und<br />

Barrieren, die im Vorfeld der Teilnahme und auch im Kontext der individuellen<br />

Entscheidungsfindung wirksam sind und überwunden werden müssen. Ist der Zugang<br />

durch einen Aufforderungscharakter bestimmt, sind insbesondere der erste<br />

Kontakt mit der Basisbildungseinrichtung sowie der in der Anfangssituation gewonnene<br />

erste Eindruck für die weitere Teilnahme von Bedeutung.<br />

Arbeitsmarktservice: Türöffner für Personen mit Basisbildungsbedarfen/<br />

-bedürfnissen<br />

Menschen mit Basisbildungsbedarfen/-bedürfnissen treffen aufgrund der aktuellen<br />

Situation am Arbeitsmarkt und auch aufgrund der Struktur des Arbeitskräftebedarfs<br />

mit großer Wahrscheinlichkeit auf das Arbeitsmarktservice (siehe dazu Abschnitt<br />

2.5). Der Auftrag des AMS ist es, erwerbsarbeitslos gewordene Menschen<br />

wieder in bezahlte Beschäftigung zu vermitteln. Um als arbeitsmarktpolitisch steuerndes<br />

Instrument in Hinblick auf angebotene Stellen und nachgefragte Qualifikationen<br />

wirksam zu werden, wird nicht nur in Beschäftigungsförderung, sondern<br />

insbesondere auch in Qualifizierungsförderung investiert. Wie sieht es nun aber mit<br />

der Eröffnung von Zugängen zu Basisbildungsangeboten aus<br />

Das AMS wirkt teilweise als Türöffner zur Basisbildung, teilweise kann es seiner<br />

Rolle als potenzielle Schnittstelle nicht gerecht werden. Es entsteht der Eindruck,<br />

dass das AMS im Kontakt mit den Erwerbsarbeitsuchenden zunächst auf<br />

die Selbsthilfe und Eigeninitiative seiner Kundinnen und Kunden setzt: Wer weiß,<br />

was sie/er lernen will oder welche Inhalte brauchbar wären, kann sagen, was sie/<br />

er braucht und in einen entsprechenden Aushandlungsprozess eintreten. Die Auskunft<br />

des befragten AMS-Vertreters in Hinblick auf den möglichen Qualifikationsbedarf<br />

der AMS-Kundinnen und -Kunden weist ebenfalls in diese Richtung: Es<br />

handle sich in einem ersten Schritt weniger um eine Bedarfserhebung als viel mehr<br />

um eine Erhebung von bereits (relativ) konkret vorliegenden Qualifizierungswünschen;<br />

äußert eine/ein Kundin/Kunde nämlich einen Qualifizierungswunsch, wird<br />

- 196 -


– vorausgesetzt die Arbeitsmarktsituation zeigt eine entsprechende Nachfrage –<br />

diesem Wunsch entsprochen (vgl. Protokoll C, 2f.).<br />

Sowohl Teilnehmerin 2 als auch Teilnehmerin 18 scheinen dieses eigeninitiative<br />

Anforderungsprofil in Hinblick auf das Vorbringen eines Wunsches und das Eintreten<br />

in einen Aushandlungsprozess erfüllen zu können. Teilnehmerin 18 fragt während<br />

der Phase der Erwerbsarbeitslosigkeit zwei berufsrelevante Kurse nach: Einer<br />

der beiden Kurse vermittelt Computer-Bedienungskenntnisse, der andere Kurs<br />

ermöglicht die Auffrischung von Inhalten ihres erlernten Berufes (vgl. TNin18,<br />

592-611). Auch Teilnehmerin 2 äußert aufgrund des ihr bewussten Bedarfs einen<br />

konkreten Wunsch: »Ich habe mich von AMS erst verlangt ein Deutschkurs. Das<br />

hat sehr, sehr lange gedauert. Und, weil ich habe Probleme nur mit Schreiben und<br />

Grammatik. Das heißt, Rechtschreibfehler ist bei mir Hauptproblem.« (TNin2,<br />

19f.) 162<br />

Als Teilnehmerin 4 mit den Informationen über das Basisbildungsangebot zu ihrem<br />

AMS-Betreuer kommt, wird entschieden, dass sie daran teilnehmen kann (vgl.<br />

TNin4, 25f.).<br />

Basisbildungseinrichtungen investieren zur Information und Sensibilisierung Ressourcen<br />

in die Vernetzungsarbeit mit den regionalen Geschäftsstellen des AMS;<br />

eine umfassende Verbreitung des Wissens um Basisbildungsangebote scheint jedoch<br />

ein langfristiges Unterfangen zu sein: »AMS, das ist halt auch immer so<br />

eine Geschichte, gell. Da geht man hin. Macht eine Präsentation und so. Aber das<br />

wissen dann halt zwei Berater und die anderen wissen es einfach nicht.« (KLinI,<br />

503ff.) Die Information muss also auf ein offenes Ohr treffen:<br />

»Bei mir in [Standort] werden die vom AMS geschickt. Das ist meisten so, die machen eine<br />

AMS-Maßnahme, und sie kommen in der Maßnahme überhaupt nicht mit aufgrund ihrer<br />

Defizite. Und dann haben wir in [Standort] Gott sei Dank schon so klasse Berater, die uns<br />

irgendwie dann im Hinterkopf haben und die schicken uns dann die Leute. Das ist echt super.«<br />

(KLinH, 542-546)<br />

Die in einer der untersuchten Basisbildungseinrichtungen tätige Sozialarbeiterin<br />

vermerkt, dass es von AMS-Mitarbeiter/inne/n auch als durchaus entlastend erlebt<br />

werden dürfte, auf das Basisbildungsangebot verweisen zu können: »Weil ich, ich<br />

habe auch den Eindruck, die sind froh, dass sie eine Idee kriegen. Wohin, ja. Wohin<br />

mit den Menschen, mal eine Voraussetzung schaffen, die überhaupt in irgendwelche<br />

Maßnahmen dann […] zu überführen.« (Soz.arb., 581ff.)<br />

Kursleiterin A weist darauf hin, dass ein bestehender Basisbildungsbedarf in der<br />

Interaktion zwischen AMS-Berater/in und Kundin/Kunde nicht unbedingt offenbar<br />

werden muss, können doch Formulare mitgenommen und ausgefüllt wieder mitgebracht<br />

werden – somit wären Entdeckungen mehr oder weniger ausgeschlossen<br />

(vgl. KLinA, 385-389). Die knapp bemessene Zeitvorgabe für eine Beratung, 163<br />

das möglicherweise nicht vorhandene Wissen über regionale Basisbildungsein-<br />

- 197 -


ichtungen und der institutionsinhärente Auftrag, die Menschen rasch wieder in<br />

Beschäftigung zu vermitteln, dürften meines Erachtens einer Beratung, in der<br />

Basisbildungsbedarfe/-bedürfnisse erkannt werden und auf diese adäquat reagiert<br />

wird, eher abträglich sein. Umso bedeutsamer sind die Kooperationspartner/innen,<br />

die für das Arbeitsmarktservice arbeitsmarktpolitische Maßnahmen durchführen.<br />

Diese Einrichtungen und deren Trainer/innen bzw. Berater/innen sind wichtige<br />

Knotenpunkte des Netzwerks: So haben Teilnehmerin 6, Teilnehmerin 7 und<br />

Teilnehmer 15 über diesen Umweg zu ihrem Basisbildungskurs gefunden. Die Erfahrung<br />

von Teilnehmerin 6 gibt einen Eindruck davon, wie es sich anfühlt, in eine<br />

verfehlte, überfordernde und mithin als erniedrigend empfundene AMS-Schulung<br />

geschickt zu werden (siehe Abschnitt 5.1.1). Dass eine Trainerin dieser Maßnahme<br />

über das Angebot der Basisbildungseinrichtung informiert ist und die befragte Teilnehmerin<br />

in den für sie adäquaten Basisbildungskurs vermittelt, erscheint wie das<br />

sprichwörtliche Glück im Unglück und löst Dankbarkeit aus (vgl. TNin6, 113f.).<br />

Die Teilnehmerin bewertet daher im Nachhinein den Status der Erwerbsarbeitslosigkeit<br />

positiv, allerdings klingt Bedauern über die verlorene Zeit an: »Ich hätte früher<br />

gebraucht. Aber die Chance hatte nicht gekriegt, wenn bis ich nicht beim AMS<br />

arbeitslos oder gemeldet Arbeit suchend, diese Chance bekommt normalerweise<br />

nicht.« (TNin6, 70ff.) Auch für Teilnehmerin 7 war es wichtig, dass sie konkret über<br />

das Basisbildungsangebot informiert wurde, wobei auch hier wiederum das Bedauern<br />

über die verlorene Zeit anklingt:<br />

»Ich habe das nicht gewusst, dass es das gibt. Ich habe ja gar nicht gewusst, dass überhaupt,<br />

sonst hätte ich das ja schon viel früher gemacht. Ich habe gar nicht gewusst, dass es das für Erwachsene<br />

so gibt, in dieser Form.« (TNin7, 65ff.)<br />

Teilnehmer 15 eröffnet eine Mitarbeiterin einer AMS-finanzierten Einrichtung den<br />

Zugang zum Basisbildungsangebot. Nachdem er erwerbsarbeitslos geworden war,<br />

hatte er sich bei der Realisierung seines Bildungswunsches entsprechende Unterstützung<br />

vom Arbeitsmarktservice erwartet: »[…] ich habe allerweil gesagt, ich möchte,<br />

ich möchte wieder einmal Schreiben lernen, bevor ich einmal überhaupt was angehe<br />

[…].« (TNer15, 70f.) Er hat diese Unterstützung auch eingefordert, aber ihm wurde<br />

offenbar gesagt, dass es so ein Angebot nicht gäbe (vgl. TNer15, 74-77). Erst nach<br />

längerer Zeit und nach einigen verfehlten, weil nicht bedarfsorientierten Schulungsmaßnahmen<br />

erfährt er in einer Einzelberatung von dem Basisbildungsangebot. Im<br />

Rückblick vermischen sich Gefühle der Erleichterung mit denen des Bedauerns über<br />

die verlorene Zeit (vgl. TNer15, 82-85). Es besteht die Vermutung, dass in dieser<br />

Einzelberatung genügend Zeit für eine Vertrauensbildung zur Verfügung gestanden<br />

und die Beraterin tatsächlich zugehört hat. Ihr einladendes Angebot kommt Teilnehmer<br />

15 sehr entgegen und ist auch notwendig, denn er erläutert die für ihn wirksame<br />

Barriere in Bezug auf die Informationsbeschaffung folgendermaßen:<br />

- 198 -


»(T) Weil, wo es was, wo es überhaupt so etwas gibt. Weil ich habe, ich habe viel öfters in Radio<br />

oder was gehört von so Sachen, aber pff, wo du da hingehen musst und wie Und das Problem,<br />

das habe ich ja auch, das habe ich ja, wo du da hingehen musst. Und das und da mag ich<br />

schon nicht mehr, weil das, das ist mir zu viel Arbeit nachher. Aber wenn mir wer sagen kann:<br />

Hörst, dort ist das. Dann gehe ich auch hin.<br />

(I) Ist angenehmer als […] selber suchen<br />

(T) Ja. Ist, ja. Weil das selber suchen, selber suchen, findest es dann nicht! Suchst herum. Na,<br />

und die hat das, die hat mir das gesagt.« (TNer15, 209-216)<br />

Diese Barriere besteht auch in vielen Fällen für Personen mit Migrationshintergrund.<br />

Teilnehmerin 2 thematisiert die Schwierigkeit, überhaupt an Informationen über Bildungsangebote<br />

zu gelangen:<br />

»[…] dass es diese Möglichkeit GIBT heute überhaupt. Und leider ich habe sehr, sehr viel Bekannte,<br />

ich bin Migrantin, von [Herkunftsland], die auch Schwierigkeit haben mit Schreiben,<br />

Lesen und deutscher Sprache. Vom Arbeiten, wirklich schwere Arbeit, und trauen sich nicht<br />

weiter Ausbildung machen, weil die sind sehr unsicher: Ich kann das nicht. Und wissen selber<br />

nicht: Wo kann ich hingehen, wo kann ich fragen, wo kann ich mir Information holen«<br />

(TNin2, 37-43)<br />

Auch sie bringt ihr Bedauern über die verlorene Zeit zum Ausdruck:<br />

»Ich bin 20 Jahre in Österreich und ich habe überhaupt nicht GEWUSST, dass so was gibt. Das<br />

heißt, sonst hätte ich schon das viel, viel früher machen können. Und es ist schade um die Zeit<br />

und ich kann jede Mensch wirklich nur raten wie schnell er das verbessern. Muss man Selbstbewusst<br />

haben, Mut haben und das kommt dann alles.« (TNin2, 140-143)<br />

An dieser Stelle muss angemerkt werden, dass Basisbildungsangebote in Österreich<br />

zwar seit Beginn der 1990er Jahre 164 bestehen, allerdings herrschten vermutlich<br />

gerade zu Beginn der Aktivitäten regionale Unterschiede in der Angebotsdichte.<br />

Dieses strukturelle Hindernis eines möglicherweise nicht existierenden<br />

Angebotes vor Ort dürfte die Teilnahme von Teilnehmerin 1 (und möglicherweise<br />

auch von Teilnehmer 15; siehe oben) verzögert haben. Teilnehmerin 1 ist vor einigen<br />

Jahren über das Arbeitsmarktservice zu einem Kurs gelangt, der nicht an ihrem<br />

eigentlichen Bildungsbedarf orientiert war (vgl. TNin1, 658-662). Warum ihr<br />

damals nicht die Möglichkeit eröffnet wurde, an einem Deutschkurs teilzunehmen,<br />

bleibt ungeklärt. 165 Ihr Bildungsbedarf in der Zweitsprache hätte in der Beratungssituation<br />

auffallen können. Nach einigen Jahren erkundigt sich Teilnehmerin 1 erneut<br />

beim AMS und kann mit einem zu diesem Zeitpunkt neu eingerichteten Basisbildungskurs<br />

beginnen.<br />

- 199 -


Innerer Wunsch und eigenes Wollen<br />

Das eigene Wollen ist die grundlegende Voraussetzung, dass eine Aufforderung<br />

auch zu einer Teilnahme führt: »trotzdem denke immer, wenn es nicht eben auch<br />

der eigene innere Wunsch war, wäre, dann würden sie es sicher nicht tun« (KLinE,<br />

362f.). Die Episode von Teilnehmer 22 verdeutlicht den Prozess der Entscheidungsfindung<br />

hin zu einer Beschlussfassung. Das kostenlose Angebot wirkt als<br />

förderlicher Faktor, doch die Vergewisserung des eigenen inneren Wollens steht<br />

vor dieser möglichen »Schwelle« (TNer22, 289):<br />

»Weil du es im Endeffekt versteckt hast. Weil, und es war eigentlich auch ein Schritt, wo ich<br />

mir gedacht habe: Na gut, na wurscht, schauen wir was passiert, nicht Weil ich stehe dazu und<br />

es ist so, nicht […] Also musst du einmal zu dir selber stehen. Und das mir selber, für dich selber<br />

beschließen, dass du das ändern WILLST, nicht« (TNer22, 146-150)<br />

Teilnehmer 17, ein junger Mann mit Lernschwierigkeiten, der zum Basisbildungskurs<br />

geschickt wurde, berichtet, dass ihn die Teilnahme anfangs nicht begeistert<br />

hat. Doch seine innere Barriere, nicht schon wieder bzw. nicht noch länger in die<br />

»Schule« (TNer17, 24) gehen zu wollen, weicht der Überzeugung, dass er im Basisbildungskurs<br />

gut aufgehoben ist und von seiner Teilnahme profitiert (vgl. TNer17,<br />

33-39), was ihn zu der Feststellung führt: »das ist nicht so wie Schule« (TNer17,<br />

27f.). Die Sinnhaftigkeit seiner Teilnahme, sein Lernsinn, entwickelt sich im Laufe<br />

seiner Teilnahme und durch aktives Tun.<br />

Partnerschaft und Basisbildungsbedarfe/-bedürfnisse<br />

Teilnehmerin 1 hat ihrem österreichischen Ehemann jahrelang verheimlicht, dass<br />

sie in ihrem Herkunftsland das Lesen und Schreiben nicht erlernen konnte, weil sie<br />

die Schule nur ein Jahr lang besucht hat. Erst als sie im Basisbildungskurs das Lesen<br />

und Schreiben in ihrer Zweitsprache Deutsch erlernt hat, vertraut sie sich ihm<br />

an (vgl. TNin1, 319-335). Er erweist sich nun als durchaus unterstützend und hat<br />

jetzt eine Erklärung dafür, warum stets er für ihre schriftsprachlichen Angelegenheiten<br />

hat zuständig sein müssen (vgl. TNin1, 535-545 und 340-352). Hätte sie sich<br />

ihm früher anvertraut, hätte er möglicherweise Informationen über ein adäquates<br />

Bildungsangebot einholen können. Hier wird deutlich, wie sich der Bildungsbedarf<br />

im Lesen und Schreiben hinter dem Bildungsbedarf in der Zweitsprache verstecken<br />

lässt – schließlich lässt sich Geschriebenes nicht lesen, weil es auf Deutsch<br />

geschrieben ist.<br />

Im Gegensatz dazu ist Teilnehmerin 3 aufgrund des aufmerksamen Bemühens ihres<br />

Lebensgefährten zum Basisbildungskurs gelangt. Ihm dürfte ihr Interesse an Geschriebenem<br />

(insbesondere an Rätselbüchern), aber auch ihr Basisbildungsbedarf<br />

aufgefallen sein, denn er hat sie gebeten, für ihn zu schreiben und ihm vorzulesen,<br />

offenbar um ihren Bedarf einschätzen zu können (vgl. TNin3, 268-273).<br />

Teilnehmerin 2 berichtet von der für sie förderlichen Wirkung ihrer Lebensgemein-<br />

- 200 -


schaft mit einem österreichischen Partner, aus der sich ihr Wunsch nach einer Verbesserung<br />

ihrer Zweitsprachkenntnisse speist:<br />

»Und diese Leute natürlich, wo die gemischt Österreich und Migranten, haben ja schon auch<br />

einen Vorteil, und das war AUCH Motivation, dass ich vielleicht auch diesen Kurs noch besucht<br />

habe. Weil ich möchte gerne mit meinen Partner auch was lesen kann oder mit meinen<br />

Partner was unternehmen kann oder was. Dass ich mich nicht genieren muss, dass jeder gleich<br />

merkt – ich geniere mich nicht, dass ich Migrantin bin, aber es muss nicht gleich jeder merken,<br />

hallo, sie ist von Ausland, irgendwo, oder. Aber Höflichkeit und das gehört einfach zu unsere<br />

Leben, dass man sich ausdrücken kann.« (TNin2, 472-478)<br />

Ihr Ex-Mann, der ebenfalls aus ihrem Herkunftsland stammt, wollte während der<br />

gemeinsam verlebten Zeit in Österreich nicht, dass sie Deutschkenntnisse erwirbt:<br />

»Ich habe mit meinen Mann gelebt 18 Jahre. Das heißt, er war [aus ihrem Herkunftsland], und<br />

ich habe leider von ihm auch nicht Deutsch lernen dürfen, da waren schon Probleme in der<br />

Ehe und er ist auch so ohne Deutschkenntnisse noch heute immer geblieben. Und seit […] fünf<br />

Jahre lebe ich mit einem Lebensgefährte, mit einem Mensch, das mich wirklich immer unterstützt.«<br />

(TNin2, 462-466)<br />

Zeitliche Ressourcen: Lebensphasen eröffnen Gestaltungspotenziale<br />

Die zeitlichen Dimensionen der jeweiligen Lebenssituation im Sinne von Ressourcen<br />

bzw. Gestaltungspotenzialen sind ein starker Einflussfaktor auf die Teilnahme<br />

an einem Basisbildungsangebot. Für drei Teilnehmerinnen ist das abnehmende<br />

Ausmaß der Versorgung der eigenen Kinder bzw. Enkelkinder ein<br />

die Teilnahme ermöglichender Faktor. Teilnehmerin 2 beginnt parallel zu ihrem<br />

Basisbildungskurs und einige Zeit später mit einer beruflichen Erstausbildung.<br />

Diese Entscheidung für eine berufliche Veränderung wird durch die veränderte<br />

Lebenssituation begünstigt, außerdem spricht sie von einem Gefühl der inneren<br />

Sicherheit und Zuversicht: »Aber jetzt habe ich gesagt: wo meine Kinder groß<br />

sind, jetzt fange ich einfach, nehme ich diese Zeit für mich, und das werde ich<br />

schon schaffen. Ich habe einfach Mut und Selbstbewusstsein, und das werde ich<br />

schon schaffen.« (TNin2, 192ff.) Teilnehmerin 7 ist eine so genannte »Wiedereinsteigerin«<br />

nach der Familienphase, die sich noch dazu mit einer Umschulung beruflich<br />

neu orientiert (vgl. TNin7, 20f. und 411-437). Teilnehmerin 23, die bereits<br />

pensioniert ist, beginnt mit ihrem Basisbildungskurs, nachdem eine von ihr übernommene<br />

Betreuungspflicht, die einem geschlechtstypischen familialen Mus ter<br />

entspricht, endet (vgl. TNin23, 18-25).<br />

Erwerbsarbeitslosigkeit: Zeitfenster für Basisbildung<br />

Teilnehmer 15 hat seinen Bildungswunsch erst nach längerem und vergeblichen<br />

Bemühen realisieren können, war er doch schon einige Zeit erwerbsarbeitslos, als<br />

- 201 -


er von dem Basisbildungskurs erfährt: »Zwei Jahre, aber war ich schon arbeitslos<br />

und, und da, da habe ich mir wirklich gedacht, wenn, wenn ich das gleich von Anfang,<br />

wie ich arbeitslos worden bin, weil da hätte ich Zeit gehabt dazu. Weil Zeit<br />

brauchst.« (TNer15, 83ff.)<br />

Der Vorteil von gemeinnützigen Beschäftigungsprojekten bzw. sozialökonomischen<br />

Betrieben (Einrichtungen des so genannten zweiten Arbeitsmarktes) ist die<br />

strukturelle Möglichkeit zur Nutzung von Arbeitszeit als Lernzeit. Für Teilnehmerin<br />

19 war die Erwerbsarbeit zur Existenzsicherung immer vorrangig. Als sie im<br />

Rahmen ihres Beschäftigungsprojekts zur Teilnahme am Basisbildungskurs aufgefordert<br />

wird, nimmt sie das Angebot, ihre Deutschkenntnisse zu erweitern, gerne<br />

an. Als sehr förderlich empfindet sie es, dass die Teilnahme im Rahmen ihrer Arbeitszeit<br />

stattfindet (vgl. TNin19, 464-477) – ein wesentlicher Hinweis auf das positive<br />

Modell der Arbeitszeit als Lernzeit: ein sich öffnendes Zeitfenster kann für<br />

Basisbildung genutzt werden.<br />

Kurskosten als Hindernis<br />

Die finanzielle Situation ist – wenig überraschend – ein bedeutsamer Einflussfaktor<br />

auf eine Bildungsteilnahme. Menschen mit Basisbildungsbedarf verfügen aufgrund<br />

ihrer vielfältigen Benachteiligungen kaum über hinreichende finanzielle<br />

Ressourcen:<br />

»[…] und ich denke mir schon, da gibt es sehr, sehr viele Menschen, was vielleicht gerne einen<br />

Kurs besuchen möchten, aber die können sich einfach nicht leisten. Weil ich habe das ja selber<br />

versucht, wenn ich ehrlich bin, in meine laufende Arbeit. Aber überall kosten Kurse zwei-, dreihunderte<br />

Euro und ich habe mich von meinem Lohn einfach nicht leisten können. […] Weil wir<br />

[Migrant/inn/en] verdienen halt nicht recht viel, dass ich sagen kann: ich kann mir einen Kurs<br />

leisten um 300 Euro. Das ist sehr schwierig.« (TNin2, 399-411)<br />

Teilnehmerin 2 hat sich vor ihrer Teilnahme an dem Basisbildungskurs in Vorbereitung<br />

auf die angestrebte berufliche Erstausbildung bei einem kommerziellen Bildungsanbieter<br />

zu einem teuren Deutschkurs angemeldet. Sie vermutet allerdings,<br />

dass die vorgesehenen Kurseinheiten nicht ausreichen werden – sie geht davon aus,<br />

dass nachholende Bildung eine gewisse Zeit in Anspruch nehmen wird. Das kostenlose<br />

Angebot der Basisbildungseinrichtung und die Möglichkeit zur zeitlich nicht limitierten<br />

Teilnahme sind somit wesentliche, förderliche Faktoren ihrer Entscheidung<br />

gewesen. Es ist des Weiteren anzunehmen, dass sich die befragte Teilnehmerin zu<br />

diesem teuren Deutschkurs nur hat anmelden können, weil sie aufgrund ihrer intakten<br />

Lebensgemeinschaft mit einem berufstätigen Partner finanziell etwas abgesichert<br />

ist. Sie hatte ja auch ihre langjährige Stelle aufgeben können, um eine berufliche Erstausbildung<br />

(nun begleitet von dem Basisbildungskurs) zu absolvieren.<br />

Teilnehmerin 6 bezeichnet die Kostenfrage für sie als geschiedene und ohne Partner<br />

lebende, alleinerziehende, teilzeitbeschäftigte Mutter als unmittelbar ausschlagge-<br />

- 202 -


end für eine Teilnahme bzw. Nicht-Teilnahme. Bei aller »Motivation« hätte ein<br />

Kursbeitrag bedeutet, weiterhin ausgeschlossen zu bleiben:<br />

»Kostet nicht. Das kostet nur ein bisschen Motivation. Mehr, mehr kostet nicht, ja Und ich<br />

hätte wirklich, wenn ich hätte äh diese bezahlt, oder selber privat bezahlt, ich hätte das nicht<br />

machen. […] Ich kann mir nichts leisten mit dem Geld, wo ich kann bezahlen. […] Wo ich<br />

kann Deutsch lernen. Ich, wirklich habe mich SO gefreut, wann ich habe gehört, ich kann hier<br />

lernen und kostet für mich nichts. Ich habe mich wirklich gefreut, und ich werde weiter lernen.«<br />

(TNin6, 331-338)<br />

Teilnehmer 15 betont den Vorzug des kostenlosen Angebotes. Im Vergleich zu Teilnehmerin<br />

6, für die Kurskosten eine Teilnahme gänzlich verunmöglichen würden,<br />

ist es bei Teilnehmer 15 weniger eindeutig, ob Kurskosten seine Teilnahme verhindert<br />

hätten. Er sagt von sich, er sei »ein Geizhals« (TNer15, 193). Seine lebensgeschichtlichen<br />

Eckdaten lassen den Schluss zu, dass sein finanzieller Spielraum<br />

kein großer ist. Möglicherweise ist es schonender, die eigene Sparsamkeit herauszustreichen<br />

als indirekt über eine beengte finanzielle Situation Auskunft zu geben.<br />

In der Phase der Entscheidungsfindung war es jedenfalls bedeutsam, dass der Basisbildungskurs<br />

kostenlos ist (vgl. TNer15, 193-200). Auch für Teilnehmer 10 war<br />

die Kostenfreiheit des Angebotes ein ausschlaggebendes Kriterium für die Teilnahme<br />

(vgl. TNer10, 20).<br />

Vielfach haben zeitliche und finanzielle Dimensionen Auswirkungen auf die Entscheidungsfindung.<br />

Die festgestellte Vielfalt an förderlichen und hinderlichen Einflüssen<br />

auf Bildungswunsch und -teilnahme belegt, wie individuell verschieden<br />

die Einflussfaktoren sind und wie different sich Entscheidungsfindungen gestalten<br />

können. Eine mögliche letzte Schwelle, die es für die potenziellen Teilnehmenden<br />

zu überwinden gilt, ist die Anfangssituation, insbesondere die tatsächliche Kontaktaufnahme<br />

mit der Einrichtung und das Erstgespräch vor Beginn der Teilnahme.<br />

5.1.4 Anfangssituation: Bildungswunsch und Bildungsrealität<br />

Berechnungen, die auf den Jahresberichten einer der untersuchten Einrichtungen<br />

beruhen, ergeben, dass rund 95 Prozent der Erstberatungsgespräche zu einer Kursteilnahme<br />

führen. Offenbar münden nur wenige Erstgespräche nicht in eine Teilnahme.<br />

Kursleiterin H stellt ebenfalls fest: »Ich habe die Erfahrung gemacht, wenn<br />

die Leute zum Erstgespräch kommen, dann kommen sie auch zum Kurs. Wenn sie<br />

beim Erstgespräch schon nicht auftauchen, dann weißt, okay.« (KLinH, 120f.) In<br />

der Anfangssituation treffen die potenziellen Teilnehmenden mit ihrem Wunsch nach<br />

Veränderung bzw. ihrer Ungewissheit angesichts einer bevorstehenden Veränderung<br />

auf die Realität der Basisbildungseinrichtung und des Angebotes. Ganz praktische<br />

Schwellen können behindernd wirken, umso wichtiger ist das Bemühen um jede/n<br />

- 203 -


Einzelne/n, wie folgendes Beispiel verdeutlicht: Für einen der befragten Teilnehmer<br />

war es schwierig, in der ihm nicht sonderlich vertrauten Stadt die Einrichtung zu finden.<br />

Als er nicht zum vereinbarten Erstgespräch erscheint, wird er auf seinem Mobiltelefon<br />

angerufen und zur Einrichtung gelotst (vgl. TNer10, 21-26).<br />

Teilnehmer 5 berichtet über die für ihn schwierige Anfangssituation, denn zu Beginn<br />

des Kurses kämpft er mit dem Gefühl des Alleingelassenseins. Als er in eine<br />

der untersuchten Basisbildungseinrichtungen, die von seinem Wohnsitz weniger<br />

weit entfernt ist, wechseln kann, bietet sich ihm die Möglichkeit zur Einzelbetreuung:<br />

»[…] und dann bin ich halt, weil´s da näher ist, bin ich da hergekommen durch äh durch Gespräche<br />

[…]. Und jetzt bin ich da bei der [Kursleiterin], und das mit dem Einzelunterricht, das<br />

ist, hat mir halt, meine ich, das meiste gebracht. Und zuerst wie ich da in [einer anderen Stadt]<br />

gegangen bin, da waren mehrere, die an, die und das, bist halt lange gesessen und hast halt selber,<br />

ja.« (TNer5, 32-37)<br />

Auch für Teilnehmerin 7 ist die Anfangssituation eine Herausforderung: Die räumliche<br />

Nähe des Kursraumes zu einer psychosozialen Einrichtung sowie die heterogene<br />

Gruppenzusammensetzung (zwei Teilnehmende mit Migrationshintergrund, der insgesamt<br />

als sehr groß empfundene Unterschied in den Bildungsbedarfen) bewirken<br />

bei ihr das anfängliche Gefühl, »fehl am Platz« zu sein: »da gehöre ich nicht her«.<br />

Zusätzlich wird die stets von Unsicherheit bzw. Ungewissheit geprägte Anfangssituation<br />

bei ihr wirksam: Versagensängste kommen auf (»das schaffe ich nicht«):<br />

»Aber so, zuerst war ich schon, denke ich mir, nur Ausländer oder, weißt eh, weil zwei, aber<br />

ich meine, die [Kursteilnehmerin mit Migrationshintergrund] ist ganz super. Ich meine, ich<br />

habe keine Vorurteile (sie wird lauter), weil ich habe oft mit [in ihrer beruflichen Tätigkeit]<br />

auch gehabt, die was. Aber irgendwie denke ich mir, da bin ich fehl am Platz. Oder ein junger<br />

Mann, der kann überhaupt nicht lesen oder, weißt, da habe ich mir gedacht, da bin ich fehl am<br />

Platz oder was tue ich da Weil erst, weißt eh, da habe ich noch nicht gewusst, wie das ab, die<br />

erste halbe Stunde, denke ich mir, weißt eh, wie sie jeden eingeteilt oder wenn du niemanden<br />

kennst oder, ich habe auch nicht alle gekannt. Wer halt was machen will oder braucht, da habe<br />

ich mir schon gedacht, nein, das schaffe ich nicht, das. Weißt eh, dann sind ja oft andere, die<br />

gehören ja nicht her, das ist ja nur räumlich halt, weil es von, von den, Räu[men], aber das stört<br />

mich mittlerweile nicht. Zuerst war ich eigentlich, denke ich mir: Nein, da gehöre ich nicht<br />

her. Aber jetzt, ich habe kein Problem damit mehr […].« (TNin7, 246-257)<br />

Teilnehmer 22 reflektiert, dass trotz der inneren Gewissheit über die Richtigkeit der<br />

Entscheidung die Anfangssituation für ihn eine kritische war. Das sympathische<br />

Wesen des Kursleiters und dessen Authentizität helfen ihm und sind ausschlaggebend<br />

dafür, dass er sich ihm anvertrauen kann:<br />

- 204 -


»Und dann brauchst du aber das Glück […], dass der andere, dass der sympathisch ist, ein<br />

Lehrer, wie auch immer. Weil du ja deine Maske fallen lasst. Und da war der [Kursleiter], muss<br />

man sagen, Hut ab vor diesem Menschen. Und ich denke mir einfach, der ist richtig ein, richtig<br />

eingesetzt.« (TNer22, 64-67)<br />

Die »Maske fallen« zu lassen, kann als der Moment der tatsächlichen Konfrontation<br />

mit dem in der Anfangssituation des Lernens real werdenden Bildungsbedarf<br />

verstanden werden: »Der Anfang. Eigentlich das Zugeben und gewisse Sachen zu<br />

ändern. Das war immer die Angst halt, ja. Wo du eigentlich ah gewisse Sachen<br />

glaubst, du kannst es. Und dabei kannst du es gar nicht.« (TNer22, 515f.)<br />

Teilnehmerin 2 erläutert sehr differenziert, dass sie sich im ersten Kontakt mit ihrer<br />

Kursleiterin ganzheitlich wahrgenommen und angenommen fühlte. Was Teilnehmer<br />

22 als sympathisch charakterisiert, beschreibt sie als warmherzig, verständnisvoll,<br />

empathisch und interessiert an ihrer Person:<br />

»Natürlich, erster Tag äh war ich schon nervös wie jeder Mensch, erstes Mal. Aber ich finde<br />

bei [Basisbildungseinrichtung], wo ich mich ganz, ganz wohl gefühlt habe, da geht um Schreiben,<br />

da geht es um Lesen und da geht es um Emotionen und soziale, auch wie es mir heute<br />

geht. Da habe ich mit [Kursleiterin] gesprochen und habe einfach warme Gefühl gehabt, sie interessiert<br />

sich WIE mein Leben ist: Wie ist meine Familie, wie es mir geht, warum bin ich daher<br />

gekommen und was habe ich vor mit meiner Ausbildung« (TNin2, 232-237)<br />

Diese Form der positiven Wahrnehmung schafft Vertrauen auf der Beziehungsebene.<br />

Teilnehmerin 3 trifft im Erstgespräch auf die Leiterin der Basisbildungseinrichtung;<br />

sie entwickelt gleich zu Beginn durch das aktive Bemühen der Leiterin um<br />

ihre Person Vertrauen zu ihr (vgl. TNin3, 46-51). Sie berichtet, dass sie an ihrem<br />

ers ten Kurstag Befürchtungen in Bezug auf das Lernen hatte. Aber die Leiterin<br />

kam zu ihr, um sich zu erkundigen, wie es ihr denn gehe, und das vermittelte ihr offensichtlich<br />

ein Gefühl der Sicherheit:<br />

»Wie ich am Anfang her gekommen bin, da habe ich schon ein bisschen ein ungutes Gefühl gehabt,<br />

was wir jetzt lernen und das alles. Das war schon, das muss ich offen und ehrlich sagen.<br />

Aber so, dann, am nächsten Tag ist schon alles normal weitergegangen. […] Da ist die [Leiterin]<br />

gekommen [und fragt] wie fühlst dich Geht eh alles in Ordnung Sag ich: Ja, mir geht es<br />

gut. Aha, dann mache ich schon die Türe zu und geh. Also, also ich muss auch sagen, die Frau<br />

[Leiterin], die macht das auch gut auch. Die fragt auch die Leute, wenn etwas ist. Oder wenn du<br />

ein Problem hast, kannst du auch zu ihr kommen, also die Frau ist eine Perle, muss ich sagen.«<br />

(TNin3, 323-327)<br />

Für Teilnehmer 15 dominiert das Gefühl der Erleichterung, an einem Ort angelangt<br />

zu sein, an dem sein Bildungswunsch wahrgenommen wird:<br />

- 205 -


»(I) Und jetzt äh wie war das so am Anfang Wie war das so am ersten Kurstag Wie war das<br />

da her zu kommen<br />

(T) Beim ersten Kurs, ersten Kurstag. Pff, ganz, ich bin ganz normal, was heißt, ich meine, ich<br />

habe keinen Stress und nichts, also keine Angst oder was. Ich meine, ich, ich habe, ich habe<br />

mir nur gedacht: Gott sei Dank hat mir wenigstens wer einmal sagen können, wo es was gibt.«<br />

(TNer15, 203-207)<br />

Teilnehmer 10 spricht seine »Schwächen« (TNer10, 37) offen an. Er beschreibt<br />

seinen ersten Kurstag als relativ entspannt, denn für ihn stand der Gedanke, seinen<br />

Bildungsbedarf bearbeiten zu können, im Mittelpunkt seiner Aufmerksamkeit<br />

(vgl. TNer10, 87-90).<br />

Teilnehmerin 20 beginnt offen und ohne spezifische Erwartungen oder Befürchtungen<br />

mit dem Basisbildungskurs: »gut, ich schaue es mir einmal an. Und ich war<br />

aber sehr begeistert davon und gehe sehr gerne her« (TNin20, 31). Sie erzählt, dass<br />

sie »herzlich aufgenommen worden« (TNin20, 87) ist. Der erste Kontakt verlief so<br />

viel versprechend, dass ihr Lernanliegen zu einer Erwartung wurde:<br />

»(I) Können Sie sich erinnern, ob Sie bestimmte Erwartungen gehabt haben an den Kurs<br />

Oder haben Sie sich einfach gedacht, ja, jetzt gehe ich mal hin und schaue es mir an Oder haben<br />

Sie schon<br />

(T) Nein, ich, beim ersten Mal habe ich mir gedacht, ich schaue es mir einmal an.<br />

(I) Ahm. Ahm. / Und dann<br />

(T) Und dann war aber schon die Erwartung, dass ich mir gedacht habe: Nein, ich möchte, dass<br />

äh dass ich mir, dass, dass mir das beigebracht wird, dass ich es leichter habe dann beim Abschluss.«<br />

(TNin20, 41-46)<br />

Teilnehmerin 24 berichtet in Bezug auf das Erstgespräch, dass es ihr die Angst und<br />

ihre Unsicherheit nicht zur Gänze nehmen konnte. Im Laufe der drei Wochen, in<br />

denen sie einzeln betreut wurde, kann sie ein gewisses Maß an Sicherheit entwickeln,<br />

entschließt sich zur Teilnahme und stellt fest: »Gehst automatisch gerne her.«<br />

(TNin24, 493)<br />

»(I) Also die [Person, die das Erstgespräch geführt hat] hat Ihnen erklärt, wie das sein wird<br />

(T) Wie und was. Ja.<br />

(I) Und ist da dann die Angst schon ein bisschen zurückgegangen oder<br />

(T) Ja (zögerlich, eher verneinend). Die ersten zwei, zwei, die ersten zwei Wochen oder drei<br />

Wochen was war, hat sie nur mich immer gehabt. Die anderen sind gegangen, oder die anderen<br />

sind gekommen dann später. Sie hat immer nur eingestellt und geschaut wie derjenige<br />

tut. Wo der hinten ist und, und, und. Und da, dann habe ich gesagt: Ja, ich komme.«<br />

(TNin24, 89-95)<br />

- 206 -


Gestaltung der Anfangssituation aus der Perspektive der Kursleitenden<br />

In der Gestaltung der Anfangsphase besteht ein struktureller Unterschied zwischen<br />

den beiden untersuchten Einrichtungen. In Einrichtung A werden neue Teilnehmende<br />

in bestehende Kursgruppen integriert, nur auf Wunsch bzw. unter spezifischen<br />

Bedingungen 166 sind Einzelbetreuungen vorgesehen. In Einrichtung B ist<br />

eine mehrwöchige Einzelbegleitung zur Abklärung des individuellen Bedarfs anberaumt.<br />

Möglicherweise hätte es Teilnehmerin 24 etwas von ihrer Angst und Unsicherheit<br />

genommen (siehe oben), wenn sie von einer bestehenden Gruppe aufgenommen<br />

und in die Routineabläufe integriert worden wäre. Kursleiterin H weist<br />

nämlich darauf hin, dass es von den neuen Teilnehmenden nach der Phase der<br />

Einzelbegleitung als entlastend erlebt wird, in die Gruppe einsteigen zu können<br />

und Ähnlichkeiten (Lebenssituation, Bildungsbedarf) zu erleben (vgl. KLinH, 127-<br />

132). In der anfänglichen Einzelbegleitung wird in Hinblick auf die Lerninhalte<br />

eine bedarfs- und wunschorientierte Lernzielberatung auf Basis konkreter Vorschläge<br />

durchgeführt:<br />

»Und wir haben auch so ein Blatt, wo zum Beispiel draufsteht, das lese ich meistens dann den<br />

Teilnehmern vor: Ich möchte äh meine Bankgeschäfte erledigen. Oder ich möchte […] so in<br />

der Zeitung das Horoskop lesen. Oder ich möchte SMS schreiben können oder so. Und dann<br />

können sie sagen: Ja stimmt, stimmt nicht. Das ist auch recht praktisch. […] Also, ich glaube<br />

schon, dass diese Listen, die wir da haben und ihnen das vorlesen, dass wir ihnen da sehr helfen.<br />

Weil ich glaube nicht, dass sie alleine die Ziele formulieren / (sie überlegt) könnten. Wobei<br />

es ist SO individuell. Also das traue ich mich jetzt auch nicht für alle zu sagen.« (KLinH,<br />

294-322)<br />

Bei eher unklaren Vorstellungen der Teilnehmenden geht es in dieser Einzelbetreuungsphase<br />

um die gemeinsame, aber angeleitete Erarbeitung möglicher Lerninhalte;<br />

bei bereits existierenden Lernanliegen werden diese in der Abklärungsphase<br />

konkretisiert:<br />

»Wo der steht und was der wirklich braucht. Und so schätzen wir ihn halt ein. Wir erstellen dann<br />

einen Lernplan, zusammen mit dem Teilnehmer, ob das wohl okay ist für ihn, dass wir das halt<br />

machen. Also wir glauben, das und das braucht er. Und das schaut dann so aus wie ein Mind-<br />

Map. Und nach dem arbeiten wir dann.« (KLinH, 286-290)<br />

Dieser Lehr-Lern-Plan bildet die Grundlage für die Lehr-Lern-Prozesse in der Einrichtung<br />

B.<br />

Im Folgenden werden nun verschiedene Handlungsmuster der Kursleitenden im<br />

Erstkontakt mit (potenziellen) Teilnehmenden beschrieben: Kursleiterin F stärkt<br />

deren Selbstbestimmung, indem sie im Erstgespräch betont, dass die Entscheidung<br />

zur Teilnahme tatsächlich eigenständig getroffen werden soll und auch kann: 167<br />

- 207 -


»Also, wenn sie das erste Mal kommen, kriegen sie die Information von mir, sie sind freiwillig<br />

da, sie müssen überhaupt nichts machen, wenn sie nicht wollen. […] Das klingt so aufrührerisch<br />

oft für die Teilnehmenden. Aber es ist genau so. […] Sie müssen nichts machen, was<br />

jemand anderer sagt. Aber sie können auf die Idee kommen, dass sie das freiwillig machen<br />

wollen. Und vielleicht kommen sie auf die Idee, dass sie ganz genau draufkommen, WAS sie<br />

machen wollen. Also in der Richtung mache ich es auch, so halt Lernmotivation.« (KLinF,<br />

234-241)<br />

Insbesondere für potenzielle Teilnehmende, die über eine Empfehlung oder aufgrund<br />

einer an sie ergangenen Aufforderung zum Basisbildungskurs gelangt sind,<br />

ist dieser Hinweis auf die Möglichkeit einer eigenständigen Entscheidung bedeutsam,<br />

denn ein solcher Hinweis hat – wie es die Kursleiterin formuliert – einen aufrührerischen<br />

Charakter und richtet sich an die Selbstbestimmung. Die getroffene<br />

Entscheidung zu bestärken, ist dann der logische nächste Schritt (siehe dazu Abschnitt<br />

5.2 und Abschnitt 5.3); die Kursleiterin hilft beim Entdecken des jeweiligen<br />

Lernsinns (»Lernmotivation«).<br />

Kursleiter D erläutert, dass er bei jüngeren und älteren Teilnehmer/innen unterschiedlich<br />

vorgeht. Die jüngeren Teilnehmenden werden vielfach im Rahmen arbeitsmarkt-<br />

oder sozialpolitisch organisierter Maßnahmen zur Basisbildungseinrichtung<br />

geschickt, ältere Teilnehmende bringen dagegen zumeist konkrete, zum<br />

Teil auch berufsspezifische Lernanliegen mit:<br />

»Das heißt, es kommen sehr viel Menschen auch zu uns, die eigentlich dann einmal da sind<br />

und eigentlich nicht wissen, warum sie da sind, für was sie da sind. […] Vor allem das Spiel<br />

mit der Motivation, weil die ist meistens dann nicht so gegeben, wenn sie geschickt werden.<br />

Das ist dann einfach, weil sie da sein müssen und, ja. Da muss man es noch einladender angehen<br />

das Ganze, dass man das irgendwie schmackhaft macht. Weil hingegen die, die wissen,<br />

was sie möchten […] da ist es einfacher, weil die wissen eh, ja, das brauche ich oder das<br />

möchte ich. Und das machen wir dann. Da bin ich dann wirklich rein passiv und bin eben die<br />

Begleitung für das Ganze, die Unterstützung.« (KLerD, 142-150)<br />

Aus der Wahrnehmung unterschiedlicher Zugänge zur Einrichtung und daraus resultierend<br />

differierender Teilnahmemotive ergibt sich für diesen Kursleiter die adäquate<br />

Vorgangsweise im Lehrhandeln.<br />

Kursleiterin H bemüht sich um die Herstellung einer vertrauensvollen Basis durch<br />

eine entsprechende Gesprächsführung: die Erinnerung an möglicherweise unangenehme<br />

Lernsituationen bzw. Anforderungssituation soll bestmöglich vermieden<br />

werden:<br />

»[…] sie stellen sich teilweise vor, sie kommen und kriegen einmal eine Prüfung oder so, gell.<br />

Und […] ich mache beim Erstgespräch überhaupt nichts Inhaltliches. Ich […] setze mich zusammen<br />

und ratsche mit ihnen, ganz ehrlich. Weißt, damit ich sage: Okay, wir sind da irgend-<br />

- 208 -


wie auf der gleichen Ebene. Und ich bin halt einmal Trainerin. Und ich bin für dich da. Und ich<br />

unterstütze dich und ich begleite dich. Und nicht: Ich drücke dir was mit dem erhobenen Zeigefinger<br />

aufs Auge. Ich glaube, wenn diese Vorstellung einmal nicht mehr existiert, dann können<br />

sie sagen: Okay, ich probiere das und probiere wirklich was für mich zu tun.« (KLinH, 142-149)<br />

Auch Kursleiter D berichtet von seinem Bemühen, eine auf Gleichwertigkeit basierende<br />

und daher vertrauensvolle und freundschaftliche Beziehung aufzubauen,<br />

um in seiner Funktion als Lehrender »einen Zugang zu finden«:<br />

»Und ich merke dann immer, instinktiv, dass ich mich auf eine sehr freundschaftliche Ebene<br />

auch begebe. Ja, das ist, ich will das absolut vermeiden, dass ich da jetzt irgendwie die Lehrperson<br />

oder so bin, gell. Ich bin auch mit allen per du. Und ah ich versuche, da wirklich so eine<br />

freundschaftliche Ebene zu finden. […] Dass ich nicht irgendwie jetzt jemand bin, dem sie untergeordnet<br />

sind oder ja, der zu dem sie da kommen müssen. […] Ja, und von daher dann einfach<br />

einen Zugang zu finden […].« (KLerD, 791-798)<br />

Werden die Episoden der Kursleitenden und die der Teilnehmenden übereinander<br />

gelegt, so ergibt sich folgende Schnittmenge der als positiv bzw. als bedeutsam rezipierten<br />

Aspekte einer Anfangssituation: Können Sinn und individueller Nutzen eines<br />

Angebotes in ruhiger bzw. beruhigender Art erklärt werden, entstehen Orientierung<br />

und ein Gefühl von Sicherheit, vorhandene Ängste des/der potenziell Teilnehmenden<br />

werden reduziert. Wird im Zusammenhang mit den bereits mitgebrachten Lernanliegen<br />

bzw. der Erläuterung von möglichen individuell abgestimmten Lerninhalten von<br />

den Kursleitenden thematisiert, dass die Entscheidung für eine Teilnahme eigenständig<br />

getroffen werden muss, d.h. das Angebot auch abgelehnt werden darf, so wird<br />

eine erfolgreiche Teilnahme vorbereitet und erst ermöglicht. Nur eine auf den Prinzipien<br />

Gleichwertigkeit, Partnerschaftlichkeit und Freundschaftlichkeit basierende<br />

Form der Kommunikation und Interaktion, die von den Kursleitenden implizit vermittelt<br />

und auch explizit angesprochen wird, ermöglicht den potenziellen Teilnehmenden<br />

einen ersten angstfreien und »maskenlosen« Zugang zum Angebot.<br />

5.1.5 Resümee: gelungene Zugänge zum Basisbildungskurs<br />

Teilnahme an Weiterbildung ist eine Form gesellschaftlicher <strong>Teilhabe</strong>; offene Zugänge<br />

sichern diese Form der <strong>Teilhabe</strong>. In Anlehnung an die »Türen des Käfigs«<br />

(Meueler 1998) zeigen die Interpretationsergebnisse, dass bereits vor der Teilnahme<br />

Türen und somit Zugänge geöffnet werden müssen; mitunter muss der »Käfig«<br />

auch von außen geöffnet werden.<br />

Bei einigen der befragten Teilnehmenden hat es nur der Information über das entsprechende<br />

Bildungsangebot (aus den Medien, im Rahmen einer arbeitsmarktpolitischen<br />

Maßnahme etc.) oder eines einladenden Hinweises bedurft, um den<br />

- 209 -


Weg zur Teilnahme zu bahnen. Vielfach war es ein Anstoß von außen, der die<br />

prinzipielle Realisierbarkeit einer Weiterbildungsteilnahme bzw. eines Weiterbildungswunsches<br />

erkennbar gemacht hat. In einigen Fällen war dieser Anstoß einem<br />

glücklichen Zufall geschuldet, immer wurde ihm jedoch Bedeutung beigemessen,<br />

sodass die Veränderung in Angriff genommen werden konnte.<br />

Bei einigen der befragten Teilnehmenden entstand der Eindruck, dass sich die Bewältigung<br />

des Bildungsbedarfs und die Realisierbarkeit einer Weiterbildungsteilnahme<br />

zunächst außerhalb ihres Vorstellungsvermögens befunden haben; d.h., es<br />

fehlte ihnen eine innere Repräsentation, das verinnerlichte Bild eigener Bildung<br />

und eigenen Lernens. Wer über solche inneren Bilder nicht verfügt, für die/den ist<br />

(Weiter-)Bildung in Form einer Kursteilnahme kein allzu nahe liegender Gedanke.<br />

Teilnehmerin 1 meinte beispielsweise, »hier gibt es keine Schule von große Leute,<br />

nur von kleine«, und ist erstaunt, dass ihre Arbeitskollegin in einem Kurs Deutsch<br />

gelernt hat. Teilnehmerin 7 stellte fest: »Ich habe gar nicht gewusst, dass es das für<br />

Erwachsene so gibt, in dieser Form.« Das mögliche Fehlen innerer Bilder bestimmt<br />

auch das Erstgespräch mit dem/der Kursleitenden bzw. die Anfangsphase der Kursteilnahme:<br />

Teilnehmende, die wissen, was sie lernen wollen, können im Lernprozess<br />

begleitet werden, Teilnehmende, die nicht wissen können, was sie im Detail<br />

und für sich selbst lernen wollen, können bei der Klärung bzw. Entwicklung ihrer<br />

Lernziele angeleitet werden.<br />

Die Wiederaufnahme einer (Basis-)Bildungsaktivität (feststellbar bei Teilnehmerin 11,<br />

Teilnehmer 16 und Teilnehmerin 18) wird dadurch begünstigt, dass die vorangegangene<br />

Bildungsteilnahme als erfolgreich erlebt wurde, Einrichtung und Angebot<br />

bekannt, Strukturen und Personen vertraut, Lehr-Lern-Prozesse einschätzbar sind;<br />

die Tür zum Bildungsraum steht offen. Auch wenn der eigene Bildungsbedarf bereits<br />

bewusst und bekannt ist (Leidensdruck), scheint es entlastender zu sein, in<br />

Form einer Einladung auf das Bildungsangebot aufmerksam gemacht zu werden,<br />

als eigenständig nach einem geeigneten Kurs zu suchen. »Lernbedürfnis und Bekanntheit<br />

von Hilfsangeboten müssen zusammentreffen. […] Wenn ein kritisches<br />

Ereignis oder ein zu lang dauernder Leidensdruck dazu geführt hat, dass Betroffene<br />

ihre Situation verändern wollen, müssen sie in Erfahrung bringen, wo es Hilfsangebote<br />

gibt.« (Döbert/Hubertus 2000: 78) Empfehlungen und sogar Aufforderungen<br />

zur Teilnahme werden an- und aufgenommen und als Gelegenheit zur begleiteten<br />

Veränderung wahrgenommen. Im Kontakt mit dem Angebot wird deutlich, dass<br />

der Kurs zum Wohl der Teilnehmenden angelegt ist und somit als nicht bedrohlich,<br />

sondern als hilfreich erlebt werden kann. In beiden untersuchten Einrichtungen<br />

führt der Großteil der Erstgespräche tatsächlich zur Teilnahme. Selbst wenn einer<br />

Aufforderung ein Verpflichtungscharakter 168 innewohnt, können in der Ausgestaltung<br />

des Angebotes die Selbstbestimmungsanteile der Teilnehmenden gefördert<br />

werden (siehe Abschnitt 5.2 zum Lehrhandeln). Hierfür ist es wichtig, hinderliche<br />

Zugangsbarrieren zu vermeiden. Das wird möglich, wenn neben der motivierenden<br />

Gestaltung des Erstgespräches die Teilnahme kostenlos ist, die Kurse in den Regio-<br />

- 210 -


nen stattfinden, d.h. oftmals direkt vor Ort bzw. in der näheren Umgebung, 169 und<br />

das Angebot zunächst ohne zeitliche Limitierung in Anspruch genommen werden<br />

kann. Das kostenlose Angebot wirkt als Pull-Faktor in der Entscheidungssituation.<br />

Menschen, die Bildungsbenachteiligung erfahren haben, verfügen kaum über hinreichende<br />

materielle Ressourcen – schon gar nicht in einer Phase der Erwerbsarbeitssuche<br />

–, um sich eigenständig eine Kursteilnahme bei einem kommerziellen<br />

Anbieter und das über viele Jahre hinweg zu finanzieren. Ein kostenloses Angebot<br />

wirkt deshalb einladend und erhöht die Wahrscheinlichkeit, dass sich potenzielle<br />

Teilnehmende für das Kursangebot entscheiden. Des Weiteren scheint der Gemeinplatz,<br />

dass Bildung Zeit braucht, für die Basisbildung besonders zutreffend zu sein.<br />

Teilnehmerin 2 hat die Limitierung des Deutschkurses eines kommerziellen Bildungsanbieters<br />

auf eine bestimmte Anzahl von Kurseinheiten als ausschließend,<br />

weil nicht bedarfsorientiert erlebt. Die Vorstellung, ihren Sprachbildungsbedarf innerhalb<br />

der vorgesehenen Kurseinheiten bearbeiten zu müssen, hat auf sie überfordernd<br />

gewirkt. Ein eindrückliches Beispiel für die Entwicklung eines weiterführenden<br />

Bildungswunsches durch die nicht limitierte Möglichkeit zur Teilnahme<br />

ist Teilnehmer 22: Im Verlauf seiner mittlerweile vier Jahre andauernden Kursteilnahme<br />

hat er den Wunsch entwickelt, den Hauptschulabschluss nachzuholen. Es<br />

kann davon ausgegangen werden, dass bestimmte Motive durch die Teilnahme entstehen<br />

oder aber auch durch sie erst realisiert, d.h. bewusst wahrgenommen werden.<br />

Klaus Holzkamp spricht von der »Flachheit« und von der »Tiefe« möglicher<br />

Lerngegenstände (vgl. Holzkamp 1993: 218-226). Tiefere Dimensionen des Lerngegenstandes<br />

werden im Fortschreiten bewusst, und auch neue bzw. erweiterte Perspektiven<br />

des Lernens – wie eben das Nachholen eines formalen Abschlusses als<br />

Zieldimension – können entwickelt werden. Außerdem sind die schulische Bildung<br />

und die berufliche Erstausbildung kostenlos und die Mehrheit der in Österreich lebenden<br />

Kinder und Jugendlichen kann daran teilhaben. Somit ist ein kostenloses<br />

und vor allem qualitativ hochwertiges und zeitlich nicht limitiertes kompensatorisches<br />

Basisbildungsangebot ein Akt ausgleichender Gerechtigkeit. Das vielfach<br />

geäußerte Bedauern über die verlorene Zeit (weil das Angebot erst sehr spät entdeckt<br />

wurde und/oder weil zwischenzeitlich andere weniger sinnvolle Maßnahmen<br />

besucht werden mussten) verdeutlicht die Notwendigkeit, die Basisbildungsangebote<br />

auf breiter Basis bekannt zu machen.<br />

Das Ansprechen und Erreichen der Adressatinnen und Adressaten ist eine der Gretchenfragen<br />

in diesem Teilbereich der Erwachsenenbildung. 170 Bedeutsam sind hier<br />

die Öffentlichkeitsarbeit und die mediale Vermittlung. Die Art und Weise, wie über<br />

diese Kompensationsfunktion und die entsprechenden Angebote berichtet werden<br />

sollte, zeigt Kursleiterin E auf: »da braucht man keine Angst haben [...] da geht es<br />

NICHT wieder darum, was man alles nicht kann« (KLinE, 354f.). Der Zugang von<br />

Teilnehmer 5 verdeutlicht das große Potenzial einer (sensibel gestalteten) TV-Reportage.<br />

Er konnte sich vor allem mit einem der interviewten Erwachsenen, der bereits<br />

an einem Basisbildungskurs teilnahm und daher authentisch von seinen Lern-<br />

- 211 -


fortschritten, Lernerfolgen und der Verbesserung seiner Lebensqualität berichtete,<br />

identifizieren. Reale Vorbilder, d.h. authentische, lebensweltnahe Erwachsene, ermöglichten<br />

ihm die Entwicklung der Vorstellung, ebenfalls einen Kurs zu besuchen.<br />

In der entsprechenden Episode von Teilnehmerin 1 war es desgleichen eine<br />

reale Person, nämlich ihre Arbeitskollegin, die in einem Kurs Deutsch gelernt<br />

hatte, und dadurch für sie zu einem anregenden Vorbild wurde.<br />

Grundkenntnisse in der Sprache des Landes zu erwerben, in der sich ihr Lebensmittelpunkt<br />

befindet, gehört für Menschen mit einer anderen Erstsprache als<br />

Deutsch ebenfalls zur Basisbildung. Menschen mit Migrationshintergrund weisen<br />

vielfältige Bildungs- und Berufsbiografien auf. Es können, abgesehen von<br />

Deutsch als Zweitsprache, Basisbildungsbedarfe/-bedürfnisse im Bereich Lesen,<br />

Schreiben, Rechnen, Nutzung der neuen Medien vorliegen. Teilnehmerin 1, Teilnehmerin<br />

2, Teilnehmerin 6 und Teilnehmerin 19 waren in ihrem Herkunftsland<br />

von der Teilnahme an allgemeiner und/oder beruflicher Bildung ausgeschlossen,<br />

sie sind bzw. waren in ihrem Herkunftsland und in Österreich auf Einfacharbeitsplätzen<br />

beschäftigt und haben in Österreich vor Besuch des Basisbildungskurses<br />

keine Unterstützung bei der Entwicklung ihres sprachlichen Ausdrucksvermögens<br />

und ihrer schriftsprachlichen Fähigkeiten in ihrer Zweitsprache erfahren. Angesichts<br />

der realisierten Teilnahme am Basisbildungskurs äußerten sie deshalb auch<br />

Bedauern über die verlorene Zeit. Das kann als ein Hinweis darauf interpretiert<br />

werden, dass eine zu einem früheren Zeitpunkt erfolgte Aufforderung zur Aneignung<br />

von Kenntnissen in der Zweitsprache akzeptiert worden wäre. Hier zeigt sich,<br />

dass in der Frage der Basisbildung nicht auf jene Menschen mit Migrationshintergrund<br />

vergessen werden darf, die bereits seit längerem in Österreich leben und<br />

arbeiten, unter Umständen auch die österreichische Staatsbürgerschaft besitzen,<br />

aber eben aufgrund von vielfältigen Benachteiligungen einen Bildungsbedarf in<br />

der Zweitsprache aufweisen. Für zwei der befragten Frauen mit Migrationshintergrund<br />

hätte eine Aufforderung von offizieller Seite bedeutet, sich deutsche Sprachkenntnisse<br />

auch gegen mögliche Widerstände ihres Partners aneignen zu können.<br />

Basisbildungskurse bieten die Möglichkeit zum individuell abgestimmten Erwerb<br />

bzw. zur Optimierung vorhandener Zweitsprach-Kompetenzen, dabei könnten aus<br />

dem Herkunftsland stammende Multiplikatorinnen und Multiplikatoren bzw. Menschen<br />

mit Migrationshintergrund und entsprechenden Sprachkompetenzen eine besondere<br />

Vermittlungsrolle einnehmen. Aber vor allem Personen an neuralgischen<br />

Schnittstellen, d.h. an Orten, in Funktionen, wo/in denen der Kontakt mit Menschen,<br />

die Bildungsbenachteiligung erfahren haben, sehr wahrscheinlich ist, 171 können<br />

und sollten zwischen Basisbildungsbedarfen/-bedürfnissen und Angebot vermitteln,<br />

denn gerade bildungsbenachteiligte Menschen mit Basisbildungsbedarfen/<br />

-bedürfnissen verfügen oft über keinen Zugang zu Bildung und deren Einrichtungen<br />

bzw. haben kaum genügend Ressourcen, um eigenständig adäquate (d.h. auch<br />

kostenlose) Angebote ausfindig zu machen. Im »Memorandum über Lebenslanges<br />

Lernen« (Europäische Kommission 2000) wird in der Botschaft 5 die Siche-<br />

- 212 -


ung der Zugangs »zu hochwertigen Informations- und Beratungsangeboten« gefordert<br />

(ebd.: 19). Das Schlagwort »Lifelong Guidance/Counseling« resultiert aus<br />

dieser Forderung. Beratung wird vielfach von Bildungseinrichtungen geleistet. Das<br />

setzt voraus, dass der Zugang zu einer Einrichtung bereits gefunden wurde. Daher<br />

ist die Informations- und Beratungsarbeit an den neuralgischen Schnittstellen<br />

eine Chance für Menschen, die Bildungsbenachteiligung erfahren haben. Zum einen<br />

sind das Schnittstellen am Übergang: Einrichtungen des so genannten zweiten<br />

Arbeitsmarktes, sozialökonomische Betriebe bzw. gemeinnützige Beschäftigungsprojekte<br />

sowie Einrichtungen, die junge Menschen bei der beruflichen Erstausbildung<br />

(Berufsausbildungsassistenz) oder bei der Eingliederung in den ersten Arbeitsmarkt<br />

(Arbeitsassistenz) unterstützen. Die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter<br />

der Schnittstellen am Übergang bemühen sich um förderliche Beziehungen zu den<br />

ihnen anvertrauten Personen und kennen aufgrund des Ziels der intentionalen Förderung<br />

deren Stärken und Schwächen sehr gut; folglich können sie eine Basisbildungskursteilnahme<br />

empfehlen. Das Anliegen der Basisbildung scheint mit dem<br />

Menschen- und Leitbild dieser Organisationen grundsätzlich kompatibel zu sein.<br />

Im Rahmen solcher Einrichtungen kann fallweise sogar Arbeitszeit als Lernzeit<br />

zur Verfügung gestellt werden, wie es bei Teilnehmerin 19 der Fall gewesen ist.<br />

Für sie war es lange Jahre wichtiger, einer Erwerbsarbeit nachzugehen, um ihre<br />

Existenz sichern zu können, als umfangreichere Kenntnisse in ihrer Zweitsprache<br />

zu erwerben. Hätte ihr Arbeitgeber Deutschkurse angeboten, eventuell sogar<br />

in der Arbeitszeit, wäre ihr teilweise zu beobachtender Ausschluss aufgrund ihres<br />

Sprachbildungsbedarfs zu verhindern gewesen. Insbesondere die Gruppe der anund<br />

ungelernten Arbeitskräfte könnte demnach direkt am Arbeitsplatz mit Basisbildungsangeboten<br />

erreicht werden. 172<br />

Die zweite bedeutsame Schnittstelle ist das Arbeitsmarktservice, wobei die vorrangige<br />

Aufgabe des AMS in der raschen Vermittlung in Beschäftigung liegt. Aufgrund<br />

der Struktur der Erwerbsarbeitslosigkeit und der Situation am Arbeitsmarkt werden<br />

insbesondere Menschen, die Bildungsbenachteiligung erfahren haben (keine oder<br />

geringe berufliche Qualifikation, Basisbildungsbedarfe/-bedürfnisse, wenig und<br />

besonders wenig positive Erfahrung mit Bildungsangeboten), zu Kundinnen und<br />

Kunden des AMS. Die Chance liegt nun darin, Phasen der Erwerbsarbeitslosigkeit<br />

verstärkt als Zeitfenster für Basisbildung zu nutzen, um bestehende Nachteile<br />

tatsächlich zu kompensieren. Hierfür wäre ein Angebotscharakter und weniger ein<br />

Zuweisungscharakter sinnvoll; in der Entscheidungsfindung wäre Freiwilligkeit im<br />

Kontext eines qualitativ hochwertigen, weil individuell abgestimmten Angebotes<br />

empfehlenswert. Um die AMS-Mitarbeiter/innen im Kontakt mit möglichen Adressatinnen<br />

und Adressaten für Basisbildung zu unterstützen, wären entsprechende<br />

Aus- und Fortbildungsangebote sowie eine Aufstockung der Beratungszeiten notwendig.<br />

Die Voraussetzungen, um möglichen Basisbildungsbedarfen/-bedürfnissen<br />

auf die Spur zu kommen und adäquate Vorschläge formulieren zu können, sind<br />

ein Vertrauensverhältnis und entsprechende zeitliche Ressourcen. In zeitlich an-<br />

- 213 -


gemessenen Beratungsgesprächen würden Hinweise oder Andeutungen erschwert<br />

übersehen/überhört werden (können). Das setzt erhöhte Bereitschaft zur empathischen<br />

Gesprächsführung und zu einem verständnisvollen Umgang mit den Kundinnen<br />

und Kunden voraus. 173 Menschen mit Basisbildungsbedarfen/-bedürfnissen<br />

sollten nicht in verfehlte, überfordernde und somit erniedrigende arbeitsmarktpolitisch<br />

organisierte Schulungen geschickt werden. Die vorliegend illustrierte Vergeudung<br />

von Lebenszeit in inadäquaten Schulungen darf meines Erachtens nicht einfach<br />

hingenommen werden; der Einfluss solcher Gefühle (des Betrogenwerdens,<br />

Ausgeliefertseins etc.) auf die (auch künftige) Einstellung zur Weiterbildung und<br />

auf die Wahrnehmung der eigenen Lernfähigkeit (hinderliche negative Glaubenssätze)<br />

hat sich im Datenmaterial andeutungsweise gezeigt.<br />

5.2 Lehrhandeln:<br />

Kursgeschehen aus der Perspektive der Kursleitenden<br />

Das Geschehen im Kurs wird zuerst aus der Perspektive des Lehrens analysiert.<br />

Danach rückt die Sicht der Teilnehmenden in den Mittelpunkt der Aufmerksamkeit;<br />

ihre Perspektiven und insbesondere die Wahrnehmung ihrer Lernprozesse<br />

werden untersucht (siehe Abschnitt 5.3). Es handelt sich dabei um eine Annäherung<br />

auf der Ebene der Mikrodidaktik. Die theoretische Trennung zwischen Lehren<br />

und Lernen ist notwendig, um die Perspektiven der handelnden Subjekte im<br />

Lehr-Lern-Prozess rekonstruieren zu können, und ermöglicht in Ansätzen die Erforschung<br />

der Zusammenhänge zwischen Handlung und Wirkung.<br />

In diesem Abschnitt erfolgt die Darstellung der Interpretationsergebnisse zur Kursgestaltung<br />

aus Sicht der Kursleitenden. Mir geht es hierbei um die Rekonstruktion<br />

der subjektiven Handlungen und Deutungen der Kursleitenden. Horst Siebert<br />

hat in Bezug auf didaktische Forschung folgende Feststellung getroffen: »Didaktische<br />

Forschung beabsichtigt selten die Falsifizierung und Verifizierung operationalisierter<br />

Hypothesen. Didaktische Forschung ist vor allem Anregungsforschung,<br />

und zwar konzeptionell und bildungspraktisch.« (Siebert 2005: 16) Ich verstehe<br />

mit Horst Siebert die Erforschung der Mikrodidaktik in Basisbildungskursen als<br />

Anregungsforschung.<br />

In Abschnitt 5.2.1 wird das Lehrhandeln, die Gestaltung des Lehrens auf der inhaltlichen<br />

Ebene der Vermittlung und auf der Beziehungsebene, in den Blick genommen:<br />

Lassen sich Handlungen feststellen, die auf die persönliche Stärkung<br />

der Teilnehmenden, die Entwicklung der Selbstbestimmung und die Erhöhung von<br />

<strong>Teilhabe</strong> abzielen Es kann gezeigt werden, dass die Stärkung der Teilnehmenden<br />

durch Zuwendung ein wesentlicher Bestandteil des Lehrhandelns ist. In einem Exkurs<br />

am Ende dieses Abschnitts wird die sozialpädagogische Beratung als Ergänzung<br />

zum erwachsenenpädagogischen Handeln skizziert. In Abschnitt 5.2.2 steht<br />

das Wahrnehmen und Entkräften der so genannten »Glaubenssätze« der Teilneh-<br />

- 214 -


menden im Zentrum. Dieser Aspekt des Lehrhandelns zielt auf individuell abgestimmte<br />

Veränderungen ab und ist ein wesentlicher Bestandteil des Lehrhandelns.<br />

Mit der Kultur der Anerkennung, die die Bestätigung der Teilnehmenden intendiert,<br />

beschäftigt sich Abschnitt 5.2.3. Im Anschluss wird der Umgang der Kursleitenden<br />

mit den Lernfortschritten ihrer Teilnehmenden thematisiert. In diesem Kontext<br />

wird die Haltung der Lehrenden deutlich sichtbar: Durch die Anerkennung der<br />

individuellen Lernfortschritte gelingt ihnen erneut eine stärkende Bestätigung der<br />

Teilnehmenden (Abschnitt 5.2.4). Der nächste Abschnitt (Abschnitt 5.2.5) analysiert<br />

Handlungen, die auf die Förderung der Lernprozesse abzielen. Im Zentrum<br />

steht das Lehrhandeln, das sich auf Inhalte und Prozesse bezieht. Zu den Zielen<br />

dieses Lehrhandelns zählen die Ermöglichung innerer Gewissheit über Lerninhalte<br />

und das Herstellen von Verbindlichkeit, die Förderung von Eigenständigkeit im<br />

Lernen, die Erweiterung der Lerninhalte, das Setzen von Interventionen sowie das<br />

Festlegen von Themen und das Vorgeben von Inhalten. Abschließend wird aus der<br />

Perspektive der Lehrenden die Gruppe als Ressource betrachtet (Abschnitt 5.2.6).<br />

Im Resümee (Abschnitt 5.2.7) wird auf zentrale Interpretationsergebnisse Bezug<br />

genommen und werden Schlüsse in Hinblick auf das Lehrhandeln gezogen.<br />

5.2.1 Stärkung der Teilnehmenden durch Zuwendung<br />

Das uneingeschränkte und unvoreingenommene Interesse an den Teilnehmenden<br />

steht für Kursleiter D am Beginn der Zusammenarbeit in einem Basisbildungskurs;<br />

dieses Interesse ist Ausgangspunkt seiner Bildungsarbeit und seines Lehrhandelns:<br />

»[…] also ich orientiere mich nicht an irgendwas, was irgendwo geschrieben steht […] sondern<br />

ich probiere […] in einem Gespräch dann Kontakt zu finden, ja. Und dann das einmal irgendwie<br />

anzugehen, so wie es einfach passend ist. […] So am Anfang ist für mich einfach nur einmal<br />

der Mensch da. Und da einmal zu schauen und das dann irgendwie in Einklang zu bringen dann<br />

[mit den Zielen und Vorgaben der Einrichtung], wie man das dann hinkriegt.« (KLerD, 92-99)<br />

Der Kurs ist somit ein gestaltbarer Aktionsraum, der sich um die/den Teilnehmerin/Teilnehmer<br />

zentriert. Grundvoraussetzung, um das Lernen zu ermöglichen,<br />

ist, dass sich die Teilnehmenden wohl und angenommen fühlen – zu Kursbeginn<br />

und in jeder Einheit (vgl. KLinB, 137-141; KLerC; 92-97; KLinF, 195-201). Die<br />

Stärkung der Teilnehmenden durch Zuwendung, um ein Gefühl der Sicherheit zu<br />

schaffen, ist hierfür oftmals der erste Schritt. Neben der achtsamen Haltung erfordert<br />

dies entsprechende zeitliche Ressourcen, wie Kursleiterin E erläutert:<br />

»[…] diese Panik, diese Ängste, dieser Stress, den oft allein das schon auslöst, eben wenn da<br />

eine Rechnung ist, also wenn sie eine Rechnung sehen oder wenn sie einen Satz sehen oder<br />

eine Geschichte oder was. Das versuche ich halt möglichst aufzuweichen und zu probieren,<br />

- 215 -


wie kann es gehen eben auf eine andere Art. […] Also möglichst gerade bei Leuten, die solche<br />

Ängste haben einmal, sie brauchen […] am Anfang sehr viel Zuwendung oder halt auch dann<br />

Zeit, um sich sicherer zu fühlen.« (KLinE, 256-266)<br />

Der Kurs wird von Kursleiter D als Raum verstanden, in dem sich Entwicklungen<br />

ohne Druck vollziehen dürfen:<br />

»Also, ich glaube ja, dass man das Lernen nur dann fördern kann, wenn […] einfach eine entspannte<br />

Atmosphäre herrscht […] und jeglicher Druck irgendwie weg ist. So. Und das versuche<br />

ich einfach, so eine Atmosphäre aufzubauen. Dass einfach dann dieser Kursraum ein<br />

Raum ist, wo, egal was da jetzt passiert, dass das in Ordnung ist. Genauso das, was mir immer<br />

total wichtig ist: Wenn jemand da jetzt irgendwas nicht versteht oder nicht begreift oder<br />

da irgendwie nicht mehr mitkommt, dass ich sofort zurückschalte und auch immer das vermittle,<br />

dass das völlig in Ordnung ist und dass das überhaupt nichts macht.« (KLerD, 219-226)<br />

Die individuellen Voraussetzungen der Teilnehmenden finden Beachtung:<br />

»[…] wenn ich merke, jemand ist so was von unstrukturiert […] da kann man einfach am Anfang<br />

gar nichts machen in Richtung Buchstaben und so oder nur auf eine völlig spielerische<br />

Art, so […] Buchstaben anmalen drei Stunden lang oder so, ja. Und das braucht natürlich alles<br />

immens viel Zeit.« (KLerD, 103-106)<br />

Kursleiter D beschreibt, dass für ihn die oftmals vorhandene »Offenheit« (KLerD,<br />

510) und »Zugänglichkeit« (KLerD, 843) der Teilnehmenden wesentlich die Schaffung<br />

eines Vertrauensverhältnisses, den Aufbau einer gemeinsamen Basis vereinfacht:<br />

»Das ist einfach ein Wert, wenn man das hat. Ich mag das, und ich weiß das zu schätzen […]<br />

also, ich finde da irgendwie immer sehr leicht hin. Und das gefällt mir. […] ICH bewerte das<br />

auch als Stärke […] ja, diese Offenheit, so dass man da leichter Zugang findet.« (KLerD, 508-<br />

529)<br />

Kursleiterin H erläutert, welchen Gewinn sie aus den bestehenden Beziehungen<br />

mit ihren Teilnehmenden und dem Vertrauensverhältnis zieht:<br />

»Jeder Teilnehmer ist anders, auch nach fünf oder nach zehn Jahren. Du musst dich immer<br />

wieder neu einstellen. Es ist schon eine Herausforderung, aber es ist auch eine schöne Arbeit.<br />

Weil du einfach den Erfolg schon siehst und auch eine sehr gute Beziehung mit den Teilnehmern<br />

herstellen kannst. Und das ist einfach total schön.« (KLinH, 43-46)<br />

Das Vertrauensverhältnis basiert auf einem freundschaftlichen Verhältnis – »da bin<br />

ich eher so die Freundin« (KLinI, 65). Auf dieser freundschaftlichen Ebene werden<br />

- 216 -


die Teilnehmenden in ihrem Vertrauen ganz allgemein gestärkt, wobei die berufliche<br />

Funktion der/des Kursleiterin/Kursleiters in den Hintergrund rückt:<br />

»Und ich merke dann immer, instinktiv, dass ich mich auf eine sehr freundschaftliche Ebene<br />

auch begebe. Ja, das ist, ich will das absolut vermeiden, dass ich da jetzt irgendwie die Lehrperson<br />

oder so bin, gell. […] So wirklich als Freund. […] Ja, und von daher dann einfach einen<br />

Zugang zu finden und dann diese Schwächen oder dieses Gefühl, einfach einmal irgendwo anzufangen<br />

und das wirklich irgendwie wegzukriegen. […] Weil, wenn das einmal weg ist, lässt<br />

sich oft leichter arbeiten. […] ich mache es eben so, wie wenn ich es mit einem Freund, den<br />

ich so kenne […] also ja, da stelle ich das Berufliche einfach weg. Das ist für mich auch wichtig.<br />

Ich meine, es ist mein Job. Das ist mir bewusst und so, aber in dem Augenblick, wo ich mit<br />

dem Menschen zusammen bin, schalte ich das auch mit dem Job weg – […] also das passiert<br />

von selber auch.« (KLerD, 792-825)<br />

Eine bedeutsame Form der Zuwendung ist das aufmerksame Zuhören durch Anteilnehmen:<br />

»es braucht irgendwie nicht viel, oft nur ein Gespräch oder ja, nicht<br />

einmal einen Rat in irgendeine Richtung, sondern einfach nur das Anhören einmal«<br />

(KLinG, 369f.) Das sich entwickelnde Vertrauensverhältnis und die Erfahrung von<br />

Zuwendung ermöglichen die Thematisierung lebensgeschichtlicher Erfahrungen:<br />

»ja, dass man da einfach so merkt, die, die Leute haben irgendwie nicht wirklich<br />

Ansprechpersonen auch. Brauchen auch ein bisschen so Anerkennung in die Richtung,<br />

dass ihnen vielleicht zum ersten Mal im Leben wer wirklich zuhört« (KLinG,<br />

655-658). Die Verarbeitung von Ausschlusserfahrungen wird besonders produktiv,<br />

wenn eine Kursleiterin ihre eigene Erfahrung mit Erwerbsarbeitslosigkeit und daraus<br />

resultierender Armut anspricht. Diese geteilte Erfahrung befördert die Vertrauensbildung,<br />

weil sie Gemeinsamkeit herstellt und zur Enthierarchisierung beiträgt.<br />

Kursleiterin G stellt weiter fest: »Also, das ist schon manchmal ein großes Aha-<br />

Erlebnis gewesen für meine Leute. […] Dass ich das auch kenne, ja. Und dass das<br />

noch nicht einmal so lange zurück ist.« (KLinG, 27-30) Das Ansprechen belastender<br />

lebensgeschichtlicher Erfahrungen, ein möglicherweise erstmaliges Aussprechen,<br />

ist ein Verarbeitungsschritt, der stärkend wirkt:<br />

»[…] sehr viele von den Menschen sind nicht gewohnt, dass ihnen so die Aufmerksamkeit geschenkt<br />

wird. […] Das ist immer wieder überraschend für sie, merke ich. Und man spürt das<br />

dann. Sie kommen dann plötzlich und erzählen sehr viel. Sehr intime Sachen meistens auch,<br />

gell, wirklich sehr intim teilweise. So, wirklich so die Probleme und so. Es reicht oft bis in die<br />

Kindheit zurück und so, dass da irgendetwas war. Bis natürlich die ganzen aktuellen Sorgen<br />

und so.« (KLerD, 298-304)<br />

Die Teilnehmenden suchen häufig das persönliche, vertrauliche Gespräch mit den<br />

Kursleitenden, um über ihre Anliegen zu sprechen, teilweise nach der Einheit oder<br />

in der Pause (vgl. KLinA, 161-165). »Eine schreibt jetzt ganz viel auf, was so frü-<br />

- 217 -


her passiert ist. Irgendwelche Geschichten halt aufarbeiten oder einfach weil sie es<br />

mir irgendwie erzählen will.« (KLinA, 499f.) Bemerkenswert ist hierbei, dass von<br />

der Teilnehmerin eines Basisbildungskurses das Medium Schrift gewählt wird, um<br />

sich mitzuteilen. Die neu gewonnene Sicherheit wird erfolgreich zur eigenen Stärkung<br />

eingesetzt und umgesetzt.<br />

Kursleiterin F verbindet diese beiden Aspekte in ihrem Lehrhandeln. Sie leitet die<br />

Verarbeitung lebensgeschichtlicher Erfahrung in Form schriftlich dokumentierter<br />

Inhalte an, um zum einen auf die schriftsprachlichen Fähigkeiten und zum anderen<br />

auf den lebensgeschichtlichen Inhalt einzugehen:<br />

»[…] diese eigene Geschichte aufarbeiten und das in diesen Kurs zu nehmen und dann sozusagen<br />

frage ich auch, ob wir das anschauen sollen bezüglich Schreibweise. Ja, natürlich, na.<br />

Also, da lassen wir den Text und nehmen einige Wörter heraus. Also der Text wird eben dann<br />

nicht repariert. Aber es geht um die eigene Geschichte. Aufarbeitung, wenn Kinder im Heim<br />

sind […] ja, es gibt verschiedene Gründe, warum das so ist und ja. Und gesellschaftliche Ungerechtigkeiten<br />

kommen da auch sehr oft vor. (unverständlicher Satzteil) und auch Scheidungen<br />

und so. Also wir reden dann darüber und es wird oft auch im Sinne von einer Art Tagebuch<br />

oder so geschrieben. Oder Reflexion über die letzte Woche oder so. Um das auch zu verarbeiten.<br />

Geschichte und, also gleichzeitig wird daran gearbeitet.« (KLinF, 389-398)<br />

Derart wird eine selbstbestimmte Verarbeitung lebensgeschichtlicher Erfahrungen<br />

möglich. Durch das Angebot der Kursleiterin, diese Texte als Ausgangspunkt<br />

für die Lerninhalte Grammatik und Rechtschreibung zu verwenden, ergibt sich<br />

vielfach auch ein auf den lebensgeschichtlichen Inhalt bezogenes Gespräch im<br />

Kurs. Das Zuhören ist nicht nur eine Aufgabe der Kursleitenden, sondern wird<br />

auch von der Gemeinschaft übernommen. Viele der Teilnehmenden haben keine<br />

unterstützenden Beziehungen oder leben alleine, vielfach fehlt ihnen auch die<br />

soziale Anbindung (vgl. KLinG, 364-367). Sich untereinander auszutauschen,<br />

wirkt stärkend: »und manchmal ist es dann auch in der Gruppe […] dass sie merken,<br />

es geht eh den anderen auch nicht recht viel anders und dann irgendwie<br />

so was erzählen und dann auch von den anderen irgendwie was dazu kommt«<br />

(KLinG, 370-373). Die Eröffnung von Gesprächsräumen, die genutzt werden<br />

können, ist daher auch eine Form der Zuwendung durch die Kursleitenden. Diese<br />

Gespräche sind immanenter Bestandteil der Bildungsarbeit, es muss ihnen die<br />

entsprechende Zeit zugestanden werden. Der Kurs ist somit ein variabel gestalteter<br />

und gestaltbarer Aktionsraum:<br />

»Ja, gemeinsame Pause mit Kaffee trinken […] tratschen einfach. Das ist, glaube ich, auch<br />

sehr wichtig. Da werden Themen einfach diskutiert. Ja, und dann dauert es vielleicht auch einmal<br />

etwas länger, wenn echt grade was Aktuelles da ist, wo sich jemand ausreden muss […].«<br />

(KLinA, 131-134)<br />

- 218 -


Anhand eines Beispiels wird sichtbar, dass in der Gruppe gemeinsam Lösungswege<br />

diskutiert und Lösungen gefunden werden können: Als die Mutter eines erwachsenen<br />

Teilnehmers die Beendigung seiner Teilnahme verlangt, gelingt es<br />

diesem Teilnehmer mit Unterstützung der Gemeinschaft seine Teilnahme zu verteidigen<br />

und fortzusetzen (vgl. KLinE, 13-27). Das selbstbestimmte und auch widerständige<br />

Handeln gegen die Fremdbestimmung gelingt durch die Gemeinschaft<br />

im Kurs. Ähnliche Lebenssituationen oder geteilte Erfahrungen (z.B. Erwerbsarbeitslosigkeit<br />

oder gesundheitliche Probleme) ermöglichen stärkende und stabilisierende<br />

Gespräche, die wiederum Gemeinsamkeit und Vertrauen stiften (vgl.<br />

KLinG, 503-512 und 687-691; vgl. auch KLinA, 165f.; KLinE, 179-185). Dieser<br />

stärkende Austausch ist vor allem unter den erwachsenen Teilnehmenden festzustellen<br />

und weniger unter den Jugendlichen (vgl. KLinG, 691ff.):<br />

»Na, diese Selbstverständlichkeit, wir sind da zusammen und wir sind eine Gruppe, gibt es bei<br />

den Jugendlichen nicht […]. Und wir können vielleicht auch was voneinander haben. Das ist<br />

eher schon bei den Erwachsenen so. Auch wenn es nicht so sehr in das geht, dass man gemeinsam<br />

als Gruppe was macht. Aber so insgesamt, dass man auch so zwischendurch, dass sie so<br />

zwischendurch was miteinander reden. Auch wenn sie nicht unbedingt an einem Projekt miteinander<br />

arbeiten. Aber einfach auch so miteinander reden und so diese Stimmung insgesamt<br />

einfach eher so da ist, von einer Gemeinsamkeit.« (KLinG, 709-715)<br />

Erwachsene, die Bildungsbenachteiligung erfahren haben, leben vielfach in belastenden<br />

Lebenszusammenhängen. Diese wirken in das Kursgeschehen hinein:<br />

»Also, die Lebensgeschichten sind immer da. Die kommen und sagen: Ja, stell dir<br />

vor! Jetzt haben sie, jetzt haben sie mir […] die Alimente äh Vorauszahlung heruntergesetzt<br />

von [Betrag] auf [Betrag] pro Kind. Und, und dann […] geht sonst GAR<br />

nichts […].« (KLinB, 168ff.) Das aufmerksame Zuhören und Anteilnehmen ist seitens<br />

der Kursleitenden die erste notwendige und sinnvolle Reaktion:<br />

»Wo ich dann merke einfach, sie müssen da unbedingt jetzt einmal reden darüber und dann<br />

geht erst wieder was. Dann, dann funktioniert das Aufmachen irgendwie wieder so. Zuerst ist<br />

der Kopf so voll mit diesen Dingen, die so unlösbar scheinen. Und dann, wenn das einmal,<br />

zumindest ein Teil weg ist, na dann, dann geht halt wieder irgendwas anderes hinein sozusagen.«<br />

(KLinG, 360-363)<br />

Kursleiter C beschreibt die Achtsamkeit für die Befindlichkeit der Teilnehmenden<br />

pragmatisch als »gut investierte Zeit, vorher sich das anzuschauen« (KLerC, 96).<br />

Dass Kursleitende von Basisbildungsangeboten auf die Befindlichkeit ihrer Teilnehmenden<br />

Rücksicht nehmen (können), ist Kursleiterin A nicht nur bewusst, sondern<br />

wird von ihr explizit als ein die Kursleiter/innen auszeichnendes Merkmal<br />

hervorgehoben:<br />

- 219 -


»Ja, vielleicht auch dadurch, dass wir, jetzt was nichts jetzt unbedingt mit Lernen zu tun hat,<br />

sondern mit der aktuellen Situation, dass wir da gemeinsam was geklärt haben. Dass da einfach<br />

ein Problem weggefallen ist, wo sie jetzt entspannter lernen. Wo vorher einfach das Problem<br />

da war und sie so blockiert waren, dass sie nicht lernen haben können, dass das Problem<br />

einmal weggefallen ist ähm, und dass sie jetzt zumindest in Ruhe lernen können.« (KLinA,<br />

552-556)<br />

Das folgende Beispiel zeigt, wie es in einem Kurssetting gelingen kann, dass belastete<br />

Teilnehmende ihre Arbeitsfähigkeit (wieder) erlangen, und wie aus der gelebten<br />

Anteilnahme ein Lerninhalt wird:<br />

»[…] ich fange die Leute so wie sie hereintröpfeln irgendwie, äh, versuche irgendwie sie im<br />

Gespräch zu fragen, was sie heute möchten. Ein bisschen erzählen zu lassen […] was in ihrem<br />

Leben so los ist. Und manchmal, wenn sie sehr voll sind, dann sage ich: Ach, setz dich hin,<br />

da hast einen Zettel, schreib das einfach einmal auf. Und dann arbeiten wir mit dem selbst gemachten<br />

Text weiter […].« (KLinB, 137-141)<br />

Auch Kursleiterin G berichtet, dass diese Form der Zuwendung durch Anteilnahme<br />

ein unerlässlicher Bestandteil ihres Lehrhandelns ist. Diese Aktivitäten erfolgen<br />

aber auch teilweise selbstorganisiert innerhalb der Gemeinschaft der Teilnehmenden.<br />

Insgesamt resultiert daraus eine Stärkung des/der Einzelnen:<br />

»Immer wieder so Themen, wo du einfach merkst, das betrifft sie ganz persönlich und ganz<br />

stark. Und wo es dann doch immer wieder – aha, jetzt ist da ein bisschen etwas abgearbeitet<br />

und jetzt gehen wir zur Tagesordnung über sozusagen. (unverständlicher Satzteil) Wo man<br />

dann schon merkt mit der Zeit, es ist insgesamt entweder die Gruppe oder halt auch so wenn<br />

ich da bin. Und ein Teil abfedert halt einfach, dass das schon mit der Zeit dann aufbaut.«<br />

(KLinG, 665-669)<br />

Persönliche Anliegen sind bei den Kursleitenden gut aufgehoben:<br />

»Und das andere ist einfach sozusagen, den Menschen als ganzen Menschen sehen, und da ist<br />

es die ganze sonstige Palette, was gerade notwendig ist, hat auch Platz. Ganzheitlich, sozusagen,<br />

also Sorgen auch abzuladen. Da haben wir zwar jetzt eine [Sozialarbeiterin] und trotzdem<br />

ist manches direkt da.« (KLinF, 46-49)<br />

Besonders deutlich tritt das Naheverhältnis aus Vertrauen, Zuwendung und Bindung<br />

in Lehr-Lern-Settings zu Tage, die über einen längeren Zeitraum hinweg aus<br />

einer/einem Kursleiterin/Kursleiter und einer/einem Teilnehmerin/Teilnehmer bestehen.<br />

In einem solchen Zweiersetting erzählen die Teilnehmenden sehr intensiv<br />

über lebensgeschichtliche Ereignisse, insbesondere aus der Kindheit (vgl. KLerD,<br />

697-708; vgl. KLinI, 618-632).<br />

- 220 -


Nicht alle Teilnehmenden können/wollen sich mit ihren lebensgeschichtlichen Erfahrungen<br />

anvertrauen. Der Umgang mit den Teilnehmenden erfordert daher Feinfühligkeit;<br />

Kursleiterin A spricht davon, »ein Gespür« haben zu müssen:<br />

»Das Wichtigste ist irgendwie ein Gespür: Für die Leute, für die Probleme der Leute, für<br />

die Lernblockaden der Leute vielleicht. Dass man einfach merkt, wenn sich irgendwer nicht<br />

wohl fühlt. Also ich glaube, da muss man schon ein bisschen feinfühlig sein. […] wenn<br />

man zum Beispiel ein bestimmtes Thema in einem Text behandelt und man merkt einfach,<br />

dass der oder diejenige unruhig wird. […] es ist zum Beispiel oft, dass Frauen da sind, die<br />

von Männern nicht gut behandelt worden sind. Und dann merkt man, wenn ein neuer Mann<br />

in die Gruppe reinkommt, dass die Frau einfach ruhiger wird und sich verändert […].«<br />

(KLinA, 49-59)<br />

Das Wahrnehmen einer solchen Veränderung verdeutlicht die achtsame Haltung der<br />

Kursleitenden.<br />

Aufmerksamkeit und feinfühliges Vorgehen im Lehrhandeln bewahren die Teilnehmenden<br />

vor Frustrationserfahrungen; es ist das eine indirekte Form der Stärkung:<br />

»Weil das ist immer so ein heikler Punkt, weil ich merke, wenn jemand spürt, da kommt er<br />

nicht mehr mit oder so. Das kann so, ich meine, es verändert sich sofort der Gesichtsausdruck,<br />

und ich merke, das reicht ein Stück tiefer noch, so Selbstwert und so weiter. Und das ist so ein<br />

Punkt, wo ich merke, da passe ich voll auf. […] Man muss immer tasten. Ist das jetzt angemessen<br />

oder nicht.« (KLerD, 227-232)<br />

Wurde das Niveau einer Aufgabe tatsächlich falsch eingeschätzt, zeigt das folgende<br />

Beispiel wie dafür von den Kursleitenden die Verantwortung übernommen werden<br />

könnte: »also mich entschuldigen, wenn ich was erwischt habe, was einfach zu<br />

SCHWER ist, ja. Und schaue, dass ich wieder wohin zurückstecke, wo sie was können,<br />

ja.« (KLinB, 250f.) Diese Entschuldigung verhindert, dass die/der Teilnehmerin/Teilnehmer<br />

ein Scheitern erlebt, und ist somit ebenfalls eine indirekte Form der Stärkung.<br />

Feinfühligkeit ist jedoch auch bei Lehrhandlungen angebracht, die der Förderung<br />

der Selbsteinschätzung der Teilnehmenden dienen. Die angeleitete Einschätzung<br />

des jeweiligen Lernstandes ist notwendig, denn gut die Hälfte der Teilnehmenden<br />

scheint zur Überschätzung oder zur Unterschätzung des »eigene[n] Können[s]«<br />

(KLerD, 12ff.) zu tendieren. Eine solche Annäherung an eine realistische Selbsteinschätzung<br />

kann ein wesentliches Ziel von Lehr-Lern-Prozessen sein. Kursleiter<br />

D berichtet von einem Teilnehmer, mit dem er schon länger arbeitet und der zur<br />

massiven Selbstüberschätzung seiner Leistungen neigt: 174<br />

»[…] durch das, dass wir uns länger kennen, da darf ich auch. Vom Gespür her weiß ich, dass<br />

ich da relativ hingehen kann. Und wirklich sagen kann: Das stimmt nicht, stopp! Ohne dass<br />

- 221 -


er da jetzt irgendwie verletzt wird oder so was passiert, nicht. Das weiß ich. Darum mache ich<br />

es auch.« (KLerD, 39ff.)<br />

Bei Teilnehmenden, mit denen dieser Kursleiter noch nicht so lange zusammenarbeitet,<br />

macht er sich in solchen Fällen Notizen und kommuniziert das Beobachtete<br />

nicht unmittelbar (vgl. KLerD, 23-44). Diese Zurückhaltung beruht auf Feinfühligkeit<br />

und scheint ein angemessenes Verhalten zu sein, um die Entwicklung des Gefühls<br />

von Sicherheit, das für das Lernen immens wichtig ist, nicht zu gefährden.<br />

Ist das formulierte und selbst gewählte Ziel der Teilnahme am Basisbildungskurs<br />

hingegen die Vorbereitung auf eine formale Qualifikation, rückt insbesondere beim<br />

Wunsch, den Hauptschulabschluss nachzuholen, die Feinfühligkeit in den Hintergrund<br />

und es wird eine gemeinsame Abklärung der dafür notwendigen Lernschritte<br />

in Abstimmung mit dem aktuellen Lernstand vorgenommen (vgl. KLerD, 256-263).<br />

Diese Zielorientierung basiert auf einem erklärten Bildungswunsch der/des Teilnehmerin/Teilnehmers<br />

und wird daher durch eine entsprechende Beratung im Sinne einer<br />

Offenlegung der erforderlichen Lernschritte unterstützt.<br />

Aufmerksamkeit und feinfühliges Vorgehen können fallweise bedeuten, das Lehrhandeln<br />

einzuschränken: Kursleiter D berichtet von einer Kurssituation, in der sich<br />

alle Teilnehmenden nach und nach einer spielerisch-kreativen Aktivität hingegeben<br />

und sich in diese selbst gewählte, kollektiv vollzogene Aufgabe völlig vertieft haben<br />

(vgl. KLerD, 686-697). Möglicherweise werden in dieser Situation – weil es keinen<br />

Druck gibt, so meine Vermutung – unbewusste Wünsche aus der eigenen Kindheit<br />

erfüllt oder nachgeholt, oder eine etwas banalere Interpretation: Auch erwachsene<br />

Menschen haben das Bedürfnis nach kontemplativer Versenkung in eine Aufgabe,<br />

die in unserer leistungsorientierten Gesellschaft nicht unbedingt als Inhalt einer Weiterbildung<br />

akzeptiert werden würde, im Rahmen dieses Kurses aber stattfinden darf.<br />

Zuwendung als Muster im Lehrhandeln drückt sich vor allem auch als aktives<br />

Wahrnehmen der Teilnehmenden aus. Das authentische Interesse an der Lebenswelt<br />

der Teilnehmenden hat gute, pragmatische Gründe: Passgenaue, maßgeschneiderte<br />

Lerninhalte sind individuell sinnvoll, nützlich und fördern dadurch die<br />

Lernmotivation im Lernprozess. So stellt Kursleiter C fest: »Wenn sie darin einen<br />

Nutzen sehen, dann haben sie ein Motiv, auch Schwierigkeiten in Kauf zu nehmen.«<br />

(KLerC, 135f.) Solche persönlich zugeschnittenen Lerninhalte ermöglichen<br />

die Aneignung brauchbarer Fähigkeiten und Fertigkeiten, wie folgendes Beispiel<br />

zeigt: »der private Kontext auch so im Hintergrund […]. Welchen Beruf möchtest<br />

du angehen […] Malerin. Ja, was ist da wichtig, was muss man da irgendwie mit<br />

bedenken, was muss man da in der Berufsschule wissen« (KLinG, 147ff.) Es werden<br />

auch Situationen in Bewerbungsgesprächen geübt, wobei mögliche Fragen besprochen<br />

und entsprechende Stichworte zusammengestellt werden (vgl. KLinA,<br />

407ff.; KLinE, 415-424). Mit einer Teilnehmerin, die mit großen Versagensängsten<br />

kämpft, übt Kursleiterin E Bewerbungssituationen und stärkt sie durch ihre Anwesenheit<br />

bei telefonischen Bewerbungsgesprächen (vgl. KLinE, 429ff.). Kursleiter C<br />

- 222 -


ingt dieses Lehrhandeln auf den Punkt, wenn er berichtet: »Also einfach das, was<br />

die Leute interessiert, und das nehme ich einfach heran und schaue es mir an, das<br />

ist die Verpackung von dem Lerninhalt.« (KLerC, 503f.)<br />

Dass Basisbildung der Kompensation von Bildungsbenachteiligungen dient, kann,<br />

wie ein Beispiel aus einem Erstgespräch von Kursleiterin E zeigt, auch bedeuten,<br />

vorangegangene Ausschlusserfahrungen buchstäblich wieder gutzumachen.<br />

Die potenzielle Teilnehmerin gibt an, dass sie das Lesen erlernen möchte, um bestimmte<br />

Comic-Hefte zu lesen, woraus die Kursleiterin eine beobachtungsbasierte<br />

Hypothese ableitet:<br />

»[…] eine Frau hat mir letztens erzählt, da hab ich dann so geschmunzelt. Sie war das erste<br />

Mal da, Erstgespräch, und kann gar nicht lesen. Habe ich gesagt: Was würden sie gerne lesen<br />

KÖNNEN Egal wie schwierig oder wie […] umfangreich. Dann hat sie gesagt: Micky<br />

Maus. Das war entzückend, da habe mir gedacht: Ja, das ist wahrscheinlich wirklich, das hat<br />

sie wahrscheinlich immer gesehen, habe ich mir gedacht, bei den Gleichaltrigen oder so. Und<br />

die haben halt da gelacht und einen Spaß gehabt.« (KLinE, 441-446)<br />

Neben dem verwirklichten Anspruch der Orientierung an den Bildungsbedarfen/<br />

-bedürfnissen trägt das Interesse an der Lebenswelt der Teilnehmenden auch durch<br />

die solcherart erfahrene Aufmerksamkeit und Zuwendung zu deren Stärkung bei.<br />

Kursleiterin A beispielsweise nimmt in vertraulichen Gesprächen eine fragende<br />

Haltung ein, um möglichen Lerninhalten auf die Spur zu kommen, und wird gleichzeitig<br />

von einem starken Interesse am Wohlergehen ihrer Teilnehmenden geleitet:<br />

»Jetzt nicht unbedingt vor allen, aber wenn wir, wenn ich mit jemandem alleine bin, frage ich<br />

auch. Weil ich mir denke, dadurch kriege ich vielleicht auch ein paar Dinge raus, die gerade<br />

wichtig sind, die er vielleicht jetzt gerade können muss oder können, können will, ja. Und ja<br />

[…] mich interessiert es auch. Also ich will, ich will das wissen, wie es ihnen auch geht und<br />

ob sie sich wohl fühlen.« (KLinA, 444-448)<br />

Voraussetzung für die Ermächtigung zu eigenständigen Lernprozessen ist das aktive<br />

Wahrnehmen der Teilnehmenden, das Entdecken ihrer Fähigkeiten und Fertigkeiten<br />

und deren Anerkennung, wie folgendes Beispiel verdeutlicht:<br />

»Na ja, so eben im ganz konkret praktischen Bereich war ich halt auch schon einmal bei diesen<br />

Fahrkartenautomaten. Weil da viele Probleme haben. Und habe dann aber auch das gar nicht<br />

selber machen brauchen, sondern da hat sich dann auch einer gefunden, der sich damit gut auskennt.<br />

Und hat, da haben sie es halt dann geübt.« (KLinE, 480-484)<br />

Die Kursleiterin nahm sich in dieser Situation idealtypisch zurück und ermächtigte<br />

den ebenso kompetenten Teilnehmer, die Anleitung zu übernehmen; das Üben vollzog<br />

sich schließlich selbstorganisiert.<br />

- 223 -


Das Entdecken der Interessen der Teilnehmenden, an die in der Bildungsarbeit angeknüpft<br />

werden kann, ist ein nicht immer zur Gänze steuerbarer Prozess. Kurslei<br />

terin B bringt zum Ausdruck, dass es vielfach von Zufällen abhängig ist: »auch<br />

schauen […] was ist das für ein Mensch, was könnte dem entsprechen oder was<br />

würde der vielleicht. Und das ist einfach ein […] Wunder manchmal. Wie man da<br />

draufkommt oder was man da entdeckt, also was sie können« (KLinB, 266ff.). Das<br />

angesprochene »Wunder« bezieht sich im Sinne einer Wertschätzung auf das Können<br />

der Teilnehmenden, das es zu entdecken gilt. Das ist wesentlich, um an bestehenden<br />

Interessen und Stärken anknüpfen zu können. Dieses Anknüpfen fördert den persönlichen<br />

Nutzen und stiftet dadurch Sinn im Lehr-Lern-Prozess. Kursleiterin B stieß beispielsweise<br />

auf einem Flohmarkt zufällig auf ein Buch, das, wie sie wusste, für einen<br />

Teilnehmenden von Interesse war und vom Stil her seinem eher handlungsorientierten<br />

Zugang zu diesem Thema entsprach, und schenkte es ihm (vgl. KLinB, 262-266).<br />

Die Stärkung der Teilnehmenden durch Zuwendung weist vielfältige Dimensionen<br />

auf: Die Teilnehmenden werden zum Ausgangspunkt, um sie zentriert sich<br />

das Lehrhandeln; ausreichend vorhandene zeitliche Ressourcen ermöglichen den<br />

Teilnehmenden die Entwicklung eines Gefühls von Sicherheit; die besondere Haltung<br />

der Kursleitenden, ihre Achtsamkeit, ihr partnerschaftliches Verständnis, ihre<br />

Rücksichtnahme auf die Befindlichkeit der Teilnehmenden verstärken deren Sicherheitsgefühl;<br />

das Zuhören und Anteilnehmen schafft die Voraussetzung und ist<br />

das Kennzeichen für eine vertrauensvolle Beziehung; das aktive feinfühlige Wahrnehmen<br />

der Teilnehmenden ermöglicht das Anschließen an nützliche Inhalte. Damit<br />

schließt sich der Kreis zur Zuwendungsdimension der Teilnehmenden als<br />

Ausgangspunkt des Lehrhandelns. Stärkung durch Zuwendung beruht auf dem uneingeschränkten<br />

Annehmen der Teilnehmenden.<br />

Der folgende Exkurs thematisiert einen unhintergehbaren Aspekt der Basisbildungsarbeit.<br />

Wenn die Lehr-Lern-Prozesse auf der Stärkung der Teilnehmenden<br />

durch Zuwendung beruhen, dann scheint es nachvollziehbar zu sein, dass zwischen<br />

den beteiligten Personen ein Vertrauensverhältnis entsteht. Eine solche Beziehung<br />

ermöglicht es den Teilnehmenden, sich ihrer/ihrem Kursleiterin/Kursleiter anzuvertrauen.<br />

Exkurs: Sozialpädagogische Beratung als Ergänzung zur<br />

erwachsenenpädagogischen Tätigkeit<br />

Die Teilnehmenden sehen in den Kursleitenden Ansprechpersonen für Anliegen,<br />

die über die Lehr-Lern-Prozesse hinausgehen; sie erwarten sich Hilfe und Unterstützung<br />

in schwierigen Lebenslagen oder Lebenssituationen: »Sobald sie zu dir<br />

Vertrauen gefasst haben, kommen sie mit anderen Dingen. […] Es sind sehr viele<br />

persönliche Probleme. Die sie dann einfach dir anvertrauen, weil sie das Gefühl haben,<br />

du könntest ihnen vielleicht helfen.« (KLinH, 57-62) Für diese Kursleiterin ist<br />

ihre »gute Beratungskompetenz« (KLinH, 56) unerlässlich, um in solchen Situationen<br />

adäquat beraterisch handeln zu können.<br />

- 224 -


In einer der untersuchten Einrichtungen ist eine Sozialarbeiterin tätig, die für Anliegen<br />

der Teilnehmenden, die über die Bildungsarbeit hinausreichen, zur Verfügung<br />

steht. Einige der in dieser Einrichtung befragten Kursleitenden verfügen über<br />

vielfältige Ausbildungen und breite Handlungskompetenzen (u.a. Lebens- und Sozialberatung,<br />

Psychotherapie). Die personelle Trennung von Bildungsarbeit und<br />

Sozialer Arbeit wird dennoch als äußerst sinnvoll wahrgenommen:<br />

»Früher waren wir oft, immer in der […] Versuchung selber die Dinge auch zu managen und<br />

so. Mach ich immer noch manchmal […] Aber prinzipiell bin ich jetzt froh, dass wir eine Sozialarbeiterin<br />

haben. Dass das ein bisschen ausgelagert ist. Ganz lässt sich das nie auslagern.«<br />

(KLinB, 175-179)<br />

Der Hinweis, dass sich diese sozialpädagogischen Aspekte aus der Bildungsarbeit<br />

niemals ganz auslagern ließen, ist als Beleg für die Notwendigkeit der ganzheitlichen<br />

Wahrnehmung der Teilnehmenden und für das Erfordernis ihrer Stärkung<br />

durch Zuwendung zu verstehen. Allerdings bietet die personelle Trennung der erwachsenen-<br />

und der sozialpädagogischen Aufgaben eine umfassendere, weil zeitlich<br />

intensivere Betreuung. Die Möglichkeit zur Auslagerung von über die Bildungsarbeit<br />

hinausgehenden Anliegen sichert zeitliche Ressourcen in beiden<br />

Aufgabenbereichen (vgl. KLinA, 191-195).<br />

Die Kursleitenden fungieren als Schnittstelle. Auf der Grundlage des bestehenden<br />

Vertrauensverhältnisses können sie einer/einem Teilnehmerin/Teilnehmer den Vorschlag<br />

unterbreiten, mit der Sozialarbeiterin Kontakt aufzunehmen. Die Beobachtung<br />

von Kursleiter D zeigt, dass es längere Zeit dauern kann, bis dieses Angebot<br />

tatsächlich angenommen wird:<br />

»[…] da können die Probleme noch so groß sein – wenn dann plötzlich irgendwie ein Vorschlag<br />

für Hilfe kommt, das kann man nicht sofort annehmen, merke ich dann immer. Das braucht, sie<br />

brauchen dann Zeit, dass sie einmal dann wirklich die Hand nehmen.« (KLerD, 348-351)<br />

Die Kontaktaufnahme mit der Sozialarbeiterin scheint erneut eine Frage des Vertrauens<br />

zu sein (»die Hand nehmen«). Nach erfolgter Kontaktaufnahme kann die<br />

Sozialarbeiterin den Bedarf und das weitere Vorgehen abklären, auf andere Einrichtungen<br />

verweisen oder selbst entsprechende Beratungsleistungen für ihre Klientinnen<br />

und Klienten erbringen.<br />

5.2.2 Glaubenssätze wahrnehmen und entkräften<br />

Stärkung durch Zuwendung beruht auf dem uneingeschränkten Annehmen der<br />

Teilnehmenden (Abschnitt 5.2.1). Das im Folgenden beschriebene Lehrhandeln<br />

zielt hingegen auf individuell abgestimmte Veränderung ab. Glaubenssätze kön-<br />

- 225 -


nen als verinnerlichte, oftmals von anderen lebensgeschichtlich bedeutsamen Personen<br />

übernommene negative Überzeugungen gefasst werden. Die Bezeichnung<br />

dieser verinnerlichten Überzeugungen als »Glaubenssätze« geht vorliegend auf<br />

zwei Kursleiterinnen (KLinE, 573; KLinF, 181) zurück. Glaubenssätze sind der<br />

Ausdruck und die Manifestation von erlebter, zugeschriebener und unterstellter<br />

Schwäche, und sie wirken nochmals schwächend, weil sie Lernprozesse behindern<br />

oder verunmöglichen. Glaubenssätze wirken in ihrer stärksten Ausprägung als<br />

Lernblockaden. Keinesfalls dürfen Glaubenssätze aber als Lernwiderstände interpretiert<br />

werden: Glaubenssätze resultieren aus der Lebensgeschichte der Teilnehmenden,<br />

nachweislich aus den erlittenen Benachteiligungen und den sich daraus<br />

ergebenden Ausschlüssen. Sich in dieser Hinsicht in die Teilnehmenden hineinversetzen<br />

zu können, bedeutet, in ihren Schuhen zu gehen, nachvollziehen zu können,<br />

wie es ihnen ergangen ist und aktuell geht. Diese empathische Haltung bezieht sich<br />

vor allem auf vergangene leidvolle schulische Erfahrungen (Misserfolg, Ängste,<br />

Frustration, ungünstige Vergleiche durch Noten) vieler Teilnehmerinnen und Teilnehmer<br />

(vgl. KLinB, 522-534). Solche Erfahrungen wirken in die aktuellen Lernprozesse<br />

hinein, den Teilnehmenden muss deshalb unbedingtes Verständnis entgegengebracht<br />

werden.<br />

Glaubenssätze gilt es zu bearbeiten, indem sie entkräftet werden. Der Selbstwert<br />

wird durch die Relativierung der Glaubenssätze seitens der Kursleitenden geschont<br />

bzw. gestärkt. Werden hinderliche Vorstellungen bearbeitet, kann das Vertrauen in<br />

die eigenen Fähigkeiten und Fertigkeiten wachsen.<br />

Vielfach sind die Nachwirkungen schulischer Lernformen präsent. Glaubenssätze<br />

aus der Schulzeit in Form hinderlicher Überzeugungen können aufgeweicht und<br />

alte überkommene und wohl sinnlose Regeln gebrochen werden, wie Kursleiterin A<br />

mit ihrem Beispiel verdeutlicht:<br />

»[…] bei den Anfängern jetzt beim Rechnen, mit den Fingern zum Zählen, sie machen es oft<br />

so geheim unter dem Tisch. Ich kriege es natürlich mit und dann hole ich meine Hände raus<br />

(lachend) ganz offiziell und sage: So, wir nehmen jetzt beide Hände dazu und zählen. Weil ich<br />

mir denke, die Hand ist das Beste, was man mit hat […]. Nur weil alle immer sagen: He, du<br />

bist nicht mehr in der Volksschule, gib die Finger weg, ja. Und dann versuche ich halt dann, ja,<br />

zu zeigen, ja, es passt. Sie können ruhig dann […] mit den Fingern zählen.« (KLinA, 309-315)<br />

Beim Lerninhalt Mathematik werden von Kursleiter D häufig Grenzen beobachtet,<br />

die sich die Teilnehmenden selbst und schon vor langer Zeit gesetzt haben:<br />

»[…] vor allem in der Mathematik. Wenn es da um irgendwas geht, da ist schon von vornherein<br />

dieses Abblocken, das werde ich NIE können und so weiter. Das beginnt zum Beispiel<br />

beim 1x1 schon. Wenn es über 10 geht, wenn es nur 11 ist, 11x4, habe ich schon erlebt, dann<br />

heißt es: Das kann ich nicht und das mache ich nicht. Aber 10x4 geht, gell, aber 11x4 nicht<br />

mehr. Das sind so selbst gesteckte Grenzen, über die man nicht drüber mag.« (KLerD, 18-22)<br />

- 226 -


Nicht alle Teilnehmenden können sich deshalb auch auf die neue Mathematik zum<br />

Angreifen – damit ist die Aneignung mathematischer Grundvorgänge mit Hilfe von<br />

Montessori-Material (insbesondere Perlenmaterial) gemeint – einlassen:<br />

»Und andere wieder das vollständig verweigern, weil sie es in der Schule nicht dürfen haben.<br />

Weil sie nicht mit den Fingern rechnen dürfen. Weil diese Fixierung auf Zettel und Bleistift so<br />

stark ist, dass alles andere nicht als Lernen gilt. Also das ist auch so eine Gratwanderung immer<br />

wieder.« (KLinG, 209-212)<br />

Stärkende Unterstützung ist in Situationen, in denen die Glaubenssätze sichtbar<br />

werden, unerlässlich. Die begleitete Überwindung der Grenzen – das »Probieren<br />

wir es!« – ist der wichtige erste Schritt zur Gewinnung von Zutrauen in die eigenen<br />

Möglichkeiten: »Weil […] wenn du sagst: Ich traue mich nicht, ich kann das<br />

nicht. Dann probierst du es auch nicht […]. Es ist immer so zu sagen: Probieren<br />

wir es!« (KLerD, 771f.)<br />

Notwendige bzw. schonende Relativierungen der Glaubenssätze ermöglichen einen<br />

Zugewinn an Vertrauen in die eigenen Fähigkeiten. Eine Kursleiterin bezieht<br />

sich beispielsweise auf anspruchsvolle Schriftstücke (u.a. juristische Texte wie<br />

Verträge oder Grundbuchauszüge), die von den Teilnehmenden in den Kurs mitgebracht<br />

werden:<br />

»Das ist ganz wichtig, dass da jemand ist, der mit ihnen das liest und der [sagt]: Hören Sie,<br />

das verstehe ich auch nicht. Oder: Das ist Juristendeutsch und machen Sie sich nichts draus,<br />

dass Sie das nicht verstehen. Oder: Paragraph so und so, das lassen wir jetzt aus, wir wissen<br />

eh nicht, was das alles heißt, und dann lesen wir beim Text weiter […]. Ja, was kann ich alles<br />

auslassen, was ist unnötig« (KLinB, 473-478)<br />

Indem sie selbst zugibt, nicht alles verstehen zu können (»Juristendeutsch«), stärkt<br />

sie die Teilnehmenden. Sie lenkt die Aufmerksamkeit auf das zu Verstehende und<br />

verweist somit auf eine Strategie des sinnerfassenden Lesens anspruchsvoller Texte.<br />

Oft begegnet in der Zielgruppe auch die fälschliche Überzeugung und falsche<br />

Selbsteinschätzung, überhaupt nicht lesen zu können. Ein Teilnehmer etwa war offenbar<br />

zu der Überzeugung gelangt, nicht lesen zu können, weil er mit der Art von<br />

Büchern, die eine Bezugsperson in seinem nahen Umfeld bevorzugt, nichts anfangen<br />

kann. Als er in der Basisbildungseinrichtung erzählt, wie er mit Hilfe der Bedienungsanleitung<br />

ein technisches Gerät installiert und in Betrieb genommen hat,<br />

signalisiert die Reaktion der anwesenden Kursleiterinnen Anerkennung und hilft so<br />

den dahinter stehenden falschen Glaubenssatz zurechtzurücken:<br />

»Und wir […] sind da gesessen und haben gesagt: Hören Sie, das könnten wir nicht! Ja, das ist<br />

ein Text, der uns nichts sagt. Wir könnten den nicht sinnentnehmend lesen, ja. Aber er hat geglaubt,<br />

er muss so Bücher lesen wie sein Bruder.« (KLinB, 259ff.)<br />

- 227 -


Ein weiterer Teilnehmer, der davon überzeugt war, nicht lesen zu können, machte<br />

während einer ganzen Kurseinheit Grammatikübungen und musste von der Kursleiterin<br />

explizit darauf aufmerksam gemacht werden, dass er beim Üben gleichzeitig<br />

hat lesen müssen, also zweifelsohne lesen kann:<br />

»Dann habe ich gesagt: Schauen Sie einmal her, was Sie heute gelesen haben! Da hat er einen<br />

Packen Zettel gehabt von dem einen Vormittag. Er hat Grammatik gemacht. Er hat gar nicht<br />

bemerkt, dass er liest, ja. Und oft geht es nur darum, dass man die Leute aufmerksam macht<br />

[…].« (KLinB, 271-274)<br />

Beim Lerninhalt Computer-Bedienung setzt Kursleiterin F gezielt die Information,<br />

dass es durchaus üblich ist, Lernschritte wiederholt zu vollziehen, um das Gelernte<br />

durch Übung zu festigen. Die Wiederholung von Lernschritten als Selbstverständlichkeit<br />

im menschlichen Lernen darzustellen, ist ein wichtiger Schritt bei der Bearbeitung<br />

von hemmenden Glaubenssätzen. Denn die Teilnehmerin »[…] glaubt,<br />

sie ist dann halt sehr blöd, weil sie sich das noch immer nicht gemerkt hat« (KLinF,<br />

102f.).<br />

Bezogen auf den Lerninhalt Rechtschreibung nennt die Kursleiterin einen weit verbreiteten<br />

hinderlichen Glaubenssatz, nämlich die Überzeugung, »dass man alles<br />

hören kann« (KLinF, 157), d.h., hören kann, wie ein Wort geschrieben wird, bzw.<br />

umgekehrt, dass falls ein Wort falsch geschrieben wurde, »ich höre es nicht oder<br />

ich bin dumm« (KLinF, 135). Das Bewusstmachen dieser falschen Überzeugung<br />

ermöglicht das Setzen eines Lernschrittes, denn »[…] manches muss man lernen<br />

wie eine Fremdsprache« (KLinF, 136f.).<br />

Humor ist ebenfalls eine Möglichkeit, um Glaubenssätze in Frage zu stellen und<br />

dadurch Muster zu verändern. Dabei ist es wichtig abzuschätzen, welchen Teilnehmenden<br />

diese humorvolle Kritik zugemutet werden darf:<br />

»Also, dass wir das auch oft so humorvoll nehmen können […]. Ja, ich kann mir nichts merken<br />

und das. Und ich sage dann: Ja, he, das ist jetzt aber eine gute Ausrede! Also und ich merke<br />

dann auch oft, dass sie sich so ein bisschen ertappt fühlen: Aha, den Schmäh kann ich jetzt<br />

nicht mehr erzählen!« (KLinG, 674ff.)<br />

Die Entkräftung der Glaubenssätze und die nachhaltige Stärkung der Teilnehmenden<br />

nehmen längere Zeit in Anspruch, denn die Glaubenssätze tauchen immer wieder<br />

auf.<br />

»[…] immer wieder kommt es heran. Ja, das weiß ich ja schon, dass das immer wieder kommt<br />

und dann zähle ich einfach auf, ganz, wie es halt ist, was alles gelernt wurde. Also, einfach<br />

meine Sicht der Tatsachen […] und das ist vielleicht auch interessant, ja, dass ja was passiert<br />

ist.« (KLerC, 404-409)<br />

- 228 -


Die Übernahme einer anderen Sichtweise auf das eigene Lernen – dass nämlich die<br />

Kursleitenden bereits erfolgte Lernschritte wahrgenommen haben, diese rekapitulieren<br />

können und positiv bewerten – muss von den Teilnehmenden erst nach und<br />

nach in ihre Selbstwahrnehmung integriert werden. Die folgende Aussage verdeutlicht<br />

eine sinnvolle Haltung eines Kursleitenden zu den sich selbst abwertenden<br />

Aussagen der Teilnehmenden: »Aber das geht bei mir nicht rein (lachend)! Wenn<br />

sich jemand so herabsetzt, ja, dann macht mir das Spaß ihm zu zeigen, dass es auch<br />

das Gegenteil gibt.« (KLerC, 420f.)<br />

Personen mit Basisbildungsbedarfen/-bedürfnissen erleben mitunter ein Gefühl der<br />

Unterlegenheit, weil sie sich im Vergleich zu anderen Personen aus ihrem Umfeld<br />

als defizitär wahrnehmen: »die anderen SIND einfach besser, wenn sie DAS [die<br />

Kulturtechniken] besser können« (KLinF, 300f.). Dieses gefühlte Defizit identifiziert<br />

Kursleiterin F als einen generellen defizitären Tunnelblick, der derzeit in unserer<br />

Gesellschaft vorherrscht:<br />

»[…] also das wirklich zu glauben: Ich bin ein toller Mensch, auch wenn ich DAS nicht so<br />

gut kann. Das sitzt ganz, ganz tief. Und weil wir halt in unserer Gesellschaft uns ja auch mit<br />

dem […] was wir nicht können und diese Leistung, die irgendjemand irgendwo NICHT bringt,<br />

mehr anprangern als […] dieses Anerkennende.« (KLinF, 314-317)<br />

Sie spricht damit implizit den Ansatz der Ressourcenorientierung an. Gemeinsam<br />

mit den Teilnehmenden versucht sie einen kritischen Blick auf gesellschaftliche<br />

Zuschreibungen, die weniger die Ressourcen und mehr die Schwächen fokussieren,<br />

zu entwickeln: »Und das sitzt so tief. Ich meine, so total therapeutisch arbeiten<br />

wir ja nicht und trotzdem glaube ich, dass es […] heilsam ist. […] Und heilend zu<br />

erfahren, es gibt diese […] Zuschreibungen.« (KLinF, 302-305)<br />

Glaubenssätze können auf der Übernahme von im gesellschaftlichen Bewusstsein<br />

verankerten Überzeugungen beruhen:<br />

»Wenn dann jemand merkt, dass es ihm zu langsam geht […] vor allem bei älteren Menschen.<br />

Dann verwende ich das schon als Argument, um da die Motivation anzufeuern. Dass ich sage:<br />

Das hat mit dem Alter nichts zu tun. […] Also das ist so eine, eine heilige Lüge. Nennen wir<br />

es einmal so. […] und nehme sogar Wissenschaft und so zur Hilfe und sage: Die haben gesagt,<br />

dass das vom Alter unabhängig ist und so weiter. Wobei ich persönlich nicht daran glaube,<br />

weil ich schon merke, man ist durch das Alter, irgendwie, man wird da unbeweglicher. […] so<br />

habe ich es beobachtet.« (KLerD, 486-495)<br />

Die so genannte »Adoleszenz-Maximum-Hypothese«, sprichwörtlich gefasst in<br />

»was Hänschen nicht lernt, lernt Hans nimmermehr«, wurde bereits verworfen.<br />

Heute wird von der Lernfähigkeit bis ins hohe Lebensalter ausgegangen. In der beschriebenen<br />

Episode setzt der Kursleiter die »heilige Lüge«, dass Lernfähigkeit<br />

unabhängig vom Lebensalter sei, als einen motivierenden Befund ein. Die Beob-<br />

- 229 -


achtung des Kursleiters, dass es vielfach älteren Teilnehmenden tatsächlich schwerer<br />

fällt, sich Inhalte anzueignen, und ihre Lernprozesse mitunter länger dauern,<br />

lässt Rückschlüsse auf die weitgehend fehlende Bildungspraxis zu und weniger auf<br />

ihr höheres Lebensalter. Erwachsene, die selten oder nie an Weiterbildungsangeboten<br />

teilnehmen, müssen als weiterbildungsungewohnt betrachtet werden (wenn<br />

Weiterbildung als Systembegriff verstanden wird). Erwachsene, die solcherart Bildungsbenachteiligung<br />

erfahren haben, verfügen über wenig positive Erfahrungen<br />

mit Lernaktivitäten, die an Institutionen gebunden sind/waren. Ihre Lernfähigkeit<br />

wurde nicht ausreichend gefördert und konnte daher auch nicht gedeihen. Im Basisbildungskurs<br />

wird diese Benachteiligung für die älteren Teilnehmenden deutlich<br />

sichtbar und wahrnehmbar.<br />

5.2.3 Kultur der Anerkennung leben<br />

Anerkennung und Lob zu erfahren, sind gewichtige Formen der Stärkung. Diese<br />

beruhen auch, aber nicht nur auf unmittelbar erzielte Lernfortschritte (siehe dazu<br />

Abschnitt 5.2.4).<br />

Kursleiterin H sieht im Kurs für ihre großteils erwerbsarbeitslosen Teilnehmenden<br />

auch ein deren Alltag strukturierendes Element – »für viele Leute die einzigen<br />

zwei Fixtermine, die sie in der Woche haben« (KLinH, 132f.). Sie legt Wert auf<br />

Pünktlichkeit und eine kontinuierliche Teilnahme; die erfolgreiche Einhaltung dieser<br />

Regeln wird von ihr honoriert, d.h., durch Anerkennung positiv verstärkt. Diese<br />

von ihren Teilnehmenden erbrachten Leistungen (Pünktlichkeit und kontinuierliche<br />

Teilnahme) bringt sie zudem mit einem Zugewinn an Selbstständigkeit in Verbindung<br />

(vgl. KLinH, 422-432).<br />

»[…] wir sind auch streng, gell. Also es gibt gewisse Regeln bei uns. Also, es gibt kein Zuspätkommen<br />

oder es gibt kein äh, unentschuldigtes Fehlen. Sie müssen anrufen, wenn sie nicht<br />

kommen – das ist kein Problem. Und ich denke mir, alles das äh, ja, macht sie selbstständiger<br />

und macht sie autonomer.« (KLinH, 423-426)<br />

So ermöglicht der Kurs eine sinnstiftende Form von Tätig-Werden und offeriert<br />

eine Struktur für Menschen, die von Erwerbsarbeitslosigkeit betroffen sind.<br />

Allein vorhandene Stärken der Teilnehmenden wahrzunehmen, wie beispielsweise<br />

ein gutes Gedächtnis oder ein gutes räumliches Vorstellungsvermögen (vgl. KLinB,<br />

226-236), sie darauf aufmerksam zu machen und dadurch vorhandene Stärken als<br />

bedeutsam hervorzuheben, wirkt schon anerkennend: »Und das ist ein ganz behutsamer<br />

und beständiger Tropfen, der da den Stein höhlt, weil einfach […] der<br />

Selbstwert DERARTIG untergraben ist ein ganzes Leben lang.« (KLinB, 239ff.)<br />

Eine solche Kultur der Anerkennung wird von Kursleiterin F bewusst gelebt und<br />

gefördert, und zwar als Gegenpol zu der in unserer Gesellschaft weitaus üblicheren<br />

- 230 -


Fokussierung auf Defizite (vgl. KLinF, 300-317; siehe dazu Abschnitt 5.2.2). In ihren<br />

Kursen spannt sie einen Raum auf, in dem Anerkennung und Lob gezielt ausgesprochen,<br />

aber auch angenommen werden können: »[…] zum Schluss, diese Geschenke,<br />

die man verbal so austeilt, die sind was ganz Kostbares auch. Oder ganz<br />

zum Schluss, wenn ich weiß, dass jemand geht, machen wir das schriftlich und<br />

das wird dann überreicht und so.« (KLinF, 318ff.) Als einer ihrer Teilnehmer ein<br />

Wort erfindet, das einen Handlungsablauf in seiner beruflichen Tätigkeit präzise<br />

beschreibt – er hatte begonnen, Tagebuchaufzeichnungen anzufertigen und diese in<br />

den Kurs mitzubringen –, bringt sie diesem Wort Anerkennung entgegen und würdigt<br />

es (vgl. KLinF, 376-383). Sie bestätigt sein kreatives Potenzial und hebt dadurch<br />

seine Selbstständigkeit in der Wortfindung hervor. In einem weiter gefassten<br />

Sinn kann ihr Lehrhandeln daher als Stärkung der Selbstbestimmung dieses Teilnehmers<br />

gesehen werden.<br />

Die in den untersuchten Einrichtungen gelebte Kultur der Anerkennung wird auch<br />

darin sichtbar, dass die Kursleitenden einander die Erfolge und Lernfortschritte ihrer<br />

Teilnehmenden mitteilen: »Also es wird bei uns dann im Team gesagt: Mein<br />

Teilnehmer hat den Staplerschein oder so geschafft.« (KLinH, 681f.)<br />

Lob ist eine spezifische Form der Anerkennung, die selbstverständlicher Teil des<br />

Lehrhandelns ist. Es mag beispielsweise überraschen, dass sich viele Teilnehmende<br />

im Umgang mit Lernsoftware – viele dieser Programme wurden für Kinder konzipiert;<br />

erwachsenengerechte Programme sind (noch) selten – durch kindliche Features,<br />

die nicht zur Gänze weggeschaltet werden können (z.B. eine Eule, die Lob<br />

ausspricht), nicht gestört fühlen. Viele Teilnehmende finden diese Features amüsant,<br />

und Kursleiter D mutmaßt, dass das Lob (der Eule) als stärkend empfunden und daher<br />

gerne gesehen und gehört wird (vgl. KLerD, 653-675). Kursleiterin H bringt die<br />

Freude an kleinen kindlich anmutenden Belohnungen mit der gefühlsbetonten Kompensation<br />

vergangener leidvoller Erfahrungen im Sinne einer tatsächlichen Wiedergutmachung<br />

in Verbindung:<br />

»Das ist vielleicht irgendwie das doch noch Kind im Teilnehmer, das gelobt werden will,<br />

weißt. Also wenn die einen schönen Stern kriegen, dann freuen sie sich […]. Und da denke<br />

ich mir: Okay, vielleicht hat ihnen die Volksschullehrerin niemals ein Sternchen ins Heft gepickt.«<br />

(KLinH, 350-353)<br />

Nichtsdestotrotz ist die Aufmerksamkeit der Kursleitenden gefragt: Wenn Teilnehmende<br />

eine Lernsoftware als zu kindisch oder als unpassend empfinden, dann sollten<br />

situativ andere Lernmaterialien angeboten bzw. bereitgestellt werden (vgl. KLinH,<br />

353-357). Dass Basisbildungsteilnehmende aufgrund ihrer lebensgeschichtlichen<br />

Erfahrungen offenbar vielfach ein großes Bedürfnis nach Anerkennung und Lob haben,<br />

scheint folglich eine unbeirrbare Feststellung zu sein. 175<br />

Ein weiterer Aspekt im Zusammenhang mit der gelebten Kultur der Anerkennung<br />

ist die den Kursleitenden entgegengebrachte Anerkennung. Offensichtlich erken-<br />

- 231 -


nen Teilnehmende den Wert der von den Kursleitenden geleisteten Arbeit an, würdigen<br />

die Lernmöglichkeit und bringen insgesamt ihre Wertschätzung zum Ausdruck:<br />

»(K) […] vor allem sind das dann Menschen, die schon ein bisschen älter sind. Also so ein<br />

bisschen älter unter Anführungszeichen […] die so in den 30ern oder in den 40ern sind. Da ist<br />

dann schon so mehr Biss da. Und vor allem da ist auch immer wieder so eine Würdigung von<br />

dem Ganzen. Was mir gesagt wird auch so, indem sie sich bedanken und so weiter, was ich von<br />

den anderen eigentlich fast nie erlebe, gell so. Ist für mich in Ordnung. Ich kann es nur beobachten.<br />

Weil ich es auch verstehe.<br />

(I) Also dann sind es eher die Jüngeren, die aus den Projekten geschickt werden<br />

(K) Ja, ja.<br />

(I) Und, oder auch von den Eltern zum Teil<br />

(K) Ja, ja.<br />

(I) Und hast Du Fantasien dazu, woher dieser Biss kommt Also da, da ist ja offensichtlich ein<br />

großer Unterschied<br />

(K) // Das ist vielleicht einfach nur so ein Bewusstwerden davon, dass da irgendetwas nicht gelernt<br />

worden ist, was man aber eigentlich doch brauchen könnte. Und dass diese Dinge doch<br />

einen Wert haben. So ein gewisses Wissen und Können und so in dem Bereich also. Ich meine,<br />

dass das einfach einen Wert hat, ja. Dass es wichtig ist. Das fehlt nämlich den Jüngeren meistens<br />

sehr stark.« (KLerD, 413-430)<br />

Für diese Form der Wertschätzung scheint ein etwas höheres Lebensalter und somit<br />

ein Mehr an Lebenserfahrung Voraussetzung zu sein. Jüngeren Teilnehmenden<br />

fehlt offenbar (noch) eine Vorstellung davon, was es bedeuten kann, stillschweigend<br />

vorausgesetzte Fähigkeiten und Fertigkeiten nicht im durchschnittlichen Umfang<br />

zu beherrschen.<br />

5.2.4 Lernfortschritte wahrnehmen<br />

Teilnehmende an Basisbildungskursen leiden nicht selten unter einem selbst auferlegten<br />

Leistungsdruck: »Ich muss jetzt gleich und alles gleich sofort können.<br />

Das ist Blockade pur.« (KLerC, 216f.) Dieser selbst erzeugte Leistungsdruck kann<br />

durch die entsprechende Haltung gemildert werden:<br />

»[…] das ist immer so das Thema dann – Lernfortschritte […]. Da merke ich, das ist für mich<br />

dann nicht so wichtig. Das erste ist mir immer das, dass sich der oder die, der da kommt, sich<br />

auch wohl fühlt. Das ist einmal Grundvoraussetzung, der soll mal das Gefühl haben, okay, da<br />

passt es. Also nicht irgendwie das Gefühl kriegen, da muss ich jetzt was leisten. Oder da muss<br />

ich was bringen. Einfach einmal so angenommen werden.« (KLerD, 107-111).<br />

- 232 -


Frustrationen durch Überforderung werden vermieden, das Ansinnen ist es ja zu<br />

stärken – »dass auch was funktioniert und an dem dann aufzubauen« (KLerD,<br />

563). Treten etwa bei einem Lernschritt, beispielsweise beim Multiplizieren, Verständnisschwierigkeiten<br />

auf, wird unmittelbar reagiert und der Wechsel zu einem<br />

anderen Inhalt, vorzugsweise aus dem Bereich Deutsch, gesteuert und vollzogen<br />

– »WEG vom Thema« (KLerD, 292). In der nächsten Einheit wird beim Multiplizieren,<br />

und zwar etwas unterhalb des zuletzt bearbeiteten Niveaus wieder fortgesetzt<br />

(vgl. KLerD, 286-293). Eine andere Möglichkeit in einer solchen Situation ist<br />

es, die Teilnehmenden aufzufordern, eine Pause zu machen (vgl. KLinF, 151-154).<br />

Beide beschriebenen Vorgehensweisen (gesteuerter Themenwechsel, individuelle<br />

Pause) würden Abläufe in stark formalisierten Lehr-Lern-Settings stören. Durch<br />

die kleinen Gruppen in den Basisbildungskursen ist es jedoch möglich, den Themenwechsel<br />

zu vollziehen oder nach der Pause den Wiedereinstieg zu gestalten.<br />

Lernerfolgserlebnisse werden bewusst zur Stärkung genutzt. Die Verdeutlichung<br />

von Lernfortschritten ist ein Beitrag zur Stärkung der Teilnehmenden und ermöglicht<br />

ein wachsendes Maß an Selbstbestimmung im Lernprozess. Dieser Mechanismus<br />

ist wohl bekannt und wurde von Albert Bandura als Selbstwirksamkeit<br />

definiert. »Selbstwirksamkeit ist die Überzeugung, dass man in einer bestimmten<br />

Situation angemessene Verhaltensresultate erzielen kann.« (Zimbardo/Gerrig<br />

2004: 629) Das jeweils individuelle Gefühl der Selbstwirksamkeit hat Einfluss auf<br />

Wahrnehmungen, Motivation und Leistungen (vgl. ebd.). »Durch das Setzen erreichbarer<br />

Ziele, die Entwicklung realistischer Strategien zu ihrer Erreichung und<br />

die realistische Bewertung von Rückmeldungen entwickelt man ein Gefühl des<br />

Könnens und der Selbstwirksamkeit.« (ebd.: 728) Es ist unerlässlich, dass die Teilnehmenden<br />

Vertrauen in ihre eigenen Fähigkeiten entwickeln. Dazu müssen von<br />

den Kursleitenden individuell angemessene Lernschritte ermöglicht werden. Voraussetzung<br />

hierfür ist, dass sie die Teilnehmenden mit ihren Stärken und eben auch<br />

ihren Schwächen sehr gut kennen. Unter Berücksichtigung von bereits vorhandenen<br />

bzw. erarbeiteten Fähigkeiten und Fertigkeiten wird überlappend bzw. direkt an<br />

diese angeschlossen, um darauf aufbauend weitere Lernschritte gestalten zu können,<br />

worauf sich Lernerfolge einstellen können (vgl. KLerD, 561-566). Es scheint<br />

wichtig zu sein, »dass man ihnen echt immer zeigt: He du, und das KANNST du,<br />

ja. […] und sie sich wo drüber trauen, wo sie sich vorher NICHT drüber getraut haben.«<br />

(KLinA, 559-561)<br />

Das scheinbar banale Selbstverständnis, dass über das Ermöglichen und Anerkennen<br />

von Lernfortschritten eine Erhöhung der Selbstwirksamkeit erzielt werden<br />

kann, ist für Erwachsene, die Bildungsbenachteiligung erfahren haben, von immenser<br />

Wichtigkeit. Beispielsweise erläutert Kursleiterin G, wie durch die gezielte<br />

Bearbeitung von Rechenaufgaben, an denen die Teilnehmerin bei einem Aufnahmetest<br />

gescheitert war, in einem notwendigen ersten Schritt die Stärkung durch<br />

das Sichtbarwerden der eigenen Lernfähigkeit, die nun einen positiven Kontrast zu<br />

der negativen Erfahrung des schlechten Abschneidens darstellt, erfolgt: »[…] aber<br />

- 233 -


es geht ja DOCH, wenn ich mir das jetzt im Vorfeld einmal anschaue: Wie funktioniert<br />

das, die Fläche von einer Mauer auszurechnen und wie viel Farbe brauche<br />

ich dann« (KLinG, 93ff.) Stärkung zu erzielen, bedeutet in der Basisbildungsarbeit<br />

vielfach, in einem ersten Schritt bislang erlebte Schwächen zu bearbeiten.<br />

Eine Kursleiterin beschreibt als ihre wichtigste Eigenschaft die »Begeisterung für<br />

alles, was an Lernfortschritten kommt« (KLinB, 95f.). Diese Begeisterung ist nur<br />

möglich, wenn die Fähigkeit zur Perspektivenübernahme gegeben ist, wenn also<br />

die Leistungen der Teilnehmenden wahrgenommen und gewürdigt werden können:<br />

»Weil jemand, der jetzt zusammenlauten lernt, ja. Das was für mich selber einfach<br />

kein Problem ist, mag für den ein immenser Weg sein, bis er dort hinkommt.«<br />

(KLerD, 477ff.) Es ist diese achtsame Haltung, die es ermöglicht, alle Lernschritte<br />

uneingeschränkt anzuerkennen:<br />

»[…] dass man auch diese kleinen Sachen anerkennt. Weil für diese Leute sind das keine kleinen,<br />

für uns sind das kleine Dinge, aber für jemanden, der langzeitarbeitslos ist, irgendwohin<br />

pünktlich zu kommen […] die schaffen das oft nicht. […] Und dass man da sagt: Okay, für<br />

den ist das total schwierig und für den ist es eine super Leistung. Und das sage ich ihm auch.«<br />

(KLinH, 427-432)<br />

Ein Bestandteil jedes Lehr-Lern-Settings ist es, die erzielten Lernergebnisse zu bewerten<br />

(Stichwort: Evaluation), wobei diese Bewertung zu unterschiedlichen Zeitpunkten,<br />

mit unterschiedlichen Methoden und Instrumenten, in unterschiedlicher<br />

Breite und Tiefe etc. vorgenommen werden kann. In Basisbildungskursen ist die<br />

kontinuierliche, fast permanente und prozessorientierte Spiegelung der Lernfortschritte<br />

ein wichtiger Weg zur Stärkung der Teilnehmenden und ein essenzieller<br />

Beitrag zur Förderung des selbstbestimmten Lernens, weil dadurch Lernprozess<br />

und Lernstand bewusst gemacht und somit nachvollziehbar werden: »ich mache<br />

sie absichtlich darauf aufmerksam, damit sie merken, was sich verändert hat bei<br />

ihnen« (KLinB, 496f.). Diese prozessorientierte Spiegelung vollzieht sich oftmals<br />

spontan und basiert auf der achtsamen Haltung und der vorhandenen Bindung:<br />

»[Ein Teilnehmer] war in Polen und ist dort auf den Friedhof gegangen und hat dort Grabsteine<br />

gelesen, und hat dort so, so irgendwie die Geschichte von diesem Ort rekonstruiert. Anhand<br />

von den Grabsteinen und dass da ganze Gedichte drauf waren auf Deutsch bei manchen<br />

Grabsteinen und so. Also, das ist unwahrscheinlich. Also, habe ich gesagt: Hören Sie, das hätten<br />

Sie vor einem Jahr noch nicht gemacht! Und das ist ihm gar nicht aufgefallen. […] Also,<br />

das ist ihm gar nicht aufgefallen, was, was für eine Errungenschaft das ist. Er hat da in Polen<br />

äh, Grabsteine studiert, ja!« (KLinB, 380-387)<br />

Es wird als Aufgabe gesehen, den Teilnehmenden die vollzogenen Lernprozesse<br />

bewusst zu machen. Das eigenständige Wahrnehmen der Lernschritte und damit<br />

verbunden die Anerkennung der eigenen Lernerfolge ist für die Teilnehmenden<br />

- 234 -


ein eigener Lernprozess im Kontext der Entwicklung ihrer Lernkompetenz. Dieser<br />

Lernschritt wird begleitet:<br />

»[…] aber dass ihnen also wirklich bewusst wird, was haben sie gemacht, ja. Und wenn sie<br />

das nicht sagen können, dann sage ich vielleicht auch: Okay, wir haben das so und so – also<br />

sozusagen dieses Drüberschauen, was war das Das muss dann oft angesprochen werden, ja.«<br />

(KLinF, 114-117)<br />

Es wird danach gestrebt, diese Spiegelung nach Möglichkeit gemeinsam mit den<br />

Teilnehmenden vorzunehmen: »[…] was war jetzt Und passt das jetzt Und wie<br />

gehen wir nächstes Mal weiter So ein bisschen eine Abrundung.« (KLinG, 380f.)<br />

Das ermöglichende Gestalten von Lernprozessen und das kontinuierliche Bewusstmachen<br />

von Lernfortschritten und Lernerfolgen sind wesentliche Aspekte der Stärkung<br />

der Teilnehmenden. In einer der untersuchten Basisbildungseinrichtungen<br />

gibt es beispielsweise ein Medium, in dem von den Teilnehmenden verfasste Texte<br />

veröffentlicht werden (vgl. KLinI, 383-387). Dieses Medium ermöglicht die Sichtbarkeit<br />

und somit die Anerkennung von Lernfortschritten und Leistungen über den<br />

unmittelbaren Kursraum hinaus.<br />

5.2.5 Förderung der Lernprozesse<br />

In diesem Abschnitt geht es um jene Beiträge, die Kursleitende zur Förderung der<br />

Lernprozesse bildungsbenachteiligter Personen mit Bildungsbedarfen/-bedürfnissen<br />

leisten (können). Dabei handelt es sich zum einen um die Förderung ihrer Lernfähigkeit<br />

im Prozess, zum anderen um die gemeinsame Entwicklung der Lerninhalte,<br />

über die sich das Lernen vollzieht. Folgende spezifischen Handlungs- und Deutungsmuster<br />

wurden sichtbar und gebündelt: das Ermöglichen innerer Gewissheit über die<br />

gemeinsam bestimmten Lerninhalte und das Herstellen von Verbindlichkeit, die Förderung<br />

der Eigenständigkeit im Lernen, die Erweiterung der Lerninhalte, das Setzen<br />

von Interventionen sowie das Festlegen von Themen und das Vorgeben von Inhalten.<br />

Innere Gewissheit über Lerninhalte ermöglichen und Verbindlichkeit herstellen<br />

In einer der untersuchten Einrichtungen wird im Rahmen der Basisbildungskurse<br />

ein Abklärungsverfahren in der Anfangssituation realisiert, um die individuellen<br />

Bedarfe der/des Teilnehmerin/Teilnehmers zu erheben. Nach der Durchführung eines<br />

Lerntypentests und der gemeinsamen Klärung der Ergebnisse werden diese in<br />

Form einer Mind-Map als Visualisierung des individuell vereinbarten Lernplans<br />

festgehalten (vgl. KLinH, 272-298):<br />

»[…] deswegen haben wir ja eine relativ lange Einzelberatungsphase, wo wir wirklich auch<br />

schauen, dass wir eine gescheite Abklärung machen. Und wo es halt wirklich hapert. Und also<br />

- 235 -


wir machen zu dem Thema auch immer wieder Fortbildungen. Wie kann ich das wirklich abchecken<br />

Wo der steht und was der wirklich braucht Und, und so schätzen wir ihn halt ein.<br />

Wir erstellen dann einen Lernplan, zusammen mit dem Teilnehmer, ob das wohl okay ist für<br />

ihn, dass wir das halt machen. Also wir glauben, das und das braucht er. Und das schaut dann<br />

so aus wie ein Mind-Map. Und nach dem arbeiten wir dann.« (KLinH, 283-290)<br />

Von außen betrachtet handelt es sich hierbei um eine methodisch formalisierte Abklärung<br />

und um die Erstellung eines individuellen Arbeitsplans (Lehr-Lern-Plan)<br />

vor Beginn der eigentlichen Lehr-Lern-Aktivitäten.<br />

In der zweiten Einrichtung findet sich eine Form des Lehrhandelns, das als ein kontinuierlicher<br />

Abstimmungs- und Aushandlungsprozess interpretiert werden kann.<br />

Es ist das, wie die befragten Kursleitenden beschreiben, eine gemeinsam mit den<br />

Teilnehmenden permanent vorgenommene Sicherstellung der Lerninhalte. Kursleiterin<br />

F erläutert den vorbereitenden Prozess, in dem den Teilnehmenden verdeutlicht<br />

wird, dass ihre Anliegen und Ziele Ausgangspunkte des Lehrhandelns sind:<br />

»Also sozusagen: Wie kommt es zu dem, selbst klar zu werden, was ich möchte<br />

Also, deswegen passiert oft im Vorfeld so viel, ohne dass da jetzt sehr viele Ergebnisse<br />

sind, und das sind trotzdem Ergebnisse.« (KLinF, 442-445) Grundsätzlich<br />

wird das individuelle Entwicklungstempo beachtet: »[…] warten zu können,<br />

bis bei den Teilnehmenden einfach die Entwicklung anspringt. […] Also da nicht<br />

irgendwie zu viel insistieren oder antreiben wollen. Weil ja eben jeder, jede Teilnehmende<br />

ihre eigene Geschwindigkeit, ihren eigenen Rhythmus hat.« (KLerC,<br />

58-61)<br />

In der Anfangssituation werden von den Teilnehmenden zumeist allgemeine Wünsche<br />

als Anliegen formuliert. Das Anknüpfen an solche groben Interessensbekundungen<br />

ermöglicht erste Lernschritte:<br />

»[…] diese Überthemen. Ja, ich möchte Lesen lernen oder ich möchte Schreiben. Oder ich<br />

möchte Mathe machen. Also wirklich so ganz übergeordnet, wo sie immer halt zuerst dann<br />

wirklich einmal suchen müssen, in welche Richtung geht das aber jetzt. Und es ist dann auch<br />

oft so, dass sie von selber nicht unbedingt wissen, in welche Richtung geht es jetzt genau, sondern<br />

wo ich dann oft so schauen muss, ja, wo sind die Anknüpfungspunkte« (KLinG, 598-<br />

603)<br />

Die verantwortungsvolle Begleitung der/des Teilnehmerin/Teilnehmers bei ihrer/<br />

seiner Suche nach konkreten Lerninhalten in dieser Phase schafft die Grundlage<br />

für weitere Lernprozesse. Kursleiterin G bemerkt zu dem Versuch der gemeinsamen<br />

Konkretisierung individueller Lernanliegen:<br />

»[…] die eigentlich immer glauben: Na, du musst mir das geben, was ich brauche, weil ich weiß<br />

es ja nicht, ich weiß nicht, was es alles zum Lernen gibt. Und ich dann trotzdem das immer wieder<br />

zurückzugeben versuche und zu schauen versuche: Ja, was ist es denn WIRKLICH […]<br />

- 236 -


Und es ist wirklich oft so, dass sie einfach nicht wissen, wo anfangen. Und das ist auch bei den<br />

Jugendlichen so: Ja, ich möchte Mathe lernen. Ja, aber WAS Und für was brauchst du es Und<br />

wo hast du früher schon einmal Schwierigkeiten gehabt« (KLinG, 99-106)<br />

Ein solches dialogisches Verfahren stellt an die Kursleitenden und die Teilnehmenden<br />

gleichermaßen gewisse Anforderungen (z.B. aufmerksames Zuhören, gegenseitige<br />

Wertschätzung und eine Vertrauensbasis). Im Lehr-Lern-Prozess werden dann<br />

gegebenenfalls weitere Abstimmungsprozesse vorgenommen, um individuell sinnvollen<br />

Lerninhalten auf die Spur zu kommen:<br />

»Und bei denen, die es nicht so wissen, ist es auch oft längere Zeit sowieso, dass es nicht von<br />

ihnen direkt kommt, sondern dass ich einfach merke, aha, da ist es jetzt. Und da rede ich dann<br />

mit ihnen drüber […]: Passt das jetzt und bringt dir das was, glaubst […] Und da geht es dann<br />

schon ein bisschen so in die Richtung, dass was zurückkommt ganz einfach und dass ich dann<br />

merke, okay, ja, das passt jetzt.« (KLinG, 630-634)<br />

Fallweise wird auch, allerdings immer in Abstimmung, in Rücksprache oder Rückkoppelung<br />

mit den Teilnehmenden, eine Ausweitung der gemeinsam festgelegten<br />

Lerninhalte vorgenommen – hierbei handelt es sich demgemäß um einen Abstimmungsprozess:<br />

»Und wenn ich merke, dem oder der ist das wichtig, dann bin ich schon, also da fordere ich<br />

auch ein bisschen was. Wenn ich merke, das kann der oder die brauchen. Wenn es hilfreich ist,<br />

dann mache ich es. Aber wenn ich merke, es bringt nichts oder es ist nicht wichtig jetzt für die<br />

Person, dann lasse ich es völlig.« (KLerD, 117-120)<br />

Einem konkreten Lernziel kann ein weiterer Lernanlass innewohnen: Die Vorbereitung<br />

auf den Erwerb des Führerscheins beispielsweise erfolgt aufgrund der Prüfungsanforderungen<br />

bereits im Basisbildungskurs computergestützt. So vollzieht<br />

sich ein doppeltes, gleichzeitiges Lernen: Das eigentliche Lernziel Führerschein<br />

wird notwendig und sinnvoll erweitert um das Erlernen ausreichender Fähigkeiten<br />

zur Computer-Bedienung. Begleitet kann so Neues nebenher erarbeitet werden:<br />

»Dass einfach etwas nebenher läuft und das geht gut, wenn sie sehen, dass es wichtig ist. […]<br />

wenn sie gleich fragen können und sofort Feedback kriegen: Ah, wie geht das Und da kenn<br />

ich mich aus und so. Also gleich, das ist ganz wichtig. Nicht auf irgendwann verschieben und<br />

das lernen wir später. Gleich jetzt!« (KLerC, 148-151)<br />

Ein Ausschlussverfahren kann ebenfalls hilfreich sein, um Lerninhalte in der Anfangssituation<br />

gemeinsam sicherzustellen. Sind Nicht-Ziele eher formulierbar als<br />

Lernziele, lassen sich, wie Kursleiterin G erläutert, mögliche Lerninhalte aus diesen<br />

Nicht-Zielen herausschälen:<br />

- 237 -


»Weil da sind oft Leute, die am Anfang ÜBERHAUPT keine Idee haben, was ihnen selber irgendwie<br />

helfen könnte. Und dann alleine das, dass sie sagen: Das interessiert mich aber jetzt<br />

überhaupt nicht. Das ist schon irgendwie ein großer Fortschritt, was sie aber nicht so sehen. Was<br />

mir dann halt einfach auffällt.« (KLinG, 164-167)<br />

Kursleiterin H berichtet, dass die Teilnehmenden nach und nach beginnen, weitere<br />

oder vertiefende Lerninhalte zu entdecken und einzufordern: »Und sie kommen<br />

dann eh im Laufe der Zeit: Du, jetzt brauche ich das und das. Oder: Jetzt will ich<br />

das und das haben. Und wir reagieren dann eben drauf.« (KLinH, 586ff.) Von den<br />

Teilnehmenden in den Kurs eingebrachte Lernanliegen können als Ausdruck des<br />

Ziels einer Erweiterung des jeweils individuellen Handlungsspielraumes verstanden<br />

werden. Diese hinzukommenden Lerninteressen resultieren insbesondere aus<br />

alltagspraktischen Anforderungen, die offenbar zunehmend als Lernanlässe wahrgenommen<br />

und daher in den Kurs eingebracht werden. Die Kursleitenden weisen<br />

auch wiederholt darauf hin, dass in den Kursen genau dafür Platz ist und sein<br />

soll, und fragen zu Beginn einer Einheit nach aktuellen Lernanlässen oder Herausforderungen<br />

(z.B. Rechnungen, Briefe) (vgl. z.B. KLerC, 98-103; KLinB, 467f.).<br />

Die Teilnehmenden erfahren durch die Möglichkeit der begleiteten Eigenständigkeit<br />

eine Entlastung: »Im privaten Bereich, dass sie einfach Briefe, die sie bekommen,<br />

selber lesen können, ohne dass sie den Partner fragen müssen. Oder ohne,<br />

dass sie […] die Vertrauensperson, die sie haben, kontaktieren müssen.« (KLinH,<br />

391ff.) Das ist offenbar nicht nur ein Hilfsangebot – Kursleiterin B erzählt nämlich:<br />

»Wenn ich das mache, habe ich das Gefühl, da mache ich eine sinnvolle Arbeit.«<br />

(KLinB, 469) Meines Erachtens macht das den Basisbildungskurs zu einer<br />

institutionalisierten und somit gewissermaßen offiziellen Ausweichmöglichkeit für<br />

die Bewältigung alltagspraktischer Anforderungen.<br />

Auch eine anregende Umgebung kann zu einer Lernaktivität verführen. Eine Kursleiterin<br />

berichtet von einem Teilnehmer, der aufgrund einer schlechten öffentlichen<br />

Verkehrsanbindung immer lange vor Kursbeginn in der Basisbildungseinrichtung<br />

eintraf und die Wartezeit folgendermaßen überbrückte:<br />

»Und das war dann sehr schnell klar, er wird sich dann zum Computer setzen und wird da halt<br />

einfach anfangen zu arbeiten. Und innerhalb von zwei Monaten hat der so schnell geschrieben<br />

[…] zwar nicht 10-Finger-System, das war ihm irgendwie zu heftig, aber er hat die Tastatur<br />

wirklich gut gekannt. […] und einfach dann so seitenlange Geschichten auch geschrieben.<br />

[…] das zu machen und zu formatieren und auszubessern und so, da war so ein richtiger Biss<br />

da.« (KLinG, 311-319)<br />

Kursleiterin A beschreibt, dass vielfach die von ihr angebotenen möglichen Lerninhalte<br />

willkommen aufgenommen werden (vgl. KLinA, 215-220). Vorschläge können<br />

zu einem Aha-Erlebnis führen – »aha, das könnte man ja machen, ja« (KLinA,<br />

217).<br />

- 238 -


Die Entwicklung bzw. Entdeckung inhaltlicher Interessen (Lerninhalte, Lernaktivitäten)<br />

kann auch durch die Beteiligung an Lernschritten anderer Teilnehmer/innen<br />

oder durch deren Beobachtung angestoßen werden:<br />

»Und dann kommt auch die Lust eben auf mehr. Und dann plötzlich sagen sie: Ja eigentlich,<br />

wie geht das eigentlich Die Leute rechnen da immer so untereinander. Und dann kommen sie<br />

drauf, dass das eigentlich eine Erleichterung ist und gar nicht so schwierig, und dann kann man<br />

das halt auch einmal beginnen. Und da schaue ich halt eben, dass das möglichst auch eher von<br />

ihnen kommt, dieser Wunsch.« (KLinE, 554-558)<br />

Dieses Beobachten der erfolgreichen Lernprozesse anderer Teilnehmer/innen kann<br />

den eigenen Ehrgeiz wecken bzw. wird zum Vorbild genommen und lässt eine Erweiterung<br />

der Lerninhalte als erstrebenswert erscheinen. Beispielsweise wird von<br />

der Entdeckung des Computers als Lernmedium und Lerngegenstand berichtet.<br />

»Es kommen dann auch […] viele auf den Geschmack […]« (KLinA, 238). Fallweise<br />

lassen sich also Teilnehmende von anderen Teilnehmenden, die bereits am<br />

und mit dem Computer arbeiten, animieren, es selbst auszuprobieren.<br />

Die gemeinsam von dem/der Kursleitenden und dem/der Teilnehmenden vorgenommene<br />

Sicherstellung der Lerninhalte durch kontinuierliche Abstimmungs- und<br />

Aushandlungsprozesse schafft eine innere Verbindlichkeit. Auf diese innere Verbindlichkeit<br />

kann jedoch auch direkt hingewiesen werden, Kursleiterin F initiiert<br />

und begleitet diesen Prozess:<br />

»Also wir reden eigentlich dann darüber, dass sie sich eine eigene Verbindlichkeit schaffen<br />

können. Dass das wichtig ist. Nicht dass sie kommen, weil ich das will oder weil es den<br />

Kurs gibt, oder so. Sondern dass ich […] sozusagen innerlich vielleicht so etwas wie einen<br />

Vertrag schließe. Und dann schauen wir uns auch immer an […] wie weit ist das realistisch<br />

[…]. Und das muss man halt immer begleiten, immer wieder reflektieren, und nicht nur zum<br />

Schluss, wie wir es müssen, weil ich finde, das Dazwischen ist wichtig für die Teilnehmenden.«<br />

(KLinF, 257-263)<br />

Der derart aufgebaute bzw. geförderte Lernsinn ermöglicht individuell sinnstiftende,<br />

weil sinnvolle Lernprozesse. Dahinter steht der Gedanke: Nützlich ist, was<br />

nützt. Zweifelsohne wird die Lernmotivation positiv beeinflusst, wenn das individuelle<br />

Ziel Ausgangspunkt für die Gestaltung der Lehr-Lern-Prozesse ist. Mangelnde<br />

Motivation in der Basisbildungsarbeit, insbesondere bei den erwachsenen<br />

Teilnehmenden, scheint generell kein Thema zu sein (vgl. u.a. KLerD, 370-377;<br />

KLinF, 142ff.). Kursleiterin H stellt beispielsweise fest: »Also ich sehe mich da<br />

jetzt nicht als ein persönlicher Animateur, aber ich unterstütze sie einfach. Weil<br />

sie wollen es ja selber.« (KLinH, 109ff.) Zudem kommen Erwachsene oftmals mit<br />

konkreten Lernanliegen oder Zielvorstellungen in den Basisbildungskurs:<br />

- 239 -


»Die kommen nach dem Job. […] weil sie irgendwie was Bestimmtes brauchen. Also, die wissen<br />

eigentlich sehr genau wie und was. Und das heißt, die kommen auch und die fordern dementsprechend<br />

auch. Also so, die wollen auch mehr geboten kriegen […] der hat auch gewisse<br />

Erwartungen. Da möchte er auch was geboten kriegen und dann möchte er auch eine Betreuung<br />

in dem Sinne.« (KLerD, 358-365)<br />

Erwachsene Teilnehmende haben vielfach aufgrund eigener Zielvorstellungen eine<br />

innere Verbindlichkeit entwickelt. Dennoch kann die Förderung der Motivation ein<br />

Teil des Lehrhandelns sein, beispielsweise bei einem Zwischentief:<br />

»Und auch wenn sie dann länger im Kurs sind, sie haben irgendwann einmal einen Einbruch<br />

dazwischen. Wo sie vielleicht einmal sehen: Mah, jetzt geht irgendwie nichts. Sie sehen das<br />

nicht so wie ich – sie sehen, es geht nichts weiter. […] dann kommt eine lange Strecke, wo<br />

du es halt festigen solltest. Und da ist es ein bisschen eine zähe Strecke […]. Und da musst<br />

schauen, dass du sie schön drüberkriegst. Sagst: Okay, das ist halt so und das dauert lange, und<br />

jetzt hast du schon so viel geschafft.« (KLinH, 89-98)<br />

Fallweise ist im Laufe eines Kursbesuchs das Wiederentdecken oder Neu-Entdecken<br />

von Lerninhalten beobachtbar:<br />

»Ja, es kommen auch so Interessen wieder zu Tage, kommt mir vor, die verschüttet sind. Also<br />

wo sie draufkommen im Lauf der Zeit, eigentlich interessiert mich das oder hat mich früher<br />

einmal interessiert und möchte ich wieder weiter tun. Ich habe eine Frau zum Beispiel,<br />

die möchte jetzt mit Englisch anfangen. Was wirklich am Anfang überhaupt kein Thema war<br />

[…].« (KLinE, 513-517)<br />

Es zeigt sich also, dass die Teilnehmenden in diesen beiden Einrichtungen im Lehr-<br />

Lern-Prozess kontinuierliche Begleitung und Unterstützung erfahren und in ihrem<br />

eigenen Tempo lernen können. Ihre Lernperspektiven können sich offenbar erweitern,<br />

weil sich schrittweise ihr Gefühl der Selbstwirksamkeit steigert. Auf einer solchen<br />

sicheren Basis lässt es sich zu neuen Zielen aufbrechen.<br />

Den jüngeren Teilnehmenden, die vielfach zur Teilnahme aufgefordert werden,<br />

und ihren Kursleitenden steht oftmals die Zeit, die sie brauchen würden, um Lernsinn<br />

zu entwickeln, nicht zur Verfügung:<br />

»Die haben dann oft nicht so ein Durchhaltevermögen, weil sie auch unbedingt arbeiten wollen.<br />

Und wenn sie dann eine Arbeit kriegen, dann auf jeden Fall das lieber machen, als hierher<br />

weiter zu kommen. Und weil sie halt auch schon so große Enttäuschung haben. Dann kann<br />

ich nicht lesen und kann nicht richtig schreiben. Das würde länger brauchen und dann ist oft<br />

vorgesehen wirklich nur die kürzeste Einheit. Und da ist es ja noch nicht überbrückt.« (KLinF,<br />

204-208)<br />

- 240 -


Der Prozess wird oft durch die Annahme eines Jobs unterbrochen – zum einen,<br />

»weil sie auch unbedingt arbeiten wollen«, zum anderen, »weil sie halt auch schon<br />

so große Enttäuschung« erlebt haben, die sie noch nicht bewältigen konnten; der<br />

Job wird zu einer willkommenen Ausweichmöglichkeit. Es kommt aber auch vor,<br />

dass Teilnehmende in arbeitsmarktpolitisch organisierte Maßnahmen vermittelt<br />

werden und sie daher mit dem Basisbildungskurs aufhören müssen (vgl. KLinF,<br />

219-231). Entscheidend für das (Nicht-)Fortsetzen eines Kurses scheint die Anfangszeit<br />

zu sein, in der die eigenen Lernfortschritte noch nicht unmittelbar »sichtbar«<br />

und fühlbar werden. In dieser neuralgischen Phase sind die Kursleitenden aufgefordert<br />

zu handeln:<br />

»Und […] wenn sie halt jetzt einmal die erste Einheit vier Monate da sind. Da ist ganz wenig<br />

so wirklich sichtbar, nicht. Sind wir schon draufgekommen zu sagen, ihren Vertreterinnen oder<br />

wer sie schickt […] dass sie auf jeden Fall die nächste Einheit weitermachen sollten. […] wir<br />

sind halt draufgekommen, dass es wirklich relativ lange braucht, um selbst das Gefühl zu haben,<br />

jetzt habe ich wirklich viel gelernt.« (KLinF, 416-422)<br />

In dieser Anfangsphase müssen sich die Teilnehmenden offenbar erst dem eigenen<br />

Bildungsbedarf und den bislang erlittenen Enttäuschungen in Bezug auf das eigene<br />

Lernen stellen. Es braucht Zeit, Lernen als positiv zu erfahren, und es braucht Zeit,<br />

um Lernen für sich selbst als sinnvoll zu erleben:<br />

»[…] immer wieder so diese Möglichkeit zu finden einfach: Ja, aber was geht DOCH Und<br />

was ist nicht doch hilfreich Und gibt es da nicht doch noch irgendwas, was mich interessieren<br />

könnte Was nicht vordergründig so wie Lernen unbedingt ausschaut. Oder wo ich einfach für<br />

mich dann einen Sinn sehe.« (KLinG, 88-91)<br />

Das Erlernen von Deutsch als Zweitsprache bzw. die Optimierung vorhandener<br />

Deutschkenntnisse erfordert es gleichermaßen, dass die Teilnehmenden einen individuellen<br />

Lernsinn entwickeln: »eben zur Selbstbestimmung zu kommen von<br />

den MigrantInnen, die immer wieder so meinen, ja, ich mache jetzt einen Deutschkurs<br />

und da kriege ich das vorgefertigt, den vorgefertigten Plan« (KLinG, 263ff.).<br />

Dieses hier implizit thematisierte Moment der Fremdbestimmung mag darauf zurückzuführen<br />

sein, dass mit dem Kursbesuch die normative Erwartung der Aufnahmegesellschaft<br />

nach sprachlicher Anpassung erfüllt wird. Wird der eigene Kursbesuch<br />

als Erfüllung einer fremden Erwartung gesehen, scheint es nachvollziehbar zu<br />

sein, dass Teilnehmende mit Bildungsbedarf in der Zweitsprache von vorgegebenen<br />

Lehrinhalten ausgehen.<br />

Kursleiterin A weist darauf hin, dass für Teilnehmende mit Migrationshintergrund<br />

»Schulsituationen« (KLinA, 93) insgesamt weniger problematisch zu sein scheinen.<br />

Eine Erklärung dafür ist, dass bei Menschen mit Migrationshintergrund Bildungsbedarf<br />

in der Zweitsprache eine logische Folge der Migration 176 ist (vgl.<br />

- 241 -


KLinA, 91-93). Es können meines Erachtens aber zwei weitere Gründe für diese<br />

offenbar größere Gelassenheit ausgemacht werden: Die Teilnehmenden haben zumeist<br />

die Pflichtschule in ihrem Herkunftsland erfolgreich abgeschlossen und haben<br />

– bis auf die Tatsache, dass ein weiterführender Schulbesuch nicht vorgesehen<br />

oder nicht möglich war – keine leidvollen Erfahrungen mit dem Schulsystem gemacht.<br />

177 Oder aber den Teilnehmenden wurde der Besuch der Pflichtschule in ihrem<br />

Herkunftsland teilweise oder zur Gänze nicht ermöglicht und sie schätzen jetzt<br />

diese Gelegenheit zum nachholenden Lernen. 178<br />

Das mag eine Erklärung dafür sein, dass Kursleiter D diese Teilnehmenden als die<br />

am stärkst Motivierten wahrnimmt: »Und da jetzt die Chance zu haben, das gratis<br />

geboten zu kriegen. Und auch in einem sehr individuellen Rahmen auch. Also DIE<br />

Migranten und Migrantinnen, die bei mir bis jetzt waren, das war echt das intensivste<br />

Arbeiten […].« (KLerD, 441-444)<br />

Trotz der hohen Bereitschaft dieser Teilnehmenden wird auf die unbedingte Notwendigkeit<br />

individuell maßgeschneiderter Lerninhalte beim Erwerb von Deutsch<br />

als Zweitsprache hingewiesen. Deutschkurse, die dieser Anforderung nicht Rechnung<br />

tragen, werden deshalb von Kursleiterin G kritisch bewertet:<br />

»Also das, ich habe mit niemanden von den Menschen eine Plan sozusagen im Vorhinein. Weil<br />

es auch bei den MigrantInnen so ist, dass immer wieder andere Lernziele entwickelt werden.<br />

Also, für mich gibt es da keinen Plan. Da merke ich einfach auch bei den Deutschkursen, die<br />

viele Menschen dann machen, ja, dass es vielleicht auch daran oft hakt, dass alle das Gleiche<br />

machen, und es aber andere Bedürfnisse sind immer wieder.« (KLinG, 266-270)<br />

Bei der Optimierung vorhandener Sprachkenntnisse bedarf es der individuellen<br />

Begleitung bei der Erarbeitung sprachlicher Feinheiten:<br />

»[…] die […] nie so ganz richtig Deutsch gelernt haben. Das ist oft am schwierigsten, weil<br />

sie schon so viel alleine gelernt haben. Ich gebe dir deinen und du gibst ihm seinen, diese ganzen<br />

rückbezüglichen Sachen; das muss man schon trainieren. Und dass sie dann mehrere Seiten<br />

schreiben, wenn sie wollen, ja. Und, also ich habe noch niemandem erlebt, der halt auch<br />

wirklich so verzweifelt wäre oder. Das Gegenteil, sie sind eigentlich motiviert nach wie vor,<br />

ja.« (KLinF, 169-176)<br />

Kursleiterin G beschreibt, wie ausprobierendes Lehrhandeln bei einer Teilnehmerin<br />

mit ausgeprägtem Bildungsbedarf in der Zweitsprache zum Ziel – zu individuell<br />

abgestimmten Lerninhalten – geführt hat:<br />

»[…] und ich einfach nicht sicher geworden bin […] wo ich mit ihr [Teilnehmerin] anfangen<br />

kann: Was passt an und für sich Und immer, wenn ich ihr was gegeben habe […] ja, hat sie<br />

gesagt, ja, sie macht es. Und dann bin ich einfach draufgekommen – das ist zu hoch und das<br />

ist zu hoch […]. An und für sich habe ich aber das Gefühl gehabt, dass sie in ihrer Sprache und<br />

- 242 -


in ihrer Schrift recht gut ist. Und das war dann so schwierig, bis ich dann gemerkt habe, ja, es<br />

mangelt einfach dermaßen am Wortschatz. Und da anzusetzen. Und dann habe ich erst da gemerkt,<br />

da ist wirklich jetzt der, der Ankerpunkt sozusagen. Da greift es.« (KLinG, 608-615)<br />

Eigenständigkeit fördern<br />

Gerade zu Beginn der Teilnahme trauen sich viele der Teilnehmenden die unbegleitete,<br />

selbstständige Bearbeitung von Lerninhalten schlichtweg nicht zu. Sie zu<br />

begleiten, ist deshalb in dieser Phase unerlässlich, denn nur so können sie durch<br />

die Entwicklung des notwendigen Zutrauens in die eigenen Fähigkeiten Sicherheit<br />

gewinnen: »[…] sie brauchen zwar einerseits am Anfang sehr viel Zuwendung<br />

oder halt auch dann Zeit, um sich sicherer zu fühlen. Andererseits kommt<br />

natürlich dann auch wieder das ständige Aufschauen, Blicke: Ist das eh, passt das<br />

eh« (KLinE, 264-270) Diese anfänglich unentbehrliche Zuwendung und Begleitung<br />

durch die/den Kursleiterin/Kursleiter kann aber auch Abhängigkeit in Form<br />

der als notwendig empfundenen Rückversicherung hervorrufen. Materialien mit<br />

integrierter Selbstkontrolle bieten hierfür die notwendige Sicherheit (vgl. KLinA,<br />

148-160), lösen aber auch die erforderliche Rückmeldung bzw. die Korrektur oder<br />

das erwünschte Lob von der Person der/des Kursleiterin/Kursleiters ab: »Und dann<br />

muss man halt ein bisschen schauen, das zu umgehen durch Selbstlernmaterialien,<br />

Lernmaterialien mit Selbstkontrolle […].« (KLinE, 267f.) In diesem Spannungsfeld<br />

zwischen Zuwendung und Begleitung auf der einen Seite und Selbsttätigkeit<br />

auf der anderen Seite kann in einem Entwicklungsprozess eigenständiges Lernen<br />

erprobt werden und zunehmend stattfinden:<br />

»Weil ich das halt auch für sehr wichtig halte, dass sie selber entscheiden, wenn es nur ist, ob<br />

sie zuerst rechnen oder zuerst schreiben wollen. Also so kleine Entscheidungen. Und ob sie<br />

auf einem karierten oder linierten Zettel. Also dieses einmal weg von dem: Die gibt mir das<br />

und das mache ich. Das wäre, ist halt MIR besonders wichtig. Aber […] es passiert eigentlich,<br />

wenn man dranbleibt und wenn man viele solche Dinge anbietet, passiert es zunehmend.<br />

Also, am Anfang ist es natürlich noch sehr schwer und man muss, glaube ich, das schon auch<br />

befriedigen, dieses Bedürfnis nach: Passt und ist gut so und so weiter. […] aber zunehmend<br />

eben, er [Teilnehmer] zeigt mir das zum Beispiel dann nicht einmal […]. Also er macht das<br />

eigentlich für sich und dann schaltet er [den Computer] wieder ab. Also er sagt nicht: Schau,<br />

da habe ich jetzt alles richtig eingesetzt. Und das ist interessant. Ja. Es fällt mir jetzt gerade so<br />

auf. Und auch der [Teilnehmer] korrigiert eigentlich selbstständig und legt es weg und nimmt<br />

das nächste.« (KLinE, 293-304)<br />

Das eingesetzte Modell der Lernwerkstatt (vgl. KLinB, 28-32), Montessori-Material<br />

sowie Lernsoftware (siehe oben) fördern die selbsttätige Auseinandersetzung<br />

mit den Lerninhalten. In diesem Zusammenhang wird von Kursleiterin A auch<br />

die automatische Rechtschreibprüfung im Textverarbeitungsprogramm als förderlich<br />

beschrieben, ermöglicht diese doch die eigenständige Kontrolle des Ge-<br />

- 243 -


schriebenen. Sie erklärt ihren Teilnehmenden die Funktion des Programms, um<br />

dann gemeinsam mit ihnen Übungen zu bearbeiten (vgl. KLinA, 250f.). Kursleiterin<br />

A thematisiert auch den eigenen Anteil in diesem Spannungsfeld aus unerlässlicher<br />

Zuwendung und möglicher Begünstigung von Abhängigkeit: »Ich helfe ihnen<br />

wirklich gerne und ich glaube, ich bin auch so ein, so ein Helfermensch eher, aber<br />

ich will auch, dass sie es alleine machen.« (KLinA, 156f.)<br />

Permanente Achtsamkeit, wie sie Kursleiterin E beschreibt, ist notwendig, um die<br />

Förderung der Eigenständigkeit der Teilnehmenden sicherstellen zu können:<br />

»Also ich versuche ihnen halt da nicht zu viel abzunehmen. Man ist oft in Versuchung, aber<br />

ja, ja also, ich schaue halt, WAS möglich ist. Natürlich ist es bei Anfängern oft total un, oder<br />

fast unmöglich, aber wenn es nur der Name ist, den sie selber [in ein Formular] eintragen.«<br />

(KLinE, 421-424)<br />

Die Kursleitenden stellen Übungsmaterialien für zu Hause bereit und begleiten<br />

jene Teilnehmer/innen, die von diesem Angebot Gebrauch machen wollen, bei der<br />

Auswahl der geeigneten Übungen. Im Selbstverständnis der Kursleitenden handelt<br />

es sich dabei um ein unterstützendes Angebot, keinesfalls um eine zu erledigende<br />

»Hausübung« (KLinE, 242; vgl. auch KLinA, 137-141; KLinI, 250-261). Viele<br />

haben die Beobachtung gemacht, dass die Teilnehmenden unterschiedlich auf das<br />

Angebot reagieren – abhängig vom individuell zur Verfügung stehenden Zeitbudget<br />

(sprich abhängig von beruflichen, familiären Aktivitäten und Belastungen).<br />

Zahlreiche Teilnehmende sind erwerbsarbeitslos und machen gerne von dem Angebot<br />

Gebrauch (Zeitfenster für Bildung); andere wiederum beschränken ihr Engagement<br />

der Auseinandersetzung mit den Lerninhalten auf die Kurseinheiten. Bei<br />

neuen Teilnehmenden wird oftmals beobachtet, dass die bestehende Gruppe eine<br />

Vorbildfunktion übernimmt, wodurch sich eine Intervention durch die Kursleiterin<br />

erübrigt:<br />

»[…] weil sie es oft dann bei Kollegen sehen, also wenn sie halt sehen, die oder der nimmt sich<br />

jedes Mal was mit und da geht viel weiter dann, dass das halt was anderes ist, wie wenn man<br />

unregelmäßig kommt UND dann auch daheim nichts tut.« (KLinE, 311-314)<br />

Zur Selbstbestimmung in Lernprozessen gehört u.a., dass die Teilnehmenden Kritik<br />

in Bezug auf Aspekte des Lehrhandelns äußern dürfen und sollen. Kursleiterin H, die<br />

ihre Teilnehmenden darin bestärkt, sieht das als Beitrag zur Persönlichkeitsentwicklung:<br />

»[…] sie sind es nicht gewohnt, dass sie sagen dürfen: Das passt mir<br />

nicht. […] dass das eben zu diesem Prozess, zu diesem Selbstständigkeitsprozess<br />

dazugehört, dass man auch weiß: Okay, ich darf es sagen, wenn es mir nicht passt.«<br />

(KLinH, 481-486) In der Gruppe dieser Kursleiterin, die seit mehreren Jahren aus<br />

fast den gleichen Teilnehmenden besteht, hat sich dieses Selbstverständnis auf Basis<br />

einer Übereinkunft bereits nachhaltig etabliert:<br />

- 244 -


»[…] wenn ich ihnen ein Arbeitsmaterial gebe, das sie nicht machen wollen, dann sagen sie<br />

mir das. Und das ist aber auch so vereinbart. Weil ich sage, das bringt ja nichts, wenn sie<br />

was machen, wo sie keine Freude dabei haben […] da lernen sie nichts. Da habe weder ich<br />

was davon, noch der Teilnehmer. Das wissen sie, und das sagen sie mir schon.« (KLinH,<br />

466-470)<br />

Diese Eigenständigkeit wird von den Teilnehmenden dieser Kursleiterin erfolgreich<br />

in alltagspraktische Zusammenhänge transferiert:<br />

»Und sie trauen sich dann eben – weil wir jetzt vom Arzt geredet haben – sie trauen sich dann<br />

nachfragen: Ich habe das nicht verstanden, was meinen Sie Erklären Sie mir das so, dass ich<br />

das auch verstehe. Und das hätten sie sich vorher nie getraut. […] ich glaube, dass sie vielleicht<br />

nicht mit dem Vorsatz zu uns in den Kurs kommen, aber dass sie diesen Vorsatz fassen,<br />

während sie bei uns im Kurs sind. Oder dass sie es merken und ihnen das einfach Spaß macht!<br />

Dass sie dann diese Selbstständigkeit kriegen.« (KLinH, 410-415)<br />

Die Bearbeitung von Basisbildungsbedarfen/-bedürfnissen trägt solcherart zur Erweiterung<br />

von Handlungsspielräumen bei.<br />

Lerninhalte erweitern<br />

Im Folgenden wird gezeigt, wie es Kursleitenden gelingt, die ausgehandelten Lerninhalte<br />

auf neue Felder, Fragen, Aufgaben etc. auszudehnen. Hilfreich erweisen<br />

sich hierfür aktuelle Ereignisse, die spontan aufgegriffen werden können. Es werden<br />

aber auch Themen und Inhalte von den Kursleitenden vorwegnehmend bestimmt<br />

bzw. ebenfalls aufgegriffen und in der Gruppe bearbeitet.<br />

Gruppen, die aus Teilnehmenden mit Deutsch als Erstsprache und Teilnehmenden<br />

mit einer anderen Erstsprache als Deutsch bestehen, 179 bieten Lernanlässe, die aufgegriffen<br />

werden können. In der folgenden Episode geht es um die angeleitete Vermittlung<br />

geografischer Grundkenntnisse – dahinter steht das implizite Anliegen der<br />

Kursleiterin, einen Beitrag zur Reduktion von Vorurteilen zu leisten:<br />

»[…] weil man einfach ganz viel aus anderen Kulturen mitkriegt, und auch Österreicher dabei<br />

sind […] die nicht einmal wissen, wo die Türkei liegt zum Beispiel. Und wir schauen nach,<br />

wo die Türkei liegt und wie weit das eigentlich weg ist. Manche waren vielleicht halt in so einem<br />

Hotel schon dort, aber. Und es ist einfach für mich interessant, die Kultur von anderen<br />

Ländern kennen zu lernen. Vielleicht Vorurteile abzubauen und zu sehen: Okay, es sind auch<br />

ganz normale Leute und jetzt nicht DIE Türken, die das und das machen.« (KLinA, 81-86)<br />

Als es aufgrund der räumlichen Nähe zu einer Einrichtung für Migrantinnen und<br />

Migranten immer wieder zu Begegnungen zwischen den Kursteilnehmenden (mit<br />

österreichischer Staatsangehörigkeit) und Migrant/inn/en kommt, wirkt dieses<br />

Thema in das Kursgeschehen hinein: »[…] aber sie fragen dann schon: ja, woher<br />

- 245 -


kommt der« (KLinH, 726). In der nächsten Einheit wird von der Kursleiterin Migration<br />

als Thema vorgeschlagen und aufbereitet (vgl. KLinH, 718-728). Eine andere<br />

Gruppe erkennt bei einem Ausflug in ein Kaffeehaus einen am Nebentisch<br />

sitzenden hochrangigen Politiker. Es wird entschieden, gemeinsam zu klären, um<br />

wen es sich namentlich handelt, welche Funktion diese Person innehat, in welchem<br />

Gebäude diese Person arbeitet etc. (vgl. KLinE, 487-495). Ein ähnlicher, von außen<br />

kommender Anlass ist das Begräbnis einer politischen Person; die Trauergemeinschaft<br />

ist vom Fenster des Kursraumes aus zu sehen gewesen. Dieses Ereignis<br />

führt in der Gruppe von Kursleiterin F zu einem regen Austausch über den kulturell<br />

geprägten Umgang mit Tod und Geburt (vgl. KLinF, 352-373). Eine seit längerem<br />

bestehende Kursgruppe verbindet ein gemeinsames Interesse, und zwar die Vorliebe<br />

für eine anspruchsvolle und unterhaltsame TV-Comic-Serie. Als der Kinofilm<br />

zur Serie anläuft, werden Rezensionen in Zeitungen gelesen, wird ein gemeinsamer<br />

Kinobesuch organisiert, werden Zusammenfassungen geschrieben und wird<br />

über die Inhalte des Films diskutiert (vgl. KLinH, 603-617). Die Teilnehmenden<br />

dieser Gruppe nehmen generell aktuelle Ereignisse wahr und interessieren sich dafür.<br />

Die Kursleiterin vermutet, dass sie den Wunsch haben, »mitreden« zu können:<br />

»Und es ist auch oft so, sie hören da irgendetwas, so Wortfetzen, in ihrer Umgebung, und sie<br />

können nicht mitreden, weil sie nicht genau wissen, um was es da geht. Und auf das versuchen<br />

wir zu reagieren. Wir sind natürlich immer dankbar für Wünsche und Anregungen. Und das<br />

haben sie aber auch.« (KLinH, 610-613)<br />

Diese aktuellen Ereignisse und aufgeschnappten »Wortfetzen« werden in den Kurs<br />

eingebracht und dann durch entsprechendes Lehrhandeln geklärt, denn vielfach<br />

fehlen den Teilnehmenden die Grundlagen, um sich selbstständig damit auseinanderzusetzen:<br />

»[…] sie kriegen das so am Rande mit, das ist so ein großes Thema, und sie kennen sich eigentlich<br />

nicht aus und sie wollen da eine Info haben darüber. […] jetzt wo das vom Al Gore<br />

da war, dieser Tag der Klimaerwärmung und so, haben wir halt zu dem Thema was gelesen.«<br />

(KLinH, 422-425)<br />

Hier scheint wiederum ein Unterschied zwischen den erwachsenen und den jugendlichen<br />

Teilnehmenden zu bestehen, denn Themen werden eher von Erwachsenen<br />

aktiv eingebracht:<br />

»Bei den Erwachsenen kommen auch oft so die Themen so von selbst herein. Oder da schaut<br />

einer im Internet nach und sagt ja, das und das. Und dann kommt irgendwie auf einmal eine<br />

Diskussion ins, ins Gespräch. Das ist dann auch einmal so letztens gegangen: So, was ist eigentlich<br />

Beziehung Wie funktioniert das« (KLinG, 570-573)<br />

- 246 -


Nimmt diese Kursleiterin wahr, dass für ein bestimmtes Thema Interesse besteht,<br />

greift sie diesen Lernanlass aktiv auf: »Das sind schon öfter einfach so Sachen,<br />

die ich nicht vorbereitet habe. Und die ich aber dann wirklich schüre. Wenn ich so<br />

merke, es ist da irgendwie so ein Thema interessant.« (KLinG, 575ff.) Ihr ist die<br />

Verstärkung von vorhandenen Interessen ein besonderes Anliegen, weil sie festgestellt<br />

hat, dass die begleitete und gemeinsame Auseinandersetzung mit diesen Themen<br />

im Kurs willkommen ist:<br />

»Weil ich einfach merke, es ist eh eher wenig da, also in die Richtung merke ich schon auch,<br />

dass von Leuten, die leseungewohnt sind, schon ganz wenig geht in die Richtung, dass sie sich<br />

wenig auskennen. Dass sie sich das einfach nicht antun, sich zu vertiefen, weil es zu schwierig<br />

ist. Und dann habe ich irgendwie aber gar keine Ahnung oder gehe ich überhaupt nicht wählen,<br />

bevor ich mir das da jetzt antue, mir das genauer anzuschauen. Obwohl, wenn du dann ein<br />

bisschen so nachstocherst, es schon ganz interessant wäre und dann schon Fragen auftauchen.<br />

Aber wo sie es sich halt einfach nicht antun wollen und auch irgendwie mit niemandem reden<br />

können.« (KLinG, 579-586)<br />

So versucht sie über Berichte in Tages- und Wochenzeitungen aktuelle Themen zumindest<br />

»immer wieder im Gespräch« (KLinG, 568) zu haben, denn es fehle nicht an<br />

Interesse, sondern an den Grundlagen, um eine tatsächlich faktenbasierte Beteiligung<br />

an einer Diskussion zu ermöglichen. Sie hat daher stets auch die aktuellen Tages- und<br />

Wochenzeitungen mit dabei und animiert ihre Teilnehmenden, diese nach den sie am<br />

meisten interessierenden Themen oder auch nach den aktuell öffentlich diskutierten<br />

Themen zu durchforsten oder dazu im Internet zu recherchieren (vgl. KLinG, 575-<br />

593). Themenbezogen werden dann die entsprechenden Fakten diskutiert und politische<br />

Prozesse oder Entscheidungen faktenbasiert hinterfragt: Meinungen werden<br />

ausgetauscht und Positionen können eingenommen werden (vgl. KLinG, 556-561).<br />

Die Potenziale des Internets (Suchmaschinen, virtuelle Fahrpläne u.Ä.) stoßen<br />

bei den Teilnehmenden generell auf großes Interesse. Gerade für junge Teilnehmende<br />

ist das Internet eine ergiebige Quelle für individuell abgestimmte interessengeleitete<br />

Recherchen (vgl. KLinG, 279-284). Die Begleitung beim Ausprobieren<br />

des Internets und der geschützte Rahmen scheinen hierbei wichtig zu sein;<br />

eine Kursleiterin hat beispielsweise für ihre (erwachsenen) Teilnehmenden eine E-<br />

Mail-Adresse angelegt. Das Prüfen des Posteingangs ist mittlerweile zum beliebten<br />

Anfangsritual dieser Gruppe geworden (vgl. KLinI, 434-449).<br />

Interventionen setzen<br />

Das Setzen von Interventionen stellt eine aktive Form des Lehrhandelns dar. Die<br />

Notwendigkeit zu intervenieren, kann aus unterschiedlichen Anlässen resultieren.<br />

Die folgenden Beispiele zeigen, dass hinter einer Intervention eine Überzeugung<br />

stehen kann. Kursleiter D ist die Förderung der beruflichen <strong>Teilhabe</strong> der erwerbsarbeitslosen<br />

Teilnehmenden ein besonderes Anliegen:<br />

- 247 -


»Da merke ich immer, ist es mir ein immenses Anliegen, irgendwie eine <strong>Teilhabe</strong> zu vermitteln.<br />

[…] sie doch immer darauf hinzuweisen, dass es doch in Richtung Job gehen sollte bei<br />

dem Ganzen. […] wenn jemand arbeitslos ist, ist er nicht einfach nur arbeitslos, sondern er ist<br />

auch in einem gewissen Sinn ausgeschlossen. Du bist eine Randexistenz. Weil es dreht sich<br />

heute alles immer irgendwie um den Job, egal jetzt, wie berechtigt das ist oder nicht.« (KLerD,<br />

575-582)<br />

Die von ihm gesetzten Interventionen erfolgen abgestimmt auf die individuellen<br />

Voraussetzungen der Teilnehmenden:<br />

»[…] immer wieder nachzufragen und so, aber auf eine sehr sanfte Art. Also so, dass es nicht<br />

unangenehm wird. Das ist dann auch wieder individuell verschieden. Kann auch teilweise auf<br />

eine Art sein, dass ich jemanden schon direkt frage: So, was ist jetzt Wenn ich merke, der<br />

braucht das […]. Wo ich merke, die trauen sich nicht richtig oder so, da fange ich auch wirklich<br />

an zu stupsen.« (KLerD, 588-594)<br />

Als Kursleiterin B in einer Gruppe zu Beginn Ressentiments gegenüber zwei Teilnehmenden<br />

mit Migrationshintergrund wahrnimmt, bittet sie diese beiden Personen<br />

in der Schrift ihrer Erstsprache Wörter und Sätze aufzuschreiben:<br />

»[…] in einer Gruppe, da war einiges an Fremdenfeindlichkeit, das habe ich sehr schnell gespürt,<br />

und dann habe ich einfach […] gebeten, dass sie in ihrer Sprache, in ihrer Schrift was<br />

aufschreiben, ja, aufs Flipchart. Und die haben dann gesagt, was das heißt, und unseren [Teilnehmenden<br />

mit Deutsch als Erstsprache] ist also richtig der Mund offen stehen geblieben, wie<br />

schön das ist. […] Und auf die Art und Weise war von vornherein klar – das sind nicht die<br />

Blöden, sondern sie […] kennen eine andere Schrift als wir und die wollen jetzt unsere lernen.«<br />

(KLinB, 448-452)<br />

Eine Intervention kann auch gesetzt werden, um einen Lernschritt vorzubereiten<br />

bzw. zu initiieren:<br />

»Sie orientieren sich an ganz anderen Dingen. […] eine Orientierung, die ganz anders organisiert<br />

ist als die von Menschen, die sich an Geschriebenem orientieren. Ich habe einen Teilnehmer<br />

[…] dem habe ich die Titelseite von einem Buch hingehalten, da war [neben dem Titel<br />

auch] ein Vogel abgebildet. […] ich habe gesagt: Worauf schauen Sie Das Bild! Also, das<br />

heißt, er schaut einfach gar nicht hin, wenn wo was geschrieben ist, ja. Bei ihm habe ich dann<br />

den Auftrag gegeben, dass er hinschaut, wenn wo was geschrieben ist. […] Dass er aufhört<br />

wegzuschauen vom Geschriebenen.« (KLinB, 591-599)<br />

Eine Intervention kann auch gesetzt werden, um Überforderung zu vermeiden und<br />

zu einem guten Maß zu finden:<br />

- 248 -


»[…] wo ich dann bremsen muss, weil die das ganze Packerl an vorbereiteten Arbeitsblättern<br />

mitnehmen würden über das Wochenende. Ich meine, auch oft schwer, von ihnen schwer,<br />

glaube ich, das einzuschätzen: Wie viel schaffe ich. Aber die dann in diesem Übereifer oft,<br />

[…] es wird dann eh wieder weniger, aber so gerade am Anfang.« (KLinE, 314-318)<br />

Themen festlegen und Inhalte vorgeben<br />

Es lassen sich Unterschiede bei dieser Form des Lehrhandelns feststellen. Die<br />

Spannbreite reicht von ausgeprägter Zurückhaltung über Setzungen und Vorgaben<br />

unter Berücksichtigung der individuellen Voraussetzungen, von Ziel und Dauer der<br />

individuellen Teilnahme bis hin zu aktiven Setzungen und Vorgaben.<br />

Kursleiter C versteht seine Tätigkeit als zurückhaltende Begleitung:<br />

»Und darum steige ich nur auf das ein bei den Teilnehmenden, das sie für sich selber wünschen.<br />

Weil ihre Wünsche sind tabu. Die dürfen sie haben. […] Das ist nicht […] mein Anspruch,<br />

da einzugreifen in ihr Leben. Nur das, was sie wollen, da möchte ich, wenn ich es<br />

kann, dabei begleiten. Nicht mehr. Was sie damit tun, ist ihre Entscheidung. Und soweit es<br />

geht, möchte ich, dass sie entscheiden können. […] Denn es hat gute Gründe, warum sie jetzt<br />

gerade DAS wollen. Und das kann ich ihnen nicht ausreden. Ich bin vielleicht anderer Ansicht,<br />

aber ich habe ja ein anderes Leben, einen anderen Hintergrund. Das steht mir nicht zu.«<br />

(KLerC, 646-655)<br />

Kursleiterin G beschreibt, dass sie die Wahl eines Themas, zu dem in der Folge unterschiedliche<br />

Inhalte gemeinsam erarbeitet werden sollten, gezielt den – in diesem<br />

Fall jugendlichen – Teilnehmenden übertragen hat:<br />

»Also, ich merke bei den Jugendlichen ist es sehr schwierig, da was zu finden in die Richtung.<br />

Ich habe einmal so nachgefragt, ob es irgendwie ein Thema gibt, das wir gemeinsam bearbeiten<br />

können. Und dann ist Drogen und Alkohol gekommen. Und ich habe eigentlich geglaubt,<br />

das haben sie eh überall […] im Projekt und so weiter […] und Suchtberatung und […] meiner<br />

Meinung nach eh überhäuft werden damit, also die Jugendlichen, die eben so in Betreuung<br />

sind. Und dann ist das Thema da so gekommen. Und das habe ich sehr spannend gefunden.<br />

Wir haben dann auch einen Film gesehen, zum Thema Drogenmissbrauch. […] Und das<br />

hat sehr betroffen gemacht.« (KLinG, 532-540)<br />

Sie verfolgt somit das Lehrziel der gemeinsamen Bearbeitung eines Themas, überträgt<br />

jedoch die inhaltliche Schwerpunktsetzung der Gruppe, wobei der Prozess der<br />

Einigung auf ein für alle Gruppenmitglieder interessantes Thema bereits als Teil<br />

des jeweiligen Lernprozesses gesehen werden kann. Die Kursleiterin ortet nämlich<br />

bei ihren jugendlichen Teilnehmenden einen Bedarf in Hinblick auf die Beteiligung<br />

an gemeinsamen Lernaktivitäten (vgl. KLinG, 691-715).<br />

Kursleiterin F regt ihre Teilnehmenden immer wieder dazu an, zu Bildern assoziierend<br />

und somit frei zu schreiben, das Geschriebene vorzulesen und sich darüber<br />

- 249 -


auszutauschen. Durch diesen gemeinsamen Austausch treten unterschiedliche Perspektiven<br />

zu Tage, wodurch evident wird, dass das Geschriebene vor dem Hintergrund<br />

der jeweiligen Lebensgeschichte gelesen werden kann (vgl. KLinF, 344-<br />

352).<br />

Eine Kursleiterin beschreibt, dass sie Reflexionen über Möglichkeiten und Perspektiven<br />

beruflicher Tätigkeiten anregt. Ihr Anliegen ist es, »den Blick […] zu<br />

öffnen«. Sie initiiert eine Auseinandersetzung mit verschiedenen Berufsfeldern, indem<br />

sie das dazugehörige Wissen vermittelt und das Angebot zur Selbstreflexion<br />

macht. Das mögliche Ziel ist eine Vergewisserung bzw. Neuorientierung:<br />

»[…] Berufsfelder, einfach zu schauen: Was wäre denn alles noch interessant Die sind ja oft<br />

sehr eingeschränkt, weil sie halt früher einmal in dem Bereich waren oder im Reinigungsbereich,<br />

glauben sie, es kommt eh nichts anderes in Frage […] ich versuche halt immer ein bisschen<br />

den Blick auch zu öffnen: Was gibt es eigentlich alles Was wäre vielleicht noch möglich<br />

Wenn es dann nur das ist, dass sie wissen, was sie alles NICHT wollen, aber sich damit<br />

halt ein bisschen auseinanderzusetzen. Oder: War das überhaupt SO ideal oder habe ich auch<br />

damals das eigentlich eher gemacht, weil es mir halt untergekommen ist, oder passt es wirklich<br />

zu mir und zu meinen Fähigkeiten auch« (KLinE, 432-439)<br />

Kursleiterin E beschreibt, dass sie im Bereich Deutsch Lehrinhalte setzt, die ihr<br />

selbst »am Herzen« liegen. Insgesamt habe sie ihren Lehranspruch allerdings zurückgenommen:<br />

»Oder einmal Gedichte, mit Gedichten zu arbeiten oder so, selber was zu schreiben. Und so<br />

ein bisschen das Kreative in dem Bereich, gerade in dem Bereich Deutsch, ja, liegt mir irgendwie<br />

am Herzen. […] Also, das habe ich auch gemerkt, dass dann so im Laufe der Zeit (unverständlicher<br />

Satzteil) ich habe früher auch so ein bisschen den Anspruch gehabt halt, eben<br />

GUTE Texte. Und mittlerweile denke ich mir, es ist eigentlich völlig egal, ob sie Micky Maus<br />

lesen.« (KLinE, 453-469)<br />

Aktuelle regionale, nationale und internationale Ereignisse werden in unterschiedlicher<br />

Intensität dazu genutzt, Inhalte zu thematisieren bzw. zu bearbeiten. Eine<br />

Kursleiterin erzählt, dass sie tagesaktuelle Themen für Rechtschreib- und Grammatikübungen<br />

verwendet. Sie verbindet damit indirekt das Ziel, Wissen zu vermitteln.<br />

Die Wissensaneignung selbst verbleibt in ihren Augen aber in der Selbstverantwortung<br />

der/des Einzelnen: »Wo einfach vielleicht ein bisschen unterschwellig<br />

irgendwelche Infos, ja, in den Menschen kommen. Aber vielleicht wissen sie es<br />

eh und es interessiert sie mehr, und sie wollen MEHR Hintergründe dazu haben.«<br />

(KLinA, 422-425)<br />

Kursleiterin H dienen aktuelle regionale, nationale und internationale Ereignisse<br />

explizit als Aufhänger, um Themen zu setzen und Inhalte zu bearbeiten (vgl.<br />

KLinH, 601f. und 634f.):<br />

- 250 -


»[…] wenn zum Beispiel eine Wahl ansteht, dann schauen wir uns an: Okay, welche Parteien<br />

gibt es überhaupt, warum heißen die so oder welche Farbe ist da jetzt zugehörig […] Wir<br />

schauen also immer, dass wir einen aktuellen Anlass haben und dass wir dann dazu was machen.«<br />

(KLinH, 580-584)<br />

Zur Allgemeinbildung zählende Inhalte genießen in der Basisbildungsarbeit einer<br />

der untersuchten Einrichtungen einen hohen Stellenwert. Es gelangen eigens entwickelte<br />

Themenpakete (z.B. Europa, Österreich, der Mensch) zum Einsatz:<br />

»[…] wir machen Österreich als Themenpaket. Weil wir der Meinung sind, das gehört einfach<br />

zur Allgemeinbildung. Dass man weiß, wie viele Bundesländer Österreich hat. Wir verlangen,<br />

wenn sie es nicht machen wollen, machen wir es nicht mit ihnen. Aber es ist das Interesse dann<br />

schon irgendwie da / und wir verpacken Rechtschreibung in Themen. […] da verpackst du ihnen<br />

halt die Übungen dann hinein. Du hast immer sinnerfassendes Lesen dabei, Fragen beantworten,<br />

das heißt, du musst formulieren können, du musst schreiben können. Und wir haben es<br />

dann auf verschiedenen Niveaus natürlich. Also weil diese Themenpakete machen wir meistens<br />

als Gruppenarbeit oder Kleingruppenarbeit.« (KLinH, 364-377)<br />

Allgemeinbildende Inhalte werden auch mit Hilfe einer multimedialen Enzyklopädie<br />

erarbeitet. Die Teilnehmenden recherchieren Informationen zu vorgegebenen<br />

Fragen oder sie informieren sich eigenständig und interessegeleitet (vgl. KLinH,<br />

354-363). Themen mit Gesundheitsbezug wie beispielsweise Ernährung, Rauchen,<br />

Alkohol und Drogen nehmen in den Kursen dieser Basisbildungseinrichtung ebenfalls<br />

einen wichtigen Platz ein (vgl. KLinH, 591-596). Die Auswirkungen schlechter<br />

Ernährung werden über einen dokumentarischen Experimentalfilm thematisiert<br />

und nachbereitet (vgl. KLinH, 617-625).<br />

Im Rahmen eines gemeinsamen Freizeitprogramms organisierte eine Kursleiterin<br />

der anderen untersuchten Bildungseinrichtung eine »Rätsel-Rallye« (KLinE, 486),<br />

bei der den Teilnehmenden Fragen gestellt wurden, die mit dem gewählten Ausflugsziel<br />

in Verbindung stehen und vor Ort gemeinsam interaktiv erarbeitet und beantwortet<br />

werden konnten.<br />

Thematisch-inhaltliche Setzungen beruhen fallweise auch auf festgestellten<br />

Schwächen: Kursleiterin H thematisiert den Umgang mit kognitiven Grenzen bei<br />

Teilnehmenden mit Lernschwierigkeiten. In Abstimmung mit den Teilnehmenden<br />

legt sie gewisse Teilziele fest, fördert aber in besonderem Maße auch ihre sozialen<br />

Kompetenzen:<br />

»[…] soziale Kompetenzen werden immer gefördert und das ist für uns auch ein total wichtiges<br />

Ziel. […] sie haben Aufgaben im Kursraum. Der muss die Blumen gießen, der muss die<br />

Kaffeehäferl waschen und so. […] Also seine Verantwortlichkeit wahrnehmen und das ausführen<br />

können.« (KLinH, 527-532)<br />

- 251 -


Eine Kursleiterin fördert und fordert ihre jugendlichen Teilnehmenden vor allem<br />

im mathematischen Bereich, weil sie »extremste Schwachstellen« (KLinG, 190f.)<br />

feststellt. Hier werden gezielt Lehrinhalte, beispielsweise die Berechnung der finanziellen<br />

Kosten des Zigarettenkonsums oder der rechnerische Vergleich der Kosten<br />

des Internetanschlusses und der laufenden Kosten des Internetzugangs, gesetzt<br />

(vgl. KLinG, 189-197).<br />

Teilweise werden auch explizite Vorgaben in Form von normativen inhaltlichen<br />

Setzungen vorgenommen:<br />

»(KL) […] manchmal sage ich schon: Also, ein bisschen Grundmathematik, finde ich, gehört<br />

einfach dazu. Und das mögen sie dann nicht so gerne, aber das muss dann halt doch sein. (lachend,<br />

aber bestimmt)<br />

(I) Also, du forderst schon ein oder gibst auch vor<br />

(KL) Ja, ja. Genau. Also das auf alle Fälle. Aber natürlich gehe ich da auf die Wünsche ein.«<br />

(KLinI, 210-214)<br />

Sie thematisiert auch ihr dezidiertes Anliegen, dass die Teilnehmenden tatsächlich<br />

»zum Lesen kommen« (KLinI, 263f.). Zu Hause erledigen die Teilnehmenden sehr<br />

gerne die vorbereiteten Übungsblätter und Arbeitsaufgaben, das Lesen selbst findet<br />

dann überwiegend im Kurs statt (vgl. KLinI, 264-280). Im Kurs selbst kann jedoch<br />

nicht ausreichend Zeit auf das Üben des Lesens verwendet werden (vgl. KLinI,<br />

290-299). Sie stellt fest, dass Teilnehmende beim Lesen vielfach mit dem Lesevorgang<br />

an sich beschäftigt sind und sich (noch) nicht auf die Inhalte konzentrieren<br />

können. Möglicherweise ist die Basis, die zu selbstständiger und lustvoller Leseaktivität<br />

(auch zu Hause) befähigt, in diesen Fällen noch nicht gesichert.<br />

Eine Kursleiterin berichtet von Bibliotheksbesuchen, die bei ihren Teilnehmenden<br />

sehr gut angekommen sind, dabei borgten sie sich vor allem Lernprogramme, aber<br />

auch Bücher aus (vgl. KLinE, 448ff.). Eine andere Kursleiterin geht mit ihren jugendlichen<br />

Teilnehmenden öfters in die Bibliothek – das Angebot wird von einigen<br />

angenommen und trägt zum Lernerfolg bei:<br />

»[…] manchmal merke ich einfach so, es wäre so die Sehnsucht danach da, zu lesen. Und da<br />

gehen wir halt dann öfters in die Bücherei. Es wäre die Sehnsucht so da – aber es ist so schwierig.<br />

Es dauert mir zu lange. Ich kann mich in kein Buch vertiefen. […] Ich habe mit dem Lesen<br />

an sich so viel Arbeit, dass das mit dem Verstehen so schwierig ist und dass ich das dann einfach<br />

lieber lasse. Aber es hat auch schon Teilnehmerinnen und Teilnehmer gegeben, die sich<br />

halt dann einfach einen Büchereiausweis mitgenommen haben und die dann wirklich auch<br />

mehr angefangen haben, weil sie gesehen haben: Okay, es geht eh; es geht eh, wenn ich jetzt<br />

in der Schulung mehr tue, dann geht das Lesen sehr bald wieder ganz gut. Weil es ist ja an und<br />

für sich so, dass die ja alle das gelernt haben.« (KLinG, 545-553)<br />

- 252 -


5.2.6 Gruppe als Ressource<br />

In den Ausführungen ist angedeutet, dass die Gruppe ein bedeutsamer Faktor im<br />

Lehr-Lern-Geschehen ist; beispielsweise resultieren aus der heterogenen Zusammensetzung<br />

Lernanlässe, von anderen Teilnehmenden erfolgreich vollzogene<br />

Lernschritte wirken animierend oder gewisse Verhaltensweisen, wie das Mitnehmen<br />

von Übungen für zu Hause zum Festigen der Lernergebnisse, werden von neu<br />

hinzugekommenen Teilnehmenden automatisch übernommen.<br />

Kursleiterin E beschreibt die von ihr wahrgenommene Aufgabe der Konstituierung<br />

und Aufrechterhaltung eines Wir-Gefühls:<br />

»Ich finde, […] was vom Wichtigsten ist einfach diese Gruppe. Also natürlich arbeitet man<br />

wieder einzeln auch mit Leuten, aber dass man es schafft, aus diesen einzelnen Teilnehmern<br />

und Teilnehmerinnen eine Gruppe zu machen, wo sich dann einfach sehr viel tut. Und die dann<br />

ganz viel von selber organisiert, also die Gruppe wirkt einfach dann sehr ganz stark. Das habe<br />

ich speziell da in [Kursort] auch gemerkt, wo ein ganz guter Zusammenhalt ist und sich viele<br />

Dinge so regeln, entwickeln.« (KLinE, 179-184)<br />

Spielerische Aktivitäten ermöglichen es in der Anfangssituation, Nähe zwischen<br />

den Beteiligten aufzubauen (vgl. KLinE, 191-196). Im Kursverlauf dienen gemeinsame<br />

spielerische Aktivitäten in Form von Gesellschafts- oder Lernspielen<br />

als Gegengewicht zu den stark individualisierten Lehr-Lern-Prozessen (vgl.<br />

KLinA, 104ff.), insbesondere Teilnehmende, die sich in Einzelarbeit Computer-<br />

Anwendungskenntnisse aneignen, werden so vor der potenziellen Vereinzelung<br />

bewahrt und situationsbezogen in die Gruppe inkludiert (vgl. KLinA, 262-269).<br />

Lernspiele werden vielfach auch eingesetzt, um gezielt Fähigkeiten und Fertigkeiten<br />

der Teilnehmenden (z.B. räumliches Vorstellungsvermögen, sinnerfassendes<br />

Lesen u.Ä.) zu fördern (vgl. KLinH, 165-169; KLinI, 324-334). Spiele ermöglichen<br />

Auseinandersetzung und Entwicklung – »wo Lernen einfach nicht<br />

jetzt ein PAUKEN ist« (KLerC, 193f.) Außerdem fördert das gemeinsame Spielen<br />

den Zusammenhalt:<br />

»[…] wir spielen zum Abschluss was, gemeinsam. […] ich schaue schon, dass ich Spiele auswähle,<br />

die irgendwelche Kompetenzen fördern. Und es gefällt ihnen. Und das machen sie<br />

gerne. Und das machen sie gerne zusammen und da unterstützen sie sich und da helfen sie einander.«<br />

(KLinH, 165-169)<br />

Diese Kursleiterin, die mit einer relativ stabil bestehenden Gruppe arbeitet, beobachtet<br />

das Potenzial der Gruppe, neue Teilnehmende aufzunehmen und einzubinden<br />

(vgl. KLinH, 220-223). Hier zeigt sich ein bestehendes Wir-Gefühl.<br />

Unterschiedliche Lernvoraussetzungen und Lerntempi entfalten nicht nur eine motivierende<br />

Wirkung in der Gruppe, sie können mitunter auch zu einem Gefühl der<br />

- 253 -


Frustration führen: Der großteils von Teilnehmenden mit Migrationshintergrund<br />

rasch vollzogene und augenfällige Lernfortschritt beim Erwerb oder bei der Optimierung<br />

der Zweitsprache Deutsch stellt für manche Teilnehmende mit Deutsch<br />

als Erstsprache ein Problem dar (vgl. KLinA, 95ff., KLinB, 290-299). Es kann jedoch<br />

auch zur umgekehrten Situation kommen, dass nämlich Teilnehmende mit<br />

Deutsch als Erstsprache etwas bereits beherrschen, das Teilnehmenden mit Migrationshintergrund<br />

Mühe bereitet. Die gemeinsame Erweiterung des Wortschatzes ist<br />

beispielsweise eine Möglichkeit, um Spannungen vorzubeugen und Gemeinsamkeit<br />

herzustellen (vgl. KLinB, 301-308).<br />

Eine Kursleiterin erläutert am Beispiel einer Teilnehmerin, die in Hinblick auf<br />

ihre Lernfortschritte von der intensiveren Begleitung in einem Zweiersetting<br />

stärker profitieren würde, dass die Potenziale des Lernens in einer Gruppe weit<br />

über die rein kognitiven Entwicklungsmöglichkeiten hinausgehen (vgl. KLinI,<br />

166ff.). Schließlich hat diese Teilnehmerin in einer anderen Teilnehmerin eine<br />

Freundin gefunden: »Und die sind die dicksten Freundinnen jetzt […]« (KLinI,<br />

193).<br />

Kursleiter D stellt fest, dass er in seiner Funktion die unterschiedlichen Lernvoraussetzungen<br />

und Lerntempi der Teilnehmenden als durchaus entlastend erlebt:<br />

»Es ist sehr abwechslungsreich, […] und da wir in Gruppen arbeiten, hat man auch immer die<br />

Chance, dass man wechselt. Also so, du bist ja nie die ganze Zeit bei einer Person. Hat natürlich<br />

den Vorteil, weil […] für mich ist es schon anstrengend, wenn du ständig mit einer Person<br />

völlig an der Basis arbeitest, zum Beispiel zusammenlauten, also zwei Stunden nur zusammenlauten<br />

schlaucht mich […] und in der Gruppe […] du gehst dann zum Nächsten oder zur<br />

Nächsten, und da ist wieder was anderes.« (KLerD, 76-84)<br />

Das Lernen mit interkulturellem Bezug vollzieht sich vielfach nebenbei, zum Beispiel<br />

durch Gespräche, die eine »Annäherung« (KLinF, 75) ermöglichen – »ohne<br />

dass es jetzt direkt ein Unterrichtsgegenstand ist« (KLinF, 76). Diese Form von<br />

Bildung bedarf vor allem entsprechender zeitlicher Ressourcen und der Bereitschaft<br />

der Beteiligten, diesen Themen und Anliegen einen Platz in der Gestaltung<br />

der Lehr-Lern-Prozesse einzuräumen. Kursleiterin A beschreibt ihre situationsadäquate<br />

Zurückhaltung während einer »Kopftuch-Diskussion« (KLinA, 427):<br />

»Wo es manchmal schwierig ist, weil ich mich, glaube ich, auch in der Kultur und dem zu wenig<br />

auskenne. Ich frage dann auch sehr viel die Leute. Einfach weil ich es wissen will und weil<br />

ich mich auskennen will, wenn ich mitdiskutiere, dass, dass ich mich auskennen will. Finde<br />

ich auch oft sehr spannend, was sie erzählen, ja.« (KLinA, 427-431)<br />

Sie nimmt sich in ihrer Rolle als potenzielle Wissensträgerin zurück und richtet<br />

ihre Fragen an die Teilnehmenden, um selbst mehr über Ansichten und kulturelle<br />

Praxen zu erfahren. 180<br />

- 254 -


Kursleiter D weist mit folgender Episode auf die Selbstorganisationsfähigkeit seiner<br />

Gruppe hin. Die Teilnehmenden organisieren sich selbst, wenn die Aufmerksamkeit<br />

des Kursleiters bei einer Person verweilen muss:<br />

»[…] es ist schon passiert, dass jemand kommt und wirklich Probleme hat. Echte Prob, wo<br />

ich auch merke, da können wir das Lernen heute einmal ziemlich vergessen. Dann mache ich<br />

es so, dass, wird dann auch schwierig mit der Gruppe manchmal, weil dann muss ich schon<br />

schauen, dass die Gruppe jetzt irgendwie arbeiten kann. Und ich kann, und ich beschäftige<br />

mich dann wirklich einmal eine Stunde oder so mit dieser Person und höre der wirklich zu. Hat<br />

bis jetzt eigentlich auch immer funktioniert, weil irgendwie die Gruppe das auch merkt, gell.<br />

Das kriegt dann so eine Dynamik, dass die Gruppe wirklich einmal selbstständig arbeitet und<br />

mich mit der Person in Ruhe lässt. Und dann probieren wir da einfach einmal, ja, Zeit macht<br />

dann schon viel, wenn es einfach einmal eine Stunde ist, zum Beispiel, nur ein Gespräch, dann<br />

ist nachher schon etwas anders.« (KLerD, 317-326)<br />

Kursleiterin G verweist auf ein Potenzial, das sie vor allem den erwachsenen Teilnehmenden<br />

zuschreibt, nämlich die Fähigkeit zur gegenseitigen Unterstützung:<br />

»Also, dass sie sich da auch untereinander immer wieder aufbauen. Bei den Jugendlichen ist<br />

das nicht so stark. Das ist eher bei den Erwachsenen, dass die da so solidarisch irgendwie in der<br />

Gruppe sein können. Bei den Jugendlichen ist es eher so, dass sie mehr für sich sind. […] Na,<br />

diese Selbstverständlichkeit, wir sind da zusammen und wir sind eine Gruppe, gibt es bei den Jugendlichen<br />

nicht für mich. Und wir können vielleicht auch was von einander haben. Das ist eher<br />

schon bei den Erwachsenen so. Auch wenn es nicht so sehr in das geht, dass man gemeinsam als<br />

Gruppe was macht. Aber so insgesamt, dass man auch so zwischendurch, dass sie so zwischendurch<br />

was miteinander reden. Auch wenn sie nicht unbedingt an einem Projekt miteinander arbeiten.<br />

Aber einfach auch so miteinander reden und so diese Stimmung insgesamt einfach eher so da<br />

ist, von einer Gemeinsamkeit.« (KLinG, 691-715)<br />

Kursleiterin B arbeitet sehr oft in Zweierteams oder Kleinstgruppen: »dass ich<br />

einfach Leute miteinander, also bitte, dass der eine mit dem anderen was macht.«<br />

(KLinB, 432f.) Sie trägt dafür Sorge, dass sich Teilnehmende gegenseitig unterstützen<br />

und von den gemeinsamen Lernaktivitäten profitieren können. Dafür<br />

ist es notwendig, die jeweiligen Stärken und Schwächen zu kennen. Sie berichtet<br />

von gemeinsamen Lernaktivitäten einer Teilnehmerin mit Deutsch als Erstsprache<br />

und einer Teilnehmerin mit einer anderen Erstsprache als Deutsch, deren<br />

Lernziel der Führerschein ist. Die Teilnehmerin mit Deutsch als Erstsprache<br />

erwirbt Sicherheit im Vorlesen und im freien Sprechen – ihr erklärtes Lernziel –,<br />

und die Teilnehmerin, die für die Führerscheinprüfung lernt, kann ihre Deutschkenntnisse<br />

erweitern und sich die Lerninhalte erarbeiten, um sich die Grundlage<br />

für ihr berufliches Ziel zu schaffen, das den Führerschein erfordert (vgl. KLinB,<br />

427-431).<br />

- 255 -


Kursleiterin H verweist auf die Bedeutung der Anerkennung durch andere Teilnehmende:<br />

»[…] und die haben teilweise niemanden, der ihnen sagt: He, du bist ein klasser Kerl irgendwie.<br />

Und da glaube ich schon, dass sie im Kurs auch Anerkennung finden. Auch wenn sie eine Kleingruppenarbeit<br />

machen und sich gegenseitig dann irgendwie loben oder so. Dann kriegen sie das<br />

auch von ihren Kollegen.« (KLinH, 439-442)<br />

In Hinblick auf gemeinsame Lernaktivitäten scheint ein wesentlicher Unterschied<br />

zwischen erwachsenen Teilnehmenden und jugendlichen Teilnehmenden zu bestehen:<br />

»Bei den Jugendlichen ist es eher so, dass sie mehr für sich sind. Jeder einzelne und jede. […]<br />

Auch oft wenn ich jetzt anbiete: Na ja, du kennst dich da jetzt bei der Aufgabe nicht aus und<br />

hast keine Ahnung, aber es macht ja der da auch dasselbe. Vielleicht könntet ihr euch zusammentun<br />

und schauen, ob ihr miteinander was erreicht. Also das ist nicht so, da habe ich manchmal<br />

das Gefühl, es ist vielleicht auch noch das von der Schule so drin, man darf ja nicht abschauen<br />

[…] man muss ja alles selber wissen und nicht irgendwie Teamarbeit […].« (KLinG,<br />

693-699)<br />

In einem Team an einer Aufgabe zu arbeiten und sich gemeinsam einem Lerngegenstand<br />

zu widmen, ist wohl eine deutliche Ausprägung eigenständigen Lernens.<br />

Hier weisen junge Teilnehmende einen Entwicklungsbedarf auf. Die von der Kursleiterin<br />

in der oben zitierten Episode geäußerte Hypothese verweist auf schwierige<br />

Nachwirkungen schulischen Lernens. Zudem beschreibt diese Kursleiterin,<br />

die vor allem mit Jugendlichen arbeitet, eine spezielle Gruppendynamik, zu der<br />

es bei erwachsenen Teilnehmenden nicht kommt, nämlich einen gewissen »Gruppendruck«<br />

(KLinG, 335), wenn sich einzelne Teilnehmende gegen gewisse Übungen<br />

zur Wehr setzen und andere Teilnehmende beeinflussen möchten, dasselbe zu<br />

tun (vgl. KLinG, 333-347). Um einen solchen Lernbedarf bearbeiten zu können,<br />

wäre meines Erachtens die Durchmischung der Gruppen in Bezug auf das Lebensalter<br />

der Teilnehmenden eine möglicherweise sinnvolle Strategie. Lernen und Entwicklung<br />

vollziehen sich vielfach angeregt durch Vorbildwirkungen innerhalb einer<br />

Gruppe; altersheterogene Gruppen dürften hier ein gewisses Potenzial besitzen.<br />

5.2.7 Resümee: Lehrhandeln – Kursgeschehen aus der Perspektive<br />

der Kursleitenden<br />

Die Interpretationsergebnisse verdeutlichen einen Aspekt des erwachsenenpädagogischen<br />

Handelns, der in der Bildungsarbeit mit bildungsbenachteiligten Erwachsenen<br />

von besonderer Bedeutung ist: die aktive Herstellung einer tragfähigen<br />

- 256 -


Beziehung. Diese tragfähige Beziehung ist die Basis, auf der sich gelingende Lehr-<br />

Lern-Prozesse vollziehen können. 181 Die diesbezüglich erbrachten Leistungen der<br />

befragten Kursleitenden sollten zum einen stärker gewürdigt werden, denn gleichsam<br />

mit vollem Herzen dabei zu sein, ist eine Qualität des Lehrhandelns in der Basisbildung.<br />

Zum anderen belegen die Interpretationsergebnisse die Zeitintensität<br />

der Lehr-Lern-Prozesse in der Basisbildung. Beide Aspekte – die tragfähigen Beziehungen<br />

zwischen Kursleitenden und Teilnehmenden und die Zeitintensität der<br />

Lehr-Lern-Prozesse – müssten meines Erachtens in der bildungspolitischen Diskussion<br />

Beachtung finden, weil diese bedeutsam sind für qualitativ hochwertige,<br />

weil nachhaltige Basisbildungsprozesse.<br />

Die Basis zu sichern (Zuwendung, Kultur der Anerkennung, Vertrauensbasis), erfordert<br />

entsprechende zeitliche Ressourcen. Aus dieser Sicherstellung der Basis<br />

resultieren gleichzeitig Wissensbestände über die Teilnehmenden, die adäquates<br />

Lehrhandeln eigentlich erst ermöglichen, nämlich die Wahrnehmung und die Berücksichtigung<br />

der individuellen Voraussetzungen und der sich vollziehenden Entwicklungsschritte.<br />

Das Setzen von Interventionen, insbesondere das Erkennen und<br />

Entkräften von individuellen Glaubenssätzen, kann sich nur auf einer solchen Basis<br />

vollziehen. Es kann davon ausgegangen werden, dass Teilnehmende grundsätzlich<br />

von ähnlichen Glaubenssätzen in Form von selbst gesetzten Grenzen oder<br />

verinnerlichter Schwäche behindert werden. Die tatsächliche, wirksame Entkräftung<br />

von Glaubenssätzen kann jedoch nur auf der Individualebene erfolgen. Individuelle<br />

Überzeugungen müssen auch individuell bearbeitet werden. Daher muss<br />

das Lehrhandeln seinen Ausgangspunkt beim Individuum nehmen und bedarf entsprechender<br />

zeitlicher Ressourcen (siehe oben). Die erfolgreiche Entkräftung hinderlicher<br />

Glaubenssätze dürfte einen wesentlichen Beitrag zur Veränderung des<br />

Selbstwertgefühls leisten. Das Selbstwertgefühl ist eine »generalisierte wertende<br />

Einstellung gegenüber dem Selbst« (Zimbardo/Gerrig 2004: 634); diese Einstellung<br />

beeinflusst Stimmung und persönliche und soziale Verhaltensweisen (vgl.<br />

ebd.). Wenn die Entkräftung von Glaubenssätzen dazu führen kann, dass sich die<br />

Einstellung gegenüber dem Selbst positiv verändert, dann ist das ein wesentlicher<br />

Beitrag zur Stärkung der Teilnehmenden.<br />

Die feststellbare Kultur der Anerkennung, die in den Kursen gelebt wird, verdeutlicht<br />

die Bedeutung von Lob als positive Bekräftigung der Teilnehmenden. Mittels<br />

Lob und der verdeutlichenden Benennung von Lernprozessen gelingt es den Kursleitenden,<br />

den Teilnehmer/inne/n erfolgreich vollzogene Lernfortschritte tatsächlich<br />

bewusst zu machen. Das ist von Bedeutung, weil Teilnehmende vielfach ihre<br />

eigenen Lernfortschritte nicht als solche (an)erkennen und diese daher nicht selbst<br />

würdigen können. Eine Kursleiterin hat wohl aus diesem Grund ihre »Begeisterung<br />

für alles, was an Lernfortschritten kommt« als ihre wichtigste Eigenschaft beschrieben.<br />

Die achtsame Aufmerksamkeit für vollzogene Lernschritte erfordert die<br />

Fähigkeit zum Perspektivenwechsel: Jede Leistung findet Anerkennung und wird<br />

solcherart positiv verstärkt. Gleichzeitig ist dieses Lehrhandeln ein Beitrag dazu,<br />

- 257 -


dass die Teilnehmenden ihr Lernkompetenz entwickeln können, indem sie lernen,<br />

ihren eigenen Lernstand einzuschätzen.<br />

Das beobachtete Lehrhandeln konzentriert sich auf die Förderung der Lernprozesse.<br />

In einer der beiden untersuchten Basisbildungseinrichtungen findet sich eine<br />

Form des Lehrhandelns, das als kontinuierlicher Abstimmungs- und Aushandlungsprozess<br />

interpretiert wurde. Abstimmungsprozesse erfolgen unter Beachtung der<br />

Voraussetzungen der Teilnehmenden; durch diese individuell abgestimmte Förderung<br />

vollzieht sich die Stärkung, weil dadurch Schwächen ergründet und gemildert<br />

werden können. Die Beteiligung der Teilnehmenden an der inhaltlichen Gestaltung<br />

der Lehr-Lern-Prozesse wird ebenfalls sichtbar, und zwar in Form von<br />

Aushandlungsprozessen zwischen Teilnehmenden und Kursleitenden, wodurch die<br />

Selbstbestimmung im Lernprozess gefördert wird. Solche Prozesse ermöglichen<br />

den Teilnehmenden die Herstellung einer inneren Gewissheit über die eigenen<br />

Lernanliegen. Aus der Perspektive der Kursleitenden fördern diese Prozesse auch<br />

die Sicherstellung von Verbindlichkeit. Insgesamt kann davon ausgegangen werden,<br />

dass die Teilnehmenden durch diese Form des Lehrhandelns einen Lernsinn<br />

entwickeln können; damit sind individuell sinnstiftende Lernprozesse gemeint, die<br />

über gemeinsame Abstimmungs- und Aushandlungsprozesse konkretisiert werden.<br />

Das erscheint in Hinblick auf jüngere Teilnehmende gleichsam als Sollbruchstelle,<br />

denn oftmals steht der für die Entwicklung und Erfahrung von Lernsinn notwendige<br />

Zeitrahmen nicht zur Verfügung. Es braucht Zeit (ungefähr vier Monate, so<br />

die Schätzung einer Kursleiterin), bis negative Erfahrungen mit Lernaktivitäten,<br />

die bei jüngeren Teilnehmenden durch die Nähe zum schulischen Lernen noch präsenter<br />

sind, überwunden und in förderlichen Lehr-Lern-Prozessen positiv besetzt<br />

werden können. Die Annahme eines Jobs dürfte in dieser neuralgischen Phase vielfach<br />

als Ausweichmöglichkeit erscheinen und die Teilnahme am Basisbildungskurs<br />

wird beendet.<br />

Die Förderung der Eigenständigkeit der Teilnehmenden in Hinblick auf ihre Lernprozesse<br />

erfolgt auf dem Wege der Zuwendung, der Unterstützung von selbsttätigen<br />

Lernaktivitäten sowie der Ausweitung der vorab gemeinsam bestimmten<br />

Lerninhalte durch die Kursleitenden. In diesem Zusammenhang zeigen die Interpretationsergebnisse<br />

ein uneinheitliches Bild: Diese Form des Lehrhandelns – das<br />

Setzen von Themen und Vorgeben von Inhalten – gestalten die Kursleitenden unterschiedlich.<br />

Die Spannbreite reicht von starker Zurückhaltung (ein Kursleiter beschrieb<br />

seine Funktion vom Wollen der Teilnehmenden ausgehend als Begleitung)<br />

bis hin zur aktiven Themensetzung (eine Kursleiterin bestimmte im Vorhinein, dass<br />

»Österreich« als Themenpaket im Kurs zu behandeln wäre). Die meisten Kursleitenden<br />

scheinen die Ausweitung der Lerninhalte jedoch überwiegend in Abstimmungs-<br />

und Aushandlungsprozessen mit ihren Teilnehmenden gemeinsam vorzunehmen.<br />

Wesentlich hierbei ist, dass Angebote per se abgelehnt werden dürfen.<br />

Von Bedeutung ist auch, dass durch die Vertrauensbasis und die tragfähigen Beziehungen<br />

sichergestellt sein dürfte, dass die Angebote bereits vorab auf die jewei-<br />

- 258 -


ligen Teilnehmenden abgestimmt worden sind und dadurch vielfach auf Interesse<br />

stoßen. Die Dauer der Teilnahme nimmt hierauf vermutlich auch Einfluss: Eine<br />

längerfristige Teilnahme dürfte bewirken, dass der unmittelbare Bedarf gedeckt<br />

und die unmittelbaren Bedürfnisse bereits befriedigt wurden; die Fähigkeiten nehmen<br />

zu, die Perspektiven erweitern sich und es ist vorstellbar, dass eine <strong>Verlag</strong>erung<br />

zu gemeinsamen Aushandlungsprozessen stattfinden wird. Eine Kursleiterin<br />

arbeitet beispielsweise mit einer seit längerem bestehenden Gruppe. Sie hat berichtet,<br />

dass in dieser Gruppe viele Aktivitäten stattfinden und Inhalte bearbeitet werden,<br />

die über die klassische Basisbildung hinausgehen. Diesbezüglich kann die<br />

Vermutung formuliert werden, dass die Teilnehmenden gestärkt und somit stabilisiert<br />

sind – der Basisbildungsbedarf dürfte gedeckt sein und weiterführende Inhalte<br />

sind möglicherweise von Interesse.<br />

Insgesamt scheint die Wahrnehmung und Berücksichtigung der individuellen Entwicklung,<br />

des individuellen Tempos der Teilnehmenden unerlässlich zu sein, um<br />

die Vorgabe von Lehrinhalten zu vermeiden und stets eigenständiges Lernen (Inhalte,<br />

Anliegen, Wünsche, Interessen) zu ermöglichen. Hierbei stellen sich nun folgende<br />

Fragen: Dürfen Inhalte vorgegeben werden oder dürfen Inhalte nur wiederholt<br />

angeboten werden Müssen Entwicklungen abgewartet werden oder dürfen<br />

Entwicklungen angestoßen werden Bedeutet eine ausgeprägte Orientierung an<br />

den Teilnehmenden, dass möglicherweise interessante Inhalte unbearbeitet bleiben<br />

Besteht eine gewisse Zurückhaltung, weil jegliche Erinnerung an schulisches<br />

Lernen, das mit einem vorgegebenen Kanon durch ausgeprägtes Lehrhandeln definierte<br />

Lehrziele verfolgt, vermieden werden soll 182 Diese Fragen verweisen auf<br />

das Spannungsfeld zwischen Laisser-faire und einem festgelegten Bildungskanon.<br />

Zwischen diesen Polen finden sich im Datenmaterial folgende Gestaltungselemente:<br />

Lernanlässe wahrnehmen, dialogisch Lerninteressen aufdecken, auf Abstimmungsprozessen<br />

basierende Angebote machen und in Aushandlungsprozessen<br />

gemeinsam Inhalte entdecken, festlegen und gestalten. In diesem Zusammenhang<br />

kann eine von Wiltrud Gieseke formulierte Einschätzung auch für die Basisbildung<br />

weiterhelfen, sie stellt nämlich fest, dass sich Menschen nicht gerne etwas<br />

vorschreiben ließen, aber:<br />

»der Mensch jeden Alters sucht doch nach Anregungen, hat nicht umfassende Zugänge zu allen<br />

Wissensebenen und kann auch die nötige Zeit zur Auswertung nicht allein aufbringen. Er ist,<br />

wenn man Bildung für Erwachsene nicht abschaffen will, auf Lernangebote auch im Prozess des<br />

Lernens angewiesen.« (Gieseke 2007: 220; Hervorh. v. MK)<br />

Wenn eine ausgeprägte Orientierung der Erwachsenenbildung an den Teilnehmenden<br />

letztlich auf »Einzelunterricht« hinauslaufen würde, wie Horst Siebert festgestellt<br />

hat (vgl. Siebert 2003: 97), dann müsste das umso stärker für die Basisbildung<br />

gelten, schließlich vollziehen sich hier die Lehr-Lern-Prozesse stark individualisiert.<br />

Allerdings zeigen die Interpretationsergebnisse, dass die Gruppe als Res-<br />

- 259 -


source wahrgenommen und die Gruppenbildung gezielt gefördert wird. Für die<br />

Kursleitenden scheint die Gruppe eine entlastende Funktion zu haben. In Gruppen<br />

mit einem guten Zusammenhalt kann sich ein gewisses Selbstorganisationspotenzial<br />

entfalten, beispielsweise werden neue Teilnehmende von der bestehenden<br />

Gruppe aufgenommen, kann die Gruppe eine Vorbildfunktion übernehmen, können<br />

aus der Gruppenzusammensetzung Lernanlässe resultieren, sprechen sich Teilnehmende<br />

gegenseitig Lob aus und können einander unterstützen. Ein Kursleiter<br />

erlebt die Tatsache, dass jede/r Teilnehmende einer Gruppe unterschiedliche Anforderungen<br />

an ihn stellt – abhängig von seinen/ihren Lernschritten –, und er dadurch<br />

immer wieder die Lernsettings wechseln kann, als entlastend. Die Interpretationsergebnisse<br />

zeigen ferner, dass sich Bildungsprozesse über Gespräche vollziehen,<br />

beispielsweise ermöglichen Gespräche, vielfach auch nebenbei geführt, eine Annäherung<br />

an ein Lernen mit interkulturellem Bezug. Elke Gruber hat sich in einer<br />

Auseinandersetzung mit politischer Bildung und Erwachsenenbildung auf Michel<br />

de Montaigne bezogen, der Folgendes festgestellt hat: »Die fruchtbarste und natürlichste<br />

Übung unseres Geistes sind nach meiner Meinung Gespräche und Diskussion.«<br />

(Montaigne 1999 zit. n. Gruber 2008b: 281) Gespräche und Diskussionen in<br />

der Gruppe als Bildungsräume und Bildungsmedium zu verstehen, scheint sich für<br />

die untersuchten Basisbildungskurse anzubieten, insbesondere wenn sie an Aktivitäten<br />

der Wissensvermittlung und Wissensgenerierung gekoppelt sind, wenn beispielsweise<br />

zu tagesaktuellen Themen Fakten recherchiert werden, die als Grundlage<br />

für die Diskussion in der Gruppe dienen.<br />

Abschließend sollen Argumente für eine altersheterogene Gruppenzusammensetzung<br />

vorgebracht werden. Die Kursleitenden nehmen Unterschiede zwischen den<br />

erwachsenen Teilnehmenden und den jüngeren Teilnehmenden (Jugendliche und<br />

junge Erwachsene) wahr. Die älteren Teilnehmenden haben vielfach aufgrund ihres<br />

Bildungsbedarfs bereits Ausschlüsse erfahren; erwachsene Teilnehmende nehmen<br />

den Basisbildungskurs gleichsam als Neubeginn wahr, die jüngeren Teilnehmenden<br />

scheinen vielfach gefühlsmäßig an schulische Erfahrungen anzuschließen.<br />

Viele der jüngeren Teilnehmenden scheinen in ihren Betreuungsstrukturen gut aufgehoben<br />

zu sein und werden von diesen Einrichtungen zur Basisbildungsteilnahme<br />

vermittelt. Ein Kursleiter beschreibt, dass den jüngeren Teilnehmenden vielfach<br />

nicht klar zu sein scheint, welche Möglichkeiten eine Teilnahme bietet, gemeinsam<br />

wird diese »Chance« (KLerD, 407) erst herausgearbeitet. Erwachsene Teilnehmende,<br />

die aufgrund ihres eigenen Entschlusses teilnehmen, vielfach gefühlte<br />

und tatsächliche Ausschlusserfahrungen erlitten haben und die sich bietende Möglichkeit<br />

zur Kompensation von Bildungsbenachteiligung als solche wahrnehmen,<br />

werden mit diesen Voraussetzungen in der Gruppe präsent sein; außerdem dürften<br />

altersheterogene Gruppen kaum die Erinnerung an schulisches Lernen wachrufen.<br />

- 260 -


5.3 Lernprozesse:<br />

Kursgeschehen aus der Perspektive der Teilnehmenden<br />

In diesem Abschnitt wird gezeigt, wie die befragten Teilnehmenden ihren Kurs erleben<br />

und welche Aussagen sie über ihre jeweiligen Lernprozesse treffen. Hier<br />

geht es ebenfalls um die Rekonstruktion von subjektiven Handlungen und Deutungen.<br />

Die Erfahrungen der Teilnehmenden in Hinblick auf ihre Lernprozesse werden<br />

nachvollzogen. Thematisiert wird dadurch die Frage nach der Wirksamkeit<br />

des Lehrhandelns in Hinblick auf die individuellen Lernprozesse. Das ermöglicht<br />

die Erforschung von Zusammenhängen zwischen Handlung und Wirkung. Folgende<br />

Interpretationsergebnisse stehen im Mittelpunkt: Das Lehr-Lern-Gefüge als<br />

Ort des Lernens (Abschnitt 5.3.1), Bewusstwerdungs- und Bewältigungsprozesse<br />

in Hinblick auf hinderliche Glaubenssätze (Abschnitt 5.3.2), Unterschiede in den<br />

Lernvoraussetzungen im Kontext von Selbstverständnis und Selbstbild (Abschnitt<br />

5.3.3), Entwicklungsräume, die sich durch Abstimmungs- und Aushandlungsprozesse<br />

eröffnen (Abschnitt 5.3.4), die Koppelung von Basisbildung und anderen<br />

Weiterbildungen als Vorbereitung oder Begleitung (Abschnitt 5.3.5), die vertrauensvollen<br />

Beziehungen als Ressource für Entwicklung (Abschnitt 5.3.6), die Bedeutung<br />

der lernenden Gemeinschaft und mögliche Grenzen (Abschnitt 5.3.7) und<br />

schließlich die Solidarität als Verbundenheit mit Benachteiligten (Abschnitt 5.3.8).<br />

Im Resümee (Abschnitt 5.3.9) wird auf zentrale Interpretationsergebnisse Bezug<br />

genommen und es werden Schlüsse in Hinblick auf die Lernprozesse gezogen.<br />

5.3.1 Lehr-Lern-Gefüge: der Kurs als Ort des Lernens<br />

Die individuellen Lernaktivitäten verfügen mit dem Kurs über einen angemessenen<br />

Raum, ein Gefüge, das Sicherheit vermitteln und Anregung bieten kann. Aus<br />

der Perspektive der Teilnehmenden kann der Basisbildungskurs somit als Lehr-<br />

Lern-Gefüge interpretiert werden. Im Mittelpunkt der Episoden über ihre Lernprozesse<br />

stehen für die Teilnehmenden die Begleitung und Unterstützung durch die<br />

Kursleitenden. Teilweise werden auch die Gemeinschaft (Gruppe als Ressource),<br />

das gemeinsame Kaffeetrinken, Gespräche oder Spiele in den Pausen thematisiert.<br />

In keiner einzigen Episode findet der Kursraum Erwähnung. Die Teilnehmenden<br />

scheinen dem realen Ort ihres Lernens keine Aufmerksamkeit zu schenken. Es<br />

ist, als seien die befragten Teilnehmenden im besten Sinn auf ihr Lernen und ihre<br />

Kursleiterin/ihren Kursleiter konzentriert. 183<br />

Für Teilnehmerin 1 ist ihr Lehr-Lern-Gefüge eine conditio sine qua non:<br />

»(T) Wann ich kommen hier, freue mich schon. Weil wenn ich hier herkommen, ich bisschen<br />

was schaffe, verstehen Wenn ich zu Hause bleiben, es kommt nix, nur so sitzen, aber wann<br />

ich herkomme, ich kann bisschen lesen, bisschen schreiben. Weil wenn ich nicht kann, kann<br />

ich fragen. Verstehen, was ich meine<br />

- 261 -


(I) Ja, ja, ja.<br />

(T) Und das ist wichtig für mich.« (TNin1, 235-240)<br />

Sie beschreibt, wie sie zum ersten Mal einen an sie adressierten Brief eigenständig<br />

gelesen hat. Sie liest den Brief ihrem Mann am Telefon und auch ihrer Nachbarin<br />

vor. Zu ihrem nächsten Kurs nimmt sie diesen Brief mit, um ihn ihrer Kursleiterin<br />

vorzulesen (vgl. TNin1, 356-373). Es entsteht der Eindruck, dass ihr die<br />

Rückversicherung der Kursleiterin, alles richtig gelesen und verstanden zu haben,<br />

wichtiger ist als jene ihrer Nachbarin. Diese positive Rückmeldung ihrer Kursleiterin<br />

ist für sie wie der Beweis ihres Lernfortschrittes und ist für sie auch notwendig,<br />

um ihren Erfolg zu verstärken, wobei sich diese Verstärkung offenbar innerhalb<br />

des Lehr-Lern-Gefüges vollziehen muss: »[…] du sagen für mich, ob stimmt<br />

oder nicht, habe ich alles gelesen, der Wort. Dann habe ich gesagt, jetzt schauen ob<br />

das hier stimmt oder nicht. Dann haben sie gesagt, das hier stimmt (sie lacht)! Das<br />

ist super!« (TNin1, 370ff.)<br />

Für Teilnehmerin 19 bedeutet ihre Lernzeit eine willkommene Auszeit von der<br />

schweren, körperlichen Arbeit im Rahmen ihres Beschäftigungsprojektes (vgl.<br />

TNin19, 578-581).<br />

Teilnehmerin 6 bereitet der wöchentlich fixe Termin »zum Lernen« in einem feststehenden<br />

Lernraum große Freude: »[…] ich freue mich immer am Donnerstag,<br />

wenn ich weiß, ich gehe nach [Kursort] zum Lernen die drei Stunden. Ich freue<br />

mich wie ein kleines Kind.« (TNin6, 69f.) Die Freude über diesen Aktionsraum<br />

resultiert auch aus ihrer Lebenssituation: Als berufstätige Alleinerzieherin ist ihre<br />

Teilnahme nicht nur ein erster Schritt auf dem Weg zu ihrem beruflichen Ziel (vgl.<br />

TNin6, 76-82). Der Kurs ist neben ihren familiären Betreuungs- und Versorgungspflichten<br />

und ihrer Erwerbsarbeit die einzige Eigenzeit:<br />

»(T) Das ist ein ganz gutes Gefühl, wenn ich hier in den Kurs. Ich bin nicht in zu Hause hinsetzen.<br />

Es bringt mir was, wenn ich hier lerne. Es bringt mir was.<br />

(I) Und zu Hause setzen Sie sich auch hin Ich habe das nicht verstanden.<br />

(T) Weil normalerweise bin ich zu Hause. Wenn ich, wenn ich nicht in den Kurs war, ich<br />

komme von der Arbeit, ich hinsetzen zu Haus. […] Müde oder, oder beschäftigt mit dem Kind,<br />

die möchte auch ein bisschen von zu Hause. Nicht immer zu Hause. […] Und ich freue mich<br />

immer, wenn ich hier.« (TNin6, 171-180)<br />

Am Beispiel von Teilnehmerin 6 wird die generelle Fragilität des Lernprozesses<br />

deutlich. Ihr Lernen scheint an das Lehr-Lern-Gefüge gebunden zu sein. Sie fürchtet<br />

nämlich, bereits erworbene Fähigkeiten könnten ihr durch eine Unterbrechung<br />

wieder abhandenkommen. Allerdings hat diese Befürchtung auch eine reale Basis:<br />

Kontinuierliche Übung ist notwendig. Deshalb ist der Kurs als Lehr-Lern-Gefüge<br />

für sie auch von so großer Bedeutung. Sie vertraut sich mit ihren diesbezüglichen<br />

Sorgen ihrer Kursleiterin an:<br />

- 262 -


»Einmal ich war, ich war ungefähr zwei Wochen nicht gegangen. Und da habe ich Angst zum<br />

Schreiben. Wenn ich einmal nicht kommen, wann ich komme wieder, wenn ich eine Woche<br />

nicht hier bin. Wenn ich einmal nicht kommen, dann ich habe dieses Gefühl, ob Probleme zum<br />

Schreiben. Dann kommt so vor, sag ich der [Kursleiterin]: Bitte hilf mir, ich habe dieses Gefühl,<br />

diese Angst zu schreiben. Dann wir schreiben dann.« (TNin6, 218-223)<br />

Die begleitete Überwindung durch die gemeinsame Aktivität beruhigt und schafft<br />

Sicherheit und sie erfährt Kontinuität in ihrer Leistung:<br />

»(I) Woher kommt diese Angst<br />

(T) Weißt warum Wenn ich freue mich jedes Woche, ja, dass ich hier komme und wenn ich<br />

einmal nicht komme, ich, was soll ich sagen. Ich denke einmal, vielleicht kann ich nicht weiter<br />

schreiben, äh vielleicht hat es vergessen. Aber es stimmt nicht, das kommt nur von Gedanken<br />

(sie lächelt). Ich weiß nicht warum, aber in Kopf sind sehr viel geblieben was ich bis jetzt<br />

gemacht habe.« (TNin6, 224-228)<br />

Ganz ähnlich verhält es sich bei Teilnehmerin 20, die nach einer längeren krankheitsbedingten<br />

Unterbrechung ebenfalls mit Hilfe ihres Kursleiters an das Gelernte<br />

wieder anschließen kann (vgl. TNin20, 168-173): »und da kommt man dann wieder<br />

rein« (TNin20, 172f.).<br />

Auch bei Teilnehmer 15 zeigt sich die Bedeutung des Kurses als Ort seiner Lernaktivitäten.<br />

Er schreibt seine Geschichten vor allem im Kurs und nicht zu Hause:<br />

»Ich WILL schreiben, aber, aber ich habe keine Zeit dazu (er lacht). Das, das ist wieder das Tragische.<br />

Weil ich, ich habe [private Aktivität] so viel zu tun, dass ich eher selten zum Schreiben<br />

komme. Ich schreibe schon zwar, aber, aber selten schreibe ich. Da schreibe ich, da schreibe ich<br />

DA [im Kurs] mehr als was ich daheim schreibe. Aber ich möchte eh jetzt das ändern, das Ganze.<br />

Dass ich mehr Geschichterln daheim schreib.« (TNer15, 563-567)<br />

Teilnehmerin 7 kann im Lehr-Lern-Gefüge Herausforderungen durch das auffordernde<br />

Lehrhandeln annehmen und erfolgreich bewältigen:<br />

»Gut, haben wir erzählt, das geht, da habe ich kein Problem (lachend). Und dann aufschreiben,<br />

aber nur in ein paar Sätze, nur eine kurze Geschichte (sie stöhnt), ich war fertig (lachend). Aber<br />

es hat toll funktioniert. Ich meine, man muss es nur machen, nicht. Für mich, ich traue mich das<br />

sonst nirgends machen, nicht.« (TNin7, 221-224)<br />

Sie beschreibt das Lehr-Lern-Gefüge als den Rahmen, der ihr die für sie (noch) unentbehrliche<br />

Sicherheit vermittelt:<br />

»Ich meine, ich habe einen Beruf, meine Berufschule, und dann machst du einfach nichts. […]<br />

ich wollte das ganz, nur primitiv Lesen und Schreiben lernen wieder. Und auch ein biss chen<br />

- 263 -


Rechnen, weil man verlernt ja alles. […] da kommst du dir oft vor wie bescheuert, wenn du was<br />

ausfüllen musst, nicht. Weil du die ganzen, du schreibst ja nie. Jetzt habe ich schon Kochbücher<br />

angefangen zum Schreiben und so Sachen, aber das ist nicht so, wie wenn man da her geht. Das<br />

ist schon eine große Hilfe. Für mich halt. Für mich gibt es sehr viel Sicherheit.« (TNin7, 47-55)<br />

Teilnehmerin 23 befindet sich in der Nacherwerbsphase und schätzt aufgrund ihres<br />

hohen Lebensalters die Herausforderungen, die sie im Kurs erfährt. Sie scheint die<br />

positive Anstrengung zu genießen:<br />

»[…] und man muss ein bisschen vorsichtig sein mit dem Verkalken (sie lacht). Man vergisst<br />

eh automatisch, nicht. Aber wenn man sich ein bisschen, und daheim sicher, ich lese viel. Das<br />

schon so. Aber, aber es ist nicht so. Ah. Da muss ich mich halt doch anstrengen und muss denken.<br />

Und daheim ist das halt nicht so, nicht. Also dass man das. Und darum gehe ich gerne her<br />

[…].« (TNin23, 56-60)<br />

Teilnehmer 22 hat als langjähriger Teilnehmer mit einigen Kursleitenden zusammengearbeitet.<br />

Er lobt seinen ersten Kursleiter, der das Team aufgebaut hat, und<br />

dieses Team sei »genau in der Schiene […] weitergegangen« (TNer22, 78f.). Das<br />

Lehr-Lern-Gefüge besitzt trotz des Wechsels der Kursleitenden Stabilität und Kontinuität,<br />

was dieser Teilnehmer als sehr wichtig erachtet: »[…] und ein anderer<br />

hätte wieder ganz ein anderes Konzept. Weil dann natürlich auch die Leute, so wie<br />

wir halt sind, hätten sich wieder nichts ausgekannt. […] Das ist beibehalten worden.«<br />

(TNer22, 80ff.)<br />

Eine andere Erfahrung hat Teilnehmerin 11 gemacht, die von zwei Kursleitenden berichtet,<br />

die sich in Bezug auf ihr »Arbeitsschema« (TNin11, 64) unterscheiden. Zu<br />

viel Freiraum bekommt ihr offenbar nicht: »Gefällt mir nicht. Dann kann ich nicht<br />

arbeiten, dann, also wenn ich da jederzeit heraus kann […], dann bin ich auch sehr<br />

unpünktlich schon geworden und fast gar nicht mehr gekommen, weil er so viel Freiheiten<br />

gegeben hat.« (TNin11, 79ff.) Die kontinuierliche Frage des Kursleiters nach<br />

ihren Anliegen (»was wollen SIE«, TNin11, 66) hat ihr offenbar nicht genügend<br />

Struktur geboten. Sie schätzt und braucht einen Rahmen, den sie offenbar von ihrer<br />

aktuellen Kursleiterin in ausreichendem Maß erhält (vgl. TNin11, 60-85). Mit ihrer<br />

Teilnahme verfolgt sie kein konkretes Ziel, sie schätzt den Kurs als Ort ihrer Aktivitäten<br />

(vgl. TNin11, 115-119).<br />

5.3.2 Hinderliche Glaubenssätze:<br />

Bewusstwerdungs- und Bewältigungsprozesse<br />

Das Wahrnehmen und Entkräften hinderlicher Glaubenssätze ist ein wesentlicher<br />

Aspekt des Lehrhandelns (siehe Abschnitt 5.2.2). Die folgenden Interpretationsergebnisse<br />

verdeutlichen Prozesse der Bewusstwerdung und der Bewältigung hin-<br />

- 264 -


derlicher Glaubenssätze. Darin zeigt sich die Wirksamkeit des Lehrhandelns.<br />

Teilnehmerin 3 prägt sich die stärkenden Worte, die sowohl die Kursleitenden als<br />

auch ihr Lebensgefährte, der sie beim Lernen unterstützt, an sie richten/richtet ein<br />

und übernimmt sie:<br />

»Und dann habe ich das nachher, habe ich das geschrieben. Sagt er: Na! Und: Du bist NICHT<br />

DUMM. Stell dich nicht für dumm her! Sagt ein jeder. Du kannst was. Du, du, zeige es ihnen,<br />

wie du es kannst. Nicht sagen: Nein, das geht nicht, das traue ich mich nicht oder was. Auf,<br />

auf und gemma! Und so kannst es lernen, haben sie alle gesagt zu mir. Und das ist auch wahr.<br />

[…] Oft, da raucht dir schon der Kopf (sie lacht).« (TNin3, 631-636)<br />

Sie wiederholt die gehörten Sätze und integriert diese beruhigenden und positiven<br />

Worte in ihre Erzählungen über sich selbst. Während des Lernens leidet sie an<br />

Reminiszenzen, was sich in Form von Zittern und Nervosität äußert. Hier scheinen<br />

Erinnerungen an in der Kindheit erfahrene körperliche Züchtigungen aufzutauchen<br />

(vgl. TNin3, 127-141). Ihr Lebensgefährte beruhigt und bestärkt sie: »Und ich<br />

muss sagen […] da gibt keiner auf bei mir. Nein […] du kannst es! Ich weiß schon,<br />

du zitterst schon wieder.« (TNin3, 610ff.) Ihre nach wie vor bestehende Nervosität<br />

bewältigt sie mit Unterstützung der Kursleitenden:<br />

»Und ich muss sagen, ich bin schön bergauf gegangen. So, wie damals, die langen schweren<br />

Wörter […] Sachwalterschaft und das, das ist schon ein schweres Wort, da muss ich schon, da<br />

werde ich schon nervös, ja. Und da sagen sie alle: Ruhig, noch einmal durchsagen, noch einmal,<br />

geht schon, schau! Nur ein Wort, ein Wort fehlt noch. Und das baut mich auf. Da sag ich:<br />

Nix, zahr an, Madl! Und gib nicht auf!« (TNin3, 589-594)<br />

Teilnehmer 5 zitiert auf die Frage nach von ihm wahrgenommenen Fortschritten<br />

seine Kursleiterin, die ihn wiederholt darauf aufmerksam macht, sich nicht selbst<br />

herabzusetzen:<br />

»[…] sie sagt eh immer, ich tue mich selber immer so bekritteln. Ich mache zwar jetzt schon<br />

wieder zu wenig und so, daheim auch und das. Aber wenn ich mir halt so Sätze durchlese und<br />

ich habe alles begriffen, dann denke ich mir, und dass ich den ganzen Sinn weiß davon, ich,<br />

ich habe was geschafft.« (TNer5, 281-284)<br />

Er nimmt bewusst wahr, dass er dazu neigt, seine Leistungen nicht zu würdigen.<br />

Hier wird der Prozess der Veränderung seines Glaubenssatzes sichtbar. Seine Einschätzung<br />

der erzielten Lernfortschritte beim Lesen verdeutlicht das wachsende<br />

Vertrauen in seine Fähigkeiten.<br />

Teilnehmerin 20 nimmt ebenfalls die ihre Selbsteinschätzung korrigierende Würdigung<br />

ihrer Fähigkeiten durch ihren Kursleiter wahr:<br />

- 265 -


»Obwohl [ihr Kursleiter] sagt, ich, ich schätze mich da äh, schlechter ein, als was ich bin. Ja,<br />

aber äh, ich find halt, dass ich, mit der Rechtschreibung habe ich Probleme, aber er sagt […]<br />

das ist gar nicht so schlimm. Also, mir kommt es schlimmer vor, als es ist.« (TNin20, 224-228)<br />

Auch Teilnehmerin 23 bezieht sich auf die Einschätzung ihrer Kursleiterin. Diese<br />

stärkt ihr Vertrauen in ihre Rechtschreibkenntnisse. Diese Kenntnisse sind wohl<br />

implizit vorhanden, weil sie immer gern gelesen hat (vgl. TNin23, 346-373):<br />

»Jetzt musst du da studieren, jessas, wie muss ich DAS schreiben, wie muss ich. Und wenn<br />

man unsicher ist, dann macht man erst richtig die Fehler. Das hat eh da die [Kursleiterin] auch<br />

schon gesagt. Hat sie gesagt, wenn ich das normal, aber wie ich dann anfang, dass ich mir<br />

denke, ach, das radiere ich weg, das gehört anders geschrieben. Und dann ist es erst falsch.<br />

Wäre es zuerst eh richtig gewesen.« (TNin23, 204-208)<br />

Bei Teilnehmerin 7 lässt sich der Prozess der Bewältigung ihres hinderlichen Glaubenssatzes<br />

– aufgrund der in ihrer Kindheit diagnostizierten Legasthenie 184 nicht<br />

vorlesen zu können (vgl. TNin7, 28-32) – nachzeichnen. Zu Beginn ihrer Teilnahme<br />

erfährt sie die Gruppe als Freiraum, der es ihr ermöglicht, am Geschehen<br />

teilzuhaben:<br />

»[…] wenn du die sechs Wochen kennst, geht es dann schon. Aber gleich am Anfang. Ich habe<br />

einfach gesagt: Ich les nicht. Ich meine, und die, die Gruppe, da wird das auch so angenommen.<br />

Du musst ja nichts machen, nicht Also, ich les nicht. Es hat mich keiner gefragt, warum<br />

ich nichts vorlese. Alle haben irgendwie einen Absatz gelesen oder so, so Situationen was sie<br />

gar nicht, ein anderer denkt sich nicht einmal irgendetwas, und für mich, ich kriege Schweißausbrüche,<br />

alle Zustände, nicht. Ich meine, es ist eigentlich nur da drinnen wahrscheinlich.«<br />

(TNin7, 91-97)<br />

Ihr Glaubenssatz – »und ich habe schon immer mein Problem, dass ich nichts vorlesen<br />

kann« (TNin7, 22) – wird brüchig. Sie erkennt ihre eigene hinderliche Wahrnehmung<br />

(»nur da drinnen wahrscheinlich«) und erinnert sich an entsprechende früher<br />

erhaltene Hinweise. Ihre Schwester hat sie nämlich darauf aufmerksam gemacht,<br />

dass ihre Überzeugung möglicherweise nicht der Realität entspricht. Sie erlebt nun<br />

in ihrer Gruppe, dass dem Vorlesen mit einer gewissen Gelassenheit begegnet wird:<br />

»[…] aber das rede ich mir vielleicht selbst ein. Das sagt meine Schwester auch oft. Da sagt<br />

sie: Du bildest dir das ein irgendwie, nicht. Weil sie verliest sich auch teilweise, der ist das<br />

wurscht, na, da habe mich verlesen. Ich meine, wenn die in der Gruppe lesen, verliest sich sicher<br />

jeder einmal irgendwie oder. Die denken sich nicht einmal was.« (TNin7, 119-123)<br />

Später im Interview berichtet sie, dass sie »auch schon zweimal da einfach vorgelesen«<br />

(TNin7, 357) hat. Ihr gelingt das vormals Undenkbare, nämlich in der Gruppe<br />

- 266 -


vorzulesen. Die durch die Diagnose der Legasthenie errichtete wirksame Barriere<br />

wird überwunden. Der Befund, der Entwicklung verunmöglicht hat, wird von ihr<br />

aktiv außer Kraft gesetzt.<br />

Teilnehmer 22 beschreibt, wie seine Glaubenssätze (»böse Hintergedanken«) bereits<br />

vollzogene Fortschritte zunichte gemacht und ihn zurückgeworfen haben:<br />

»Das ist ja ganz ein böser, böser, böser Hintergedanken, dass du immer wieder sagst: Nein,<br />

das kann ich so und so nicht. Für dich selbst. Du bewertest dich selbst, nicht. […] das ist wie<br />

ein kleines Teuferl im Hintergedanken, was immer arbeitet: Ach, du bist zu dumm. Und du<br />

kannst es aber schon besser! Aber das will dich immer wieder zurückholen und sagen: Okay,<br />

du kannst es nicht, du hast es nie können, also warum sollst du es jetzt können Das sind schon<br />

böse Hintergedanken, von dir selbst, nicht. Das hat mit dem Lehrer oder mit anderen Leuten<br />

nichts zu tun. Das hat einfach mit deinem Selbstwert was zu tun.« (TNer22, 517-529)<br />

Er bringt diese Überlegungen mit seinem »Selbstwert« in Verbindung und beschreibt,<br />

wie er sich selbst immer wieder abwertet und wie stabil diese negativen<br />

Glaubenssätze sind. Hier offenbart sich die Prozesshaftigkeit der Stärkung<br />

und dass sie über einen längeren Zeitraum hinweg erfolgen muss. Das unterstützende<br />

Lehrhandeln der Kursleitenden ist eine notwendige Bedingung für diesen<br />

den Selbstwert stabilisierenden Lernprozess. Durch die behutsame und kontinuierliche<br />

Stärkung des Selbstwertes kann sich der innere, feste Kern einer gestärkten<br />

Persönlichkeit entwickeln. Positive Impulse in Form von unterstützendem Lehrhandeln<br />

fördern so den Prozess der nachhaltigen Bewältigung negativer Glaubenssätze.<br />

Teilnehmer 22 nimmt seit etwa vier Jahren an einem Basisbildungskurs teil.<br />

Mittlerweile bereitet er sich auf das Nachholen des Hauptschulabschlusses vor<br />

(vgl. TNer22, 152f. und 297f.).<br />

Teilnehmer 5 bemüht die Redensart vom »Hänschen«:<br />

»(T) […] jetzt werde ich 49 Jahre alt und denke mir halt, jetzt habe ich schon viel versäumt.<br />

[…] Was Hänschen nicht lernt, will nicht sagen, lernt Hans nimmer mehr, aber umso SCHWE-<br />

RER.<br />

(I) Aha, ist es so, empfinden Sie das so<br />

(T) Wenn man jetzt, was weiß ich, von der Schule […] jetzt ist es eh schon zu spät. Aber ich<br />

meine, da hätte er [Lehrer] müssen schauen, wenn der nicht mitkommt, dass man sich mit dem<br />

halt mehr befasst und so gut wie es geht und dann, weil ich meine, es ist, ich bin ja nicht so im<br />

Kopf behindert. Es ist traurig, wenn das so ist, aber, und dass man halt da geschaut hätte. Weil<br />

man ja dem fürs ganze Leben hilft […].« (TNer5, 255-266)<br />

Hier klingt neben der Herausforderung des Nachholens, insbesondere die Trauer<br />

über die nicht ermöglichte <strong>Teilhabe</strong> an Schulbildung aufgrund der nicht in ausreichendem<br />

Maß erfolgten Unterstützung an. Dementsprechend kann die Redensart<br />

vom »Hänschen« hier eher als Hinweis auf die als verloren wahrgenommene (Le-<br />

- 267 -


ens-)Zeit verstanden werden und weniger als Hinweis auf die Überzeugung, dass<br />

im mittleren und höheren Lebensalter das Lernen schwieriger sei (»…lernt Hans<br />

nimmer mehr«).<br />

Teilnehmerin 18, ebenfalls rund 50 Jahre alt, verfügt aufgrund ihrer Lebensgeschichte<br />

(Lehrabschluss, langjährige Berufserfahrung, Bildungsreisen, selbstorganisierter<br />

Erwerb von Englischkenntnissen, Teilnahme an einem Computer-Grundkurs<br />

eines kommerziellen Bildungsanbieters) über gänzlich andere<br />

Voraussetzungen und Ressourcen als Teilnehmer 5. Sie erlebt sich als veränderbar<br />

und vertraut auf ihre Lernfähigkeit:<br />

»[…] ich finde es schön, wenn ich etwas dazu lernen kann. Und in dem Fall Computer, weil ich<br />

das, weil mir das bewusst ist, dass ich das brauche. Und ja, ich weiß, dass ich viel lernen muss.<br />

Dass man immer wieder etwas Neues lernt. Egal was, aber man lernt immer wieder etwas. Es<br />

kommt nicht auf das Alter drauf an. […] Man lernt, egal ob jung oder alt. (sie lacht) Und jetzt<br />

nütze ich diese Möglichkeit, in der Richtung etwas zu lernen.« (TNin18, 154-160)<br />

Auch Teilnehmerin 20 thematisiert ihr Lebensalter. Sie gibt mit ihrer rhetorischen<br />

Frage – »warum soll man in meinem Alter nicht wieder lernen Das ist […] nirgendwo<br />

geschrieben, nicht« (TNin20, 290) – einen Hinweis darauf, dass sie die<br />

eigene Lernfähigkeit als prinzipiell vorhanden betrachtet. Im Kontext einer bevorstehenden<br />

neuen Lernsituation, in der sie vor allem jüngere Teilnehmende vermutet,<br />

185 übt ihr vergleichsweise höheres Lebensalter allerdings Druck auf sie aus:<br />

»Ich würde mich genieren schon von, von die jungen Leute, was dort sind. Weil es sind in der<br />

Regel alles nur junge Leute. Es ist, da werde ich sicher eine der Ältesten sein oder die Älteste.<br />

Und da, da möchte ich nicht so blöd dastehen oder so. […] Und ich meine, ich finde das auch<br />

nichts Schlechtes, ist auch für das Hirn nicht schlecht und warum soll man in meinem Alter<br />

nicht wieder lernen Das ist […] nirgendwo geschrieben, nicht« (TNin20, 283-290)<br />

Einige der befragten Teilnehmenden stehen vor der Herausforderung, eine Aneignungsperspektive<br />

zu entwickeln. Damit ist gemeint, dass die Vorstellung der eigenen<br />

Fähigkeit zur aktiven Aneignung neuer Wissensinhalte und neuer Fertigkeiten<br />

erst ausgebildet werden muss. Diese fehlende Aneignungsperspektive kann auf<br />

hinderlichen Glaubenssätzen beruhen. Teilnehmer 15 glaubt, die korrekte Schreibweise<br />

eines Wortes gleichsam hören zu müssen: »das ist so, wie wenn ich es nicht<br />

heraushören täte, doppel-ss oder scharfes ß« (TNer15, 590), und: »hartes t und, und<br />

weiches d« (TNer15, 339). Er konnte diesen Glaubenssatz noch nicht zur Gänze<br />

auflösen. Es lässt sich allerdings ein Hinweis auf die Entwicklung einer Aneignungsperspektive<br />

finden, wenn er erläutert: »[…] das harte t, oder was, das macht<br />

mir schon Probleme. Mit dem Kleinschreiben und Großschreiben, das macht mir<br />

zwar auch noch Probleme, aber nicht mehr so derartig wie, wie das, das mit die d<br />

und mit die s.« (TNer15, 591ff.) Meine Hypothese ist, dass Menschen, die auf eine<br />

- 268 -


erfolgreich verlaufene Bildungsgeschichte zurückblicken, gleichsam mühelos korrekt<br />

schreiben und dadurch möglicherweise den Eindruck erwecken, als könnte<br />

die korrekte Schreibweise eines Wortes tatsächlich gehört werden. Dahinter stehen<br />

allerdings (frühere) erfolgreiche Aneignungsprozesse, die eine Anwendung eines<br />

(scheinbar oder tatsächlich) unbewusst und daher gleichsam automatisch ablaufenden<br />

Prozesses ermöglichen. Umso wichtiger sind im Rahmen von Basisbildungskursen<br />

die kontinuierliche Unterstützung der Teilnehmenden bei der Entwicklung<br />

einer Perspektive der Aneignung und das (beständige) Transparentmachen der<br />

Möglichkeit und auch der Notwendigkeit der Aneignung.<br />

Teilnehmer 10 hat seinen Glaubenssatz, nicht lernfähig zu sein, noch nicht gänzlich<br />

revidieren können: »[…] es wird einen in der Schule gesagt: Du bist dumm,<br />

jetzt habe ich es dir dreimal gelernt, du bist dumm. Ich sag halt, man hängt halt<br />

irgendwo auf der Leitung, sagt man immer.« (TNer10, 452f.) Er hat die Vorstellung<br />

einer aktiven Aneignung offenbar noch nicht verinnerlicht (vgl. auch TNer10,<br />

173-183): »Fremdwörter ist für mich so, wie wenn ich es nicht verstehen könnte<br />

oder wie, ich weiß nicht, will ich es nicht oder kann ich es nicht.« (TNer10, 136ff.)<br />

Offensichtlich ist er der Auffassung, er müsste diese Wörter verstehen können,<br />

ohne vorher deren Bedeutung erlernt zu haben. Durch seine Kursteilnahme weiß<br />

er jedoch mittlerweile, dass die Möglichkeit besteht, in einem Wörterbuch nachzuschlagen<br />

oder jemanden zu fragen (vgl. TNer10, 280f.).<br />

Die folgende Episode von Teilnehmerin 6 kann die Hypothese von der Notwendigkeit<br />

der Entwicklung einer Aneignungsperspektive erhärten:<br />

»Am Anfang, ich habe, ICH selber diese Gefühl, so wie ich bin deppert 186 oder, warum ich<br />

kann nicht, ja […] Aber ich selber, ich habe dieses Gefühl am Anfang gehabt. Wenn, warum<br />

ich könnte es nicht mit die Buchstaben. Ich habe viele Probleme mit die Buchstaben am Anfang.<br />

Ich weiß nicht, wo ist die richtige Buchstaben, hm. […] Und ich habe mit dieses Gefühl,<br />

ich bin nicht normal, ja Und dann später nach der Zeit, ich habe gelernt, und die Situation<br />

war immer besser und immer besser. […] Und dieses Gefühl, ich habe früher gehabt,<br />

warum ich kann´s nicht […] mit der Zeit, ich habe geschaut – du könnte nicht anders früher!<br />

Natürlich, ich bin nicht hier aufgewachsen. Ich bin groß gekommen hier, ich muss von vorne.<br />

So wie jede anders, wenn kommen in eine fremdes Land, wo sie nicht diese Sprache kennt<br />

und nicht so schreiben, überhaupt nicht. Aber die Gefühle, habe ich gehabt auf mich selber.«<br />

(TNin6, 296-314)<br />

Die Kursteilnahme ermöglicht ihr die Erarbeitung einer Aneignungsperspektive;<br />

im Prozess des Lernens erfährt sie das eigene Veränderungspotenzial. Sie entwickelt<br />

die Vorstellung eines lernenden Selbst: »Ich denke einmal so, alles muss was<br />

lernen. Und niemand kommt in die Welt und weiß alles.« (TNin6, 201f.)<br />

Teilnehmerin 2 bringt das Erfordernis der Entwicklung einer Aneignungsperspektive<br />

ähnlich wie Teilnehmerin 6 mit folgender Einschätzung auf den Punkt:<br />

- 269 -


»Weil kann man sich nicht vorstellen, wie ein Mensch unglücklich ist, wenn nicht Lesen und<br />

Schreiben kann. Das ist wirklich sehr, sehr schwierig sich zum Vorstellen. Und du stehst da,<br />

das heißt nicht, dass Mensch dumm ist. Das heißt, das hat damit nichts zu tun. Aber es ist einfach,<br />

was man nicht gelernt haben, kann man nicht von keinem Kopf herausbringen. Das ist<br />

ja klar.« (TNin2, 453-458)<br />

5.3.3 Unterschiede in den Lernvoraussetzungen:<br />

Selbstverständnis und Selbstbild<br />

In den vorhergehenden Ausführungen sind bereits Unterschiede in den individuellen<br />

Voraussetzungen der befragten Teilnehmenden deutlich geworden. Diese Unterschiede<br />

können auf lebensgeschichtliche Erfahrungen und auf die daraus resultierenden<br />

Nachteile oder Ressourcen zurückgeführt werden.<br />

Anhand von zwei Episoden mit ähnlichem Thema, aber konträrer inhaltlicher Ausrichtung<br />

kann ein Unterschied in den Lernvoraussetzungen von Teilnehmenden<br />

mit Migrationshintergrund und Bildungsbedarf in der Zweitsprache Deutsch (am<br />

Beispiel von Teilnehmerin 2) und Teilnehmenden mit Deutsch als Erstsprache (am<br />

Beispiel von Teilnehmer 5) erhellt werden. Teilnehmerin 2 erklärt: »Das heißt, für<br />

uns Migranten ist das selbstverständlich [Lesen und Schreiben in Deutsch zu erlernen],<br />

aber dass Österreicher auch Mut haben und sagen: Ich kann das nicht, ich tue<br />

mir da schwer und ich werde, ich möchte das alles auffrischen.« (TNin2, 218-221)<br />

Dieses Selbstverständnis (»für uns Migranten ist das selbstverständlich«) ermöglicht<br />

es ihr, relativ unbefangen mit ihrem Basisbildungsbedarf umzugehen:<br />

»[…] für mich privat selber war schon sehr schwierig. Weil zum Beispiel, wenn was Essen mit<br />

den Kolleginnen gegangen, das war am Anfang für mich selber schwierig, weil ich habe das<br />

nicht richtig lesen können. Was steht drauf auf Speisekarte. Und ich habe mich immer andere<br />

Kolleginnen fragen müssen, was das heißt oder was ich bekomme und das haben sie müssen<br />

für mich schauen.« (TNin2, 205-209)<br />

Teilnehmer 5 erlebt eine ähnliche Situation gänzlich anders:<br />

»[…] wenn du das nicht lesen kannst beim Menü, was die, die anderen essen, wenn du diese<br />

Sachen nicht, nicht magst oder auch nicht essen SOLLST [aus gesundheitlichen Gründen]<br />

[…]. Und da schaust du einmal, was die anderen essen, wenn du reinkommst, weil du das mit<br />

der Speisekarte oder was auf der Tafel, der Tafel, der Menütafel draußen steht, nicht kannst<br />

und so.« (TNer5, 71-76)<br />

Teilnehmerin 2 fällt es offenbar nicht schwer, ihren Bedarf zu offenbaren und sich<br />

anzuvertrauen. Teilnehmer 5 sorgt dafür, dass es niemand erfährt: »schaust, was die<br />

anderen essen, und du sagst, du willst auch so etwas« (TNer5, 276f.).<br />

- 270 -


Teilnehmerin 1 bemüht sich intensiv um einen Kurs (siehe Abschnitt 5.1.1), verbirgt<br />

dabei jedoch ihren tatsächlichen und vordringlichen Bedarf, Lesen und<br />

Schreiben zu erlernen, hinter der Schutzbemerkung, sich Deutsch als Zweitsprache<br />

aneignen zu wollen:<br />

»(T) Habe ich gesagt: Ich möchte einen Kurs in Deutsch. Aber ich habe nicht gesagt: Ich kann<br />

nicht, verstehen […]<br />

(I) Also, Sie haben gesagt, Sie möchten Deutsch lernen<br />

(T) Ja, aber ich habe nicht die Wahrheit gesagt, warum.<br />

(I) Ja.<br />

(T) Welche war meine Grund (sie lacht): Ich will lesen und schreiben.« (TNin1, 647-656)<br />

Als Person mit Migrationshintergrund, einen Bildungsbedarf in der Zweitsprache<br />

Deutsch zu haben, kann als »selbstverständlich« (TNin2, 219) angesehen werden.<br />

Bildungsbedarf im Lesen und Schreiben wird demnach sowohl von Menschen<br />

mit als auch ohne Migrationshintergrund verborgen. Der Schutzmantel<br />

Sprachbildungsbedarf ist ein Faktor, der das Selbstverständnis im Umgang mit<br />

Basisbildungsbedarfen/-bedürfnissen prägt, weil dieser Schutzmantel den Selbstwert<br />

behütet/schützt.<br />

Lebensgeschichtliche Erfahrungen bewirken unterschiedliche Lernvoraussetzungen,<br />

die im Selbstbild sichtbar werden können. Frühere erfolgreich verlaufene<br />

Lernsituationen scheinen positive Voraussetzungen für weitere Lernaktivitäten,<br />

wie beispielsweise die Basisbildungskursteilnahme, zu schaffen. Beispiele hierfür<br />

sind Teilnehmerin 2 und Teilnehmer 9, die beide unter großem Einsatz und großer<br />

Anstrengung die Führerscheinprüfung bestanden haben. Teilnehmer 9 wurde dabei<br />

von einem Zivildiener unterstützt (siehe Abschnitt 5.<strong>1.2</strong>). Auf Basis dieser von<br />

Erfolg gekrönten Lernanstrengungen besitzen nun beide ein positives Selbstbild,<br />

was ihr Lernvermögen betrifft: »[…] das war riesige erste Freude in meinem Leben.<br />

Das war schon was. Ich habe es geschafft, Führerschein!« (TNin2, 592f.); »ich<br />

habe den Führerschein beim ersten Mal geschafft« (TNer9, 21f.).<br />

Teilnehmerin 19 blickt auf positive schulische Erfahrungen in ihrem Herkunftsland<br />

zurück. Dadurch unterscheidet sie sich markant von den anderen Befragten. Sie hat<br />

die Pflichtschule absolviert und berichtet, dass sie stets die Klassenbeste gewesen<br />

war (vgl. TNin19, 294-308) und nun beim Erwerb ihrer Zweitsprache Deutsch auf<br />

Kenntnisse der Grammatik in ihrer Erstsprache zurückgreifen kann (vgl. TNin19,<br />

178-189).<br />

Am Beispiel von Teilnehmerin 18 zeigt sich, dass negative schulische Erfahrungen<br />

ein Kind nicht zwangsläufig unheilbar beschädigen müssen. Sie berichtet ausführlich,<br />

dass ihre Linkshändigkeit in der Schule nicht akzeptiert worden war und<br />

sie gezwungen wurde, mit der rechten Hand zu schreiben (vgl. TNin18, 390-444).<br />

Sie resümiert: »Und ja, aber ja, man lebt trotzdem (sie lacht). Es geht. Man fügt<br />

sich ins Schicksal und macht das Beste draus.« (TNin18, 441f.) 187 In ihren Episo-<br />

- 271 -


den über ihre Lebensgeschichte zeigte sich, dass sie offensichtlich in der Lage war,<br />

»das Bes te draus« zu machen (siehe Abschnitt 5.<strong>1.2</strong>)<br />

Der Selbstwert von Teilnehmer 5 beruht insbesondere auf seinem beruflichen Erfolg:<br />

»[…] und habe halt doch, meine ich, ganz gut gewerkt« (TNer5, 187). Er<br />

betont: »Ich war […] in meinem Leben noch nicht arbeitslos.« (TNer5, 159f.) 188<br />

Und er hält fest: »Man sieht ja oft, dass ich so einen normalen Hausverstand hab.«<br />

(TNer5, 492) Die durch die Kursleiterin erfahrene Stärkung schimmert in Bezug<br />

auf seinen beruflichen Erfolg durch. Das Vertrauen in seine Lernfähigkeit ist jedoch<br />

(noch) fragil (vgl. TNer5, 152-156).<br />

Auch bei Teilnehmer 15 finden sich Episoden über berufliche Erfolge (vgl. TNer15,<br />

147-150 und 443-475). Problematisch ist allerdings, dass er seinen ursprünglichen<br />

Beruf aus gesundheitlichen Gründen nicht mehr ausüben kann und er diese seinen<br />

Selbstwert stärkende Tätigkeit verloren hat. Die für ihn mit als sinnlos empfundenen<br />

Schulungsmaßnahmen gefüllte Phase seiner Langzeiterwerbsarbeitslosigkeit<br />

endet mit dem Beginn seiner Basisbildungskursteilnahme (vgl. TNer15, 54-72).<br />

Dort findet er seinen Lernsinn: »und das finde ich für einen Sinn, weil da lerne ich<br />

was, lerne ich für mich selber was.« (TNer15, 250f.) Er bezieht außerdem einen<br />

Teil seines Selbstwertes aus seiner vielseitigen technisch-handwerklichen Begabung,<br />

die er im privaten Bereich umsetzen kann (vgl. TNer15, 168-179, 299-312<br />

und 371-385).<br />

In den Episoden der befragten Teilnehmenden werden vielfach Freude am Kurs<br />

und Dankbarkeit für die Lernmöglichkeit geäußert, die als Ausdruck der Wertschätzung<br />

verstanden werden können. Aus der Perspektive der befragten Kursleitenden<br />

(siehe Abschnitt 5.2.3) sind es eher die erwachsenen Teilnehmenden, die<br />

sich ausdrücklich wertschätzend und dankbar ihnen gegenüber äußern. In den Interviews<br />

mit den Teilnehmenden sind die entsprechenden selbst initiierten Episoden<br />

desgleichen überwiegend den erwachsenen Teilnehmenden zuzuordnen gewesen.<br />

Die geäußerte Freude am Kurs und Dankbarkeit für die Lernmöglichkeit<br />

sind Hinweise auf jeweils unterschiedliche Lernvoraussetzungen von erwachsenen<br />

und jugendlichen Teilnehmenden. So wurde insbesondere für erwachsene Teilnehmende<br />

festgestellt, dass mangelnde Motivation kein Thema sei (siehe Abschnitt<br />

5.2.5). Teilnehmerin 20 beschreibt ihre Teilnahme als »Bereicherung« (TNin20,<br />

634). Ihrer Einschätzung nach trifft das auf die gesamte Gruppe zu:<br />

»[…] freitags, wenn ich da hergehen darf, freue ich mich. Also, das ist nicht so, dass ich mit einem<br />

Widerwillen hergehe: Oh, Maria, lernen. Ich freue mich direkt drauf. Das ist. Und das ist<br />

mir noch nie passiert! Also wirklich noch nie. Das ist das erste Mal, also, dass ich mich wirklich<br />

freue aufs Lernen. […] Und das in meinem Alter, nicht. Das ist. Und ich sehe es auch bei<br />

den anderen. Es ist / nicht nur bei mir. Wenn ich so in die Runde schaue, keiner sitzt mit so einem,<br />

oder sagt: Mah, jetzt muss ich wieder da her […]. Habe ich noch nie gehört, seit ich da<br />

bin.« (TNin20, 645-652)<br />

- 272 -


Teilnehmer 22 beschreibt den Kurs als »Geschenk […] dass man da hergehen<br />

kann und sich erweitern kann« (TNer22, 715). Teilnehmerin 23 meint, sie käme<br />

am liebs ten jeden Tag, was aber durch die umständliche Anreise nicht zu bewerkstelligen<br />

ist; aktuell besucht sie allerdings viermal pro Woche einen Kurs (vgl.<br />

TNin23, 33-52 und 284-286). Besonders eindrücklich und wiederholt bringt Teilnehmerin<br />

2 ihre Dankbarkeit zum Ausdruck. Sie erläutert, dass für Mädchen mit<br />

ihrem schichtspezifischen Hintergrund in ihrem Herkunftsland nach der Pflichtschule<br />

die Verheiratung anstelle einer beruflichen Ausbildung vorgesehen ist (vgl.<br />

TNin2, 537-540). Die Kursteilnahme ermöglicht ihr die Aufnahme einer beruflichen<br />

Ausbildung (vgl. TNin2, 623-630): »Und ich bin sehr, sehr froh und glücklich,<br />

dass ich da teilnehmen darf.« (TNin2, 627f.) Ein langjähriger erwachsener<br />

Teilnehmer äußert im Interview nicht ausdrücklich Dankbarkeit für oder Freude<br />

über seine Kursteilnahme; als er sein vordringliches Lernziel, den Führerschein,<br />

erreicht, macht er der Einrichtung jedoch ein sinnvolles (und teures) Geschenk. 189<br />

In den Episoden der jüngeren Befragten haben sich keine Äußerungen von Freude<br />

oder Dankbarkeit im oben dargestellten Ausmaß feststellen lassen. Es ist jedoch<br />

nicht der Eindruck entstanden, sie kämen ungern zum Kurs – sie haben sich nur<br />

nicht ausdrücklich positiv darüber geäußert. Teilnehmer 13, ein junger Mann mit<br />

Lernschwierigkeiten, erklärt beispielsweise, er käme gerne zum Kurs, und begründet<br />

das folgendermaßen: »Ja, weil´s mir was bringt, ja.« (TNer13, 316) Bei Teilnehmer<br />

8 und Teilnehmer 21, beide am Tag des Interviews zum ersten Mal im<br />

Kurs, ist in Hinblick auf die persönliche Bedeutung ihrer Teilnahme deutliche Zurückhaltung<br />

feststellbar gewesen; sie befinden sich in der Anfangssituation und somit<br />

in einer Phase der Orientierung.<br />

Die Äußerung von Wertschätzung dürfte abgesehen vom Lebensalter der Teilnehmenden<br />

von weiteren Faktoren beeinflusst werden. Einfluss nehmen beispielsweise<br />

die Dauer der Kursteilnahme, die Ausprägung der Zieldimensionen der Teilnahme<br />

und die lebensgeschichtliche Situation, die Persönlichkeit eines Menschen,<br />

insbesondere in Hinblick auf den Faktor der Extraversion, sowie das Ausmaß der<br />

Bindung zwischen Kursleiter/in und Teilnehmer/in. Nichtsdestotrotz dürften Gefühle<br />

der Freude und Dankbarkeit positive Lernvoraussetzungen schaffen bzw. lassen<br />

sich auf einen Hinweis auf diese verstehen.<br />

5.3.4 Abstimmungs- und Aushandlungsprozesse eröffnen<br />

Entwicklungsräume<br />

Die Ausführungen der befragten Teilnehmenden verdeutlichen, dass das Lehrhandeln<br />

in der Tat als Abstimmungs- und Aushandlungsprozess wahrgenommen werden<br />

kann. Erfolgen diese Abstimmungsprozesse unter Beachtung ihrer individuellen<br />

Lernvoraussetzungen, erfahren die Teilnehmenden eine Stärkung. Es lässt sich<br />

auch erkennen, dass sich einige der befragten Teilnehmenden aktiv an diesen Aus-<br />

- 273 -


handlungsprozessen und damit an der Gestaltung der Lehr-Lern-Prozesse beteiligen.<br />

Durch die vielfältigen Formen der Förderung wird der Kurs zu einem individuellen<br />

Entwicklungsraum. Dieser Entwicklungsraum besteht nicht zuletzt aus<br />

Unterstützungsangeboten, die von den Teilnehmenden als entlastend und beruhigend<br />

erlebt werden und somit förderlich für ihr Voranschreiten im Lernprozess<br />

sind, insbesondere im Zusammenhang mit der Erweiterung ihrer Lernanliegen.<br />

Teilnehmer 12, ein junger Teilnehmer mit Lernschwierigkeiten, wird vor Frustrationserlebnissen<br />

geschützt: »Dann habe ich gebastelt und dann ist das Rechnen eh wieder<br />

gegangen.« (TNer12, 145, auch 184-191) Er berichtet implizit über die Strategie<br />

im Lehrhandeln seines Kursleitenden: Was er bereits beherrscht, wird immer wieder<br />

eingestreut; was er noch nicht kann erfragt er bzw. wird ihm erklärt, und daran<br />

schließt sich eine selbsttätige Übungsphase (vgl. TNer12, 216f. und 156-178):<br />

»Ja, ein wenig üben und dann, wenn du zum Beispiel eine andere Rechnung machst, dann<br />

kommst auf, auf das was du dazu gelernt hast, kommst dann nachher eh drauf, wie das zum<br />

Rechnen gehört, und dann hast ein schönes Ergebnis. Dann, wenn es stimmt.« (TNer12, 131ff.)<br />

Er schätzt Bastelaktivitäten und, ähnlich wie Teilnehmerin 3 (vgl. TNin3, 400-405)<br />

und Teilnehmer 13 (vgl. TNer13, 308), auch Spielaktivitäten. Pausen sind für Teilnehmer<br />

13 ein probates Mittel, um Überforderung zu verhindern: »brauche ich ein<br />

paar Minuten, ja, dann geht´s wieder« (TNer13, 163f.).<br />

Teilnehmer 17 spricht von »wir«, wenn es um seine Lernprozesse geht, und verknüpft<br />

die Lerninhalte mit seinen Schwächen (vgl. TNer17, 123-134). Er weiß um seinen<br />

Bildungsbedarf; die Verknüpfung der Lerninhalte mit seiner Kursleiterin (»wir«) verdeutlicht<br />

seine Identifikation mit den Lerninhalten (Förderung der Grundrechnungsarten<br />

und der Rechtschreibung) und den entsprechenden Lehrhandlungen. Die Abstimmungsprozesse<br />

scheinen insofern erfolgreich gewesen zu sein.<br />

Teilnehmerin 6 benennt in der Episode ihre übergeordneten Lernziele; in der kleinteiligen<br />

Erarbeitung, im Lernprozess, spricht sie wie Teilnehmer 17 von »wir«, was wiederum<br />

als Hinweis auf erfolgreiche Abstimmungsprozesse interpretiert werden kann:<br />

»Ich lerne hier. Ich lerne, was ich will. Jede Woche, ich habe immer was anderes. Jedes Woche<br />

[…] meine Lehrer fragt zu mir: Was machen wir heute Und dann komm von mir, ich möchte<br />

die Führerschein, zum Beispiel wir lernen die Führerschein mit Computer. Schreiben, lesen.«<br />

(TNin6, 167-170)<br />

Auch bei Teilnehmer 9 lassen sich erfolgreiche Abstimmungsprozesse feststellen.<br />

Er ist erst seit kurzem im Kurs und beschäftigt sich vor allem mit dem Rechnen und<br />

der Computer-Anwendung, denn dafür interessiert er sich am meisten (vgl. TNer9,<br />

89f.). An diese beiden Inhalte kann er offenbar anknüpfen; schließlich hat er vor<br />

Beginn seiner Kursteilnahme die computergestützte Führerscheinprüfung bestanden.<br />

Seine vorhandenen Mathematikkenntnisse kann er auffrischen:<br />

- 274 -


»Angefangen habe ich mit Rechnen. Also einfach Rechnen, einfach wieder hineinzukommen.<br />

Äh, beim zweiten Mal habe ich eine Einschulung am Computer gehabt. Ja, und dann auch wieder<br />

Rechnen. Bruchrechnen. Ich habe gar nicht mehr gewusst, dass es das gibt, das Bruchrechnen.<br />

[…] Aber an dem Tag hab ich noch heraus gekriegt wie und das freut mich irrsinnig. […]<br />

Ich habe momentan nicht gewusst, wie man dividiert und [die Kursleiterin] hat es mir dann gezeigt<br />

und dann ist das dann wieder gegangen.« (TNer9, 80-124)<br />

Das Anknüpfen an bestehende Interessen und vorhandene Kenntnisse verdeutlicht<br />

den erfolgreich verlaufenen Abstimmungsprozess im Lehr-Lern-Prozess.<br />

Teilnehmerin 7 berichtet, dass sie zu Beginn des Kurses an den Aktivitäten ihrer<br />

Gruppe teilhaben konnte, ohne (das Gefühl zu haben) sich beteiligen zu müssen:<br />

»Ich habe einfach gesagt: Ich les nicht. Ich meine, und die, die Gruppe, da wird das<br />

auch so angenommen. Du musst ja nichts machen, nicht Also, ich les nicht. Es hat<br />

mich keiner gefragt, warum ich nichts vorlese.« (TNin7, 92ff.) Sie beschäftigt sich<br />

oft mit den zur Verfügung stehenden Selbstlernmaterialien. Die Möglichkeit zur eigenständigen<br />

Kontrolle bei gleichzeitiger Anwesenheit der Kursleiterin bietet ihr<br />

die von ihr als notwendig erachtete Sicherheit; offenbar nimmt sie auch die stärkenden<br />

Worte der Kursleitenden wahr:<br />

»[…] die Mappe schaue ich durch, und dann mache ich halt irgendeine Übung oder was halt<br />

für mich, nur, ich meine, Spaß, aber man lernt ja viel dabei. Wenn du sagst, nein super, weil<br />

schau, das ist eigentlich was jeder falsch macht und das hast du richtig gemacht, weißt eh das<br />

ist, das sind für mich ja / […] Volle Bestätigung, dann. Dann ist das volle Sicherheit, wenn ich<br />

da her komme. […] Weil, ich meine, sie sagen immer, du kannst es ja, aber nur, du traust es<br />

nicht oder so irgendwie.« (TNin7, 377-384)<br />

Sie erzählt von einer Arbeitsaufgabe, die zur Planung weiterer Lernschritte eingesetzt<br />

wurde (vgl. TNin7, 196-200). Die Teilnehmenden sollten nach der entsprechenden<br />

Aufforderung durch die Kursleiterin – »was euch beschäftigt« (TNin7,<br />

197) – frei schreiben:<br />

»Und das war, ist für mich ja eine Doktorarbeit, so was zu, ich meine (lachend), dass ich das<br />

irgendwie rüberbringe, dass sie mich versteht. Da bin ich gesessen, aber dann habe ich eigentlich<br />

eine Seite geschrieben, nicht Eine A4-Seite. Und das ist ja für mich! Und das war für<br />

mich SO gut, dass ich da überhaupt das schreiben habe KÖNNEN. […] wir haben es dann miteinander<br />

verbessert oder was man, es war eigentlich super so. Ich meine, super, aber da fehlt<br />

nichts. Ich meine, es waren ein paar Fehler […] da habe ich […] die ersten zwei Sätze nicht<br />

gelesen, da hat eben ein Wort gefehlt, nicht, am Schluss, ich meine, war schon ein Punkt und<br />

da hat eigentlich noch das letzte Wort gefehlt. Aber es waren nicht, weiß ich, Fehler, dass du<br />

sagst.« (TNin7, 200-211)<br />

- 275 -


Das Lehrhandeln in Form der Aufforderung zum freien Schreiben erzeugt Freude<br />

über die bewältigte Herausforderung. Sie erfährt, dass sie durchaus in der Lage ist,<br />

frei zu schreiben, und erlebt sich als fähig. Insgesamt zeigt sich, dass kontinuierlich<br />

stattfindende Abstimmungsprozesse stärkend wirken: Zu Beginn des Kurses nützt<br />

sie den bestehenden Freiraum und liest nicht vor; im weiteren Kursverlauf kann<br />

sie ihre Fähigkeiten unbeobachtet mit Selbstlernmaterialien ausprobieren und erhält<br />

dadurch Bestätigung. Schließlich vermag sie im Rahmen einer Übung (freies<br />

Schreiben) an ihre bestehenden Fähigkeiten anzuknüpfen, wobei die Kursleiterin<br />

sie sehr gut kennen muss, damit sie die Lernherausforderung des freien Schreibens<br />

als angemessen und nicht als überfordernd erfährt und somit auch erfolgreich bewältigen<br />

kann.<br />

Während Teilnehmer 5 sich noch auf sein aktuelles Ziel vorbereitet, hält ihm seine<br />

Kursleiterin bereits sein nächstes Ziel vor Augen, indem sie den nächsten gemeinsam<br />

zu vollziehenden Lernschritt in Aussicht stellt. Diese Erweiterung des Lernanliegens<br />

leistet einen Beitrag zum eigenen Wollen, im Lernprozess voranzuschreiten:<br />

»Ja, jetzt hab ich so viel zu tun wegen dem Führerschein […] und sie hat gemeint, wenn ich<br />

den Führerschein dann hab, dass wir dann halt das Schreiben probieren und so. Ich hoffe, dass<br />

ich, so viel was ich brauch, dann auch zusammenbringe.« (TNer5, 463-468)<br />

Durch die Vorbereitung auf die Führerscheinprüfung, die am Computer abgelegt<br />

werden muss, nähert er sich einem Medium an, mit dem er eigentlich nicht wirklich<br />

etwas zu tun haben möchte (vgl. TNer5, 203-207 und 232ff.). Der gefühlte Druck<br />

wird durch die Zielorientierung reduziert.<br />

Teilnehmerin 20 reflektiert die begleitende Rückmeldung durch ihren Kursleiter. Er<br />

macht sie auf ihre Fortschritte aufmerksam und kräftigt ihre diesbezügliche Einschätzung,<br />

woraus Stärkung resultiert:<br />

»Ich merk es und er merkt´s natürlich auch. Sagt er: Schau, jetzt sind wir schon wieder einen<br />

Schritt weiter und. Und er, er sagt auch: Es geht nicht von heute auf morgen, aber Schritt für<br />

Schritt. Und das finde ich so super.« (TNin20, 641ff.)<br />

Sie schätzt sich selbst als »sehr stressempfindlich« (TNin20, 143) ein. Ihr Kursleiter<br />

beachtet diese Lernvoraussetzung in idealer Weise: Er fordert sie, ohne sie in eine<br />

Drucksituation zu versetzen:<br />

»(T) Und er macht es auch sehr gut.<br />

(I) Also, weil er es angenehm rüberbringt, haben Sie gesagt<br />

(T) Sehr angenehm, ja. Und sehr geduldig, als es, er macht einen einfach keinen Stress. Es<br />

ist, und das ist ja wichtig. […] Ich bin überhaupt der Mensch, der was sehr stressempfindlich<br />

ist. Und wenn, wenn ich jetzt was, wenn mir wer Stress macht, dann geht das ÜBERHAUPT<br />

nicht, also.« (TNin20, 138-144)<br />

- 276 -


Teilnehmer 10 berichtet von Aushandlungsprozessen in Bezug auf die Auswahl der<br />

Lerninhalte: »Na, ja, wir machen uns das aus meistens.« (TNer10, 132) Mittels gemeinsamen<br />

Abstimmungen basierend auf ausprobierendem Lehrhandeln und dessen<br />

Reflexion können Fortschritte in Hinblick auf seine Verstehens- und Aneignungsprozesse<br />

erzielt werden:<br />

»(T) Und das ist halt für mich viel, dass ich draufkomme, wie kann ich das ändern und wie<br />

kann ich mir das besser merken.<br />

(I) Ahm, ahm / also darüber denken Sie nach, wie Sie es<br />

(T) Ja, wir reden ja auch miteinander, ja. Wie könnte man was verändern, wie es, wie ich das<br />

verstehen könnte. […] Ich weiß nicht genau, wie man das, es nennen soll. Irgendwas, der eine<br />

tut sich dort einfach, versteht SO besser, versteht SO besser.« (TNer10, 117-124)<br />

Für ihn ist das Angebot verschiedener Erklärungsvarianten, die ihm das Verstehen<br />

und die Aneignung ermöglichen, ein wesentlicher Faktor für seine Zufriedenheit<br />

mit dem Lehrhandeln:<br />

»Vor allem, dass nicht so runter rennt wie in der Schule. Zack, zack, die Benotung. Oh Maria,<br />

oh, eh schon dreimal erklärt und noch allerweil nicht können, ja. Das heißt, da wird halt eingegangen.<br />

Da wird halt eingegangen. Vielleicht findet man einen anderen Weg, wo du das besser<br />

hören kannst oder besser verstehen kannst, ja.« (TNer10, 93-96)<br />

Teilnehmerin 2 ist vor ihrer Teilnahme am Basisbildungskurs an die Grenzen des<br />

informellen Zweitspracherwerbs (vgl. TNin2, 97ff. und 284-296) gestoßen und<br />

schätzt daher das Hilfsangebot und die Begleitung bei der Aneignung der Rechtschreibung<br />

und der Grammatik:<br />

»[…] da gibt es ja auch Stoff, wo zum Beispiel, ich bin sehr unsicher, ob das jetzt ein Verb<br />

ist, ob das ein Hauptwort oder was, ob das ein Teil von den Fälle ist. Und natürlich ich<br />

schreibe immer diese Wörter heraus, wo ich unsicher bin. Und dann natürlich, ich kann das<br />

nicht beurteilen und dann brauche ich Hilfe. Ich brauche [die Kursleiterin], dass ich einfach<br />

sage: Bitte komm und erklären Sie mich, was das jetzt heißt und WARUM ist das so.«<br />

(TNin2, 381-386)<br />

Sie schätzt die genauen und verständlichen Erklärungen ihrer Kursleiterin:<br />

»Und ganz toll finde, dass einfach [ihre Kursleiterin] sich ZEIT NEHMEN für die Teilnehmer.<br />

Wenn jemand wirklich Problem hat oder was, sie setzt sich dann hin, sie erklärt schon<br />

wie in die ersten Klasse und das freut mich schon sehr. Wenn sie nur so schnell oberflächlich,<br />

dann hätte dann für mich, kenne ich mich WIEDER nicht aus, wenn ich nach Hause gehen.«<br />

(TNin2, 392-396)<br />

- 277 -


Für sie ist es wichtig, mit nachhaltigen Erklärungen »nach Hause« zu gehen, denn<br />

sie lernt auch außerhalb ihres Basisbildungskurses (vgl. TNin2, 335-341).<br />

Teilnehmer 15 wird durch Angebote zur Ausweitung seines Lernens in seinem ursprünglichen<br />

Lernziel bestärkt:<br />

»[…] ich will nur Schreiben lernen. Ehrlich gesagt. Und das ziehe ich auch durch. Weil sie<br />

schon ab und zu gesagt haben: Möchtest du nicht auch einmal am Computer arbeiten Habe<br />

ich gesagt: Nein. (er lacht) Lassen wir´s. Ja, ein paar, einmal bin ich schon beim Computer,<br />

das war auch interessant, da kann ich auch nichts sagen, das war auch interessant! Aber nur,<br />

ich meine, ich meine, wenn ich, wenn ich, wenn ich, wenn ich dabei sitzen müsste, würd´s<br />

mir, meine ich, auch nix machen, aber nur, ich weiß nicht, das ist nicht mein Ding!« (TNer15,<br />

724-729)<br />

Dieser in der Episode dargestellte Aushandlungsprozess wirkt stärkend auf seine<br />

eigene Zielsetzung. Es ist keinesfalls so, dass Berührungsängste zur Ablehnung<br />

des Angebotes geführt haben. Schließlich interessiert er sich für Computer und hat<br />

sich ein altes Gerät organisiert, um dessen Funktionsweisen auszuprobieren (vgl.<br />

TNer15, 679-694; siehe Abschnitt 5.<strong>1.2</strong>). Hat er die Wahl in einem Aushandlungsprozess,<br />

entscheidet er sich stets wieder für sein eigentliches und größtes Lernziel:<br />

das Schreibenlernen. In ähnlicher Weise hat auch Teilnehmerin 11 die Entscheidung<br />

getroffen, sich nicht die so genannte »neue Rechtschreibung« anzueignen,<br />

sondern bei der von ihr erlernten alten Rechtschreibung zu bleiben; sie frischt bestehende<br />

Kenntnisse auf und erweitert sie (vgl. TNin11, 328-346).<br />

Die untersuchten Lernprozesse bewegen sich insgesamt zwischen angeleiteter Eigenständigkeit<br />

und unterstütztem Lernen. Einige der befragten Teilnehmenden<br />

sind sich dieses Spannungsfeldes bewusst. Beispielsweise überlegt Teilnehmer 15,<br />

ob das stets vorhandene Unterstützungsangebot seine Eigenständigkeit reduzieren<br />

und sich daher nicht unbedingt förderlich auswirken könnte. Gleichzeitig erlebt er<br />

die unmittelbaren Hilfestellungen als entlastend und in Hinblick auf die zeitlichen<br />

Ressourcen als vorteilhaft:<br />

»[…] ich habe wen, die was mir nachher weiterhelfen kann, also, wenn ich irgendwas schreibe<br />

oder was. Vielleicht, vielleicht ist das […] eh nicht gut, dass, dass, dass man allerweil Hintergedanken<br />

hat, dass mir einer weiterhelfen kann. Weil […] wenn ich mir selber weiterhelfen<br />

muss, da konzentriere, muss ich mich stärker konzentrieren. So lässt man das ein bisschen<br />

lockerer rennen das Ganze, finde ich wieder. Aber nur, weil von dem her, wenn ich jetzt einen<br />

Fehler habe […] sie schaut schon den Fehler nachher an. […] Aber es ist schon, schon<br />

gescheiter (er lacht) wenn sie´s anschaut, als wenn´s keiner anschaut. Weil wenn ich mir das<br />

selber alles heraussuchen müsste von Dings, das da werde ich ein Narr. Weil das habe ich früher<br />

allerweil gemacht, weil früher habe ich mir so, so Spickzetteln geschrieben, wenn ich was<br />

schreiben hab müssen […].« (TNer15, 413-422)<br />

- 278 -


Auch Teilnehmer 16 stellt die Überlegung an, ob er sich gewisse Inhalte nicht auch<br />

außerhalb des Kurses erarbeiten könnte, rekurriert dann aber doch auf den Vorteil<br />

der Vermittlung und Erklärung der Inhalte:<br />

»[…] so lange sich die Möglichkeit ergibt noch hier zu bleiben, bleibe ich hier, das ist einfach.<br />

Ich mein, die Feinheiten könnte ich vielleicht zu Hause lernen, nur ich, aber ich glaube,<br />

dass ich einfach, dass ich das hier besser begreife, beschrieben bekomme.« (TNer16, 530-533)<br />

Teilnehmerin 18 verfügt über die lebensgeschichtliche Ressource, ihr eigenes Lernen<br />

positiv betrachten/einschätzen zu können, und somit über gute Lernvoraussetzungen.<br />

Dennoch schätzt sie die individuell begleitete Aneignung der Computer-<br />

Bedienung, denn die Unterstützung erhält sie nach Bedarf, d.h. on demand:<br />

»Weil, wenn ich wirklich einmal nicht weiter weiß, dann kann ich gleich sagen: Hilfe, ich<br />

brauche Hilfe. Und dann wird mir auch geholfen. Und das ist für mich auch sehr wichtig, dass<br />

es Leute gibt, neben mir gibt. Und wenn ich dann sage: Hilfe, dann bekomme ich diese Unterstützung,<br />

die ich brauche. […] Da äh in dem Kurs bestimme ich das Tempo selber […] da<br />

kann ich sagen: Ich brauche dieses und jenes, und wenn ich dann eine Frage habe, kann ich jederzeit<br />

fragen. Und sonst äh sehr viel von der Kurszeit kann ich alleine lernen. Aber […] immer<br />

mit dem guten Gefühl, ich bekomme Hilfe, wenn ich sie brauche.« (TNin18, 231-252)<br />

Sie thematisiert diese Eigenständigkeit vor dem kontrastierenden Hintergrund eines<br />

von ihr besuchten Computerkurses eines kommerziellen Bildungsanbieters:<br />

»Also, das Schulungsprogramm ist vorgegeben. Das ist zu lernen. Und das lernt man auch.<br />

Und das war zwei Wochen lang jeden, also, Montag bis Freitag, jeden Vormittag. Und mit einem<br />

Abschluss. Und hier [im Basisbildungskurs] kann ich sagen, ähm, in dem Fall habe ich<br />

ein Defizit, das möchte ich wissen und da kann ich weiter fragen. Da sage ich, das glaube ich,<br />

dass ich brauche, und das brauche ich, glaube ich, nicht. Und so kann ich Punkt, ganz genau,<br />

ge, gezielt lernen. […] hier arbeite ich so nach meinem, also nach meinem ahm, äh, Glauben,<br />

was ich brauche. Das kann ich schon, jetzt in der Zwischenzeit weiß ich auch schon, was ich<br />

brauche, was man wissen sollte, was wichtig wäre. Und im [Computerkurs eines kommerziellen<br />

Bildungsanbieters] das war wirklich nur Grundkenntnisse.« (TNin18, 103-116)<br />

Die dort erworbenen Grundkenntnisse ermöglichen ihr nun die eigenständige,<br />

punktuell begleitete bzw. angeleitete Aneignung weiterer Kenntnisse im Basisbildungskurs.<br />

Sie sieht den Wechsel zu einer neuen Kursleiterin als Gelegenheit zur<br />

Ausdehnung ihrer lernenden Aneignung, weil sie so »verschiedene Arbeitsweisen<br />

kennen lernt […] dann kann ich das auswerten: Was ist für mich besser« (TNin18,<br />

381-385). Ihre Eigenständigkeit erstreckt sich auch auf die selbst gewählte <strong>Teilhabe</strong><br />

an den Lernprozessen ihrer Gruppe:<br />

- 279 -


»[…] ich bekomme es mit. Ich muss nicht mitreden, aber ich kann mithören. Ich höre mit natürlich,<br />

wenn es im gleichen Raum ist. Und äh, das kann ich dann mit dem Computer dann<br />

auch verbinden irgendwie. Versuche ich zu verbinden. […] Meine Gedanken niederschreiben.<br />

Das ist gleich eine Fingerübung für die Tastatur.« (TNin18, 191-195)<br />

Bei Teilnehmerin 20 entsteht der Eindruck, dass sie noch nicht zur Gänze auf ihre<br />

eigene Lernfähigkeit vertraut. Sie hat ihre Erwartungshaltung in Hinblick auf die<br />

Teilnahme wie folgt formuliert: »Und dann war aber schon die Erwartung, dass ich<br />

mir gedacht habe: Nein, ich möchte […] dass mir das beigebracht wird, dass ich<br />

es leichter habe dann beim Abschluss.« (TNin20, 45f.) Sie hat offenbar die Vorstellung,<br />

dass vor allem ihr Kursleiter für ihr Lernen Verantwortung trägt, wenn<br />

sie sagt:<br />

»Ich mein, ich muss noch äh lange äh, ich meine, es ist nur, ich muss noch daran arbeiten. Aber<br />

ich bin mir sicher, dass der [Kursleiter] das schafft, dass er mich da hinkriegt (sie schmunzelt).<br />

Da bin ich mir, da bin ich überzeugt davon.« (TNin20, 276ff.)<br />

Ihre Perspektive auf ihr Lernen scheint noch stark auf die Hilfestellung durch ihren<br />

Kursleiter bezogen zu sein – ihr Lernen scheint gleichsam in seinen Händen<br />

zu liegen. Auch bei Teilnehmerin 3 klingt dieses durch andere getragene bzw. von<br />

anderen bestimmte Lernen an, wenn sie beschreibt, dass ihr Kursleiter und ihr Lebensgefährte<br />

»fest lernen mit mir« (TNin3, 54). Eigenständigkeit im Lernen zu entwickeln,<br />

ist eine Frage der Voraussetzungen – hier sei an Teilnehmerin 18 erinnert,<br />

die im Vergleich zu den anderen befragten Teilnehmenden nicht als bildungsbenachteiligt<br />

im engeren Sinne gilt. Teilnehmer 22, langjähriger Teilnehmer, reflektiert<br />

seinen Prozess der Entwicklung von Eigenständigkeit im Lernen:<br />

»Das Glück musst du auch haben, dass dir gewisse Leute das vermitteln können, was wichtig<br />

ist. Äh. Du selber kannst dir nur das aneignen, was dir der andere vermitteln kann und was du<br />

selbst vom Buch herauslesen kannst und begreifst. Und dann eine Kette zu bilden. Das heißt,<br />

dieser Zusammenhang, aha, das ist jetzt wichtig, das ist nicht wichtig. Und herausfiltern anfangen.«<br />

(TNer22, 301-305)<br />

Er hebt den dafür notwendigen eigenen Anteil hervor, denn diese Eigenständigkeit<br />

macht die im Kurs erfahrenen Hilfestellungen erst für die eigenen Lernfortschritte<br />

fruchtbar:<br />

»Sagen wir, die Kursleiterin unterstützt immer. Die unterstützt dich in dem Weg, was du eigentlich<br />

willst. Das heißt, sie kann nur so gut sein, wie du das willst. Weil wenn du nicht willst,<br />

kann, ich meine, das ist eh überall das gleiche, wenn einer das nicht will und ein anderer sagt:<br />

Bitte, tue das und. Das HIFLT nichts! Du musst einfach nur selber das richtig wollen. Und immer<br />

wieder. Auch wenn du auf die, auf den Kopf fällst. Immer wieder aufstehen und sagen:<br />

- 280 -


Okay, es wird schon irgendwann werden. Die können dich nur unterstützen auf dem Weg,<br />

nicht. Und das tun sie auch.« (TNer22, 309-315)<br />

Er reflektiert die zeitliche Dimension und die Strategien, die notwendig sind, um<br />

das Erlernte zu festigen und Vertrauen in sich selbst zu entwickeln:<br />

»[…] du willst so viel lernen und gewisse Sachen sind neu. Und wie sollst du denn den Zusammenhang<br />

von heute auf morgen lernen Das geht ja gar nicht. […] Aber du willst trotzdem, wenn<br />

du bereit bist, was zu lernen, willst ja trotzdem mehr und mehr und mehr. Und irgendwann musst<br />

einmal schauen, das musst du festigen und dann kann ich das Nächste. Und gewisse Sachen hast<br />

du noch nicht gefestigt. Glaubst, du hast es gefestigt, hast aber nicht. […] Das passiert dir in jedem<br />

Kurs. Eine Woche geht es gut. Dann ist wieder ein Tag, wo du wirklich glaubst, es stellt dir<br />

die Haare auf. Das sind schon Sachen, wo du nachher an dich selbst noch ein Vertrauen finden<br />

musst. Wenn du dir vertraust, wieder zurückzugehen, einen Schritt zurück, nicht nach vorn, sondern<br />

zurück.« (TNer22, 664-674)<br />

Resümierend kann Folgendes festgehalten werden: Bei Erwachsenen, die Bildungsbenachteiligung<br />

erfahren haben und daher mit eher ungünstigen Voraussetzungen<br />

in den Kurs kommen, ist, wie die vorliegenden Interpretationsergebnisse<br />

zeigen, die Entwicklung von Eigenständigkeit im Lernen eine Frage der Förderung<br />

im Lernprozess und eine Frage angemessener zeitlicher Ressourcen.<br />

5.3.5 Koppelung von Weiterbildungen: Vorbereitung und Begleitung<br />

Das Potenzial der Basisbildungsarbeit, die individuelle Lernanlässe aufnimmt und<br />

diese begleitet, lässt sich an Beispielen der Vorbereitung auf eine berufliche Weiterbildung<br />

bzw. der parallel zur Vorbereitung auf eine berufliche Weiterbildung<br />

erfolgenden Teilnahme an einem Basisbildungskurs (Begleitung) verdeutlichen.<br />

Teilnehmerin 2 bereitet sich in ihrem Basisbildungskurs erfolgreich auf eine Aufnahmeprüfung<br />

vor, die sie beim ersten Antreten nicht bestanden hatte. Sie tauscht<br />

die negative Erfahrung der Überforderung gegen ein Erfolgserlebnis:<br />

»[…] ich kriege schon so ein menschliche Glück, innerliche Glücksgefühl, weil ich habe jetzt<br />

Aufnahmetest gehabt, das heißt, ich habe meine Sicherheit von dem Kurs mitgenommen. Weil<br />

ich habe gewusst: Ich kann das. Ich kann Schreibfehler machen, aber ich kann das schreiben.<br />

Im Gegenteil von erstes Mal. Ich habe gezittert, geschw, geschwitzt, weil ich habe gewusst, ich<br />

kann nicht schreiben. Ich muss das schreiben, aber ich kann nicht schreiben. Und diese gewisse<br />

Sicherheit habe ich mir einfach mitgenommen und mich selber gesagt: Du kannst das. Der Fehler<br />

wird schon sein, das ist ja ganz klar. Und ich war wirklich total locker durch meine Selbstbewusstsein.<br />

Und diese Sicherheit was ich in diese zwei Monate geschafft habe, und das war<br />

für mich natürlich ein ries, eine riesige Fortschritt, dass ich das gehabt habe.« (TNin2, 435-444)<br />

- 281 -


Es zeugt von Mut, sich einer Prüfungssituation zu stellen, deren Bestehen von<br />

ihr selbst aufgrund ihres Bildungsbedarfs im schriftlichen Ausdruck (vgl. TNin2,<br />

19ff.) als eigentlich aussichtslos eingeschätzt wurde. In Bezug auf die bevorstehende<br />

berufliche Ausbildung formuliert sie den Wunsch, weiterhin an ihrem Basisbildungskurs<br />

teilnehmen zu dürfen (vgl. TNin2, 559-570). Das zur Verfügung<br />

stehende Hilfsangebot wirkt beruhigend und schafft Sicherheit in Hinblick auf die<br />

Bewältigung der nachfolgenden Herausforderung.<br />

Teilnehmerin 7 bringt eine Aufgabenstellung aus einer arbeitsmarktpolitischen<br />

Maßnahme als Lernanliegen mit in ihren Basisbildungskurs:<br />

»[…] in anderen Kurs haben wir ein Referat halten sollen, aber das. Da war ich das zweite<br />

Mal da oder das dritte Mal. Sagt sie [ihre Kursleiterin]: Na, sicher können wir vorbereiten, das<br />

können wir ja machen. Habe ich da zweimal alles super vorbereitet, dann habe ich es [einer<br />

Teilnehmerin] irgendwie ein bisschen vorgetragen, das war ja für mich schon super, nicht.«<br />

(TNin7, 303-306)<br />

Im Basisbildungskurs kann sie die Herausforderung annehmen. Sie kann das Referat<br />

begleitet ausarbeiten und durch geschütztes Ausprobieren (ohne Druck, unter<br />

Gleichen) die Fähigkeit des Vortragens üben. Einer drohenden Überforderung und<br />

in der Folge einer drohenden Beschädigung des Selbstwertes wird somit präventiv<br />

begegnet. Der Basisbildungskurs ermöglicht es Teilnehmerin 7, sich mit den Anforderungen<br />

in Weiterbildungsmaßnahmen vertraut zu machen:<br />

»[…] das Beste kommt ja noch, haben wir das gemacht, […] dann haben wir in dem AMS-<br />

Kurs, wo ich da war, so eine ähnliche Übung gemacht. Das wäre ja für mich ein Wahnsinn<br />

gewesen. Da wäre ich ja halb zusammengebrochen. Aber durch das, dass ich es da jetzt<br />

schon gemacht habe. Das war halt zufällig, dass ich da jetzt schon zweimal das, so eine<br />

Übung gemacht habe […] war es für mich da eine Leichtigkeit. Ich meine, Leichtigkeit, aber<br />

nicht mehr so ein Problem, als wie es vorher gewesen wäre, wenn ich das nicht gemacht<br />

hätte.« (TNin7, 224-230)<br />

Sie kann diese Herausforderung begleitet bewältigen und erfährt sie dadurch sogar<br />

als stärkend. Die oben angeführte Episode illustriert die heikle Situation von bildungsbenachteiligten<br />

Personen in arbeitsmarktpolitischen Maßnahmen: »Aber die<br />

haben keine Zeit, dass sie dir irgendetwas lernen. Ja, das ist so und fertig.« (TNin7,<br />

609)<br />

Teilnehmerin 20, die sich auf das Nachholen des Lehrabschlusses vorbereitet, erwartet<br />

von ihrer Basisbildungskursteilnahme, dass sie sich die als notwendig erachtete<br />

Sicherheit erarbeitet: »[…] dass ich es leichter habe dann beim Abschluss.«<br />

(TNin20, 46) Sie hat aufgrund einer Unsicherheit, die sie verspürt, große Bedenken<br />

was das Nachholen des Lehrabschlusses in einem zugehörigen Vorbereitungskurs<br />

eines kommerziellen Weiterbildungsanbieters anbelangt (vgl. TNin20; 280-285).<br />

- 282 -


Vor dem Hintergrund ihrer Lehr-Lern-Erfahrungen im Basisbildungskurs bewertet<br />

sie den Vorbereitungskurs kritisch:<br />

»Wenn ich mir jetzt denke […] ich gehe den Vorbereitungskurs […] hätte ich NIE gemacht,<br />

dass ich jetzt [bei einem kommerziellen Weiterbildungsanbieter] oder wo. Erstens hätte ich<br />

mir das gar nicht bezahlen können, muss ich ehrlich sagen. Und zweitens, äh, ich hätte es auch<br />

gar nicht gemacht, weil, wenn ich mir denke, ich sitze da mit, mit so und so vielen Leuten drin,<br />

und der plappert das runter und so, und jetzt lernt´s das, und hat für niemanden eine Zeit. Das<br />

lerne ich nicht. Das weiß ich genau. Das ist, geht in meinen Kopf dann gar nicht rein, wenn<br />

das nicht anständig.« (TNin20, 664-670)<br />

Teilnehmer 22 hat sich während seiner Basisbildungskursteilnahme beruflich umorientiert,<br />

sich eine entsprechende Ausbildung organisiert und diese absolviert. Dabei<br />

ist er im Basisbildungskurs begleitet und unterstützt worden:<br />

»[…] haben sie mir geholfen. Mit [fachspezifischen] Sachen, die Ausdrücke und das Ganze zu<br />

verstehen und auch zum Umarbeiten. […] Das ist schon. Weil sonst, wenn ich das nicht gehabt<br />

hätte. Wo gehst denn hin Und nur alleine daheim lernen, das ist ja auch schlimm, nicht. Was<br />

ich auch gemacht habe, daheim zu lernen. Aber wenn du den Zusammenhang nicht weißt. Wie<br />

sollst du denn begreifen, was das HEISST Weil du liest es zwar, aber du verstehst den Zusammenhang<br />

nicht oder den Inhalt.« (TNer22, 232-238)<br />

Durch diese Form der Begleitung ist mögliche Überforderung vermieden worden.<br />

In Bezug auf sein aktuelles Ziel, die Vorbereitung auf das Nachholen des Hauptschulabschlusses,<br />

wünscht er sich von der Kursleiterin Unterstützung bei der Auswahl<br />

und insbesondere bei der Reduktion der Inhalte »auf das Wichtigste«:<br />

»Ja, jetzt momentan bin ich nur neugierig, weil ich vom System Hauptschule noch zu wenig<br />

weiß. Das heißt, was ist jetzt wichtig für äh, für den externen Hauptschulabschluss. […] Es<br />

sagt dir keiner richtig, was wirklich für ein Stoff zur Prüfung kommt. Du lernst. Ich meine lernen<br />

muss eh jeder, aber ich möchte auch konkret wissen, was wirklich zur Prüfung kommt.<br />

Oder was jetzt wirklich aufbauen. Aber du kannst nur auf das aufbauen, was du wirklich<br />

brauchst. […] Und das andere weglassen. Weil das, das gewisse in der Hauptschule sind unnötige<br />

Sachen. Das braucht man nicht. Das heißt, auf das Wichtigste konzentrieren und das,<br />

auf das aufbauen. Das ist eigentlich das, was ich eigentlich anstrebe, jetzt.« (TNer22, 318-327)<br />

5.3.6 Vertrauensvolle Beziehungen als Ressource für Entwicklung<br />

Die befragten Teilnehmenden berichten durchgängig von intensiven Abstimmungs-<br />

und Aushandlungsprozessen und von der aufmerksamen und förderlichen<br />

Unterstützung ihrer Lernprozesse durch die Kursleitenden. Insgesamt wird große<br />

- 283 -


Zufriedenheit mit den eigenen Lernprozessen zum Ausdruck gebracht, was Rückschlüsse<br />

auf die gute Qualität dieser Bildungsarbeit zulässt. Gefühlsbetonte Bindungen<br />

scheinen wesentliche Voraussetzungen für gelingende Lehr-Lern-Prozesse<br />

zu sein. Authentisches Interesse an der Entwicklung einer Person ist notwendig,<br />

um im Prozess adäquate Unterstützung leisten zu können; umgekehrt ist auf Seite<br />

der Teilnehmenden Vertrauen unerlässlich, um die Unterstützung auch annehmen<br />

zu können. Im Folgenden sollen nun einige Interpretationsergebnisse zu Vertrauen<br />

und Beziehung dargestellt werden, um die Bedeutung und das Potenzial von vertrauensvollen<br />

Beziehungen für Lehr-Lern-Prozesse in der Basisbildung sichtbar zu<br />

machen. Vorausgeschickt sei, dass die Kursleitenden ihren Teilnehmenden aufrichtig<br />

zugeneigt sind.<br />

Teilnehmerin 6 vertraut sich in einer finanziell schwierigen Situation ihrer Kursleiterin<br />

an und erfährt entsprechende Unterstützung durch die Einrichtung, die ihre<br />

Fahrtkosten übernimmt:<br />

»[…] ich weiß, ich brauche nicht aufhören. Ich war traurig. Ich hab traurig von zwei Wochen<br />

angerufen die [Kursleiterin] und ich habe gesagt: Es tut mir leid, aber ich bin traurig, ich<br />

glaube, ich muss aufhören. Sie haben mir gesagt, ich soll nicht aufhören, ich kann weiterlernen.<br />

Und ich habe mich wirklich so gefreut. Wirklich. Das kommt von drinnen. Ich habe mich<br />

so gefreut […].« (TNin6, 242-245)<br />

Die Versorgung mit ausbildungsrelevanten Unterlagen durch ihre Kursleiterin wird<br />

von Teilnehmerin 2 nicht als eine Selbstverständlichkeit betrachtet, sondern wertschätzend<br />

hervorgehoben. Die auf diesem Wege erfahrene Aufmerksamkeit lässt<br />

ein Gefühl der Dankbarkeit entstehen:<br />

»(T) […] ich bin sehr, sehr dankbar. Weil das heißt, es ist ihre private [Zeit], sie muss das nicht<br />

machen, aber das heißt, sie ist so lieb und so nett und sie kennt […] ihre Mitglieder, das einfach<br />

ganz großen Sinn hat. Und das finde ich ganz toll, ehrlich.<br />

(I) Das heißt, Sie lernen schon Fachwörter<br />

(T) Ja, genau. Das hat sie mir über Internet jetzt bestellt und das kriege ich erst, diese Stoff.<br />

[…] Aber ich finde das ganz, ganz toll. Weil wirklich muss man sagen, Herz haben, dass man<br />

einen Menschen in genau Richtung, was ich brauche. Das heißt, nicht NUR schreiben, irgendwie<br />

oder irgendwas sondern. Und ich denke schon diese Fachausdrücke kommen immer wieder<br />

in meinem Beruf […].« (TNin2, 350-358)<br />

Sie anerkennt die Bemühungen ihrer Kursleiterin, die sich speziell auf ihre Interessen<br />

und Bedarfe bezieht. Ihren Basisbildungskurs bringt sie mit einem psychotherapeutischen<br />

Setting, das ihr bekannt ist (vgl. TNin2, 60-63), in Verbindung:<br />

»Und ich finde das ganz, ganz wichtig, dass sie so ein warmes Herz und Verständnis für die<br />

Menschen hat. Nicht nur, du lernst Schreiben und Lesen, das ist wichtig, sondern wie man<br />

- 284 -


sich innerlich fühlen, das finde ich ganz, ganz wichtig. Und das ist wirklich Moment, wo ich<br />

gedacht habe, das ist auch therapeutische Richtung, auch soziale Verbindung […].« (TNin2,<br />

238-242)<br />

Sie nimmt das Interesse ihrer Kursleiterin an ihrem Leben und nicht nur an ihren<br />

Lernwünschen und an ihrem Bildungsbedarf wahr. Dieses ganzheitliche Interesse<br />

ist ein wesentlicher Faktor, möglicherweise sogar der grundlegende Faktor für<br />

die Entstehung einer vertrauensvollen Beziehung. Die emotional unterstützende<br />

Funktion dieses ganzheitlichen Interesses zeigt sich auch in der nächsten Episode.<br />

Sie kann nämlich ihre im Kurs erarbeitete Sicherheit auf die herausfordernde Aufgabe,<br />

nochmals zu einer Aufnahmeprüfung für eine berufliche Ausbildung anzutreten,<br />

übertragen (vgl. TNin2, 435-438). Die erarbeitete Sicherheit resultiert zum<br />

einen aus der inhaltlichen Prüfungsvorbereitung (vgl. TNin2, 345-348), zum anderen<br />

aus der erfahrenen Stärkung. Vor der Prüfung vertraut sich die Teilnehmerin ihrer<br />

Kursleiterin an:<br />

»Und dass auch, wenn es ihm schwer geht, wenn es familiäre Probleme hat oder irgendetwas,<br />

einfach diesen Menschen vertrauen kann und mit ihr reden kann. Weil vor der Prüfung, ich<br />

habe auch mit [ihrer Kursleiterin], ich habe nur gesprochen, wir haben nicht geschrieben, nicht<br />

gelesen. Und sie hat mir wirklich sehr, sehr viel Mut gegeben. Ich bin einfach dort hin locker<br />

gegangen und ich habe das geschafft. […] mit dem Reden und mit Unterstützung. Das spürt<br />

man schon als Mensch, das ist eh ganz klar.« (TNin2, 243-250).<br />

Ähnlich verhält es sich bei Teilnehmerin 20. Sie schätzt die ruhige Art ihres Kursleiters,<br />

die ihrer »Seele« gut tut:<br />

»[…] und er bringt das einfach so gut und ich bin froh, dass es das gibt. […] Also, er bringt<br />

das einfach so gut. […] Und das ist so gut auch. Für die Seele ist das gut. Weil es ist, wenn ich<br />

jetzt da wen habe, der was nur Stress hat […].« (TNin20, 293-299)<br />

Die Beziehung von Teilnehmer 14 zu seiner Kursleiterin hat eine erotische Konnotation<br />

(vgl. TNer14, 152-188). Er ist von ihrer »sympathische[n] Ausstrahlung«<br />

(TNer14, 156) angetan und hat in ihrer Nähe »ein Bauchgefühl« (TNer14, 184).<br />

Er deutet in dieser Passage auch an, dass ihn seine Kursleiterin bereits mehrmals<br />

auf die von ihm zu wahrende Grenze aufmerksam gemacht hat: »enttäuscht, traurig,<br />

aber ich habe es eingesehen auch, dass sie meine Lehrerin ist und nicht meine<br />

Freundin« (TNer14, 179f.).<br />

Teilnehmerin 1 thematisiert die erhaltene Unterstützung im Umgang mit Formularen.<br />

Es scheint für sie eine Erleichterung zu sein, diesbezüglich nicht länger auf ihren<br />

Partner angewiesen zu sein, sondern sich an ihre Kursleiterin wenden zu können<br />

(vgl. TNin1, 551-565). Sie begründet ihr Vertrauen zu ihrer Kursleiterin wie<br />

folgt:<br />

- 285 -


»(T) Ich wohl, mich wohl fühle, wenn habe Vertrauen, verstehen<br />

(I) Vertrauen, ahm.<br />

(T) Mit die Lehrer und mit den Menschen, verstehen Weil das ist wichtig, wenn du in eine<br />

Kurs und habe Vertrauen, verstehen<br />

(I) Ja, ist wichtig, ahm.<br />

(T) Ja, das ist wichtig, wenn du lernst.<br />

(I) […] Und wie ist das Vertrauen entstanden<br />

(T) Ich mich nicht genieren mit den Lehrer, verstehen […] ich geniere nicht. Wenn ich irgendetwas<br />

nicht kann, ich sage: […] komm her bitte, ich verstehe diese, ich verstehe nicht, was ist<br />

das. Verstehen Dann hilft sie mir schon.« (TNin1, 135-147)<br />

Sie spricht davon, sich nicht zu »genieren«, wenn sie ihre Kursleiterin um Unterstützung<br />

bittet und ihr unmittelbar geholfen wird. Für sie scheint der Basisbildungskurs<br />

ein Ausweg aus ihrem persönlichen Dilemma zu sein: Sie hat ihrem<br />

Mann jahrelang verheimlicht, dass sie das Lesen und Schreiben in ihrer Erstsprache<br />

nicht erlernen konnte. Deshalb war sie auf seine Unterstützung bei sie betreffenden<br />

schriftsprachlichen Angelegenheiten in ihrer Zweitsprache Deutsch<br />

angewiesen. Der Kurs ist eine Zwischenstation auf dem Weg zu dem von ihr formulierten<br />

Ziel der Eigenständigkeit: »aber einmal ich kann schaffen ganz alleine«<br />

(TNin1, 564f.).<br />

Teilnehmerin 3 berichtet in einigen Episoden von der motivierenden und stärkenden<br />

Begleitung ihrer Lernprozesse (vgl. TNin3, 380f., 565-576, 589-593, 603-616<br />

und 660-668). Ihr großes Bedürfnis nach Lob und positiver Aufmerksamkeit, dem<br />

in der Basisbildungseinrichtung entsprochen wird, kann möglicherweise durch die<br />

folgende Kindheitsepisode erklärt werden:<br />

»Und, und ich habe auch keine schöne Kindheit gehabt, muss ich sagen, weil irgendwie, eine<br />

Mutter nimmt ein Kind zuawa [zu sich] und sagt: Du warst brav. Du hast das brav gemacht.<br />

Oder du bist heute lieb, irgend so was, eine Andeutung oder was. Das habe ich nicht gehabt,<br />

nicht.« (TNin3, 141-144)<br />

Sie war die überhaupt erste Teilnehmerin in der Einrichtung und streicht diese besondere<br />

Position heraus (vgl. TNin3, 82f.); die gewachsene Beziehung beschreibt<br />

sie mit »Zusammenhalten« und »Zusammenhelfen«. 190 Sie schätzt das aufmerksame<br />

Bemühen um ihre Person: »Ja, dass ich da gerne hergehe und dass ein jeder<br />

lieb ist und nett ist und keiner gibt mich auf.« (TNin3, 603f.) und genießt die ihr zuteilwerdende<br />

Aufmerksamkeit. Die Leiterin der Einrichtung schätzt sie besonders:<br />

»Sie fragt auch die Leute, wenn etwas ist. Oder wenn du ein Problem hast, kannst<br />

du auch zu ihr kommen, also die Frau ist eine Perle […].« (TNin3, 329f.) Außerdem<br />

nützt sie das Unterstützungsangebot der den Teilnehmenden zur Verfügung<br />

stehenden Sozialarbeiterin (vgl. TNin3, 157-170 und 307ff.). Aus ihrer Bindung an<br />

die Einrichtung erwächst ein Teil ihres Lernsinns, sie scheint für andere zu lernen:<br />

- 286 -


»Ich muss sagen, ich habe viel gelernt hier herinnen. Und ein jeder sagt: Du bist brav, und wir<br />

sind stolz auf dich […]. Ich zeige ihnen, dass ich wirklich den Willen habe und dass sie sehen,<br />

dass ich ihnen auch eine Freude mache. Weil ich sage es so: Der gibt, der Mensch gibt mir die<br />

Freude, dass ich das machen kann, also muss ich auch den Willen haben, und sage: Du schau,<br />

das habe ich hingekriegt. […] Und so ist ein Zusammenhalten und so ist ein Zusammenhelfen,<br />

nicht.« (TNin3, 616-623)<br />

Das Ziel von Teilnehmerin 23 liegt im Bereich der Optimierung ihrer Rechtschreibkenntnisse.<br />

Sie nimmt allerdings auch an anderen Lernaktivitäten ihrer Gruppe teil.<br />

Durch das begleitete Erkennen ihrer Potenziale im Bereich Mathematik erfährt sie<br />

Stärkung; der aufmerksame Hinweis ihrer Kursleiterin erfüllt sie mit Stolz:<br />

»[…] die rechnen da was für die Hauptschule. Ich bin nie, in keine Hauptschule nicht gegangen.<br />

Und gestern auch, die [Kursleiterin] hat gesagt, also, das ist schon von der dritten Klasse<br />

Hauptschule, was wir da machen also. Und ich mache es gerne. Also beim Rechnen habe ich<br />

nicht so Schwierigkeiten gehabt, aber natürlich DAS habe ich nicht können, weil ich ja keine<br />

Hauptschule gegangen bin.« (TNin23, 34-38)<br />

Vielfach taucht in den Episoden der befragten Teilnehmenden der Begriff der Hilfe<br />

bzw. des Helfens als selbst gewählte Charakterisierung des Lehrhandelns auf. Hilfe<br />

zu erfahren und anzunehmen und Hilfe anzubieten bzw. zu leisten, intensiviert Beziehungen.<br />

Teilnehmerin 2 grenzt diese Form des unterstützenden Helfens von der<br />

Beurteilung bzw. Bewertung ab. Dadurch wird nachvollziehbar, worauf sich ihr<br />

Vertrauen gründet:<br />

»Das ist sehr viel wert auch, wenn man sich wohl fühlt. Wenn man weiß, da ist eine Vertrauensperson.<br />

Sie ist nur da mir zum Helfen, nicht beurteilen, habe ich das falsch oder habe ich<br />

das nicht falsch, und dann kriegt man viel mehr Mut und Kraft.« (TNin2, 108-111)<br />

Teilnehmer 22 verwendet den Begriff des Helfens im Zusammenhang mit der Begleitung<br />

seiner Lernprozesse:<br />

»Und du musst halt immer wieder antauchen, nicht. […] Die [Kursleitenden] sind eh gut, weil<br />

die haben auch im Endeffekt, die haben keinen Druck, die üben keinen Druck aus. Und sie sagen:<br />

Okay, wenn du das machst. Oder: Was BRAUCHST DU Dann helfen sie dir.« (TNer22,<br />

173-176)<br />

Voraussetzung für eine positive Beziehung zwischen Teilnehmenden und Kursleitenden<br />

ist folglich, sich mit dem jeweiligen Bedarf anvertrauen zu können. Teilnehmer<br />

5 resümiert: »Am Anfang, aber jetzt, jetzt mache ich mir auch ehrlich gesagt<br />

nichts mehr, nicht mehr so viel draus, aber da geniert man sich halt, wenn man es<br />

nicht kann und, und das, aber jetzt (er atmet durch).« (TNer5, 137ff.) Er wird von<br />

- 287 -


seiner Kursleiterin darin bestärkt, ihre Hilfe anzunehmen. Sie macht ihn nämlich<br />

darauf aufmerksam, dass er als selbstständiger Unternehmer und Familienvater nur<br />

über ein eingeschränktes Zeitbudget für Lernaktivitäten verfügt:<br />

»[…] und ich habe auch Post schon ein paar Mal da schon mitgenommen und das haben wir<br />

miteinander herunter gelesen und und das. Hat sie mir halt geholfen auch und so. Sie sagt, bitte<br />

schön, ich hab ja Zeit auch wenig.« (TNer5, 139ff.)<br />

Er vertraut sich ihr auch mit seinen Befürchtungen bezüglich der bevorstehenden<br />

Prüfungssituation an, worauf sie eine Klärung in Hinblick auf den Prüfungsmodus<br />

191 herbeiführt:<br />

»Ja, jetzt hab ich so viel zu tun wegen dem Führerschein, ich hoffe, ich weiß nicht, wie die sind<br />

in der Fahrschule und so, sie hat zwar gefragt, der sagt, dass wenn man sich da so schwer tut,<br />

dass einem da schon geholfen wird und so.« (TNer5, 463-465)<br />

Die bestehende Bindung zwischen ihm und seiner Kursleiterin erfährt im Verlauf<br />

des Kurses durch lebensgeschichtliche Ähnlichkeiten eine Intensivierung, zusätzlich<br />

ermöglicht die regionale Verbundenheit ein Naheverhältnis:<br />

»(I) Jetzt hab ich Sie lang abgehalten vom Kurs, gell<br />

(T) Macht nix, ist ein bisschen eine Entspannung und dann redet man übers Leben.<br />

(I) Machen Sie das manchmal im Kurs auch<br />

(T) Ja, schon, da arbeitet das auch. Und das mit der Familie jetzt auch, da hab ich ein Foto<br />

[seines Kindes] mitgenommen, die [Kursleiterin] hat auch […] Kinder […] und ich hab den<br />

Maibaum hergerichtet und dort war sie auch schon mit ihrer Tochter, bei so einer Veranstaltung.«<br />

(TNer5, 556-563)<br />

Die erhaltene Aufmerksamkeit kann über individuelle Zuwendung hinausgehen<br />

und zielgruppenorientiert erfolgen. In einer der untersuchten Einrichtungen gibt<br />

es ein institutionalisiertes Medium, in dem Texte von Teilnehmenden veröffentlicht<br />

werden. Für Teilnehmer 17 fungiert dieses Medium durch die entsprechende<br />

Aufforderung seiner Kursleiterin als Schreibanlass (vgl. TNer17, 49-56). Ein langjähriger<br />

Teilnehmer war an der Entwicklung des Mediums beteiligt: »den haben<br />

wir erfunden« (TNer22, 68). Er sieht den Wert dieses Mediums darin, dass »[…]<br />

gewisse[n] Schwächen mit spielerischen Aktionen« (TNer22, 67) begegnet wird.<br />

Für Teilnehmerin 24 geht die Bedeutung dieses Mediums darüber hinaus. Es erfüllt<br />

sie mit Stolz, wenn einer ihrer Texte erscheint und mehr noch, wenn ein Familienmitglied<br />

ihr dafür Anerkennung zollt (vgl. TNin24, 245-263). Hier geht es um<br />

die Sichtbarkeit des Tätigseins und um die Dokumentation von Erfolgen: ein kreativer<br />

Akt des freien Schreibens und gleichsam der Beweis, sich selbst schriftlich<br />

Ausdruck verleihen und sich mitteilen zu können und wahrgenommen zu werden.<br />

- 288 -


5.3.7 Die lernende Gemeinschaft: Bedeutung und Grenzen<br />

Obwohl die Lehr-Lern-Prozesse sehr individuell gestaltet werden, scheint die<br />

Gruppe als lernende Gemeinschaft für die Teilnehmenden von Bedeutung zu sein.<br />

Es überwiegen in diesem Zusammenhang allerdings deutlich Episoden, die sich<br />

auf die Kursleitenden beziehen.<br />

Teilnehmerin 2 spricht, um die Bedeutung, die der Austausch in der Gruppe für sie<br />

hat, zu beschreiben, von einer »Kraftquelle«. Für sie ist die Gemeinschaft eine stärkende<br />

Ressource:<br />

»Ah, ja, wenn wir nur in der Früh zusammen TREFFEN, mit dem Leute, ist ja auch schon, das<br />

ist auch schon ein Erleben. Jetzt trifft man sich mit dem gleiche Leute, wo man wirklich gleiche<br />

Schwierigkeiten haben und auf dem gleichen Boden stehen und zusammen kämpfen für<br />

unsere Zukunft. Das finde ich auch sehr positiv. Und jeder erzählt dann natürlich wie es ihm<br />

geht, wie geht er damit um und wo Schwierigkeit hat, und natürlich, da holt man sich immer<br />

wieder Kraft. Das ist eh ganz klar.« (TNin2, 366-371)<br />

Teilnehmerin 6 schätzt den Kontakt und Austausch: »Ich kenne hier andere Menschen.<br />

Ich rede mit anderen. […] Kenne die [Kursleiterin]. Und mit den anderen<br />

reden, unterhalten.« (TNin6, 167-182). Ihr aktueller lebensgeschichtlicher Hintergrund<br />

mag dieses Bedürfnis nach Eingebundensein und Austausch erklären: Ihr<br />

Ex-Mann wollte nicht, dass sie Deutsch lernt, und seit ihrer Scheidung ist sie alleinerziehende<br />

Mutter von drei Kindern (vgl. TNin6, 24-27 und 127f.). Ihre Erwerbstätigkeit<br />

auf wechselnden Einfacharbeitsplätzen bietet möglicherweise wenig<br />

Gelegenheit zum Aufbau von Beziehungen und zu einem vertrauensvollen<br />

Austausch mit Kolleg/inn/en. Es ist für sie jedoch eine Herausforderung gewesen,<br />

von der Einzelbetreuung zu Beginn ihrer Teilnahme in ihre aktuelle Gruppe<br />

zu wechseln, obwohl sie von ihrem Kursleiter bei ihrem Wechsel aufmerksam begleitet<br />

wurde:<br />

»Ich habe dieses Gefühl, wenn vielleicht ich in die Gruppe, vielleicht die anderen auslachen<br />

und so. Und dann hat mir [ihr Einzelbetreuer] gesagt: Es passiert nicht, wenn jeder ist hier von<br />

lernen, niemand macht so was! Aber trotzdem dieses Gefühl war drin. Und dann später, wann<br />

[er] hat mir gesagt, ich lerne nicht mehr mit ihm, sondern mit der [ihre jetzige Kursleiterin], da<br />

war ich: Oh mein Gott, sind drei jetzt oder vier, und das Aber ich bin gut gegangen, gut integriert.<br />

Ich habe keine, wirklich keine Probleme.« (TNin6, 191-196)<br />

Der von ihr verwendete Begriff der Integration ist in Hinblick auf mögliche Ressentiments<br />

der Teilnehmenden mit Deutsch als Erstsprache von Bedeutung. Im<br />

Zusammenhang mit Episoden von Teilnehmerin 7 zeigt sich, dass Gruppen durch<br />

die jeweils individuellen Lernvoraussetzungen und lebensgeschichtlichen Erfahrungen<br />

und Hintergründe vielfältige Lern- und Bildungsanlässe und somit Ent-<br />

- 289 -


wicklungsanlässe bieten, die durch entsprechendes Lehrhandeln genützt werden<br />

können. Teilnehmerin 7 berichtet von gemeinsamen Lernaktivitäten mit einer Teilnehmerin<br />

mit einer anderen Erstsprache als Deutsch (vgl. TNin7, 283f.):<br />

»Weil ich ja dann auch was lerne. Weil ich passe dann auf, wie sie das liest. Nicht Da kann<br />

man auch viel lernen. Weil dann muss ich viel aufpassen, was sie liest und dann kann sie ausbessern<br />

und dann lerne ich es viel besser. […] denke ich mir, das ist auch ganz gut, wenn ich<br />

ihr helfe, dann ist mir auch viel geholfen.« (TNin7, 285-289)<br />

Mit dem Helfen wird Verantwortung übernommen, und aus der Übernahme der<br />

Verantwortung erwächst ein persönlicher Gewinn. Teilnehmerin 7 überwindet<br />

dadurch eventuell bestehende Ressentiments; zwischen den Teilnehmerinnen<br />

kann sich ein Vertrauensverhältnis konstituieren. Sie berichtet, sie habe sich zu<br />

Beginn ihrer Teilnahme »fehl am Platz« (TNin7, 251) gefühlt: »Zuerst war ich<br />

eigentlich, denke ich mir: Nein, da gehöre ich nicht her. Aber jetzt, ich habe kein<br />

Problem damit mehr […].« (TNin7, 256f.) Sie macht dieses anfängliche Gefühl<br />

nicht nur an den Teilnehmenden mit einer anderen Erstsprache als Deutsch fest,<br />

sondern auch an einem Teilnehmenden mit Lernschwierigkeiten (vgl. TNin7,<br />

246-257; siehe Abschnitt 5.1.4). In der folgenden Episode findet sich ein entscheidender<br />

Hinweis auf eine mögliche Erklärung für ihre Ressentiments gegenüber<br />

dem Teilnehmer mit Lernschwierigkeiten – nämlich Reminiszenzen an die<br />

eigene Lerngeschichte und damit verbunden eine Erinnerung an Gefühle der eigenen<br />

Unzulänglichkeit:<br />

»Oder sonst war auch einer da. Der kann ja so lesen wie ich in der zweiten Volksschule. Weißt,<br />

da kommt die Erinnerungen. Denke ich mir, ich kann eh alles eigen, ich meine, ich muss eh<br />

zufrieden sein. Ich meine, ich meine der, der tut mir dann so leid, denke ich mir, aber er, es<br />

wird ja immer BESSER, das freut mich ja, dass das eigentlich durch die drei Stunden was er da<br />

hat, dass das so gut, dass er so viel mitnimmt auch und so viel lernt, nicht.« (TNin7, 259-264)<br />

Sie nimmt anerkennend seine Lernfortschritte wahr und geht mit dem wahrgenommenen<br />

Unterschied rücksichtsvoll um: Sie stärkt sich selbst (»ich meine, ich muss<br />

eh zufrieden sein«), ohne den anderen zu schwächen. Im Folgenden wird deutlich,<br />

dass die lernende Gemeinschaft für sie aus Beziehungen besteht: Das Vertrauen,<br />

das sich innerhalb der Gruppe entwickelt hat, schafft einen als sicher empfundenen<br />

Möglichkeitsraum, in dem sie Fähigkeiten erproben kann:<br />

»[…] ich wollte nie einen Kurs machen oder irgendwas, weil ich Angst gehabt habe, dass ich<br />

was vorlesen muss. […] ich muss ja gar nicht [hier im Basisbildungskurs]. Weil, wenn ich sie<br />

dann besser kenne, die, ein Monat oder so, die Leute, oder man hat ein bisschen eine Gaude<br />

oder so, kann ich es genauso. Da denkt sich keiner mehr was, nicht.« (TNin7, 79-83)<br />

- 290 -


Mit der Episode von Teilnehmerin 11 lässt sich nachzeichnen, dass die Erfahrung,<br />

dass mit ihren eigenen Bedürfnissen rücksichtsvoll umgegangen wird (»eigentlich<br />

gut verstanden«), dazu führen kann, dass sie nun selbst den Bedürfnissen der anderen<br />

Teilnehmenden Beachtung schenkt:<br />

»Ich habe mich schon auch oft vernachlässigt auch gefühlt. Aber ich habe auch gesehen, also<br />

[…] / EINE Kursleiterin kann sich nicht für alle zerreißen, nicht. Überhaupt wenn ich wieder<br />

im Selbstmitleid drin bin, (leiser) weiß ich nicht, wie ich sagen soll. […] Aber sie [Kursleiterin]<br />

hat mich eigentlich gut verstanden […].« (TNin11, 405-409)<br />

Teilnehmerin 23 berichtet in der folgenden Episode über gemeinsames Spielen und<br />

verbindet diese Erzählung mit dem Geben und Annehmen unterstützender Hilfe:<br />

»Und auch die was, was auch herkommen. Die sind, wir sind alle miteinander sehr / jetzt haben<br />

wir Karten gespielt. […] Also, da gibt es überhaupt nichts! Wir verstehen uns. Und einer<br />

hilft dem anderen, wenn man wo nicht weiter weiß dann.« (TNin23, 303-307)<br />

Die Fähigkeiten einer anderen Teilnehmerin werden anerkannt und als Ergänzung<br />

wahrgenommen; insgesamt scheint hier der Gedanke der Ressourcenorientierung<br />

angesprochen zu werden (»der eine hat das und der andere hat das«):<br />

»Die [Teilnehmerin] ist in Deutsch wieder besser, nicht. Die sagt einen wieder in Deutsch viel.<br />

Aber beim Rechnen, ja, wenn wir mit dem Computer rechnen, dann fragt sie schon, wie das und<br />

das geht. […] Ich sage eh, der eine hat das und der andere hat das. Nicht« (TNin23, 320ff.)<br />

Teilnehmer 14 begründet seine Teilnahme am Basisbildungskurs mit: »Mir ist es<br />

eigentlich nur drum gegangen, dass ich unter Leute komme.« (TNer14, 87) Der<br />

Kurs ist für ihn eine willkommene Beschäftigung: »Ja, ich sitze, ich wäre sonst<br />

eh die ganze Zeit nur daheim und das ist irgendwie langweilig.« (TNer14, 91f.) Er<br />

genießt das Eingebundensein in eine Gemeinschaft (vgl. TNer14, 74-107): »Weil<br />

ich mich gut verstehe mit die ganzen Kollegen. // Eigentlich der Hauptgrund.«<br />

(TNer14, 75) Bei der Aneignung einer lebenspraktischen Fertigkeit, dem Kaffeekochen,<br />

erfährt er Unterstützung durch die Gemeinschaft:<br />

»Am Anfang hat mir halt immer wer anderer geholfen. Jetzt kann ich es schon fast alleine.<br />

Nachher mache ich ihn immer noch stark, aber es macht nichts […]. [Für eine Teilnehmerin]<br />

habe ich immer ein bissl zu stark gemacht. […] Ist zu stark, zu stark! Aber das hat sie, das hat<br />

sie humorvoll gesagt. […] Das nächste Mal machst es halt ein bisschen weniger. Dann ist es<br />

gegangen.« (TNer14, 299-308)<br />

Ähnlich verhält es sich bei Teilnehmerin 24, für die der Kurs ebenfalls eine willkommene<br />

Beschäftigung darstellt. Von ihrem Mann zur Teilnahme aufgefordert,<br />

- 291 -


ist für sie die Gruppe in die sie nach der anfänglichen Einzelbetreuung kommt,<br />

ein Unsicherheitsfaktor (»Und welche Leute da sind«). Nach und nach wird diese<br />

Gruppe zu einer (unerwarteten) Bereicherung:<br />

»Und welche Leute da sind Und vor dem habe ich ein bisschen / wo, welche Leute, wie und<br />

was Habe ich mir gedacht, nein, na, ja, schaust halt an. Aber, ich habe mir immer. Mir hat es<br />

getaugt, weil es mir, weil du ein bisschen unterwegs bist und das taugt mir. Und dann kommen<br />

andere Teilnehmer dazu. Wie, kennst du wieder wen. Und dann kennst wieder. So.« (TNin24,<br />

72-75)<br />

Zwei Teilnehmerinnen bringen ihr Eingebundensein in ihre lernende Gemeinschaft<br />

mit dem Begriff der Familie in Zusammenhang: »[…] das ist so wie Familienverhältnis,<br />

der sehr, sehr nett.« (TNin2, 35) und: »[…] hier herinnen, das ist meine<br />

große Familie« (TNin3, 157). Teilnehmer 12 hat in einem anderen Teilnehmer einen<br />

Freund gefunden (vgl. TNer12, 243-251). Teilnehmer 13 schätzt das Fußballspielen<br />

in der Pause (vgl. TNer13, 96-101). Er versucht die entstandenen Beziehungen<br />

auch abseits des Lehr-Lern-Gefüges zu pflegen, indem er die Gruppe zu<br />

sich nach Hause einlädt: »Was mich auch freut, nächsten Samstag kommen sie<br />

zu mir.« (TNer13, 102) Teilnehmer 22 beschreibt den Kurs etwas distanziert als<br />

»Stammtisch«, bei dem auch über Privates geredet wird: »Und das finde ich eigentlich<br />

einen Stammtisch, weil das ist irgendwie, die reden beim Privatleben genauso.<br />

Und es wird trotzdem gelernt, nicht. Und das ist eigentlich nicht schlecht.«<br />

(TNer22, 510ff.) In seinen Ausführungen lassen sich Hinweise auf mögliche Ursachen<br />

für diese Distanz finden: Die Zusammensetzung seiner Gruppe hatte sich<br />

zum Zeitpunkt der Befragung bereits stark verändert, zwei für ihn wichtige Teilnehmende<br />

hatten ihre Teilnahme beendet (vgl. TNer22, 497-504). Diese freundschaftlichen<br />

Beziehungen waren für ihn bedeutsam gewesen:<br />

»[…] weil so die alte Gruppe, was wir waren, ist nicht mehr so. Aber die sind äh, da waren wir<br />

einfach ge, wir haben uns privat teilweise getroffen und solche Sachen. Es ist eigentlich ah,<br />

schon schön, dass man einfach eingeladen wird oder umgekehrt.« (TNer22, 491ff.)<br />

In seinem Leben ist es durch die Aufnahme einer Erwerbstätigkeit und die Geburt<br />

seines Kindes ebenfalls zu Veränderungen gekommen. Die Bedeutung des<br />

Kurses als Ort der gelebten sozialen <strong>Teilhabe</strong> nahm ab, seine Interessen und Aufmerksamkeit<br />

verschoben sich: »Aber dadurch ich jetzt arbeite wahrscheinlich, ist<br />

das auch anders, nicht. Weil ich nicht so viel Zeit habe und eine eigene Familie<br />

habe.« (TNer22, 505f.) Dennoch haben gemeinsame Aktivitäten, wie beispielsweise<br />

Spiele oder das gemeinsame Schreiben von Texten, für ihn nach wie vor eine<br />

positive Bedeutung (vgl. TNer22, 206ff. und 493ff.).<br />

Eine überschaubare Gruppengröße von durchschnittlich sechs Teilnehmenden erlaubt,<br />

wie die Interpretationsergebnisse zeigen konnten, die intensive Begleitung<br />

- 292 -


der individuellen Lernprozesse. Dennoch könnte sich für Teilnehmende, die einen<br />

weniger ausgeprägten Basisbildungsbedarf bearbeiten und/oder ein klares Ziel vor<br />

Augen haben (beispielsweise die Vorbereitung auf eine berufliche Weiterbildung),<br />

die Problematik ergeben, zu wenig individuelle Betreuung zu erhalten. Teilnehmerin<br />

7, die einen weniger ausgeprägten Bedarf bearbeitet und ein klares Ziel vor<br />

Augen hat, gelangt in der Auseinandersetzung mit der lernenden Gemeinschaft ungeachtet<br />

dessen zu einer realistischen Einschätzung ihrer eigenen Fähigkeiten und<br />

Fertigkeiten. Ihre Eigenständigkeit wird gestärkt, ohne dass sie das Gefühl hat, »zu<br />

kurz« zu kommen:<br />

»Ja, manchmal ist schon ein bis, ich meine, manchmal, die [anderen Teilnehmenden] brauchen<br />

halt me, ich brauche nicht so viel. Ich frag da ein paar Mal und die […] würden oft mehr brauchen<br />

und da. Aber sie [Kursleiterin] macht das ganz gut, dass jeder, wir könnten sie oft vierteilen,<br />

aber das geht halt nicht (sie lacht). Aber ich kann, ich habe halt, ich mache halt irgendeine<br />

andere Übung dann, oder tue das noch einmal auffrischen oder schreib einfach irgendwas.<br />

Ich meine, das, sie macht das schon so, dass keiner nichts zu tun, tun hat. […] Jetzt war äh,<br />

eine junge Frau da […] ein Praktikum machen. Das war halt ganz toll, weil da haben, die war<br />

bei der, das war ja ganz super, weil die hat mit dem einen Herren halt sehr viel gelesen. Das<br />

war schon, aber so Einzelbetreuung, das geht nicht, ich meine, das ist, das geht nicht. Aber<br />

ich komme mit, ich meine, ich kann nicht sagen, dass ich zu kurz komme.« (TNin7, 267-281)<br />

Gerade im Bereich des Erlernens der Buchstaben und des Erstlesens scheint Einzelbetreuung<br />

sinnvoll zu sein. Die diesbezügliche Einschätzung von Teilnehmerin 7,<br />

dass die zusätzliche Praktikantin, die »mit dem einen Herrn halt sehr viel gelesen«<br />

hat, von Vorteil (für das ganze Gruppengeschehen und wohl auch für seine Lernfortschritte)<br />

war, spiegelt sich in einer Episode von Teilnehmer 5 wider. Er berichtet,<br />

dass er in seinem ersten Basisbildungskurs mit dem Gefühl des Alleingelassenseins<br />

konfrontiert war (vgl. TNer5, 32-37; siehe Abschnitt 5.1.4). Der Wechsel in<br />

eine der untersuchten Einrichtungen eröffnete ihm die Möglichkeit zur Einzelbetreuung,<br />

die er für sich einfordert (vgl. TNer5, 226-230): »Und jetzt bin ich da bei<br />

der [Kursleiterin], und das mit dem Einzelunterricht, das ist, hat mir halt, meine<br />

ich, das meiste gebracht.« (TNer5, 34f.) Eine Episode aus seiner Kindheit kann die<br />

Schwierigkeit, die das Lernen in einer Gruppe für ihn darstellen dürfte, verdeutlichen:<br />

»[…] das vergesse ich nicht mein Leben lang, da hast halt so einen Aufsatz, den hast halt nur<br />

so verdreht, so die Wörter verdreht. Und die Lehrerin hat das vorgelesen, die anderen Kinder<br />

haben alle gelacht, und die haben sich // und dann war es auch so, meine ich, dann bist dann<br />

auch nicht mehr so gefragt worden und sitzen geblieben, bist eh schon zurückgekommen, in<br />

die, in die letzte Reihe oder was und, und bist nicht mehr so gefragt worden, und die Eltern haben<br />

sich auch nicht so gekümmert.« (TNer5, 166-171)<br />

- 293 -


Für Teilnehmer 17, einem jungen Mann mit Lernschwierigkeiten, ist die Gruppensituation<br />

auch eine persönliche Herausforderung: »[…] ziemlich schüchtern bin auch,<br />

ja, und deswegen sprech ich auch nicht so gerne.« (TNer17, 116f.) Er hatte sich in<br />

der Einzelbetreuung zu Beginn seiner Basisbildungsteilnahme wohler gefühlt (vgl.<br />

TNer17, 66-71 und 116-122): »[…] weil ich kann irgendwie nicht so gut mit anderen<br />

Leuten in Kontakt treten auch, meinerseits her. Und da find ich, wenn man Einzelunterricht<br />

hat, dann hat man mehr, also Möglichkeit, also eine Betreuung halt nur<br />

für denjenigen.« (TNer17, 69f.) Der unvollständig gebliebene Satz »Weil sie auf<br />

meine Bedürfnisse auch mehr eingehen kann, als wenn alle / » (TNer17, 122) kann<br />

als Wunsch nach intensiver Unterstützung verstanden werden, weil ihm das Einfordern<br />

seiner Bedarfe gerade in einer Gruppensituation möglicherweise schwer fällt,<br />

aber auch als Wunsch nach dem Schutzraum der Einzelbetreuung, denn Gruppensituationen<br />

lösen in ihm Erinnerungen an unangenehme, weil überfordernde und beschämende<br />

schulische Situationen 192 aus (vgl. TNer17, 203-220).<br />

Teilnehmerin 4 äußert sich ablehnend zu der für sie vorgesehenen Gruppe aufgrund<br />

der als zu divergierend wahrgenommenen Bedarfe:<br />

»(T) […] ich war in einer Gruppe, die haben Deutsch gelernt, Lesen und Schreiben, und<br />

Deutsch, nicht […] Mit dem Lesen hab ich nie keine Probleme gehabt. In Deutsch hab ich<br />

keine Probleme gehabt, ich hab nur mit dem Rechnen, also das aufgebessert, in Deutsch hab<br />

ich nie Probleme gehabt. […]<br />

(I) Fühlen Sie sich wohl im Kurs<br />

(T) Ich hab eh Einzelunterricht.« (TNin4, 32-41)<br />

Nachdem es »Differenzen« (TNin4, 48) gegeben hatte (innerhalb der Gruppe und<br />

somit mit der Kursleiterin), schlug ihr die Leiterin der Einrichtung den Wechsel<br />

in eine Einzelbetreuung vor (vgl. TNin4, 43-49). Nicht für alle Teilnehmenden<br />

scheint die lernende Gemeinschaft ideal zu sein, was zum einen an den Lerninhalten,<br />

zum anderen an persönlichen Voraussetzungen liegen dürfte. Die Einzelbetreuung<br />

bietet hierfür eine Ausweichmöglichkeit. 193<br />

5.3.8 Solidarität: Verbundenheit mit Benachteiligten<br />

Vielfach äußern die Teilnehmenden in den Interviews solidarische Überlegungen,<br />

die als Verbundenheit mit benachteiligten Menschen verstanden werden können.<br />

Solche Überlegungen geben auch einen Hinweis auf die Bedeutung, die die Teilnahme<br />

und der Kurs für die Befragten haben (siehe Abschnitt 5.3.3), gehen allerdings<br />

weit über persönliche Interessen und Dankbarkeit für das Angebot hinaus. Solidarität<br />

interpretiere ich hier nämlich als Hinweis auf die (beginnende) Bewältigung<br />

von Ausschlusserfahrungen durch die individuell erfolgreiche Kompensation von<br />

Bildungsbenachteiligung. Solidarität soll somit als Ausdruck gelingender Lernpro-<br />

- 294 -


zesse verstanden werden: Wächst die eigene Sicherheit durch die stärkenden Erfahrungen,<br />

kann dieses Gefühl der Sicherheit offenbar auf andere übertragen werden.<br />

Solidarität mit Benachteiligten scheint somit das Gegenteil von Vereinzelung, Überforderung<br />

und Verunsicherung zu sein – Gefühle, die vor der Kursteilnahme in vielen<br />

Fällen bestimmend waren.<br />

Teilnehmerin 1 äußert den Wunsch, dass das Bildungsangebot auch künftig bestehen<br />

bleibt, und zwar nicht nur in ihrem eigenen Interesse: »Ich hoffen, dass ich<br />

bleiben lange, verstehen Lassen bis, diese Sache für immer. Weil hier gibt es viele<br />

Leute brauchen Hilfe. Genau wie ich.« (TNin1, 687f.)<br />

Auch Teilnehmerin 2 drückt ausgehend von ihrer eigenen Zufriedenheit ein uneigennütziges<br />

Interesse am Fortbestand des Angebotes aus:<br />

»Da bin ich sehr, sehr glücklich. Und ich finde ganz toll. Besser kann nicht sein. Ich muss ehrlich<br />

sagen, dass ich hoffe, dass noch länger dauert, dass die anderen Menschen auch Chance<br />

bekommen sich weiter zum Ausbilden und weiter lernen […].« (TNin2, 226-229)<br />

Sie erklärt sich solidarisch mit Personen, die Bildungsbedarfe/-bedürfnisse in der<br />

Zweitsprache Deutsch haben und daher von beruflicher Aus- bzw. Weiterbildung<br />

ausgeschlossen sind (vgl. TNin2, 38-46), und betont die Vorzüge ihres Basisbildungskurses<br />

im Vergleich zu Deutschkursen von kommerziellen Bildungsanbietern:<br />

»Weil die Leute trauen sich nicht, ich muss zahlen, das geht schnell und ich schaffe das nicht,<br />

dann bin ich nur verwirrend. Aber bei dem [Basisbildungskurs], ich finde schon, es ist einfach,<br />

ich kann das nicht beschreiben, wie er mir wirklich riesige Freude macht. Und ich hoffe, dass<br />

mehr Menschen erfahren können, für so einen Kurs, und einfach ihr LEBEN erleichtern. Denn<br />

das heißt, wenn ein Mensch in Österreich lebt, es ist ganz wichtig, dass man Schreiben, Lesen<br />

kann. Und dass man sich mit dem anderen Menschen unterhalten, auch richtig unterhalten<br />

kann. Es ist nicht genug nur irgendwie reden.« (TNin2, 416-423)<br />

Teilnehmerin 2 versucht, Bekannte mit ähnlichem Migrationshintergrund zur Basisbildungskursteilnahme<br />

zu motivieren. Sie nimmt bei Personen in ihrem Bekanntenkreis<br />

Schwellenängste wahr, wenn sie von ihrem Basisbildungskurs erzählt,<br />

weil sie über vergleichsweise sehr gute Deutschkenntnisse, die sie sich über die<br />

Jahre selbst angeeignet hatte, verfügt (vgl. TNin2, 146-154). Es ist daher meines<br />

Erachtens unerlässlich, dass solche Angebote zeitlich nicht limitiert und kostenlos<br />

sind, weil das die Schwellenangst reduzieren kann. Teilnehmerin 7 berichtet,<br />

sie habe »schon ein paar vermittelt« (TNin7, 127). Teilnehmerin 3 hat bei Aktivitäten<br />

der Basisbildungseinrichtung im Bereich Öffentlichkeitsarbeit mitgewirkt (vgl.<br />

TNin3, 17f. und 58-71). Daraus resultiert eine beiderseitige Verbundenheit, und<br />

die Teilnehmerin zieht Stärkung aus ihrer Rolle als Multiplikatorin: »Und es hat<br />

auch geheißen, sie geben mich nicht mehr her, weil ich überall hingehe […] und<br />

ich mich traue.« (TNin3, 58f.)<br />

- 295 -


Das Handeln von Teilnehmer 22 als »Botschafter« (TNer22, 634) 194 ist eine Form<br />

solidarischer Praxis, die unmittelbar zu seiner Stärkung beiträgt. Er erlebt sich dabei<br />

nämlich als mutig, fühlt sich wohl in seiner Rolle des Multiplikators, formuliert<br />

Forderungen an die Verantwortlichen und setzt diese durch. Außerdem stellt er<br />

sich dabei der selbst gewählten Herausforderung, vor Publikum einen seiner Texte<br />

vorzulesen:<br />

»(I) Und können Sie sich an ein, also wenn Sie so zurückdenken an den Kurs jetzt, haben Sie<br />

mal so ein besonderes Erfolgserlebnis gehabt So eine bestimmte Situation, wo Ihnen einfach<br />

was gut gelungen ist oder wo sie das Gefühl gehabt haben<br />

(T) Das Erfolgserlebnis in dem Sinn war, dass ich da nicht zu feig war und damals zur [Veranstaltung]<br />

gefahren bin. Das war eigentlich für mich selbst ein Schritt, wo ich gesagt habe: Ich<br />

will eigentlich ein Botschafter sein für Leute, die was die Schwächen haben und […] im Hintergrund<br />

sind und nicht wissen, wo sie hingehen können. Das war für mich ein Erfolg. Und […]<br />

ich habe gesagt: Ich möchte was VORLESEN und nicht nur ein Blabla machen. Das heißt, mei,<br />

wie arm sind wir und wie auch immer. Weil wir, das wissen wir eh, dass wir gewisse Schwächen<br />

haben. Also arm ist eigentlich relativ. Und dann habe ich mir gedacht, wenn ich nichts vorlesen<br />

kann, fahre ich nicht hinaus. Also das und dann und / die Überwindung war eigentlich noch und<br />

das Vorlesen vor Kamera und vor fremden Leuten. Und es war eigentlich relativ und da war, mir<br />

war es relativ wurscht, weil ich mir gedacht habe, ich möchte nur eine Botschaft weiterbringen.<br />

Das heißt, nicht wichtig sein, sondern eine Botschaft herumbringen, dass man Möglichkeiten hat<br />

in Österreich […] Und das war für mich ein Erfolg, wo ich mir wirklich gedacht habe: Okay, da<br />

habe ich mir selber einmal die Ehrlichkeit zugestanden und gesagt, die Schwäche habe ich gehabt.<br />

Aber ich habe gesagt, wenn ich das nicht vorlesen kann, fahre ich nicht hinaus, nicht. Und<br />

ah, dass ich die drei [Teilnehmende aus seinem Kurs] mit hinaus genommen habe. Haben sie [die<br />

Verantwortlichen] gesagt: Nein, das geht nicht. Sage ich: Ja, das, das ist meine Voraussetzung,<br />

nicht.« (TNer22, 629-650)<br />

Teilnehmerin 6 thematisiert die Interviewsituation als Gelegenheit, über ihre Teilnahme<br />

zu berichten:<br />

»Ich habe mich gefreut mit dem Interview heute. Weil ich möchte andere wissen, dieses Gefühl,<br />

was ich habe. Wirklich, ich bin sehr zufrieden hier. Ich freue mich wirklich total, weil ich<br />

weiß, jede Woche an diesem Donnerstag, ich soll hier kommen zu lernen.« (TNin6, 161-164)<br />

Die Entwicklung eines Solidaritätsgefühls basiert auch auf einem Bewusstsein<br />

über soziale Ungerechtigkeit, wobei der Kurs diesbezüglich Gesprächs- und Reflexionsräume<br />

eröffnet. Teilnehmer 15 verknüpft seine eigene Betroffenheit mit dem<br />

drohenden gesellschaftlichen Ausschluss:<br />

»Ja, ich hoffe, da, dass es ihn länger noch gibt, den Kurs. Weil es irgendwas geheißen hat, dass er<br />

nachher, dass nachher kein Geld mehr zur Verfügung steht oder was. Und da habe ich schon ir-<br />

- 296 -


gendwie, irgendwie Angst. Weil dann sind ja die wieder ausgeschlossen, die was, die was so was<br />

bräuchten. […] Und außerdem der Staat hat eh viel Geld für was, für was Blödsinniges ausgegeben,<br />

für die, für die Eurofighter oder wie die heißen.« (TNer15, 732-738)<br />

Auch Teilnehmer 5 misst dem Basisbildungsangebot einen gesellschaftlichen Wert<br />

bei:<br />

»[…] im Endeffekt, man selber und der Staat hat ja, wenn du mit der Arbeit und das, besser<br />

mit dem Ganzen, leichter zurechtkommst, hat ja das nicht nur – sicher, den Hauptvorteil hat<br />

jeder eigene Mensch – aber der Staat hat ja auch einen Vorteil. Wenn er nicht mit so viel Arbeitslosen<br />

und mit den ganzen Leuten zurechtkommen muss.« (TNer5, 247-251)<br />

Teilnehmerin 20 äußert sich solidarisch in Hinblick auf jüngere Teilnehmende und<br />

Teilnehmende mit Lernschwierigkeiten:<br />

»Es ist eine sehr sinnvolle Einrichtung. […] Und ich sehe auch andere, was, was hierher kommen,<br />

also. Ich meine, die was wirklich arm sind, also in meinen Augen halt, und wirklich äh<br />

junge Leute, die was so viel äh zum Nachholen haben oder was ni, nicht können oder. Und denen<br />

wird da geholfen, also das ist, finde ich so super, also dass es so was überhaupt gibt. Weil<br />

du musst oft Nachhilfestunden zahlen und, und oder manche werden überhaupt nur abgestempelt<br />

und da wird nichts gemacht.« (TNin20, 339-345)<br />

Die Basis für das Solidaritätsgefühl kann sich auch mit der fortschreitenden Teilnahme<br />

am Kurs entwickeln, wenn nämlich die Erfahrung der eigenen Veränderbarkeit<br />

gemacht wird aufgrund des nun positiven Bezugs zum eigenen Lernen. Das<br />

zeigt sich bei Teilnehmer 17, der zur oben angesprochenen Gruppe der Jugendlichen<br />

mit Lernschwierigkeiten gehört. Anfänglich war er nicht begeistert davon, wieder<br />

in die »Schule« gehen zu müssen (vgl. TNer17, 23f.). Mittlerweile hat er seinen<br />

Lernsinn entwickelt: »und jetzt denk ich eigentlich schon, dass es, ja, gut ist und was<br />

bringt« (TNer17, 39) und festgestellt: »das ist nicht so wie Schule« (TNer17, 27f.).<br />

Das ermöglicht es ihm auch, sich solidarisch zu äußern:<br />

»[…] deswegen ist es eigentlich gut, dass es hier noch was gibt, wo man jetzt, sag ma, für<br />

ältere Leute, die noch Probleme haben, also für Mathe, Deutsch und überhaupt zum Lernen,<br />

dass wir die Chance haben, dass wir es noch lernen können und verbessern.« (TNer17,<br />

33-36)<br />

Erwachsene Teilnehmende haben vielfach ein Bewusstsein über die Bedeutung von<br />

Bildung aufgrund ihres eigenen Basisbildungsbedarfs und den daraus resultierenden<br />

Ausschlusserfahrungen entwickelt. Durch die Lehr-Lern-Prozesse im Basisbildungskurs<br />

erfahren sie sich selbst als lernfähig und veränderbar. Sie sehen ihr eigenes<br />

Leben und das von Kindern als gestaltbar an. Sie äußern sich bzw. handeln<br />

- 297 -


(perspektivisch) solidarisch. Teilnehmerin 1, die in ihrem Herkunftsland nicht an<br />

schulischer Bildung teilhaben konnte, hat sich aufgrund dieser Ausschlusserfahrung<br />

mit ihren Kindern, die in ihrem Herkunftsland aufgewachsen sind und nach wie vor<br />

dort leben, solidarisch erklärt und dafür gesorgt, dass ihre Kinder die Schule besuchen<br />

konnten: »Ich kann nicht lassen meine eigene Kinder die gleichen Probleme haben<br />

wie ich.« (TNin1, 609f.)<br />

Teilnehmer 15, überwiegend Alleinerzieher (vgl. TNer15, 613-621), interessiert sich<br />

aktuell für schulische Fragen und bringt diesen Informations- und Wissensbedarf<br />

nach und nach als Anliegen in seinen Basisbildungskurs ein. In der Einrichtung entsteht<br />

der Eindruck, das Kind sei in der Schule unruhig und auffällig und der Vater<br />

wünsche sich daher Entlastung (vgl. Protokoll A, 7).<br />

Teilnehmer 5 ist während seiner Kursteilnahme Vater geworden (vgl. TNer5, 104ff.).<br />

Seine Achtsamkeit für das (zukünftige) Wohlergehen seines Kindes erklärt sich<br />

aus seiner Lebensgeschichte – er war ein übersehenes, vergessenes, unbeachtetes<br />

Kind. 195 Er hegt seinen Eltern gegenüber bittere Gefühle, die Verantwortung für sein<br />

Wohlergehen hätten übernehmen müssen (vgl. TNer5, 175-183). In Bezug auf sein<br />

eigenes Kind formuliert er klare Erwartungen an die Schule: »[…] der muss nicht<br />

maturieren oder weiß ich was werden, aber dass er halt seinen normalen Weg für das<br />

Leben, was man halt braucht.« (TNer5, 274f.) Er würde alles tun, um zu verhindern,<br />

dass es seinem Kind wie ihm ergeht:<br />

»Kinder, das ist ja praktisch das Wichtigste, um die sollte man sich ja, sollte, das ist ja praktisch<br />

eine PFLICHT. Dass man sich kümmert. Kinder, ja, da freut man sich halt. Und dass es ihm mal<br />

besser geht. Ich wünsche ihm ein glückliches Leben und Familie. Und ich kann mir nicht vorstellen,<br />

dass er mit dem Lesen und Schreiben auch so Schwierigkeiten hat. Ich werde auf jeden<br />

Fall, ganz egal, bis zum Letzten gehen und wenn er da in eine Tagesschule oder in ein Internat<br />

wäre, dass er da weint, aber als Kind verstehst das ja nicht. Aber wie es da bei uns war damals,<br />

den Eltern wäre ja auch ums Geld Leid gewesen, wenn sie da was zahlen hätten müssen und so.«<br />

(TNer5, 542-550)<br />

Teilnehmer 22 analysiert vor dem Hintergrund seiner eigenen Lebensgeschichte<br />

nachteilige Bedingungen des Aufwachsens:<br />

»Und der Cocktail braut in dem Kind. Und dadurch kann das Kind eigentlich, ich habe es so<br />

erfahren, für mich selber, dass eigentlich der Selbstwert von dir selbst nicht gefördert worden<br />

ist, sondern du bist eigentlich in dem Topf von den Eltern mitgeschwommen. […] Und<br />

ich denke mir einfach, du hast das Recht, jeder Mensch hat das Recht, dass er sich entwickelt.<br />

Ob die Eltern nicht fähig sind oder selber schwer, eine schwere Zeit hinter sich haben und das<br />

nicht vermitteln haben können, weil sie selber so verletzt waren und da haben dem Kind das<br />

weitergegeben. Und die Schule gibt das dann noch einmal weiter, verstärkt das, macht einen<br />

Kreis. Da gehört eigentlich eingehakt, dass man einfach sagt: Okay, das ist familiär. Und der<br />

Lehrer, eigentlich ist er Vermittler, müsste einmal schauen, wie schaut das aus Wo ist er wirk-<br />

- 298 -


lich schwach Will er wirklich nicht Kann er nicht Hat er jetzt Legasthenie Kann man das<br />

irgendwie ändern« (TNer22, 572-583)<br />

Seine treffende Analyse der familialen und schulischen Entwicklungsbedingungen<br />

von benachteiligten Kindern vollzieht sich vor dem Hintergrund seiner eigenen Erfahrungen.<br />

Dabei wird das Lehr-Lern-Verständnis, das in der Basisbildungseinrichtung<br />

gepflegt wird, sichtbar: das Bild des Lehrers als »Vermittler«, die Bemühungen<br />

dieser Person, die individuellen Voraussetzungen des Kindes/des Lernenden tatsächlich<br />

zu verstehen und entsprechend zu handeln.<br />

5.3.9 Resümee: Lernprozesse – Kursgeschehen aus der Perspektive<br />

der Teilnehmenden<br />

Der Basisbildungskurs ist der Raum, in dem die Lernaktivitäten stattfinden. Dieser<br />

Raum wird als Lehr-Lern-Gefüge interpretiert, als variabel gestalteter und gestaltbarer<br />

Aktionsraum mit Strukturen, die Sicherheit geben. In diesem Gefüge kann<br />

sich begleitetes Erproben erfolgreich vollziehen, kann die Erfahrung von Kontinuität<br />

im Lernprozess vermittelt werden. Die tragenden Säulen im Lehr-Lern-Gefüge<br />

sind Achtsamkeit und Zuwendung, die den Teilnehmenden entgegengebracht werden,<br />

und die den Aufbau von gefühlsbetonten Bindungen ermöglichen, sowie die<br />

Unterstützung und Anleitung/Begleitung der Lernaktivitäten der Teilnehmenden.<br />

Ein wesentlicher Bestandteil des Lehrhandelns ist das Wahrnehmen und Entkräften<br />

der so genannten Glaubenssätze 196 der Teilnehmenden. Dieser Aspekt des Lehrhandelns<br />

zielt auf individuell abgestimmte Veränderung ab (siehe Abschnitt 5.2.2) und<br />

lässt sich auch in den subjektiven Deutungen der Teilnehmenden anhand von Bewusstwerdungsprozessen<br />

feststellen. Diese Bewusstwerdungsprozesse führen teilweise<br />

zu Bewältigungsprozessen, wodurch die Teilnehmenden ein Vertrauen in sich<br />

selbst entwickeln können. Vielfach werden die stärkenden Worte der Kursleitenden<br />

übernommen: Einige der befragten Teilnehmenden haben in Erzählungen über sich<br />

selbst auf die korrigierenden Würdigungen der Kursleitenden (u.a. bezüglich ihrer<br />

Lernfortschritte, ihres Lerntempos, ihrer Fähigkeiten) Bezug genommen. Am Beispiel<br />

einer Teilnehmerin konnte das allmähliche Brüchigwerden ihres Glaubenssatzes,<br />

nicht vorlesen zu können, nachgezeichnet werden bis hin zur Überwindung<br />

dieser hinderlichen Überzeugung mit Hilfe der Begleitung ihrer Kursleiterin. Wesentlich<br />

ist in diesem Zusammenhang, dass diese Prozesse der Überwindung hinderlicher<br />

Überzeugungen kontinuierlicher Stärkung bedürfen. Erst die Kontinuität<br />

der Stärkung ermöglicht die Entwicklung des inneren, festen Kerns einer gestärkten<br />

Persönlichkeit. Dazu gehört auch, dass vielfach eine Aneignungsperspektive als Vorstellung<br />

von sich selbst als lernfähig (lernendes Selbst) entwickelt werden muss – im<br />

Prozess des Lernens wird die eigene Veränderungsfähigkeit erfahren und Vertrauen<br />

in sich selbst kann sich entwickeln.<br />

- 299 -


Die Interpretationsergebnisse verweisen auf Unterschiede in den Lernvoraussetzungen,<br />

die mit dem jeweiligen Selbstverständnis der Teilnehmer/innen in Hinblick auf<br />

ihren Bildungsbedarf zu tun haben. Beispielsweise hatte sich eine Teilnehmerin mit<br />

Bildungsbedarf in ihrer Zweitsprache ganz selbstverständlich ihren Arbeitskolleginnen<br />

anvertraut, weil sie die Speisekarte nicht lesen konnte. Für einen Teilnehmer<br />

mit Deutsch als Erstsprache bestand dieses Selbstverständnis nicht, er konnte sich<br />

nicht anvertrauen und war dadurch belastet. Diese Befindlichkeiten wirken als unterschiedliche<br />

Lernvoraussetzungen in die Lehr-Lern-Prozesse – als Unbefangenheit<br />

und Offenheit oder eben als Scheue und Scham – hinein. Einige der befragten<br />

Teilnehmenden verfügen über positive Ressourcen aufgrund von früheren erfolgreich<br />

verlaufenen Lernprozessen (Führerschein, Pflichtschule im Herkunftsland) –<br />

eine berufliche Tätigkeit oder eine vorhandene Fähigkeit kann ebenfalls eine positive<br />

Ressource sein und den Selbstwert stärken.<br />

Es lässt sich des Weiteren erkennen, dass die Gestaltung der Lehr-Lern-Prozesse<br />

von den befragten Teilnehmenden als ein gemeinsam mit dem Kursleiter/der Kursleiterin<br />

vorgenommener Abstimmungs- und Aushandlungsprozess wahrgenommen<br />

wird. 197 Abstimmungs- und Aushandlungsprozesse eröffnen Entwicklungsräume.<br />

Vielfach wird deutlich, dass sich die Teilnehmenden aufgrund dieses Lehrhandelns<br />

in ihren Lernvoraussetzungen wahrgenommen und angenommen fühlen. Die<br />

Kursleitenden knüpfen an bestehende Interessen und/oder vorhandene Stärken an<br />

und verstärken so erfolgreich vollzogene Lernschritte. In diesem Zusammenhang<br />

soll die These formuliert werden, dass kontinuierlich stattfindende Abstimmungsund<br />

Aushandlungsprozesse stärkend wirken und eigenständiges Lernen fördern,<br />

weil bereits vollzogene und noch zu setzende Lernschritte dadurch sichtbar werden.<br />

Das Selbstwertgefühl ist eine »generalisierte wertende Einstellung gegenüber<br />

dem Selbst« (Zimbardo/Gerrig 2004: 634); ein geringeres Selbstwertgefühl, auch<br />

als negatives Selbstkonzept gefasst, zeichnet sich dadurch aus, dass »weniger Sicherheit<br />

über das Selbst besteht« (ebd.). Eine Forschungsarbeit hat gezeigt, dass<br />

Personen mit geringem Selbstwertgefühl sich selbst erwartungsgemäß in Hinblick<br />

auf bestimmte Dimensionen niedriger eingeschätzt haben als Personen mit hohem<br />

Selbstwertgefühl. Die Personen sind danach gebeten worden, obere und untere<br />

Grenzen für ihre Schätzungen abzugeben. Dabei ist deutlich geworden, dass<br />

Personen mit geringerem Selbstwertgefühl größere Spannweiten angegeben haben,<br />

was als Ausdruck eines weniger genauen Bewusstseins ihres Selbst interpretiert<br />

worden ist (vgl. Baumgardner 1990 zit. n. Zimbardo/Gerrig 2004: 634). Diese<br />

Forschungsarbeit trägt im Original den bezeichnenden Titel »To know oneself is<br />

to like oneself: Self-certainty and self-affect« (Zimbardo/Gerrig 2004: 868; Hervorh.<br />

v. MK). Unter Berücksichtigung dieser Ergebnisse gehe ich davon aus, dass<br />

kontinuierliche Abstimmungs- und Aushandlungsprozesse es den solcherart geförderten<br />

Teilnehmenden ermöglichen, sich selbst besser einschätzen zu lernen, weil<br />

sie ihre Lernfähigkeit erfahren und im Prozess selbst lernen, ihre Lernfortschritte<br />

wahrzunehmen. Diese prozessuale Herstellung von Transparenz über die jeweili-<br />

- 300 -


gen Lernprozesse könnte als ein Beitrag zum »to like oneself« interpretiert werden.<br />

Die These der Stärkung durch kontinuierliche Abstimmungs- und Aushandlungsprozesse<br />

müsste dann bedeuten, diagnostische Verfahren zur Einstufung von Teilnehmenden<br />

zurückzuweisen. Durch diagnostische Verfahren verlieren kontinuierlich<br />

erfolgende Abstimmungs- und Aushandlungsprozesse an Bedeutung, woraus<br />

negative Folgen für die Lernprozesse resultieren dürften. In der Abstimmung kann<br />

das eigene Wollen zu Tage gefördert werden, im Aushandeln muss Position bezogen<br />

werden. So können die eigenen Anliegen und Ziele klarere Konturen annehmen<br />

und Lernsinn kann sich entwickeln – das sind notwendige Grundlagen für eigenständige<br />

Lernaktivitäten und selbstbestimmtes Lernen.<br />

Die nahezu ausnahmslos beobachtbaren vertrauensvollen Beziehungen zwischen<br />

den Kursleitenden und ihren Teilnehmenden können als Ressource für Entwicklung<br />

und Entfaltung wahrgenommen werden. Über gefühlsbetonte Bindungen<br />

konstituiert sich das Lehr-Lern-Gefüge, d.h., vertrauensvolle Beziehungen sind<br />

eine wesentliche Voraussetzung für gelingende Lehr-Lern-Prozesse. Wesentliche<br />

Grundlage für solche Beziehungen dürfte das authentische Interesse der Kursleitenden<br />

am Wohlergehen und an der Entwicklung und Entfaltung der Teilnehmenden<br />

sein; dazu gehört auch die positive Verstärkung durch Lob und Anerkennung.<br />

Das Angebot, alltagspraktische Anforderungen begleitet im Kurs zu erledigen (z.B.<br />

Formulare, Briefverkehr), wird von einigen Teilnehmenden als Hilfsangebot geschätzt<br />

und dürfte aufgrund der solcherart erfahrenen Entlastung die Bindung an<br />

den Kurs und die Kursleitenden vertiefen. In den Interpretationsergebnissen zeigt<br />

sich in den Schilderungen eines Teilnehmers ein Aspekt (siehe Abschnitt 5.3.6), der<br />

in der Erwachsenenbildung vorhanden ist, jedoch erwachsenenpädagogisch meines<br />

Wissens noch überhaupt nicht thematisiert, geschweige denn untersucht worden<br />

ist. Es sind das Bindungen, die erotische Züge aufweisen.<br />

Im Kontext der lernenden Gemeinschaft werden von den befragten Teilnehmenden<br />

zumeist die Kursleitenden thematisiert, aber auch die Gruppe selbst scheint keineswegs<br />

unwesentlich zu sein. Für einige Teilnehmende hat der Kurs als soziales Geschehen<br />

große Bedeutung. Sie genießen das Eingebundensein in eine Gruppe und<br />

die Möglichkeit des offenen und verständnisvollen Austausches; der Kurs ist für<br />

sie ein Ort der gelebten sozialen <strong>Teilhabe</strong>. Gruppen sind aufgrund der Vielfalt ihrer<br />

Mitglieder immer auch ein Lernfeld. Die untersuchten Gruppen setzen sich aus<br />

ganz unterschiedlichen Menschen zusammen: Menschen mit positiven Bildungserfahrungen<br />

(insbesondere die Kursleitenden) und Menschen mit unterschiedlichen<br />

Basisbildungsbedarfen/-bedürfnissen, woraus eine Vielfalt an persönlichen<br />

Stärken und Lernanlässen resultiert; Menschen mit Lernschwierigkeiten, jüngere<br />

Menschen und erwachsene/ältere Menschen, Menschen in der Nacherwerbsphase,<br />

Menschen am Übergang von Schule und Beruf(seinstieg), Menschen, die einer Erwerbstätigkeit<br />

nachgehen, Menschen, die sich auf eine berufliche Aus- oder Weiterbildung<br />

vorbereiten, erwerbsarbeitslose Menschen, Menschen mit psychischen<br />

Erkrankungen, Menschen mit Bildungsbedarf in der Zweitsprache Deutsch und<br />

- 301 -


viele mehr. Diese Vielfalt sollte als Potenzial wahrgenommen werden, kann sie<br />

doch eine integrative Wirkung entfalten. Die Basisbildungskurse scheinen Bildungsangebote<br />

zu sein, die nicht ausschließend wirken – vorausgesetzt der Zugang<br />

zum Kurs ist gelungen.<br />

Am Beispiel einer Teilnehmerin zeigt sich, wie gemeinsame Lernaktivitäten mit einer<br />

anderen Teilnehmerin einen wesentlichen Beitrag zur Entwicklung eines Vertrauensverhältnisses<br />

leisten. Durch die Übernahme von Verantwortung für die gemeinsamen<br />

Lernaktivitäten und das Gefühl des Helfens erwächst ein persönlicher<br />

Gewinn, nicht zuletzt in Hinblick auf den Abbau möglicherweise unbewusst vorhandener<br />

Ressentiments gegenüber Teilnehmenden mit einer anderen Erstsprache<br />

als Deutsch. Am Beispiel dieser Teilnehmerin kann auch der Umgang mit Schwäche<br />

thematisiert werden: In einer Episode der Teilnehmerin wird nämlich sichtbar,<br />

dass die von ihr bei einem Teilnehmer wahrgenommenen Schwächen auf ihre eigenen<br />

Schwächen verweisen (können) und dadurch bedrohlich wirken. Solche Gefühle<br />

der eigenen Unzulänglichkeit könnten leicht dazu führen, sich über das Herausstreichen<br />

der Schwächen des anderen selbst stärken zu wollen, was in diesem<br />

Fall aber nicht geschieht. Hier kann die Hypothese formuliert werden, dass die im<br />

Kurs gelebte Kultur der Anerkennung (siehe Abschnitt 5.2.3) es ermöglicht bzw. fördert,<br />

mit den wahrgenommenen Unterschieden rücksichtsvoll umzugehen, sich beispielsweise<br />

über Lernerfolge der anderen Teilnehmenden zu freuen oder auch von<br />

den Stärken der anderen zu profitieren. Am Beispiel von zwei weiteren Teilnehmenden<br />

wird deutlich, dass in Bezug auf die Wirkung der Gruppe auch Grenzen feststellbar<br />

sind. Einem Teilnehmer gelingt es beispielsweise nicht, seine Schüchternheit abzulegen<br />

und die Gruppe als Übungsraum (freies Sprechen, vorlesen) zu nutzen. Um<br />

andere Gruppenmitglieder vor ihren Angriffen zu schützen, lernt eine Teilnehmerin<br />

auf Vorschlag der Leiterin der Basisbildungseinrichtung nun in einem Zweiersetting.<br />

Dadurch bleibt ihr Bildungsbedarf unbearbeitet (andere nicht zu schwächen, um sich<br />

selbst stärker zu fühlen) und sie lernt auch nicht, sich in eine Gruppe einzufügen.<br />

In den Interpretationsergebnissen ist ein unerwartetes Verhalten sichtbar geworden.<br />

Die vielfach geäußerten solidarischen Überlegungen können als Verbundenheit mit<br />

Benachteiligten interpretiert werden; diese Solidaritätsbekundungen gehen nämlich<br />

weit über Äußerungen der Dankbarkeit für die Möglichkeit zur Teilnahme an<br />

dem Basisbildungskurs hinaus und beziehen sich auf die Gesamtheit der benachteiligten<br />

Menschen mit Basisbildungsbedarfen/-bedürfnissen. In diesem Zusammenhang<br />

kann die Hypothese formuliert werden, dass Erfahrungen von Differenz<br />

sensibilisieren. Das Vorliegen von Basisbildungsbedarfen/-bedürfnissen dürfte immer<br />

wieder den Unterschied zwischen der eigenen Person und den anderen (die<br />

gleichsam als konstruiertes Kollektiv keine solchen Bedarfe aufgewiesen haben)<br />

erfahrbar machen; die Teilnehmenden haben bislang nicht im vollen Ausmaß über<br />

Fähigkeiten verfügt, die als selbstverständlich betrachtet und daher vorausgesetzt<br />

wurden. Der Kurs ermöglicht nun die Erfahrung von Veränderung; dieses dichte<br />

Erleben von positiver Veränderung scheint zu einer Ressource für Solidarität zu<br />

- 302 -


werden. Die positiven Gefühle aufgrund von gelingenden Lernprozessen werden<br />

auf die Gruppe der Benachteiligten ausgeweitet. Diese Verbundenheit erscheint<br />

als Ausdruck der Überwindung von Vereinzelung, Überforderung und Verunsicherung.<br />

Die solidarischen Überlegungen können auch mit den Lernaktivitäten, die<br />

sich in den Kursen in Form von Gesprächen und Diskussionen zum Themenbereich<br />

der sozialen Ungerechtigkeit vollziehen, in Verbindung gebracht werden. Ein<br />

eindrückliches Interpretationsergebnis ist die Ausweitung solidarischer Überlegungen<br />

auf die eigenen Kinder, denen ähnliche Ausschlusserfahrungen erspart bleiben<br />

sollen. In diesem Zusammenhang wird die Entwicklung von Selbstbestimmung<br />

sichtbar: Die Erfahrung der Veränderung durch die Lernprozesse im Kurs befördert<br />

die Wahrnehmung des eigenen Gestaltungspotenzials.<br />

5.4 Effekte der Teilnahme und Bedingungen des Gelingens<br />

Im folgenden Abschnitt geht es um eine Annäherung an die Frage, welche Chancen<br />

sich durch die Teilnahme an Bildung im Erwachsenenalter für Menschen, die Bildungsbenachteiligung<br />

erfahren haben, tatsächlich eröffnen. Es ist das die pädagogische<br />

Grundfrage nach der Sichtbarkeit von Lehren, Lernen und Bildung. Fokussiert<br />

wird die Frage nach individuell feststellbaren Kompensationsmöglichkeiten.<br />

Hierfür wird die Perspektive der Teilnehmenden mit der Perspektive der Kursleitenden<br />

verschränkt. Die Teilnehmenden sind explizit nach Veränderungen, die sie<br />

auf ihre Teilnahme zurückführen, befragt worden. Es sind jedoch auch in weiteren<br />

Episoden implizit thematisierte Effekte herausgearbeitet worden. Ergänzt werden<br />

die Einschätzungen der befragten Teilnehmenden um die Sichtweisen der befragten<br />

Kursleitenden. Ein Jahr nach der Durchführung der Interviews wurden bei den<br />

Kursleitenden bzw. den untersuchten Einrichtungen Informationen darüber eingeholt,<br />

wie es den damals befragten Teilnehmenden aktuell geht bzw. ergangen ist.<br />

Dass die Kursleitenden um Auskunft gebeten wurden und nicht die Teilnehmenden,<br />

war pragmatischen Gründen geschuldet (siehe Abschnitt 4.3). 198<br />

Die Analyse der Lehrprozesse (Abschnitt 5.2) und der Lernprozesse (Abschnitt<br />

5.3) hat gezeigt, dass sich in den Basisbildungskursen weitaus mehr als die Förderung<br />

der basisbildungsbezogenen Fähigkeiten und Fertigkeiten vollzieht. Es werden<br />

andere, darüber hinausreichende bzw. tiefer liegende Bezüge hergestellt. In der<br />

Analyse des Lehrhandelns ist die Stärkung der Teilnehmenden durch Zuwendung<br />

und durch die Entkräftung hinderlicher Glaubenssätze gezeigt worden. Die gelebte<br />

Kultur der Anerkennung sowie lernförderliche Abstimmungs- und Aushandlungsprozesse<br />

ermöglichen die Entwicklung einer Aneignungsperspektive und das begleitete<br />

Vollziehen erfolgreicher Lernfortschritte. Die Lehr-Lern-Prozesse wirken<br />

auf die Teilnehmenden stärkend, denn sie mildern erlittene Benachteiligungen und<br />

bestehende Nachteile ab. Zuwendung und Begleitung schaffen Sicherheit und somit<br />

eine Basis für eigenständige Lernaktivitäten (Lernsinn). Aus der Perspektive<br />

- 303 -


der Teilnehmenden wurde evident, dass das Lehr-Lern-Gefüge, die gefühlsbetonten<br />

Bindungen und die Entwicklungsräume, die durch individualisierte Abstimmungs-<br />

und Aushandlungsprozesse in Hinblick auf Lernanlässe und Lernanliegen<br />

entstehen, als wohltuend und förderlich erfahren werden.<br />

Im Folgenden geht es um die Effekte der Teilnahme und die Bedingungen des<br />

Gelingens der Teilnahme. Das in den Daten gegründete Konzept der vitalen <strong>Teilhabe</strong><br />

wird vorgestellt und diskutiert. Das Konzept der vitalen <strong>Teilhabe</strong> lässt sich<br />

in drei Dimensionen durch die Daten begründen: Stabilisierung und Stärkung als<br />

Entwicklung von innerer Sicherheit, geteilte Perspektive und erlebte Wiedergutmachung<br />

sowie Lernen und Bildung als Wert an sich (Abschnitt 5.4.1). Danach<br />

werden Lernfortschritte und Lernerfolge im Kontext des Zweitspracherwerbs fokussiert.<br />

Diese Darstellung hat exemplarischen Charakter und soll diesbezügliche<br />

Lernfortschritte und Lernerfolge verdeutlichen (Abschnitt 5.4.2). Im nächsten Abschnitt<br />

werden unter Bezugnahme auf feststellbare Effekte der Teilnahme folgende<br />

Muster analysiert: Basisbildung als Sprungbrett, Basisbildung als Überbrückung<br />

von Erwerbsarbeitslosigkeit, Basisbildung als Orientierung in Übergängen und Basisbildung<br />

als sinnvolle Gestaltungsmöglichkeit von Lebenszeit (Abschnitt 5.4.3).<br />

Danach werden die Bedingungen des Gelingens analysiert. Neben dem notwendigen<br />

erwachsenenpädagogischen Optimismus in Bezug auf individuelle Entwicklungspotenziale<br />

der Teilnehmenden sind Begrenzungen feststellbar, die der Erhöhung<br />

von Selbstbestimmung und der Erweiterung von <strong>Teilhabe</strong> entgegenarbeiten<br />

(Abschnitt 5.4.4). Im Resümee (Abschnitt 5.4.5) wird auf zentrale Interpretationsergebnisse<br />

Bezug genommen und es werden Schlüsse in Hinblick auf die Effekte<br />

der Teilnahme und die Bedingungen des Gelingens der Teilnahme gezogen.<br />

5.4.1 <strong>Vitale</strong> <strong>Teilhabe</strong> durch Bildung<br />

Die Vielfalt der befragten Teilnehmenden hat sich in unterschiedlichen lebensgeschichtlich<br />

begründeten Voraussetzungen, Lernwünschen und Lernzielen gezeigt.<br />

Darauf abgestimmte Lehr-Lern-Prozesse, wie sie in den Interpretationsergebnissen<br />

evident wurden, werden vielfältige Wirkungen hervorbringen.<br />

Im Rahmen der Weltbildungskonferenz »Bildung für alle« (Jomtien, Thailand<br />

1990) ist festgehalten worden, dass Alphabetisierung und Grundbildung Voraussetzungen<br />

für die Beteiligung am sozialen, kulturellen, politischen und wirtschaftlichen<br />

Leben schaffen (vgl. Giere 2005: 26). Diese These hat mein Interesse, wie<br />

einleitend ausgeführt (siehe Abschnitt 1.1), an möglichen Effekten einer Teilnahme<br />

an einem Basisbildungskurs intensiviert. Angesichts der Interpretationsergebnisse<br />

(Abschnitt 5.1, Abschnitt 5.2 und Abschnitt 5.3) stellt sich die Frage,<br />

ob ein Konzept von <strong>Teilhabe</strong>, das soziale, kulturelle, politische und ökonomische<br />

Aspekte fokussiert, nicht erweitert werden sollte. Zudem scheint es vermessen,<br />

den befragten Teilnehmenden gleichsam zu unterstellen, sie hätten aufgrund von<br />

- 304 -


Basisbildungsbedarfen/-bedürfnissen nicht teil – schließlich würden Alphabetisierung<br />

und Grundbildung erst Voraussetzungen für soziale, kulturelle, politische und<br />

wirtschaftliche <strong>Teilhabe</strong> schaffen. Bei den befragten Teilnehmenden ist <strong>Teilhabe</strong> in<br />

vielerlei Hinsicht feststellbar gewesen. Die Teilnahme bewirkt jedoch unbestreitbar<br />

eine spürbare Verbesserung der subjektiven Befindlichkeit und somit der jeweiligen<br />

Lebensqualität im Sinne einer Reduktion von gefühlten und tatsächlichen<br />

Ausschlüssen und im Sinne einer Erweiterung von Handlungsspielräumen. Zwischen<br />

einem Nicht-Ausschluss und wahrhafter Lebensqualität als selbst gewählte<br />

und selbst geschaffene Formen von <strong>Teilhabe</strong> liegen unendlich viele Realisierungsvarianten.<br />

Das Konzept der vitalen <strong>Teilhabe</strong> kann einige Dimensionen der in den<br />

Interpretationsergebnissen festgestellten Effekte erklären:<br />

• die Stabilisierung und Stärkung, die sich in der Entwicklung von innerer Sicherheit<br />

zeigt<br />

• die geteilte Perspektive – vor dem Kurs und seit Kursbeginn –, die eine Bewältigung<br />

von tatsächlichen und gefühlten Ausschlusserfahrungen und die Verarbeitung<br />

solcher Erfahrungen im Sinne einer erlebten Wiedergutmachung sichtbar<br />

werden lässt<br />

• die positive Lern- und Bildungserfahrung im Kurs; Lernen und Bildung werden<br />

als Wert an sich wahrgenommen; Bildungsteilnahme wird solcherart als <strong>Teilhabe</strong><br />

erfahren<br />

Stabilisierung und Stärkung: Entwicklung von innerer Sicherheit<br />

Stabilisierung und Stärkung der Teilnehmenden dürften insbesondere auf Aspekte<br />

des Lehrhandelns zurückgeführt werden, die mit Zuwendung und Anerkennung zu<br />

tun haben.<br />

Teilnehmerin 11 hat durch ihre Teilnahme zu einer gewissen Stabilität gefunden:<br />

»Na ja, ich bin ausgeglichener geworden, finde ich.« (TNin11, 417) Aufgrund einer<br />

traumatischen Erfahrung hat sie einen großen Bedarf nach Aufmerksamkeit und<br />

fühlt sich von ihrer Kursleiterin diesbezüglich verstanden (vgl. TNin11, 405-414).<br />

Teilnehmer 5 stellt einer fremden Person seine Kursleiterin als seine Lebensretterin<br />

vor und erklärt, er wüsste nicht, wo er ohne sie wäre. Er hält zwischen den Kurseinheiten<br />

telefonischen Kontakt zu ihr (vgl. Protokoll A, 5). Das sind Belege für die<br />

Bedeutsamkeit, die er dieser gefühlsbetonten Bindung einräumt.<br />

Teilnehmerin 7 stellt fest: »Ja, dass ich wirklich sicherer bin, allgemein sicher. […]<br />

mir gibt das urviel Sicherheit.« (TNin7, 538f.) Diese Sicherheit benötigt sie für die<br />

nun parallel laufende Umschulung, die sie als »nur arbeitsmäßig« (TNin7, 599),<br />

d.h. als berufsbezogen, wahrnimmt. Den Basisbildungskurs bezieht sie auf sich<br />

selbst: »[…] ich tue das so teilen. Weil das ist ja für MICH nur ganz ALLEIN, dass<br />

ich besser schreiben und, ich meine, das kann mir im AMS-Kurs keiner äh, bei, beibringen.<br />

[…] Nein, die haben keine Zeit für das.« (TNin7, 600-603) Ähnlich wie<br />

diese Teilnehmerin zieht auch Teilnehmer 15 eine klare Grenze zwischen den als<br />

- 305 -


sinnentleert erlebten arbeitsmarktpolitischen Maßnahmen und dem als persönlich<br />

bereichernd erfahrenen Basisbildungskurs: »[…] denkst dir auch wieder, das ist alles<br />

sinnlos, was die machen. Und […] das finde ich für einen Sinn, weil da lerne<br />

ich was, lerne ich für mich selber was. Aber dort lerne ich für MICH GAR NIX.<br />

Praktisch gesagt.« (TNer15, 249ff.) Er berichtet als Folge seines Kursbesuchs von<br />

einem gesteigerten Wohlbefinden, nimmt sich jetzt selbst als offener wahr; stellenweise<br />

habe er sogar seine Zurückgezogenheit aufgeben können:<br />

»Ich, ich fühle mich einmal BESSER. Ja. Also, also, ja, BESSER fühle ich mich. […] jetzt seh<br />

ich den Fortschritt, also da, bin ich lu, freudiger, lustiger und mehr reden tue ich. Weil früher,<br />

früher bin ich ehrlich gesagt, […] so Kontakte oder was, habe ich ehrlich gesagt vermieden<br />

von andere Leute. Also, da bi, da bin ich nicht auf, auf einen zugegangen. Die haben auf mich<br />

zugehen müssen. Weil ich bin auf keinen zugegangen.« (TNer15, 482-485)<br />

In ähnlicher Weise beschreibt sich Teilnehmer 14 als nun weniger schüchtern und<br />

offener, er würde mehr reden und wäre nicht mehr so »wortkarg« (vgl. TNer14,<br />

345-353).<br />

Bei Teilnehmer 22, der seit mittlerweile vier Jahren am Kurs teilnimmt, ist nicht<br />

nur ein Zugewinn an persönlicher Offenheit, sondern auch ein Mehr an Offenheit<br />

im Umgang mit seinem Umfeld feststellbar; seine Teilnahme habe ihm »viel gebracht<br />

in dem Sinn, dass du dir viel offener oder interessierter gewisse Sachen anschaust.«<br />

(TNer22, 230f.) »Du schaust es bewusster an das Ganze, alles, nicht.«<br />

(TNer22, 747) Seine im Kurs erworbene Sicherheit scheint eine Basis für die Entwicklung<br />

weiterführender Interessen zu sein, berichtet er doch von einer spürbaren<br />

Veränderung, die er als »bewusstes Leben« (ebd.) beschreibt.<br />

Die Teilnahme an ihrem Basisbildungskurs eröffnet Teilnehmerin 24 die Gelegenheit<br />

zur Aufnahme und Pflege sozialer Kontakte innerhalb der Gruppe, zu Hause ist<br />

sie weitgehend allein (vgl. TNin24, 73-82 und 99-111). Ihre Kursleiterin berichtet,<br />

dass sie häufig sehr aufgewühlt zum Kurs kommt und nach und nach durch Gespräche<br />

und durch die Lernaktivität zur Ruhe kommt. Der Kurs ist ein Ort, an dem ihren<br />

Gefühlen Aufmerksamkeit entgegengebracht wird. Die freundschaftlichen Beziehungen<br />

mit den anderen Teilnehmenden werden in dieser Gruppe auch außerhalb<br />

des Kurses gepflegt. Der gemeinsame Kaffeehausbesuch nach dem Kurs ist eine<br />

willkommene Gelegenheit, sich einander anzuvertrauen; von der Kursleiterin als das<br />

Herz ausschütten bezeichnet (vgl. Protokoll B, 1). Teilnehmerin 24 verweigert ihrem<br />

Vater, zu dem sie eine stark belastete Beziehung hat, die Partizipation an ihren neuen<br />

Fähigkeiten. Sie bezieht sich hier auf eine durch ihn in ihrer Kindheit erlittene Beschädigung<br />

und stärkt sich selbst durch ihre Weigerung, ihm vorzulesen:<br />

»Und er sagt immer: Was gehst du denn zum Kurs […] Das bringt ja nichts! Kannst mir ja<br />

nicht einmal was vorlesen. Gerade ihm lese ich nichts vor! Weil, wenn ich ihm was vor, ja<br />

schau, kannst nicht einmal das lesen. Weil einmal hat er mit mir gelesen auch, wie ich klein<br />

- 306 -


war. Und ha, ist er mit dem Kochlöffel und hat mir genau draufgehaut [auf ihre Finger]. Und<br />

da hab ich mir gedacht: Und gerade da nicht. Ich schaue wohl neben ihm die Zeitung an, aber<br />

ich lese ihm nichts vor. Ja. Da bin ich, da bin ich hart.« (TNin24, 239-245)<br />

In einigen Episoden, in denen die Teilnehmerinnen über ihre Paarbeziehungen berichten,<br />

wird erkennbar, dass sie eine Stärkung erfahren haben und nun mit mehr<br />

Selbstbewusstsein in Form emanzipatorischer Handlungen ihre Beziehungen gestalten.<br />

So berichtet die Kursleiterin über Teilnehmerin 24, dass diese (vor allem<br />

durch Gespräche mit anderen Teilnehmerinnen im Verlauf ihrer mittlerweile über<br />

vier Jahre andauernden Teilnahme) erkannt habe, dass sie von ihrem Ehemann jahrelang<br />

schlecht behandelt und ausgenützt worden war (vgl. Protokoll B, 1). Sie hat<br />

sich von ihrem Ehemann scheiden lassen, lebt aber nun wieder mit ihm zusammen<br />

(vgl. TNin24, 264-297). Sie hat durch die Durchsetzung dieser Scheidung eine für<br />

sie positive Veränderung in ihrer Paarbeziehung herbeigeführt und sich dadurch in<br />

eine stärkere Position gebracht:<br />

»Und jetzt schätzt er es halt mehr, mein Mann. Sagt er: Ja, schön, ja, poah, was du jetzt machst.<br />

[…] Ich sage eh: Einmal spielst dich noch! Ich bin weg. Brauche dich nicht. Eine blöde Antwort<br />

und ich bin weg. So wie damals. Da hat er sich auch nur gespielt [im Sinne von: verspotten]<br />

über mich.« (TNin24, 285-289)<br />

Teilnehmerin 1 hat ihrem Ehemann stets verheimlicht, dass sie in ihrem Herkunftsland<br />

keine Schulbildung erhalten hat. Erst als sie im Basisbildungskurs das Lesen<br />

und Schreiben in ihrer Zweitsprache Deutsch erlernt hat, vertraut sie sich ihm an<br />

(vgl. TNin1, 319-335). Für ihn erklärt sich damit seine ausschließliche Zuständigkeit<br />

für schriftbasierte Alltagsaufgaben (vgl. TNin1, 339-352). Er erweist sich nun<br />

als durchaus unterstützend auf der Sachebene, anerkennend auf der gefühlsbetonten<br />

Ebene und stärkend auf der Ebene ihrer Lernfortschritte:<br />

»Ich habe gesagt meinen Mann, schau, ich kriege den Geld vom Arbeitsamt zum Fahren, nur<br />

zum Fahren (unverständlicher Satzteil). Habe ich gesagt, weil ich geniere mich so nie wieder.<br />

Sage, solle mir bitte helfen. Soll ich aufhören Und er sagen: Nein, nein […] gemma. Weil ich<br />

nicht will, du verlassen den Kurs, weil schau wie viel besser und hast du was geschafft. Sagt er,<br />

hast du was geschafft. Also, hast du was geschafft. […] Gestern haben wir gesprochen wegen<br />

diese Sachen, habe er gesagt: Aufstehen in der Früh und gehen in den Kurs und nicht lassen<br />

nur wegen dem Geld. Wir werden schon sehen. Weil ich will noch bleiben.« (TNin1, 536-545)<br />

Einige Beobachtungen der Kursleitenden lassen den Schluss zu, dass sich Effekte<br />

der Stabilisierung und Stärkung mitunter auch in körperlichen Veränderungen manifestieren.<br />

Beispielsweise hat sich die Körperhaltung eines Teilnehmers im Laufe<br />

seiner langjährigen Teilnahme verändert – sie ist nun etwas aufrechter als zu Beginn<br />

(vgl. Protokoll A, 5). Kursleiter C berichtet von sich langsam vollziehenden<br />

- 307 -


Veränderungen im äußeren Erscheinungsbild von Teilnehmenden nach vielen Monaten<br />

der Teilnahme, beispielsweise eine neue Frisur (vgl. KLerC, 514f.). 199 Auch<br />

beobachtet dieser Kursleiter, dass es »unterbleibt, unbedingt Zigaretten rauchen<br />

gehen zu MÜSSEN […] die Pausen werden länger, wo man ohne das auskommt«<br />

(KLerC, 526f.). Hier kann die Hypothese formuliert werden, dass das Rauchen<br />

möglicherweise auch eine Ausweichhandlung dargestellt hat. Wenn Lernprozesse<br />

zunehmend als sinnvoll und erfolgreich erlebt werden, sind solche Ausweichhandlungen<br />

eventuell nicht mehr notwendig. Denkbar wäre auch, dass sich Veränderungen<br />

in Hinblick auf die Aufmerksamkeitsspanne einstellen und daher der Bedarf<br />

nach häufigen Pausen geringer wird.<br />

Geteilte Perspektive und erlebte Wiedergutmachung<br />

In den Episoden der Teilnehmenden sind vielfach Vorher-Nachher-Erzählungen<br />

aufgetaucht. Diese sind als geteilte Perspektive interpretiert worden – vor dem<br />

Kurs und seit Kursbeginn. Diese geteilte Perspektive verdeutlicht meines Erachtens<br />

die von den Teilnehmenden tatsächlich erlebte Wiedergutmachung ihrer jahrelang<br />

erfahrenen Bildungsbenachteiligung.<br />

Im Falle von Teilnehmer 5 machen die Vorher-Nachher-Episoden bereits erfolgte<br />

Lernfortschritte sichtbar, die von ihm selbst bewusst als solche wahrgenommen<br />

werden und daher sein Selbstvertrauen stärken – obwohl er nach wie vor dazu tendiert,<br />

seine Erfolge zu relativieren (vgl. TNer5, 285-304 und 313-333):<br />

»[…] ich tue schon am Abend auch lesen, oder wenn ich mir halt auch die Angebote und was<br />

weiß ich, dass ich halt das schon alles, bitteschön, das sind nur kleine Sachen, aber das habe<br />

ich zuerst AUCH nicht können, vor dem Kurs.« (TNer5, 287-290)<br />

Teilnehmerin 1 beschreibt ihre Bildungserfahrung ebenfalls aus einer geteilten Perspektive<br />

– vor dem Kurs und seit Kursbeginn:<br />

»Aber ich freue mich wirklich, weil vorher war so schwer, so schwer. Viel mehr, viel mehr<br />

früher. Weil, wenn ich gegangen irgendwo, habe ich Angst. Manchmal ich gegangen kaufe<br />

irgend etwas mit schreiben in den Zettel, in Apotheke oder so. Manchmal sagen, he, nicht verstehen,<br />

das mit y oder normal. […]. Ja, und ich nicht wissen, wie kann ich dann wie y oder<br />

wie normale i, weil ich nicht weiß welche y, welche normales i. Aber jetzt nicht. […] Ich fühle<br />

mich wirklich viel besser wie früher, viel besser.« (TNin1, 372-380)<br />

Die sprachliche Überforderung hatte in der Vergangenheit bewirkt, dass sie sich<br />

sukzessive zurückzog:<br />

»Darum ich habe nicht gegangen. Aber jetzt nicht. Jetzt ich kann sagen: Nein, das ist mit y oder<br />

mit normalen i oder mit eine scharfen s oder mit normale s, kann ich schon, weil jetzt ich kann.<br />

Freue mich schon richtig.« (TNin1, 573ff)<br />

- 308 -


Sie erlebt im Alltag nunmehr zunehmende Eigenständigkeit. Der Unterschied zu<br />

früher ist ihr ganz bewusst; mit dieser bewussten Wahrnehmung sorgt sie für sich<br />

selbst und stärkt sich selbst:<br />

»Weil früher ich kann überhaupt nicht. […] Vorige Woche habe ich bekommen eine Zettel von<br />

Arbeitsamt zu meine Vorstellung bei die arbeiten, vom arbeiten, habe ich einen Termin gehabt<br />

in einen Restaurant. Früher, wenn ich bekommen diese Zettel vom Arbeitsamt ich mu, ich muss<br />

gehen bei einer Nachbarin fragen: Schau, was schreiben da […] Und vorige Woche habe ich einen<br />

Zettel bekommen, habe ich offen gemacht und habe ich gelesen, wohin muss ich gehen, den<br />

Namen von dem Mann, den Familiennamen und alles. Habe ich schon gelesen.« (TNin1, 75-84)<br />

Auf der Basis ihrer Lernfortschritte erlangt sie Handlungssicherheit:<br />

»Manchmal war ich schon drinnen im Klo vom Mann, ich sofort wieder draußen, dass die<br />

Leute nicht sehen. Aber jetzt Gott sei Dank, ich gehe in ein Restaurant, ich gehe irgendwo, ich<br />

will gehen in Klo, ich gehe einfach. Ich brauche keine Angst, weil jetzt ich weiß, wo schreiben<br />

Klo, wo schreiben Toilette und so, wo schreiben Dame, wo schreiben Mann.« (TNin1,<br />

118-122)<br />

Im Kontext ihrer Lebensgeschichte zeigt sich eine für sie überraschende Form der<br />

erlebten Wiedergutmachung. Da sie Buchstabenkenntnisse erworben hat, kann sie<br />

nun Geschriebenes in ihrer Erstsprache lesen:<br />

»Und hat meine Schwester gesagt: Super, jetzt brauchst du von keine Leute sagen, du kann<br />

nicht Lesen und Schreiben, weil vielleicht in deine Sprache, vielleicht kannst du nicht, aber in<br />

Deutsch kannst du schon (sie lacht). Aber weißt du was, weißt du was Geht trotzdem meine<br />

eigene Sprache, so wie jetzt ich kann lesen, bisschen von da, in meiner Sprache, ich kann bisschen<br />

auch. […] Ich habe Produkt von meinen Land, von die Haare bekommen, und ich habe<br />

gelesen, habe ich gelesen.« (TNin1, 581-590)<br />

Teilnehmerin 6 beschreibt in einer Vorher-Nachher-Episode die Erweiterung ihres<br />

räumlichen Aktionsradius – sie ist vorher nie über ihren unmittelbaren Wohnort<br />

hinausgekommen; nun erobert sie sich gleichsam furchtlos ihren Lebensraum:<br />

»Wirklich, das ist immer einen Strich weiter. […] und das hat zu tun mit [Kurs]. Das kommt<br />

von, das ist [Kurs]. […] Früher ich traue mich nicht irgendwohin. Ich kann jetzt nach [Stadt].<br />

Ich frage, wo, welche Adresse. Ich, ich, ich habe mich wirklich nicht getraut. Diese Angst, was<br />

ich früher gehabt, ja, diese Angst ist immer, immer außer seit ich hier [Kurs] besucht. // Ich<br />

traue mich noch, noch mehr.« (vgl. TNin6, 368-384)<br />

Teilnehmerin 2 bezieht sich auf eine durchlebte Ausschlusserfahrung. Nun bewältigt<br />

sie diese Herausforderung, die Aufnahmeprüfung zu einer von ihr angestrebten<br />

- 309 -


eruflichen Ausbildung, aber erfolgreich (vgl. TNin2, 435-444). Die Teilnahme am<br />

Basisbildungskurs manifestiert sich für sie in einer offenbar auch körperlich spürbaren<br />

veränderten Perspektive auf sich selbst:<br />

»Bei der erstes Aufnahmeprüfung habe ich nicht schlafen können. Ich habe gewusst, ich gehe<br />

dort hin, aber ich kann das nicht. Und natürlich diese negative Eindruck, nur, ich kann das<br />

nicht, spielt auch sehr viel Rolle. Diese positive, ich habe das gelernt, ich besuche Kurs. Nur<br />

diese Wort: Ich besuche Kurs zwei Monate, das heißt, wir spüren in unseren Körper, da tut sich<br />

was, da ändert sich was Positives. Und das genieße ich schon voll, muss ich ehrlich sagen. Ich<br />

bin sehr, sehr glücklich.« (TNin2, 445-451)<br />

Bei Teilnehmerin 3 klingt der Wunsch nach Wiedergutmachung an. Es ist, als<br />

müsse sie diesen Bestandteil einer durchschnittlichen Kindheit jetzt nachholen –<br />

Märchen, die ihr nie vorgelesen wurden, liest sie jetzt selbst:<br />

»Dann habe ich ein Bücherl gekriegt, wo die Märchen sind, dass ich da auch anfange zum Lernen.<br />

Und jetzt, weil ich habe Märchen noch nie gesehen. Ich kenne das nicht. Ich kenne Hänsel<br />

und Gretel nicht, ich kenne das, alle, die ganzen […] kenne ich nicht.« (TNin3, 410-414)<br />

Teilnehmer 14 verfügt über einen positiven Hauptschulabschluss (vgl. TNer14, 248-<br />

253) und gehört daher nicht unmittelbar zur Zielgruppe von Basisbildungsangeboten.<br />

Aber: Ein weniger funktionales und ein stärker auf individuelle Entwicklung<br />

gerichtetes Verständnis menschlicher Bildung kann vielfältiges Entfaltungspotenzial<br />

wahrnehmen. Seine Teilnahme bedeutet für ihn nämlich, die überfürsorgliche Obhut<br />

seiner Eltern, insbesondere seiner Mutter, verlassen zu können und unter Leute<br />

zu kommen (vgl. TNer14, 87-92). Er erfährt in der Gemeinschaft Unterstützung bei<br />

der Aneignung einer lebenspraktischen Fertigkeit (vgl. TNer14, 299-308, siehe Abschnitt<br />

5.3.7), wodurch ihm die Bewältigung einer Ausschlusserfahrung gelingt:<br />

»Das [Kaffeekochen] hab ich am Anfang nicht können. Das kann ich jetzt recht gut. […] Weil<br />

daheim kann ich es nicht, weil da sind die (murmelt), mich lassen sie [Eltern] das nicht machen.<br />

Ich weiß nicht warum, aber bitte. Ich tue halt immer herrichten, Geschirr und Kleinigkeiten<br />

halt daheim, und da kann ich, da [im Kurs] kann ich es machen.« (TNer14, 240-244)<br />

Er setzt das Familiensystem, das über ihn und seine Handlungen zu Hause bestimmt,<br />

rückwirkend außer Kraft, dadurch erlebt er sich selbst als aktiv und fähig<br />

und sein Selbstbild erhält eine neue Facette: »Dass ich weiß, ich bin doch nicht so<br />

ungeschickt.« (TNer14, 339)<br />

Lernen und Bildung als Wert an sich<br />

In vielen Episoden wird deutlich, dass der Kurs für sich genommen für die Teilnehmenden<br />

einen Wert hat. Die individuellen Begründungen dieses Wertes differieren,<br />

- 310 -


dürften jedoch vielfach auf positive Lern- und Bildungserfahrungen zurückzuführen<br />

sein. Die Kursteilnahme wird als Form von <strong>Teilhabe</strong> erfahren.<br />

Für Teilnehmerin 3 ist der Basisbildungskurs ihre erste Erfahrung mit institutionalisierter<br />

Weiterbildung überhaupt; bislang war sie an ihren jeweiligen Arbeitsstätten<br />

immer nur angelernt worden. Sie verbindet mit ihrer Teilnahme keinen unmittelbaren<br />

Nutzen, aber die Teilnahme selbst erfüllt sie mit Stolz:<br />

»(T) Das ist der erste Kurs.<br />

(I) Der erste Kurs, aha.<br />

(T) Und da muss ich sagen, darf ich stolz sein, dass ich da so weit hinauf gekommen bin. […]<br />

Ich sage es Ihnen ehrlich, ich bin ja selber verdammt stolz auf mich (sie lacht).<br />

(I) Ja, das denke ich mir, das können Sie auch sein, ja, da gehört schon viel dazu.<br />

(T) Aber man muss, den Mut muss man aufbringen. Weil ich sage, ein anderer Mensch will<br />

dir was lernen und du bist sturschädlert, dann bringt das nichts. […] Mitarbeiten und das geht<br />

schon, nicht. Das ist und das muss auch so sein, das bleibt auch so weiter. Nein, nein, das<br />

bleibt, so lange sie mich behalten, bleibt das.« (TNin3, 860-870)<br />

Teilnehmerin 2 berichtet: »[…] ich kann das nicht beschreiben, wie [der Kurs] mir<br />

wirklich riesige Freude macht. Und ich hoffe, dass mehr Menschen erfahren können,<br />

für so einen Kurs, und einfach ihr LEBEN erleichtern.« (TNin2, 418ff.) Dass<br />

sie von einer gefühlten Erleichterung spricht, verweist auf das Konstrukt der subjektiv<br />

durch die Teilnahme an einem Basisbildungskurs verbesserten Lebensqualität.<br />

In ähnlicher Weise bedeutet die Kursteilnahme für Teilnehmerin 6 eine Erhöhung<br />

ihrer subjektiven Lebensqualität. In der folgenden Episode ist eine geteilte Perspektive<br />

– vor dem Kurs und seit Kursbeginn – enthalten. Darüber hinaus scheinen<br />

für sie das Lernen an sich und überhaupt die Möglichkeit zu haben zu lernen, einen<br />

Wert darzustellen:<br />

»[…] ich habe so viel gelernt, und ich bin so zufrieden und, dass es so viel verbessert. Ich<br />

möchte nicht denken von früher, was von zum Beispiel, vom November. […] Und dieses Gefühl.<br />

Wirklich. Nur ich kann dieses Gefühl beschreiben. Das ist ein gutes Gefühl, wenn jemand<br />

hat diese Chance zu lernen, ja« (TNin6, 328-331)<br />

Für Teilnehmer 10 ist ebenfalls die Kursteilnahme an sich bereits von Bedeutung:<br />

»[…] ich bin mir sicherer, ich mach was, ich steh besser im Leben, ich bin mir<br />

mehr wert und das ist einfach wichtig.« (TNer10, 262f.) Er bezieht eine Invaliditätspension;<br />

der Kursbesuch ist ein Gestaltungselement in dieser Phase.<br />

Ähnlich verhält es sich bei Teilnehmerin 23, die es schätzt, sich »anstrengen« zu<br />

müssen »wegen dem Verkalken« (TNin23, 33). Die Teilnahme ermöglicht ihr die<br />

sinnvolle Gestaltung ihrer durch die Nacherwerbsphase frei gewordenen Zeitressourcen:<br />

»Das will ich so und. Ich will nicht den ganzen Nachmittag daheim beim<br />

- 311 -


Fernseher sitzen, das will ich sowieso nicht. Und zum Spazierengehen haben wir<br />

eh noch Zeit und drum will ich das so haben.« (TNin23, 363ff.)<br />

Auch für Teilnehmerin 11 stellt ihre Kursteilnahme für sich genommen schon einen<br />

Wert dar: »Also, ich habe / Konzentrationsstörungen, etwas. Empfinde ich selbst<br />

so. Und das tut mir einfach gut, dass ich das Gehirn wieder in Schwung bringe. Das<br />

taugt mir. Ja. Außerdem lerne ich dazu, nicht Lernen ist nie schlecht (sie lacht).«<br />

(TNin11, 282ff.)<br />

Teilnehmerin 24 erlebt ihre Basisbildungskursteilnahme als sinnvolle Beschäftigung<br />

neben ihrer Tätigkeit als Hausfrau und Mutter eines bald erwachsenen Jugendlichen:<br />

»Und dann, was soll ich denn allein tun Da ist gescheiter, ich gehe<br />

Kurs. Habe ich mehr davon.« (TNin24, 79f.) Die lernende Gemeinschaft ist für sie<br />

eine Bereicherung:<br />

»[…] weil du immer wen hast, wen anderen kennen lernst. Und so, wenn die was du schon<br />

kennst, mit denen hast eine Gaudi, geht man auf einen Kaffee. Und das taugt mir. Weil daheim<br />

(sie lacht) / […] Der Mann arbeitet. Der Bub ist schon weg. Was willst du denn dann allein<br />

Und so bin ich halt unter, bin ich da.« (TNin24, 99-104)<br />

Für Teilnehmer 15 ist seine Teilnahme ein Erfolg für sich, denn er ist erst nach einer<br />

langen Odyssee zu dem für ihn adäquaten Basisbildungskurs gelangt (siehe Abschnitt<br />

5.1.3) – hier teilzunehmen ist (s)ein Erfolg: »[…] das Ganze ist ein Erfolgserlebnis<br />

für mich. Dass es das gibt.« (TNer15, 410)<br />

Teilnehmerin 18, die keinen unmittelbaren Basisbildungsbedarf bearbeitet, sondern<br />

ihre bereits vorhandenen Computer-Bedienungskenntnisse auffrischt und erweitert,<br />

hat einen wissensorientierten Zugang und verknüpft ihre Teilnahme mit<br />

»Wohlbefinden«; das Lernen ist in ihren Augen ein Wert an sich:<br />

»Für mich ist der ganze Kurs, alles Lernen, äußerst angenehm. Also ich fühle mich überhaupt<br />

im Kurs sehr wohl. […] also ich finde den Kurs wichtig, weil man, weil ich weiß, dass ich etwas<br />

Neues erfahre. Und das ist für mich Wohlbefinden.« (TNin18, 164-169)<br />

Das Konzept der vitalen <strong>Teilhabe</strong><br />

Dieses Konzept bezieht sich auf die Teilnehmenden und lässt Schlüsse auf die professionellen<br />

Handlungskompetenzen der Kursleitenden zu. <strong>Vitale</strong> <strong>Teilhabe</strong> als Potenzial<br />

von Basisbildung bezieht sich nämlich auf die positive, gefühlsbetonte Qualitätsdimension<br />

einer Teilnahme im Sinne der subjektiven Zufriedenheit des/der<br />

Teilnehmenden. Dieses Konzept der vitalen <strong>Teilhabe</strong> bezeichnet somit eine Form<br />

der pädagogischen Prozessqualität im Lehren und Lernen – es geht um Bedingungen<br />

des Gelingens von Lehren und Lernen (und nicht um gelungenes Lehren und<br />

Lernen). Die Bedingungen des Gelingens können in Form von fünf Einflussfaktoren<br />

festgemacht werden:<br />

- 312 -


• Auffallend in den untersuchten Basisbildungskursen ist die aufmerksame Zuwendung<br />

zu den Teilnehmenden; sie ist der Ausgangspunkt erwachsenenpädagogischen<br />

Handelns: Achtsamkeit wird daher als professionelle Handlungskompetenz<br />

gefasst.<br />

• Tragfähige, gefühlsbetonte Beziehungen zwischen Kursleitenden und Teilnehmenden<br />

ermöglichen sinnvolle Lehr-Lern-Prozesse. Erforderlich hierfür sind ausreichende<br />

zeitliche Ressourcen für die Vertrauensbildung und das Kennenlernen.<br />

• Abstimmungs- und Aushandlungsprozesse im Lehr-Lern-Prozess beruhen auf<br />

der aufmerksamen Zuwendung und den tragfähigen Beziehungen. Nur so können<br />

Prozesse der individuellen Förderung unter Beachtung der Voraussetzungen der<br />

Teilnehmenden sowie ihrer (sich entwickelnden) Interessen und Stärken gestaltet<br />

werden.<br />

• Die ausgeprägte Orientierung an den Teilnehmenden erzeugt exemplarische Lernprozesse<br />

und stützt somit »Bildendes Lernen« (Klafki 1996: 143; siehe dazu Abschnitt<br />

3.1.1). Das ermöglicht u.a. die Überwindung individueller Glaubenssätze.<br />

Die Teilnehmenden erfahren ihre Lernfähigkeit und gewinnen innere Sicherheit<br />

im Lernen.<br />

• Die ausgeprägte Ressourcenorientierung im Lehren und die gelebte Kultur der<br />

Anerkennung erwirken individuell stärkende Lernprozesse. An vorhandenen bzw.<br />

sich entwickelnden Stärken und Interessen der Teilnehmenden wird angeknüpft,<br />

wodurch sich das Vertrauen in die eigene Lernfähigkeit erhöht. Damit schließt<br />

sich der Kreis zur aufmerksamen Zuwendung und zu den tragfähigen Beziehungen.<br />

Das Konzept der vitalen <strong>Teilhabe</strong> scheint einigen Effekten der Basisbildungskursteilnahme<br />

gerecht werden zu können; es lässt sich über drei Dimensionen konstituieren:<br />

• Eine Dimension bezieht sich auf den Zuwachs an innerer Sicherheit durch die im<br />

Kurs erfahrene Stabilisierung und Stärkung. Diese resultieren nicht nur aus der<br />

Beziehung zwischen Teilnehmenden und Kursleitenden, sondern können auch<br />

aus dem sozialen Moment (Gruppe als Ressource) resultieren; die Teilnahme an<br />

diesem Kurs kann demnach eine Erweiterung der sozialen <strong>Teilhabe</strong> bedeuten.<br />

Förderlich hierfür sind das in den Kursen vorgefundene ganzheitliche Verständnis<br />

der Bildungsarbeit, die ausgeprägte Ressourcenorientierung und die gelebte<br />

Kultur der Anerkennung.<br />

• Eine zweite Dimension wird in den Vorher-Nachher-Episoden sichtbar: Hier wird<br />

in einer geteilten Perspektive über die Wahrnehmung von sich selbst vor dem<br />

Kurs und seit Kursbeginn berichtet. In einigen Episoden ist eine Bewältigung<br />

von tatsächlichen und gefühlten Ausschlusserfahrungen sichtbar geworden, die<br />

Erfahrungen wurden verarbeitet und die neu erworbenen Fähigkeiten und Fertigkeiten<br />

werden als Wiedergutmachung erlebt. Die begleitete Verarbeitung von<br />

- 313 -


Ausschlusserfahrungen ermöglicht die Erfahrung von Lernfortschritten, die das<br />

Selbstwertgefühl und die Selbstwirksamkeit erhöhen.<br />

• Eine dritte Dimension konstituiert sich über die Kursteilnahme als einen Wert<br />

an sich. Für viele der befragten Teilnehmenden unterscheiden sich die aktuellen<br />

Lern- und Bildungserfahrungen fundamental von ihren bislang gemachten Erfahrungen<br />

in der Schule, in fallweise arbeitsmarktpolitisch organisierter Weiterbildung<br />

bzw. in berufsbezogenen Kursen. Das mithin bestimmende Gefühl der<br />

Überforderung weicht dem wachsenden Vertrauen in die eigenen Fähigkeiten<br />

und Fertigkeiten, basierend auf der achtsamen Unterstützung und Begleitung der<br />

Lernprozesse durch die Kursleitenden und der erfahrenen Zuwendung. Innere Sicherheit<br />

beim Lernen als grundlegender Bestandteil von Lernkompetenz kann<br />

sich entwickeln. Die Bildungserfahrung wird zu einem Wert für sich; die Teilnahme<br />

wird als <strong>Teilhabe</strong> erlebt.<br />

Die Begegnungen mit einigen der befragten Teilnehmenden haben eine erste, vage<br />

Idee des Konzeptes der vitalen <strong>Teilhabe</strong> geliefert. Einige meiner Gesprächspartnerinnen<br />

und Gesprächspartner haben mit leuchtenden Augen und in vielen Episoden<br />

mit einem Lachen oder Lächeln und insgesamt mit spürbar großer Zufriedenheit<br />

von ihrer Teilnahme berichtet. Diese subjektiven Eindrücke habe ich als Lebendigkeit<br />

und Freude und somit als gefühlsbetonte Qualitätsdimension wahrgenommen,<br />

die unmittelbar mit der jeweiligen Kursteilnahme in Zusammenhang zu stehen<br />

schien. Zu dieser Sichtweise hat mich u.a. Teilnehmer 5 angeregt, der seine Bildungsbedürfnisse<br />

mit dem existenziellen Bedürfnis nach Nahrung verglichen hat:<br />

»Lesen und Schreiben ist ja praktisch // das Grund, das ist ja wie ein Grundnahrungsmittel.<br />

Wie wenn, dass einer sagt heute, er hat kein Brot nicht oder was oder keine Erdäpfeln. Wenn<br />

du nicht Lesen und Schreiben kannst, so vergleiche ich das.« (TNer5, 209ff.)<br />

Auch die Einschätzung von Kursleiterin B, dass »[…] der Selbstwert DERARTIG<br />

untergraben ist ein ganzes Leben lang« (KLinB, 239ff.), hat hierfür Impulse geliefert.<br />

Kursleiterin H hat mir folgende Beobachtung kommuniziert:<br />

»[…] sie fangen wirklich an, die Zeit für sich selbst zu nutzen. […] ich erlebe das bei den Teilnehmern:<br />

Diese sechs Stunden in der Woche, die gehören mir und da tue ich was. […] ja, das<br />

ist die Zeit, die sie sich nehmen in der Woche und das taugt ihnen.« (KLinH, 160-165)<br />

Im Sinne der Verwertbarkeitslogik und in Hinblick auf Nutzenüberlegungen würden<br />

einige der vorliegend festgestellten Effekte, die einen Gewinn auf der persönlichen<br />

Ebene der Teilnehmenden darstellen, wohl keine Beachtung finden. Der<br />

Begriff der vitalen <strong>Teilhabe</strong> ist zur Beschreibung dieser Phänomene gewählt worden,<br />

weil er den offenbar gefühlten Zuwachs an Lebensqualität versinnbildlichen<br />

kann. 200 Konzepte zur Lebensqualität berücksichtigen in Abhängigkeit zu theore-<br />

- 314 -


tischen Differenzierungen und Indikatoren in ausgeprägtem oder geringerem Ausmaß<br />

auch subjektive Dimensionen – die emotionalen Reaktionen von Menschen<br />

(Individuen und/oder Gruppen) auf Lebensbedingungen (vgl. Schulz 2008: 121-<br />

124). In Anlehnung an dieses Verständnis von Lebensqualität bezieht sich der hier<br />

eingeführte Begriff der vitalen <strong>Teilhabe</strong> auf die positive, gefühlsbetonte Reaktion<br />

von Teilnehmenden auf den Basisbildungskurs.<br />

<strong>Vitale</strong> <strong>Teilhabe</strong> basiert insbesondere auf der gefühlsbetonten Bindung der Teilnehmenden<br />

an ihre/ihren Kursleiterin/Kursleiter, aber auch auf den Beziehungen zwischen<br />

den Teilnehmenden im Sinne der lernenden Gemeinschaft. <strong>Vitale</strong> <strong>Teilhabe</strong> ist<br />

auch das Resultat der begleiteten Bewältigung von erlittenen Nachteilen sowie von<br />

tatsächlichen und gefühlten Ausschlüssen. <strong>Vitale</strong> <strong>Teilhabe</strong> scheint ein wesentlicher<br />

Effekt der Teilnahme zu sein und zeigt sich als subjektiv gesteigertes Wohlbefinden.<br />

<strong>Vitale</strong> <strong>Teilhabe</strong> wird vielfach in den Vorher-Nachher-Episoden der befragten<br />

Teilnehmenden sichtbar. Vorangegangene tatsächliche und gefühlte Ausschlusserfahrungen<br />

und erlittene Beschädigungen werden in der erzählenden Rekonstruktion<br />

durchlebt und positiv neu besetzt. Es scheint, als würde die Bearbeitung im<br />

Kurs die Verarbeitung auf der Individualebene ermöglichen. Die geteilte Perspektive<br />

eines Vorher und Nachher verdeutlicht diese veränderte Selbstwahrnehmung.<br />

Diese positive Re-Inszenierung wird unumstritten durch den Zugewinn an Fähigkeiten<br />

und Fertigkeiten basierend auf den individuellen Lernprozessen ermöglicht<br />

und erzeugt eine gefühlte Wiedergutmachung und wirkt dadurch heilend und somit<br />

stärkend. Das in diesem Zusammenhang interessante Konzept der Selbstwirksamkeit<br />

von Albert Bandura scheint per definitionem auf zukünftige Anforderungen<br />

bezogen zu sein: »Selbstwirksamkeit ist die Überzeugung, dass man in einer<br />

bestimmten Situation angemessene Verhaltensresultate erzielen kann.« (Zimbardo/<br />

Gerrig 2004: 629; siehe Abschnitt 5.2.4) Für einige der befragten Teilnehmenden<br />

scheint jedoch eine gleichsam rückwärtsgewandte Selbstwirksamkeitserfahrung notwendig<br />

zu sein: Die gefühlte Wiedergutmachung durch die positive Re-Inszenierung<br />

muss hier offenbar als erster Schritt erfolgen. Das erst ermöglicht die Entwicklung<br />

einer sicheren Basis. Die Kompensation als buchstäbliche Wiedergutmachung erlittener<br />

Nachteile fördert eine Überwindung der Beschädigung und die positive Re-Inszenierung<br />

lässt eine positive Besetzung der Lernprozesse zu. Diese erlebte Veränderung<br />

wirkt heilsam und die Teilnehmenden erfahren sich selbst als fähig. Mit Ruth<br />

C. Cohn verstehe ich eine solche Bewusstwerdung als Erfahrung »partieller Macht«<br />

(Cohn 1975: 205). Sich als »partiell mächtig« (ebd.) zu erfahren, bedeutet, sich in<br />

Hinblick auf das eigene Lernen nicht mehr nur als »ohnmächtig« (ebd.) zu erleben.<br />

Für Ruth C. Cohn bedeutet eine solche Bewusstwerdung »Gesundung« (ebd.).<br />

Die Entwicklung vitaler <strong>Teilhabe</strong> ist von Lernfortschritten und Lernerfolgen keinesfalls<br />

zu trennen. Gelingende Lernprozesse stärken und stabilisieren das Selbstwertgefühl,<br />

weil sie das Vertrauen in die eigenen Fähigkeiten kräftigen. Im Folgenden<br />

werden Lernfortschritte und Lernerfolge fokussiert, die sich stärker auf die Verbreiterung<br />

der Wissensbasis und der Fertigkeiten beziehen.<br />

- 315 -


5.4.2 Zweitspracherwerb: Lernfortschritte und Lernerfolge<br />

In diesem Abschnitt werden die Lernfortschritte und Lernerfolge im Bereich des<br />

Zweitspracherwerbs analysiert. Diese exemplarische Analyse soll gelingende<br />

Lernprozesse von Teilnehmerinnen mit Migrationshintergrund sichtbar machen.<br />

Am Beispiel von vier befragten Teilnehmerinnen können die Lernerfolge des stark<br />

individualisierten und intensiv begleiteten Erwerbs von Deutsch als Zweitsprache<br />

bzw. die Optimierung von Deutschkenntnissen in der Basisbildung (Einrichtung<br />

A) 201 nachgezeichnet werden.<br />

Teilnehmerin 19 konzentriert sich im Kurs insbesondere auf die Erweiterung ihres<br />

Wortschatzes (vgl. TNin19, 270-279). Im Rahmen ihres Beschäftigungsprojektes<br />

konnte und kann sie ihre Kenntnisse in ihrer Zweitsprache erweitern, denn ihre Chefin<br />

und ihre Kolleg/inn/en erklären ihr immer wieder die Bedeutung von Wörtern aus<br />

dem Arbeitszusammenhang. Seit sie den Basisbildungskurs besucht, profitiert sie<br />

von diesen arbeitsplatzbezogenen Lernaktivitäten offenbar stärker:<br />

»(T) […] ich treffen äh in die Arbeit viele Worte, aber ich kann nicht, ich kenne nicht diese<br />

Worte. Und ich sage, bitte noch einmal. Bitte noch einmal. Und ich habe dort gute Kollege und<br />

Chefin und erklären mir, wann nicht verstehen, was ist das. Und das ist. Ich bin zufrieden, ja.<br />

[…] Oder wann sitzen so und reden, ich nichts verstehen etwas, etwas. Ich frage meine Kollegen.<br />

Kollege, was hat gesagt. Und Kollege ahm erklären mir langsam und richtig und ich<br />

verstehen alles.<br />

(I) […] Ist das so seit Sie diesen Kurs besuchen oder war das schon vorher so<br />

(T) Jetzt verstehen mehr. Jetzt, früher, jetzt verstehen mehr. Schau ich, viele Worte ich lernen<br />

da. Viele Worte, viele. Jeden Woche viel. Zu Hause kriegen Aufgabe, zu Hause.« (TNin19,<br />

367-378)<br />

Teilnehmerin 1 berichtet, dass sie sich nun in ihrer Zweitsprache differenzierter<br />

ausdrücken kann (vgl. TNin1, 621-633); außerdem liest sie mit Freude Schriftzüge,<br />

die ihr im Alltag begegnen:<br />

»Aber sehr freue ich mich schon (sie lacht), wann ich gehe irgendwo. Einmal ich gegangen<br />

eine Restaurant […]. Und ich fahren so mit meinem Mann. Habe ich gesagt, schaue hier, habe<br />

ich sofort gelesen vorne (sie lacht). Schau hier. Habe ich sofort gekannt.« (TNin1, 283-286)<br />

Dieser Zugewinn an Sicherheit ermöglicht es ihr, mit der Sprache zu experimentieren<br />

– »ich probiere« (TNin1, 635). Außerdem ersucht sie ihre beiden Kursleiterinnen<br />

und auch ihren Mann, ihren sprachlichen Ausdruck zu korrigieren (vgl. TNin1,<br />

635-638). Die Teilnahme wirkt wie eine Initialzündung für eigenständige informelle<br />

Lernaktivitäten.<br />

Ähnlich verhält es sich bei Teilnehmerin 6, die nun ganz bewusst im Alltag liest:<br />

»[…] ich lese nur Deutsch, die Zeitung, wenn ein Brief kommt, zu Hause selber,<br />

- 316 -


im Fernsehen. Ich will immer lesen, weil nur so kann ich auch verbessern. Immer<br />

die Straße schauen, wo ich mit dem Zug hin.« (TNin6, 363ff.) Ihre neu erworbenen<br />

Computer-Bedienungskenntnisse erleichtern ihr die Organisation der Suche nach<br />

einer Erwerbsarbeit: »Ich habe selber Internet zu Hause, aber mir bringt es nichts.<br />

Früher, wenn ich könnte überhaupt nichts machen, für mich Internet nur Kosten<br />

[…].« (TNin6, 56f.) Das Recherchieren von zu Hause ist für sie als alleinerziehende<br />

Mutter von drei Kindern eine große Erleichterung: »[…] ich brauche nicht<br />

in AMS und fragen, welche Angebot haben sie für mich Ich kann direkt in Internet<br />

zu Hause anschauen.« (TNin6, 346ff.) Diese Kenntnisse fungieren nicht zuletzt<br />

als Verbindungstür zu Menschen in ihrem Herkunftsland:<br />

»In Österreich, ich müsste nicht lügen, mit die E-Mail ein bisschen schwierig. Aber zum Beispiel<br />

wenn ich von [Herkunftsland] bekomme E-Mail, ich kann in [Herkunftsland] auch schicken, von<br />

mir. Das sehr leicht und das ist meine Sprache, aber zum Beispiel in Deutsch, ich könnte, ich kann<br />

auch, aber es ist nicht so einfach.« (TNin6, 353-356)<br />

Im Basisbildungskurs bewältigt sie mit Unterstützung bereits schriftliche Anforderungen<br />

(Formulare, Lebenslauf) (vgl. TNin6, 51-55 und 58ff.). Ihr gewachsenes<br />

Selbstbewusstsein in Hinblick auf die Verwendung ihrer Zweitsprache Deutsch beschreibt<br />

sie wie folgt: »Ich traue mich noch, noch mehr. Früher habe ich auch Angst<br />

zu sprechen. Vielleicht könnte auch früher Deutsch sprechen, aber ich könnt, ich<br />

traue mich nicht, wenn ich, ah, das ist falsch, vielleicht auslachen und so.« (TNin6,<br />

384ff.)<br />

Teilnehmerin 2 ermöglicht ihr Zugewinn an Sicherheit und ihr zunehmendes Vertrauen<br />

in ihre Fähigkeiten in der Zweitsprache, sich schriftlich Ausdruck zu verleihen<br />

(vgl. TNin2, 309-313):<br />

»[…] dass ich frei schreiben kann. Das ist für mich einfach ein Erlebnis, weil ich habe mich<br />

früher NIE getraut. Nicht einmal ich liebe dich meinem Freund schreiben. Das kann ich nicht,<br />

weil ich habe das nicht richtig geschrieben. […] Ich kriege immer mehr Kraft, Mut und Sicherheit<br />

[…].« (TNin2, 372-375)<br />

Wie in einer Kettenreaktion ermöglichen ihre wachsenden Fähigkeiten im Schreiben<br />

das sinnerfassende Lesen:<br />

»(T) […] ich habe sehr, sehr viel Bücher gelesen. Aber jetzt kann ich das wahr lesen, dass ich<br />

beim [Kurs] bin, kann ich das wahrnehmen, was ich richtig lesen kann.<br />

(I) Den Inhalt<br />

(T) Genau. Und richtig Wort durchlesen, einfach von Anfang bis Ende, ich habe das schon gelesen,<br />

aber irgendwie immer wieder übersprungen, dass ich nicht Zusammenhang bekommen<br />

habe. Und jetzt seit ich Kurs besuchen, ich muss ehrlich sagen, das war ganz eine neue, um was<br />

geht, das kann ich dann nacherzählen oder schreiben.<br />

- 317 -


(I) Und Sie haben Bücher auf Deutsch gelesen<br />

(T) Natürlich. Sehr, sehr viele. Aber es, das war mir nicht so richtig bewusst sein, wie jetzt bei<br />

dem Kurs zum Beispiel. Ich habe ja nur gelesen, gelesen. Ich habe nicht geschrieben. Und das<br />

ist Unterschied, da ist der Fehler. Weil da lesen wir so ein Wort und registrieren das nicht so<br />

richtig, wie wenn man das schreiben auch kann.« (TNin2, 322-335)<br />

Diese Fähigkeiten, Inhalte »nacherzählen« und Gelesenes erfassen und eigenständig<br />

verschriftlichen zu können, sind grundlegend für eine gelingende, nicht überfordernde<br />

Teilnahme an der von ihr angestrebten beruflichen Ausbildung.<br />

Die Einschätzung einiger Kursleitenden zeigt, dass Teilnehmende, die im Basisbildungskurs<br />

ihre Zweitsprache Deutsch verbessern oder optimieren, überaus motiviert<br />

sind und rasche Lernfortschritte erzielen. Es kann des Weiteren vermutet<br />

werden, dass diese Teilnehmenden durch den selbstverständlichen Umgang mit ihrem<br />

Sprachbildungsbedarf auch nicht gehemmt oder belastet sind (siehe Abschnitt<br />

5.2.5 und Abschnitt 5.3.3). In diesem Zusammenhang kann die Hypothese formuliert<br />

werden, dass die Migrationserfahrung der befragten Teilnehmerinnen eine<br />

Ressource für Lernprozesse darstellt. In das Zielland aufzubrechen, dort neu anzufangen,<br />

sich beruflich zu positionieren, den Alltag zu strukturieren und Familienarbeit<br />

zu leisten, sind Herausforderungen und Leistungen, die der Selbstorganisationsfähigkeit<br />

bedürfen, und diese ist eine wesentliche Ressource für Lernprozesse.<br />

5.4.3 Muster von Basisbildungsteilnahmen<br />

In den nächsten Abschnitten werden die Lernziele und Lernwünsche bzw. die Berufsziele<br />

und Berufswünsche der Teilnehmenden in den Blick genommen und deren<br />

Realisierungspotenziale beleuchtet. Hierfür erfolgt die Verschränkung der<br />

Perspektiven der befragten Teilnehmenden mit den Perspektiven der befragten<br />

Kursleitenden. Die bei den Einrichtungen und Kursleitenden eingeholten Einschätzungen<br />

der jeweiligen Situation ein Jahr nach der Befragung der Teilnehmenden<br />

haben aufschlussreiche Informationen für diese Rekonstruktionen geliefert. Folgende<br />

Muster sind herausgearbeitet worden und werden im Folgenden vorgestellt:<br />

Basisbildung als Sprungbrett, Basisbildung als Überbrückung von Erwerbsarbeitslosigkeit,<br />

Basisbildung als Orientierung in Übergängen und Basisbildung als sinnvolle<br />

Gestaltungsmöglichkeit von Lebenszeit.<br />

Basisbildung als Sprungbrett<br />

Anhand von zwei Beispielen kann der Kurs als Sprungbrett zur Schaffung einer<br />

günstigen Basis für die Realisierung eines Berufswunsches interpretiert werden.<br />

Teilnehmerin 2 möchte parallel zu ihrer bald beginnenden beruflichen Ausbildung<br />

weiterhin am Basisbildungskurs teilnehmen: »Einfach mich zum Weiterentwickeln<br />

und diese Hilfe annehmen.« (TNin2, 104f.) Das diesem Wunsch entsprechende<br />

- 318 -


Angebot der Basisbildungseinrichtung beruhigt sie und stimmt sie zuversichtlich,<br />

dass sie die Herausforderungen im Rahmen ihrer beruflichen Ausbildung wird bewältigen<br />

können (vgl. TNin2, 559-570):<br />

»Nur diese Sicherheit, was man da bekommen, ist ganz wichtig, und da tue ich mich leichter<br />

konzentrieren, weil ich weiß, wenn ich das nicht weiß oder nicht schaffe, da ist jemand,<br />

der mir hilft. Als wenn man daheim nur Panik kriegt und glaubt, wen könnte ich jetzt was fragen.«<br />

(TNin2, 567-570)<br />

Bei Teilnehmerin 2 ist ein schrittweiser Ausstieg aus der Basisbildung und ein<br />

schrittweiser Einstieg in die berufliche Ausbildung feststellbar: Mit Beginn ihrer<br />

beruflichen Ausbildung wechselte sie in einen abends stattfindenden Basisbildungskurs.<br />

Nach einiger Zeit wechselte sie für eine noch intensivere Begleitung in<br />

eine Einzelbetreuung; Lerninhalte waren nun vor allem die Ausbildungsinhalte sowie<br />

Strategien zur Aneignung der Ausbildungsinhalte. Einige Wochen später beendete<br />

sie diese Einzelbetreuung; Gründe hierfür waren die zeitliche Belastung<br />

durch die berufliche Ausbildung sowie die zunehmend gut gesicherte Basis ihrer<br />

Deutschkenntnisse (vgl. Protokoll A, 4).<br />

Teilnehmerin 7 hat in einem arbeitsmarktpolitischen Programm für Wiedereinsteigerinnen<br />

herausgefunden, dass sie nicht in ihren erlernten Beruf zurückkehren<br />

möchte. Im Alltag beschäftigt sie sich mit handwerklichen Tätigkeiten und ihr Interesse<br />

an Metallverarbeitung führt sie zur Entscheidung, sich umschulen lassen zu<br />

wollen (vgl. TNin7, 414-475). Sie erarbeitet sich im Basisbildungskurs die von ihr<br />

für die Umschulung als notwendig erachtete Sicherheit (vgl. TNin7, 597-606, 609-<br />

613 und 52-55) und macht sich durch Erprobungen im Basisbildungskurs auch mit<br />

Anforderungen in Weiterbildungsmaßnahmen vertraut (vgl. TNin7, 224-230). Die<br />

Stärkung ihres Selbstwertgefühls ist ihr über den Zugewinn an Vertrauen und Sicherheit<br />

in ihre Fähigkeiten in den Bereichen Lesen, Schreiben und Mathematik gelungen.<br />

Ihre Basisbildungskursteilnahme beendete sie mit Beginn der Umschulung, bei<br />

der es ihr gut geht (vgl. Protokoll A, 6).<br />

Bei Teilnehmerin 2 und Teilnehmerin 7 fällt auf, dass sie aktiv für sich bessere Bedingungen<br />

herstellen. Diese beiden Frauen verfügen offenbar über Ressourcen im<br />

Sinne von günstigen personenbezogenen Lernvoraussetzungen. Teilnehmerin 2 hat<br />

sich aus ihrer einschränkenden Ehe befreit und ist eine neue Partnerschaft mit einem<br />

sie unterstützenden Partner eingegangen. Sie holt eine Berufsausbildung, die<br />

für sie wegen früher Heirat und Familiengründung nicht möglich gewesen war,<br />

auf dem Zweiten Bildungsweg nach. Teilnehmerin 7 weiß über ihren Bildungsbedarf<br />

Bescheid. Es gelingt ihr mit Hilfe der Trainerin in einer arbeitsmarktpolitischen<br />

Maßnahme den Zugang zum Basisbildungskurs zu finden. Hier kann sie ihre<br />

»Unsicherheit« (TNin7, 321) bearbeiten, die einer erfolgreichen Weiterbildungsteilnahme<br />

(Umschulung) im Weg gestanden wäre.<br />

- 319 -


Basisbildung als Überbrückung von Erwerbsarbeitslosigkeit<br />

Bei Teilnehmerin 1 fällt die Phase der Langzeiterwerbsarbeitslosigkeit mit der Teilnahme<br />

am Basisbildungskurs zeitlich zusammen. Im Interview berichtet sie von ihrer<br />

intensiven Suche nach einer Erwerbsarbeit (vgl. TNin1, 492-501); einige Monate<br />

nach dem Interview fand sie eine Stelle (Einfacharbeitsplatz) und beendete<br />

ihre Teilnahme (vgl. Protokoll A, 4).<br />

Teilnehmerin 18 nützt den bestehenden Zugang zur Basisbildungseinrichtung in ihrer<br />

Phase der Erwerbsarbeitslosigkeit. Sie hat vor einigen Jahren einen Computer-<br />

Grundkurs bei einem kommerziellen Bildungsanbieter absolviert, berichtet jedoch,<br />

dass sie vieles vergessen hat, weil sie diese Kenntnisse nicht anwenden konnte<br />

(vgl. TNin18, 90-96). Im Basisbildungskurs gelingt es ihr, bewusste Lernschritte<br />

in der Computer-Bedienung zu vollziehen und ihre Fähigkeiten zu vertiefen (vgl.<br />

TNin18, 200-221):<br />

»Ja, wenn ich etwas Schritt für Schritt mache und ich kann das nachvollziehen (sie lacht), was<br />

habe ich wann, wie gemacht. Weil mir passiert oft, dass ich etwas richtig, dass ich etwas mache,<br />

das ist im Endeffekt richtig. Und dann sage ich, ich weiß nicht, wie ich das gemacht habe,<br />

aber es stimmt. Da ist dann viel Gefühlswissen dabei.« (TNin18, 200-204)<br />

Ihre berufsspezifischen Kompetenzen sind bereits vor der Teilnahme durch einen<br />

entsprechenden Lehrabschluss und eine langjährige einschlägige Berufstätigkeit<br />

vorhanden gewesen. Die Kursleitenden beschreiben im Rückblick, dass sie selbstsicherer,<br />

bestimmter und auch offener im Auftreten geworden ist. Das ist u.a. auch<br />

im Kurs geübt worden: selbstbewusster aufzutreten (Köpersprache) und mit fester<br />

Stimme zu sprechen (vgl. Protokoll A, 8). Teilnehmerin 18 hat nach etwa einem<br />

Jahr eine passende Stelle gefunden und wäre gerne weiterhin zum Kurs gekommen,<br />

allerdings ließ sich die Teilnahme zeitlich nicht mit ihrer Erwerbsarbeit<br />

vereinbaren (vgl. Protokoll A, 8). Der Kurs hat als sinnvolle Überbrückung dieser<br />

Phase gedient.<br />

Teilnehmerin 19, die zum Zeitpunkt des Interviews in einem Beschäftigungsprojekt<br />

tätig ist, 202 blickt auf wiederkehrende Phasen der Langzeiterwerbsarbeitslosigkeit<br />

zurück, die von Beschäftigungen auf körperlich anstrengenden Einfacharbeitsplätzen<br />

unterbrochen wurden (vgl. TNin19, 568-574). Die Kursteilnahme ist<br />

für sie eine willkommene Auszeit von der schweren körperlichen Arbeit im Beschäftigungsprojekt<br />

(vgl. TNin19, 575-581). Ihre Lernfortschritte betreffend, berichtet<br />

sie von der Erweiterung ihres Wortschatzes (vgl. TNin19, 270-279, 377f.<br />

und 206). Ihre berufliche Zukunft scheint ihr ungewiss. Für die Zeit nach dem Beschäftigungsprojekt<br />

formuliert sie die Notwendigkeit, ihre Deutschkenntnisse zu<br />

verbessern (vgl. TNin19, 236-242), wobei sie allerdings in Hinblick auf ihr höheres<br />

Lebensalter und ihre abnehmende körperliche Belastbarkeit Bedenken äußert,<br />

überhaupt eine Stelle finden zu können (vgl. TNin19, 568-574). Die Nachfrage bei<br />

ihrer damaligen Kursleiterin 203 ergab, dass sie in Bezug auf ihre Deutschkenntnisse<br />

- 320 -


im Sprechen und in der Rechtschreibung an Sicherheit gewinnen konnte. Noch<br />

während ihrer Tätigkeit im Beschäftigungsprojekt haben sie und ihr Ehemann die<br />

Rückkehr in ihr Herkunftsland organisiert und durchgeführt. Dort haben sie sich<br />

mit ihren Ersparnissen ein Geschäft aufgebaut und sind auch in der Landwirtschaft<br />

von Verwandten tätig. Wann der Plan für die Rückkehr gefasst wurde, konnte nicht<br />

geklärt werden; im Interview hatte sie ja noch in Hinblick auf ihre berufliche Zukunft<br />

in Österreich die Notwendigkeit angesprochen, ihre Deutschkenntnisse weiter<br />

verbessern zu wollen.<br />

Basisbildung als Orientierung in Übergängen<br />

Die Interpretationsergebnisse zeigen, dass Basisbildung eine Orientierungsfunktion<br />

in Übergangsphasen übernehmen kann.<br />

Teilnehmer 12 wird bei seiner beruflichen Eingliederung von einer Betreuungsperson,<br />

die er als »Sozialhilfe« (TNer12, 25) bezeichnet, gut unterstützt (vgl. TNer12,<br />

326-334 und 463-473). Zur Vorbereitung auf das nochmalige Antreten zur Lehrabschlussprüfung<br />

im Rahmen eines Qualifizierungsprojektes nimmt er am Basisbildungskurs<br />

teil (vgl. TNer12, 18-37; vgl. Protokoll A, 7). Als kognitive Grenzen<br />

seiner Leistungsfähigkeit sichtbar werden, wird eine Betreuung durch eine Einrichtung<br />

für Menschen mit Lernschwierigkeiten bzw. Behinderung in Erwägung<br />

gezogen und realisiert. In der Beschäftigungswerkstätte kann er u.a. Aktivitäten<br />

nachgehen, die mit seiner Lehre zu tun haben und die er gerne ausführt (vgl. Protokoll<br />

A, 7). Die Basisbildung errichtete somit eine Brücke zu einer anderen Einrichtung.<br />

Bei Teilnehmer 12 entsteht der Eindruck, dass für ihn eine wohlüberlegte<br />

und gut begründbare Entscheidung getroffen wurde, nachdem alle Möglichkeiten<br />

der Förderung in Hinblick auf die Lehrabschlussprüfung gleichsam ausgeschöpft<br />

waren. Jedoch muss an dieser Stelle darauf hingewiesen werden, dass eine solche<br />

Einrichtung für Menschen mit Lernschwierigkeiten bzw. Behinderung kritisch als<br />

Sackgasse gesehen werden kann: Üblicherweise verbleiben Menschen in diesen<br />

Sonder-Einrichtungen, die nicht dem Gedanken der beruflichen Integration verpflichtet<br />

sind; außerdem gehen sie keiner Erwerbstätigkeit nach, sondern einer unbezahlten<br />

Beschäftigung. 204<br />

Bei Teilnehmer 9 gestaltet sich die Orientierung in der beruflichen Übergangsphase<br />

anders; er gelangt durch sein eigenes Bemühen zum Basisbildungskurs. Zum Zeitpunkt<br />

des Interviews befindet er sich in einer herausfordernden lebensgeschichtlichen<br />

Phase, zu dieser gehört nicht zuletzt die berufliche Wiedereingliederung. Im Interview<br />

verweist er auf seine gerade knapp zwei Monate dauernde Kursteilnahme,<br />

daher könne er noch nicht von feststellbaren Lernfortschritten berichten, er komme<br />

aber sehr gerne zum Kurs (vgl. TNer9, 141-148). Seine Interessen richten sich auf<br />

das Rechnen, die Computer-Bedienung, das Üben des Vorlesens und das Auffrischen<br />

der Rechtschreibung (vgl. TNer9, 89-95). Es entsteht der Eindruck, dass er an<br />

vorhandenen Lerninteressen und verschütteten Fähigkeiten anschließen kann, was<br />

Rückschlüsse auf entsprechende Abstimmungsprozesse im Lehrhandeln zulässt.<br />

- 321 -


Die Nachfrage bei seiner Kursleiterin ergab, dass er seine Teilnahme am Basisbildungskurs<br />

vorläufig beendet hat, um ein zeitintensives Berufspraktikum zu absolvieren,<br />

das ihm Zugang zu einer Erwerbsarbeit eröffnen kann. Wie die Kursleiterin<br />

ausführt, hat er seine Fähigkeiten immer schlechter eingeschätzt als sie in Wahrheit<br />

waren. Eigentlich konnte er sehr gut schreiben, nur fehlte es ihm an Zutrauen. Im<br />

Kursverlauf konnte er darin bestärkt werden, tatsächlich zu schreiben. Er vermochte<br />

auch leichtere Rechenaufgaben zu lösen, das Prozentrechnen übte er. Im Kurs hat er<br />

sich die Computer-Bedienung, insbesondere die Recherche im Internet, angeeignet.<br />

In Bezug auf seine Lernziele und insbesondere hinsichtlich seiner beruflichen Zielvorstellungen<br />

gewann er nach Beobachtung der Kursleitenden an Sicherheit und sein<br />

Selbstbewusstsein sei generell gewachsen. 205<br />

Basisbildung als sinnvolle Gestaltungsmöglichkeit von Lebenszeit<br />

Die Teilnahme am Basisbildungskurs erscheint in einigen Fällen als sinnvoll um<br />

ihrer selbst willen – die Aktivität ist von Bedeutung (siehe Abschnitt 5.4.1).<br />

Teilnehmer 13 ist in seine familiären Strukturen eingebunden und wird gut umsorgt.<br />

Er geht vielfältigen Beschäftigungen nach: Er hat einen Einfacharbeitsplatz<br />

im Dienstleistungsbereich, ist in diverse Aktivitäten am Bauernhof der Familie involviert<br />

und hilft in der Werkstatt des Vaters mit (vgl. TNer13, 57-65 und 258ff.).<br />

Er kommt gerne zum Basisbildungskurs (vgl. TNer13, 314-320). Sein Kursleiter<br />

stellt fest, dass er auch nach über drei Jahren gerne am Basisbildungskurs teilnimmt.<br />

Seine Lernfortschritte im Sinne einer Verbreiterung der Wissensbasis und Optimierung<br />

von basisbildungsbezogenen Fertigkeiten werden als eher gering eingeschätzt<br />

(vgl. Protokoll A, 7).<br />

Teilnehmerin 24 berichtet, dass sie beim Schreiben Fortschritte macht und auch außerhalb<br />

des Kurses Schreibanlässe wahrnimmt (z.B. Einkaufslisten). Sie schreibt<br />

auch mit Begeisterung für die Zeitschrift der Einrichtung (vgl. TNin24, 25-44).<br />

Den Lerngegenstand Computer-Bedienung schätzt sie besonders wegen der sich<br />

rasch einstellenden und sichtbar werdenden Fortschritte (vgl. TNin24, 505f.); das<br />

Schreiben und Empfangen von E-Mails bereitet ihr Freude (vgl. TNin24, 323-327).<br />

Diese Teilnehmerin sowie Teilnehmerin 3, Teilnehmer 13 und Teilnehmer 17 lassen<br />

den Rückschluss zu, dass die beiden untersuchten Einrichtungen gute Beispiele gelingender<br />

inklusiver Erwachsenenbildung sind.<br />

Für Teilnehmerin 23, die sich in der Nacherwerbsphase befindet, ist ihre Teilnahme<br />

eine Maßnahme gegen (drohendes) »Verkalken« (TNin23, 33), das sie ihrem hohen<br />

Lebensalter zuschreibt. Sie schätzt es, sich im Kurs anstrengen zu müssen, Anregungen<br />

zu erhalten und sich Herausforderungen zu stellen (vgl. TNin23, 56-72;<br />

220-223 und 230-233). Voller Zufriedenheit berichtet sie über ihre Lernfortschritte<br />

(vgl. TNin23, 37f.). In der Rechtschreibung gewinnt sie an Sicherheit, möchte ihre<br />

Kenntnisse aber noch verbessern (vgl. TNin23, 202-221 und 39ff.). In der vor kurzem<br />

begonnenen Erarbeitung der Computer-Bedienung sieht sie einen Gewinn und<br />

eine nächste Herausforderung im Sinne eines weiter zu verfolgenden Zieles (vgl.<br />

- 322 -


TNin23, 244-248 und 230-233). Nach Auskunft der Einrichtung befindet sie sich<br />

ein Jahr nach dem Interview noch immer im Kurs (vgl. Protokoll B, 1). An ihrem<br />

Beispiel zeigt sich ein deutlich nicht-funktionaler Lernbegriff. Sie bildet sich für<br />

sich selbst weiter, es ist keine Nutzenperspektive oder Nutzenerwartung feststellbar<br />

– die Teilnahme genügt sich selbst.<br />

An dieser Stelle muss angemerkt werden, dass sowohl Teilnehmerin 23 als auch<br />

Teilnehmerin 24 nicht den Kriterien des Fördergebers entsprechen und daher eigentlich<br />

nicht an diesem Angebot teilnehmen dürften. Ein funktionaler Lernbegriff<br />

würde den Effekten ihrer Teilnahme nicht gerecht werden. Im Sinne eines<br />

nicht-funktionalen Weiterbildungsbegriffs, der sich an einem Verständnis von Bildung<br />

orientiert, das dem Gedanken der Entwicklung und Entfaltung verpflichtet ist,<br />

sind die Effekte der Teilnahme allerdings beachtlich. Wer entscheidet, ob diese Art<br />

von gelingender Bildung wertgeschätzt wird Beispielsweise scheint sich für die<br />

Kursleiterin die Frage, ob ein Verbleib im Kurs gerechtfertigt ist, überhaupt nicht<br />

zu stellen – sie setzt sich einfach zum Wohle der Teilnehmerinnen für deren Teilnahme<br />

ein.<br />

5.4.4 Hürden und Barrieren<br />

In den folgenden Abschnitten werden Bedingungen des Gelingens einer Kursteilnahme<br />

analysiert. Zum einen geben die befragten Teilnehmenden Auskunft über<br />

Barrieren und somit implizit über Bedingungen des Gelingens: Hürden innerhalb<br />

der Lernprozesse oder auch Barrieren, die eine Weiterführung der Teilnahme erschweren<br />

oder verunmöglichen. Zum anderen lassen sich über die Auskünfte der<br />

Kursleitenden Bedingungen des Gelingens und somit auch Hindernisse rekonstruieren.<br />

Diese Barrieren führen nicht zwangsläufig zum Abbruch der Teilnahme.<br />

Aber sie sind für die Teilnehmenden wirksam und real, weil sie sich damit auseinandersetzen<br />

müssen. Solche Hindernisse schaffen Ablenkung und binden Kräfte.<br />

Es sind Begrenzungen feststellbar, die der Erhöhung von Selbstbestimmung und<br />

der Erweiterung von <strong>Teilhabe</strong> entgegenarbeiten.<br />

Fragile Basis: bestehende Unsicherheit und Bildungsbedarf<br />

Einige Interpretationsergebnisse legen die Vermutung nahe, dass bestehende Unsicherheit<br />

und vorhandener Bildungsbedarf die Basis fragil erscheinen lassen.<br />

Teilnehmerin 4 berichtet von Lernfortschritten in Mathematik (vgl. TNin4, 65f.).<br />

Sie spricht davon, an die Aufnahme einer beruflichen Ausbildung zu denken (vgl.<br />

TNin4, 70-75).<br />

»(T) Ich denke mir, wenn ich das jetzt hab, dass ich dann meine Ausbildung machen kann. Da<br />

gibt es [berufsbezogenes Angebot] wo du dich dann fortbilden kannst.<br />

(I) Und da möchten Sie gerne hin<br />

- 323 -


(T) Ja, genau. Aber das muss ich mir erst mal anschauen. Ja, ich hab mir jetzt eh schon einiges<br />

angeschaut.« (TNin4, 70-75)<br />

Im Basisbildungskurs möchte sie noch »so viel wie möglich« lernen (TNin4, 99ff.).<br />

Da sie sich nicht in eine Kursgruppe einfügen konnte, lernt sie in einem Zweiersetting.<br />

Sie vertraut ausschließlich einer Kursleiterin. Als sie ihre Teilnahme wegen<br />

einer Erwerbstätigkeit unterbricht, hält sie Kontakt zu ihr, fragt sie beispielsweise<br />

immer wieder um Rat. Nach Beendigung der Erwerbstätigkeit gelingt es ihrer Vertrauensperson<br />

in Kooperation mit der AMS-Betreuerin einen Transitarbeitsplatz in<br />

einem Beschäftigungsprojekt zu organisieren, der zu den Interessen der Teilnehmerin<br />

passt. Dieses Beschäftigungsprojekt bereitet immer wieder Transitarbeitskräfte<br />

auf die von der Teilnehmerin perspektivisch angesprochene berufliche Ausbildung<br />

vor. Fraglich ist, ob es der Teilnehmerin gelingen wird, sich in sozialer<br />

Hinsicht in eine Ausbildungsgruppe einzufügen; es besteht durchaus die Chance,<br />

über die Basisbildung und das Beschäftigungsprojekt den Sprung in eine qualifizierende<br />

Ausbildung zu schaffen (vgl. Protokoll A, 4). Der vordringliche Bildungsbedarf<br />

von Teilnehmerin 4, sich in eine lernende Gemeinschaft einzufügen und<br />

andere Teilnehmende in ihren Bedürfnissen und Lernprozessen wahrzunehmen<br />

und diese anzuerkennen, kann im Zweiersetting nicht bearbeitet und geübt werden<br />

(siehe Abschnitt 5.3.7).<br />

Die berufliche Zukunft von Teilnehmer 10 ist nach einem Arbeitsunfall ungewiss,<br />

eine Umschulung ist ihm vom AMS nicht vorgeschlagen worden (vgl. TNer10,<br />

343-359). Während des Bezugs der Invaliditätspension möchte er weiterhin am<br />

Basisbildungskurs teilnehmen (vgl. TNer10, 373-381). Er berichtet, dass er im Verlauf<br />

der Kursteilnahme an Sicherheit gewonnen hat und seine Aufnahmefähigkeit<br />

gewachsen sei:<br />

»[…] man hat eine gute Auffrischung. Man wird sich wirklich sicherer in dem ganzen Jahr.<br />

Wo man vielleicht in der Schulzeit ein bisschen blockierter war, nimmt man besser auf. Man<br />

kommt vielleicht auch nicht so optimal vorwärts, wie man glaubt, aber es, es ist gut, ja.«<br />

(TNer10, 274-277)<br />

Er hat offenbar Strategien zur aktiven Wissensaneignung eingeübt: »nein, bin ich<br />

mir nicht sicher, weiß ich nicht, muss ich halt auch einmal im Wörterbücherl nachschauen<br />

oder irgendwen fragen« (TNer10, 280f.). Parallel zum Basisbildungskurs<br />

ist er zu einer arbeitsmarktpolitisch organisierten Maßnahme (Arbeitstrainingszentrum)<br />

geschickt worden. Seine Kursleiterin berichtet, er habe sich bei ihr über die<br />

von ihm als arrogant erlebte Trainerin beschwert (vgl. Protokoll A, 3). Hier wird<br />

der subjektiv erlebte Unterschied zwischen dem Basisbildungskurs und der arbeitsmarktpolitischen<br />

Maßnahme evident. Nur der Teilnehmer selbst könnte erläutern,<br />

welche Erfahrungen und Maßstäbe er seiner Charakterisierung als arrogant zugrunde<br />

gelegt hat. Als Faktum bleibt, dass er sich im Vergleich im Basisbildungs-<br />

- 324 -


kurs wohler gefühlt hat. Seine befristete Invaliditätspension endet in absehbarer<br />

Zeit und er wird dann vom Arbeitsmarktservice als arbeitslos und als zu vermittelnd<br />

geführt werden (vgl. Protokoll A, 3).<br />

Teilnehmer 17 berichtet von minimalen Fortschritten in Bezug auf die Rechtschreibung<br />

(vgl. TNer17, 40-46), den Umgang mit Geld hat er jedoch verbessern können<br />

(Trink- und Wechselgeld) (vgl. TNer17, 170-175). In Hinblick auf das Lesen, insbesondere<br />

in Bezug auf das Behalten der Inhalte, berichtet er von seiner Vergesslichkeit,<br />

die er als hinderlich einstuft (vgl. TNer17, 197ff.). Seine Schüchternheit<br />

verunmöglicht es ihm, sich in seiner Gruppe wohl zu fühlen. Folglich ist für ihn<br />

die Gruppe auch kein Schutzraum, um beispielsweise das freie Sprechen oder Vorlesen<br />

üben und sein Selbstbewusstsein entwickeln zu können (vgl. TNer17, 200-<br />

214). Am Kurs möchte er weiterhin teilnehmen und nach dem Ende seiner Ausbildung<br />

in einem Qualifizierungsprojekt rasch eine entsprechende Stelle finden (vgl.<br />

TNer17, 255 und 260-265). Die Nachfrage bei seiner Kursleiterin ergab, dass er<br />

eine entsprechende Stelle gefunden hat, das Geschäft jedoch bald danach in Konkurs<br />

gegangen ist. Es ist unklar, ob er zwischenzeitlich bereits eine neue Stelle gefunden<br />

hat. Er wollte parallel zu seiner Erwerbsarbeit weiterhin den Kurs besuchen<br />

und hat immer wieder bei der Einrichtung nachgefragt, ob nicht auch abends ein<br />

Kurs stattfinden werde. Das war jedoch aus organisatorischen Gründen nicht möglich;<br />

seine Kursleiterin hat diesbezüglich die Vermutung geäußert, dass beides ohnedies<br />

für ihn zu anstrengend und daher nicht zu bewältigen gewesen wäre; zudem<br />

richtet sich die Einrichtung vorwiegend an Teilnehmende, die Erwerbsarbeit suchend<br />

sind. 206<br />

Gefährdung in Bewährungssituationen<br />

Anhand des Beispiels eines Teilnehmers und einer Teilnehmerin lässt sich die Herausforderung<br />

einer Bewährungssituation nachzeichnen. Eine solche Bewährungssituation<br />

findet außerhalb des geschützten Raumes des Basisbildungskurses statt<br />

und erfordert den Transfer von erworbenen Kenntnissen und Fähigkeiten. Wie<br />

diese Herausforderung zur Gefährdung werden kann zeigen die folgenden Erläuterungen.<br />

Teilnehmer 5 bereitet sich auf die Führerscheinprüfung vor und berichtet von seinen<br />

Lernfortschritten: »Dass ich halt dann die Fragen schon zum Großteil richtig<br />

habe.« (TNer5, 154) Er nimmt Leseanlässe im Alltag wahr (Post, Prospekte,<br />

Annoncen, Zugverbindungen) (vgl. TNer5, 285-304 und 313-333). Für die Kommunikation<br />

mit seiner Partnerin, die eine andere Erstsprache als Deutsch spricht,<br />

bedient er sich nun eines Wörterbuches (vgl. TNer5, 335-344). Über das Lesen<br />

sagt er: »am Anfang ist es ja GAR nicht gegangen. […] aber jetzt, aber halt langsam«<br />

(TNer5, 94ff.). Nach der Führerscheinprüfung ist das Erlernen des Schreibens<br />

sein nächstes Ziel (vgl. TNer5, 466-471). Er thematisiert die Diskrepanz zwischen<br />

seiner ihm neben der Arbeit (er ist selbstständiger Unternehmer) tatsächlich<br />

zur Verfügung stehenden Lernzeit und der Zeit, die er gerne fürs Lernen aufwen-<br />

- 325 -


den würde. Er hat sogar schon überlegt, sein Gewerbe ruhend zu stellen, um sich<br />

verstärkt seinen Lernprozessen widmen zu können (vgl. TNer5, 96-104 und 234-<br />

239). Die ihm bevorstehende Prüfungssituation und die dort herrschende Prüfungskultur<br />

bereiten ihm Sorgen: »Aber ich weiß nicht, wenn ich halt da beim Lesen länger<br />

brauche oder doch nicht oft so, ob das dann bei der Prüfung auch so ist oder<br />

was. Ob man, ob die da eine Einsicht haben oder nicht.« (TNer5, 154ff.) Ein Jahr<br />

nach dem Interview besteht er auf Anhieb die Führerscheinprüfung. Seine Kursleiterin<br />

berichtet diesbezüglich Denkwürdiges: Bei der Prüfung bestand die Möglichkeit<br />

der Beistellung eines so genannten Lesehelfers. Voraussetzung dafür war allerdings<br />

ein psychologischer Test. Der Teilnehmer hatte, um auch tatsächlich einen<br />

Lesehelfer zu bekommen, bei diesem Test bewusst tiefgestapelt, außerdem musste<br />

er nicht nur prüfungsrelevante Inhalte lesen, bei denen er geübt war, sondern auch<br />

allgemeine Inhalte. Die schriftlich übermittelte Diagnose des Psychologen lautete<br />

auf »schwerer Legastheniker, der kaum sinnentnehmend lesen kann«. Das Entsetzen<br />

der Kursleiterin war groß, der gestärkte Selbstwert könnte mit einem solchen<br />

Befund innerhalb von Minuten zunichte gemacht werden. Der Teilnehmer traf jedoch<br />

die Entscheidung, diesen Befund nicht zu lesen und somit nicht zur Kenntnis<br />

zu nehmen. Er trug dadurch für sich selbst Sorge. Seine weitere Basisbildungsteilnahme<br />

zum Erlernen des Schreibens ist bereits geplant. Er wird von der Einzelbetreuung<br />

in eine bestehende Gruppe wechseln (vgl. Protokoll A, 5).<br />

Teilnehmerin 20 berichtet von der Auffrischung von in der Schule Gelerntem<br />

(Grundrechnungsarten, Rechtschreibung). Im Verlauf des Kurses eignet sie sich<br />

zudem den berufsbezogenen Umgang mit Geld an, sprich das Herausgeben von<br />

Wechselgeld (vgl. TNin20, 272-276, 639-643 und 176ff.). Dass sie durch die Kursteilnahme<br />

bereits früher Gelerntes auffrischen kann, vermittelt ihr ein Gefühl von<br />

Sicherheit, das sie als unerlässlich erachtet, um an dem Vorbereitungskurs für die<br />

Lehrabschlussprüfung bei einem kommerziellen Bildungsanbieter teilzunehmen<br />

(vgl. TNin20, 178-202). Sie bedauert, aufgrund der Arbeitsorganisation ihres Beschäftigungsprojektes<br />

nicht wöchentlich, sondern nur vierzehntägig zum Kurs<br />

kommen zu können (vgl. 604f.). 207 Immer wieder formuliert sie Zweifel, ob ihr<br />

berufliches Ziel, das Erreichen des Lehrabschlusses, auch wirklich sinnvoll sei,<br />

schließlich kenne sie einige Menschen, die trotz eines Lehrabschlusses keine Stelle<br />

finden würden (vgl. TNin20, 613ff.). Ein Jahr nach dem Interview berichtet die<br />

Kursleitung, dass die Teilnehmerin zur Lehrabschlussprüfung nicht angetreten ist.<br />

Fehlender Mut und mangelnde Zuversicht werden als Ursachen hierfür vermutet,<br />

möglicherweise ausgelöst oder zumindest verstärkt durch eine Kollegin im Vorbereitungskurs<br />

zur Lehrabschlussprüfung, die sich bereits zuvor entschieden hatte,<br />

nicht zur Prüfung anzutreten. Generell muss davon ausgegangen werden, dass die<br />

lange und erfolglose Suche nach einer Stelle Resignation verursacht, das höhere<br />

Lebensalter und die Langzeiterwerbsarbeitslosigkeit wirken – unabhängig davon,<br />

ob ein Lehrabschluss vorgewiesen werden kann oder nicht – als Barriere für eine<br />

Wiederaufnahme einer Erwerbstätigkeit. Es wird außerdem über schwierige Ar-<br />

- 326 -


eitsbedingungen in ihrem Beschäftigungsprojekt berichtet (vgl. Protokoll A, 9).<br />

Vermutlich waren diese schwierigen Arbeitsbedingungen für den Zugewinn an<br />

Selbstsicherheit und Vertrauen in die eigenen Fähigkeiten nicht förderlich.<br />

Das Beispiel von Teilnehmer 5 zeigt, dass er mit seiner Entscheidung, die Diagnose<br />

des Psychologen bewusst nicht zur Kenntnis zu nehmen, für sich selbst<br />

Sorge trägt und die Bewährungssituation meistern kann. Das Beispiel von Teilnehmerin<br />

20 verdeutlicht die Fragilität der Stärkung und die Gefährdung in der Bewährungssituation<br />

der Prüfungsvorbereitung. Es besteht die Vermutung, dass die<br />

Unstetigkeit ihrer Teilnahme – sie konnte nur vierzehntägig am Basisbildungskurs<br />

teilnehmen – und die Lernkultur im Vorbereitungskurs eine Dynamik der Verunsicherung<br />

in Gang gesetzt haben. Der von ihr selbst als zu groß empfundene Abstand<br />

zwischen den Kurseinheiten hat keine kontinuierliche Stärkung ihres Selbstwertes<br />

ermöglicht. Möglicherweise war die Dauer der Teilnahme am Basisbildungskurs<br />

insgesamt, verstärkt durch die fehlende Kontinuität, nicht ausreichend für die<br />

Sicherstellung der Basis. Der Vorbereitungskurs, der aufgrund seiner ausgeprägten<br />

Zieldimension stark ergebnisorientiert und zeitlich befristet ist, dürfte als Belastung<br />

erlebt worden sein – die Teilnehmerin hat im Interview nämlich darauf hingewiesen,<br />

»sehr stressempfindlich« (TNin20, 143) zu sein.<br />

Anwendung des Gelernten außerhalb des Lehr-Lern-Gefüges<br />

Im Zentrum dieses Abschnittes steht die Frage, ob im Basisbildungskurs erworbene<br />

Fähigkeiten und Fertigkeiten in Anwendungsbereiche außerhalb des Kurses<br />

transferiert werden können.<br />

Teilnehmer 16 hat sein Ziel nach Wiederaufnahme der Kursteilnahme – die Auffrischung<br />

der Rechtschreibung – erreicht. Allerdings gelingt es ihm nicht, diese Fähigkeit<br />

im beruflichen Alltag, d.h. in seinem aktuellen Beschäftigungsprojekt anzuwenden,<br />

denn in Belastungssituationen, vor allem unter zeitlichem Druck und in<br />

Stresssituationen, kann er sich schriftsprachlichen Anforderungen, wie beispielsweise<br />

der Beantwortung von E-Mails, nicht in Ruhe widmen und macht Fehler<br />

(vgl. TNer16, 444-466). Hier zeigt sich, dass Einfacharbeitsplätze einen Transfer<br />

des Gelernten verunmöglichen können. Eine Stresssituation, hervorgerufen durch<br />

das Erfordernis der schnellen Beantwortung von E-Mails, lässt die Wahrscheinlichkeit<br />

sinken, dass Erlerntes zur Anwendung gebracht werden kann. Im privaten Bereich<br />

gelingt ihm der Transfer seiner Fähigkeiten – hier hat er genügend Zeit, die im<br />

Kurs erworbene Strategie, das Geschriebene nach einiger Zeit zu kontrollieren und<br />

zu verbessern, anzuwenden (vgl. TNer16, 184-194). Er berichtet außerdem von einer<br />

Erweiterung seines Wortschatzes und einer folglich differenzierteren schriftlichen<br />

Ausdrucksweise (vgl. TNer16, 469-473). Zudem kann er nun eigenständig Bewerbungen<br />

inklusive Lebenslauf verfassen (vgl. TNer16, 526f.) und bewirbt sich<br />

auch aktiv (vgl. TNer16, 536f.). Er möchte weiterhin am Basisbildungskurs teilnehmen<br />

und an den »Feinheiten«, beispielsweise an den Beistrichregeln, arbeiten (vgl.<br />

TNer16, 519-535): »[…] die Feinheiten könnte ich vielleicht zu Hause lernen, nur<br />

- 327 -


ich, aber ich glaube, dass ich einfach, dass ich das hier besser begreife, beschrieben<br />

bekomme.« (TNer16, 531ff.) Zum Zeitpunkt des Interviews ist er in einem Beschäftigungsprojekt<br />

(siehe oben) tätig. Seine Kursleiterin berichtet, dass er mittlerweile<br />

(ein Jahr später) eine Erwerbsarbeit aufgenommen hat, die ihm gefällt. Er hat seine<br />

Teilnahme am Kurs beendet, weil die Arbeit sehr anstrengend ist und er sich darauf<br />

konzentrieren möchte. 208<br />

Für Teilnehmer 15 hat das Schreiben, insbesondere die Rechtschreibung, Priorität.<br />

Im Verlauf des Kurses entwickelt er auch die Fähigkeit, flüssiger zu lesen (vgl.<br />

TNer15, 580-587). Rechnen wäre für ihn ein denkbarer weiterer Lerninhalt (vgl.<br />

TNer15, 278ff.). Er sagt, er sei ein »guter Erzähler« (TNer15, 32), der Geschichten<br />

schreiben möchte und gerne Autor wäre (vgl. TNer15, 34-38 und 755-761), und<br />

formuliert den Wunsch nach einer unbegrenzten Teilnahme am Kurs (vgl. TNer15,<br />

319ff.) – vermutlich weil der Kurs für ihn zugleich Schreib-Ort und Schreib-Anlass<br />

ist. Außerhalb der Kurszeiten findet er dafür äußerst selten Zeit, insbesondere<br />

wegen seiner Berufstätigkeit und wegen privater Aktivitäten (vgl. TNer15, 563-<br />

567). Außerdem beschreibt er sich als beinahe Alleinerzieher seines Kindes (vgl.<br />

TNer15, 613-621), diese Versorgungsarbeit bindet zeitliche Ressourcen.<br />

Problematik der Verfestigung einer gefühlsbetonten Bindung<br />

Anhand von zwei Beispielen zeigt sich die Problematik der Verfestigung einer gefühlsbetonten<br />

Bindung. In beiden Fällen führt diese Problematik zur Beendigung<br />

der Kursteilnahme.<br />

Die Kursleiterin von Teilnehmer 14 hat mit ihm das Ende seiner Teilnahme vereinbart.<br />

Die erotischen Gefühle, die er ihr entgegengebracht hat, ließen ihn mehrfach<br />

und zunehmend ihre Grenzen überschreiten (vgl. Protokoll A, 4). Die Kursleiterin<br />

berichtet, dass er, obwohl erwachsen, sehr stark von seiner Mutter vereinnahmt wird<br />

(vgl. Protokoll A, 4). Diese Einschätzung legt die Vermutung nahe, dass er aufgrund<br />

dieser starken Überbehütung und Fremdbestimmung keinen adäquaten Umgang mit<br />

seinen erotischen Gefühlen entwickeln konnte. Die Kursleiterin vermutet zudem,<br />

dass seine Teilnahme am Basisbildungskurs vom Arbeitsmarktservice ohnedies nicht<br />

auf Dauer unterstützt worden wäre. Um seine Selbstbestimmung zu fördern, wäre – so<br />

die Einschätzung der Kursleitenden – ein Beschäftigungsprojekt mit Wohnmöglichkeit<br />

sinnvoll (vgl. Protokoll A, 4).<br />

Teilnehmerin 11 thematisiert im Interview das für sie scheinbar absehbare Ende ihrer<br />

Kursteilnahme. Ihre Kursleiterin wechselt nämlich an einen anderen Kursort (vgl.<br />

TNin11, 752-755 und 764-774) und eine wöchentliche Fahrt zum neuen Kursort ihrer<br />

vertrauten Kursleiterin wäre finanziell nicht tragbar (vgl. TNin11, 780-793). Sie<br />

bezieht eine Invaliditätspension, wäre allerdings lieber erwerbstätig, weil sie, wie<br />

sie sagt, von ihren Eltern zum Arbeiten erzogen wurde. Eine psychische Erkrankung<br />

verhindert jedoch (noch) die Wiederaufnahme einer Erwerbsarbeit (vgl. TNin11,<br />

800-823). Ein Jahr später zeigt sich, dass sie sich tatsächlich nicht auf eine neue<br />

Kursleiterin hat einstellen wollen bzw. können und mittlerweile ihre Teilnahme be-<br />

- 328 -


endet hat. Sie wurde im Verlauf des Kurses insbesondere durch die Auffrischung der<br />

Grammatik in ihren vorhandenen Kenntnissen bestärkt und lernte, auf andere Teilnehmende<br />

Rücksicht zu nehmen und deren gleichermaßen berechtigte Wünsche und<br />

Bedürfnisse anzuerkennen. Sie schrieb auch gerne Geschichten und Gedichte und<br />

beteiligte sich während ihrer Kursteilnahme an einer Lesung. Hierfür forderte sie<br />

aber die begleitende Unterstützung in der Vorbereitung und die Anwesenheit ihrer<br />

Kursleiterin bei der Lesung ein. Insgesamt wurde sie während ihrer Kursteilnahme<br />

selbstsicherer. Sie nahm parallel zur Teilnahme am Basisbildungskurs an einem Angebot<br />

einer psychosozialen Betreuungsorganisation teil, das sie auch weiterhin in<br />

Anspruch nimmt (vgl. Protokoll A, 7).<br />

Bedingungen des Gelingens: finanzielle und zeitliche Grenzen<br />

In dem oben beschriebenen Beispiel wird deutlich, dass neben der Bindung an die<br />

Kursleiterin auch finanzielle Grenzen (Fahrkosten zum neuen Kursort der vertrauten<br />

Kursleiterin) zur Beendigung der Teilnahme geführt haben. Teilnehmerin 1 ist<br />

ebenfalls mit der Problematik finanzieller Aspekte konfrontiert. Sie empfindet es<br />

nämlich als sehr unangenehm, beim Arbeitsmarktservice um die Fortsetzung der<br />

Übernahme der Fahrtkosten anzusuchen, obwohl sie zu wissen scheint, dass ihr<br />

diese Leistung zusteht:<br />

»(T) Jetzt in diese Zeit habe ich gedacht, vielleicht ich nicht weiter kommen, habe ich oft gedacht.<br />

Wenn ich habe keine Reise und ich habe, ich bekomme Geld zum Fahren vom Arbeitsamt.<br />

[…] Geld zum Fahren.<br />

(I) Zum hierher Fahren<br />

(T) Ja. Bei mir pendeln. Verstehen Bei mir müssen immer fragen, geben mir Geld zum Fahren,<br />

oder so. Bei mir sagen sicher, sagen ja, aber nicht so angenehm, verstehen Wenn du brauche<br />

von Arbeitsamt sagen, bitte, kannst du mir helfen, weiter in den Kurs fahren kann.<br />

(I) Ja.<br />

(T) Das ist, das ist schlecht. […] Ja, ich werde sprechen, dass ich weiter den Kurs zu machen kann.«<br />

(TNin1, 248-267)<br />

Diese Abhängigkeit (vgl. TNin1, 245-272) scheint sie als eigentlich Sprach-Integrationswillige<br />

in die unangenehme Rolle einer Bittstellerin zu bringen.<br />

Am Beispiel von Teilnehmerin 23 lässt sich zeigen, wie lebensgeschichtliche Ressourcen<br />

(Zeit und Geld) eine beinahe uneingeschränkte Teilnahme am Basisbildungsangebot<br />

der Einrichtung ermöglichen: Für sie als Pensionistin werden weder ein umständlicher<br />

Anfahrtsweg noch anfallende Fahrtkosten als Barrieren wirksam (vgl.<br />

TNin23, 44-52). Das sich ihr in der Nacherwerbsphase öffnende Zeitfenster für Bildung<br />

soll ihr dabei helfen, nicht zu »verkalken« (vgl. TNin23, 56-60; 65-72). Am<br />

Beispiel von Teilnehmer 15 wird deutlich, dass bei einem dringenden Bildungsbedürfnis<br />

die ungenützt bleibende Phase der Erwerbsarbeitslosigkeit als verlorene Zeit<br />

wahrgenommen wird. Das Beispiel von Teilnehmerin 6 macht die Vereinbarkeits-<br />

- 329 -


problematik zwischen Erwerbsarbeit, Versorgung der Familie, Erziehungsarbeit und<br />

Weiterbildungsteilnahme als Eigenzeit, die nicht zulasten der Kinder gehen sollte,<br />

sichtbar. Das Beispiel von Teilnehmer 22 zeigt, wie seine berufliche <strong>Teilhabe</strong> seine<br />

Weiterbildungsteilnahme zu verunmöglichen scheint.<br />

Stopp-Mechanismus durch Vereinbarkeitsproblematik: Kurs oder Erwerbsarbeit<br />

Ein Jahr nach dem Interview hat sich gezeigt, dass sowohl Teilnehmerin 6 als auch<br />

Teilnehmer 22 ihre Teilnahme am Kurs haben beenden müssen. Hierbei zeigt sich<br />

meines Erachtens, dass die Entscheidung Kurs oder Erwerbsarbeit eine von außen<br />

aufgezwungen ist, denn beides ist offenbar nicht zu haben.<br />

Bei Teilnehmer 22 hat die zeitliche Unvereinbarkeit von Erwerbsarbeit und Weiterbildung<br />

zur Beendigung seiner Basisbildungskursteilnahme geführt. Er sagt im Interview<br />

über sich selbst, er sei »ein Streber« (TNer22, 124) geworden. Er möchte<br />

den Hauptschulabschluss nachholen, um seine berufliche Position innerhalb seines<br />

Berufsfeldes durch eine weitere Ausbildung zu verbessern (vgl. TNer22, 125ff.).<br />

Dahinter steht der Wunsch nach einem Mehr an beruflicher Sicherheit, schließlich<br />

ist er Familienvater und will, »dass die Familie versorgt ist« (vgl. TNer22, 721ff.).<br />

Die »Zeitfrage« (TNer22, 246) wird für ihn zu einem Thema, denn möglichst rasch<br />

den Hauptschulabschluss nachzuholen, ist angesichts seiner Vollzeiterwerbstätigkeit,<br />

die sich mit den Kurszeiten der Basisbildungseinrichtung nicht vereinbaren<br />

lässt, wenig realistisch (vgl. TNer22, 246-256 und 150-153). Diesem Dilemma begegnet<br />

er mit der Entscheidung, seine Vollzeitstelle zu reduzieren und finanzielle<br />

Einbußen in Kauf zu nehmen:<br />

»Ich habe müssen auf 80 Prozent zurückgehen. […] wenn es nach mir ginge, gäbe es noch<br />

Steine oder irgendwas zum Tauschen. […] Und wenn du jetzt nur noch 800 verdienst statt<br />

1100 und davon hast du 100 Euro, 140 Euro Benzinkosten und eine Familie daheim, dann ist<br />

das nachher nicht mehr witzig, na. Und jetzt habe ich halt 80 Prozent und habe halt geschaut,<br />

dass ich da wieder zum Lernen komme. Weil daheim ist mir fast zu wenig. Jetzt bin ich da<br />

zurückgegangen einen Schritt, wieder, nicht, also vom Finanziellen her.« (TNer22, 258-266)<br />

Der kostenlose und zeitlich nicht limitierte Basisbildungskurs ist für ihn die einzige<br />

Möglichkeit, sein Ziel zu erreichen:<br />

»Wenn ich jetzt die Nachhilfe 25 Euro […] oder 30 Euro zahlen muss. Und dann muss ich<br />

wirklich schauen, dass du weiterkommst und du hast Schwächen, wo du länger brauchst,<br />

kannst es nicht finanzieren, geht nicht. Und DA sollten sie einmal, der Staat Österreich einmal<br />

nachdenken. Weil sie sagen immer, sie wollen qualifizierte Leute am Arbeitsplatz. Und warum<br />

schauen sie da weg« (TNer22, 279-283)<br />

Seit der Geburt seines Kindes arbeitet er wieder Vollzeit, was ihn wiederum in ein Dilemma<br />

bringt:<br />

- 330 -


»[…] jetzt habe ich wieder teilweise einen Rückschritt gemacht, weil durch die Arbeitswelt.<br />

Weil ich wieder arbeite, weniger lerne. Und das ist, dass passt mir eigentlich auch nicht gar<br />

so. Weil mein Ziel ist eigentlich so schnell wie möglich den Hauptschulabschluss nachmachen.<br />

Weil ich jetzt eine kleine Familie auch habe, nicht. Kleines Baby.« (TNer22, 150-154)<br />

Sein ausdrücklicher Wunsch war es, weiterhin am Basisbildungskurs teilnehmen<br />

zu können. Der extra für ihn organisierte Abendkurs wurde allerdings sowohl<br />

für den Teilnehmer als auch für die Kursleiterin zu anstrengend und er musste<br />

seine langjährige Teilnahme beenden (vgl. Protokoll B, 1). Peter Faulstich hat<br />

darauf hingewiesen, dass Zeit zum Lernen »Teil des gesellschaftlichen Wohlstands«<br />

ist und daher einbezogen werden muss in gesellschaftliche »Verteilungsfragen«<br />

(vgl. Faulstich 2008: 34). Hier muss die Frage angeschlossen werden,<br />

weshalb die Teilnahme von Teilnehmer 22 auf der individuellen Ebene seines<br />

persönlichen Zeitbudgets und auf der Ebene der Basisbildungseinrichtung als für<br />

beide Beteiligten anstrengender und letztlich nicht tragbarer Abendkurs verhandelt<br />

werden musste. Warum gibt es nicht auch für ihn die Möglichkeit zur Teilnahme<br />

innerhalb der bezahlten Arbeitszeit Schließlich können gut ausgebildete<br />

Personen zu einem hohen Prozentsatz in ihrer Arbeitszeit eine Weiterbildung besuchen<br />

(siehe Abschnitt 2.2).<br />

Teilnehmerin 6 möchte eine Ausbildung im Pflegebereich absolvieren und hat<br />

hierzu bereits zwei kurze Praktika abgeschlossen (vgl. TNin6, 536-552 und 569-<br />

583). Aufgrund dieses beruflichen Ziels bereitet sie sich im Kurs auf die Führerscheinprüfung<br />

vor (vgl. TNin6, 553-567). Auch die Festigung und Erweiterung<br />

ihrer schriftsprachlichen Fähigkeiten in ihrer Zweitsprache bleiben für sie ein<br />

wichtiges Lernziel (vgl. TNin6, 76-82). Ihre Kursteilnahme muss sie mit ihrer Erwerbsarbeit,<br />

ihrer Familienzeit und ihrer Erziehungstätigkeit als Alleinerzieherin<br />

von drei Kindern zeitlich vereinbaren:<br />

»Ich habe jetzt eine Arbeit bekommen, vier Stunden am Tag. Und ich möchte keine Arbeit,<br />

wo stört mir mit meine, mit diesen Tag, wo ich hier lerne. Ich möchte wissen, Tag um 15 Uhr<br />

frei zu lernen. Egal, was kommt. Ich habe lange gesucht im Internet, immer im AMS […] eine<br />

Arbeit nur bis Mittag. Und ich habe drei Kinder alleine und das ist nicht so einfach. […] Ich<br />

habe genug Arbeit zu Hause. […] Aber jetzt die Situation ist so, ich arbeite nur vier Stunden,<br />

und die Kinder sind zufrieden. Ich auch, wenn ich habe genug Zeit für meine Kinder, für mich<br />

auch, und das ist für mich wichtig. Es kommt sicher die Zeit in paar Jahre, wo ich kann acht<br />

Stunden, neun Stunden. Aber es kommt langsam, es kann man nicht alles gleich machen.«<br />

(TNin6, 120-135)<br />

Sie hat gute Lernfortschritte gemacht, insbesondere die schriftgebundene Orientierung<br />

im Alltag ist bereits gut möglich. Aufgrund wechselnder Einfacharbeitsplätze,<br />

ihrer teilweise problematischen Lebenssituation und daraus resultierenden Mehrfachbelastungen<br />

war ihre Teilnahme unregelmäßig, und sie war immer in Sorge,<br />

- 331 -


ihren Platz im Kurs zu verlieren. Die Übernahme einer neuen Stelle (Einfacharbeitsplatz)<br />

hat ihre weitere Teilnahme endgültig verunmöglicht (vgl. Protokoll A,<br />

5). Ob sie ihr berufliches Ziel verwirklichen können wird, bleibt ungewiss. Die<br />

Notwendigkeit der Existenzsicherung und die Mehrfachbelastungen sind als strukturelle<br />

Barrieren zu bewerten. Die Analyse ihres Lernprozesses hat gezeigt (Abschnitt<br />

5.3.1), dass die unregelmäßige Teilnahme eine gefühlte Fragilität der Lernfortschritte<br />

bewirkt hat (vgl. TNin6, 218-240) – »ich habe wirklich Gefühl, ich<br />

muss vielleicht von vorne« (TNin6, 237). Dieser Bedarf nach Kontinuität der Lernzeit<br />

konnte aufgrund ihrer nur unregelmäßig erfolgenden Teilnahme (siehe oben)<br />

nicht erfüllt werden und war möglicherweise ein weiterer Faktor, der zur Beendigung<br />

ihrer Teilnahme geführt hat – das Gefühl, immer wieder »von vorne« anfangen<br />

zu müssen, dürfte wohl frustrierend gewesen sein.<br />

Im Gegensatz dazu kann Teilnehmer 15 seine Kursteilnahme nach der Wiederaufnahme<br />

einer Erwerbstätigkeit fortführen. Er bedauert jedoch, dass die Phase seiner<br />

Erwerbsarbeitslosigkeit in Hinblick auf seinen Bildungswunsch ungenützt geblieben<br />

ist (vgl. TNer15, 82-85). Aktuell wünscht er sich die für ihn notwendige<br />

»Ruhe«, er thematisiert das Gefühl der Zerrissenheit:<br />

»[…] zwei Jahre, war ich schon arbeitslos und, und da, da habe ich mir wirklich gedacht,<br />

wenn, wenn ich das gleich von Anfang, wie ich arbeitslos worden bin, weil da hätte ich Zeit<br />

gehabt dazu. Weil Zeit brauchst. […] Ich merke schon, dass ich hin und her gerissen bin, weil<br />

ich, ich bräuchte eine Ruhe, dass ich, dass ich mich ein, einer Sache widmen kann. Und das<br />

Schreiben, das und das, das wäre mir wichtiger als [seine Erwerbstätigkeit]. Aber wenn du<br />

nicht [arbeitest], dann kriegst kein Geld (er lacht). Da verdienst du ja kein Geld nicht. Und das<br />

gehört irgendwie, weiß ich nicht. Na gut, der Staat kann auch nicht alle mit erhalten (er lacht).<br />

Das ist ja das Problem.« (TNer15, 83-90)<br />

Er fühlt sich zerrissen zwischen der Existenz sichernden Erwerbsarbeit und seinem<br />

Bildungswunsch, dessen Verwirklichung er sich gerne intensiver widmen würde.<br />

Anders als bei Teilnehmer 22 und bei Teilnehmerin 6 (siehe oben) führt die Mehrfachbelastung<br />

bei Teilnehmer 15 nicht zur Beendigung der Teilnahme. Es besteht<br />

die Vermutung, dass die relativ flexiblen Arbeitszeiten seiner Erwerbsarbeit (vgl.<br />

Protokoll A, 4; vgl. TNer15, 16 und 85f.) die Vereinbarkeit von Kursteilnahme,<br />

Familien- und Erziehungsarbeit und Erwerbsarbeit ermöglichen. Die Kursleitenden<br />

berichten, dass er nach wie vor ein interessierter und motivierter Teilnehmer<br />

ist. Psychische und physische Belastungen verhindern ab und zu seine Teilnahme;<br />

insbesondere die Betreuung seines Kindes, das offenbar auffällig und unruhig ist,<br />

beansprucht ihn stark. Aus diesem privaten Lebenszusammenhang resultiert auch<br />

sein aktuelles Interesse am Thema Schule, das er über schulbezogene Fragen als<br />

Anliegen in den Basisbildungskurs einbringt (vgl. Protokoll A, 8).<br />

- 332 -


Junge Teilnehmende: Erklärungen für den Abbruch eines Kurses<br />

In den bisherigen Ausführungen sind wiederholt Unterschiede zwischen jungen<br />

und erwachsenen Teilnehmenden thematisiert worden, deshalb soll auch nach Erklärungen<br />

gesucht werden, warum junge Teilnehmende einen Kurs abbrechen.<br />

Teilnehmer 21 wird von einer vertrauten Person, dem Leiter des Jugendzentrums,<br />

zur Kursteilnahme aufgefordert. Er besucht den Basisbildungskurs im Rahmen seiner<br />

Tätigkeit in einem Qualifizierungsprojekt 209 (vgl. TNer21, 16-30). Nach nur kurzer<br />

Zeit bleibt er dem Basisbildungskurs fern, weil er keinen Nutzen in seiner Teilnahme<br />

erkennen kann. Nach dem Ende der Tätigkeit im Qualifizierungsprojekt ist er<br />

auf Stellensuche. Der Leiter des Jugendzentrums animiert ihn doch weiterhin zum<br />

Kurs zu kommen (vgl. Protokoll A, 5), worauf der junge Mann allerdings nicht reagiert.<br />

Warum Teilnehmer 21 seine Teilnahme abgebrochen und nicht wieder aufgenommen<br />

hat, kann auf Basis der vorliegenden Daten nicht zur Gänze geklärt werden.<br />

Während der Datenerhebung in der Einrichtung (…ein Jahr später) sind im sich<br />

daran anschließenden Reflexionsgespräch unterschiedliche Hypothesen darüber<br />

entwickelt worden, was genau Jugendliche zu einer herausfordernden Zielgruppe<br />

macht. Generell wird im Lehrhandeln versucht, den jungen Teilnehmenden den<br />

möglichen Nutzen ihrer Teilnahme durch Konkretisierungen der Inhalte auf individuelle<br />

Interessen und Erfahrungen sowie deren Lebenswelt(en) zu verdeutlichen<br />

(siehe dazu Abschnitt 5.2.5). Der Wunsch nach einer Erwerbsarbeit oder nach der<br />

Aufnahme einer Lehre scheint bei den Jugendlichen sehr stark zu sein. Diese starke<br />

Erwerbsorientierung – so die Vermutung – könnten sie sich möglicherweise (auch)<br />

in den Projekten (vor allem in Qualifizierungs- und Beschäftigungsprojekten) angeeignet<br />

haben, aus denen heraus sie zur Basisbildung vermittelt werden. Beobachtet<br />

wird außerdem, dass für Mädchen/junge Frauen offenbar die Ausweichschiene<br />

Familienarbeit (Heirat, Kinder) zu existieren scheint (vgl. KLinG, 452-469). Des<br />

Weiteren wird die Vermutung formuliert, dass die negativ geprägten schulischen<br />

Erfahrungen für die Jugendlichen aufgrund der zeitlichen Nähe gefühlsmäßig noch<br />

sehr präsent sind (vgl. Protokoll A, 5). Im Kurs selbst scheint die Überbrückung<br />

der Anfangsphase bis zu dem Moment, in dem Lernerfolge erstmals tatsächlich<br />

von den Teilnehmenden selbst wahrgenommen werden können, oftmals durch die<br />

von außen vorgegebene zu kurze Verweildauer verhindert zu werden (vgl. KLinF,<br />

203-208). Lernmotivation braucht Zeit und vor allem spürbare Lernfortschritte<br />

und Lernerfolge, um sich nachhaltig zu entwickeln, insbesondere weil bei jüngeren<br />

Teilnehmenden negativ besetzte schulische Erfahrungen, wie bereits erwähnt,<br />

noch unmittelbar präsent sind.<br />

Jugendliche, die ihre Kursteilnahme abbrechen, erkennen möglicherweise die<br />

Tragweite dieser Entscheidung nicht. Eventuell könnten altersheterogene Gruppen<br />

hier hilfreich wirken. Teilnehmende Erwachsene, die ihre Lebensgeschichte<br />

und ihre Lebenserfahrungen einbringen, könnten eine Vorstellung davon entstehen<br />

lassen, dass Basisbildungsbedarfe/-bedürfnisse zu massiven Nachteilen im Lebensverlauf<br />

führen. Auch könnten so die noch präsenten schulischen Erfahrungen<br />

- 333 -


(schulisches Lehrhandeln etc.) in den Hintergrund gerückt werden und nachteilige<br />

gruppendynamische Prozesse eventuell vermieden werden (siehe Abschnitt 5.2.6).<br />

Aus den Interviews von Teilnehmer 16 und von Teilnehmer 17 geht hervor, dass<br />

diese beiden jungen Männer den Wert und auch den Nutzen ihrer Teilnahme für<br />

sich erkannt haben. Teilnehmer 16 ist zum Zeitpunkt des Interviews 25 Jahre alt; er<br />

hat sechs Jahre zuvor einen Basisbildungskurs der Einrichtung besucht; damals hat<br />

er sich auf die Lehrabschlussprüfung vorbereitet, die er bestand. Er verbindet möglicherweise<br />

dieses Erfolgserlebnis mit der Einrichtung und seiner Teilnahme. Bei<br />

Teilnehmer 17 ist die Überbrückung gelungen, er konnte für sich seinen Lernsinn<br />

entwickeln. Es ist denkbar, dass er sich von der Basisbildungseinrichtung bei seiner<br />

Ausbildung, die er in einer Einrichtung für Menschen mit Lernschwierigkeiten<br />

und Behinderung absolviert, gut unterstützt fühlt und dadurch eine entsprechende<br />

Motivation entwickeln konnte.<br />

5.4.5 Resümee: Effekte der Teilnahme und Bedingungen des Gelingens<br />

Die Interpretationsergebnisse zu den Effekten der Teilnahme und den Bedingungen<br />

des Gelingens einer Teilnahme beziehen sich auf die Frage, welche Chancen<br />

sich durch die Teilnahme an Bildung im Erwachsenenalter für Menschen, die<br />

Bildungsbenachteiligung erfahren haben, tatsächlich eröffnen. Die Effekte einer<br />

Teilnahme müssen unter Berücksichtigung der Bedingungen des Gelingens einer<br />

Teilnahme analysiert werden. Die diesbezüglichen Ergebnisse der Effekte einer<br />

Teilnahme unter Berücksichtigung der Bedingungen legen den Schluss nahe,<br />

dass sich die Kompensationsmöglichkeiten von Bildungsbenachteiligung vor allem<br />

auf der individuellen Ebene vollziehen. Dieses Phänomen lässt sich in den<br />

Daten gegründet als vitale <strong>Teilhabe</strong> konzeptionalisieren. Die durch den Basisbildungskurs<br />

erfahrene Stabilisierung und Stärkung ermöglicht das Entwickeln<br />

innerer Sicherheit. Diese sichere Basis bezieht sich auf den inneren Kern der<br />

Persönlichkeit, der gestärkt wird. Diese innere Veränderung wird in der geteilten<br />

Perspektive sichtbar: vor dem Kurs und seit Kursbeginn, wobei diese eingenommene<br />

Perspektive des Vorher-Nachher auch die bewusste Wahrnehmung von<br />

Lernfortschritten verdeutlicht. Diese geteilte Perspektive lässt sich als Erzählung<br />

der erlebten Wiedergutmachung verstehen. Das Durchleben des Vorher im Kontrast<br />

zum positiv besetzten bzw. verändert erlebten Nachher zeigt die Bewältigung<br />

der zuvor gefühlten/erlebten Ausschlusserfahrung. Die Bedeutung des Kurses<br />

für einige der befragten Teilnehmenden liegt auch darin, dass Lernen und<br />

Bildung als wertvoll wahrgenommen werden. Die Teilnahme am Basisbildungskurs<br />

stiftet Sinn. Der Kurs leistet einen Beitrag zur Erhöhung der subjektiven Lebensqualität.<br />

In Anlehnung an dieses Verständnis von Lebensqualität bezieht sich<br />

das Konzept der vitalen <strong>Teilhabe</strong>, wie bereits erwähnt, auf die positive, gefühlsbetonte<br />

Reaktion von Teilnehmenden auf den Basisbildungskurs und den Gewinn<br />

- 334 -


auf der persönlichen Ebene. Erwachsene, die Bildungsbenachteiligung erfahren<br />

haben, haben ein moralisch zu argumentierendes Recht auf Lehr-Lern-Prozesse,<br />

die es ermöglichen, erlittene Benachteiligungen bearbeiten und somit verarbeiten<br />

zu können. Die Wiedergutmachung im Sinne der vitalen <strong>Teilhabe</strong> als Potenzial<br />

von Basisbildung verstehe ich deshalb als einen Akt ausgleichender Gerechtigkeit<br />

– die untersuchten Basisbildungskurse haben einen Beitrag zur Stärkung<br />

der Persönlichkeit geleistet und dadurch die Entwicklung von Freude an eigenen<br />

Lernaktivitäten und Bildungsprozessen gefördert.<br />

Die vier befragten Teilnehmerinnen mit Migrationshintergrund, die im Basisbildungskurs<br />

ihre Kenntnisse in ihrer Zweitsprache erweitern bzw. optimieren, legen<br />

die Hypothese nahe, dass die Migrationserfahrung an sich eine Ressource für<br />

Lernprozesse darstellt. Die erforderliche alltagspraktische Orientierung im Zielland<br />

und die damit zusammenhängenden Anforderungen sind Herausforderungen,<br />

deren erfolgreiche Bewältigung mit der Fähigkeit zur Selbststeuerung und Selbstorganisation<br />

in Zusammenhang steht. Selbststeuerungsfähigkeit kann, Christiane<br />

Schiersmann folgend, als eine wesentliche Ressource für Lernprozesse betrachtet<br />

werden (vgl. Schiersmann 2006: 15-23). Das Konstrukt der Selbststeuerung wird<br />

nämlich, bezogen auf Lernprozesse, als eine »personenbezogene kognitive Dimension«<br />

(ebd.: 9) verstanden. Die befragten Teilnehmerinnen mit Migrationshintergrund<br />

dürften aufgrund ihrer Migrationserfahrungen über entsprechende Ressourcen<br />

verfügen. 210<br />

Die Interpretationsergebnisse in Hinblick auf die Realisierungspotenziale von<br />

Lernzielen/-wünschen bzw. Berufszielen/-wünschen durch die Teilnahme am Basisbildungskurs<br />

zeigen unterschiedliche Ausprägungen. Für zwei Teilnehmerinnen<br />

mit günstigen lebensgeschichtlichen Voraussetzungen wird die Teilnahme zum<br />

Sprungbrett. In idealtypischer Weise ermöglicht ihnen die Basisbildung die Aneignung<br />

bzw. Optimierung von Voraussetzungen, die zur Aufnahme einer beruflichen<br />

Ausbildung bzw. für die Umschulung als notwendig erachtet werden. Die Überbrückung<br />

einer Phase der Erwerbsarbeitslosigkeit ist eine weitere festgestellte Ausprägung<br />

einer Basisbildungsteilnahme: In dieser Phase scheint die Teilnahme Sinn<br />

zu stiften, weil die in den Basisbildungskursen stattfindenden individuellen Lernprozesse<br />

einen für die Teilnehmenden erkennbaren Nutzen haben. Diese Erfahrung<br />

konstituiert sich teilweise auch vor dem kontrastierenden Hintergrund der bislang<br />

gemachten Erfahrungen in arbeitsmarktpolitisch organisierten Maßnahmen (siehe<br />

Abschnitt 5.<strong>1.2</strong>). Schließlich zeigt die Ausprägung von Basisbildung als sinnvolle<br />

Gestaltung von Lebenszeit, dass Basisbildung in bestimmten Lebensphasen als<br />

Aktivität geschätzt wird, beispielsweise in der Nacherwerbsphase oder nach Abschluss<br />

der Familienphase aufgrund der Beendigung der Erziehungsarbeit.<br />

Im Abschnitt über Bedingungen des Gelingens einer Teilnahme sind Hürden und<br />

Barrieren in den Blick gekommen. Die festgestellten Hürden haben nicht zwangsläufig<br />

zum Abbruch einer Teilnahme geführt. Allerdings verursachen Hürden und<br />

Barrieren immer Ablenkung und binden daher Kräfte, wenn beispielsweise Unsi-<br />

- 335 -


cherheiten und Bildungsbedarfe/-bedürfnisse bestehen bleiben, kann das als Fragilität<br />

der Basis interpretiert werden.<br />

Die Bezugnahme auf einige Beispiele soll im Folgenden diese möglicherweise bestehende<br />

Fragilität der Basis illustrieren: Ein Beispiel für eine Hürde stellt eine Bewährungssituation<br />

dar. Diese Herausforderung stellt sich außerhalb des Kurses.<br />

Zwei Teilnehmende werden hierbei in ihrem Selbstwertgefühl gefährdet. Teilnehmer<br />

5 sorgt gut für sich, da er beschließt, das über ihn im Zuge der Führerscheinprüfung<br />

erstellte Gutachten (das eine vernichtende Diagnose beinhaltet) nicht zur<br />

Kenntnis zu nehmen. Teilnehmerin 20 entzieht sich der Herausforderung, indem<br />

sie beschließt, zur Lehrabschlussprüfung nicht anzutreten. Hier zeigt sich die Fragilität<br />

der Basis, denn in der Bewährungssituation scheint ihr der notwendige Mut<br />

zu fehlen – allerdings: Sie verfügt über die realistische Einschätzung, dass ihre<br />

Chancen auf einen Erwerbsarbeitsplatz als Frau mittleren Alters, die sich noch<br />

dazu in einer längeren Phase der Erwerbsarbeitslosigkeit befindet, nicht groß sein<br />

dürften. Daher ist die Entscheidung, sich der Herausforderung nicht zu stellen,<br />

durchaus nachvollziehbar.<br />

In Hinblick auf die Anwendung des Gelernten außerhalb des Lehr-Lern-Gefüges<br />

(Transfer) zeigt sich bei Teilnehmer 16, dass ein nicht lernförderlicher Arbeitsplatz<br />

den Einsatz des Gelernten verhindern kann. Gleichzeitig können jedoch im<br />

privaten Bereich die Lerninhalte und eine im Kurs erworbene Strategie angewendet<br />

werden, wodurch Prozesse des Verlernens möglicherweise verhindert werden<br />

können.<br />

Die Problematik der Verfestigung einer gefühlsbetonten Bindung an Kursleitende<br />

führt bei zwei Teilnehmenden zur Beendigung ihrer Teilnahme. Teilnehmer 14 gelingt<br />

es nicht, mit seinen erotischen Gefühlen für seine Kursleiterin innerhalb verträglicher<br />

Grenzen umzugehen. Teilnehmerin 11 möchte/kann sich nicht auf eine<br />

neue Kursleiterin einstellen und beendet aus diesem Grund ihre Teilnahme, wobei<br />

allerdings auch der Kursbesuch am neuen Kursort ihrer gewohnten Kursleiterin<br />

aufgrund der anfallenden Fahrtkosten für sie nicht infrage gekommen wäre. Damit<br />

sind die finanziellen und zeitlichen Grenzen angesprochen, die als Barrieren wirksam<br />

werden. Wenn die Vereinbarkeitsproblematik zwischen Kursteilnahme und Erwerbsarbeit<br />

eine Entscheidung erzwingt, wird der »Stopp-Mechanismus« deutlich<br />

– beides ist offenbar nicht zu haben. Die davon betroffenen Teilnehmenden fühlen<br />

sich zwischen der Existenz sichernden Erwerbsarbeit und ihrem Bildungswunsch<br />

hin- und hergerissen. Eine letzte Bedingung des Gelingens einer Teilnahme hat<br />

mit dem Lebensalter der Teilnehmenden zu tun. Junge Teilnehmende haben besondere<br />

Voraussetzungen, dazu gehört ihre lebensgeschichtliche Nähe zum schulischen<br />

Lernen. Offenbar wird auch der Nutzen, der aus einer Teilnahme resultieren<br />

könnte, von ihnen nicht gesehen bzw. scheint die Aufnahme einer bezahlten Lohnarbeit<br />

für sie wichtiger zu sein als die zeitintensive, herausfordernde und durchaus<br />

anstrengende Kompensation. Die Nachteile, die sich aus Bildungsbedarfen/<br />

-bedürfnissen ergeben werden, können von ihnen (noch) nicht abgeschätzt werden.<br />

- 336 -


6 Fazit: Von der Teilnahme zur vitalen <strong>Teilhabe</strong>


In den vorangegangenen Abschnitten sind im jeweiligen Resümee die zentralen Interpretationsergebnisse<br />

zu den gelungenen Zugängen der befragten Teilnehmenden<br />

zum Basisbildungskurs (Abschnitt 5.1.5), zum Lehrhandeln aus der Perspektive<br />

der Kursleitenden (Abschnitt 5.2.7), zu den Lernprozessen aus der Sicht der Teilnehmenden<br />

(Abschnitt 5.3.9) sowie zu den Effekten der Teilnahme und den Bedingungen<br />

des Gelingens der Teilnahme (Abschnitt 5.4.5) dokumentiert worden.<br />

Im Folgenden werden zentrale Ergebnisse zu Lehr-, Lern- und Bildungsprozessen<br />

in der Basisbildung rekapituliert. Hierbei wird auf die gegenstandsbezogenen<br />

Ausführungen Bezug genommen, die Interpretationsergebnisse werden insgesamt<br />

an erwachsenenpädagogische Forschungsergebnisse und Theorien rückgebunden.<br />

Darüber hinaus werden offene Forschungsfragen und Implikationen für die Praxis<br />

dokumentiert. Folgende Aspekte werden dabei thematisiert: <strong>Vitale</strong> <strong>Teilhabe</strong><br />

als besonderes Potenzial der untersuchten Basisbildungskurse, die Bedeutung der<br />

gefühlsbetonten Bildungsprozesse und die zeitlichen Dimensionen von Basisbildungsangeboten;<br />

des Weiteren die Analyse von arbeitsmarktpolitisch organisierten<br />

Maßnahmen und die Einschätzung möglicher Entwicklungen vor dem Hintergrund<br />

der jeweiligen Interpretationsergebnisse.<br />

<strong>Vitale</strong> <strong>Teilhabe</strong>: Potenzial von Basisbildung<br />

Das Konzept der vitalen <strong>Teilhabe</strong> beruht auf gelingenden Lehr-, Lern- und Bildungsprozessen,<br />

die in den untersuchten Basisbildungskursen bei einigen der befragten<br />

Teilnehmenden rekonstruiert werden konnten. <strong>Vitale</strong> <strong>Teilhabe</strong> bezeichnet<br />

die positive, gefühlsbetonte Reaktion von Teilnehmenden auf ihren Basisbildungskurs<br />

und bezieht sich auf den Gewinn, der sich auf der persönlichen Ebene einstellt.<br />

Dieser Gewinn liegt in der Bewältigung von erfahrener Bildungsbenachteiligung<br />

und in der darauf beruhenden Erhöhung der subjektiven Lebenszufriedenheit.<br />

<strong>Vitale</strong> <strong>Teilhabe</strong> meint eine wünschenswerte Form der Prozessqualität. Hierin liegt<br />

das besondere Potenzial der untersuchten Basisbildungskurse: Für Lernaktivitäten<br />

von bildungsbenachteiligten Erwachsenen müssen vordringlich auf der individuellen<br />

Ebene die entsprechenden Voraussetzungen geschaffen werden – nur unter solchen<br />

Bedingungen sind Lernaktivitäten sinnvoll möglich.<br />

Basisbildung schafft zweifelsohne Voraussetzungen für die Beteiligung am sozialen,<br />

kulturellen, politischen und wirtschaftlichen Leben bzw. erhöht entsprechende<br />

<strong>Teilhabe</strong>chancen; das ist bereits 1990 im Rahmen der Weltbildungskonferenz<br />

»Bildung für alle« in Jomtien, Thailand formuliert worden (vgl. Giere 2005:<br />

26). Das in den vorliegenden Daten gegründete Konzept der vitalen <strong>Teilhabe</strong> bezieht<br />

sich auf die Individualebene. Für bildungsbenachteiligte Erwachsene muss<br />

meines Erachtens bedacht werden, wie es sich anfühlt, ganz grundlegende und daher<br />

als selbstverständlich vorausgesetzte Fähigkeiten und Fertigkeiten spürbar weniger<br />

gut als der Durchschnitt der Bevölkerung zu beherrschen – das prägt die<br />

subjektive Wahrnehmung, das Selbstwertgefühl. In diesem Zusammenhang liegt<br />

das Potenzial von Basisbildung darin begründet, dass dieser gefühlsbetonte Aspekt<br />

- 339 -


wahrgenommen wird und die Teilnehmenden mit ihren jeweiligen individuellen<br />

Voraussetzungen, Bedarfen/Bedürfnissen und Interessen zum eigentlichen Ausgangspunkt<br />

der Lehr-Lern-Prozesse genommen werden. Es konnte gezeigt werden,<br />

dass gerade die individuellen Voraussetzungen von Erwachsenen, die Bildungsbenachteiligung<br />

erfahren haben, im Lehrhandeln Beachtung finden: Die Kursleitenden<br />

stärken die Teilnehmenden durch Zuwendung, sie nehmen Glaubenssätze<br />

wahr und ermöglichen deren Entkräftung, sie leben eine Kultur der Anerkennung,<br />

nehmen Abstimmungs- und Aushandlungsprozesse vor und halten die Lehr-Lern-<br />

Prozesse transparent, wodurch sie die individuellen Lernprozesse fördern. Auf<br />

diese Weise tragen die Kursleitenden dafür Sorge, dass Teilnehmende zuerst gefühlte<br />

und tatsächliche Ausschlusserfahrungen bewältigen können und dass sich<br />

auf Basis dieser gelingenden Lernprozesse positive Voraussetzungen für weitere<br />

Lernaktivitäten entwickeln. Bevor also bildungsbenachteiligte Erwachsene, die<br />

Basisbildungsbedarfe/-bedürfnisse aufweisen, mit Forderungen im Sinne von Inhalts-<br />

und Zieldimensionen konfrontiert werden, muss dafür gesorgt werden, dass<br />

als erster Schritt bislang erlittene Ausschlusserfahrungen bewältigt werden können.<br />

Förderung bedeutet in diesem Zusammenhang, gelingende Lehr-Lern-Prozesse<br />

zu ermöglichen, und das ist ohne Beachtung der individuellen Voraussetzungen<br />

der Teilnehmenden nicht möglich. Eine solche Förderung ermöglicht die<br />

Erfahrung einer gefühlten Wiedergutmachung und stärkt die innere Sicherheit, eigenes<br />

Lernen kann positiv erlebt und somit positiv besetzt werden. Die solcherart<br />

geschaffene Basis dürfte die Voraussetzungen für (weiterführende oder neue,<br />

selbstgewählte) Lernaktivitäten verändern.<br />

In diesen Ausführungen sollte deutlich geworden sein, dass es sich hierbei um eine<br />

genuin erwachsenenpädagogische Aufgabe handelt. Die festgestellte gefühlte Wiedergutmachung<br />

vollzieht sich über gelingende Lehr-Lern-Prozesse. Einige der befragten<br />

Teilnehmenden scheinen buchstäblich an ihren positiven Lernerfahrungen<br />

zu gesunden. Hier beziehe ich mich explizit auf die von Ruth C. Cohn formulierte<br />

»Gesundung« (Cohn 1975: 205). Die Teilnahme am Basisbildungskurs ermöglicht<br />

die Erfahrung, sich in Hinblick auf das eigene Lernen nicht mehr länger als »ohnmächtig«,<br />

sondern als »partiell mächtig« (ebd.) zu erfahren – über unmittelbar personenbezogene<br />

Lernprozesse vollziehen sich heilsame Prozesse auf der Individualebene.<br />

Gefühlsbetonte Bildungsprozesse: nicht neu, aber bedeutsam…<br />

Lernen hat eine emotionale Dimension – darauf hat u.a. Knud Illeris (2006 211 ) deutlich<br />

hingewiesen: »die kognitive Dimension des Wissens und der Fertigkeiten, die<br />

emotionale Dimension der Gefühle und Motivation sowie die soziale Dimension der<br />

Kommunikation und Kooperation – alle drei eingebettet in einen gesellschaftlich situierten<br />

Kontext.« (Illeris 2006: 29) Rolf Arnold hat Emotionen in Lernprozessen<br />

Erwachsener ebenfalls Beachtung geschenkt (siehe dazu Arnold 2005; Arnold/Gómez<br />

Tutor 2006). Wiltrud Gieseke hat in ihrer Studie zu lebenslangem Lernen und<br />

- 340 -


Emotionen (2007) diesen Aspekt menschlichen Lernens untersucht und einen Entwurf<br />

einer »relationalen Didaktik« formuliert (vgl. Gieseke 2007: 216-235). Über<br />

die Bedeutung von Freude für Bildungsprozesse sagt Wiltrud Gieseke:<br />

»Freude ist ein Gefühl, verstanden zu werden, selbstvertraut zu sein, geliebt zu werden, vertrauensvolle<br />

Beziehungen zu haben, gebraucht zu werden, etwas zu können, mitten dabei zu sein.<br />

Freude und Interesse sind eng verbunden. Freude unterstützt die Offenheit, die Interessenartikulation<br />

und setzt damit Aktivitäten frei. […] Freude geht nicht nur mit geistigen, sondern auch mit<br />

körperlichen Gefühlen der Aktivität, der Dynamik einher.« (Gieseke 2007: 60)<br />

Es hat den Anschein, als ob der emotionalen Seite menschlichen Lernens in der Erwachsenenbildung<br />

neuerdings wieder bzw. mehr Bedeutung beigemessen wird; mit<br />

einer Pendelbewegung werden gefühlsbetonte Aspekte stärker fokussiert. Erhard<br />

Meueler hat sich aktuell in einem Grundsatzartikel zur Didaktik der Erwachsenenbildung<br />

für die »[b]ewusste Gestaltung von Beziehungen« (Meueler 2009: 984) ausgesprochen.<br />

So wird in Hinblick auf menschliche »Motivationssysteme« die Bedeutung<br />

von »Anerkennung und Liebe« betont (Bauer 2006: 34 zit. n. Meueler 2009:<br />

984). Folgende Komponenten haben für »gelingende Beziehung« und daher für didaktisches<br />

Handeln Relevanz: »1. Sehen und Gesehenwerden, 2. gemeinsame Aufmerksamkeit<br />

gegenüber etwas Drittem, 3. emotionale Resonanz, 4. gemeinsames<br />

Handeln und 5. das wechselseitige Verstehen von Motiven und Absichten« (Bauer<br />

2006: 190 zit. n. ebd.).<br />

Wie durch ein Brennglas scheinen diese Erkenntnisse die Bedeutung von Emotionen<br />

in Lehr-Lern-Prozessen in der Basisbildung zu erhellen. Wenn nämlich die Voraussetzungen<br />

von Menschen, die Bildungsbenachteiligung erfahren haben, keine<br />

Beachtung finden, werden Lernaktivitäten mit großer Wahrscheinlichkeit zu Überforderung<br />

und Frustration führen. Die Interpretationsergebnisse zum Lehrhandeln<br />

haben gezeigt, dass die Kursleitenden die individuellen Voraussetzungen der Teilnehmenden<br />

ernst nehmen. Die Lehr-Lern-Prozesse in den untersuchten Basisbildungskursen<br />

beruhen auf tragfähigen Beziehungen. Hierin liegt eine besondere Qualität<br />

dieses Angebotes. Auf Seiten der Kursleitenden ist es die Zuwendung zu jeder<br />

einzelnen Teilnehmerin und jedem einzelnen Teilnehmer, die das Setzen individuell<br />

abgestimmter didaktischer Handlungen ermöglicht (Abstimmungs- und Aushandlungsprozesse).<br />

Erst wenn sich Kursleitende tatsächlich auf Teilnehmende einlassen,<br />

sie wirklich wahrnehmen, sich ihnen zuwenden, dann können sie adäquate didaktische<br />

Handlungen setzen. Es bedeutet, das Gegenüber in ihrer/seiner Ganzheit<br />

tatsächlich kennen zu lernen. Insgesamt zeigt sich, dass die Kursleitenden ein positives<br />

Bild einer Lehrerin/eines Lehrers verkörpern, die Bedürfnisse der Teilnehmenden<br />

werden wahrgenommen und dem Lehrhandeln zugrunde gelegt. Die Bindung<br />

zwischen Kursleitenden und Teilnehmenden hat demnach gute Gründe. Auf Seiten<br />

der Teilnehmenden bedarf es einer vertrauensvollen Hinwendung, um sich mit den<br />

jeweiligen Bedarfen/Bedürfnissen anvertrauen zu können – ein Teilnehmer hat er-<br />

- 341 -


zählt, dass er seine »Maske fallen« gelassen hat (Abschnitt 5.1.4) und ein Kursleiter<br />

hat beschrieben, dass er bei den Teilnehmenden »Offenheit« und »Zugänglichkeit«<br />

wahrnimmt (Abschnitt 5.2.1).<br />

Zeit und Basisbildung<br />

Die zeitliche Dimension ist ein Kernaspekt gelingender Lehr-Lern-Prozesse. Es bedarf<br />

entsprechender zeitlicher Ressourcen, um tragfähige Beziehungen einzugehen<br />

und die Basis sicherzustellen. Eine längerfristige Kursteilnahme ermöglicht die Abnahme<br />

unmittelbarer Bildungsbedarfe/-bedürfnisse, weil Fähigkeiten und Fertigkeiten<br />

zunehmen und individuelle Perspektiven sich erweitern können. Zu Beginn einer<br />

Kursteilnahme scheint es von Bedeutung zu sein, dass es sich um ein zeitlich nicht<br />

limitiertes Angebot handelt, weil das den Teilnehmenden die notwendige Zuversicht<br />

vermittelt, die Herausforderung begleitet bewältigen zu können. Gerade in Hinblick<br />

auf jüngere Erwachsene, die vielfach nicht ganz freiwillig teilnehmen, sind die ersten<br />

vier Monate eine heikle Phase – das scheint der Zeitrahmen zu sein, der notwendig<br />

ist, um einen tragfähigen Lernsinn entwickeln zu können. Es braucht Zeit, bis<br />

negative Erfahrungen mit Lernaktivitäten, die bei jüngeren Teilnehmenden durch<br />

die Nähe zum schulischen Lernen noch stärker präsent sind, überwunden und positiv<br />

besetzt werden können. Bei den erwachsenen Teilnehmenden hat sich gezeigt,<br />

dass hier im Großen und Ganzen keine Motivationsprobleme vorzufinden sind –<br />

angesichts der Interpretationsergebnisse zum Lehrhandeln und zu den Lernprozessen<br />

aus der Perspektive der befragten Teilnehmenden ist das kaum verwunderlich.<br />

Der Gemeinplatz, dass Bildung Zeit braucht, gilt für die Basisbildung im besonderen<br />

Maße. Die aktuell feststellbare Beschleunigungstendenz im Weiterbildungsbereich,<br />

212 dass in immer kürzerer Zeit immer mehr Wissen angehäuft werden muss,<br />

kommt (oberflächlich betrachtet) bildungsbegünstigten Personen entgegen, dieses<br />

Lernen mag zwar sinnlos, aber jedenfalls nicht bedrohlich sein. Für Menschen, die<br />

Bildungsbenachteiligung erfahren haben und Basisbildungsbedarfe/-bedürfnisse<br />

aufweisen, potenziert sich in kurzfristig angelegten Lernangeboten die Benachteiligung<br />

und daher dürften Lernanforderungen vorerst eher als Bedrohung wahrgenommen<br />

werden. Hier soll abschließend an Martin Wagenschein erinnert werden,<br />

für den es eine der grundlegenden Bedingungen für produktives Lernen war, »ZEIT<br />

WIE HEU« (Rumpf 2002: 16; Hervorh. i. Orig.) zu haben (siehe Abschnitt 3.1.1).<br />

Basisbildungsbedarfe/-bedürfnisse und arbeitsmarktpolitisch organisierte<br />

Schulungen<br />

Menschen, die Bildungsbenachteiligung erfahren haben und Basisbildungsbedarfe/<br />

-bedürfnisse aufweisen, haben ein moralisch zu argumentierendes Recht auf stärkende,<br />

förderliche Lehr-Lern-Prozesse, wofür ein angemessener zeitlicher Rahmen<br />

vorgesehen sein muss. Diese Menschen sollten nicht an verfehlten, überfordernden<br />

und somit unter Umständen erniedrigenden Weiterbildungsmaßnahmen<br />

teilnehmen müssen. Eine gefühlte Vergeudung von Lebenszeit in nicht adäqua-<br />

- 342 -


ten Weiterbildungsangeboten sollte nicht einfach hingenommen werden; der negative<br />

Einfluss solcher Gefühle auf die Einstellung zur Weiterbildung und auf die<br />

Wahrnehmung der eigenen Lernfähigkeit hat sich im Datenmaterial andeutungsweise<br />

gezeigt. Eine Forschungsarbeit, die diese nicht intendierten Wirkungen von<br />

verpflichtender Weiterbildung auf die Gefühle der davon betroffenen Teilnehmenden<br />

vertieft untersucht, wäre gerade in Hinblick auf die bildungspolitische Forderung<br />

nach lebenslangen Lernaktivitäten von Interesse. In diesem Zusammenhang<br />

muss auf die Potenziale des Arbeitsmarktservices (AMS) aufmerksam gemacht<br />

werden. Das AMS ist eine neuralgische Schnittstelle, weil der Kontakt mit Menschen,<br />

die Bildungsbenachteiligung erfahren haben, hier durchaus wahrscheinlich<br />

ist (siehe dazu Abschnitt 2.5). Der organisationale Auftrag des AMS ist in erster<br />

Linie die Vermittlung. In Wahrheit ist das AMS ein bedeutsamer Akteur in der<br />

Weiterbildungslandschaft – so standen im Jahr 2008 rund 882 Millionen Euro für<br />

aktive arbeitsmarktpolitische Maßnahmen zur Verfügung (vgl. Arbeitsmarktservice<br />

Österreich 2009: 29). Wenn Menschen, die Bildungsbenachteiligung erfahren<br />

haben, mit dem AMS in Kontakt kommen und in Schulungen geschickt werden,<br />

sollte dafür gesorgt werden, dass sie dort nicht wieder Ausschlusserfahrungen<br />

erleben müssen. Aus der Perspektive von bildungsbenachteiligten Menschen mit<br />

Basisbildungsbedarfen/-bedürfnissen scheint nachvollziehbar, welche Gründe sie<br />

dazu veranlassen, eine solche Fremdverfügung dennoch hinzunehmen: Sie sind in<br />

Sorge, bei Nichtbefolgung von Zuweisungen, Ansprüche zu verlieren oder andere<br />

Sanktionen zu erleiden; sie leiden unter mangelnder Aufklärung bzw. zu geringer<br />

Information aufgrund zeitlich limitierter Beratungsgespräche und des fehlenden<br />

Vertrauens in der Beratungssituation; ihnen fehlt das notwendige Selbstvertrauen,<br />

um Anweisungen in Frage zu stellen; ihnen fehlt das Wissen/Bewusstsein<br />

darüber, was sie stattdessen eher brauchen könnten bzw. können sie das eventuell<br />

gar nicht in Worte fassen; sie schämen sich, ihre Bildungsbedarfe/-bedürfnisse zu<br />

thematisieren, und der zeitliche Rahmen sowie die Belastung in der Beratungssituation,<br />

ausgelöst durch den Verlust der Erwerbsarbeit, wirken nicht unbedingt vertrauensbildend;<br />

sie haben die Hoffnung, in den arbeitsmarktpolitisch organisierten<br />

Angeboten tatsächlich etwas individuell Brauchbares zu erlernen (und werden<br />

eventuell enttäuscht); sie haben die Hoffnung, nach der Maßnahme wieder eine Erwerbsarbeit<br />

zu finden und halten durch (und werden eventuell enttäuscht); außerdem<br />

bedarf es der inneren Kraft und bestimmter Voraussetzungen, um Widerstand<br />

leisten und bewusst und selbstbestimmt handeln zu können. Personen mit günstigeren<br />

Voraussetzungen können Forderungen stellen und in einen Aushandlungsprozess<br />

über mögliche Angebote mit ihrer/ihrem Beraterin/Berater eintreten (das<br />

würde heißen, als Kundin/Kunde tatsächlich eine Dienstleistung einzufordern). 213<br />

Die Sollbruchstelle scheint hier die zeitliche Dimension der Beratungssituation zu<br />

sein: Der Zeitrahmen für so genannte Intensivberatungen ist vom befragten AMS-<br />

Vertreter mit 20 bis 25 Minuten angegeben worden und es wurde eingeräumt, dass<br />

tiefgründige Prozesse dort wohl eher nicht zustande kommen (vgl. Protokoll C, 5).<br />

- 343 -


Hiermit ist die Ressourcenfrage angesprochen. Aber: Das optimale Matching zwischen<br />

Person, Bedarf/Bedürfnis und Angebot betrifft ganz unmittelbar die pädagogische<br />

Qualität. Das erwachsenenpädagogische »Planungsprinzip der Passung«<br />

(Tietgens 1981: 196-200) verweist auf diese Aufgabe und kann als Qualitätskriterium<br />

verstanden werden. Allerdings: Das AMS gehorcht realiter und organisationskulturell<br />

betrachtet der betriebswirtschaftlichen Logik, der pädagogische Auftrag<br />

ist offenbar nachgeordnet. Da arbeitsmarktpolitisch organisierte Schulungen<br />

weiterhin stattfinden werden, wäre die Beachtung von erwachsenenpädagogischen<br />

Qualitätsstandards (Weiterbildungsberatung, Passung) notwendig, um den sinnvollsten<br />

Einsatz der finanziellen Mittel zu gewährleisten. Zuweisungen zu Maßnahmen<br />

sollten nicht allein auf betriebswirtschaftlichen Überlegungen beruhen.<br />

Durch den Kontakt mit dem AMS hat eine Personengruppe, die bislang vielfach<br />

von Weiterbildung ausgeschlossen war, die Möglichkeit, an Weiterbildung teilzunehmen.<br />

Das ist meines Erachtens eine große Chance. Allerdings beeinflusst die<br />

Logik des AMS (Vermittlung) die Qualität der Maßnahmen. Wenn das AMS Basisbildungsangebote<br />

finanziert und Personen zuweist, haben diese Angebote immer<br />

auch den Charakter eine Überbrückung und das (imaginierte) Ziel ist die Wiederaufnahme<br />

einer Erwerbstätigkeit (in diesem Zusammenhang stellt sich auch die<br />

Frage, welches Bildungsverständnis hier implizit vermittelt wird). Im Datenmaterial<br />

hat sich gezeigt, dass Personen, die nicht den Förderkriterien des AMS entsprechen,<br />

dennoch an AMS-finanzierten Basisbildungskursen teilnehmen. Das AMS<br />

sollte nicht unbedingt die Definitionsmacht über die Zielgruppe haben, sonst kann<br />

es zu Ausschlüssen von Personen in der Nacherwerbsphase, noch nie erwerbstätig<br />

gewesenen Personen und Personen mit Lernschwierigkeiten kommen; die untersuchten<br />

Basisbildungseinrichtungen sind tatsächlich Beispiele für nicht ausschließende<br />

Bildungsangebote im Sinne von Bildung für alle (siehe dazu Abschnitt<br />

5.4.3). Aktuell ist noch offen, wie in der Länder-Bund-Initiative zur Förderung<br />

grundlegender Bildungsabschlüsse für Erwachsene inklusive Basisbildung/Grundkompetenzen<br />

die Frage der Finanzierung und des Zugangs zu den Angeboten gelöst<br />

wird (siehe dazu Initiative Erwachsenenbildung 2009).<br />

Standardisierungen erscheinen problematisch<br />

Aus der Perspektive der befragten Teilnehmenden ist der Kurs als Lehr-Lern-Gefüge<br />

interpretiert worden, als ein variabel gestalteter und gestaltbarer Aktionsraum<br />

mit Strukturen, die Sicherheit vermitteln. Dieser Aktionsraum zentriert sich um<br />

die/den Teilnehmerin/Teilnehmer. Die tragfähigen Beziehungen zwischen Teilnehmenden<br />

und Kursleitenden ermöglichen Abstimmungs- und Aushandlungsprozesse.<br />

Abstimmungsprozesse erfolgen unter Beachtung der Voraussetzungen der<br />

Teilnehmenden. Durch diese individuell abgestimmte Förderung vollzieht sich die<br />

Stärkung, weil bestehende Schwächen ergründet und gemildert werden. Die Beteiligung<br />

der Teilnehmenden an der inhaltlichen Gestaltung der Lehr-Lern-Prozesse<br />

wird ebenfalls sichtbar, und zwar in Form von Aushandlungsprozessen zwischen<br />

- 344 -


Teilnehmenden und Kursleitenden, wodurch die Selbstbestimmung im Lernprozess<br />

gefördert wird. Solche Prozesse ermöglichen den Teilnehmenden die Herstellung<br />

einer inneren Gewissheit über die eigenen Lernanliegen. Das Potenzial der<br />

untersuchten Lehr-Lern-Prozesse liegt nun darin begründet, dass durch diese Prozesse<br />

Transparenz über das eigene Lernen hergestellt werden kann, und das wiederum<br />

ermöglicht die Entwicklung von Vertrauen in die eigene Lernfähigkeit. Es<br />

ist gerade dieser individuell bestehende Freiraum, diese ausgeprägte Orientierung<br />

an den Teilnehmenden, die eine Bewältigung der gefühlten und tatsächlichen Ausschlusserfahrungen<br />

ermöglicht. In diesem Zusammenhang soll an die Warnung von<br />

Jochen Kade erinnert werden: »Die Standardisierung von Kurszielen und Kursinhalten,<br />

die Ritualisierung von Methoden, der Aufbau eines Zertifikatssystems,<br />

die Bürokratisierung der Organisation etc. machen die Äußerungen individueller<br />

Produktivität – von Dozenten [Kursleitenden] und Teilnehmern [Teilnehmerinnen]<br />

– zur Peripherie.« (Kade 1982: 56)<br />

Diese Warnung ist alt, das Prinzip der Orientierung an den Teilnehmenden ist eine<br />

grundsätzliche Richtschnur im erwachsenenpädagogischen Handeln – jedoch: Für<br />

die Zielgruppe der Menschen, die Bildungsbenachteiligung erfahren haben und<br />

Basisbildungsbedarfe/-bedürfnisse aufweisen, ist diese Warnung aktuell und brisant.<br />

Denn das Potenzial der Basisbildungskurse liegt in eben diesem variabel gestalteten<br />

und gestaltbaren Aktionsraum. Standardisierungen bedrohen diesen Freiraum,<br />

weil sie wegführen von den lehrenden und lernenden Subjekten. So war<br />

interessant zu beobachten, dass sich die beiden untersuchten Einrichtungen hinsichtlich<br />

ihrer Größe voneinander unterscheiden und dass das Lehrhandeln in der<br />

kleineren Einrichtung etwas weniger routiniert abgelaufen ist und vor allem die<br />

Abstimmungsprozesse intensiver ausgefallen sind. Aus diesen Gründen möchte<br />

ich vor dem Einsatz von diagnostischen Verfahren warnen. Diagnostische Verfahren<br />

bergen nämlich die Verlockung, von einem einmal festgestellten Bedarf,<br />

einer festgestellten Schwäche auszugehen und das Lehrhandeln entsprechend zu<br />

planen und rasch umzusetzen; so befördern diagnostische Verfahren die Fremdbestimmungsanteile<br />

in Lehr-Lern-Prozessen. Kontinuierliche Abstimmungs- und<br />

Aushandlungsprozesse hingegen halten die Lehr-Lern-Prozesse transparent und<br />

gewährleisten die Nachvollziehbarkeit der Lernschritte und fördern dadurch die<br />

Selbstbestimmung im Lernen. Folglich ist auch »Lernen lernen« nicht ein Lerngegenstand,<br />

der zusätzlich vermittelt werden muss, sondern die Entwicklung von<br />

Lernfähigkeit vollzieht sich in der tätigen Auseinandersetzung und der begleiteten<br />

Aneignung. Außerdem basieren Abstimmungs- und Aushandlungsprozesse immer<br />

auf der aktiven Zuwendung zur/zum Teilnehmerin/Teilnehmer und nehmen das<br />

lernende Subjekt aufmerksam wahr. Das wiederum ist der Schlüssel für gefühlsbetonte,<br />

tragfähige Beziehungen. Eine Standardisierung birgt immer die Gefahr,<br />

die Potenziale der Menschen aus dem Blick zu verlieren. In diesem Zusammenhang<br />

muss vor der Gefahr einer Verschulung der Basisbildung gewarnt werden. So<br />

könnten Lehrinhalte in curricularer Form die Lehr-Lern-Prozesse in der Basisbil-<br />

- 345 -


dung dominieren und die individuellen Bedarfe, Bedürfnisse und Interessen – und<br />

somit die Förderung der Selbstbestimmung im Lernen – würden aus dem Blick geraten.<br />

In den untersuchten Lehr-Lern-Prozessen ist die Bedeutung des exemplarischen<br />

Lernens als Bindeglied zwischen Bildung und Lernen – »Bildendes Lernen«<br />

(Klafki 1996: 143) – evident geworden; die hieraus resultierenden Einsichten<br />

werden von Wolfgang Klafki als kategorial bezeichnet, weil sie gleichzeitig neue<br />

Wissensstrukturen, Zugangsweisen, Lösungsansätze oder Handlungsoptionen hervorbringen<br />

(vgl. ebd.: 144). Insgesamt muss die bildungstheoretische Frage thematisiert<br />

werden, welcher Bildungsbegriff der Basisbildung zugrunde gelegt wird.<br />

Das Bildungsverständnis, das in Einrichtungen von den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern<br />

gepflegt wird, und das dahinter stehende Menschenbild beeinflussen als<br />

Einstellungen und Haltungen das mikrodidaktische Geschehen und wirken sich auf<br />

die Interaktionen im Kursgeschehen aus. Das Potenzial von Basisbildung, das mit<br />

dem Konzept der vitalen <strong>Teilhabe</strong>, beruhend auf gelingenden Lehr-, Lern- und Bildungsprozessen,<br />

sichtbar geworden ist, gibt einen deutlichen Hinweis auf die Notwendigkeit,<br />

sich solchen Fragen in diesem Teilbereich der Erwachsenenbildung<br />

stärker zu stellen und Basisbildung weniger als Systembegriff zu betrachten.


7 Verzeichnis der verwendeten Literatur


7.1 Monografien, Beiträge in Zeitschriften 214 und in Sammelbänden<br />

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(Hg.): Handbuch Qualitative Forschungsmethoden in der Erziehungswissenschaft. Weinheim;<br />

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Tagungsband der 1. Österreichischen Konferenz für Berufsbildungsforschung,<br />

3./4. Juli 2008, Museum Arbeitswelt Steyr. Innsbruck; Wien; Bozen: 394-411.<br />

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Report. Literatur und Forschungsreport Weiterbildung. H. 4/2004.<br />

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Rheinberg, Falko (2006): Intrinsische Motivation und Flow-Erleben. In: Heckhausen, Jutta/Heckhausen,<br />

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(Hg.): Handbuch Kritische Pädagogik. Eine Einführung in die Erziehungs- und Bildungswissenschaft.<br />

2. Aufl. Weinheim; Basel: 19-28.<br />

Rumpf, Horst (2002): Die Verstopfung der Köpfe und das wirkliche Verstehen – Eine Einführung<br />

in die vorliegende Auswahl von Wagenschein-Texten. In: Martin Wagenschein: … »zäh am<br />

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Sattler, Elisabeth (2008): Chancengleichheit. In: Dzierzbicka, Agnieszka/Schirlbauer, Alfred<br />

(Hg.): Pädagogisches Glossar der Gegenwart. Von Autonomie bis Zertifizierung. 2. Aufl.<br />

Wien: 59-67.<br />

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Schiersmann, Christiane (1999): Zielgruppenforschung. In: Tippelt, Rudolf (Hg.): Handbuch Erwachsenenbildung,<br />

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Schiersmann, Christiane (2006): Profile lebenslangen Lernens. Weiterbildungserfahrungen und<br />

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Siebert, Horst (2001): Lehr-/Lernforschung. In: Arnold, Rolf/Nolda, Sigrid/Nuissl, Ekkehard<br />

(Hg.): Wörterbuch Erwachsenenpädagogik. Bad Heilbrunn/Obb.: 191-192.<br />

Siebert, Horst (2003): Didaktisches Handeln in der Erwachsenenbildung. Didaktik aus konstruktivistischer<br />

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Siebert, Horst (2004): Theorien für die Praxis. Bielefeld.<br />

Siebert, Horst (2005): Didaktik – mehr als die Kunst des Lehrens In: Report. Literatur- und Forschungsreport<br />

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Siebert, Horst (2006): Lernmotivation und Bildungsbeteiligung. Bielefeld.<br />

Siebert, Horst (2009): Theorieansätze in der Erwachsenenbildung. In: Magazin erwachsenenbildung.at.<br />

Das Fachmedium für Forschung, Praxis und Diskurs. Nr. 7-8. Online verfügbar:<br />

http://www.erwachsenenbildung.at/magazin/09-7u8/meb09-7u8.pdf [letzter Zugriff: 3. Dezember<br />

2009].<br />

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(Hg.): Pädagogische Theorien des Lernens. Weinheim; Basel: 176-187.<br />

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Theoriebildung in der empirischen soziologischen Forschung. 2. Aufl. München.<br />

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In: Schlutz, Erhard (Hg.): Erwachsenenbildung zwischen Schule und sozialer Arbeit. Einführende<br />

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und herausgegeben von Horst Rumpf. Seelze-Velber: 68-80.<br />

Wagenschein, Martin (2002 [1985]): Die Sprache zwischen Natur und Naturwissenschaft. In:<br />

Martin Wagenschein: … »zäh am Staunen«. Pädagogische Texte zum Bestehen der Wissensgesellschaft.<br />

Zusammengestellt und herausgegeben von Horst Rumpf. Seelze-Velber: 43-65.<br />

Wagner, Harald (2008): Sozialstrukturelle Unterprivilegierung und Funktionaler Analphabetismus.<br />

In: Schneider, Johanna/Gintzel, Ullrich/Wagner, Harald (Hg.): Sozialintegrative Alphabetisierungsarbeit.<br />

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Qualitative Forschung. Ein Handbuch. Reinbek bei Hamburg: 84-96.<br />

Yildiz, Erol (2007): Umgang mit Differenz. Die Migrationsgesellschaft im Kontext globaler Öff-<br />

- 360 -


nungsprozesse. In: Tschernokoshewa, Elka/Gransow, Volker (Hg.): Beziehungsgeschichten.<br />

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Yildiz, Erol (2009): Was heißt hier Parallelgesellschaft Von der hegemonialen Normalität zu<br />

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Zeuner, Christine/Faulstich, Peter (2009): Erwachsenenbildung – Resultate der Forschung. Entwicklung,<br />

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Zimbardo, Philip G./Gerrig, Richard J. (2004): Psychologie. 16. Aufl. München.<br />

Zirfas, Jörg (2007): Das Lernen der Lebenskunst. In: Göhlich, Michael/Wulf, Christoph/Zirfas,<br />

Jörg (Hg.): Pädagogische Theorien des Lernens. Weinheim; Basel: 163-175.<br />

7.2 Von Institutionen herausgegebene Materialien, Materialien<br />

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Alteneder, Wolfgang/Städtner, Karin/Wagner-Pinter, Michael (2009): Der österreichische Arbeitsmarkt<br />

im Jahr 2009. Eine Vorschau (AMS info 132, hrsg. vom Arbeitsmarktservice Österreich).<br />

Online verfügbar: http://www.forschungsnetzwerk.at/downloadpub/AMSinfo132_vorschau2009.pdf<br />

[letzter Zugriff: 22. Jänner 2010].<br />

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- 361 -


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Ausschuss der Regionen (Hg.) (2009): Arbeitsdokument der Fachkommission für Kultur, Bildung<br />

und Forschung im Ausschuss der Regionen, 18. Fachkommissionssitzung am 17. September<br />

2009 zum Thema »Abbau des Analphabetismus«. Eine ehrgeizige europäische Strategie gegen<br />

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Memorandum über lebenslanges Lernen der Europäischen Kommission (Materialien<br />

zur Erwachsenenbildung Nr. 5). Wien.<br />

Bundesministerium für Bildung, Wissenschaft und Kultur (Hg.) (2001c): Hintergrundbericht zum<br />

österreichischen Länderbericht. Memorandum über lebenslanges Lernen der Europäischen<br />

Kommission (Materialien zur Erwachsenenbildung Nr. 6). Wien.<br />

Bundesministerium für Bildung, Wissenschaft und Kultur (Hg.) (2005): Allgemeine und berufliche<br />

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Bundesministerium für Unterricht, Kunst und Kultur (Hg.) (2008): Wissen – Chancen – Kompetenzen.<br />

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Wien. Online verfügbar: http://www.bmukk.gv.at/medienpool/17475/lll_konsultationspapier.pdf<br />

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549 endgültig/2. Online verfügbar: http://ec.europa.eu/education/policies/2010/doc/progressreport06_de.pdf<br />

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LLL-Strategie für Österreich (2007): LLL-Strategie für Österreich bis 2010, in einer ersten Konsultation<br />

abgestimmte Vorschläge einer facheinschlägigen ExpertInnengruppe, Endfassung<br />

von Jänner 2007: Leitlinien einer kohärenten LLL-Strategie für Österreich bis 2010. Online<br />

verfügbar: http://l3lab.erwachsenenbildung.at/wp-content/uploads/lll-expertinnenpapier_end.<br />

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Putz, Sabine (2009): Arbeitsmarkt & Bildung – Jahreswerte 2008 (AMS info 128, hrsg. vom Arbeitsmarktservice<br />

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- 365 -


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des detaillierten Arbeitsprogramms zur Umsetzung der Ziele der Systeme der allgemeinen und<br />

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Schneeberger, Arthur (2005): Strukturwandel – Bildung – Employability (ibw-Bildung & Wirtschaft<br />

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Schneeberger, Arthur/Petanovitsch, Alexander/Schlögl, Peter (2008): Entwicklung und Stand der<br />

Erwachsenenbildung in Österreich. Länderbericht für die UNESCO 6th International Conference<br />

on Adult Education (CONFINTEA VI) (Materialien zur Erwachsenenbildung Nr. 1).<br />

Wien.<br />

Schreiber-Barsch, Silke (u.a.) (2005): Identitätskompetenz/Interkulturelle Kompetenz. Politische<br />

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Grundbildung (Projekt im Rahmen von Grundtvig 1). Flensburg. (Studientexte unter www.<br />

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Statistik Austria (Hg.) (2004): Lebenslanges Lernen. Ergebnisse des Mikrozensus Juni 2003.<br />

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Statistik Austria (Hg.) (2009a): Erwachsenenbildung 2007. Ergebnisse des Adult Education Survey<br />

(AES). Wien.<br />

Statistik Austria (Hg.) (2009b): Bildung in Zahlen 2007/08. Schlüsselindikatoren und Analysen.<br />

Wien.<br />

Vater, Stefan/Zwielehner, Peter (2009): Statistikbericht 2009 der Österreichischen Volkshochschulen<br />

für das Arbeitsjahr 2007/08. (VÖV Materialien 44/2009, hrsg. vom Verband Österreichischer<br />

Volkshochschulen, Pädagogische Arbeits- und Forschungsstelle). Wien.


8 Anhang


8.1 Interviews mit Teilnehmerinnen und Teilnehmern im Überblick<br />

Datum Dauer Code 218 Kurzbeschreibung<br />

Juli 2007 65 Min. TNin 1 Teilnehmerin 1 ist zum Zeitpunkt des Interviews 40 Jahre<br />

alt. Sie hat in ihrem Herkunftsland weniger als ein Jahr<br />

Schulbildung erhalten. Sie lebt seit 17 Jahren in Österreich.<br />

Sie nimmt seit zwei Jahren am Kurs teil und ist Erwerbsarbeit<br />

suchend.<br />

Juli 2007 60 Min. TNin 2 Teilnehmerin 2 ist 37, verfügt über einen in ihrem<br />

Herkunftsland erworbenen Pflichtschulabschluss. Sie lebt seit<br />

20 Jahren in Österreich. Sie nimmt seit zwei Monaten am Kurs<br />

teil und steht kurz vor Beginn einer beruflichen Ausbildung.<br />

Juli 2007 75 Min. TNin 3 Teilnehmerin 3, eine 54-jährige Pensionistin, die einen<br />

Sonderschulabschluss hat, nimmt seit drei Jahren am Kurs teil.<br />

Juli 2007 15 Min. TNin 4 Teilnehmerin 4 ist um die 40 Jahre alt. Sie hat die Pflichtschule<br />

abgeschlossen, hat eine Lehre abgebrochen. Sie nimmt seit<br />

zwei Jahren am Kurs teil und ist Erwerbsarbeit suchend.<br />

Juli 2007 60 Min. TNer 5 Teilnehmer 5 ist 48 Jahre alt. Er hat eine vierjährige<br />

Volksschule besucht. Er nimmt seit drei Jahren am Kurs teil.<br />

Er ist selbständiger Unternehmer.<br />

Juli 2007 50 Min. TNin 6 Teilnehmerin 6 ist 32 Jahre alt. Sie hat in ihrem Herkunftsland<br />

eine dreijährige schulische Bildung und eine handwerkliche<br />

Ausbildung erhalten. Sie lebt seit neun Jahren in Österreich.<br />

Sie nimmt seit neun Monaten an ihrem Kurs teil. Sie geht<br />

einer Teilzeitbeschäftigung im Dienstleistungsbereich nach.<br />

Juli 2007 45 Min. TNin 7 Teilnehmerin 7 ist 38 Jahre alt. Sie verfügt über einen<br />

Lehrabschluss. Sie nimmt seit ca. drei Monaten am Kurs teil.<br />

Sie befindet sich in einer AMS-Maßnahme (Umschulung) für<br />

den Wiedereinstieg.<br />

Juli 2007 15 Min. TNer 8 Teilnehmer 8 ist 28 Jahre alt. Er hat die Sonderschule besucht.<br />

Am Tag des Interviews hat er seine Teilnahme wieder<br />

aufgenommen. Er ist Erwerbsarbeit suchend.<br />

Juli 2007 30 Min. TNer 9 Teilnehmer 9 ist 35 Jahre alt. Er hat die Sonderschule besucht<br />

und danach eine berufliche Ausbildung (Lehre oder Anlehre)<br />

absolviert. Er nimmt seit zwei Monaten am Kurs teil. Er ist<br />

in einem Projekt beschäftigt, befindet sich in Therapie und<br />

bezieht eine Invaliditätspension.<br />

Juli 2007 30 Min. TNer 10 Teilnehmer 10 ist 40 Jahre alt. Er verfügt über einen<br />

Lehrabschluss. Er nimmt seit zwei Jahren an seinem Kurs teil.<br />

Er bezieht eine Invaliditätspension.<br />

Juli 2007 70 Min. TNin 11 Teilnehmerin 11 ist 38 Jahre alt. Sie verfügt über einen<br />

Pflichtschulabschluss. Sie nimmt seit einem Jahr am Kurs teil.<br />

Sie erhält eine Invaliditätspension.<br />

Juli 2007 35 Min. TNer 12 Teilnehmer 12 ist 19 Jahre alt. Er hat die Sonderschule<br />

besucht. Er nimmt seit drei Monaten am Kurs teil. Er ist in<br />

einem Qualifizierungsprojekt beschäftigt.<br />

Juli 2007 25 Min. TNer 13 Teilnehmer 13 ist 21 Jahre alt. Er hat die Sonderschule<br />

besucht. Er nimmt seit zwei Jahren am Kurs teil. Er ist im<br />

Dienstleistungsbereich beschäftigt, außerdem arbeitet er in<br />

der familieneigenen Landwirtschaft und der Werkstatt des<br />

Vaters mit.<br />

- 368 -


Juli 2007 35 Min. TNer 14 Teilnehmer 14 ist 35 Jahre alt. Er verfügt über einen<br />

Pflichtschulabschluss. Er nimmt seit elf Monaten am Kurs teil.<br />

Er ist Erwerbsarbeit suchend.<br />

Juli 2007 60 Min. TNer 15 Teilnehmer 15 ist 42 Jahre alt. Er hat die Sonderschule<br />

besucht, seine Lehre hat er kurz vor dem Lehrabschluss<br />

abgebrochen. Er nimmt seit acht Monaten am Kurs teil. Er ist<br />

im Dienstleistungsbereich beschäftigt.<br />

Juli 2007 70 Min. TNer 16 Teilnehmer 16 ist 25 Jahre alt. Er hat die Pflichtschule<br />

abgebrochen. Er verfügt über einen Lehrabschluss. Er<br />

nimmt seit einem Jahr am Kurs teil. Er ist in einem<br />

Sozialökonomischen Betrieb, der Beschäftigung und auch<br />

Qualifizierung anbietet, beschäftigt.<br />

Juli 2007 30 Min. TNer 17 Teilnehmer 17 ist 21 Jahre alt. Er hat die Sonderschule<br />

abgeschlossen. Er nimmt seit zwei Jahren am Kurs teil.<br />

Er absolviert in einer Einrichtung für Menschen mit<br />

Lernschwierigkeiten und Behinderung eine Ausbildung.<br />

Sept. 2007 50 Min. TNin 18 Teilnehmerin 18 ist 52 Jahre alt. Sie verfügt über einen<br />

Lehrabschluss. Sie nimmt seit sechs Monaten am Kurs teil.<br />

Sie ist Erwerbsarbeit suchend.<br />

Sept. 2007 45 Min. TNin 19 Teilnehmerin 19 ist 54 Jahre alt. Sie hat in ihrem Herkunftsland<br />

die achtjährige Pflichtschule absolviert. Sie lebt seit 18 Jahren<br />

in Österreich. Sie nimmt seit sieben Monaten am Kurs teil. Sie<br />

ist in einem Beschäftigungsprojekt für Frauen tätig.<br />

Sept. 2007 50 Min. TNin 20 Teilnehmerin 20 ist 47 Jahre alt. Sie verfügt über einen<br />

Pflichtschulabschluss. Sie hat ihre Lehre abgebrochen. Sie<br />

nimmt seit sechs Monaten am Kurs teil. Sie ist in einem<br />

Beschäftigungsprojekt, das Qualifizierung ermöglicht, tätig<br />

und bereitet sich auf die Lehrabschlussprüfung vor.<br />

Sept. 2007 25 Min. TNer 21 Teilnehmer 21 ist 18 Jahre alt. Er lebt seit 16 Jahren in<br />

Österreich und hat seine schulische Bildung in Österreich<br />

erhalten. Er hat die Sonderschule besucht. Am Tag des<br />

Interviews nimmt er zum ersten Mal am Kurs teil. Er ist in<br />

einem Qualifizierungsprojekt tätig.<br />

Sept. 2007 60 Min. TNer 22 Teilnehmer 22 ist 42 Jahre alt. Er hat die Sonderschule<br />

besucht. Er nimmt seit vier Jahren am Kurs teil. Er geht einer<br />

Beschäftigung im Dienstleistungsbereich nach.<br />

Nov. 2007 20 Min. TNin 23 Teilnehmerin 23 ist eine 74-jährige Pensionistin. Sie hat die<br />

Volksschule besucht. Sie nimmt seit elf Monaten am Kurs teil.<br />

Nov. 2007 25 Min. TNin 24 Teilnehmerin 24 ist 41 Jahre alt. Sie hat die Sonderschule<br />

besucht. Sie nimmt seit vier Jahren am Kurs teil. Sie bezieht<br />

eine Pension.<br />

- 369 -


8.2 Interviews mit Kursleiterinnen und Kursleitern im Überblick<br />

Datum Dauer Code 219 Kursleiter/in<br />

Juli 2007 60 Min. KLin A Kursleiterin A<br />

Juli 2007 90 Min. KLin B Kursleiterin B<br />

Juli 2007 60 Min. KLer C Kursleiter C<br />

Juli 2007 100 Min. KLer D Kursleiter D<br />

Juli 2007 50 Min. KLin E Kursleiterin E<br />

Juli 2007 45 Min. KLin F Kursleiterin F<br />

Juli 2007 60 Min. KLin G Kursleiterin G<br />

Juli 2007 50 Min. KLin H Kursleiterin H<br />

Nov. 2007 65 Min. KLin I Kursleiterin I<br />

8.3 Leitfaden für episodische Interviews mit den Teilnehmenden<br />

und Kurzfragebogen<br />

Als Einstieg ist die Einleitung situationsadäquat formuliert worden. Nach den einleitenden Worten<br />

ist die erste Frage als Erzählimpuls formuliert worden (»Erzählen Sie mir doch bitte, wie Sie<br />

zu diesem Kurs gekommen sind, wie war denn das«).<br />

Danke für Ihre Bereitschaft, mit mir ein Gespräch zu führen! Von Frau (Name der Kursleiterin)/<br />

Herrn (Name des Kursleiters) wissen Sie ja, dass ich heute zu Ihnen komme, um mit Ihnen ein<br />

Gespräch zu führen. Mein Forschungsprojekt beschäftigt sich mit der Bildung von Erwachsenen,<br />

also mit der Frage, warum und wie Erwachsene lernen. Ich werde unser Gespräch aufnehmen<br />

und das Gesagte vertraulich behandeln (Einschalten des Aufnahmegerätes). Zum Ablauf unseres<br />

Gesprächs: Ich interessiere mich für Ihre Erfahrungen und Ihre Sichtweisen als Teilnehmerin / als<br />

Teilnehmer an diesem Kurs und ich bitte Sie mir, davon zu erzählen! Ich werde nachfragen und<br />

weitere Fragen stellen, wenn ich darf.<br />

Können Sie mir bitte erzählen, wie Sie zu diesem Kurs gekommen sind<br />

Gibt es jemanden, der Sie bei Ihrer Entscheidung, an diesem Kurs teilzunehmen, unterstützt hat<br />

Wenn ja, erzählen Sie mir bitte von dieser Unterstützung.<br />

Gab es Reaktionen auf Ihre Kursteilnahme von Ihrer Familie oder im Freundeskreis oder wo Sie<br />

arbeiten Erzählen Sie mir bitte von diesen Reaktionen.<br />

Können Sie mir die Erwartungen beschreiben, die Sie gehabt haben<br />

[wie vom Kurs erfahren, Entscheidung: Auslöser/Erlebnis, Bruch/Übergang, Unterstützung durch<br />

wen und warum, Reaktionen im Umfeld] 220<br />

Können Sie mir eine Situation beschreiben, in der Sie gemerkt haben, dass Sie das Lesen und<br />

Schreiben und Rechnen auffrischen möchten Ersatzfrage/Vertiefungsfrage: Gab es für Sie Situationen,<br />

wo Sie Schwierigkeiten hatten<br />

- 370 -


[schulische Erfahrungen – Lernbiografie, Problembewusstsein – gefühlte/tatsächliche Ausschlüsse,<br />

Erwartungen an den Kurs, Bedarf]<br />

Können Sie sich an das Erstgespräch erinnern Können Sie mir die Situation beschreiben<br />

Erzählen Sie mir bitte von Ihrem ersten Kurstag.<br />

[Wahrnehmung des Angebotes]<br />

Erzählen Sie mir bitte, woran Sie persönlich im Kurs arbeiten.<br />

[Lerninhalte]<br />

Können Sie mir bitte eine Kurssituation beschreiben, in der Sie sich sehr wohl gefühlt haben. Erzählen<br />

Sie mir bitte, warum das so war.<br />

Können Sie mir bitte eine Kurssituation beschreiben, in der Sie sich nicht wohl gefühlt haben. Erzählen<br />

Sie mir bitte, warum das so war.<br />

[Kursleiter/in, Gruppe, Didaktik+Methodik/WIE]<br />

Beschreiben Sie mir eine Situation im Kurs, in der Sie beim Lernen ein Erfolgserlebnis hatten.<br />

Beschreiben Sie mir eine Situation im Kurs, wo scheinbar nichts funktioniert hat und Sie nicht<br />

weitergekommen sind. (Und wie ging es dann weiter)<br />

[Lernen, Lernerfolg – Entwicklung/Förderung von Lernkompetenz]<br />

Beschreiben Sie mir bitte eine Situation, in der Sie Freude am Lernen hatten.<br />

Beschreiben Sie mir bitte eine Situation, in der Sie Schwierigkeiten beim Lernen hatten.<br />

Fällt Ihnen das Lernen eher schwer oder tun Sie sich leicht damit<br />

[Lernen – biografische Dimension]<br />

Sie besuchen ja jetzt diesen Kurs. Hat sich bei Ihnen durch den Kurs etwas verändert Bitte erzählen<br />

Sie mir von diesen Veränderungen. Können Sie mir ein Beispiel nennen Können Sie mir<br />

eine Situation schildern<br />

[Veränderung durch den Kurs/Auswirkungen, Anwendung von Gelerntem im Alltag, neue Handlungsmöglichkeiten,<br />

Erleichterung im Alltag]<br />

Gibt es noch etwas, das Sie mir erzählen möchten Oder möchten Sie noch etwas ergänzen<br />

Kurzfragebogen<br />

Der Kurzfragebogen ist nach dem Abschluss des episodischen Interviews zur Anwendung gelangt.<br />

Das Aufnahmegerät ist während der Frage-Antwort-Sequenzen mitgelaufen. Der Kurzfragebogen<br />

hat zur Erhebung von lebensgeschichtlichen Eckdaten gedient.<br />

Code für TeilnehmerIn: TNin / TNer (Nummer)<br />

Datum und Ort des Interviews:<br />

Dauer des Interviews:<br />

- 371 -


Alter<br />

Wo geboren<br />

Wo aufgewachsen<br />

Seit wann in Österreich<br />

Familienstand [Ehe/Partnerschaft, bei den Eltern, allein, in einer WG]<br />

Falls PartnerIn: erlernter/ausgeübter Beruf<br />

Kind/er [eigene oder die vom/n Partner/in] – falls Kind/er: Alter/Schule/Ausbildung/Beruf<br />

Eigene Eltern [Bildungsstand, berufliche Ausbildung/berufliche Tätigkeiten]:<br />

Eigene schulische Laufbahn [Abschluss]:<br />

Eigene berufliche Ausbildung/en:<br />

Eigene berufliche Tätigkeiten / bei Arbeitssuche – was<br />

Frühere Erfahrungen mit Weiterbildung [Lernen am Arbeitsplatz, Einschulung, Führerschein,<br />

Mal- oder Bastelkurse, Computer,…]:<br />

Wie lange schon im Kurs Wie lange noch geplant zu kommen<br />

Weitere Kurse geplant/vorgesehen<br />

8.4 Leitfaden: Kursleiterinnen und Kursleiter<br />

Folgender Leitfaden ist für die Interviews mit den Kursleiterinnen und Kursleitern verwendet<br />

worden. Die Kursleitenden sind über das Forschungsvorhaben informiert gewesen und somit fielen<br />

die einleitenden Worte relativ knapp aus.<br />

Danke für Ihre Bereitschaft, mit mir ein Gespräch zu führen! Ich werde unser Gespräch aufnehmen<br />

und das Gesagte vertraulich behandeln. Zum Ablauf unseres Gesprächs: Ich interessiere<br />

mich für Ihr Wissen, Ihre Erfahrungen und Sichtweisen, dazu habe ich auch einige Fragen vorbereitet.<br />

Ich werde gegebenenfalls nachfragen und zur Vertiefung noch weitere Fragen stellen,<br />

wenn ich darf.<br />

Erzählen Sie mir doch bitte, wie Sie zu Ihrer Tätigkeit hier in der Grundbildungseinrichtung gekommen<br />

sind.<br />

Bitte beschreiben Sie mir aus Ihrer Sicht die drei wichtigsten Fähigkeiten bzw. Eigenschaften für<br />

Ihre Tätigkeit und geben Sie mir jeweils ein konkretes Beispiel.<br />

Bitte beschreiben Sie mir einen typischen Kursablauf.<br />

Geben Sie mir bitte Beispiele, wie Sie das Lernen der Teilnehmerinnen und Teilnehmer fördern.<br />

[Methoden, auch PC, selbstgesteuertes Lernen]<br />

Erzählen Sie mir bitte von Situationen, in denen Teilnehmende nicht weiterkommen und Unterstützung<br />

brauchen – wie gehen Sie mit solchen Situationen um Bitte geben Sie mir Beispiele<br />

- 372 -


aus Ihren Kursen.<br />

Denken Sie an Ihre Kursgruppe/n und erzählen Sie mir von den Gründen, die Ihre Teilnehmerinnen<br />

und Teilnehmer zur Teilnahme bewegt haben.<br />

[Biografien – Berufs- und Bildungsbiografien, Unterstützung, Anlässe, Auslöser, Unterschiede im<br />

Alter, Männer/Frauen]<br />

Gesellschaftliche <strong>Teilhabe</strong> meint die Beteiligung am sozialen, kulturellen, politischen und wirtschaftlichen<br />

Leben. Bitte beschreiben Sie mir Kursinhalte oder Übungen, die zu diesem Ziel beitragen.<br />

Gibt es Lerninhalte, die von den Teilnehmerinnen und Teilnehmern eingefordert bzw. in den Kurs<br />

eingebracht werden (Um Beispiele bitten)<br />

[Beispiele für Bildungsbedarf, Wünsche, selbstbestimmtes Lernen]<br />

Stellen Sie Veränderungen an ihren Teilnehmerinnen und Teilnehmern fest (falls ja) Bitte beschreiben<br />

Sie mir Veränderungen, die Sie im Lauf der Zeit bei Ihren Teilnehmerinnen und Teilnehmern<br />

feststellen. Bitte geben Sie mir konkrete Beispiele, woran merken Sie diese Veränderungen<br />

[Auswirkungen, Handlungsmöglichkeiten, Entwicklung]<br />

Bitte ergänzen Sie: Meine Teilnehmerinnen und Teilnehmer durch Bildung zu stärken, bedeutet<br />

für mich…<br />

Gibt es noch etwas, das Sie mir erzählen möchten Oder möchten Sie noch etwas ergänzen<br />

8.5 Themenkatalog: offenes Interview mit Sozialarbeiterin<br />

Vielen Dank für deine Bereitschaft, mit mir ein Gespräch zu führen. Du kennst ja mein Forschungsvorhaben:<br />

Mich interessiert, wie die Zugänge zum Kurs aussehen (Anlässe, die zur Teilnahme<br />

führen), das Lernen der Teilnehmerinnen und Teilnehmer in den Kursen (was passiert in<br />

den Kursen) und Auswirkungen der Kurse (Veränderungen). Ich habe schon ungefähr 20 Interviews<br />

mit Teilnehmerinnen und Teilnehmern geführt. Ich habe bereits acht Interviews mit Kursleiterinnen<br />

und Kursleitern geführt, die deine Tätigkeit als sehr wichtig für die Grundbildung beschrieben<br />

haben.<br />

Ich möchte dich nun bitten, dass du mir von deiner Tätigkeit erzählst. Bitte erzähle einfach frei<br />

und offen von deinen Erfahrungen und Sichtweisen. Am Ende möchte ich gerne noch nachfragen,<br />

wenn ich darf.<br />

Nachfragen:<br />

Namensgebung der Sozialberatung innerhalb der Einrichtung Seit wann besteht das Angebot<br />

- 373 -


Wie wurde der Bedarf »entdeckt« Finanzierung<br />

Erfahrungen mit dieser Zielgruppe zuvor<br />

Notwendige Eigenschaften bzw. Fähigkeiten für diese Tätigkeit<br />

Themen und Anliegen der Teilnehmerinnen und Teilnehmer bzw. Klientinnen und Klienten Gibt<br />

es typische Themen und Anliegen (Frauen, Männer, Lebensalter, Lebensgeschichte,…)<br />

Zugang zur Beratung und Verlauf der Gespräche/Beratungen<br />

Eher anlassbezogene oder kontinuierliche Kontakte<br />

Positiv verlaufende Beratungen<br />

Stagnierende Beratungen<br />

8.6 Fragenkatalog für die Datenerhebung: …ein Jahr später<br />

Zur Vorbereitung des Besuchs der Einrichtung A (Jour fixe) ist vorab folgender Fragenkatalog (inklusive<br />

einer Aufstellung aller befragten Teilnehmerinnen und Teilnehmer) übermittelt worden:<br />

Für meine Forschungsarbeit möchte ich gerne in Erfahrung bringen, wie es meinen Interviewpartnerinnen<br />

und Interviewpartnern in der Zwischenzeit ergangen ist bzw. wie es ihnen aktuell in der<br />

Schulung (im Kurs) geht.<br />

Ich hoffe auf Ihre/Deine Unterstützung, um diesen Fragen ein bisschen nachgehen zu können. Insbesondere<br />

würden mich folgende Aspekte (so sie bekannt sind natürlich!) interessieren:<br />

• Sind die vor ca. einem Jahr Befragten noch bei Ihnen/Euch in der Schulung (im Kurs)<br />

• Wenn ja:<br />

• Wie geht es ihnen persönlich<br />

• Gibt es Veränderungen im Berufsleben wie beispielsweise:<br />

Erwerbsarbeit (wieder) aufgenommen, Jobwechsel oder vom<br />

Beschäftigungsprojekt in den »1. Arbeitsmarkt« oder<br />

Beschäftigungsprojekt verlängert u.Ä.<br />

• Wie geht es ihnen in Bezug auf ihre Lernfortschritte und ihre<br />

Lernerfolge<br />

• Wenn nein: Welche Gründe gibt es für die Beendigung der Teilnahme Wurde die Teilnahme<br />

aus eigenen Stücken beendet (»genug gelernt«, für Job ausreichend) Musste die Teilnahme<br />

wegen ungünstiger Rahmenbedingungen beendet werden (z.B. von AMS in andere Maßnahme<br />

geschickt worden) Oder sind zeitliche Gründe (z.B. wegen aufgenommener Erwerbsarbeit)<br />

dafür verantwortlich Gab es ein »Wegbrechen«/«Wegbleiben« und welche Vermutungen<br />

bestehen dazu<br />

- 374 -


• Gibt es unter den befragten TeilnehmerInnen auch Personen, die ein zusätzliches oder weiterführendes<br />

Bildungsangebot besuchen wie z.B. berufliche Aus- oder Fortbildung, Hauptschulabschluss<br />

nachholen, andere Kurse der Erwachsenenbildung<br />

• Was ist noch bedeutsam und erzählenswert<br />

8.7 Leitfaden für das Interview mit dem AMS-Vertreter<br />

Der Leitfaden und eine Information über das Forschungsvorhaben sind mit der Bitte um ein Interview<br />

an den Geschäftsführer der Landesgeschäftsstelle (LGS) des AMS übermittelt worden.<br />

Der Leitfaden ist dann dem Interviewpartner, einem Vertreter der LGS, vorab übermittelt worden.<br />

Seit welchem Zeitpunkt investiert das AMS in Schulungen für Erwerbsarbeitslose (bundespolitischer<br />

und arbeitsmarktpolitischer Hintergrund)<br />

Wie ist diese »Schulungslandschaft« organisiert (Finanzierung, Träger/Einrichtungen)<br />

Wie erfolgt die Zuweisung von KundInnen zu Schulungen Wer entscheidet über die Zuweisung<br />

Werden diesbezüglich Kriterien beachtet (Abläufe)<br />

Wie laufen Beratungsgespräche mit KundInnen ab (Zeitrahmen, Besprechung von Optionen)<br />

Wird in der Beratungssituation berücksichtigt/erhoben, welchen möglichen Weiterbildungsbedarf<br />

die KundInnen haben<br />

Welchen Stellenwert hat das Thema Grundbildung innerhalb des AMS<br />

Sind mögliche Grundbildungs«defizite« von KundInnen ein Thema für BeraterInnen (beispielsweise<br />

bei internen Fortbildungen für BeraterInnen)<br />

Trägt das AMS dafür Sorge, dass BeraterInnen über relevante Informationen (beispielsweise Organisation<br />

XY) verfügen<br />

Wird KundInnen mit einer anderen Erstsprache/Deutschbildungsbedarf die Teilnahme an einem<br />

Deutschkurs ermöglicht Wenn ja, seit wann Und unter welchen Bedingungen<br />

Gäbe es die Möglichkeit, bei (Wieder-)Aufnahme einer Erwerbstätigkeit Lernzeiten zu bezahlen<br />

(Lohnausgleich für Arbeitgeber/innen), um die Fortsetzung der Teilnahme an einem Grundbildungskurs<br />

zu ermöglichen/gewährleisten<br />

- 375 -


8.8 Transkriptionsregeln für die Interviews<br />

• Neue Zeile bei Sprecher/innen-Wechsel<br />

• Gleichzeitig Gesprochenes wird unterstrichen<br />

• Dialektausdrücke werden beibehalten, ansonsten Annäherung an gemäßigte Schriftsprache<br />

• Satzstellung wie im gesprochenen Original<br />

• Verwendung der Groß- und Kleinschreibung und der Interpunktion gemäß dem Gesprochenen<br />

• (unverständlicher Satzteil) kennzeichnet einen unverständlichen Satzteil<br />

• Nicht mit Sicherheit verstandenes Wort bzw. nicht zur Gänze verstandener Satzteil wird in<br />

Klammer gesetzt<br />

• Äußerungen bzw. Nuancen werden in Klammer gesetzt: (sie lacht), (räuspert sich), (klingt stolz)<br />

etc.<br />

• Großbuchstaben für betonte WÖRTER<br />

• / kennzeichnet kürzere Sprechpause, // kennzeichnet längere Sprechpause<br />

• Ergänzende Erläuterungen und Erklärungen, beispielsweise non-verbale Gesten der Interviewpartnerinnen<br />

und Interviewpartner sowie Vermutungen, Erklärungen u.Ä., werden in Klammer<br />

beigefügt: (gemeint ist die Mutter), (gemeint ist vor dem Kurs) etc.<br />

Im Kopfteil der Transkripte 221 der Interviews mit den Teilnehmenden sind folgende Aspekte systematisch<br />

dokumentiert worden:<br />

Code: TNin bzw. TNer (TNin = Teilnehmerin, TNer = Teilnehmer) plus fortlaufende Nummerierung<br />

von 1 bis 24, Bundesland<br />

Ort: an dem das Interview durchgeführt wurde; Datum, Dauer und Uhrzeit: Dauer des Interviews<br />

sowie Beginn und Ende der Begegnung; Geschlecht und Alter<br />

Kursteilnahme: Anmerkungen zur Kursteilnahme, Dauer, Häufigkeit, Trainer/innenwechsel<br />

(meist gleich bedeutend mit Wechsel vom Einzel- zum Gruppenkurs bzw. umgekehrt) etc.<br />

Migrationshintergrund: Beschreibung des Migrationshintergrundes (Herkunftsland, Alphabetisierung<br />

in der Erstsprache, Dauer des Aufenthaltes in Österreich, Erlernen der Zweitsprache<br />

Deutsch)<br />

Lebenssituation: Dokumentation bemerkenswerter Fakten und Episoden<br />

Schulbildung und berufliche Erstausbildung: Eckdaten<br />

Berufstätigkeit: bisherige und aktuelle Tätigkeiten<br />

Gesprächsverlauf: Einschätzungen der Forscherin und der Transkripteurin<br />

Anmerkungen: ergänzende Einschätzungen der Forscherin und der Transkripteurin, wie beispielsweise<br />

wiederkehrende Themen, Stimmungen oder ein vorhandener roter Faden<br />

Auch die Transkripte der Interviews mit den Kursleiterinnen und Kursleitern sind mit einem entsprechenden<br />

Kopfteil versehen worden:<br />

Code: KLin bzw. KLer A bis I (KLin = Kursleiterin, KLer = Kursleiter), Bundesland<br />

Ort: an dem das Interview durchgeführt wurde; Datum, Dauer und Uhrzeit: Dauer des Interviews<br />

- 376 -


sowie Beginn und Ende der Begegnung; Tätigkeit als Kursleiterin bzw. Kursleiter (Ausbildungen;<br />

berufliche Tätigkeiten)<br />

Gesprächsverlauf: Einschätzungen der Forscherin und der Transkripteurin<br />

Anmerkungen: ergänzende Einschätzungen der Forscherin und der Transkripteurin<br />

8.9 Regeln für die Belege des Datenmaterials<br />

In der Darstellung der Interpretationsergebnisse kommen vor allem die Interviewpartner/innen zu<br />

Wort, und zwar mittels wörtlicher Zitate aus den Interviews; stellenweise werden Inhalte auch paraphrasiert.<br />

Folgende Regeln gelten für die Belege aus den Interviews:<br />

• Veränderungen von wörtlichen Zitaten werden mit eckigen Klammern gekennzeichnet. […]<br />

für Auslassungen und [Einfügungen]. Veränderungen werden nur begründet vorgenommen:<br />

Auslassungen, insbesondere für notwendige Anonymisierungen (Personen, Orte,…) und in<br />

Hinblick auf die leichtere Lesbarkeit (unvollständige, keine Inhalte transportierende Satzteile<br />

werden fallweise ausgelassen); ergänzende Erläuterungen bzw. Erklärungen werden stellenweise<br />

vorgenommen, um die Nachvollziehbarkeit der Inhalte zu gewährleisten.<br />

• Ein unverständlicher Satzteil ist mit (unverständlicher Satzteil) gekennzeichnet.<br />

• Zur Kennzeichnung des Sprecher/innen-Wechsels steht (T) für die Teilnehmenden bzw. (K)<br />

für die Kursleitenden und (I) für die Interviewerin.<br />

• Ein Beleg für ein wörtliches Zitat mit einer Teilnehmerin sieht wie folgt aus (TNin4, 25-30).<br />

Dieser Beleg verweist auf das Transkript des mit Teilnehmerin 4 geführten Interviews und umfasst<br />

die Zeilen 25 bis 30. An der Abkürzung ist zu erkennen, ob es sich um eine Frau (TNin)<br />

oder einen Mann (TNer) handelt.<br />

• Ein Beleg für ein wörtliches Zitat mit einer Kursleiterin sieht wie folgt aus (KLinA, 330). Dieser<br />

Beleg verweist auf das Transkript des mit Kursleiterin A geführten Interviews und bezieht<br />

sich auf die Zeile 330. An der Abkürzung ist zu erkennen, ob es sich um eine Frau (KLin) oder<br />

einen Mann (KLer) handelt. Dieses Belegmuster gilt analog für das mit der Sozialarbeiterin<br />

geführte Interview (Soz.arb.).<br />

• Wörtliche Zitate, die mehr als 40 Wörter umfassen, werden eingerückt. Kürzere wörtliche Zitate<br />

finden sich direkt im Fließtext.<br />

• Datenbasierte Zusammenfassungen (Paraphrasen) oder datenbasierte Interpretationen werden<br />

mit vgl. gekennzeichnet (vgl. TNin23, 18-26).


Anmerkungen<br />

1 Der 8. September wurde von der UNESCO auf der Weltkonferenz der Erziehungsminister<br />

1965 in Teheran als Internationaler Alphabetisierungstag bestimmt (vgl. Giere 2005: 24).<br />

2 Begleitende Evaluation der Lehrgänge zur Vorbereitung auf den Hauptschulabschluss (von<br />

2004 bis 2007) und Evaluation der Grundbildungskurse (2007) im Auftrag der Kärntner Volkshochschule<br />

Grundbildung; Evaluation des Ziel 3 Projektes BildungseinsteigerInnen des Vereines<br />

BiKoo – Bildungskooperative Oberes Waldviertel (<strong>Kastner</strong> 2006); Mitarbeit an der<br />

Entwicklung eines Konzeptes für betriebliche Grundbildungsangebote für ungelernte und angelernte<br />

Arbeiterinnen im Rahmen der EQUAL-Entwicklungspartnerschaft In.Bewegung im<br />

Teilprojekt der Kärntner Volkshochschulen und wissenschaftliche Begleitung der Umsetzung<br />

dieses Teilprojektes Bildung wieder entdecken (siehe <strong>Kastner</strong>/Penz 2007; <strong>Kastner</strong> 2008).<br />

3 Ein von Anke Grotlüschen und Andrea Linde (2007) herausgegebener Sammelband dokumentiert<br />

mit dem als Frage formulierten Titel »Literalität, Grundbildung oder Lesekompetenz«<br />

Aspekte zum Stand von Theorie und Praxis der Grundbildung in Europa (Grotlüschen/<br />

Linde 2007). In Deutschland startete Anfang 2008 ein groß angelegtes Forschungsverbundvorhaben:<br />

alphabund. Forschung zur Alphabetisierung & Grundbildung (siehe dazu Alfa-Forum<br />

Nr. 68/2008); eine Vielzahl an Projektberichten und forschungsbezogenen Publikationen<br />

zum Thema Alphabetisierung und Grundbildung in Deutschland ist zu erwarten. DIE,<br />

die Zeitschrift für Erwachsenenbildung, hat dem Thema Alphabetisierung einen Schwerpunkt<br />

gewidmet (H. 1/2009). Report, die Zeitschrift für Weiterbildungsforschung, hat aus<br />

Anlass des Forschungsverbunds zur Alphabetisierung/Grundbildung ein Themenheft veröffentlicht<br />

(H. 4/2009).<br />

4 Konzeptionell anregend war diesbezüglich insbesondere die Untersuchung von Joachim<br />

Ludwig mit dem programmatisch anmutenden Titel »Lernende verstehen« (2000), weil hier<br />

exemplarisch subjektive Begründungen und Handlungen von drei Lernenden im Kontext<br />

von spezifischen (betrieblichen) Anforderungen mittels Fallstudien untersucht werden (Ludwig<br />

2000).<br />

5 Folgende Lernformen werden aktuell differenziert: formale Lernaktivitäten im regulären<br />

Schul- und Hochschulsystem, die zu anerkannten Abschlüssen führen; nicht-formales Lernen,<br />

das insbesondere Lernaktivitäten in Angeboten der Erwachsenen-/Weiterbildung sowie angeleitetes<br />

Lernen am Arbeitsplatz umfasst; informelle Lernaktivitäten, die intentional erfolgen,<br />

beispielsweise die Lektüre von Fachzeitschriften oder das zielgerichtete Lernen von Kolleginnen<br />

und Kollegen (vgl. Statistik Austria 2009a: 84f.). Das Lernen »en passant« (Reischmann<br />

1995: 200) ist eine weitere Lernform. Dieses Lernen geht nicht auf eine Lernintention als solche<br />

zurück, sondern vollzieht sich gleichsam als Nebenprodukt einer nicht auf Lernen abzielenden<br />

Handlung (vgl. ebd.: 201).<br />

6 Diese erneute Datenerhebung wurde mit Hilfe der bereits befragten Kursleitenden, die als<br />

Auskunftspersonen dienten, vorgenommen. Diese Vorgangsweise war pragmatischen Gründen<br />

geschuldet: Die personellen und finanziellen Grenzen des Forschungsvorhabens hatten<br />

es nicht erlaubt, alle befragten Teilnehmenden noch einmal zu kontaktieren und zu befragen.<br />

7 Die von Sigrid Nolda (2009) angestellten methodologischen Überlegungen – »Die innere<br />

- 379 -


Seite des Lernens einholen« – zur »Erforschung lebenslangen Lernens« und die darauf basierenden<br />

forschungsmethodischen Richtlinien müssten für weiterführende Forschungsvorhaben<br />

geprüft werden.<br />

8 Trotz aller berechtigten Kritik an der vergleichenden Leistungsfeststellung (siehe dazu<br />

Horvath 2008) ist dieses Sichtbarwerden des Einflusses der sozialen Herkunft auf die Bildungschancen<br />

von Kindern und Jugendlichen ein Verdienst von PISA – leider ist die konstruktive<br />

Wahrnehmung dieses Ergebnisses in der (bildungs-)politischen Diskussion bislang<br />

aber weitgehend ausgeblieben. Ganztags- und Gesamtschulen, die eine Verringerung des<br />

Einflusses sozialer Herkunft erzielen könnten (vgl. Bacher 2005: 57), sind in der österreichischen<br />

Bildungspolitik und in der Logik des österreichischen Schulsystems ganz offensichtlich<br />

nicht erwünscht.<br />

9 »Unter Kompensation wird das Nachholen versäumter Bildungsmöglichkeiten zu einem<br />

späteren Zeitpunkt verstanden. Dabei kann es sich um normalerweise verfügbare, aber nicht<br />

wahrgenommene Bildungsangebote oder aber um Angebote handeln, die nicht zur Verfügung<br />

gestanden haben.« (Nolda 2008: 30)<br />

10 Die Bibel in verschiedenen Übersetzungen findet sich auf dem »Bibleserver.com – Ihre Bibel<br />

im Netz« (www.bibleserver.com). Hier können Bibelstellen – in diesem Fall Matthäus<br />

25 nach der Übersetzung von Martin Luther in der revidierten Fassung von 1984 – nachgelesen<br />

werden.<br />

11 UNESCO und OECD entwickelten eine Sichtweise, die die Notwendigkeit lebenslangen Lernens<br />

betont, und propagierten seit den 1970er Jahren entsprechende Konzepte (vgl. Hof 2009:<br />

33-36; siehe dazu auch Abschnitt 2.<strong>1.2</strong>).<br />

12 Im Europäischen Rat treffen die Staats- und Regierungschefs der EU-Mitgliedstaaten mit<br />

dem Präsidenten der Europäischen Kommission zusammen (http://europa.eu/europeancouncil/index_de.htm).<br />

Der Rat der Europäischen Union, vielfach nur als Rat bezeichnet,<br />

ist gleichsam der Minister/innen-Rat (www.consilium.europa.eu) der Europäischen Union.<br />

Der Europarat hingegen ist ein Zusammenschluss von vorwiegend europäischen Ländern im<br />

Sinne eines Diskussionsforums (www.coe.int).<br />

13 In den analysierten Dokumenten fällt auf, dass die Formulierungen nicht geschlechtergerecht<br />

erfolgen, d.h., die männliche Form (z.B. »Bürger«) gilt offenbar für beide Geschlechter.<br />

Die noch nicht erfolgte Bewusstseinsbildung und Sensibilisierung für bedeutsame<br />

gesellschaftspolitische Themen zeigt sich auch in der Verwendung des Begriffs »Analphabetentum«,<br />

denn dieser Begriff verweist auf einen Mangel, auf etwas gänzlich Abwesendes,<br />

und ist dadurch defizitorientiert und stigmatisierend.<br />

14 Mit IT-Fertigkeiten sind generell die Fertigkeiten zum Umgang mit den neuen Informationsund<br />

Kommunikationstechnologien (IKT) gemeint. Im Kontext von Lehr-Lern-Prozessen ist<br />

vielfach die Rede von den neuen Medien.<br />

15 Der Einsatz von und der Umgang mit Informations- und Kommunikationstechnologien<br />

(IKT) setzt jedoch das Vorhandensein und die Zugänglichkeit der entsprechenden Geräte sowie<br />

der entsprechenden Bedienungsfähigkeiten voraus. Außerdem sind regionale Angebote<br />

in Bezug auf die soziale Kontrolle bestimmter Bildungsangebote (z.B. Alphabetisierungskurse)<br />

möglicherweise nicht ideal, wobei die Problematik der eingeschränkten Mobilität so-<br />

- 380 -


zial benachteiligter Gruppen, und hier vor allem der Frauen, wiederum durchaus für regionale<br />

Angebote spricht.<br />

16 Das ist ein bemerkenswerter Hinweis, ist doch die Gruppe der bildungsbenachteiligten Menschen<br />

mit vielfältigen Benachteiligungen konfrontiert, wobei insbesondere das Leben an<br />

oder unter der Armutsgrenze weitreichende und tiefgehende Belastungen mit sich bringt.<br />

17 Das Arbeitsmarktservice (AMS) ist vergleichbar mit der deutschen Bundesagentur für Arbeit<br />

(siehe dazu Abschnitt 2.5).<br />

18 Arbeitsmarktpolitische Maßnahmen, die auf die Aktivierung und die Wiedereingliederung<br />

von erwerbsarbeitslos gewordenen Personen abzielen, werden zumeist als Schulung bezeichnet.<br />

19 »Aktiver und demokratischer Bürger«: »Die kulturelle, wirtschaftliche, politisch/demokratische<br />

bzw. soziale <strong>Teilhabe</strong> von Bürgern an ihrer Gesellschaft und an ihrer Gemeinschaft.«<br />

(Europäische Kommission 2001: 32)<br />

20 »Soziale Eingliederung«: »Wenn Menschen uneingeschränkt am wirtschaftlichen und gesellschaftlichen<br />

Leben sowie am Leben als Bürgerinnen und Bürger teilhaben können, wenn<br />

ihnen ihr Zugang zu Einkünften und sonstigen (persönlichen, familiären, sozialen und kulturellen)<br />

Ressourcen einen Lebensstandard und eine Lebensqualität ermöglichen, die von<br />

der Gesellschaft, in der sie leben, als akzeptabel betrachtet werden, und wenn sie uneingeschränkt<br />

Zugang zu ihren Grundrechten haben.« (Europäische Kommission 2001: 35)<br />

21 »Beschäftigungsfähigkeit«: »Die Fähigkeit von Menschen, einen Arbeitsplatz zu finden:<br />

der Begriff bezieht sich nicht nur auf die Angemessenheit der Kenntnisse und Kompetenzen,<br />

sondern auch auf die Anreize und Möglichkeiten, die den betreffenden Personen bei<br />

der Arbeitssuche geboten werden.« (Europäische Kommission 2001: 32) »Anpassungsfähigkeit«:<br />

»Die Fähigkeit von Unternehmen und Beschäftigten, sich auf neue Technologien,<br />

neue Marktbedingungen und neue Arbeitsmuster einzustellen.« (ebd.)<br />

22 Artikel 14 »Recht auf Bildung«: »(1) Jede Person hat das Recht auf Bildung sowie auf Zugang<br />

zur beruflichen Ausbildung und Weiterbildung. (2) Dieses Recht umfasst die Möglichkeit,<br />

unentgeltlich am Pflichtschulunterricht teilzunehmen.« (Amtsblatt C 364/1-22 vom 18.<br />

Dezember 2000: 11)<br />

23 CEDEFOP ist das Europäische Zentrum für die Förderung der Berufsbildung mit Sitz in<br />

Thessaloniki.<br />

24 Der Ausschuss der Regionen ist die Versammlung der Regional- und Kommunalvertreter/innen<br />

der Europäischen Union (www.cor.europa.eu). Innerhalb des Ausschusses gibt es verschiedene<br />

Fachkommissionen, eine davon ist die Fachkommission für Kultur, Bildung und<br />

Forschung. Das hier zitierte Arbeitsdokument war Grundlage für die 18. Fachkommissionssitzung<br />

im September 2009.<br />

25 Beim Europäischen Rat von Lissabon (2000) war von Grundfertigkeiten und in der Mitteilung<br />

der Kommission mit dem Titel »Einen europäischen Raum des lebenslangen Lernens<br />

schaffen« (Europäische Kommission 2001) von Grundqualifikationen die Rede. In diesem<br />

Bericht wird nun von Schlüsselkompetenzen gesprochen.<br />

26 Die strategischen Leitlinien lauten: Lebensphasenorientierung, Lernende in den Mittelpunkt<br />

stellen, Life Long Guidance, Kompetenzorientierung und die Förderung der Teilnahme an<br />

- 381 -


Lebenslangem Lernen (vgl. LLL-Strategie für Österreich 2007: 10-19).<br />

27 Aktuell wird mit der »Initiative Erwachsenenbildung«, eine »Länder-Bund-Initiative zur<br />

Förderung grundlegender Bildungsabschlüsse für Erwachsene inklusive Basisbildung/<br />

Grundkompetenzen« (2009), ein Programm vorbereitet, das ein kostenfreies Nachholen von<br />

Bildungsabschlüssen (Sekundarstufe I und II) für bildungsbenachteiligte und nicht mehr<br />

schulpflichtige Personen in erwachsenengerechter Form ermöglichen soll (siehe Abschnitt<br />

3.2.4).<br />

28 Lorenz Lassnigg (2007) hat diesbezüglich eine interessante Berechnung angestellt: Die Forderung,<br />

dass gering qualifizierte Arbeitnehmer/innen über 40 Jahre eine Qualifikationsstufe<br />

höher kommen sollen, würde einen Finanzbedarf von etwa zwei Milliarden Euro ergeben<br />

(vgl. Lassnigg 2007: 20) – »dies würde etwa eine Verdoppelung der gesamten gegenwärtigen<br />

Mittel für Erwachsenenbildung erfordern« (ebd.).<br />

29 Das bildungstheoretische Konzept wird auch als bildungsdemokratisch bzw. humanistisch<br />

bezeichnet (vgl. Schreiber-Barsch/Zeuner 2007: 689).<br />

30 Mit der Einteilung in Generationen rekurrieren die Autorinnen auf Kjell Rubenson, der die<br />

erste Generation der Konzepte auf 1970 bis 1975 datierte, die zweite Generation auf 1990<br />

bis 1999 und den Beginn der dritten, noch unabgeschlossenen Generation, in das Jahr 2000<br />

verlegte (vgl. Schreiber-Barsch/Zeuner 2007: 688).<br />

31 UNESCO steht für United Nations Educational, Scientific and Cultural Organization (www.<br />

unesco.org).<br />

32 OECD steht für Organisation for Economic Co-Operation and Development (www.oecd.<br />

org).<br />

33 In diesem Buch (Dauber/Verne 1976: 15-18) findet sich ein Reprint des »Manifests von Cuernavaca«<br />

über den »Preis lebenslanger Erziehung«.<br />

34 Für das Thema der vorliegenden Arbeit ist selbstverständlich Paulo Freire mit seiner »Pädagogik<br />

der Unterdrückten. Bildung als Praxis der Freiheit« (Freire 1998 [1970]) von großer<br />

Bedeutung. Die von Paulo Freire in Südamerika geleistete pädagogische Arbeit war zutiefst<br />

politisch: Macht und Herrschaft sowie Ausbeutung und Unterdrückung sind für ihn wesentliche<br />

Kategorien; individuelle Befreiung und gesellschaftliche Veränderung sind – durch Bildung,<br />

durch Reflexion und schließlich durch Aktion – möglich.<br />

35 Auf den Websites der UNESCO für den Bereich Bildung lassen sich diese Aktivitäten nachvollziehen<br />

(http://www.unesco.org/en/education). Das UNESCO Institute for Lifelong Learning<br />

(Hamburg) arbeitet zu den Bereichen Alphabetisierung, nicht-formale Bildung sowie<br />

Erwachsenenbildung und Lebenslanges Lernen (http://www.unesco.org/uil/).<br />

36 CONFINTEA heißen die von der UNESCO organisierten, in regelmäßigen Abständen stattfindenden<br />

Konferenzen über Erwachsenenbildung. CONFINTEA ist die Abkürzung der<br />

französischen Bezeichnung »Conférences Internationales sur l‘Education des Adultes«.<br />

37 Der Adult Education Survey (AES) wird alle fünf Jahre EU-weit durchgeführt. Österreich<br />

hat erstmals an dieser Erhebung teilgenommen (Statistik Austria 2009a). Zukünftig werden<br />

auf der Basis des AES ein nationales Monitoring sowie ein EU-weiter Vergleich möglich<br />

sein.<br />

38 Christine Zeuner und Peter Faulstich (2009) haben eine Zusammenschau der Resultate<br />

- 382 -


der Erwachsenenbildungsforschung vorgenommen; sie beziehen sich in ihren Ausführungen<br />

zum Teilnahmeverhalten auf die vom Bundesministerium für Bildung und Forschung<br />

2006 herausgegebene und von Helmut Kuwan, Frauke Bilger, Dieter Gnahs und Sabine Seidel<br />

verfasste Publikation »Berichtssystem Weiterbildung IX. Integrierter Gesamtbericht zur<br />

Weiterbildungssituation in Deutschland« (siehe dazu Zeuner/Faulstich 2009: 114f.).<br />

39 Im Adult Education Survey findet sich hier die Bezeichnung »Ausländerinnen« und »Ausländer«.<br />

Das Kriterium, das dieser Bezeichnung zugrunde liegt, ist das Vorliegen einer anderen<br />

als der österreichischen Staatsbürgerschaft (vgl. Statistik Austria 2009a: 22).<br />

40 Stephanie Rammel und Jörg Markowitsch (2009) haben Überlegungen zur formalen Erwachsenenbildung<br />

in Österreich angestellt (Rammel/Markowitsch 2009).<br />

41 Bezogen auf benachteiligte Personen und Gruppen geht es um einen Ausgleich von Benachteiligungen<br />

(insbesondere während der Phase der Kindheit und Jugend) und um die<br />

Beseitigung von erlittenen Nachteilen, um vergleichbare Lebenschancen herzustellen. Die<br />

Kompensationsfunktion der Erwachsenenbildung richtet sich ebenfalls auf eine Form des<br />

Ausgleichs.<br />

42 Bei diesem Thema geht es um Fragen der gesellschaftlichen Integration und Inklusion – eigentlich:<br />

des Zusammenlebens – sowie um Fragen der interkulturellen Begegnung und Bildung,<br />

die hier nicht thematisiert werden können. Der Bildungsbedarf bzw. Bildungswunsch<br />

von Menschen mit Migrationshintergrund in Bezug auf die Zweitsprache Deutsch betrifft<br />

insbesondere auch die Frage der Zielgruppenorientierung in der Erwachsenenbildung (siehe<br />

dazu <strong>Kastner</strong> 2009; Plutzar 2008).<br />

43 Beispielsweise finden sich in der Studie »Funktionaler Analphabetismus – Forschungsperspektiven<br />

und Diskurslinien« (Kleint 2009) definitorische Klärungs- und Abgrenzungsversuche<br />

sowie Operationalisierungsüberlegungen.<br />

44 Diesem Thema widmen sich die Autoren und die Autorin der Studie »Integration von formal<br />

Geringqualifizierten in den Arbeitsmarkt« (Dornmayr/Lachmayr/Rothmüller 2008). Die<br />

Gruppe der »formal Geringqualifizierten« sind Personen mit einem Pflichtschulabschluss als<br />

höchste abgeschlossene Ausbildung (vgl. Dornmayr 2009: 1).<br />

45 In der Erwachsenenbildungsforschung ist eine <strong>Verlag</strong>erung vom Schicht-Modell hin zum<br />

ausdifferenzierten Milieu-Modell (milieubedingte Lebensstile, Lebenserfahrungen, Lebenslagen)<br />

feststellbar. In der milieuorientierten Weiterbildungsforschung werden Lernerfahrungen<br />

sowie Einstellungen zu Bildung und Weiterbildung, Weiterbildungsverhalten und<br />

Weiterbildungsinteressen bezogen auf die soziale Herkunft (soziale Milieus gem. SINUS)<br />

untersucht (siehe Barz 2000). Darauf aufbauend sind Empfehlungen für die Praxis der Weiterbildung<br />

entwickelt worden (beispielsweise von Reich u.a. 2004).<br />

46 Die Bildungskooperative Oberes Waldviertel (BiKoo) hat in einem ironischen Umkehrschluss<br />

darauf hingewiesen, dass eigentlich die Bildung und ihre Einrichtungen bestimmten<br />

Personengruppen ferngeblieben sind und weiterhin fernbleiben (vgl. BiKoo 2004<br />

zit. n. <strong>Kastner</strong> 2006: 16).<br />

47 Jost Reischmann hat auf diese »vergessene Dimension« der Bildung Erwachsener hingewiesen:<br />

Lernen kann im Vorbeigehen erfolgen, also »en passant« (vgl. Reischmann 1995: 200).<br />

Charakteristisch für dieses Lernen ist, dass es nicht auf eine Lernintention zurückgeht, son-<br />

- 383 -


dern sich gleichsam als Nebenprodukt einer nicht auf Lernen abzielenden Handlung vollzieht<br />

(vgl. ebd.: 201). Das Lernen »en passant« zeichnet »das Bild des Aktivseins, des Voranschreitens,<br />

aber auch des ungeplanten Vorbeikommens« (ebd.: 203). Dieser Dimension<br />

wohnt eine zutiefst anthropologische Dimension inne (vgl. ebd.: 204). Das Lernen »en passant«<br />

kann sich in intentionalen und fremdorganisierten Lernkontexten parallel zum Thema<br />

des Angebotes oder ausgelöst durch dieses Thema vollziehen. Es sind das die berühmten<br />

»Rand- und Nebengespräche« in einem Bildungsangebot für Erwachsene. Die Dimension<br />

des Lernens »en passant« schärft das Verständnis einer »lebensbreiten Bildung« (vgl. ebd.).<br />

48 Diese werden hier als »funktionale Analphabeten« bezeichnet (vgl. Schneeberger/Petanovitsch/Schlögl<br />

2008: 51).<br />

49 Das Wort »Motivation« stammt vom lateinischen »movere« ab, das so viel wie »bewegen«<br />

bedeutet (vgl. Zimbardo/Gerrig 2004: 503). »Alle Organismen bewegen sich auf bestimmte<br />

Reize und Aktivitäten zu und von anderen weg, je nach Ausprägung ihrer Vorlieben und Abneigungen.«<br />

(ebd.)<br />

50 In diesem Zusammenhang ist der Begriff Flow populär geworden. Das Flow-Erlebnis beschreibt<br />

eindrücklich und nachvollziehbar das Aufgehen in einer erfüllenden Tätigkeit und/<br />

oder Situation, »das selbstreflexionsfreie, gänzliche Aufgehen in einer glatt laufenden Tätigkeit,<br />

bei der man trotz voller Kapazitätsauslastung das Gefühl hat, den Geschehensablauf<br />

noch gut unter Kontrolle zu haben. Diesen Zustand hat Csikszentmihalyi (1975) treffend mit<br />

Flow benannt.« (Rheinberg 2006: 345) Wenn Kinder konzentriert und die für die Tätigkeit<br />

bzw. Situation irrelevante Umgebung (wie einen zum Nachhausegehen rufenden Elternteil)<br />

nicht wahrnehmen, ist das Versunkensein in die tätige Handlung, ein Spiel beispielsweise,<br />

sichtbarer Ausdruck dieses Flow. In leistungsbezogenen Kontexten gehört auch noch »die<br />

Freude am eigenen optimal-effizienten Funktionieren auf dem Weg zu einem herausfordernden<br />

Ziel« (ebd.) dazu.<br />

51 Christiane Schiersmann (2006) hat mit ihrer repräsentativen Untersuchung »Profile lebenslangen<br />

Lernens. Weiterbildungserfahrungen und Lernbereitschaft der Erwerbsbevölkerung«<br />

nachgewiesen, dass die Fähigkeit zur Selbststeuerung in der Kindheit grundgelegt wird (vgl.<br />

Schiersmann 2006: 19; siehe dazu weiter unten). Die sozioökonomische Herkunft und die<br />

familialen Bedingungen des Aufwachsens (Erziehung, Sozialisationsinstanzen, familiäre<br />

Werte und Lebensstil) spielen hierfür – ähnlich wie bei dem oben beschriebenen Leistungsmotiv<br />

– eine besondere Rolle (vgl. ebd.).<br />

52 In den Lern- und Motivationstheorien werden heterogene Lern- und Bildungsvorstellungen<br />

und Menschenbilder sichtbar. Diese Theorien erklären unterschiedliche Sachverhalte bzw.<br />

unterschiedliche Aspekte von Sachverhalten, überschneiden sich, lassen sich teilweise aber<br />

auch voneinander abgrenzen, denn in ihrem jeweiligen Kern beinhalten sie normative Setzungen.<br />

53 Lernen und Bildung werden meines Erachtens oft synonym verwendet, bezeichnen aber Vorgänge,<br />

die sich in vielen Fällen tatsächlich differenzieren lassen. Es ist für mich von Bedeutung,<br />

auf die mir wichtig erscheinende Differenzierung zwischen Lernen und Bildung hinzuweisen<br />

(siehe dazu Abschnitt 3.1.1). Auch Horst Siebert stellt die Frage, ob von Lern- oder<br />

von Bildungsmotivation die Rede sein sollte, und kommt zu dem Schluss: »Während Lernen<br />

- 384 -


eher ein alltägliches Faktum ist – niemand kann nicht lernen –; ist Bildung ein anthropologisches<br />

‚Projekt‘ und ein kulturelles ‚Programm‘.« (Siebert 2006: 61; Hervorh. i. Orig.)<br />

54 »Maslows Theorie ist eine besonders optimistische Sichtweise menschlicher Motivation.<br />

Das Herz der Theorie bildet das Bedürfnis jedes Individuums, sich zu entwickeln und sein<br />

größtmögliches Potenzial zu verwirklichen.« (Zimbardo/Gerrig 2004: 541) Allerdings: »Neben<br />

den Bedürfnissen, die Maslow aufführte, zeigt sich, dass Menschen Macht, Dominanz<br />

und Aggression zum Ausdruck bringen.« (ebd.) Maslow stellte sich die menschlichen Bedürfnisse<br />

als Pyramide, also mit einer hierarchischen Ordnung, vor. Menschen haben folgende<br />

»aufsteigende« Bedürfnisse und Wünsche: biologische Bedürfnisse (Nahrung, Wasser,<br />

Sauerstoff, Erholung, Sexualität, Entspannung); Sicherheit, Behaglichkeit, Ruhe und<br />

Angstfreiheit; Bindung (Zusammengehörigkeit, zu lieben und geliebt zu werden); Wertschätzung<br />

(Vertrauen, Selbstwertgefühl, Kompetenz-Gefühl, Anerkennung durch andere);<br />

kognitive Bedürfnisse (Wissen, Verstehen und Neues); ästhetische Bedürfnisse (Ordnung,<br />

Schönheit); Selbstverwirklichung (eigenes Potenzial ausschöpfen, sinnvolle Ziele haben)<br />

und Transzendenz (spirituelle Bedürfnisse, mit dem Kosmos in Einklang sein). Mittlerweile<br />

wird die Bedürfnispyramide nicht mehr hierarchisch aufsteigend betrachtet. Ob Menschen<br />

tatsächlich ihre Bedürfnisse hierarchisch von unten nach oben befriedigen müssen, wird bezweifelt<br />

(vgl. ebd.: 540). Allerdings ist in Bezug auf Lernprozesse der Gedanke nahe liegend,<br />

dass bei unbefriedigten existentiellen Bedürfnissen (insbesondere bei finanzieller Armut,<br />

schlechter psychischer/physischer Gesundheitszustand) die Beteiligung an und das<br />

Gelingen von Lern- und Bildungsaktivitäten reduziert sein können (vgl. Siebert 2006: 72):<br />

Erwachsenenbildner/innen, aber auch Lehrer/innen wissen, dass wenn etwas auf die Seele<br />

drückt, der Kopf für Lernprozesse und für die Aufnahme von neuen Inhalten nicht frei ist.<br />

Die Themenzentrierte Interaktion als Modell des lebendigen Lernens, ebenfalls aus der humanistischen<br />

Psychologie hervorgegangen (Cohn 1975), formuliert in diesem Zusammenhang<br />

das so genannte »Störungs-Postulat«: »Angst, Schmerz, Wut können ‚Steine‘ des Innenlebens<br />

sein. Sogar unausgedrückte Freude und Erregung können zum Stein werden.<br />

Diese Steine können […] unsicher, energielos, impotent machen. Sie können Kreativität und<br />

Kooperation verhindern.« (Cohn 1975: 184) Aber: Wenn etwas auf die Seele drückt (Person),<br />

kann das unter günstigen Bedingungen (Situation) Anlass sein für Entwicklung, für<br />

Auseinandersetzung mit sich selbst (Handlung).<br />

55 Wie kann aus politischem Desinteresse und dem weit verbreiteten Gefühl der politischen<br />

Ohnmacht eine emanzipierte Lern- und Veränderungsbereitschaft werden, fragt Marianne<br />

Gronemeyer in ihrer Studie über »Motivation und politisches Handeln« (1976) und schlägt<br />

Kompetenzerfahrungen als stärkend in Hinsicht auf die eigene Autonomie und Selbstbestimmung,<br />

die politische Motivation hervorbringen kann, vor (vgl. Siebert 2006: 75f.).<br />

56 So haben Anke Grotlüschen und Judith E. Krämer (2009) ihren Beitrag mit »Vom Vergessen<br />

der Einflüsse: Vermeintliche Selbstbestimmung bei der Interessegenese« betitelt. Gezeigt<br />

wird, dass »Interessen auf Basis von Berührungen mit Gegenständen entstehen, dass diese<br />

Berührung jedoch vergessen wird.« (Grotlüschen/Krämer 2009: 23) Unter Rückgriff auf die<br />

Habitus-Theorie von Pierre Bourdieu weisen sie darauf hin, dass die Möglichkeiten, Interesse<br />

zu entwickeln, »strukturell ungleich verteilt« sind (vgl. ebd.: 36).<br />

- 385 -


57 Florian H. Müller (2006) fasst Interesse »als Bedingung, Ergebnis und Ziel von Bildungsprozessen«<br />

(Müller 2006: 48) und theoretisch »als eine spezielle inhaltliche motivationale<br />

Orientierung« (ebd.: 49). Er formuliert die Hypothese, »dass ein Interesse in zumindest einem<br />

Lebensbereich das generelle subjektive Wohlbefinden steigert und mit einer gewissen<br />

Lebensqualität verbunden ist« (ebd.: 55). Im Anschluss an diesen Gedanken erhellt sich meines<br />

Erachtens die subjektive Bedeutung, die einer Bildungsbeteiligung beigemessen wird.<br />

58 Statistiken belegen auch tatsächlich, dass formal höher qualifizierte Personen seltener von<br />

Erwerbsarbeitslosigkeit betroffen sind und dass eine über die Lehre hinausgehende berufliche<br />

Qualifikation einen gewissen Schutz vor Erwerbsarbeitslosigkeit darstellt, womit die bestehende<br />

Chance, in Beschäftigung zu bleiben, gleichsam als Vorstellung am Leben erhalten<br />

wird und zu einer normativen Setzung werden kann.<br />

59 Das dominierende Ziel der Wiedereingliederung aller erwerbsfähigen Personen in so genannte<br />

»Normalarbeitsverhältnisse« auf dem ersten Arbeitsmarkt ist unrealistisch (vgl.<br />

Faulstich/Zeuner 1999: 137). Daher wird von Peter Faulstich und Christine Zeuner vorgeschlagen,<br />

einen umfassenden Begriff von Arbeit zu entwickeln, der beispielsweise auch die<br />

Gemeinwesenarbeit einbezieht (vgl. ebd.).<br />

60 Eine dritte Form der Arbeitsmarktpolitik ist die (informell so genannte) »deaktivierende<br />

Arbeitsmarktpolitik«. Es handelt sich dabei um die Reduktion des Arbeitskräfteangebotes<br />

durch Vorruhestandsregelungen (Frühpension) (vgl. Ludwig-Mayerhofer 2005: 228).<br />

61 Die Tendenz zur Höherqualifizierung innerhalb der österreichischen Bevölkerung ist nachweisbar<br />

(»Auswirkungen der Bildungsexpansion der Gesamtbevölkerung«): Der Anteil von<br />

Erwerbspersonen mit maximal Pflichtschulabschluss an allen Erwerbspersonen ist von Anfang<br />

der 1970er Jahre bis Anfang der 2000er Jahre um mehr als die Hälfte (von 52 Prozent<br />

auf 23 Prozent) gesunken (vgl. Dornmayr/Lachmayr/Rothmüller 2008: 12). Hier muss beachtet<br />

werden, dass bekanntlich überproportional viele Personen mit maximal Pflichtschulabschluss<br />

von Erwerbsarbeitslosigkeit betroffen sind (vgl. ebd.: 15; siehe oben). Außerdem<br />

ist bekannt und wurde in Abschnitt 2.2 gezeigt, dass Personen mit einer anderen als der österreichischen<br />

Staatsangehörigkeit überdurchschnittlich häufig nur über einen Pflichtschulabschluss<br />

verfügen (vgl. Dornmayr/Lachmayr/Rothmüller 2008: 18). Alarmierend ist, dass im<br />

Vergleich zu der jüngeren Altersgruppe mit österreichischer Staatsbürgerschaft der Anteil<br />

von Gleichaltrigen mit einer anderen als der österreichischen Staatsangehörigkeit mit nur<br />

Pflichtschulabschluss überdurchschnittlich hoch ist (vgl. ebd.: 24). Auch die Zuwanderung<br />

von Personen, die formal gering qualifiziert sind, kann das Arbeitskräfteangebote von Erwerbstätigen<br />

mit maximal Pflichtschulabschluss beeinflussen (vgl. ebd.: 28).<br />

62 Das mag für Österreich gelten. Für Deutschland liegen einige Studien vor: Die Rekonstruktion<br />

von Lehr-Lern-Prozessen in einer selbstverwalteten Arbeitsloseninitiative mit dem Titel<br />

»Subjektorientiertes Lernen und Arbeiten« von Ebert, Hester und Richter (1986), die<br />

der Lehr-/Lernforschung zugeordnet wird (vgl. Kade/Nittel/Seitter 1999: 97f.). Die Studie<br />

»Weiterbildungsnutzen – über beabsichtigte und nicht beabsichtigte Effekte von Fortbildung<br />

und Umschulung« (Meier u.a. 1998), die sich vor allem auf arbeitsmarktpolitisch organisierte<br />

Angebote bezieht, und die Studie »Arbeitslose und ihr Selbstbild in einer betrieblichen<br />

Umschulung« (Peters 1991) (vgl. ebd.: 105ff.), beide Studien werden der Teilnehmer-<br />

- 386 -


forschung zugeordnet. Weiters zu erwähnen ist die Studie »Das schönste Jahr ihres Lebens:<br />

Erwerbslose junge Frauen ohne Hauptschulabschluss in Bildungsmaßnahmen der Weiterbildung«<br />

(Sauer 1989) und die Studie »Langzeitarbeitslosigkeit und berufliche Weiterbildung.<br />

Didaktisch-methodische Orientierungen« (Epping/Klein/Reutter 2001), beide Studien werden<br />

der Zielgruppenforschung zugeordnet (vgl. Zeuner/Faulstich 2009: 132f.).<br />

63 In diesem Zusammenhang darf meines Erachtens Widerstand als etwas durchaus Produktives<br />

und Sinnvolles, gleichsam als ein Akt der Selbstbestimmung verstanden werden, denn<br />

Widerstand (nicht vorhandene Lernmotivation) kann aus falschen Voraussetzungen resultieren.<br />

Mit dem möglicherweise nicht erfolgten Matching zwischen Angebot und Person haben<br />

nicht nur die Trainer/innen einer Maßnahme zu kämpfen, sondern auch die Teilnehmenden.<br />

Die Autorinnen und der Autor fordern eine verbesserte »Treffsicherheit bei der Zuweisung<br />

der TeilnehmerInnen« (Mosberger/Kreiml/Steiner 2007: 80). Allerdings: Diese Forderung<br />

ändert nichts an dem Zwangskontext einer Zuweisung. Wie wäre es von der organisationalen<br />

Haltung her möglich, Maßnahmen anzubieten statt eine Zuweisung vorzunehmen Ein<br />

Angebot darf abgelehnt werden, eine Zuweisung eigentlich nicht.<br />

64 Oskar Negt bezieht sich hier wohl auf Deutschland bzw. Europa insgesamt. In Österreich<br />

sind es Anfang 2010 einige Hunderttausende, exakt 402.692 Menschen (vgl. Oswald 2010:<br />

1), die von Erwerbsarbeitslosigkeit betroffen sind.<br />

65 Die Studie ist nicht zuletzt deshalb so eindrücklich, weil Marienthal nicht als Labor und die<br />

Bewohnerinnen und Bewohner nicht als Datenlieferant/inn/en missbraucht wurden, sondern<br />

die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der Forschungsgruppe sich durch eine »für die Bevölkerung<br />

nützliche Funktion in das Gesamtleben natürlich einzufügen« (Jahoda/Lazarsfeld/<br />

Zeisel 1975 [1933]: 28) hatten.<br />

66 Die »Arbeitslosenunterstützung in Österreich« war zur Zeit der Marienthal-Studie durch das<br />

entsprechende Gesetz vom 24. März 1920 und 28 Novellen geregelt. Die Unterstützungsleistung<br />

war abhängig von der Höhe des letzten Einkommens und der Größe der Familie, der<br />

Bezug dauerte 20 bis 30 Wochen. Danach wurde »der Arbeitslose ausgesteuert« und konnte<br />

Notstandshilfe beziehen. Nach 22 bis 52 Wochen endete die Notstandshilfe und »der Arbeitslose<br />

war nunmehr völlig ausgesteuert« (vgl. Jahoda/Lazarsfeld/Zeisel 1975 [1933]: 38).<br />

67 Eine positive Lesart dieser Verschiebung auf Lernen und der Fokussierung auf Lernen hat<br />

Lorenz Lassnigg (2009) vorgeschlagen. So seien nämlich »insbesondere die informellen<br />

Lernprozesse und das, was tatsächlich gelernt wird, aus dem Nebel der Missachtung getreten,<br />

und die Kombination der verschiedenen Lernformen (informell, non-formal, formal)<br />

wurde auf die politische Agenda gehoben.« (Lassnigg 2009: 4) In dieser Lesart finden sich<br />

Anklänge an die vertikale und horizontale Dimension des lebenslangen Lernens (lebenslang<br />

und lebensweit). Das, »was tatsächlich gelernt wird«, wäre meines Erachtens die Frage<br />

nach der dritten Dimension des Lernens – die innere Seite des Lernens (siehe Abschnitt <strong>1.2</strong>).<br />

Diese dritte Dimension rückt meine Gretchenfrage in das Zentrum der Aufmerksamkeit: die<br />

Frage nach Bildung im Sinne des Prozesses (Vermittlung, Gestaltung, Anlässe) und des Ergebnisses<br />

(selbst und durch andere angeeignetes und gestaltetes Produkt).<br />

68 Die geisteswissenschaftliche Pädagogik beruht auf Wilhelm Diltheys Entwicklung der Pädagogik<br />

als Wissenschaft vom Menschen. Folglich wurde die Pädagogik zur Geisteswissen-<br />

- 387 -


schaft, weil sie sich für Menschen interessiert, die »mit ihrem Tun einen Sinn verbinden« (vgl.<br />

König 1996: 325). Um diesem Tun und Sinn auf die Spur zu kommen, reichen naturwissenschaftliche<br />

Verfahren und Erklärungsansätze nicht aus, sondern es geht um das Verstehen, wofür<br />

entsprechende Verfahren (insbesondere die Hermeneutik) eingesetzt werden können (vgl.<br />

ebd.).<br />

69 Das »Lernen lernen« wird von Rainer Zech (2001) als »Lernen zweiter Ordnung« definiert;<br />

Lernfähigkeit meine die Steigerung der »Fähigkeiten zum permanenten Neu- und Umlernen«<br />

(Zech 2001: 197) und die Fähigkeit, »das Gelernte als Grundlage weiteren Lernens<br />

zu verwenden« (ebd.). Förderung und reflexive Begleitung dieses Lernens zweiter Ordnung<br />

durch die Lehrenden während des Lernprozesses würden dem »Anspruch an ein angeleitetes<br />

Lernen lernen« nahe kommen (vgl. ebd.: 199).<br />

70 Eine nachvollziehbare Definition von Lernkompetenz, die auf didaktische Kategorien zurückgreift,<br />

findet sich in einem deutschen Strategiepapier zum lebenslangen Lernen: »Einschätzung<br />

des eigenen Lernstandes; Beurteilung möglicher Lehrangebote; Reflexion des eigenen<br />

Lernweges; Organisation von Zeit, Ort und Tempo des eigenen Lernens; Evaluation<br />

des Lernergebnisses; Einschätzung der Verwendung des Lernergebnisses.« (Forum Bildung<br />

2001: 41)<br />

71 Jochen Kade verweist diesbezüglich auf mögliche Zugänge über den Ansatz der Biografieforschung<br />

und auf Zugänge, die interaktionistisch orientiert sind (vgl. Kade 2001: 20).<br />

Sigrid Nolda hat mit »Interaktion und Wissen. Eine qualitative Studie zum Lehr-/Lernverhalten<br />

in Veranstaltungen der allgemeinen Erwachsenenbildung« (1996) eine solche interaktionistisch<br />

orientierte Studie vorgelegt. Im Fokus dieser Studie steht die »‚black box‘ der unterrichtlichen<br />

Interaktion und der Wissensvermittlung« (Nolda 1996: 7).<br />

72 Ich bin mir dessen bewusst, dass die Wahrnehmung der theoretischen Ansätze des selbstgesteuerten<br />

Lernens hier verkürzt erscheinen wird. Eine nähere Auseinandersetzung würde jedoch<br />

den Rahmen der Studie sprengen. Ich nehme – ähnlich wie Susanne Kraft (2006) – die<br />

Phänomene des Lernens (oder der Aneignung wie Erhard Meueler sagen würde) und Aktivitäten<br />

des Lehrens als unhintergehbare Grundkonstanten der institutionalisierten Erwachsenenbildung<br />

wahr. Für mich ist und bleibt die zentrale Frage die nach der Gestaltung des Verhältnisses<br />

von Lernen und Lehren.<br />

73 So hat auch Rolf Arnold (2001b) darauf hingewiesen, dass die Lernenden – »anders als beim<br />

vorherrschenden geführten Lernen – in der Lage sein [müssen], ihren Lernprozess selbst zu<br />

steuern, d.h. ihre Lernziele und Lernprojekte zu kennen, entsprechende Erarbeitungsschritte<br />

zu realisieren und nachhaltige Ergebnisse zu erreichen.« (Arnold 2001b: 281)<br />

74 Mit aktuell sind nicht »Modethemen« gemeint (vgl. Klafki 1998: 44). Gemeint sind vielmehr<br />

»historische Problemlagen, Tendenzen, Prinzipien, Bedrohungen, ‚Tiefenstrukturen‘, Erkenntnis-<br />

oder Handlungsvoraussetzungen von gesamtgesellschaftlicher, ggf. universaler und<br />

zugleich jeden einzelnen Menschen betreffender Bedeutung« (ebd.).<br />

75 Horst Siebert (2009) hat das Konzept der allgemeinen Menschenbildung von Wilhelm von<br />

Humboldt wie folgt charakterisiert: »‚Erhellendes Licht‘ – also Aufklärung – und ‚wohltätige<br />

Wärme‘ – also emotionales Wohlbefinden, das seien die Ziele der Menschenbildung.« (Siebert<br />

2009: 5) Die Stärkung der Menschen und die Klärung der Sachen (siehe Hentig 2003 [1985])<br />

- 388 -


verbindet ebenfalls das Ziel der Wissensaneignung mit dem Ziel der Persönlichkeitsentwicklung.<br />

76 Martin Wagenschein war Naturwissenschaftler und Pädagoge. Seine illustrierenden Beispiele<br />

und Erläuterungen für den schulischen Unterricht stammen vor allem aus den Bereichen<br />

der Physik und der Mathematik. Vorliegend geht es weniger um die naturwissenschaftliche<br />

schulische Bildung nach Martin Wagenschein (obwohl seinem Zugang für die<br />

schulische Vermittlung im Rahmen der Fachdidaktiken ganz Unglaubliches abzugewinnen<br />

wäre), als um seine bildungstheoretischen und didaktischen Überlegungen.<br />

77 Im Modell der Themenzentrierten Interaktion verbindet sich eine ausgeprägte Orientierung<br />

an der Entwicklung der Persönlichkeit mit der Ausbildung berufsfeldspezifischer Handlungskompetenzen.<br />

So setzt sich die Grundausbildung aus Kursen, in denen die Persönlichkeitsentwicklung<br />

im Mittelpunkt steht, und aus Kursen, die auf das jeweils Fachliche<br />

fokussieren, zusammen. Innerhalb eines Kurses betreffen Arbeitseinheiten vielfach das jeweils<br />

andere in einer Erweiterung, durch Wahlmöglichkeiten können innerhalb der Ausbildung<br />

Schwerpunkte gesetzt werden.<br />

78 Das Postulat wird vielfach mit »Störungen haben Vorrang« bezeichnet, wobei es aber im<br />

englischen Original bei Ruth C. Cohn heißt, dass sich Störungen und emotionale Verwicklungen<br />

Vorrang nehmen: »Disturbances und passionate involvements take precedence«<br />

(Farau/Cohn 1984: 360). Im Modell des lebendigen Lernens der TZI sind es gerade die<br />

Störungen und emotionalen Verwicklungen der Gruppenmitglieder, die beachtet und adäquat<br />

bearbeitet werden, um die persönliche Entwicklung zu fördern bzw. überhaupt erst<br />

zu ermöglichen.<br />

79 So nennt Ruth C. Cohn die Postulate auch »Klarstellungen existentieller Phänomene […]<br />

und nicht auswechselbare Spielregeln« (Cohn 1975: 123; Hervorh. i. Orig.).<br />

80 Die Themenzentrierte Interaktion verweist auf die humanistische Pädagogik. Volker Buddrus<br />

(1996) charakterisiert die Grundannahmen der humanistischen Pädagogik wie folgt: »Der<br />

Mensch ist zeitlebens entwicklungsfähig und entwicklungsbedürftig. Er verfügt über noch<br />

nicht realisierte Möglichkeiten.« (Buddrus 1996: 390) Und weiter: »Wichtig für die Entwicklung<br />

ist das Berücksichtigen der Vielfältigkeit von Fähigkeiten und Anlagen und das<br />

Beachten der Eigengesetzlichkeit des Organismus. Dies schließt das Seelenleben mit ein.«<br />

(ebd.; Hervorh. v. MK) Das Bildungsmodell der humanistischen Pädagogik sei stärker auf<br />

den Prozess konzentriert und könne so den Lernenden den Weg und das Ergebnis sowie den<br />

jeweils eigenen Anteil daran bewusst machen (vgl. ebd.: 393). Zur Rolle der Pädagog/inn/<br />

en in diesem Bildungsmodell meint er, diese würden ihre »eigenen Lernerfahrungen […] bewußt<br />

in die Wahrnehmung und in die Gestaltung der Lehr-/Lernsituation mit hinein« (ebd.:<br />

394) nehmen. Zentral sei die Bezugnahme auf die »Lernenden als Subjekt« (ebd.) sowie die<br />

Förderung folgender »Lerninhalte«: »[D]ie Bedeutung des eigenen Könnens kennen und<br />

erfahren, die Bewußtheit des Lernens, die Bedeutung der Zwischenmenschlichkeit für das<br />

Hervorbringen der eigenen Person, die Verantwortlichkeit für das Handeln, das Hervorbringen<br />

von Sinn in Ergänzung zum Konsumieren von Sinnangeboten.« (ebd.: 394f.) Gerade<br />

noch nicht realisierte Möglichkeiten scheinen folglich für die Bildungsarbeit mit bildungsbenachteiligten<br />

Erwachsenen ein gewisses Potenzial zu bieten: Den Status quo als zu rea-<br />

- 389 -


lisierende Möglichkeit zu betrachten, lässt die individuellen Potenziale als Entwicklungsfähigkeit<br />

und Entwicklungsbedürftigkeit in das Zentrum der Aufmerksamkeit rücken, und<br />

ermöglicht es, diesen Status quo als Ausgangspunkt von Bildungsarbeit zu nehmen. Somit<br />

verweist die humanistische Pädagogik insbesondere auf die Entwicklungs- und Entfaltungspotenziale<br />

auf der Individualebene.<br />

81 Dieses Prinzip wurde von Oskar Negt für das Feld der Arbeiterbildung bzw. der gewerkschaftlichen<br />

Bildung zu Beginn der 1970er Jahre ausgearbeitet (vgl. Negt 1974). Mit dem<br />

Prinzip des exemplarischen Erfahrungslernens sollte der intensiven »Fragmentierung des<br />

Wissens und Bewußtseins« (Negt 1998: 27) entgegen gearbeitet werden. Es »hat die reflektierte<br />

Entwicklung allgemeiner Zusammenhänge aus besonderen, prägnanten Punkten heraus<br />

zum Ziel« (Negt 1990: 17; siehe dazu auch Abschnitt 3.1.1).<br />

82 Neben der übergeordneten Kompetenz der Übersetzungs- und Orientierungsfähigkeit (Bildungsziel:<br />

Zusammenhänge herstellen können) durch das Prinzip des exemplarischen Erfahrungslernens<br />

hat Oskar Negt weitere gesellschaftlich verankerte und relevante Kompetenzen<br />

benannt: Identitätskompetenz, technologische Kompetenz, Gerechtigkeitskompetenz, ökologische<br />

und historische Kompetenz (vgl. Negt 1998: 33-44; Negt 2001: 530-533) sowie<br />

ökonomische Kompetenz (vgl. Negt 2002b: 56).<br />

83 Zwanzig Wissenschaftler/innen und Bildungspraktiker/innen aus Dänemark, Deutschland<br />

(Universität Flensburg als koordinierende Einrichtung), Lettland, Österreich und Polen entwickelten<br />

basierend auf den Negt‘schen Grundkompetenzen in den Jahren 2003 bis 2005 im<br />

Rahmen eines Socrates/Grundtvig 1-Projektes ein Curriculum für die politische Grundbildung<br />

mit entsprechenden Studienheften.<br />

84 Die kritische oder auch emanzipatorische Pädagogik bezieht sich in ihren Grundannahmen<br />

und ihren Ansprüchen stark auf die gesellschaftlichen Verhältnisse von Erziehung und Bildung.<br />

Edgar J. Forster (1996) bestimmt als deren Ziel »die Ausbildung einer vernünftigen<br />

Gesellschaft mit mündigen Bürgern« (Forster 1996: 409). Die Forderung von Theodor W.<br />

Adorno, Auschwitz in möglichen Wiederholungen auf jeden Fall auch durch Erziehungsarbeit<br />

zu verhindern, heißt für die Erziehungswissenschaft, die theoretischen, historischen und<br />

praktischen Grundlagen zu reflektieren (vgl. ebd.: 415). In aktueller Variante stellt sich hier<br />

die Frage »nach den notwendigen Handlungskompetenzen und der möglichen Identität von<br />

Individuen in einer dramatisch sich verändernden geschichtlichen Lage« (ebd.: 416).<br />

85 Der kritisch-emanzipatorische Zugang zur Erziehungs- und Bildungswirklichkeit ist in der<br />

theoriebasierten Reflexion unverzichtbar. So ist Daniela Holzer (2009) zuzustimmen, die dafür<br />

plädiert, entsprechende »Lebenszeichen« zu setzen: »Kritische Erwachsenenbildung positioniert<br />

sich gegen anpassungsorientierte Bildungsverständnisse, beleuchtet wirtschaftliche<br />

Bedingungen und deren Auswirkungen auf das Leben und Arbeiten und hat Interesse an<br />

der Entwicklung von neuen Handlungsoptionen.« (Holzer 2009: 8f.)<br />

86 Im Original heißt das Postulat »Sei dein eigener Chairman« (vgl. Cohn 1975: 120); mittlerweile<br />

ist die geschlechtergerechte Bezeichnung Chairperson gebräuchlich.<br />

87 Die in der Soziologie geführte Diskussion um das Thema der Exklusion kann im Rahmen<br />

dieser Studie nicht nachgezeichnet werden (siehe dazu Bude/Willisch 2008).<br />

88 <strong>Teilhabe</strong> als Idee, die von der »Gleichheitslosung« der Französischen Revolution (vgl.<br />

- 390 -


Nolda 2008: 24) beeinflusst ist, hat daher eine starke Verbindung zur Aufklärung. Diese<br />

Epoche wurde als Geburtsstunde von Bildung als »politische Kraft« und zu entfaltendes<br />

»Konzept« bestimmt (vgl. Bernhard 2001: 63; siehe dazu auch Abschnitt 3.1.1).<br />

89 Das Begriffspaar Inklusion/Exklusion gehört insbesondere zu einer soziologischen Terminologie<br />

und Analyse (Baumann 2005; Bude 2008; Kronauer 2007; siehe auch Bude/Willisch<br />

2008) sowie zur Sozialpädagogik, die bereits mit diesem Begriffspaar operiert, vor allem in<br />

der Auseinandersetzung mit Reichtum und Armut. So hält Robert Castel fest, dass Exklusion<br />

– in Frankreich seit Beginn der 1990er Jahre – die »soziale Frage« thematisiere (vgl. Castel<br />

2008: 69).<br />

90 Hartmut von Hentig (1999) hat das beigefügte »allgemeine« der allgemeinen Bildung als<br />

Tautologie bezeichnet und spricht deshalb nur von Bildung. Nicht zuletzt um der »geläufigen<br />

und gedankenlosen Gleichung ‚Bildung = das Ergebnis der Pflichtschule‘ aus dem Weg<br />

zu gehen« (Hentig 1999: 10).<br />

91 Die von Hartmut von Hentig beschriebenen bildenden Anlässe hinterlassen jedoch einen weniger<br />

normierenden Eindruck. Es hat vielmehr den Anschein, als würden den Kindern ohnedies<br />

innewohnende Bedürfnisse und Vorlieben aufgenommen und verstärkt – eben zum Anlass<br />

genommen – werden.<br />

92 Der Referenzzeitraum waren die letzten zwölf Monate vor der Befragung in den Jahren<br />

2006/2007. Folgende Aktivitäten sind erhoben worden: Besuch von Theater-, Konzert-,<br />

Opern-, Ballett- oder Tanzaufführungen, Besuch von Kino, Besuch von Kulturstätten (Museen,<br />

Ausstellungen, historische und kulturelle Denkmäler) sowie Besuch von Sportveranstaltungen.<br />

Weiters wurde danach gefragt, ob eine Mitwirkung in einer kulturellen Aufführung<br />

oder eine kreative Aktivität erfolgt war: Gesang, Musik, Tanz, Theater; Fotografieren<br />

und Filmen; Malen, Zeichnen, Computergrafik, Webdesign; Schreiben von Prosa, Kurzgeschichten<br />

oder Gedichten. Zusätzlich ist das Leseverhalten (Bücher, Zeitungen) und in Hinblick<br />

auf soziale <strong>Teilhabe</strong> die Teilnahme an Aktivitäten in der Freizeit innerhalb folgender<br />

Organisationen erhoben worden: politische Organisationen, Berufsverbände, Religionsgemeinschaften,<br />

Freizeitgruppen sowie soziale und karitative Organisationen. In diesem Zusammenhang<br />

wurden auch Tätigkeiten im Rahmen der unbezahlten Nachbarschaftshilfe<br />

sowie freiwillige Arbeit außerhalb einer Organisation oder eines Vereins nachfragt (vgl. Statistik<br />

Austria 2009a: 54; siehe Abschnitt 2.2. zur Bildungsbeteiligung basierend auf den Daten<br />

des AES).<br />

93 Auf der Website »Human Development Reports« (http://hdr.undp.org/en/) des United Nations<br />

Development Programme (UNDP) werden die jährlichen Reports (seit 1990) zum<br />

Download zur Verfügung gestellt.<br />

94 »Loving stands for the need to relate to other people and to form social identities.” (Allardt<br />

1993: 91; Hervorh. i. Orig.)<br />

95 In Veranstaltungen der Erwachsenenbildung ist das soziale Moment ein bekanntlich bedeutsames.<br />

Die Nähe, die sich in Veranstaltungen zwischen den Beteiligten entwickeln kann, hat<br />

etwas Intimes, manchmal sogar eine zutiefst erotische Komponente. Begegnung und Austausch<br />

können sehr intensiv erlebt werden. Die nicht alltägliche Umgebung, die zeitliche Begrenztheit<br />

der Begegnung sowie Aspekte von Gruppendynamik ermöglichen die Errichtung<br />

- 391 -


eines Mikrokosmos von Nähe.<br />

96 »Being stands for the need for integration into society and to live in harmony with nature.<br />

The positive side of Being may be characterized as personal growth, whereas the negative<br />

aspect stands for alienation.” (Allardt 1993: 91; Hervorh. i. Orig.)<br />

97 Aus der ökonomischen Perspektive, aus der Amartya Sen als Wirtschaftswissenschaftler<br />

spricht, ist Entwicklung als gesellschaftlicher Fortschritt vor allem mit der wirtschaftlichen<br />

Entwicklung verbunden.<br />

98 Vielfach wird innerhalb der Erwachsenenbildung auch die Auffassung vertreten, der Erwachsenenbildung<br />

nicht nur eine Reparatur-Funktion zuzuschreiben.<br />

99 Erfahrungen mit Basisbildungsangeboten zeigen, dass der Inhalt Computer-Bedienung oftmals<br />

als schützende Bezeichnung für die Lernaktivitäten dient, denn die Aneignung von<br />

Computer-Bedienungskenntnissen ist für Erwachsene ein komplementärer Inhalt. Ebenso<br />

wird vielfach die neue deutsche Rechtschreibung als neuer Lerninhalt anerkannt. Es wird in<br />

diesbezüglichen Angeboten von Auffrischung gesprochen und betont, die Rechtschreibung<br />

habe sich ja aufgrund der Reformen verändert – daher müsse eine Erweiterung durch Lernen<br />

vorgenommen werden. Von Teilnehmenden wird offenbar der komplementäre Aspekt betont,<br />

was entlastend wirken dürfte.<br />

100 Andrea Linde hat sich in ihrer Studie über das Lesen- und Schreibenlernen im Erwachsenenalter<br />

für die Verwendung des Begriffs der Literalität – und zwar im Sinne einer sozialen Praxis<br />

– entschieden (vgl. Linde 2008: 61-73).<br />

101 In der Zeitschrift Magazin erwachsenenbildung.at ist im Themenheft »Basisbildung – Herausforderungen<br />

für den Zweiten Bildungsweg« (Nr. 1/2007) eine Bestandsaufnahme der Basisbildung<br />

und Alphabetisierung vorgenommen worden.<br />

102 Das österreichische Äquivalent zur Grundschule heißt Volksschule.<br />

103 Hier sei an den historischen Kontext der Entstehung des Zielgruppenansatzes Mitte der<br />

1970er Jahre erinnert. Dieser war wesentlich von der Haltung getragen, den Zugang für ausgeschlossene<br />

Gruppen zu öffnen, um dadurch zur »Demokratisierung des Bildungswesens«<br />

beizutragen (vgl. Schiersmann 1999: 558). Träger/innen dieser sozialen und politischen Haltung<br />

waren Mitarbeiter/innen der Erwachsenenbildungseinrichtungen gewesen.<br />

104 Vielfach sind im Rahmen dieser Aktivitäten auch kompensatorische Bildungsangebote vorgesehen.<br />

Bei der Gruppe der langzeiterwerbsarbeitslosen Personen und der Gruppe der Lehrstellen<br />

suchenden Jugendlichen darf angesichts der Situation am Arbeitsmarkt nicht per se<br />

ein grundlegender Bildungsbedarf unterstellt werden. Dennoch dürfte ein gewisser Anteil<br />

dieser Personen von solchen in entsprechende Maßnahmen inkludierten Basisbildungsangeboten<br />

profitieren.<br />

105 Auch heute ist diese »Ungläubigkeit« beobachtbar. Beispielsweise wird Basisbildung häufig<br />

als Deutschkurs für Menschen mit Migrationshintergrund und einer anderen Erstsprache<br />

als Deutsch imaginiert. Damit wird ausgeblendet, dass Schüler/innen mit positivem Pflichtschulabschluss<br />

nicht unbedingt über die im Lehrplan vorgesehenen Fähigkeiten und Fertigkeiten<br />

verfügen, dass Schüler/innen die Hauptschule vorzeitig oder ohne positives Zeugnis<br />

verlassen, die Lehre abbrechen oder keine Lehrabschlussprüfung ablegen. Diese Personen<br />

gehören zu einer unmittelbaren Risikogruppe.<br />

- 392 -


106 Auch die von Marion Döbert und Sven Nickel erstellte Systematisierung »Ursachenkomplex<br />

von Analphabetismus in Elternhaus, Schule und Erwachsenenalter« verweist auf diese<br />

höchst problematischen Ursachen, die kumulieren und sich gegenseitig verstärken (vgl. Döbert/Hubertus<br />

2000: 52).<br />

107 Eine Auseinandersetzung mit »PISA für Erwachsene« findet sich in der Zeitschrift Report.<br />

Literatur und Forschungsreport Weiterbildung (H. 4/2004).<br />

108 Literacy wird wie folgt definiert: »the ability to understand and employ printed information<br />

in daily activities, at home, at work and in the community – to achieve one’s goals, and to<br />

develop one’s potential” (OECD 2000: x).<br />

109 Der »International Adult Literacy Survey« hat die Lesefähigkeit fokussiert. Die Fähigkeit<br />

des Schreibens wurde nicht erhoben.<br />

110 Diese Gruppe wird hier als »funktionale Analphabeten« bezeichnet.<br />

111 Die Daten aus dem Adult Education Survey (Statistik Austria 2009a) sind in Hinblick auf<br />

die Teilnahme an Basisbildungsangeboten nicht aufschlussreich. Es kann keine Abschätzung<br />

der Beteiligung vorgenommen werden. Die Klassifikation ermöglicht zwar eine detaillierte<br />

Zuordnung der Lernaktivitäten der Befragten zu inhaltlich kategorisierten Bildungsfeldern<br />

(gem. Handbuch der Bildungs- und Ausbildungsfelder der EUROSTAT 1999; siehe<br />

dazu Eurostat 2009), allerdings war die Anzahl der Fälle zu gering und eine Hochrechnung<br />

daher nicht möglich. An dieser Stelle danke ich dem Auskunftsservice der Statistik Austria,<br />

Direktion Bevölkerung für diese Information (Auskünfte per E-Mail im September und Oktober<br />

2009).<br />

112 Nach Auskunft im dafür zuständigen Ministerium für Unterricht, Kunst und Kultur wird an<br />

einer Zusammenstellung gearbeitet, die sich aus unterschiedlichen Datenquellen speist, frühestens<br />

im März 2010 ist mit entsprechenden Daten zu rechnen.<br />

113 Neben den Volkshochschulen bieten andere gemeinnützige Einrichtungen entsprechende<br />

Angebote an. Auf der Homepage des »Netzwerks Basisbildung und Alphabetisierung«<br />

(www.alphabetisierung.at) sind die anbietenden Einrichtungen nach Bundesländern sortiert<br />

aufgelistet. Wie bereits erwähnt, besteht in Österreich eine »vielfältige Landschaft der Alphabetisierung/Basisbildung«<br />

(Rath 2008: 41).<br />

114 Im Jahr 2007/2008 gab es insgesamt 452.126 Teilnahmen, davon entfielen fünf Prozent, das<br />

entspricht 22.422 Teilnahmen, auf den Fachbereich »Grundbildung und Zweiter Bildungsweg«<br />

(vgl. Vater/Zwielehner 2009: 13). Insgesamt hat dieser Fachbereich in den letzten Jahren<br />

starke Steigerungsraten aufgewiesen (vgl. ebd.: 1). Die Angebote der Volkshochschulen<br />

werden von Frauen traditionell stark frequentiert; im Arbeitsjahr 2007/2008 ist der Frauenanteil<br />

insgesamt mit rund 76 Prozent ausgewiesen worden (vgl. ebd.: 13). Im Fachbereich<br />

»Grundbildung und Zweiter Bildungsweg« lag der Frauenanteil bei knapp 59 Prozent und<br />

der Männeranteil lag bei rund 41 Prozent (vgl. ebd.). Somit hat dieser Fachbereich den vergleichsweise<br />

niedrigsten Frauenanteil und den vergleichsweise höchsten Männeranteil erkennen<br />

lassen. Einen ähnlich hohen Männeranteil hat der Fachbereich »Naturwissenschaften,<br />

Technik und Umwelt« mit knapp 40 Prozent (vgl. ebd.).<br />

115 Die Erfassung der Teilnahmen wird umgestellt. Im nächsten Statistikbericht (2010) wird aufgrund<br />

der detaillierten Erfassung die genaue Verteilung der Teilnahmen ersichtlich sein. An<br />

- 393 -


dieser Stelle danke ich Stefan Vater vom Verband österreichischer Volkshochschulen für die<br />

diesbezügliche Auskunft.<br />

116 Kolleginnen aus Basisbildungseinrichtungen berichten von Interessentinnen und Interessenten,<br />

die sich immer dann verstärkt an die Einrichtung wenden und Angebote in Anspruch<br />

nehmen, wenn diese in lokalen Medien (vor allem im regionalen Fernsehen) mit aktuell Teilnehmenden<br />

(Multiplikatorinnen und Multiplikatoren) beworben werden.<br />

117 Kritisch hat Steffi Rohling angemerkt, dass aktuell »30 Millionen für vier Millionen« ausgegeben<br />

werden und stellt die Frage: »und dann« (Rohling 2009: 40) Viele Einrichtungen,<br />

die seit langem Alphabetisierung und Grundbildung anbieten (wie beispielsweise die Volkshochschulen),<br />

führen einen »schwierigen Kampf um öffentliche Gelder« (ebd.).<br />

118 Eine Arbeitsgemeinschaft (ARGE) ist eine regionale Kooperation zwischen einer Agentur<br />

für Arbeit und einer Kommune (zumeist in einem Jobcenter). Ihre Aufgaben sind die Vermittlung<br />

und Abwicklung von finanziellen Leistungen sowie die Beratung/Betreuung der<br />

von Erwerbsarbeitslosigkeit betroffenen Menschen.<br />

119 Das Arbeitsmarktservice (AMS) ist in Kontakt mit der Zielgruppe, an die sich Alphabetisierungs-<br />

und Basisbildungsangebote richten (siehe Abschnitt 2.5). Regionale Geschäftsstellen<br />

des AMS werden oftmals von den Einrichtungen, die entsprechende Angebote offerieren,<br />

über das Thema informiert und die Mitarbeiter/innen werden sensibilisiert (beispielsweise in<br />

von den Einrichtungen angebotenen Workshops), stellenweise wird bereits kooperiert (über<br />

Zuweisungen bzw. Vermittlungen zu Angeboten).<br />

120 Der von <strong>Monika</strong> Tröster herausgegebene Sammelband »Neue Medien bewegen die Grundbildung«<br />

(2005) dokumentiert Lernprogramme, Konzepte und Erfahrungen, die mittlerweile<br />

in der Alphabetisierungs- und Grundbildungsarbeit zum Einsatz kommen (siehe Tröster<br />

2005).<br />

121 Vermutlich ist die Einführung des Euro als Zahlungsmittel eine Veränderung, die einen entsprechenden<br />

Bedarf (das Umrechnen) bewusst gemacht oder generiert hat. Die zunehmende<br />

Anreicherung der so genannten »Einfacharbeitsplätze« (Produktion, Verkauf) mit computerbasierten<br />

Arbeitsschritten dürfte eine weitere Veränderung gewesen sein, die einen Bedarf<br />

generiert hat.<br />

122 In Bezug auf den Weg der »Humanisierung von Schule« könnte der Hinweis erfolgen,<br />

dass sich Schule seit den 1970er Jahren verändert hat und die Schulkultur weiter entwickelt<br />

wurde. In Bezug auf bildungsbenachteiligte Erwachsene zeigen sowohl die Ergebnisse<br />

von Birte Egloff (1997) und Andrea Linde (2008) als auch die im Rahmen der vorliegenden<br />

Studie erhobenen Daten in Hinblick auf lebensgeschichtliche schulbezogene Erfahrungen<br />

von Teilnehmenden an Alphabetisierungs-/Basisbildungskursen, dass eine solche Humanisierung<br />

– so sie überhaupt generell und für alle Kinder und Jugendlichen angestrebt wird –<br />

noch nicht vollständig vollzogen wurde.<br />

123 Die Anfang 2006 in Kraft getretene Integrationsvereinbarungs-Verordnung (Bundesgesetzblatt<br />

II, Nr. 449/2005, ausgegeben am 27. Dezember 2005; basierend auf dem Niederlassungs-<br />

und Aufenthaltsgesetz) sieht Alphabetisierungskurse (Modul 1: Lesen und Schreiben)<br />

und Deutschsprachkurse (»Integrationskurse« zum Erwerb von Deutschkenntnissen auf A2-<br />

Niveau des Gemeinsamen Europäischen Referenzrahmens für Sprachen in Modul 2) für Mi-<br />

- 394 -


grant/inn/en vor, die sich in Österreich niederlassen wollen und entsprechende Kenntnisse<br />

nicht nachweisen können.<br />

124 Ob Personen mit Deutsch als Erstsprache und Personen mit einer anderen Erstsprache als<br />

Deutsch ein- und denselben Kurs besuchen, wird in österreichischen Basisbildungseinrichtungen<br />

unterschiedlich gehandhabt. Es gibt Einrichtungen mit einem eigenen Angebot für<br />

Personen mit einer anderen Erstsprache als Deutsch, in einigen Einrichtungen besuchen Teilnehmende<br />

mit Deutsch als Erstsprache und solche mit einer anderen Erstsprache als Deutsch<br />

denselben Kurs. In der Professionalisierung bilden sich mit getrennten Angeboten für die<br />

Aus- und Weiterbildung von Basisbildungskursleitenden die teilweise unterschiedlichen Lebens-<br />

und Lernvoraussetzungen dieser beiden Gruppen ab.<br />

125 Gerade für den Bereich der Basisbildung wäre eine unbürokratisch gelöste, kostenlose Teilnahme<br />

bedeutsam.<br />

126 Die Verschränkung von erwachsenenpädagogischer Theoriebildung und erwachsenenpädagogischer<br />

Praxis könnte durch forschende Praxis forciert werden. Im Feld tätige Erwachsenenbildnerinnen<br />

und Erwachsenenbildner können zur Theoriebildung beitragen, insbesondere<br />

für den mikrodidaktischen Bereich wäre eine solche Verbindung von Forschung und<br />

Praxis ergiebig. Hierbei wäre es sinnvoll, die Teilnehmenden als Expertinnen und Experten<br />

für ihre eigene Biografie, für ihr eigenes Lernen wahrzunehmen und somit als Forschende zu<br />

gewinnen. Beispielsweise könnten Lerntagebücher als didaktisch-methodisches Instrument<br />

eingesetzt werden, die dann gemeinsam zu Forschungszwecken ausgewertet werden können.<br />

Forschendes Lehren und lernendes Forschen würden Forschungsprozesse ermöglichen, die<br />

von Kursleitenden und Teilnehmenden gemeinsam gestaltet und getragen werden. Im deutschen<br />

Forschungsverbund »alphabund« wird mit dem Projekt »A.B.C. – Alphabetisierung –<br />

Beratung – Chancen« ein solcher Ansatz ausprobiert (zur Projektbeschreibung vgl. Scholz<br />

2008: 39f.).<br />

127 Dieser Aspekt eines geschlossenen Raumes ist durchaus vorhanden, denn Leiter/innen von<br />

Basisbildungseinrichtungen und Basisbildungskursen (be)schützen ihre Teilnehmenden.<br />

Horst Siebert hat in Hinblick auf die Zielgruppenorientierung darauf hingewiesen, dass eine<br />

»solche ‚beschützende‘ Bildungsarbeit […] lernbiografisch als Übergangsstadium zu einer<br />

selbstbewussten Teilnahme an ‚gemischten‘ Gruppen verstanden werden« (Siebert 2003: 97)<br />

kann.<br />

128 Bedeutsame Türöffner/innen waren Expertinnen und Experten, die das Netzwerk Basisbildung<br />

und Alphabetisierung in Österreich (www.alphabetisierung.at) mitbegründet haben<br />

(siehe zum Netzwerk auch Rath 2008) und entsprechende Angebote konzipieren und durchführen.<br />

129 Stephan Wolff thematisiert als grundlegende Frage der ersten Phase, wie das »Gegenüber zur<br />

Mitwirkung« (Wolff 2000a: 335) bewegt werden kann. Die Leiterin und die Mitarbeiter/innen<br />

haben sich vielfach interessiert, teilweise neutral, auf den Datenerhebungsprozess eingelassen.<br />

Es besteht in diesem Zusammenhang die Hypothese, dass die in der Einrichtung gepflegte<br />

erwachsenenbildnerische Haltung der Offenheit und Akzeptanz für Neues sowie der<br />

Gelassenheit in Anfangssituationen es den Akteurinnen und Akteuren erleichtert hat, sich auf<br />

den relativ offen gestalteten Forschungsprozess einzulassen. Dass und wie diese Haltung die<br />

- 395 -


untersuchten Lehr-Lern-Prozesse bestimmt, wird bei der Darstellung der Interpretationsergebnisse<br />

noch gezeigt werden (siehe Abschnitt 5.2).<br />

130 Es sind Lehr-Lern-Prozesse in zwei Basisbildungseinrichtungen (Einrichtung A und Einrichtung<br />

B) untersucht worden; bei der Darstellung der Interpretationsergebnisse wird, so es für<br />

das Verständnis notwendig ist, auf organisationskulturelle Unterschiede verwiesen. Eine vergleichende<br />

Analyse der beiden Basisbildungseinrichtungen ist jedoch nicht Ziel der Untersuchung<br />

gewesen.<br />

131 Basisbildung hat Bezüge zur Sozialarbeit bzw. zur Sozialpädagogik (siehe dazu Gintzel/<br />

Wagner 2007; Wagner 2008).<br />

132 Zwei Teilnehmer sind zum Zeitpunkt des Interviews zum ersten Mal im Kurs gewesen. Einer<br />

war nach einem nach kurzer Zeit erfolgten Kursabbruch zum ersten Mal wieder zum Kurs<br />

gekommen. Hier ist von Interesse gewesen, warum er seine Kursteilnahme wieder aufgenommen<br />

hatte. Der andere Teilnehmer war ein junger Mann mit Migrationshintergrund. Bis<br />

zu diesem Zeitpunkt konnten ausschließlich Frauen mit Migrationshintergrund befragt werden.<br />

Das Paradigma der Offenheit im qualitativ-empirischen Forschungsprozess erlaubte es,<br />

diese neu auftretenden interessanten Fälle in die Untersuchung einzubeziehen.<br />

133 Memos sind integraler Bestandteil einer Grounded Theory. Memos beinhalten die Dokumentation<br />

des Forschungsprozesses durch forschungsorganisatorische Notizen (Forschungs-Memos).<br />

Qualitativ zu forschen, bedeutet nicht nur, regelgeleitet vorzugehen, sondern es handelt<br />

sich um einen kreativ-chaotischen Prozess, in dem inhaltliche Ideen, Erklärungsmus ter,<br />

Querverbindungen, offene Fragen u.Ä. zur fortlaufenden Beschreibung und Erhellung des<br />

Gegenstandes beitragen. Die so genannten »Theorie-Memos« sind »Berichte, in denen der<br />

Forscher theoretische Fragen, Hypothesen, zusammengehörende Kodes usw. festhält, d.h.<br />

ein Vorgehen, mit dem Kodierergebnisse aktualisiert und weitere Kodiervorgänge angeregt<br />

werden, und auch ein Hilfsmittel um die Theorie zu integrieren« (Strauss 1998 [1987]: 50).<br />

Mit diesem kreativen Prozess ist der methodologische Begriff der Abduktion angesprochen<br />

(für eine kurze, aber kritisch-gründliche Auseinandersetzung vgl. Reichertz 2000). Gerade<br />

die Theorie-Memos leisten einen Beitrag zur Entwicklung von vorläufigen Kodes, zur Beschreibung<br />

von Kategorien, zur Entdeckung möglicher Schlüsselkategorien und somit zur<br />

Klärung der Forschungsfragen und zur umfassenden Beschreibung des Forschungsgegenstandes.<br />

Joe Reichertz (2000) charakterisiert abduktives Folgern als »eine Haltung gegenüber<br />

Daten und gegenüber dem eigenen Wissen: Daten sind ernst zu nehmen, und die Gültigkeit<br />

des bislang erarbeiteten Wissens ist einzuklammern«. Die auf diese Art »gewonnenen<br />

Ordnungen sind […] gedankliche Konstruktionen, mit denen man gut oder weniger gut leben<br />

kann« (Reichertz 2000: 284; Hervorh. i. Orig.).<br />

134 Es gibt Basisbildungseinrichtungen, in denen Teilnehmende mit Deutsch als Erstsprache und<br />

solche mit einer anderen Erstsprache als Deutsch ein- und dasselbe Kursangebot nutzen; bei<br />

Einrichtung A handelt es sich um eine solche Einrichtung.<br />

135 Für Österreich ist beispielsweise belegt, dass der Anteil von Kindern mit Migrationshintergrund<br />

und einer anderen Umgangssprache als Deutsch sowie von Kindern mit einer anderen<br />

Staatsangehörigkeit in Sonderschulen unverhältnismäßig hoch ist (vgl. Bundesministerium<br />

für Inneres o.J.: 38f.; Statistik Austria 2009b: 24ff.).<br />

- 396 -


136 Das Aufnahmegerät ist während der Frage-Antwort-Sequenzen mitgelaufen; diese Gesprächssequenzen<br />

sind als Teil des Interviews betrachtet worden.<br />

137 Hier bin ich an meine Grenzen gestoßen, denn es ist mir nicht gut genug gelungen, mich<br />

verständlich auszudrücken. Menschen mit Lernschwierigkeiten haben die Forderung nach<br />

leichter Sprache formuliert und entsprechende Regeln erarbeitet. Für weitere Forschungsvorhaben<br />

in diesem Feld wäre das Heranziehen dieser Expert/inn/en sinnvoll, um für die<br />

Vorbereitung eines Interviewleitfadens Beratung und Unterstützung einzuholen. Solche Beratungsleistungen<br />

bietet beispielsweise der Verein atempo (www.atempo.at/einfachesprache)<br />

an. Für diesen Hinweis danke ich meiner Kollegin Marion Sigot sehr herzlich.<br />

138 Diese in der Basisbildungseinrichtung für die Teilnehmenden zur Verfügung stehende Sozialberatung<br />

kann als ein Beispiel guter Praxis gewertet werden. Schließlich ist als ein Qualitätsstandard<br />

für die Alphabetisierung und Basisbildung in Hinblick auf die Infrastruktur das<br />

Angebot einer kostenlosen Sozialberatung festgelegt worden (vgl. Doberer-Bey 2007: 27).<br />

139 Eine meiner Interviewpartnerinnen hat im Interview in verschlüsselter Form von der Unterstützung<br />

durch die Sozialarbeiterin berichtet; vor dem Interview mit der Sozialarbeiterin<br />

habe ich das als Unterstützungsleistung der Kursleiterin fehlinterpretiert. Eine zweite<br />

Interviewpartnerin ist im Gespräch sehr offen in Bezug auf ihre Lernprozesse und überaus<br />

konzentriert und bemüht gewesen, meine entsprechenden Fragen und Nachfragen zu beantworten.<br />

In Bezug auf ihre private Situation haben ihre Erzählungen Puzzlesteinen geglichen,<br />

die nach und nach zu einem einigermaßen konsistenten Bild zusammenfügt werden<br />

konnten. Das gesamte Ausmaß der lebensgeschichtlichen Schwierigkeiten ist mir erst<br />

im Gespräch mit der Sozialarbeiterin bewusst geworden.<br />

140 Die Transkription dieser Interviews hat Katrin Prüller, Absolventin des Diplomstudiums<br />

Pädagogik im Studienzweig Erwachsenen- und Berufsbildung an der Universität Klagenfurt,<br />

vorgenommen. Aufgrund ihrer früheren Mitarbeit in einem Evaluationsprojekt der Abteilung<br />

für Erwachsenen- und Berufsbildung verfügt sie über Erfahrungen in der Transkription<br />

von qualitativen Interviews mit Interviewpartnerinnen und Interviewpartnern aus dem<br />

Bereich der Basisbildung.<br />

141 Die Einschätzungen des Gesprächsverlaufes und die ergänzenden Anmerkungen sind anregend<br />

und aufschlussreich gewesen. Bei der Übergabe der Transkripte haben entsprechende<br />

Diskussionen stattgefunden. Diese Zusammenarbeit ist insbesondere für die Reflexion des<br />

Forschungsprozesses und für die Analyse des Datenmaterials äußerst fruchtbar gewesen.<br />

142 Erhard Meueler (1998) hat den Vorschlag gemacht, zur Verdeutlichung des eigenen Anteils<br />

statt von Teilnehmenden an Bildungsprozessen von <strong>Teilhabe</strong>rn zu sprechen (vgl. Meueler<br />

1998: 193). Dieser Vorschlag hat sich in der Erwachsenenbildung offenbar nicht durchgesetzt.<br />

143 Fiktive Namen zu vergeben, kam aufgrund des Gefühls der Übergriffigkeit nicht infrage,<br />

schon gar nicht die Variante des Vornamens mit dem abgekürzten Nachnamen, die an journalistische<br />

Berichterstattung erinnert. Die Möglichkeit, das Gegenüber zu bitten, sich selbst<br />

einen Namen zu geben, konnte aus folgenden Gründen nicht gewählt werden: Eine Person,<br />

die vertrauensvoll aus ihrem Leben und von ihrer Basisbildungskursteilnahme erzählt hat,<br />

nach dem Interview zu bitten, sich selbst einen fiktiven Namen zu geben und mich in das<br />

- 397 -


Dilemma zu bringen, eventuell fragen zu müssen, wie dieser Name geschrieben wird, kann<br />

für Menschen, die gerade das Schreiben (wieder) erlernen, in einer anderen Erstsprache als<br />

Deutsch alphabetisiert wurden oder aus einem Land mit anderem Zeichensystem kommen<br />

(z.B. arabische Schrift), kompromittierend sein – dieses Risiko konnte nicht eingegangen<br />

werden. Außerdem wäre es befremdlich, würden einige einen fiktiven Vornamen und einige<br />

einen fiktiven Vor- und Zunamen wählen. Eine Interviewpartnerin, mit der ich mich im Gespräch<br />

gesiezt habe, später mit einem Vornamen zu bezeichnen, wäre mir respektlos erschienen.<br />

Unter Berücksichtigung dieser Argumente wird auf die neutrale Bezeichnung Teilnehmerin/Teilnehmer<br />

zurückgegriffen.<br />

144 Dieses kontinuierliche Vergleichen hat den Analyse- und Erkenntnisprozess bereichert und<br />

vertieft. Während der Durchführung der Interviews in Anwendung des Prinzips des Theoretischen<br />

Sampling hat sich gezeigt, dass dadurch eine Absicherung erzielt werden konnte:<br />

Viele relevante Informationen, die eine Einordnung und abgesicherte Interpretation des Datenmaterials<br />

insgesamt ermöglicht haben, sind gleichsam greifbar geworden. Das kontinuierliche<br />

Vergleichen – es könnte damit auch als Abgleichen bezeichnet werden – von Erzählungen<br />

aus jeweils unterschiedlichen Perspektiven, hat den Analyse- und Erkenntnisprozess<br />

verdichtet und den Prozess des Nachdenkens über die Daten intensiviert.<br />

145 ATLAS.ti bietet als Feature die Dokumentation von Forschungsmemos und Theoriememos.<br />

Forschungsmemos resultieren aus Überlegungen hinsichtlich des Forschungsprozesses und<br />

Theoriememos betreffen den Analyseprozess. Im Forschungs- und Auswertungsprozess sind<br />

diese computergestützten Features verwendet worden. Es hat sich jedoch herausgestellt, dass<br />

handschriftlich festgehaltene Memos für Auswertung, Interpretation und Theoriebildung<br />

insgesamt bedeutsamer gewesen sind. Das ist darauf zurückzuführen, dass sich Erkenntnisprozesse<br />

oftmals außerhalb der eigentlichen Arbeitszeiten vollzogen haben.<br />

146 Interessant ist diese Form des Kodierens gewesen, wenn Konzepte, die aus den Daten der<br />

Teilnehmenden entwickelt wurden, mit Konzepten, die aus den Daten der Kursleitenden entwickelt<br />

wurden, in Beziehung gesetzt und verglichen wurden. Letztlich zielt dieser Prozess<br />

des axialen Kodierens darauf ab, Verbindungen zwischen den offen entwickelten Kategorien<br />

herzustellen.<br />

147 Datensitzungen (Präsentation und Diskussion) sind mit unterschiedlichen Personen durchgeführt<br />

worden, beispielsweise im Rahmen von Veranstaltungen, Projekt-Kooperationen und<br />

themenbezogenen Gesprächen sowie im Habilitierendenkolloquium am Institut für Erziehungswissenschaft<br />

und Bildungsforschung der Universität Klagenfurt.<br />

148 Im qualitativ inhaltsanalytischen Auswertungsprozess wird auf bereits vor der Untersuchung<br />

formulierte Kategorien, die sich in der Konstruktion des Interviewleitfadens niedergeschlagen<br />

haben, zurückgegriffen und überprüft, ob und in welcher Ausprägung die zuvor<br />

formulierten Kategorien im Datenmaterial tatsächlich zu finden sind, wobei sich hier eine<br />

Verbindungslinie zum ursprünglichen Ansatz der quantitativen Inhaltsanalyse, aus der die<br />

qualitative Inhaltsanalyse weiterentwickelt wurde, abzeichnet. Die Kategorien werden »in<br />

einem Wechselverhältnis zwischen der Theorie (der Fragestellung) und dem konkreten Material<br />

entwickelt, durch Konstruktions- und Zuordnungsregeln definiert und während der<br />

Analyse überarbeitet und rücküberprüft« (Mayring 2007b: 53; Hervorh. i. Orig.).<br />

- 398 -


149 Neben der Strukturierung sind die Zusammenfassung und die Explikation die weiteren<br />

Grundtechniken der qualitativen Inhaltsanalyse (vgl. Mayring 2007b: 56-99); der zusammenfassende<br />

Blick auf die ausgewählten Textstellen dient der inhaltlichen Reduktion und<br />

die Ausdeutung besonders wichtiger Textstellen der Explikation durch Kontextanalyse.<br />

150 Stephan Wolff beschreibt im Portrait über Clifford Geertz, dass der hier angesprochene methodische<br />

Weg der dichten Beschreibungen auf Geertz zurückgeht (vgl. Wolff 2000b).<br />

151 Die angestrebte Systematisierung des Materials anhand von »Typenkonstruktion« und »Typendeskription«<br />

(Mayring 2002: 132) wird von ATLAS.ti unterstützt. Die Texte lassen sich<br />

im Prozess der Auswertung zu so genannten families gruppieren. Diese Familien sind ein<br />

Feature von ATLAS.ti zur Systematisierung der Daten: Die Texte können nach unterschiedlichen<br />

Kriterien (z.B. Geschlecht, Alter, im Material begründetes Merkmal) als Teilmenge<br />

analysiert werden. Mit Hilfe dieser Zusammenstellung zu families nach aus dem Material<br />

abgeleiteten oder theoretisch relevanten Überlegungen können bestimmte Fragen nur an<br />

diese Teilmenge gestellt werden, wodurch die Analyse intensiviert werden kann. Beispielsweise<br />

liegt für Basisbildungsteilnehmerinnen mit Migrationshintergrund eine eigene Auswertung<br />

und Interpretation vor (<strong>Kastner</strong> 2009).<br />

152 Die Regeln für das Belegen von Textstellen (wörtlich oder paraphrasiert) aus den Interviews<br />

finden sich im Anhang (Abschnitt 8.9).<br />

153 Im Verlauf dieser Evaluierungsgespräche sollte u.a. die Frage geklärt werden, was aus<br />

den ehemaligen Teilnehmenden geworden ist. Die Leiterin der Einrichtung berichtet von<br />

Schwierigkeiten, die ehemaligen Teilnehmenden überhaupt zu erreichen, und auch darüber,<br />

dass das Interesse nicht besonders groß gewesen war, an diesem Gespräch teilzunehmen. Die<br />

befragte Teilnehmerin ist eine der wenigen ehemaligen Teilnehmenden, die der Einladung<br />

gefolgt waren. Ihr prinzipiell vorhandenes Interesse an Bildung und die damalige Phase der<br />

Erwerbsarbeitslosigkeit dürften bei dieser Entscheidung eine Rolle gespielt haben.<br />

154 Abgesehen von problematischen Begrifflichkeiten, wie z.B. Lernschwierigkeiten, ist die<br />

Hervorhebung eines negativ konnotierten Merkmals immer stigmatisierend, weil die Person<br />

auf dieses Merkmal reduziert wird und dadurch das negativ konnotierte Merkmal die gesamte<br />

Person gleichsam überlagert. Bei Fragen nach individuell gelingenden Lehr-, Lernund<br />

Bildungsprozessen sind deshalb die persönlichen Voraussetzungen zu bedenken.<br />

155 Fünf der befragten Kursleiter/innen berichten dezidiert von Kindern als Lernanlass bzw.<br />

Lernbegründung: Kursleiterin A und Kursleiterin H erzählen, dass einige Teilnehmende ihre<br />

Kinder beim schulischen Lernen unterstützen möchten. Kursleiter C erklärt, dass eine seiner<br />

Teilnehmerinnen vor dem Schulbesuch ihres Kindes noch etwas aufholen wollte, um ein<br />

Vorbild für das Kind zu sein. Kursleiterin E und Kursleiterin F berichten, einige Teilnehmerinnen<br />

hätten den Wunsch entwickelt, ihren Kindern vorlesen zu können.<br />

156 Teilnehmerin 1, Teilnehmerin 2, Teilnehmerin 3, Teilnehmerin 6, Teilnehmerin 7, Teilnehmer<br />

10, Teilnehmer 15, Teilnehmerin 19, Teilnehmerin 20, Teilnehmerin 23 und Teilnehmerin 24<br />

haben ein Kind bzw. bis zu drei Kinder. Teilnehmer 5 und Teilnehmer 22 sind während ihrer<br />

Kursteilnahme Vater geworden.<br />

157 Im Kontext dieser Lebensgeschichte erscheint Englisch als lingua franca, als weitere Kulturtechnik<br />

neben Lesen, Schreiben, Rechnen, Computer-Bedienung/neue Medien sowie Kennt-<br />

- 399 -


nissen in der Sprache des Landes, in der sich der Lebensmittelpunkt befindet.<br />

158 Dass Teilnehmer 15 die Funktionsweise eines Computers selbstorganisiert erforscht hat (vgl.<br />

TNer15, 679-694, siehe oben), kann ebenfalls als Hinweis auf vorhandene Ressourcen interpretiert<br />

werden. Bei Personen mit einem ausgeprägten Basisbildungsbedarf können solche<br />

Ressourcen nur eingeschränkt vorhanden sein, beispielsweise setzt ja die Verwendung eines<br />

Wörterbuches einiges an schriftsprachlichen Fähigkeiten voraus; die Fähigkeit zur Selbststeuerung<br />

– verstanden als personenbezogene kognitive Dimension (vgl. Schiersmann 2006:<br />

9) – wird von lebensgeschichtlichen Erfahrungen (mit-)bestimmt.<br />

159 Eine Auskunft des befragten AMS-Vertreters in Hinblick auf die Qualifizierung von langzeiterwerbsarbeitslosen<br />

Personen besagte: Diese Zielgruppe wird nur in einer Hochkonjunkturphase<br />

in Qualifizierungsmaßnahmen gelangen, weil nach Abschluss der Maßnahme reale<br />

Chancen auf Beschäftigung bestehen. In einer Phase des Abschwungs werden die Instrumente<br />

des zweiten Arbeitsmarktes (u.a. Beschäftigungsprojekte) eingesetzt, weil »es bringt<br />

nichts, Leute auf Vorrat zu qualifizieren« (vgl. Protokoll C, 8f.).<br />

160 Die Einschätzung in Hinblick auf die nicht erfolgte Passung zwischen Person und Maßnahme<br />

wird von seiner langjährigen Kursleiterin geteilt: Er war lange Zeit Erwerbsarbeit suchend.<br />

Während dieser Phase wurde er immer wieder in AMS-Schulungen geschickt, die ihn<br />

allerdings nie auch nur in die Nähe seines Wunsch-Berufsfeldes gebracht haben. Er hat sich<br />

schließlich die von ihm gewünschte berufliche Ausbildung selbst organisiert und finanziert<br />

(vgl. Protokoll B, 1).<br />

161 Diese Suchbewegungen fasst Hans Tietgens (1986) wie folgt zusammen: »Erwachsenenbildung<br />

ist ihrem Sinn nach ein Geschehen, das durch das Zusammentreffen vielfältiger<br />

Faktoren zustande kommt. Ihre Intentionalität wird real im Zusammenkommen von Suchbewegungen.<br />

Insofern ist sie ein Produkt von Interaktionen mit hohem Mobilitäts- und Variabilitätsgrad.«<br />

(Tietgens 1986: 131)<br />

162 Neben der notwendigen Eigeninitiative in Hinblick auf das Vorbringen eines Qualifizierungswunsches<br />

scheinen Teilnehmerin 2 und Teilnehmerin 18 noch weitere Kriterien zu erfüllen,<br />

die im Kontakt mit dem AMS von Bedeutung sein dürften: Es handelt sich um Frauen,<br />

die sich sprachlich gut ausdrücken können; Teilnehmerin 18 verfügt darüber hinaus über eine<br />

abgeschlossene Berufsausbildung, die durch berufsspezifische Inhalte (u.a. Computer-Bedienung)<br />

eine Aufwertung erfährt. Teilnehmerin 2 besitzt mittlerweile die österreichische<br />

Staatsbürgerschaft, ist hochgradig integriert (sprachlich, beruflich, privat) und aufgrund ihres<br />

Auftretens (Zielstrebigkeit, Selbstbewusstsein) scheint es nachvollziehbar, dass sich im<br />

organisationskulturellen Verständnis des AMS eine Investition in dieses Humankapital lohnen<br />

dürfte.<br />

163 Beim Erstkontakt erfolgt eine Beratung in Form eines halbstündigen Gesprächs, in dem auch<br />

administrative Angelegenheiten geklärt und erledigt werden müssen; ob es hier gelingen<br />

wird, einen möglichen (Basis-)Bildungsbedarf zu thematisieren und ein entsprechendes Unterstützungsangebot<br />

unterbreiten zu können, bleibt fraglich (vgl. Protokoll C, 5f.).<br />

164 Otto Rath gibt diesen Zeitpunkt als Beginn der Alphabetisierungs- und Basisbildungsarbeit<br />

in Österreich an (vgl. Rath 2008: 41). Das Ziel, bis 2010 ein flächendeckendes Angebot zu<br />

ermöglichen (vgl. ebd.), lässt Rückschlüsse auf bestehende regionale Lücken zu.<br />

- 400 -


165 Der befragte AMS-Vertreter erläuterte in Hinblick auf das Weiterbildungssystem des AMS:<br />

Ein Teil der Kurse wird auf der Grundlage von strategischen Planungen über Ausschreibungen<br />

zugekauft und ausschließlich über Vermittlung des AMS beschickt. Zusätzlich besteht<br />

jedoch das Instrument der individuellen Kurskostenbeihilfe für Weiterbildungswünsche, die<br />

über das AMS-spezifische Angebot hinausgehen, wofür den regionalen Geschäftsstellen ein<br />

eigenes Budget zur Verfügung steht (vgl. Protokoll C, 3). Es besteht also prinzipiell die Möglichkeit,<br />

über individuell passende Kurse zu entscheiden und die Teilnahme zu finanzieren.<br />

166 Grundsätzlich finden die Basisbildungskurse in Gruppen statt, Gründe für Einzelbetreuungen<br />

können große Ängste, starke Schamgefühle oder spezifische Bedarfe (beispielsweise<br />

Erstlesen, Mathematik) sein. Einzelbegleitungen sind stets eine Ressourcenfrage. Im Zeitraum<br />

der Erhebung haben dieser Einrichtung die dafür notwendigen finanziellen Ressourcen<br />

zur Verfügung gestanden.<br />

167 Bedeutsam hierfür sind die strukturellen Vorgaben des Trägers: Der Basisbildungskurs wird<br />

als Beratung geführt, eine solche darf tatsächlich abgelehnt werden.<br />

168 Birte Egloff hat in ihrer thematisch und für Deutschland grundlegenden Veröffentlichung<br />

»Biographische Muster ‚funktionaler Analphabeten‘« (1997) auf Basis narrativer Interviews<br />

mit Betroffenen »Fremdbestimmung« bzw. »Eigeninitiative« als mögliche »Weg[e] in den<br />

Alphabetisierungskurs« definiert (vgl. Egloff 1997: 165f.).<br />

169 Nicht die Teilnehmenden kommen zu den Kursen, sondern die Kurse kommen vielfach zu<br />

den Teilnehmenden.<br />

170 Im Netzwerk Basisbildung und Alphabetisierung in Österreich nehmen Sensibilisierung,<br />

Marketing und Vernetzung einen zentralen Platz ein (vgl. Rath 2007; siehe dazu auch Berndl<br />

2008).<br />

171 Im Datenmaterial haben sich einige Knotenpunkte gezeigt, an denen die befragten Teilnehmenden<br />

vorbeigekommen sind, das waren u.a. eine Fahrschule, das Bundesheer, der Strafvollzug,<br />

die Bewährungshilfe, Personen im Zivildienst, ärztliches Personal und Pflegepersonal,<br />

psychotherapeutische und sozialpädagogische Einrichtungen, beispielsweise ein<br />

Beratungszentrum und ein Jugendzentrum, und der Arbeitsplatz. Ob an solchen Knotenpunkten<br />

zwischen Personen mit Basisbildungsbedarfen/-bedürfnissen und adäquatem Angebot<br />

vermittelt werden kann, ist von vielen Faktoren abhängig: Kann sich eine Person anvertrauen<br />

Wird ihr mit Achtsamkeit begegnet Besteht ein gewisses Maß an Sensibilisierung<br />

für bildungsbenachteiligte Personen mit Basisbildungsbedarfen/-bedürfnissen Liegt Informiertheit<br />

über adäquate Angebote/Einrichtungen vor<br />

172 Im Weißbuch der Industriellen Vereinigung »Lifelong Learning« (o.J.) wird Folgendes gefordert:<br />

»Zugang zur Bildung offen gestalten und für eine hohe (Weiter-)Bildungsbeteiligung<br />

sorgen, um nicht Teile der Bevölkerung insbesondere in der unteren Ebene der Beschäftigungspyramide<br />

mangels Qualifikation zu verlieren« (Industriellenvereinigung o.J.:<br />

26; Hervorh. v. MK). Diese Aufgabe wird der staatlichen Verantwortung zugeschrieben.<br />

Notwendig erscheint die Übernahme von entsprechender Verantwortung auch durch die Unternehmen<br />

selbst – schließlich geht es nicht zuletzt um deren (künftige) Mitarbeiterinnen und<br />

Mitarbeiter (für Beispiele guter Praxis siehe <strong>Kastner</strong>/Penz 2007; Weber/Gräfinger 2007: 42-<br />

48).<br />

- 401 -


173 Bestimmte Parameter in der Berufsbiografie bzw. im Verhalten einer/eines Kundin/Kunden<br />

könnten als Hinweise verstanden werden, die zu erhöhter Aufmerksamkeit auf Seiten der<br />

AMS-Mitarbeiter/innen führen sollten: Die Kundin/der Kunde besitzt einen Pflichtschulabschluss<br />

oder hat die so genannte Sonderschule absolviert; sie/er hat einen Lehrabschluss<br />

bzw. hat ihre/seine Lehre abgebrochen; sie/er ist bislang ungelernten bzw. angelernten Tätigkeiten<br />

nachgegangen; sie/er blickt auf wiederkehrende Phasen von Erwerbsarbeitslosigkeit<br />

und/oder Langzeiterwerbsarbeitslosigkeit zurück; sie/er hat noch nie oder nur selten an<br />

beruflichen Weiterbildungen teilgenommen; sie/er lässt nach Ankündigung einer Zuweisung<br />

zu einer Schulung Äußerungen und Handlungen erkennen, die auf Widerstand schließen lassen;<br />

sie/er besitzt ein eingeschränktes sprachliches Ausdrucksvermögen in der Zweitsprache<br />

Deutsch bei Vorliegen eines Migrationshintergrundes; sie/er vermeidet schriftsprachliche Aktivitäten<br />

bzw. nimmt Formulare mit. Mit dieser Aufzählung soll keinesfalls eine Negativ-Perspektive<br />

zementiert werden. Diese Aspekte könnten vielmehr Anhaltspunkte sein, die auf die<br />

Notwendigkeit einer intensiven Bildungsberatung verweisen.<br />

174 Der Kursleiter hat eine Vermutung dazu geäußert, woher die Selbstwertstärke rühren könnte:<br />

Er erlebt die Mutter des Teilnehmers als sehr bestärkend.<br />

175 Diese Interpretationsergebnisse sollen die Notwendigkeit des Einsatzes von erwachsenengerechter<br />

Lernsoftware in der Alphabetisierung/Basisbildung keinesfalls in Abrede stellen;<br />

vielmehr sollten diese Beispiele betonen, wie außerordentlich wichtig Anerkennung und Lob<br />

für die Teilnehmenden sind.<br />

176 Das trifft auf Menschen mit Migrationshintergrund zu, die nicht bereits im Herkunftsland<br />

Kenntnisse in der zukünftigen Zweitsprache erwerben konnten. Strukturelle Benachteiligung,<br />

Armut, Bildungsbenachteiligung und vor allem Flucht verunmöglichen einen Erwerb<br />

vorab. Die Schaffung von Lerngelegenheiten bzw. die Wahrnehmung entsprechender<br />

Bildungsangebote im Zielland ist u.a. vom Lebensalter, dem Geschlecht, dem individuellen<br />

bzw. familiären Bildungsniveau, dem Erwerbsarbeitsplatz und dem Einkommen sowie<br />

dem Wohnort abhängig. Nicht zuletzt kann das Zielland förderliche Rahmenbedingungen<br />

für den Zweitspracherwerb schaffen. Es gibt auch Menschen mit Migrationshintergrund, denen<br />

diese Anpassungsleistung nicht abverlangt wird. Beispiele hierfür sind Verleihungen der<br />

Staatsbürgerschaft an Personen mit einer anderen Erstsprache als Deutsch, von denen die<br />

Republik Österreich Leistungen auf wissenschaftlichem, wirtschaftlichem, künstlerischem<br />

oder sportlichem Gebiet erwartet. Auch von hochqualifizierten Arbeitnehmer/inne/n, die in<br />

ihren beruflichen Kontexten ohnedies Englisch sprechen, werden sprachliche Anpassungsleistungen<br />

zumeist nicht erwartet.<br />

177 Beispiele hierfür sind Teilnehmerin 2 und Teilnehmerin 19.<br />

178 Beispiele hierfür sind Teilnehmerin 1 und Teilnehmerin 6.<br />

179 Es gibt Basisbildungseinrichtungen, in denen Teilnehmende mit Deutsch als Erstsprache und<br />

Teilnehmende mit einer anderen Erstsprache als Deutsch ein- und denselben Kurs besuchen,<br />

so z.B. in Einrichtung A.<br />

180 Das Kopftuch als religiöses bzw. kulturell gebundenes Symbol regt immer wieder zur Diskussion<br />

an. Eine fundierte Thematisierung bedarf wohl eines größeren Zeitrahmens und einer<br />

differenzierten Auseinandersetzung. Die in diesem Beispiel gezeigte Variante, die Teil-<br />

- 402 -


nehmenden zu Wort kommen zu lassen und dieses Wissen bzw. diese kulturell geprägte<br />

Praxis als Grundlage für einen Austausch heranzuziehen, ist erfolgversprechend. Es geht<br />

dann nämlich um einen erfahrungsbasierten Austausch, der in einem ersten Schritt auf einem<br />

Akt des Zuhörens beruht; Fragen zu stellen und dadurch etwas in Erfahrung zu bringen, ist<br />

eine grundlegende Lernstrategie.<br />

181 In der Erwachsenenbildung gibt es eine Vielzahl verschiedener Bezeichnungen für Personen,<br />

die in Bildungsangeboten lehrhandeln. In vielen Einrichtungen bzw. Initiativen (vor allem<br />

in Projekten), die Angebote für bildungsbenachteiligte Personen (vor allem für niedrig qualifizierte<br />

und weiterbildungsungewohnte) sowie für Personen mit Basisbildungsbedarfen/<br />

-bedürfnissen offerieren, fließen Überlegungen – vielfach unter Bezugnahme auf das Konzept<br />

der Selbststeuerung von Lernprozessen – in die jeweilige Bezeichnung mit ein: Es finden<br />

sich beispielsweise Bezeichnungen wie Lernmoderator/in, Lernbegleiter/in oder Lernberater/in,<br />

die den Fokus einer Lehr-Lern-Situation auf die Lernprozesse richten. Die in<br />

dieser Studie verwendete Bezeichnung Kursleiterin bzw. Kursleiter verdeutlicht meines Erachtens<br />

die Verantwortung, die bei der Tätigkeit des Lehrhandelns übernommen wird, und<br />

würdigt die Leistung dieser Personen, nämlich individuell sinnvolle und erfolgreiche Lernprozesse<br />

der Teilnehmenden und gleichzeitig ein gemeinschaftliches Lernen in der Gruppe<br />

zu ermöglichen.<br />

182 Diesbezüglich differieren die untersuchten Basisbildungseinrichtungen. In einer der beiden<br />

Einrichtungen ist eine vergleichsweise stärkere Zurückhaltung in Hinblick auf das Vorgeben<br />

von Lehrinhalten (z.B. allgemeinbildende Inhalte) feststellbar.<br />

183 Um keine Missverständnisse aufkommen zu lassen: Die Kursräume der untersuchten Einrichtungen<br />

sind komfortabel eingerichtet und funktional ausgestattet.<br />

184 Die Eltern haben gemeinsam mit der Volksschullehrerin eine Behandlung der Legasthenie<br />

in einem anderen Bundesland organisiert. Der behandelnde Kinderarzt galt damals wohl als<br />

der führende Spezialist auf diesem Gebiet. Die in den 1970er Jahren angewandten (heil-)<br />

pädagogischen Methoden mögen vom heutigen Standpunkt aus betrachtet von zweifelhaftem<br />

Wert gewesen sein – möglicherweise hat sich die große Angst dieser Teilnehmerin, vor<br />

Fremden vorzulesen, erst durch diese Behandlung entwickelt und manifestiert.<br />

185 Teilnehmerin 20 nimmt im Rahmen ihres Beschäftigungsprojektes an dem Basisbildungskurs<br />

teil und bereitet sich auf die von ihr angestrebte außerordentliche Lehrabschlussprüfung<br />

vor. Die hier angesprochene neue Lernsituation ist der vorbereitende Kurs, der Bestandteil<br />

der Lehrabschlussprüfung ist. Dieser Vorbereitungskurs sowie die Prüfung selbst werden<br />

von einem kommerziellen Bildungsanbieter durchgeführt.<br />

186 Die Teilnahme an einer arbeitsmarktpolitischen Schulung mag durch die in diesem Rahmen<br />

durchlebte intensive Überforderung zu ihrem Gefühl der eigenen Unzulänglichkeit (»so wie<br />

ich bin deppert«) beigetragen haben (vgl. TNin6, 29-36; siehe dazu Abschnitt 5.1.1).<br />

187 Das psychologische Konstrukt der Resilienz wäre hierfür als Erklärung zu prüfen; Resilienz<br />

meint nämlich: »Gedeihen trotz widriger Umstände« (Welter-Enderlin/Hildenbrand 2006)<br />

und »seelische Widerstandsfähigkeit« (Zander 2008: 9).<br />

188 Als selbstständiger und erfolgreicher Unternehmer ist es ihm wichtig, nicht der Gruppe der<br />

erwerbsarbeitslosen Personen zugerechnet zu werden (vgl. Protokoll A, 5). An seinem Bei-<br />

- 403 -


spiel wird sichtbar, dass unterschiedliche Menschen zur Zielgruppe der bildungsbenachteiligten<br />

Personen mit Basisbildungsbedarfen/-bedürfnissen gehören.<br />

189 Davon habe ich bei der Datenerhebung ein Jahr nach der Befragung der Teilnehmenden erfahren<br />

(vgl. Protokoll A, 5). Das Geschenk für die Basisbildungseinrichtung interpretiere ich<br />

als Ausdruck seiner Wertschätzung und Dankbarkeit. Diesem Teilnehmer ist es aufgrund seiner<br />

beruflichen Situation möglich, seine Gefühle über ein materielles Geschenk auszudrücken.<br />

190 Diese Teilnehmerin hat innerhalb der Einrichtung tatsächlich eine wichtige Rolle inne, weil<br />

sie bei Aktivitäten im Bereich der Öffentlichkeitsarbeit als Multiplikatorin für Basisbildung<br />

mitarbeitet (siehe Abschnitt 5.3.8).<br />

191 Es besteht bei der Führerscheinprüfung die Möglichkeit, eine Person beigestellt zu bekommen,<br />

die beim Lesen der Prüfungsfragen behilflich ist, ein so genannter Lesehelfer (vgl. Protokoll<br />

A, 5).<br />

192 Nach einem Jahr in der gymnasialen Oberstufe ist er in die Integrationsklasse einer Hauptschule<br />

gewechselt und hat danach das Polytechnikum absolviert (vgl. TNer17, 237-241).<br />

193 Ungeklärt bleibt, wie es den zurückgebliebenen Teilnehmenden mit dieser Lösung gegangen<br />

ist und wie die gruppendynamischen Prozesse nach dem Weggang eines Gruppenmitglieds<br />

verlaufen sind.<br />

194 Teilnehmende können authentisch von ihrer Teilnahme und begründet von ihren Lernerfolgen<br />

berichten; sie sind daher ausgezeichnete Multiplikatorinnen und Multiplikatoren. In<br />

diesem Zusammenhang sei an Teilnehmer 5 erinnert, der geschildert hat, wie ihn eine TV-<br />

Reportage zur Kontaktaufnahme mit einer Basisbildungseinrichtung bewegt hat (siehe Abschnitt<br />

5.1.1). Es kann weiters davon ausgegangen werden, dass Teilnehmende Kontakt,<br />

möglicherweise sogar ein Naheverhältnis zu Menschen mit Basisbildungsbedarfen/-bedürfnissen<br />

haben und als glaubwürdig in Hinblick auf tatsächlich gelingende Lernprozesse wahrgenommen<br />

werden.<br />

195 Ein deutscher Kindertherapeut hat folgende Überlegung formuliert: »Der Unterschied zwischen<br />

der (hypothetisch perfekten) bestmöglichen Entwicklung und der tatsächlichen Lebenssituation<br />

eines Kindes definiert das Ausmaß der Kindesmisshandlung.« (Schmude o.J.<br />

zit. n. Zechner/Paulischin 2008: 36) Der Bruder von Teilnehmer 5 hat ein Mehr an elterlicher<br />

Aufmerksamkeit und Förderung erhalten, Teilnehmer 5 war also real und im Vergleich besonders<br />

benachteiligt.<br />

196 Die Benennung dieser individuellen negativen Sichtweisen auf sich selbst als »Glaubenssätze«<br />

beruht auf Wendungen, die Kursleitende in den Interviews verwendet haben. Rolf Arnold<br />

hat den Begriff »Deutungsmuster« für die Erwachsenenbildung fruchtbar gemacht und<br />

aufgearbeitet (Arnold 1985). Folgende Definition der »Deutungsmuster« ist von ihm vorgelegt<br />

worden: »Als Deutungsmuster werden […] die mehr oder weniger zeitstabilen und in gewisser<br />

Weise stereotypen Sichtweisen und Interpretationen von Mitgliedern einer sozialen Gruppe<br />

bezeichnet, die diese zu ihren alltäglichen Handlungs- und Interaktionsbereichen lebensgeschichtlich<br />

entwickelt haben. Im einzelnen bilden diese Deutungsmuster ein Orientierungsund<br />

Rechtfertigungspotential von Alltagswissensbeständen in der Form grundlegender, eher<br />

latenter Situations-, Beziehungs- und Selbstdefinitionen, in denen das Individuum seine Iden-<br />

- 404 -


tität präsentiert und seine Handlungsfähigkeit aufrechterhält.« (Arnold 1985: 23) Bei Durchsicht<br />

des Datenmaterials zeigte sich, dass den individuellen Glaubenssätzen von den Kursleitenden<br />

nachgespürt wird und es der individuellen Bewältigung eines Glaubenssatzes bedarf,<br />

um auf der Individualebene das Selbstbestimmungspotenzial der Teilnehmenden zu erhöhen.<br />

So ist für die vorliegende mikrodidaktische Perspektive der Begriff des Glaubenssatzes sinnvoller.<br />

Rolf Arnolds Begriff »Deutungsmuster« verweist auf ein Kollektiv, auf die Vorstellung<br />

einer zielgruppenspezifischen Verfasstheit und daher eher auf die Meso-/Makroebene didaktischen<br />

Handelns.<br />

197 Eine kleine Gruppengröße ist ein Qualitätsstandard in der Basisbildung; die Gruppengröße<br />

liegt bei maximal sechs Teilnehmenden, bei zwei Kursleitenden sollte die Gruppengröße<br />

zehn Teilnehmende nicht übersteigen (vgl. Doberer-Bey 2007: 35). Die maßgeschneiderte<br />

Unterstützung und Begleitung der Teilnehmenden ist ein weiterer wesentlicher Qualitätsstandard<br />

in der Basisbildung (vgl. ebd.).<br />

198 Die Datenerhebung ein Jahr nach Durchführung der Interviews ermöglicht eine Einschätzung<br />

zeitnaher Auswirkungen einer Basisbildungskursteilnahme, insbesondere bezogen auf Verlauf,<br />

Entwicklung, Veränderungen und Bedingungen. Im Rahmen des deutschen Forschungsprojektes<br />

»alphabund« lässt das Teilprojekt »Verbleibsstudie zur biographischen Entwicklung ehemaliger<br />

Teilnehmer/innen an Alphabetisierungskursen/Interdependenzen von Schriftsprachkompetenz<br />

und Aspekten der Lebensbewältigung« interessante Ergebnisse erwarten. Es sollen<br />

ehemalige Teilnehmende mittels biografischer Interviews befragt werden. Das Forschungsprojekt<br />

geht von der Hypothese aus, dass die Kursteilnahme ein biografisch bedeutsames Ereignis<br />

darstellt (zur Projektbeschreibung vgl. Kraft 2008: 14f.).<br />

199 Selbstverständlich darf eine solche Veränderung nicht ursächlich auf die Teilnahme zurückgeführt<br />

werden. Allerdings darf eine Veränderung im äußeren Erscheinungsbild als Hinweis<br />

auf lebensgeschichtliche Veränderungen interpretiert werden.<br />

200 Das Wort »vital« bedeutet lebenswichtig, voller Lebenskraft und »im Besitz seiner vollen<br />

Leistungskraft«; Vitalität meint Lebenskraft und Lebendigkeit (vgl. Duden, Bd. 5: 849).<br />

201 Während der Datenerhebung ist es nicht gelungen, einen erwachsenen Teilnehmer mit Migrationshintergrund<br />

zu interviewen. Ein Teilnehmer, der sich zum Gespräch bereit erklärt<br />

hatte, erkrankte und konnte daher nicht befragt werden. Teilnehmer 21 war am Tag des Interviews<br />

zum ersten Mal im Basisbildungskurs; und als Jugendlicher mit Migrationshintergrund<br />

ist er mit den vier erwachsenen Frauen mit Migrationshintergrund nicht vergleichbar.<br />

Die Frauen sind im jungen bzw. mittleren Erwachsenenalter nach Österreich emigriert, er bereits<br />

als Kind.<br />

202 Teilnehmerin 19 war von ihrem Beschäftigungsprojekt einen halben Tag pro Woche für die<br />

Teilnahme an ihrem Basisbildungskurs freigestellt.<br />

203 Per E-Mail und Telefonat im September 2008.<br />

204 Für diesen Hinweis danke ich meiner Kollegin Marion Sigot.<br />

205 Nachfrage bei der Kursleiterin per E-Mail und Telefonat im September 2008.<br />

206 Nachfrage bei der Kursleiterin per E-Mail und Telefonat im August 2008.<br />

207 Das Beispiel von Teilnehmerin 20, die in einem Beschäftigungsprojekt tätig ist, und nicht<br />

die Möglichkeit erhält, wöchentlich zum Kurs zu kommen, erstaunt. Im Gegensatz dazu war<br />

- 405 -


Teilnehmerin 19 von ihrem Beschäftigungsprojekt einen halben Tag pro Woche für die Teilnahme<br />

an ihrem Basisbildungskurs freigestellt worden.<br />

208 Auskunft per E-Mail und Telefonat im August 2008.<br />

209 Qualifizierungsprojekte verfolgen das Ziel der Integration in den so genannten ersten Arbeitsmarkt<br />

(Beschäftigung bzw. Lehrstelle). Die Jugendlichen erhalten für ihre Tätigkeit keine angemessene<br />

Entlohnung, sondern nur ein Taschengeld (knapp 300 Euro). Sie erwerben sich in<br />

dieser Zeit auch keinen Anspruch auf Arbeitslosengeld, weil die Projekte der Qualifizierung<br />

dienen und keine Beschäftigung im eigentlichen Sinn darstellen (vgl. Protokoll A, 5).<br />

210 In diesem Kontext ist interessant, dass Erol Yildiz dafür plädiert, sich »vom Mythos der ewigen<br />

Sesshaftigkeit« (Yildiz 2007: 55) zu verabschieden – damit gleichsam der Blick frei<br />

werde: »Menschen, die wandern, bringen immer ihre eigenen biographischen Erfahrungen,<br />

kulturellen Hintergründe und Kompetenzen mit, die sie in neuen Kontexten als Ressource<br />

nutzen.« (ebd.) In diesem Zusammenhang sind Strategien, die nach Migrationsbewegungen<br />

zur »gesellschaftlichen Verortung« entwickelt werden, von Bedeutung – weil sie über biografische<br />

Ressourcen Auskunft geben (vgl. Yildiz 2009: 163ff.).<br />

211 Diese Überlegungen sind in mehreren Publikationen grundgelegt und entwickelt worden<br />

(vgl. Illeris 2006: 29).<br />

212 Werner Lenz hat auf diese Beschleunigung hingewiesen: »Ein Thema wurde vor zwanzig Jahren<br />

in einer Veranstaltung der Erwachsenenbildung noch im Laufe einer Woche behandelt.<br />

[…] Heute wird ein Thema in 24 Stunden, von Mittag zu Mittag abgehandelt, das Soziale<br />

bleibt auf einen Abend beschränkt. Die von uns erzeugte ‚beschleunigte Bildung‘ lässt eine<br />

Frage offen: Handelt es sich um Konzentration oder Fragmentierung« (Lenz 2007: 3)<br />

213 Christiane Schiersmann (2006) hat auf die Bedeutung der familialen Förderung für die Entwicklung<br />

von Selbststeuerungsfähigkeit eindrücklich hingewiesen (siehe dazu Abschnitt 2.4<br />

und Abschnitt 2.5). Die lebensgeschichtlichen Erzählungen der befragten Teilnehmenden legen<br />

die Vermutung nahe, dass diese bei den der Untersuchung zugrunde gelegten Items zur<br />

Selbststeuerungsfähigkeit unterdurchschnittliche Werte erzielen würden, war deren Kindheit<br />

doch tendenziell von Vernachlässigung geprägt.<br />

214 Inklusive elektronisch erscheinende Zeitschriften.<br />

215 Alle aus dem Internet stammenden Quellen sind mit ihrem URL versehen. Während der Fertigstellung<br />

der Arbeit wurden sämtliche Dokumente noch einmal aufgerufen und gegebenenfalls<br />

der URL und somit das Datum des letzten Zugriffs aktualisiert. Nicht wieder auffindbare<br />

Dokumente behielten ihren ursprünglichen URL und das Datum des letzten Zugriffs.<br />

Alle für diese Arbeit verwendeten Internetquellen liegen als Ausdruck vor.<br />

216 Im Amtsblatt der Europäischen Union wird zwischen Mitteilungen und Bekanntmachungen<br />

(C) und Rechtsvor schriften (L) unterschieden.<br />

217 Diese Broschüre ist im Jahr 2008 veröffentlicht worden.<br />

218 TNin = Teilnehmerin, TNer = Teilnehmer (1 – 24)<br />

219 KLin = Kursleiterin, KLer = Kursleiter (A – I)<br />

220 In eckiger Klammer ist die Intention der Fragen vermerkt.<br />

221 Dieser Kopfteil der Transkripte hat in der Phase der Auswertung die Vergegenwärtigung der<br />

Interviewsituation erleichtert.

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