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aktuelle Lage und neuere Entwicklungen in der Bildungspolitik

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9<br />

Elfie Fleck<br />

Zur Situation von lebensweltlich mehrsprachigen<br />

SchülerInnen: <strong>aktuelle</strong> <strong>Lage</strong> <strong>und</strong> <strong>neuere</strong> <strong>Entwicklungen</strong><br />

<strong>in</strong> <strong>der</strong> <strong>Bildungspolitik</strong><br />

E<strong>in</strong>leitung<br />

Die im Jahr 2003 <strong>in</strong> <strong>der</strong> Reihe „Sprache im Kontext“ erschienene Publikation<br />

„Sprachenpolitik <strong>in</strong> Österreich. E<strong>in</strong>e Bestandsaufnahme“ widmete e<strong>in</strong> Kapitel<br />

den schulrechtlichen <strong>und</strong> schulorganisatorischen Rahmenbed<strong>in</strong>gungen für die<br />

Arbeit <strong>in</strong> multil<strong>in</strong>gualen Klassen. Die aktualisierte Neuauflage eröffnet die Möglichkeit,<br />

Rückschau zu halten <strong>und</strong> die <strong>Entwicklungen</strong> <strong>der</strong> letzten Jahre zu beleuchten.<br />

Dabei ist es unerlässlich, nicht nur Verän<strong>der</strong>ungen im Schulwesen zu<br />

betrachten, son<strong>der</strong>n e<strong>in</strong>en Blick über den Tellerrand zu wagen, da schulische<br />

Sprachenpolitik im Kontext <strong>der</strong> Migration nicht abgekoppelt von gesamtgesellschaftlichen<br />

Tendenzen beurteilt werden kann.<br />

1 Zur Klärung e<strong>in</strong>iger Begriffe: Wer hat e<strong>in</strong>en Migrationsh<strong>in</strong>tergr<strong>und</strong><br />

Während zu Beg<strong>in</strong>n des Jahrh<strong>und</strong>erts noch vielfach von „Auslän<strong>der</strong>Innen“ bzw.<br />

von „Auslän<strong>der</strong>k<strong>in</strong><strong>der</strong>n“ o<strong>der</strong> von „ausländischen SchülerInnen“ gesprochen<br />

wurde, ist mittlerweile allenthalben von Personen bzw. von SchülerInnen „mit<br />

Migrationsh<strong>in</strong>tergr<strong>und</strong>“ die Rede. Der Siegeszug dieses Begriffs ist nicht nur im<br />

Alltagsdiskurs <strong>und</strong> <strong>in</strong> <strong>der</strong> medialen Debatte, son<strong>der</strong>n auch <strong>in</strong> <strong>der</strong> Migrationsforschung<br />

zu beobachten <strong>und</strong> erklärt sich wohl vor allem aus <strong>der</strong> Tatsache, dass<br />

e<strong>in</strong>e beträchtliche Anzahl von MigrantInnen die österreichische Staatsbürgerschaft<br />

erworben hat <strong>und</strong> somit nicht mehr <strong>in</strong> die Kategorie „Auslän<strong>der</strong>Innen“<br />

fällt. Um diese wachsende Bevölkerungsgruppe zu benennen, musste also e<strong>in</strong><br />

neuer Begriff geschaffen werden. Aber wer hat denn nun eigentlich e<strong>in</strong>en Migrationsh<strong>in</strong>tergr<strong>und</strong><br />

Laut Statistik Austria handelt es sich dabei um Menschen mit ausländischer<br />

Staatsangehörigkeit sowie um Personen, die entwe<strong>der</strong> selbst o<strong>der</strong> <strong>der</strong>en Eltern<br />

im Ausland geboren wurden. Dieser Def<strong>in</strong>ition zufolge hatten am Stichtag<br />

1. Jänner 2011 1.543.289 Personen (bzw. 18,6 % <strong>der</strong> <strong>in</strong> Österreich lebenden Bevölkerung)<br />

e<strong>in</strong>en so genannten Migrationsh<strong>in</strong>tergr<strong>und</strong> (Statistik Austria & BM


10 Elfie Fleck<br />

für Inneres 2011: 21). Mit gut 220.000 Personen (darunter nur etwa 78.000 E<strong>in</strong>gebürgerte)<br />

waren Menschen deutscher Herkunft die größte Gruppe unter den<br />

Zuwan<strong>der</strong>ern – gefolgt von MigrantInnen aus Serbien, Montenegro <strong>und</strong> dem<br />

Kosovo (knapp 209.000) <strong>und</strong> Personen türkischer Herkunft (ca. 185.000). 1<br />

Diese Daten belegen e<strong>in</strong>drucksvoll, dass we<strong>der</strong> e<strong>in</strong>e ausländische Staatsangehörigkeit<br />

noch e<strong>in</strong> allfälliger Migrationsh<strong>in</strong>tergr<strong>und</strong> automatische Rückschlüsse<br />

auf die Erstsprache(n) o<strong>der</strong> auf die (mangelnde) Deutschkompetenz<br />

e<strong>in</strong>es Menschen erlauben, wie im Alltagsverständnis vielfach unterstellt wird.<br />

Um nicht Gefahr zu laufen, unbeabsichtigt an <strong>der</strong> Konstruktion von Vorurteilen<br />

mitzuwirken, empfiehlt sich daher e<strong>in</strong> sorgfältiger Sprachgebrauch, <strong>der</strong><br />

die Kategorien „Staatsbürgerschaft“, „Geburtsort/land (<strong>der</strong> Eltern)“, „Erstsprache(n)“<br />

<strong>und</strong> „Deutschkompetenz“ nicht gedankenlos vermischt.<br />

3 Die mehrsprachige Schülerpopulation <strong>in</strong> Österreich –<br />

e<strong>in</strong> Blick auf die Statistik<br />

Der Migrationsh<strong>in</strong>tergr<strong>und</strong> <strong>der</strong> SchülerInnen wird <strong>in</strong> <strong>der</strong> Schulstatistik nur teilweise<br />

erhoben, da gemäß Bildungsdokumentationsgesetz (= BilDok) (vgl.<br />

BGBl. I Nr. 12/2002, zuletzt geän<strong>der</strong>t durch BGBl. I Nr. 48/2010) bloß Geburtsort<br />

<strong>und</strong> -land des K<strong>in</strong>des selbst, nicht jedoch se<strong>in</strong>er Eltern abgefragt werden. Das<br />

ist <strong>in</strong>sofern schlüssig, als im pädagogischen Kontext e<strong>in</strong> allfälliger Migrationsh<strong>in</strong>tergr<strong>und</strong><br />

von eher ger<strong>in</strong>gem Interesse ist, während die sprachliche Primärsozialisation<br />

<strong>der</strong> Lernenden sehr wohl e<strong>in</strong>e Rolle spielt, da sie als AdressatInnen<br />

für den Deutsch-als-Zweitsprache-Unterricht bzw. für den muttersprachlichen<br />

Unterricht <strong>in</strong> Frage kommen. Außerdem stehen SchülerInnen, <strong>der</strong>en Familiensprache<br />

mit <strong>der</strong> Unterrichtssprache nicht identisch ist, vor e<strong>in</strong>er doppelten<br />

Herausfor<strong>der</strong>ung: Immerh<strong>in</strong> müssen sie neue Informationen <strong>in</strong> e<strong>in</strong>er Sprache<br />

verarbeiten, <strong>in</strong> <strong>der</strong> sie – vor allem am Anfang ihrer Schullaufbahn – noch nicht<br />

sattelfest s<strong>in</strong>d. Damit die Schule sowohl <strong>in</strong> organisatorischer als auch <strong>in</strong> unterrichtspraktischer<br />

H<strong>in</strong>sicht den sprachlichen Bedürfnissen dieser K<strong>in</strong><strong>der</strong> gerecht<br />

werden kann, s<strong>in</strong>d entsprechende statistische Daten sehr wohl vonnöten.<br />

Daher wird gemäß BilDok neben <strong>der</strong> Staatsbürgerschaft <strong>und</strong> e<strong>in</strong>er Reihe<br />

an<strong>der</strong>er Merkmale auch <strong>der</strong> sprachliche H<strong>in</strong>tergr<strong>und</strong> <strong>der</strong> SchülerInnen erhoben.<br />

Während bis zum Schuljahr 2007/08 nach <strong>der</strong> „Muttersprache“ gefragt wurde,<br />

ist seit dem Schuljahr 2008/09 unter dem Titel „Angabe <strong>der</strong> im Alltag gebrauchten<br />

Sprache(n)“ die Mehrfachnennung von Sprachen ausdrücklich vorgesehen,<br />

1 Insgesamt beträgt die Zahl <strong>der</strong> Menschen mit ex-jugoslawischen Wurzeln ca. 410.000,<br />

weil noch r<strong>und</strong> 131.000 Personen aus Bosnien-Herzegow<strong>in</strong>a sowie etwa 70.000 Personen<br />

kroatischer Herkunft h<strong>in</strong>zukommen. (Statistik Austria & BM für Inneres 2011: 24)


Zur Situation von lebensweltlich mehrsprachigen SchülerInnen 11<br />

womit <strong>der</strong> lebensweltlichen Mehrsprachigkeit vieler SchülerInnen auch <strong>in</strong> <strong>der</strong><br />

Statistik entsprochen wird.<br />

Um die Gesamtmenge <strong>der</strong> SchülerInnen mit an<strong>der</strong>en Erstsprachen als<br />

Deutsch 2 zu erfassen, wird die jeweils an erster Stelle genannte Sprache herangezogen.<br />

E<strong>in</strong>schränkend muss jedoch angemerkt werden, dass noch nicht alle<br />

Schulverwaltungsprogramme im H<strong>in</strong>blick auf diese gesetzliche Vorgabe adaptiert<br />

wurden <strong>und</strong> dass die Erhebung <strong>der</strong> tatsächlich verwendeten Sprache(n) auch<br />

e<strong>in</strong> gewisses F<strong>in</strong>gerspitzengefühl seitens <strong>der</strong> SchulleiterInnen beim Erstkontakt<br />

e<strong>in</strong>es K<strong>in</strong>des (bzw. se<strong>in</strong>er Eltern) mit <strong>der</strong> Schule voraussetzt.<br />

Da <strong>der</strong> Begriff „Auslän<strong>der</strong>k<strong>in</strong><strong>der</strong>“ <strong>in</strong> <strong>der</strong> Lehrerschaft immer noch weit<br />

verbreitet ist, lohnt es sich, die Anzahl <strong>der</strong> ausländischen SchülerInnen mit jener<br />

<strong>der</strong> SchülerInnen mit an<strong>der</strong>en Erstsprachen als Deutsch zu vergleichen. B<strong>und</strong>esweit<br />

hatten im Schuljahr 2009/10 108.253 SchülerInnen (9,5 % aller SchülerInnen)<br />

e<strong>in</strong>e ausländische Staatsangehörigkeit, aber fast doppelt so viele, nämlich<br />

201.397 (17,7 %) e<strong>in</strong>e an<strong>der</strong>e Erstsprache als Deutsch (vgl. BM für Unterricht,<br />

Kunst <strong>und</strong> Kultur 2010: 16f.). Die deutlich höhere Zahl <strong>der</strong> letzteren Gruppe<br />

ergibt sich aus <strong>der</strong> Tatsache, dass viele fremd- <strong>und</strong> zweisprachige SchülerInnen<br />

die österreichische Staatsbürgerschaft erworben haben bzw. bereits als ÖsterreicherInnen<br />

geboren wurden. Es handelt sich bei dieser Gruppe also nicht<br />

(mehr) um „Auslän<strong>der</strong>k<strong>in</strong><strong>der</strong>“. 3<br />

Während die Anzahl <strong>der</strong> ausländischen SchülerInnen mehr o<strong>der</strong> weniger<br />

stagniert <strong>und</strong> <strong>in</strong> e<strong>in</strong>zelnen Schularten sogar leicht rückläufig ist, hat die Anzahl<br />

<strong>der</strong> SchülerInnen mit an<strong>der</strong>en Erstsprachen <strong>in</strong> den vergangenen Jahren stetig<br />

zugenommen.<br />

Im Bereich <strong>der</strong> allgeme<strong>in</strong> bildenden Pflichtschulen (= APS) 4 konnte b<strong>und</strong>esweit<br />

e<strong>in</strong> Zuwachs <strong>der</strong> SchülerInnen mit Zweitsprache Deutsch von 78.750 im<br />

Schuljahr 1994/95 auf 127.516 SchülerInnen im Schuljahr 2010/11 (vgl. BM für<br />

Unterricht, Kunst <strong>und</strong> Kultur 2012b) 5 verzeichnet werden. Prozentuell ausgedrückt<br />

handelt es sich um e<strong>in</strong>e Steigerung von 11,7 % auf 23,1 % <strong>der</strong> gesamten<br />

Schülerpopulation, wobei erhebliche regionale Unterschiede zu beobachten<br />

s<strong>in</strong>d (2010/11: Kärnten: 11,0 %, Wien: 56,3 %). Für Wien bedeutet das<br />

2 Für die Sprache, <strong>in</strong> <strong>der</strong> die Primärsozialisation erfolgt, werden unterschiedliche Bezeichnungen<br />

verwendet: „Muttersprache“, „Erstsprache“, „Primärsprache“, „Familiensprache“,<br />

„Herkunftssprache“ o<strong>der</strong> auch „L1“.<br />

3 Umgekehrt ist zu berücksichtigen, dass bei den ausländischen SchülerInnen selbstverständlich<br />

auch jene mit deutscher Erstsprache mitgezählt werden (z. B. deutsche<br />

Staatsangehörige o<strong>der</strong> deutschsprachige SüdtirolerInnen mit italienischem Pass).<br />

4 Volksschulen, Hauptschulen, Son<strong>der</strong>schulen, Polytechnische Schulen.<br />

5 Zahlen für das Schuljahr 2011/12 liegen noch nicht vor. Für das Schuljahr 1994/95 vgl.<br />

Informationsblätter des Referats für Migration <strong>und</strong> Schule 2/2002.


12 Elfie Fleck<br />

jedenfalls, dass mittlerweile mehr als die Hälfte <strong>der</strong> PflichtschülerInnen im<br />

Familienverband ausschließlich o<strong>der</strong> vorwiegend e<strong>in</strong>e an<strong>der</strong>e Sprache als<br />

Deutsch verwendet.<br />

An weiterführenden Schulen fällt <strong>der</strong> Zuwachs an SchülerInnen mit Zweitsprache<br />

Deutsch im gleichen Zeitraum noch stärker auf. Der Anteil dieser<br />

Schülergruppe hat sich an allgeme<strong>in</strong> bildenden höheren Schulen (= AHS) von<br />

4,6 % auf 14,7 % erhöht; an berufsbildenden mittleren Schulen (= BMS) kann<br />

österreichweit e<strong>in</strong>e Zunahme von 5,5 % auf 19,3 % <strong>und</strong> an berufsbildenden<br />

höheren Schulen (= BHS) von 3,6 % auf 12,7 % beobachtet werden. Somit hat<br />

sich <strong>der</strong> Anteil dieser Schülergruppe an den genannten Schularten mehr als<br />

verdreifacht. Die entsprechenden Werte für Wien betrugen im Schuljahr<br />

2010/11 30,4 %, 51,7 % <strong>und</strong> 31,5 %.<br />

Jedenfalls werden SchülerInnen mit an<strong>der</strong>en Erstsprachen auch <strong>in</strong> H<strong>in</strong>kunft<br />

e<strong>in</strong>e konstant starke Gruppe darstellen, <strong>der</strong>en spezifische Bildungsvoraussetzungen<br />

<strong>in</strong> <strong>der</strong> Schule zu berücksichtigen s<strong>in</strong>d. Gr<strong>und</strong>sätzlich kann davon<br />

ausgegangen werden, dass die typische österreichische Schulklasse, zum<strong>in</strong>dest<br />

<strong>in</strong> städtischen Ballungsräumen, mehrsprachig <strong>und</strong> multikulturell zusammengesetzt<br />

ist. Selbst Standorte <strong>in</strong> entlegenen Ortschaften s<strong>in</strong>d von dieser<br />

Entwicklung nicht ausgenommen, vor allem dann nicht, wenn sich e<strong>in</strong>e Unterkunft<br />

für AsylwerberInnen im Ort bef<strong>in</strong>det.<br />

4 Die schulrechtlichen Rahmenbed<strong>in</strong>gungen für die schulische<br />

Sprachför<strong>der</strong>ung – e<strong>in</strong> Abriss<br />

4.1 Deutsch als Zweitsprache: Lehrplangr<strong>und</strong>lagen <strong>und</strong> Realität<br />

Lehrplanverordnungen für den Deutsch als Zweitsprache-Unterricht existieren<br />

an den allgeme<strong>in</strong> bildenden Pflichtschulen seit dem Schuljahr 1992/93. Anlässlich<br />

<strong>der</strong> im Jahr 2000 erfolgten Lehrplannovelle für die gesamte Sek<strong>und</strong>arstufe<br />

I 6 wurden „[b]eson<strong>der</strong>e didaktische Gr<strong>und</strong>sätze, wenn Deutsch Zweitsprache<br />

ist“ auch <strong>in</strong> den Lehrplan <strong>der</strong> AHS-Unterstufe aufgenommen.<br />

Schließlich trat im Schuljahr 2006/07 e<strong>in</strong> Lehrplan für die unverb<strong>in</strong>dliche<br />

Übung „Deutsch als Zweitsprache“ an <strong>der</strong> AHS-Oberstufe <strong>in</strong> Kraft. An den<br />

meisten berufsbildenden mittleren <strong>und</strong> höheren Schulen wurden <strong>in</strong>zwischen<br />

ebenfalls entsprechende Lehrplanbestimmungen verordnet (vgl. BM für Unterricht,<br />

Kunst <strong>und</strong> Kultur 2011a).<br />

Die Lehrpläne für die allgeme<strong>in</strong> bildenden Pflichtschulen sehen für den beson<strong>der</strong>en<br />

För<strong>der</strong>unterricht <strong>in</strong> Deutsch (= Deutsch als Zweitsprache-Unterricht)<br />

6 Hauptschule <strong>und</strong> AHS-Unterstufe.


Zur Situation von lebensweltlich mehrsprachigen SchülerInnen 13<br />

e<strong>in</strong> Ausmaß von maximal 12 Wochenst<strong>und</strong>en für außerordentliche 7 <strong>und</strong><br />

höchstens fünf bzw. sechs Wochenst<strong>und</strong>en für ordentliche SchülerInnen mit<br />

an<strong>der</strong>en Erstsprachen vor.<br />

Allerd<strong>in</strong>gs bef<strong>in</strong>det sich <strong>der</strong> beson<strong>der</strong>e För<strong>der</strong>unterricht <strong>in</strong> Deutsch seit jeher<br />

im Spannungsfeld zwischen pädagogischen Notwendigkeiten <strong>und</strong> vorhandenen<br />

Personalressourcen. Da zwar e<strong>in</strong> Höchstausmaß, nicht jedoch e<strong>in</strong> M<strong>in</strong>destausmaß<br />

für den Deutsch als Zweitsprache-Unterricht festgelegt wurde <strong>und</strong><br />

ke<strong>in</strong>erlei Rechtanspruch auf diese beson<strong>der</strong>e För<strong>der</strong>ung geltend gemacht werden<br />

kann, werden oft nicht mehr als zwei bis drei Wochenst<strong>und</strong>en angeboten, was<br />

bei Weitem nicht ausreicht. Vor allem SchülerInnen, die bereits <strong>in</strong> den<br />

ordentlichen Status übernommen wurden, kommen dabei häufig zu kurz.<br />

Sprachför<strong>der</strong>kurse für außerordentliche SchülerInnen<br />

Dieses Dilemma wurde schließlich erkannt <strong>und</strong> mit <strong>der</strong> gesetzlichen Verankerung<br />

<strong>der</strong> so genannten Sprachför<strong>der</strong>kurse (vgl. § 8e SchOG) 8 im Schuljahr<br />

2006/07 zum<strong>in</strong>dest teilweise behoben, <strong>in</strong>dem für die Abhaltung von Sprachför<strong>der</strong>kursen<br />

seitens des B<strong>und</strong>es jährlich zusätzliche zweckgeb<strong>und</strong>ene Lehrerdienstposten<br />

b<strong>und</strong>esweit zur Verfügung gestellt werden. Damit ist garantiert,<br />

dass <strong>der</strong> Deutsch-als-Zweitsprache-Unterricht für außerordentliche PflichtschülerInnen<br />

unabhängig von den Stellenplänen <strong>der</strong> e<strong>in</strong>zelnen B<strong>und</strong>eslän<strong>der</strong><br />

tatsächlich stattf<strong>in</strong>den kann.<br />

Während die Sprachför<strong>der</strong>kurse ursprünglich nur für außerordentliche<br />

SchülerInnen an Volksschulen (<strong>in</strong>kl. Vorschule) vorgesehen waren <strong>und</strong> von<br />

e<strong>in</strong>em Schüler bzw. e<strong>in</strong>er Schüler<strong>in</strong> höchstens e<strong>in</strong> Schuljahr lang besucht<br />

werden konnten, wurde durch entsprechende Novellen (zuletzt 2012) <strong>der</strong><br />

Geltungsbereich auf die Sek<strong>und</strong>arstufe I ausgeweitet <strong>und</strong> die maximale<br />

Besuchsdauer auf zwei Jahre erhöht.<br />

Derzeit gelten folgenden Bestimmungen: Sprachför<strong>der</strong>kurse haben die Aufgabe,<br />

Schülern von Volksschulen, Hauptschulen, Polytechnischen Schulen sowie <strong>der</strong><br />

Unterstufe <strong>der</strong> allgeme<strong>in</strong> bildenden höheren Schulen, die […] wegen mangeln<strong>der</strong><br />

Kenntnis <strong>der</strong> Unterrichtssprache als außerordentliche Schüler aufgenommen wurden,<br />

jene Sprachkenntnisse zu vermitteln, die sie befähigen, dem Unterricht <strong>der</strong> betreffenden<br />

Schulstufe zu folgen. Sie dauern e<strong>in</strong> o<strong>der</strong> höchstens zwei Unterrichtsjahre<br />

7 Dabei handelt es sich um SchülerInnen, die auf Gr<strong>und</strong> mangeln<strong>der</strong> Deutschkenntnisse<br />

dem Unterricht nicht ohne Weiteres folgen können (vgl. § 4 Abs. 2 <strong>und</strong> 3 SchUG). Nach<br />

spätestens zwei Jahren s<strong>in</strong>d diese SchülerInnen <strong>in</strong> den ordentlichen Status zu überführen.<br />

8 Die Bezeichnung „Sprachför<strong>der</strong>kurse“ ist <strong>in</strong>sofern irreführend, als es sich nicht um ganzheitliche<br />

Sprachför<strong>der</strong>ung, son<strong>der</strong>n um Deutschför<strong>der</strong>ung handelt.


14 Elfie Fleck<br />

<strong>und</strong> können nach Erreichen <strong>der</strong> erfor<strong>der</strong>lichen Sprachkompetenz durch e<strong>in</strong>zelne<br />

Schüler auch nach kürzerer Dauer beendet werden. (vgl. § 8e Abs. 1 SchOG)<br />

Sprachför<strong>der</strong>kurse f<strong>in</strong>den im Ausmaß von elf Wochenst<strong>und</strong>en anstelle <strong>der</strong> für<br />

die jeweilige Schulart vorgesehenen Pflichtgegenstände statt. Sie können ab<br />

e<strong>in</strong>er M<strong>in</strong>destzahl von acht SchülerInnen e<strong>in</strong>gerichtet werden, <strong>und</strong> zwar im Falle<br />

von unterrichtsparallelen Kursen auch schulstufen-, schulstandort- o<strong>der</strong> schulartenübergreifend.<br />

E<strong>in</strong>e <strong>in</strong>tegrative Führung dieser Kurse bzw. e<strong>in</strong>e Komb<strong>in</strong>ation<br />

aus unterrichtsparalleler <strong>und</strong> <strong>in</strong>tegrativer Führung ist möglich (vgl. § 8e<br />

Abs. 2 <strong>und</strong> 3 SchOG).<br />

Qualifikation <strong>der</strong> LehrerInnen<br />

Da entsprechende Pflichtlehrveranstaltungen <strong>in</strong> <strong>der</strong> Lehrererstausbildung we<strong>der</strong><br />

an den ehemaligen Pädagogischen Akademien noch im universitären Bereich<br />

vorgesehen waren, haben viele Lehrkräfte, die e<strong>in</strong>en Sprachför<strong>der</strong>kurs erteilen<br />

bzw. Deutsch als Zweitsprache im Klassenverband o<strong>der</strong> <strong>in</strong> <strong>der</strong> Kle<strong>in</strong>gruppe<br />

unterrichten, ke<strong>in</strong>e e<strong>in</strong>schlägige Ausbildung – ganz abgesehen davon, dass auch<br />

die LehrerInnen <strong>der</strong> Sachfächer für die sprachliche Bildung ihrer SchülerInnen<br />

verantwortlich s<strong>in</strong>d <strong>und</strong> auf diese Aufgabe ebenfalls vorbereitet werden sollten. 9<br />

An den Pädagogischen Hochschulen werden verpflichtende Lehrveranstaltungen<br />

im Rahmen <strong>der</strong> Erstausbildung nach wie vor nur vere<strong>in</strong>zelt angeboten,<br />

f<strong>in</strong>den sich jedoch zum<strong>in</strong>dest im Bereich von Wahlpflichtfächern (zur<br />

PädagogInnenbildung siehe den Beitrag von Dannerer / Knappik / Spr<strong>in</strong>gsits <strong>in</strong><br />

diesem Band). H<strong>in</strong>gegen kann <strong>in</strong> <strong>der</strong> Fort- <strong>und</strong> Weiterbildung <strong>in</strong> den letzten<br />

Jahren e<strong>in</strong>e erfreuliche Zunahme an e<strong>in</strong>schlägigen Lehrgängen beobachtet<br />

werden. Im R<strong>und</strong>schreiben Nr. 22/2009 des BM für Unterricht, Kunst <strong>und</strong><br />

Kultur wurde <strong>der</strong> Themenkomplex „Sprachenvielfalt / Mehrsprachigkeit / <strong>in</strong>terkulturelles<br />

Lernen“ unter Bezugnahme auf das Regierungsprogramm vom<br />

November 2008 10 als e<strong>in</strong>er von mehreren Ressortschwerpunkten für die Fort<strong>und</strong><br />

Weiterbildung def<strong>in</strong>iert.<br />

4.2 Der muttersprachliche Unterricht<br />

Zur Bedeutung <strong>der</strong> schulischen För<strong>der</strong>ung <strong>der</strong> Erstsprache<br />

ExpertInnen aus <strong>der</strong> Sprachwissenschaft (vgl. z. B. Gogol<strong>in</strong> 1993 o<strong>der</strong> de Cillia<br />

2011) s<strong>in</strong>d sich weitgehend e<strong>in</strong>ig, dass die schulische För<strong>der</strong>ung <strong>der</strong> Erstsprache<br />

nicht nur den Erwerb <strong>der</strong> Zweitsprache Deutsch unterstützt, son<strong>der</strong>n auch für<br />

9 vgl. auch Abschnitt 6.3.<br />

10 „Alle LehrerInnen sollen im Rahmen ihrer Ausbildung <strong>in</strong>terkulturelle Kompetenzen<br />

erwerben.“ (195)


Zur Situation von lebensweltlich mehrsprachigen SchülerInnen 15<br />

das Erlernen weiterer Fremdsprachen sowie für den schulischen Erfolg <strong>und</strong> die<br />

kognitive <strong>und</strong> emotionale Entwicklung des K<strong>in</strong>des von Vorteil ist. Diese<br />

Erkenntnisse wurden bei <strong>der</strong> Formulierung <strong>der</strong> Fachlehrpläne für den muttersprachlichen<br />

Unterricht berücksichtigt. 11<br />

Zielgruppe<br />

Teilnahmeberechtigt s<strong>in</strong>d alle SchülerInnen, die im Familienverband ausschließlich<br />

o<strong>der</strong> teilweise (e<strong>in</strong>e) an<strong>der</strong>e Sprache(n) als Deutsch verwenden, <strong>und</strong> zwar<br />

ungeachtet ihrer Staatsbürgerschaft, ihres Geburtsortes, ihrer Schulbesuchsdauer<br />

<strong>in</strong> Österreich <strong>und</strong> ihrer Kompetenz <strong>in</strong> <strong>der</strong> Unterrichtssprache Deutsch.<br />

Sprachenangebot<br />

Die Lehrpläne s<strong>in</strong>d so offen gestaltet, dass sie sich gr<strong>und</strong>sätzlich auf jede<br />

Sprache anwenden lassen, was auch die E<strong>in</strong>führung neuer Sprachen erleichtert,<br />

da nicht für jede E<strong>in</strong>zelsprache e<strong>in</strong> eigener Lehrplan entwickelt werden muss. So<br />

konnte <strong>der</strong> Sprachenkanon im Lauf <strong>der</strong> letzten Jahre sukzessive ausgeweitet<br />

werden (zuletzt Kurdisch <strong>in</strong> Wien).<br />

Im Schuljahr 2010/11 wurden österreichweit folgende Sprachen angeboten:<br />

Albanisch, Arabisch, Armenisch, Bosnisch/Kroatisch/Serbisch (BKS),<br />

Bulgarisch, Ch<strong>in</strong>esisch, Französisch, Kurdisch (Kurmanci <strong>und</strong> Zazaki), Pashto,<br />

Persisch (Farsi <strong>und</strong> Dari), Polnisch, Portugiesisch, Romanes, Rumänisch,<br />

Russisch, Slowakisch, Spanisch, Tschechisch, Tschetschenisch, Türkisch <strong>und</strong><br />

Ungarisch.<br />

Ausmaß des muttersprachlichen Unterrichts<br />

Die Tendenz zur Teilnahme am muttersprachlichen Unterricht ist seit Jahren<br />

leicht steigend. Die vorerst letzte Erhebung liegt für das Schuljahr 2010/11<br />

(vgl. BM für Unterricht, Kunst <strong>und</strong> Kultur 2012c) vor <strong>und</strong> ergibt folgendes Bild:<br />

404 Lehrkräfte unterrichteten 31.853 SchülerInnen <strong>in</strong> 23 Sprachen, was e<strong>in</strong>er<br />

Zunahme von 15 Lehrpersonen <strong>und</strong> 1.101 SchülerInnen gegenüber dem Vorjahr<br />

entspricht. Der weitaus größte Anteil entfiel auf Wien (236 LehrerInnen <strong>und</strong><br />

17.694 SchülerInnen).<br />

Nach Sprachen aufgeschlüsselt zeigt sich, dass BKS mit 152 <strong>und</strong> Türkisch<br />

mit 155 LehrerInnen bzw. mit 11.342 <strong>und</strong> 14.639 SchülerInnen die am weitesten<br />

verbreiten Sprachen im Rahmen des muttersprachlichen Unterrichts s<strong>in</strong>d. Mit<br />

11 Lehrpläne für den muttersprachlichen Unterricht wurden für die Gr<strong>und</strong>stufe, die<br />

Sek<strong>und</strong>arstufe I sowie für die AHS-Oberstufe verordnet (vgl. BM für Unterricht, Kunst<br />

<strong>und</strong> Kultur 2011c).


16 Elfie Fleck<br />

deutlichem Abstand folgten Albanisch (24 LehrerInnen, 2.101 SchülerInnen)<br />

<strong>und</strong> Arabisch (12 LehrerInnen, 934 SchülerInnen).<br />

LehrerInnen<br />

Die Lehrkräfte für den muttersprachlichen Unterricht werden von österreichischen<br />

Schulbehörden ausgewählt, angestellt <strong>und</strong> bezahlt. Da jedoch die<br />

meisten Lehrkräfte ihre Qualifikationen im Ausland erworben haben, s<strong>in</strong>d sie <strong>in</strong><br />

Form von Son<strong>der</strong>verträgen angestellt, was zur Folge hat, dass sie dienst- <strong>und</strong><br />

besoldungsrechtlich schlechter e<strong>in</strong>gestuft werden als Lehrkräfte, die ihre Erstausbildung<br />

im Inland absolviert haben, <strong>und</strong> ihre Verträge jährlich erneuert<br />

werden müssen.<br />

Erst im Schuljahr 2008/09 wurde hier teilweise Abhilfe geschaffen: E<strong>in</strong><br />

Schreiben des BM für Unterricht, Kunst <strong>und</strong> Kultur erlaubt den e<strong>in</strong>zelnen<br />

B<strong>und</strong>eslän<strong>der</strong>n, die befristeten Verträge <strong>in</strong> unbefristete umzuwandeln, wenn e<strong>in</strong>e<br />

Lehrkraft seit mehr als zehn Jahren im E<strong>in</strong>satz ist. Im darauf folgenden Schuljahr<br />

wurde diese Frist auf e<strong>in</strong>e fünfjährige Beschäftigungsdauer herabgesetzt,<br />

sodass mittlerweile e<strong>in</strong> Großteil <strong>der</strong> betroffenen KollegInnen <strong>in</strong> den Genuss<br />

dieser Regelung kommt.<br />

4.3 Das Unterrichtspr<strong>in</strong>zip „Interkulturelles Lernen“<br />

Neben Angeboten zur För<strong>der</strong>ung <strong>der</strong> Landessprache sowie <strong>der</strong> Herkunftssprache(n)<br />

stellen Programme zur <strong>in</strong>terkulturellen Erziehung die dritte Säule<br />

e<strong>in</strong>er s<strong>in</strong>nvollen Pädagogik <strong>in</strong> Migrationsgesellschaften dar. In Österreich ist<br />

„Interkulturelles Lernen“ seit Anfang <strong>der</strong> 90er Jahre des vergangenen Jahrh<strong>und</strong>erts<br />

als Unterrichtspr<strong>in</strong>zip <strong>in</strong> den Lehrplänen <strong>der</strong> allgeme<strong>in</strong> bildenden<br />

Schulen verankert (vgl. BM für Unterricht, Kunst <strong>und</strong> Kultur 2011c), <strong>und</strong> auch<br />

<strong>in</strong> den Fachlehrplänen <strong>der</strong> berufsbildenden mittleren <strong>und</strong> höheren Schulen<br />

f<strong>in</strong>den sich zahlreiche <strong>in</strong>terkulturelle Bezüge.<br />

In <strong>der</strong> Praxis wird dieses Unterrichtspr<strong>in</strong>zip vielfach mit dem Deutsch als<br />

Zweitsprache-Unterricht verwechselt. Während es sich bei Letzterem um e<strong>in</strong>e<br />

zielgerichtete För<strong>der</strong>maßnahme für SchülerInnen handelt, <strong>der</strong>en Deutschkompetenz<br />

noch nicht auf muttersprachlichem Niveau anzusiedeln ist, stellt das<br />

Unterrichtspr<strong>in</strong>zip e<strong>in</strong>e Querschnittsmaterie dar, welche <strong>in</strong> geeigneter Form <strong>in</strong><br />

alle Unterrichtsgegenstände e<strong>in</strong>fließen sollte – <strong>und</strong> zwar auch <strong>in</strong> sprachlich <strong>und</strong><br />

kulturell weitgehend homogenen Klassen. Die Beschäftigung mit den unterschiedlichen<br />

Lebenswelten <strong>der</strong> SchülerInnen kann das Selbstwertgefühl von<br />

K<strong>in</strong><strong>der</strong>n, <strong>der</strong>en Sprachen e<strong>in</strong> ger<strong>in</strong>ges Prestige haben, steigern <strong>und</strong> zu e<strong>in</strong>er<br />

Sensibilisierung aller Lernenden beitragen, wenn Vielfalt als selbstverständlich


Zur Situation von lebensweltlich mehrsprachigen SchülerInnen 17<br />

wahrgenommen wird <strong>und</strong> sich <strong>der</strong> Fokus des Interesses nicht ausschließlich auf<br />

bestimmte Gruppen (etwa Migrantenk<strong>in</strong><strong>der</strong>) richtet.<br />

Um LehrerInnen bei <strong>der</strong> Planung nachhaltiger <strong>in</strong>terkultureller Unterrichtsaktivitäten<br />

zu unterstützen, wurde seitens des BM für Unterricht, Kunst <strong>und</strong><br />

Kultur die Aktion „Interkulturalität <strong>und</strong> Mehrsprachigkeit – e<strong>in</strong>e Chance!“ 12 <strong>in</strong>s<br />

Leben gerufen, die seit dem Schuljahr 2006/07 mit großem Erfolg läuft, wie die<br />

Ergebnisse e<strong>in</strong>er Begleitforschung (Interkulturalität <strong>und</strong> Mehrsprachigkeit – e<strong>in</strong>e<br />

Chance! E<strong>in</strong>e Untersuchung von Schulprojekten. Wien 2011) sowie die anhaltend<br />

starke Beteiligung an <strong>der</strong> Schulaktion <strong>und</strong> an <strong>der</strong> Fortbildungsreihe „Interkulturalität<br />

<strong>und</strong> Mehrsprachigkeit <strong>in</strong> <strong>der</strong> schulischen Praxis“ zeigen.<br />

5 „Der Habitus <strong>der</strong> Schule ist immer noch monol<strong>in</strong>gual“ 13<br />

Die Tatsache, dass Österreich, vor allem auf Gr<strong>und</strong> <strong>der</strong> Zuwan<strong>der</strong>ung, e<strong>in</strong> mehrsprachiges<br />

Land (geworden) ist, lässt sich nicht mehr leugnen. Die Interpretation<br />

<strong>der</strong> Bevölkerungs- wie <strong>der</strong> Schulstatistik lässt ke<strong>in</strong>en an<strong>der</strong>en Schluss zu.<br />

Anstatt jedoch die real vorhandene Mehrsprachigkeit <strong>in</strong> unserem Land als<br />

Ressource zu begreifen (ohne die S<strong>in</strong>nhaftigkeit e<strong>in</strong>er angemessenen Deutschkompetenz<br />

<strong>in</strong> Abrede zu stellen), hat <strong>in</strong> den letzten Jahren e<strong>in</strong>e beispiellose<br />

Germanisierungsoffensive e<strong>in</strong>gesetzt, die <strong>in</strong> <strong>der</strong> gesetzlich verankerten<br />

For<strong>der</strong>ung an Drittstaatsangehörige, bereits vor Zuzug Deutschkenntnisse nachzuweisen,<br />

gipfelt (vgl. Fremdenrechtsän<strong>der</strong>ungsgesetz / FrÄG 2011, Artikel 1:<br />

Än<strong>der</strong>ung des Nie<strong>der</strong>lassungs- <strong>und</strong> Aufenthaltsgesetzes, § 21a Abs. 1.)<br />

„Deutschkenntnisse“, so tönt es allenthalben, „s<strong>in</strong>d schließlich <strong>der</strong> Schlüssel<br />

zu erfolgreicher Integration“ 14 . Tatsächlich verhält es sich genau umgekehrt,<br />

denn nur wer „<strong>in</strong>tegriert“ ist, sprich: wer von e<strong>in</strong>er Geme<strong>in</strong>schaft angenommen<br />

wird, kann sich angstfrei <strong>und</strong> neugierig auf den Erwerb <strong>der</strong> neuen Sprache e<strong>in</strong>lassen.<br />

Das gilt für Erwachsene ebenso wie für K<strong>in</strong><strong>der</strong> <strong>und</strong> Jugendliche.<br />

Dieser E<strong>in</strong>sicht zum Trotz können sich die e<strong>in</strong>seitige Überbetonung des<br />

Deutschen <strong>und</strong> die damit e<strong>in</strong>hergehende fast pathologische Abwehr an<strong>der</strong>er<br />

Sprachen auf e<strong>in</strong>en breiten Konsens <strong>in</strong> Politik <strong>und</strong> Gesellschaft berufen, <strong>der</strong><br />

se<strong>in</strong>e Spuren auch im gesellschaftlichen Subsystem Schule h<strong>in</strong>terlässt, obwohl<br />

sich dieses gr<strong>und</strong>sätzlich <strong>der</strong> Mehrsprachigkeit verpflichtet fühlt (vgl. z. B.<br />

Regierungsprogramm 2008, S. 194f.) <strong>und</strong> zahlreiche positive Ansätze vorweisen<br />

kann.<br />

12 vgl. www.projekte-<strong>in</strong>terkulturell.at, Zugriff 06.09.2012.<br />

13 vgl. Gogol<strong>in</strong> 1993.<br />

14 Bezahlte Anzeige des BM für Inneres. (In: biber, Sommer 2011: 85)


18 Elfie Fleck<br />

Im Folgenden werden e<strong>in</strong>ige Beispiele angeführt, um zu belegen, wie sich<br />

<strong>der</strong> monol<strong>in</strong>guale Habitus trotz gegenteiliger Anstrengungen hartnäckig hält.<br />

5.1 „Deutsch, Deutsch, nur Du alle<strong>in</strong>“ 15 o<strong>der</strong> Anerkennung <strong>der</strong><br />

Mehrsprachigkeit<br />

Die Notwendigkeit, die Landes- <strong>und</strong> Schulsprache Deutsch zu erwerben, wird<br />

von niemandem ernsthaft angezweifelt, doch an <strong>der</strong> Frage, welche Rolle die<br />

Familiensprache <strong>der</strong> K<strong>in</strong><strong>der</strong> <strong>in</strong> <strong>der</strong> Schule spielen soll, scheiden sich die Geister.<br />

Zwar setzt sich die Erkenntnis, dass es bei zweisprachigen Menschen wenig<br />

zielführend ist, e<strong>in</strong>e Sprache auf Kosten <strong>der</strong> an<strong>der</strong>en zu för<strong>der</strong>n, auch <strong>in</strong> Lehrerkreisen<br />

<strong>und</strong> bei <strong>der</strong> Schulaufsicht immer mehr durch, doch ist sie noch lange<br />

nicht pädagogisches Allgeme<strong>in</strong>gut, wie „Muttersprachenverbote“ selbst <strong>in</strong> den<br />

Pausen zeigen.<br />

E<strong>in</strong>an<strong>der</strong> wi<strong>der</strong>sprechende For<strong>der</strong>ungen s<strong>in</strong>d auch aus <strong>der</strong> Politik zu<br />

vernehmen: Während Staatssekretär Sebastian Kurz sowohl bei erwachsenen<br />

MigrantInnen als auch bei Schulk<strong>in</strong><strong>der</strong>n ausschließlich auf den Erwerb <strong>der</strong><br />

Landessprache Deutsch setzt, plädiert Christoph Neumayer, <strong>der</strong> Generalsekretär<br />

<strong>der</strong> Industriellenvere<strong>in</strong>igung, dafür, die Erstsprachen <strong>der</strong> K<strong>in</strong><strong>der</strong> <strong>in</strong> <strong>der</strong> Schule zu<br />

berücksichtigen: „E<strong>in</strong>e Alphabetisierung <strong>der</strong> Zuwan<strong>der</strong>erk<strong>in</strong><strong>der</strong> <strong>in</strong> <strong>der</strong> Muttersprache<br />

wäre s<strong>in</strong>nvoll“, me<strong>in</strong>t er <strong>und</strong> fügt h<strong>in</strong>zu: „Sie lernen dann auch besser<br />

Deutsch“ („Der Kurier“ vom 17.07.2011: „Kurz: ‚Deutsch hat Vorang‘“). Elmar<br />

Mayer, <strong>der</strong> Bildungssprecher <strong>der</strong> SPÖ, hält h<strong>in</strong>gegen wenig von e<strong>in</strong>em zweisprachigen<br />

Ansatz: „Neueste Ergebnisse aus <strong>der</strong> Hirnforschung zeigen, dass die<br />

bisher gängige Me<strong>in</strong>ung, K<strong>in</strong><strong>der</strong> sollten zuerst ihre Muttersprache <strong>und</strong> dann<br />

Deutsch lernen, überholt ist.“ (a. a. O.). Hier sche<strong>in</strong>t e<strong>in</strong> Missverständnis vorzuliegen,<br />

denn es geht bei lebensweltlich mehrsprachigen K<strong>in</strong><strong>der</strong>n nicht darum,<br />

ihre Sprachen getrennt <strong>und</strong> nache<strong>in</strong>an<strong>der</strong> zu för<strong>der</strong>n, son<strong>der</strong>n gleichzeitig. Die<br />

Forschung, auf die sich Elmar Mayer beruft, hat nämlich auch herausgef<strong>und</strong>en,<br />

dass das Spracherwerbspotenzial bei zweisprachigen Individuen unteilbar ist<br />

<strong>und</strong> dass die beteiligten Sprachen <strong>in</strong> e<strong>in</strong>er ständigen Wechselbeziehung zue<strong>in</strong>an<strong>der</strong><br />

stehen (vgl. z. B. Tracy 2008, Leist-Villis 2008).<br />

5.2 Frühe sprachliche För<strong>der</strong>ung – e<strong>in</strong> „Allheilmittel“<br />

In den letzten Jahren hat sich <strong>der</strong> Schwerpunkt <strong>der</strong> sprachlichen För<strong>der</strong>ung<br />

(geme<strong>in</strong>t ist meist die För<strong>der</strong>ung <strong>der</strong> deutschen Sprache) <strong>in</strong> den vorschulischen<br />

Bereich verlagert. Der vorläufige Schlusspunkt wurde mit <strong>der</strong> E<strong>in</strong>führung des<br />

verpflichtenden K<strong>in</strong><strong>der</strong>gartenjahres im letzten Jahr vor <strong>der</strong> Schulpflicht erreicht,<br />

15 Gombos 2011: 28.


Zur Situation von lebensweltlich mehrsprachigen SchülerInnen 19<br />

wenngleich neuerd<strong>in</strong>gs e<strong>in</strong>e K<strong>in</strong><strong>der</strong>gartenpflicht für Vierjährige („Der Kurier“<br />

vom 17.07.2011: „Kurz: ‚Deutsch hat Vorrang‘“) mit „Sprachdefiziten“ 16 angedacht<br />

wird.<br />

Daran knüpft sich die Hoffnung, dass die betreffenden K<strong>in</strong><strong>der</strong> mit dem<br />

E<strong>in</strong>tritt <strong>in</strong> die Volksschule <strong>der</strong> deutschen Sprache bereits mächtig s<strong>in</strong>d <strong>und</strong> somit<br />

die vielfach als lästig empf<strong>und</strong>ene Pflicht, sie <strong>in</strong> <strong>der</strong> Schule mit <strong>der</strong> Unterrichtssprache<br />

vertraut zu machen, entfällt. Dieses Wunschdenken f<strong>in</strong>det <strong>in</strong> <strong>der</strong> Realität<br />

allerd<strong>in</strong>gs nur selten e<strong>in</strong>e Entsprechung. Schließlich wäre es uns<strong>in</strong>nig zu<br />

erwarten, dass K<strong>in</strong><strong>der</strong>, <strong>der</strong>en Deutscherwerb im Alter von fünf Jahren e<strong>in</strong>setzt,<br />

nach nur e<strong>in</strong>em Jahr e<strong>in</strong> Niveau erreichen, für das ihre e<strong>in</strong>sprachig aufwachsenden<br />

AltersgenossInnen bis zum Schule<strong>in</strong>tritt immerh<strong>in</strong> sechs Jahre lang<br />

Zeit hatten.<br />

Die Vorteile e<strong>in</strong>es K<strong>in</strong><strong>der</strong>gartenbesuchs für alle K<strong>in</strong><strong>der</strong> sollen hier nicht <strong>in</strong><br />

Abrede gestellt werden, doch muss vor überzogenen Erwartungen gewarnt<br />

werden. Vor allem <strong>der</strong> Umkehrschluss, dass K<strong>in</strong><strong>der</strong>, die bei Schule<strong>in</strong>tritt noch<br />

nicht Deutsch können, den richtigen Zeitpunkt für den Erwerb <strong>der</strong> Unterrichts<strong>und</strong><br />

Landessprache bereits verpasst haben <strong>und</strong> somit „hoffnungslose Fälle“ s<strong>in</strong>d,<br />

ist unzulässig. Viele Menschen, die erst im Alter von sieben o<strong>der</strong> acht Jahren<br />

bzw. noch viel später erstmals mit Deutsch <strong>in</strong> Berührung gekommen s<strong>in</strong>d, haben<br />

diese Sprache auf muttersprachlichem Niveau erworben 17 <strong>und</strong> s<strong>in</strong>d mitunter<br />

sogar als DeutschlehrerInnen tätig.<br />

Anstatt die Zuständigkeit für den Deutscherwerb immer weiter <strong>in</strong>s frühk<strong>in</strong>dliche<br />

Alter zu verlagern (<strong>und</strong> damit die Verantwortung dafür – zum<strong>in</strong>dest<br />

teilweise – von <strong>der</strong> Schule fernzuhalten), sollte endlich anerkannt werden, dass<br />

Spracherwerb e<strong>in</strong> langjähriger Prozess ist, <strong>der</strong> mit dem Übertritt vom K<strong>in</strong><strong>der</strong>garten<br />

<strong>in</strong> die Schule bei Weitem noch nicht abgeschlossen ist, <strong>und</strong> zwar we<strong>der</strong><br />

bei e<strong>in</strong>sprachigen noch bei lebensweltlich mehrsprachigen K<strong>in</strong><strong>der</strong>n. Gefor<strong>der</strong>t<br />

s<strong>in</strong>d deswegen Konzepte zu e<strong>in</strong>er ganzheitlichen Sprachför<strong>der</strong>ung während <strong>der</strong><br />

gesamten Bildungslaufbahn. 18<br />

16 Die Wortwahl ist verräterisch: Wenn von „Sprachdefiziten“, „Spracherwerb“, „Sprachkompetenz“<br />

usw. die Rede ist, dann ist fast immer Deutsch geme<strong>in</strong>t.<br />

17 Man denke an die Schwimmer<strong>in</strong> Mirna Jukić, die Nationalratsabgeordnete Alev Korun<br />

o<strong>der</strong> die Wiener Vizebürgermeister<strong>in</strong> Maria Vassilakou, um nur e<strong>in</strong>ige prom<strong>in</strong>ente<br />

Beispiele zu nennen.<br />

18 Das am 19.05.2011 im BM für Unterricht, Kunst <strong>und</strong> Kultur von den Universitätsprofessoren<br />

Krumm <strong>und</strong> Reich vorgestellte Curriculum Mehrsprachigkeit zielt <strong>in</strong> diese<br />

Richtung. Siehe http://oesz.at./download/cm/CurriculumMehrsprachigkeit2011, Zugriff<br />

14.02.2013.


20 Elfie Fleck<br />

5.3 Deutschkompetenz als E<strong>in</strong>trittskarte <strong>in</strong> die Schule<br />

Dem Konzept „Deutsch vor Zuzug“ für erwachsene Neuzuwan<strong>der</strong>er entspricht<br />

<strong>in</strong> <strong>der</strong> Schule die verbreitete, wenngleich schulrechtlich nicht gedeckte Vorstellung,<br />

dass K<strong>in</strong><strong>der</strong>, die des Deutschen noch nicht mächtig s<strong>in</strong>d, vorerst <strong>in</strong> die<br />

Vorschule statt <strong>in</strong> die 1. Klasse <strong>der</strong> Volksschule aufzunehmen s<strong>in</strong>d. Die<br />

statistischen Daten s<strong>in</strong>d hier mehr als aufschlussreich: Während <strong>der</strong> Anteil von<br />

K<strong>in</strong><strong>der</strong>n mit an<strong>der</strong>en Erstsprachen als Deutsch <strong>in</strong> <strong>der</strong> Volksschule im Schuljahr<br />

2010/11 b<strong>und</strong>esweit 24,0 % betrug, waren die Vergleichswerte für die Vorschulstufe<br />

50,2 % (vgl. BM für Unterricht, Kunst <strong>und</strong> Kultur 2012b).<br />

Angesichts dieser weit verbreiteten Praxis, die vor allem seit <strong>der</strong> E<strong>in</strong>führung<br />

<strong>der</strong> frühen sprachlichen För<strong>der</strong>ung im K<strong>in</strong><strong>der</strong>garten überhandnimmt, lohnt es<br />

sich, aus e<strong>in</strong>er Stellungnahme des BM für Unterricht, Kunst <strong>und</strong> Kultur ausführlich<br />

zu zitieren:<br />

E<strong>in</strong>e noch nicht ausreichende Beherrschung <strong>der</strong> Unterrichtssprache Deutsch ist nicht<br />

mit mangeln<strong>der</strong> Schulreife gleichzusetzen. Jenen Schulanfänger<strong>in</strong>nen <strong>und</strong> Schulanfängern,<br />

<strong>der</strong>en e<strong>in</strong>ziges ,Defizit‘ dar<strong>in</strong> besteht, <strong>der</strong> deutschen Sprache noch nicht<br />

mächtig zu se<strong>in</strong>, würden dadurch automatisch Entwicklungsverzögerungen unterstellt<br />

werden. Dies hätte negative Auswirkungen auf Selbstwertgefühl <strong>und</strong><br />

Motivation <strong>der</strong> K<strong>in</strong><strong>der</strong> zur Folge. Weiters ist zu bedenken, dass schulreife K<strong>in</strong><strong>der</strong><br />

mit e<strong>in</strong>er noch unzureichenden Deutschkompetenz e<strong>in</strong>er gr<strong>und</strong>sätzlich an<strong>der</strong>en Form<br />

<strong>der</strong> För<strong>der</strong>ung bedürfen als nicht schulreife K<strong>in</strong><strong>der</strong> – im Beson<strong>der</strong>en e<strong>in</strong>er umfassenden<br />

sprachlichen För<strong>der</strong>ung <strong>in</strong> <strong>der</strong> Erstsprache wie <strong>in</strong> ihrer Zweitsprache<br />

Deutsch. […] Das österreichische Schulwesen sieht daher für schulpflichtige, nicht<br />

schulreife K<strong>in</strong><strong>der</strong> den Besuch <strong>der</strong> Vorschulstufe vor, während schulpflichtige, schulreife<br />

K<strong>in</strong><strong>der</strong> mit mangeln<strong>der</strong> Kenntnis <strong>der</strong> Unterrichtssprache als außerordentliche<br />

Schüler<strong>in</strong>nen <strong>und</strong> Schüler <strong>in</strong> die 1. Klasse <strong>der</strong> Volksschule aufzunehmen s<strong>in</strong>d. Die<br />

Bestimmung des § 6 Abs. 2b des Schulpflichtgesetzes 1985 def<strong>in</strong>iert die ,Schulreife‘<br />

<strong>und</strong> stellt dabei auf ‚körperliche o<strong>der</strong> geistige Überfor<strong>der</strong>ung‘ ab. E<strong>in</strong>e Interpretation<br />

des § 6 Abs. 2b des Schulpflichtgesetzes 1985, wonach K<strong>in</strong><strong>der</strong> mit mangelnden<br />

Deutschkenntnissen ,geistig überfor<strong>der</strong>t‘ wären, dem Unterricht <strong>in</strong> <strong>der</strong> ersten Klasse<br />

zu folgen, <strong>und</strong> aus diesem Gr<strong>und</strong> nicht schulreif wären, ist im Licht <strong>der</strong> klaren<br />

Regelung des § 4 Abs. 2 des Schulunterrichtsgesetzes nicht zulässig. (BMUKK-<br />

10.353/0069-III/4/2010) 19<br />

19 Auszug aus e<strong>in</strong>er Stellungnahme des BM für Unterricht, Kunst <strong>und</strong> Kultur vom<br />

28.07.2010 an das B<strong>und</strong>eskanzleramt.


Zur Situation von lebensweltlich mehrsprachigen SchülerInnen 21<br />

5.4 Der son<strong>der</strong>pädagogische För<strong>der</strong>bedarf: S<strong>in</strong>d zweisprachige K<strong>in</strong><strong>der</strong><br />

beh<strong>in</strong><strong>der</strong>t<br />

K<strong>in</strong><strong>der</strong> mit an<strong>der</strong>en Erstsprachen als Deutsch s<strong>in</strong>d <strong>in</strong> <strong>der</strong> Son<strong>der</strong>schule überproportional<br />

häufig vertreten (vgl. BM für Unterricht, Kunst <strong>und</strong> Kultur<br />

2012b). Dabei ist zu beachten, dass K<strong>in</strong><strong>der</strong> mit son<strong>der</strong>pädagogischem För<strong>der</strong>bedarf<br />

(= SPF), die e<strong>in</strong>e Integrationsklasse besuchen, <strong>in</strong> <strong>der</strong> Statistik nicht<br />

eigens ausgewiesen werden, son<strong>der</strong>n <strong>der</strong> Schulart, die sie besuchen (also z. B.<br />

<strong>der</strong> Volksschule), zugeschlagen werden, sodass die Anzahl von K<strong>in</strong><strong>der</strong>n mit an<strong>der</strong>en<br />

Erstsprachen, bei denen e<strong>in</strong> SPF festgestellt wurde, tatsächlich höher ist<br />

als aus <strong>der</strong> Schulstatistik ersichtlich.<br />

E<strong>in</strong> erfolgreiche junge Migrant<strong>in</strong>, die ihre eigene – gelungene – Schulkarriere<br />

mit den vielfach unglücklich verlaufenden Bildungsbiografien an<strong>der</strong>er<br />

Migrantenk<strong>in</strong><strong>der</strong> vergleicht, br<strong>in</strong>gt es auf den Punkt: „Es s<strong>in</strong>d ja doch viele<br />

me<strong>in</strong>er Landsleute <strong>in</strong> Son<strong>der</strong>schulen gegangen, als wären die sprachbeh<strong>in</strong><strong>der</strong>t,<br />

weil sie ke<strong>in</strong> Deutsch konnten… O<strong>der</strong> nicht perfekt.“ (Mohr 2005: 33)<br />

Der Auffassung, dass es sich bei e<strong>in</strong>er noch unzulänglichen Deutschkompetenz<br />

um e<strong>in</strong>e Beh<strong>in</strong><strong>der</strong>ung handle, welche e<strong>in</strong>en SPF rechtfertigen würde,<br />

wird seitens des BM für Unterricht, Kunst <strong>und</strong> Kultur mit Entschiedenheit<br />

wi<strong>der</strong>sprochen. In e<strong>in</strong>em R<strong>und</strong>schreiben heißt es dazu:<br />

Sofern Lernbee<strong>in</strong>trächtigungen bei Schüler<strong>in</strong>nen <strong>und</strong> Schülern mit an<strong>der</strong>en Erstsprachen<br />

als Deutsch auftreten, ist zuerst die Ursache für die auftretenden Lernschwierigkeiten<br />

zu klären. Nach Möglichkeit sollten dabei qualifizierte Personen,<br />

welche die Muttersprache des K<strong>in</strong>des sprechen, beigezogen werden. Das bloße<br />

Nichtbeherrschen <strong>der</strong> Unterrichtssprache darf ke<strong>in</strong>esfalls als Kriterium für die Feststellung<br />

des son<strong>der</strong>pädagogischen För<strong>der</strong>bedarfs herangezogen werden. Für diese<br />

Schüler<strong>in</strong>nen <strong>und</strong> Schüler s<strong>in</strong>d die vorhandenen gesetzlichen Möglichkeiten auszuschöpfen<br />

<strong>und</strong> die entsprechenden För<strong>der</strong>maßnahmen (Sprachför<strong>der</strong>kurse für außerordentliche<br />

Schüler<strong>in</strong>nen <strong>und</strong> Schüler; Deutsch-als-Zweitsprache-Unterricht gemäß<br />

Lehrplan für ordentliche Schüler<strong>in</strong>nen <strong>und</strong> Schüler mit an<strong>der</strong>en Erstsprachen) durchzuführen.<br />

(vgl. BMUKK-36.153/0103-I/8/2008) 20<br />

Um <strong>der</strong> gängigen <strong>und</strong> <strong>in</strong> regelmäßigen Abständen auch öffentlich kritisierten<br />

Praxis, „Migrantenk<strong>in</strong><strong>der</strong> <strong>in</strong> Son<strong>der</strong>schulen abzuschieben“ (wie es im Jargon<br />

kritischer LehrerInnen, aber auch <strong>in</strong> Zeitungsberichten meist etwas unpräzise<br />

heißt), entgegenzutreten, bedarf es allerd<strong>in</strong>gs <strong>in</strong> Ergänzung zu diesen klaren<br />

Worten im genannten R<strong>und</strong>schreiben vor allem e<strong>in</strong>er Unterstützung <strong>der</strong><br />

20 Richtl<strong>in</strong>ien für Differenzierungs- <strong>und</strong> Steuerungsmaßnahmen im Zusammenhang mit <strong>der</strong><br />

Feststellung des son<strong>der</strong>pädagogischen För<strong>der</strong>bedarfs. (vgl. R<strong>und</strong>schreiben Nr. 19/2008<br />

vom 08.08.2008: www.bmukk.gv.at/medienpool/17196/2008_19_beilage.pdf, Zugriff<br />

13.03.2012). Hervorhebung durch die Autor<strong>in</strong>.


22 Elfie Fleck<br />

LehrerInnen <strong>und</strong> SchulleiterInnen, die bei ihren Entscheidungen vielfach alle<strong>in</strong><br />

gelassen werden, sowie e<strong>in</strong>er generellen Überdenkung des Konzepts „Son<strong>der</strong>pädagogischer<br />

För<strong>der</strong>bedarf“.<br />

5.5 Das Schreckgespenst Türkisch<br />

Die Pläne des BM für Unterricht, Kunst <strong>und</strong> Kultur, das Fremdsprachenangebot<br />

an allgeme<strong>in</strong> bildenden höheren Schulen um Türkisch zu erweitern, sorgten im<br />

April 2011 für heftige Kontroversen. Während die meisten seriösen Pr<strong>in</strong>tmedien<br />

durchaus sachlich <strong>und</strong> <strong>in</strong>haltlich weitgehend korrekt berichteten, zeigte e<strong>in</strong><br />

Großteil <strong>der</strong> LeserInnen wenig bis gar ke<strong>in</strong> Verständnis für dieses Vorhaben. So<br />

ergab e<strong>in</strong>e Onl<strong>in</strong>e-Umfrage <strong>der</strong> Presse folgendes Bild: 25 % hielten die E<strong>in</strong>führung<br />

von Türkisch als lebende Fremdsprache für e<strong>in</strong>e gute Idee, 72 %<br />

äußerten sich ablehnend <strong>und</strong> 3 % zeigten sich unentschlossen. 21 Vielfach wurde<br />

die Botschaft (absichtlich) missverstanden: Es wurde befürchtet, dass die<br />

Reifeprüfung <strong>in</strong> H<strong>in</strong>kunft <strong>in</strong> allen Unterrichtsgegenständen auf Türkisch abgelegt<br />

werden könne <strong>und</strong> „die Türken“ sich fortan vom Erlernen <strong>der</strong> deutschen<br />

Sprache drücken könnten.<br />

„Die Aufregung um Türkisch als Maturafach sei e<strong>in</strong>deutig auf das niedrige<br />

Prestige <strong>der</strong> Sprache <strong>und</strong> <strong>der</strong> türkischstämmigen Bevölkerung zurückzuführen“,<br />

wird Univ.-Prof. Rudolf de Cillia <strong>in</strong> <strong>der</strong> Presse zitiert, denn aus „sprachwissenschaftlicher<br />

Sicht gibt es ke<strong>in</strong> rationales Argument, nicht auch Türkisch <strong>in</strong> den<br />

Lehrplan aufzunehmen“ („Die Presse“ vom 07.04.2011).<br />

Während also die Debatte um Türkisch die Medien tagelang beschäftigte,<br />

wurde die im Juni 2011 via APA verbreitete Absicht <strong>der</strong> Universität Wien, e<strong>in</strong><br />

Lehramtsstudium für Ch<strong>in</strong>esisch e<strong>in</strong>zuführen, weitgehend ignoriert. Auch die<br />

Tatsache, dass laut Lehrplan <strong>der</strong> AHS <strong>in</strong>sgesamt zwölf Sprachen als Pflichtgegenstand<br />

angeboten werden können, g<strong>in</strong>g im allgeme<strong>in</strong>en Wirbel um Türkisch<br />

unter. Die vorerst letzte Erweiterung des Fremdsprachenkanons <strong>der</strong> AHS um<br />

Polnisch <strong>und</strong> Slowakisch im Schuljahr 2006/07 wurde <strong>in</strong> <strong>der</strong> Öffentlichkeit nicht<br />

e<strong>in</strong>mal wahrgenommen.<br />

21 Die Fragestellung lautete: „Im Unterrichtsm<strong>in</strong>isterium wird e<strong>in</strong>e Lehrplanän<strong>der</strong>ung diskutiert.<br />

Türkisch soll als zweite lebende Fremdsprache etabliert werden, <strong>in</strong> <strong>der</strong> dann auch<br />

die Matura abgelegt werden kann (wie <strong>der</strong>zeit etwa <strong>in</strong> Französisch o<strong>der</strong> Spanisch). E<strong>in</strong>e<br />

gute Idee“


Zur Situation von lebensweltlich mehrsprachigen SchülerInnen 23<br />

6 Bildungspolitische Herausfor<strong>der</strong>ungen <strong>in</strong> e<strong>in</strong>er Migrationsgesellschaft<br />

6.1 Das Regierungsprogramm 2008<br />

Jahrelang hat die <strong>Bildungspolitik</strong> lebensweltlich mehrsprachige K<strong>in</strong><strong>der</strong> <strong>und</strong><br />

Jugendliche als eigene Zielgruppe mit spezifischen Lernvoraussetzungen vernachlässigt<br />

– wohl <strong>in</strong> <strong>der</strong> Hoffnung, dass sich das „Problem“ mit <strong>der</strong> Zeit von<br />

selbst erledigen würde. Erst <strong>in</strong> den letzten Jahren ist es hier zu e<strong>in</strong>em Umdenken<br />

gekommen, wie auch entsprechende Passagen im Regierungsprogramm von<br />

2008 belegen.<br />

So werden im Abschnitt „Internationalität, Integration <strong>und</strong> Migration“<br />

folgende Vorhaben def<strong>in</strong>iert (Regierungsprogramm 2008: 194f.):<br />

‣ Alle K<strong>in</strong><strong>der</strong> <strong>in</strong> Österreich haben e<strong>in</strong> Recht auf gleiche Startbed<strong>in</strong>gungen beim<br />

Schule<strong>in</strong>tritt. Der Erwerb <strong>der</strong> Sprachkompetenzen <strong>in</strong> Deutsch <strong>und</strong> <strong>der</strong> Muttersprache<br />

ist dabei beson<strong>der</strong>s wichtig <strong>und</strong> soll durch gezielte För<strong>der</strong>maßnahmen<br />

<strong>in</strong>sbeson<strong>der</strong>e für e<strong>in</strong>en erfolgreichen E<strong>in</strong>stieg <strong>in</strong> das Schulsystem unterstützt<br />

werden. Deutschför<strong>der</strong>kurse für außerordentliche SchülerInnen <strong>und</strong> För<strong>der</strong>kurse<br />

für ordentliche SchülerInnen mit mangelnden Deutschkenntnissen sollen ausgebaut<br />

werden.<br />

‣ Der […] muttersprachliche Unterricht soll ausgebaut werden.<br />

‣ Die B<strong>und</strong>esregierung wird Anreize setzen, damit mehr qualifizierte Personen<br />

mit Migrationsh<strong>in</strong>tergr<strong>und</strong> <strong>in</strong> die pädagogischen Ausbildungen kommen. Alle<br />

LehrerInnen sollen im Rahmen ihrer Ausbildung <strong>in</strong>terkulturelle Kompetenzen<br />

erwerben.<br />

6.2 Europarat <strong>und</strong> OECD als Berater<br />

In den letzten Jahren wird seitens des BM für Unterricht, Kunst <strong>und</strong> Kultur verstärkt<br />

auf die Expertise von Fachleuten zurückgegriffen, um bildungspolitische<br />

Entscheidungen empirisch abzusichern. So beteiligte sich Österreich am LEPP-<br />

Prozess (= Language Education Policy Profile), e<strong>in</strong>er Initiative des Europarats,<br />

„<strong>der</strong>en Ziel es ist, die Mitgliedsstaaten zu e<strong>in</strong>er Reflexion ihrer Sprachunterrichts-<br />

<strong>und</strong> Hochschulpolitik anzuregen <strong>und</strong> nationale Sprachunterrichtsprofile<br />

zu entwickeln“ (BM für Unterricht, Kunst <strong>und</strong> Kultur / BM für<br />

Wissenschaft <strong>und</strong> Forschung et al. 2008: 9), sowie an <strong>der</strong> OECD Migrant<br />

Review (OECD 2009).<br />

In H<strong>in</strong>blick auf die schulische Bildung <strong>in</strong> e<strong>in</strong>er Migrationsgesellschaft<br />

werden von diesen beiden Organisationen unter an<strong>der</strong>em folgende Maßnahmen<br />

vorgeschlagen:


24 Elfie Fleck<br />

‣ Alle (zukünftigen) LehrerInnen sollen auf die Arbeit <strong>in</strong> mehrsprachigen<br />

Klassen vorbereitet werden. Verpflichtende Module zu den Bereichen<br />

Mehrsprachigkeit, Deutsch als Zweitsprache <strong>und</strong> Interkulturalität wären<br />

bereits <strong>in</strong> <strong>der</strong> Erstausbildung zu verankern.<br />

‣ Es ist sicherzustellen, dass auch die muttersprachlichen Lehrkräfte e<strong>in</strong>e<br />

adäquate l<strong>in</strong>guistische <strong>und</strong> fachdidaktische Ausbildung erhalten.<br />

‣ Die sprachliche <strong>und</strong> kulturelle Diversität unter den Lehrenden soll verstärkt<br />

werden, um <strong>der</strong> zunehmend heterogenen Schülerpopulation auch<br />

auf <strong>der</strong> Ebene <strong>der</strong> Unterrichtenden zu entsprechen.<br />

‣ Weiters wird die verstärkte E<strong>in</strong>b<strong>in</strong>dung von Eltern „mit Migrationsh<strong>in</strong>tergr<strong>und</strong>“<br />

<strong>und</strong> Migrantencommunities ausdrücklich empfohlen.<br />

‣ Generell soll e<strong>in</strong> positiver Zugang zu sprachlicher <strong>und</strong> kultureller Vielfalt<br />

geför<strong>der</strong>t werden.<br />

6.3 Wie kommen notwendige Än<strong>der</strong>ungen <strong>in</strong>s System<br />

E<strong>in</strong>ige <strong>der</strong> Arbeitsvorhaben aus dem Regierungsprogramm, die sich im Übrigen<br />

weitgehend mit den Empfehlungen von Europarat <strong>und</strong> OECD decken, wurden<br />

bereits <strong>in</strong> Angriff genommen, während sich an<strong>der</strong>e noch im Planungsstadium<br />

o<strong>der</strong> „<strong>in</strong> <strong>der</strong> Warteschleife“ bef<strong>in</strong>den.<br />

Die gesetzliche Verankerung <strong>und</strong> sukzessive Ausweitung <strong>der</strong> so genannten<br />

Sprachför<strong>der</strong>kurse sowie die damit verb<strong>und</strong>ene zentrale Zuteilung von Personalressourcen<br />

s<strong>in</strong>d une<strong>in</strong>geschränkt positiv zu bewerten. Allerd<strong>in</strong>gs verfügen bei<br />

Weitem nicht alle Lehrkräfte, die <strong>in</strong> den Sprachför<strong>der</strong>kursen e<strong>in</strong>gesetzt s<strong>in</strong>d,<br />

über die erfor<strong>der</strong>lichen (Zusatz-)Qualifikationen.<br />

Daher wurde das Zentrum für Sprachstandsdiagnostik am Institut für<br />

Germanistik an <strong>der</strong> Universität Wien seitens des BM für Unterricht, Kunst <strong>und</strong><br />

Kultur beauftragt, e<strong>in</strong> leicht handhabbares Instrument zu e<strong>in</strong>er unterrichtsbegleitenden<br />

Sprachstandsbeobachtung zu entwickeln. Damit sollen Lehrer-<br />

Innen befähigt werden, Sprachstand <strong>und</strong> Sprachzuwächse <strong>der</strong> K<strong>in</strong><strong>der</strong> <strong>in</strong> <strong>der</strong><br />

Unterrichtssprache Deutsch zu erkennen <strong>und</strong> zu <strong>in</strong>terpretieren, um daraus zielgerichtete<br />

För<strong>der</strong>maßnahmen abzuleiten. Fürs erste ist gedacht, jene Lehrkräfte,<br />

die <strong>in</strong> Sprachför<strong>der</strong>kursen tätig s<strong>in</strong>d, e<strong>in</strong>zuschulen, doch soll dieses<br />

Instrument nach <strong>und</strong> nach allen LehrerInnen, die <strong>in</strong> multil<strong>in</strong>gualen Klassen<br />

arbeiten, zugutekommen <strong>und</strong> so zu e<strong>in</strong>er Qualitätsoffensive im Bereich des<br />

Deutsch als Zweitsprache-Unterrichts <strong>und</strong> letztendlich auch des Unterrichts <strong>in</strong><br />

allen Gegenständen beitragen.<br />

Auch zur Verwirklichung des im Regierungsprogramm genannten<br />

Vorhabens, „mehr qualifizierte Personen mit Migrationsh<strong>in</strong>tergr<strong>und</strong>“ für den


Zur Situation von lebensweltlich mehrsprachigen SchülerInnen 25<br />

Lehrberuf zu gew<strong>in</strong>nen, wurden <strong>in</strong> Kooperation mit den Pädagogischen Hochschulen<br />

bereits erste Schritte gesetzt.<br />

H<strong>in</strong>gegen s<strong>in</strong>d alle Vorstöße zu e<strong>in</strong>er Ausweitung <strong>und</strong> qualitativen<br />

Verbesserung des muttersprachlichen Unterrichts sowie zu e<strong>in</strong>er vertraglichen<br />

Gleichstellung <strong>der</strong> muttersprachlichen Lehrkräfte vorerst nicht nur am Budget<br />

gescheitert, son<strong>der</strong>n wohl auch an <strong>der</strong> gesellschaftlich ger<strong>in</strong>gen Akzeptanz e<strong>in</strong>er<br />

schulischen För<strong>der</strong>ung <strong>der</strong> Erstsprachen <strong>und</strong> <strong>der</strong> fehlenden o<strong>der</strong> zu wenig ernst<br />

genommenen Lobby für dieses Anliegen. Der im Regierungsprogramm<br />

vorgesehene Ausbau des muttersprachlichen Unterrichts wurde daher vorerst auf<br />

die lange Bank geschoben.<br />

7 Resümee <strong>und</strong> Ausblick<br />

Es ist Aufgabe <strong>der</strong> <strong>Bildungspolitik</strong>, unter E<strong>in</strong>beziehung von ExpertInnen <strong>und</strong><br />

PraktikerInnen Rahmenbed<strong>in</strong>gungen zu schaffen, die es allen SchülerInnen,<br />

ungeachtet ihrer sprachlichen, familiären o<strong>der</strong> geografischen Herkunft, erlauben,<br />

ihr Potenzial bestmöglich zu entfalten. Neben strukturellen Maßnahmen, die<br />

allen SchülerInnen zugutekommen (Stichwort: späte Selektion, ganztägige<br />

Schulformen) benötigen lebensweltlich mehrsprachige K<strong>in</strong><strong>der</strong> <strong>und</strong> Jugendliche<br />

spezifische Angebote, die ihren sprachlichen Bedürfnissen gerecht werden.<br />

Selbst wenn es mitunter unrealistisch ersche<strong>in</strong>en mag, e<strong>in</strong>en Rechtsanspruch<br />

auf För<strong>der</strong>ung <strong>in</strong> <strong>der</strong> Unterrichtssprache Deutsch (solange sie benötigt wird) <strong>und</strong><br />

auf die schulische Weiterentwicklung <strong>der</strong> Erstsprachen e<strong>in</strong>zumahnen, muss<br />

dieses Ziel langfristig gesehen im Auge behalten werden.<br />

Nicht zuletzt sollte man sich von <strong>der</strong> wissenschaftlich nicht haltbaren<br />

Vorstellung von mite<strong>in</strong>an<strong>der</strong> konkurrierenden Sprachen (Deutsch o<strong>der</strong> Erstsprache)<br />

verabschieden <strong>und</strong> anerkennen, dass e<strong>in</strong> Mensch <strong>in</strong> mehr als e<strong>in</strong>er<br />

Sprache leben kann (Deutsch <strong>und</strong> Erstsprache) (vgl. Schmidtke 2011). Die<br />

Abkehr vom monol<strong>in</strong>gualen Habitus <strong>der</strong> Schule ist angesichts <strong>der</strong> gesellschaftlichen<br />

Realität längst überfällig. Schließlich würden von e<strong>in</strong>em entspannten<br />

Umgang mit gesellschaftlicher <strong>und</strong> <strong>in</strong>dividueller Mehrsprachigkeit alle<br />

BewohnerInnen unseres Landes profitieren.<br />

Das Schlusswort überlasse ich Am<strong>in</strong> Maalouf. Der libanesisch-französische<br />

Schriftsteller, <strong>der</strong> sich <strong>in</strong> se<strong>in</strong>em Werk „Mör<strong>der</strong>ische Identitäten“ unter an<strong>der</strong>em<br />

mit dem Leben <strong>in</strong> zwei Sprachen <strong>und</strong> <strong>in</strong> zwei Welten, mit Selbst- <strong>und</strong> Fremdzuschreibungen<br />

sowie mit komplexen Identitäten ause<strong>in</strong>an<strong>der</strong>setzt, hofft, dass<br />

sich diese Fragen <strong>in</strong> nicht allzu ferner Zukunft erübrigen werden:


26 Elfie Fleck<br />

Wenn e<strong>in</strong> Autor die letzte Seite erreicht, ist se<strong>in</strong> größter Wunsch gewöhnlich <strong>der</strong>,<br />

daß se<strong>in</strong> Buch noch <strong>in</strong> h<strong>und</strong>ert o<strong>der</strong> zweih<strong>und</strong>ert Jahren gelesen wird. [… ] Für<br />

dieses Buch […] werde ich den gegenteiligen Wunsch formulieren: daß me<strong>in</strong> Enkel,<br />

wenn er erwachsen ist <strong>und</strong> es e<strong>in</strong>es Tages zufällig <strong>in</strong> <strong>der</strong> Familienbibliothek f<strong>in</strong>det,<br />

dar<strong>in</strong> blättert, e<strong>in</strong>ige Seiten überfliegt <strong>und</strong> es sogleich schulterzuckend an den<br />

staubigen Ort zurückstellt, aus dem er es hervorgezogen hatte, erstaunt darüber, daß<br />

es zur Zeit se<strong>in</strong>es Großvaters noch nötig war, über diese D<strong>in</strong>ge e<strong>in</strong> Wort zu<br />

verlieren. (Maalouf 2000: 144)<br />

Bibliographie<br />

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Mag. Elfie Fleck<br />

BM für Unterricht, Kunst <strong>und</strong> Kultur, Abt. I / 5a<br />

Referat für Migration <strong>und</strong> Schule<br />

M<strong>in</strong>oritenplatz 5<br />

1014 Wien<br />

e-mail: elfie.fleck@bmukk.gv.at

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