Bilbao-Effekt - Vermittlung von Gegenwartskunst
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documenta urbana (Nicole Müller)<br />
Materialien für das Gruppenpuzzle II<br />
Der „<strong>Bilbao</strong>-<strong>Effekt</strong>“- Kunst als Standortfaktor<br />
1) Katrin Finkenzeller in DIE ZEIT vom 04.10.2007<br />
<strong>Bilbao</strong> war eine triste Industriestadt, bis vor zehn Jahren das Guggenheim-Museum eröffnet<br />
wurde. Seither reisen Besucher in Scharen an. Nur die einheimische Kunstszene hat da<strong>von</strong> nichts.<br />
[…] Zehn Jahre nach der Eröffnung des Gebäudes des kanadisch-kalifornischen Architekten Frank<br />
O. Gehry hat <strong>Bilbao</strong> nur noch wenig mehr als den Namen gemein mit jener Stadt im Baskenland,<br />
die Ende der achtziger Jahre zum Inbegriff der Depression geworden war. Niemand hätte sich<br />
damals freiwillig in die Nähe des Nervión begeben, einer stinkenden, rostbraunen Kloake, an deren<br />
Ufern verlassene Fabrikhallen vor sich hin gammelten und allen nur den Verlust vor Augen führten.<br />
<strong>Bilbao</strong>, strategischer Handelsknotenpunkt seit 1300, in seiner industriellen Hochzeit reichste Stadt<br />
Spaniens, hatte gerade den Niedergang seiner Stahlkochereien und Schiffswerften erlebt. Jeder<br />
Vierte hier hatte seinen Job verloren. Die Kassen waren leer, die öffentlichen wie die der meisten<br />
Familien. Keiner erzählte mehr den Witz <strong>von</strong> Jesus, der die Chance gehabt habe, in <strong>Bilbao</strong> geboren<br />
zu werden, aber aus Demut Bethlehem wählte. Ein Ausweg aus der Krise schien kaum möglich. Bis,<br />
ja bis die Guggenheim-Stiftung in New York entschied, die Europa-Filiale ihres Museums<br />
ausgerechnet in dieser heruntergekommenen Industriestadt zu eröffnen, und ihr damit eine<br />
Zukunft in der Neuzeit sicherte.<br />
[…] Jedes Jahr besuchen gut eine Million Menschen das Museum. 2006 ließen sie knapp 234<br />
Millionen Euro in der Stadt, Hotelübernachtungen, Restaurantbesuche und Souvenirkäufe<br />
inbegriffen. Dieses Jahr dürften es noch mehr werden. Allein die gerade zu Ende gegangene<br />
Werkschau des in Südfrankreich lebenden deutschen Künstlers Anselm Kiefer sahen rund 500.000<br />
Menschen.<br />
[…] Und der Wandel ist längst nicht abgeschlossen. »Im Wettbewerb mit anderen Städten muss<br />
<strong>Bilbao</strong> mehr bieten als Museen und eine funktionierende Verkehrsinfrastruktur«, sagt Postigo. […]<br />
5000 Wohnungen, elegante Geschäfte und Büros für eine »saubere Industrie« wie Informatik und<br />
neue Medien sind geplant. Die Federführung für das Facelifting hat die in London lebende Iranerin<br />
Zaha Hadid.<br />
Doch was den einen kaum schnell und raumgreifend genug gehen kann, überfordert so manche<br />
andere. Ana Rodríguez zum Beispiel. 32 Jahre ist sie alt, wohnt aber noch immer bei ihren Eltern.<br />
Vor ein paar Wochen hat sie sich in Zorrozaure eine Zweizimmerwohnung in einem der älteren<br />
Häuser angesehen, das gerade renoviert worden war. »Da ist jetzt alles vom Feinsten. Die<br />
Immobilienagentur wollte 500.000 Euro dafür«, erzählt Rodríguez und kann es immer noch nicht<br />
fassen. Die zierliche Frau mit den kurzen blonden Haaren ist eine <strong>von</strong> jenen, die in den<br />
Anfangszeiten des Guggenheim entschieden, an der Universität <strong>von</strong> <strong>Bilbao</strong> Schöne Künste zu<br />
studieren. Kunstgeschichte, Malerei, Bildhauerei. Die jungen Leute hofften, mit dem Museum<br />
würde auch das Interesse an den Arbeiten einheimischer Künstler steigen, die sich häufig mit der<br />
politischen Situation im Baskenland auseinandersetzen. Heute führt Rodríguez Touristen durch die<br />
Stadt und durch Guggenheim-Ausstellungen. Das Geld, das sie so verdient, reicht nicht für eine<br />
Wohnung. Seit 1994 haben sich die Preise verdreifacht. Dabei ist die Arbeitslosigkeit im Großraum<br />
<strong>Bilbao</strong> – trotz des Guggenheim-<strong>Effekt</strong>s – die höchste im Baskenland und die Bezahlung mit<br />
durchschnittlich 1200 Euro monatlich die niedrigste.<br />
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