Erfolgsfaktor Zuhören - Akademie für Politische Bildung Tutzing
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Verhandlungen<br />
mit dem Vatikan<br />
Gleichzeitig öffnete sich die SPD<br />
erstmals <strong>für</strong> eine Diskussion über ihr<br />
Verhältnis zur Religion und zur katholischen<br />
Kirche, und zwar bei einer großen<br />
Tagung in der Katholischen <strong>Akademie</strong><br />
in München: „So tiefgründig hat<br />
sich die SPD zuvor noch in keinem<br />
Land in Deutschland, und zwar die Parteispitze,<br />
mit solchen Sinn- und Zukunftsfragen<br />
auseinandergesetzt.“ Und<br />
<strong>für</strong> die drei kleineren Parteien, so<br />
Ebert, galt: Sie blieben trotz größter<br />
Gestern wurde deutlich, dass die<br />
Viererkoalition nur möglich war,<br />
weil sich auf dem Gebiet der Schulpolitik<br />
die CSU seit ihrer Gründung deutlich<br />
unterschied von den Auffassungen<br />
der anderen Parteien in Bayern und des<br />
Bayerischen Lehrerverbandes. Als<br />
Kristallisationspunkt der vier Parteien<br />
stand die Frage der akademischen Lehrerbildung<br />
im Zentrum.<br />
Seit 1848 spielte im Rahmen der wachsenden<br />
freiheitlichen und demokratischen<br />
Bewegung die Forderung nach<br />
einer Universitätsausbildung der<br />
Volksschullehrer in Deutschland eine<br />
zentrale Rolle. Es entwickelte sich<br />
daraus eine Art pädagogische Grundphilosophie<br />
mit einem mehr oder weniger<br />
artikulierten Programm, das über<br />
mehrere Generationen das pädagogische<br />
und politische Denken der organisierten<br />
Lehrer in Deutschland so<br />
auch in Bayern bestimmte. Verstärkt<br />
wurde dieses Bewusstsein durch die so<br />
genannte geistliche Schulaufsicht, bei<br />
der der Ortspfarrer ein Vorgesetzter des<br />
Lehrers war. Diese geistliche Schulaufsicht<br />
wurde zwar nach Beendigung des<br />
1. Weltkrieges durch eine Verordnung<br />
der Revolutionsregierung 1918 und<br />
durch ein Gesetz des Bayerischen<br />
Landtags 1922 abgeschafft.<br />
Doch auch nach der Beseitigung der<br />
geistlichen Schulaufsicht blieben mitunter<br />
klar, mitunter nebelhaft vermischt<br />
die Lehrer weiterhin in einer<br />
berufsbedingten persönlichen Abhängigkeit<br />
von der kirchlichen Obrigkeit.<br />
<strong>Akademie</strong>-Report 1/2005<br />
Schwierigkeiten ihrem anfänglichen<br />
schulpolitischen Konsens treu. Seidel<br />
wiederum wollte den alten Streit aus<br />
dem bevorstehenden Wahlkampf heraushalten<br />
und übernahm daher in weiten<br />
Teilen die Vorstellungen der Viererkoalition<br />
von einer modernen akademischen<br />
Ausbildung der Volksschullehrer.<br />
Das definitive Ende der Konfessionsschulen<br />
in Bayern brachte freilich erst<br />
der Volksentscheid von 1968, dem ein<br />
Parteienkompromiss im Bayerischen<br />
Landtag sowie die Änderung des<br />
Schulartikels des bayerischen Konkordats<br />
nach langwierigen Verhandlungen<br />
der Regierung mit dem Vatikan vorausgegangen<br />
waren. Über diesen speziellen<br />
Punkt berichtete eindrucksvoll als<br />
Teilnehmer im Publikum der ehemalige<br />
Amtschef im Bayerischen Kultusministerium<br />
und langjährige Kuratoriumsvorsitzende<br />
unserer <strong>Akademie</strong>,<br />
Karl Böck, der damals im Auftrag des<br />
bayerischen Ministerrates die schwierigen<br />
Verhandlungen mit dem Vertreter<br />
des Heiligen Stuhls, Erzbischof<br />
Bafile, geführt hatte.<br />
Jürgen Weber<br />
Kampf gegen kirchliche Bevormundung in der Schule<br />
Auszüge aus dem Referat von Wilhelm Ebert<br />
Viele von Lehrern enthusiastisch vertretene<br />
pädagogische und schulorganisatorische<br />
Auffassungen wurden von<br />
den Kirchen bekämpft. So blieben trotz<br />
der liberalen Weimarer Reichsverfassung<br />
die Spannungen zwischen der<br />
organisierten Lehrerschaft und den<br />
Kirchen bestehen.<br />
Im Ringen um die Zustimmung zum<br />
„Friedensvertrag von Versailles“ und<br />
um eine mehrheitsfähige Reichsregierung<br />
war die SPD derart auf ihren katholisch<br />
ausgerichteten Koalitionspartner<br />
fixiert und angewiesen, dass sie<br />
nachgab und dass sich im Kompromiss<br />
das katholische Zentrum im Bund mit<br />
der katholischen Bayerischen Volkspartei<br />
durchsetzte.<br />
Die am 11. August 1919 in Kraft getretene<br />
Reichsverfassung trug in ihrem<br />
Wortlaut <strong>für</strong> das gesamte Reichsgebiet<br />
den zwei Kernanliegen des Deutschen<br />
Lehrervereins Rechnung: Die Verfassung<br />
legte in Art.143 <strong>für</strong> die Lehrerbildung<br />
die wissenschaftliche Vorbildung<br />
an einer höheren Schule fest und<br />
den Erwerb der berufswissenschaftlichen<br />
Ausbildung an einer Hochschule.<br />
Dazu kam in Art. 146 die eindeutige<br />
Formulierung: „Das öffentliche<br />
Schulwesen ist organisch auszugestalten.<br />
Auf einer <strong>für</strong> alle gemeinsamen<br />
Grundschule baut sich das mittlere und<br />
höhere Schulwesen auf. Für diesen<br />
Aufbau ist die Mannigfaltigkeit der Lebensberufe,<br />
<strong>für</strong> die Aufnahme eines<br />
Kindes in eine bestimmte Schule sind<br />
eine Anlage und Neigung, nicht die<br />
wirtschaftliche oder gesellschaftliche<br />
Stellung oder das Religionsbekenntnis<br />
seiner Eltern maßgebend.“<br />
Damit war die Gemeinschaftsschule als<br />
Regelschule festgeschrieben. In einem<br />
zweiten Absatz wurde dann die Konfessionsschule<br />
als Antragsschule ermöglicht:<br />
„Innerhalb der Gemeinden<br />
sind indes auf Antrag von Erziehungsberechtigten<br />
Volksschulen ihres Bekenntnisses<br />
oder ihrer Weltanschauung<br />
einzurichten, soweit hierdurch ein geordneter<br />
Schulbetrieb ... nicht beeinträchtigt<br />
wird. Der Wille der Erziehungsberechtigten<br />
ist möglichst zu berücksichtigen.<br />
Das nähere bestimmt die<br />
Landesgesetzgebung nach den Grundsätzen<br />
eines Reichsgesetzes.“<br />
Doch dieser Kompromiss machte eine<br />
gesetzliche Regelung nicht nur von<br />
Ländergesetzen abhängig, sondern der<br />
Art. 174 der Weimarer Reichsverfassung<br />
bestimmte zusätzlich: „Bis zum<br />
Erlass des in Art. 146 Abs. 2 vorgesehenen<br />
Reichsgesetzes bleibt es bei<br />
der bestehenden Rechtslage.“<br />
Mit diesem inzwischen legendären<br />
„Weimarer Schulkompromiss“ konnte<br />
die Verabschiedung eines Reichsgesetzes<br />
mit Grundsätzen <strong>für</strong> die Ländergesetzgebung<br />
so lange blockiert und verhindert<br />
werden, wie die katholische<br />
Zentrumspartei und die Bayerische<br />
Volkspartei <strong>für</strong> ihre Schulprogramme<br />
eine parlamentarische Mehrheit auf ihrer<br />
Seite hatten. ...<br />
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