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Rede Besselpreis 2010 - Besselgymnasium

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<strong>Rede</strong> zur <strong>Besselpreis</strong>verleihung <strong>2010</strong> - von Pfr. Jens Burgschweiger<br />

Verehrte Ehrengäste, liebe Frau Kutschera, liebe Kolleginnen und Kollegen,<br />

liebe Schülerinnen und Schüler, liebe Familie Haake, liebe Familie Schmidt,<br />

vor allem aber:<br />

Liebe Charlotte Haake, lieber Fynn Malte Schmidt!<br />

„Wenig Honig!“ habt Ihr gesagt. „Wenig Honig!“ „Am besten gar keinen!“<br />

Und da steh ich nun - zur Lobrede bestellt und doch nicht loben sollend.<br />

Ein bisschen wie Buridans Esel komme ich mir vor, der ja bekanntlich zwischen 2 Heuhaufen<br />

stehend, sich nicht für den einen und damit gegen den anderen zu entscheiden vermochte -<br />

am Ende ist er übrigens jämmerlich verhungert.<br />

Damit es mir nicht – und sei es auch nur rhetorisch - ebenso ergeht, versuche ich die Lobrede<br />

wie das Verdikt des Nicht-Loben-Sollens einfach links bzw. rechts liegen zulassen, und einen<br />

Weg sozusagen mitten zwischen den Heuhaufen hindurch zu wählen: indem ich Euch - Lob<br />

hin oder her - einfach die Ehre zukommen lasse, die Euch gebührt.<br />

„Wenig Honig!“- ich denke, das ist nicht nur Ausdruck der Euch eigenen Bescheidenheit – es<br />

zeigt auch, mit welcher Einstellung jeder von Euch das getan und geleistet hat, was er über<br />

die Jahre geleistet hat:<br />

Mit einer inneren Haltung die nicht auf Selbstprofilierung und Anerkennung aus ist, sondern<br />

sich einzig und allein der Sache verpflichtet weiß, um die es geht: hier konkret dem<br />

schulischen Leben des <strong>Besselgymnasium</strong>s, Eurer Schule also - aber darüber hinaus auch dem<br />

System Schule, bzw. dem Lernort Gymnasium überhaupt.<br />

„Es macht einfach Spaß, etwas auf die Beine zu stellen“, hat Charlotte - nach ihrer<br />

Motivation befragt – gesagt. „Es macht einfach Spaß, etwas auf die Beine zu stellen. Das war<br />

keine Anstrengung, sondern einfach selbstverständlich.“<br />

Fynn hat dazu genickt – und man hat gemerkt, wie gut Ihr Zwei Euch versteht - was Ihr für<br />

ein tolles Team, oder besser gesagt: was für eine tolle Doppelspitze seid.<br />

Und dann hat Fynn, was die Motivation seines schulpolitischen Handelns angeht, neben dem<br />

Spaßfaktor und der Selbstverständlichkeit seines Tuns noch einen Satz mit<br />

Aphorismusqualität geprägt: „Du kannst“ - so hat er gesagt - „Du kannst etwas beisteuern,<br />

was nicht vorhanden wäre, wenn du hier nicht sitzen würdest.“<br />

Ein Leitspruch für jede Lehrerkonferenz, jedes Stadtparlament oder kommunalpolitische<br />

Gremium - ja für jedes Klassenzimmer, besonders für viele vom Schulalltag frustrierte<br />

Mittelstufenschüler: „Du kannst etwas beisteuern, was nicht vorhanden wäre, wenn du hier<br />

nicht sitzen würdest.“<br />

Das ist ja beileibe kein Ausdruck von Eitelkeit und Profilierungsdrang – vielmehr gesundes<br />

Selbstvertrauen, genauer gesagt ein Bewusstsein der eigenen Individualität, die das


vorgegebene, festgefügte Handlungsfeld durch Spielräume der Entfaltung eigener<br />

Persönlichkeit und Talente mit Sinn zu füllen vermag.<br />

Der tiefere Beweggrund solch sinnstiftenden Handelns ist zweifellos in einer Haltung zu<br />

suchen, welche sich für das Lebensfeld, in dem man sich bewegt, mitverantwortlich weiß.<br />

Dieser Zusammenklang aber - von Selbstbestimmung, Engagement und prosozialem<br />

Verhalten - versteht sich keineswegs von selbst.<br />

Ich will hier gar nicht einmal von unserer Gesellschaft reden, in der das darwinsche Prinzip<br />

des 'survival of the fittest' verbunden mit mangelndem Interesse mancher Führungskräfte an<br />

den Menschen und ihrer persönlichen Entwicklung viele beruflich in die innere Emigration<br />

treibt.<br />

Nach einer aktuellen Studie fühlen sich in Deutschland nur noch 13% der Mitarbeiter ihrem<br />

Unternehmen emotional verbunden und sind wirklich engagiert.<br />

Entsprechende Zahlen für die Schüler an Deutschlands Schulen liegen mir nicht vor – man<br />

muss jedoch kein Schwarzmaler sein, wenn man vermutet, dass hier – was das innere<br />

Verbundenheitsprofil der Schüler zu ihrer Schule angeht – die Sache nicht unbedingt besser<br />

steht.<br />

Für nicht wenige gilt im übertragenen Sinne – nämlich, was ihr Engagement und ihre<br />

emotionale Präsenz angeht – Hape Kerkelings Pilger-Slogan: „Ich bin dann mal weg.“<br />

Das Problem zu benennen, heißt nicht, es bereits lösen zu können.<br />

Dennoch, ich behaupte einmal: Das Ziel zeitgemäßer Schulreformen tritt erst dann<br />

zureichend in den Blick, wenn eine neue Balance von Leistungsorientierung und<br />

Lebensorientierung, von nachprüfbarem Wissen und Identitätsbildung, von Kulturtechniken<br />

und kultureller Verwurzelung erreicht wird.<br />

Und damit Spielräume verantwortlichen Handelns geschaffen werden – dass also Schule<br />

Gelegenheiten schafft, Freiheit und Verantwortung wahrzunehmen,<br />

Identifikationsmöglichkeiten zu schaffen mit dem Ziel, sich nicht nur als Lernort sondern als<br />

Lebensraum weiter zu etablieren.<br />

Wer nach einer Bildung sucht, die in einem ganzheitlichen Sinn Menschenbildung – also<br />

humanistische Bildung – ist, sollte sie auch heute finden können.<br />

Und wer – wie Charlotte Haake und Fynn Schmidt – die Bereitschaft entwickelt, in seinem<br />

Lebensraum Verantwortung zu übernehmen, gehört damit zu einer bestimmten Art von Elite,<br />

die wir heute und auch morgen brauchen werden:<br />

nicht zu einer Standes- und Besitzelite, wohl aber zu einer Verantwortungselite.<br />

Um es deutlich zu sagen: Der Zugang zu solchen Bildungsmöglichkeiten sollte möglichst<br />

breit sein; das gehört zu den Voraussetzungen einer Befähigungsgerechtigkeit, für die wir<br />

einzutreten haben. Aber das wir um der Gerechtigkeit willen auf die Ausbildung einer


Verantwortungselite in unserer Gesellschaft verzichten könnten, ist grundfalsch; das<br />

Gegenteil ist richtig.<br />

Damit eine Gesellschaft ausreichend starke Kräfte hat, die sich um den Zusammenklang von<br />

Freiheit und Gerechtigkeit bemühen, braucht diese Gesellschaft jene verantwortungsbereiten<br />

und zur Verantwortung fähigen Menschen, die ich ohne Scheu als Verantwortungselite<br />

bezeichne.<br />

Fynn und Charlotte – Ihr habt diese Verantwortung auf vielfältige Weise wahrgenommen.<br />

Will man Eure zahlreichen Aktivitäten ein wenig systematisieren, so lassen sich meiner<br />

Wahrnehmung nach drei wesentliche Handlungsfelder schlagwortartig benennen:<br />

1. Schulpolitik<br />

2. Engagement für Gerechtigkeit und Toleranz<br />

3. Profilierung der Schule als „kultureller Lebensraum“<br />

4.<br />

Ohne zu sehr ins Detail zu gehen und eingedenk Eures Verdiktes „Wenig Honig!“- erlaubt<br />

mir dennoch zu jedem Punkt ein paar knappe Bemerkungen.<br />

Ad 1. Schulpolitik<br />

Seit der 5.Klasse ward Ihr beide im Schülerrat vertreten, habt also gleich als Dreikäsehoch<br />

Verantwortung übernommen nach dem Motto: Hic Rhodus, hic salta! Zeig, was Du kannst!<br />

Ihr habt erzählt, wie Ihr aufgeschaut habt, damals, zu den amtierenden Schülersprechern, wie<br />

Ihr Euch all die Jahre Eures Schullebens hindurch für die Belange Eurer Schule engagiert, in<br />

der Bezirksschulvertretung mit anderen engagierten Leuten debattiert und diskutiert habt, an<br />

Konzeptionsentwicklungen beteiligt ward, in den verschiedensten Gremien Euch eingebracht<br />

habt, eine Binnensicht von Schule mitbekommen habt, bis Ihr dann schließlich als SV<br />

Sprecher bzw. Stellvertreterin maßgeblich am Schulprofil mitgearbeitet und zu seiner<br />

Weiterentwicklung beigetragen habt.<br />

In diesem Zusammenhang fast schon legendär und in der schulinternen Beurteilung durchaus<br />

ambivalent die von Euch initiierte Demo aus Anlaß des Besuchs von Frau Dr. Sommer.<br />

Ich will das hier nicht noch einmal aufrollen und auch nicht weiter vertiefen – erlaube mir<br />

aber drei kurze Bemerkungen:<br />

Zum einen ist es das Vorrecht der Jugend, sich kritisch, eifernd und zuweilen auch<br />

aufrührerisch mit dem Bestehenden auseinanderzusetzen. Wie schreibt Theodor Fontane:<br />

»Wer mit 19 kein Revolutionär ist, hat kein Herz. Wer mit 40 immer noch ein Revolutionär<br />

ist, hat keinen Verstand.«<br />

Zum anderen darf sich die Aktion der geknebelten Schüler eingereiht wissen in die große<br />

biblische Tradition prophetischer Zeichenhandlungen – wenn Jeremia einen Krug am Stadttor<br />

zerschmettert, Hosea eine Tempelprostituierte heiraten soll oder Ezechiel sich fesseln lässt,<br />

sind das prophetische Zeichenhandlungen, die auch auf gesellschaftliche Mißstände drastisch<br />

aufmerksam machen sollen.


Und schließlich: Wie Du, lieber Fynn Dich der Diskussion mit der Ministerin spontan gestellt<br />

hast, klar und deutlich Deine Ansicht vertreten und in aller Ruhe Deine Argumente<br />

vorgebracht hast – das war schon beherzt und verlangt allerhöchsten Respekt.<br />

Bewirkt habt Ihr ja letztlich auch etwas: Die Einladung nach Bielefeld, die Möglichkeit zum<br />

Gespräch, die Weiterarbeit am Konzept „Lernzentrum Schule“ - all dies sind ja Dinge, die Ihr<br />

angestoßen und vertieft habt – und, was ich besonders bemerkenswert finde, auch über Eure<br />

Schulzeit hinaus weiterverfolgen werdet.<br />

Denn Entschlossenheit zum Handeln und Wahrnehmung von schulpolitischer Verantwortung<br />

ist das eine, ausdauernd einer Sache treu zu bleiben, ist das andere - weit Schwierigere.<br />

„Courage ist gut, aber Ausdauer ist besser“ - noch einmal Fontane.<br />

Er weist damit darauf hin, dass alle Entschlossenheit begleitet sein sollte von dem Willen,<br />

diese Entscheidung auch durchzutragen. Gerade an dieser Ausdauer fehlt es heute vielen. Zu<br />

schnell lassen sie sich durch Misserfolge entmutigen oder werden von der Schnellebigkeit<br />

unserer Gesellschaft mitgerissen.<br />

Sportler wissen um die Notwendigkeit, die Ausdauer zu trainieren. So wichtig es auch immer<br />

ist, zu prüfen, ob der eingeschlagene Weg richtig war, so notwendig ist auf der anderen Seite<br />

die Ausdauer und Beständigkeit in den eigenen Entschlüssen. Ich möchte hier gar nicht das<br />

Modewort „Nachhaltigkeit“ benutzen, spreche viel lieber von Ausdauer und der dazu<br />

gehörenden Portion Selbstdisziplin. Beides habt Ihr zweifellos bewiesen.<br />

Ad 2. Engagement für Gerechtigkeit und Toleranz<br />

Hier wäre zunächst das Projekt „Schule ohne Rassismus“ zu nennen, welches Ihr hier am<br />

<strong>Besselgymnasium</strong> zu etablieren versuchtet. Ich sage bewusst „versuchtet“, denn<br />

unerklärlicherweise fand dieses Projekt weniger Unterstützung als erwartet, auch nicht die<br />

zur Anerkennung erforderliche Anzahl Unterschriften von 70 Prozent aller Schüler und ist, so<br />

muss man leider sagen, - so sagt Ihr es selber - letztlich in dieser Form gescheitert.<br />

Was aber für mich persönlich noch schwerer wiegt und viel erschreckender ist als das bloße<br />

Scheitern, ist die Tatsache, wie Ihr bei manchen Schülern direkt auf Ablehnung gestoßen<br />

seid, ja Hohn und Spott für diese Aktion geerntet habt.<br />

Dumme Sprüche wie „Diskriminierung von Diskriminierenden“ machten die Runde und sind<br />

- ernst gemeint oder nicht – ein geistiges Armutszeugnis und Zeichen einer Comedie- und<br />

Spaßgesellschaft, die sich selbst ihrer Werte beraubt, indem sie alles und jedes verulkt. Wir<br />

registrieren ja heute eine gebildete junge Generation, deren signifikanter Gestus die ironische<br />

Distanz ist. Ironie und intellektuelle Distanz sind so etwas wie die neue Errungenschaft im<br />

allzu ernsten deutschen Image.<br />

Was aber – so stellt sich doch angesichts der geschilderten Erfahrung mit dem Anti-<br />

Rassismusprojekt unausweichlich die Frage - hält eine Gesellschaft denn im Innersten<br />

zusammen jenseits von Stephan Raab und Harald Schmidt? Wenn alles zum Spaß wird, dann<br />

muss die Diskussion darüber geführt werden, wann es ernst wird, wo die Grenzen sind und<br />

was letztlich noch verbindlich ist.


Was - wenn nicht die gemeinsame Verständigung über Grundwerte?<br />

Den Müttern und Vätern des Grundgesetzes war der Stellenwert der geistigen Grundlagen<br />

einer Gesellschaft sehr deutlich. Nach der systematischen Zerstörung aller humanen<br />

Vereinbarungen während des Nationalsozialismus, nach dem radikalen Ausverkauf aller<br />

Errungenschaften der abendländischen Kultur, wurde das deutsche Grundgesetz<br />

zusammengestellt als eine Art Kodex der alten demokratischen und humanen Grundwerte,<br />

der vor dem Hintergrund des Verrats der abendländischen Kultur eine neue Basis legt für das,<br />

was unsere Gesellschaft zusammenhält.<br />

„In Verantwortung vor Gott und den Menschen“ und „die Würde des Menschen ist<br />

unantastbar“, formuliert das Grundgesetz in seiner Präambel und es setzt damit wie<br />

selbstverständlich voraus, dass die Grundwerte einer Gesellschaft, die die Würde des<br />

Menschen als wichtigstes Fundament benennt, im letzten religiös verankert und also heilig<br />

sind.<br />

Die Verantwortung vor der letzten, undefinierbaren Instanz wird zum Garanten für die Würde<br />

des Menschen, für Toleranz und Respekt und für ein Zusammenleben in individueller<br />

Freiheit und gesellschaftlicher Solidarität.<br />

Was mich besonders beeindruckt ist, ist der hohe Grad von Selbstverantwortung, Mut und<br />

Hartnäckigkeit, mit dem Fynn und Charlotte ihr Projekt trotz aller Rückschläge<br />

weiterverfolgt haben, ja nennen wir es ruhig Zivilcourage. Nach dem Motto: „Wenn nicht so,<br />

dann eben anders“, habt Ihr eine „Toleranz AG“ gegründet, einen Projekttag im vergangenen<br />

Dezember gestartet mit Vorträgen und einer Ausstellung im PZ, habt auf dem Schulfest einen<br />

Stand vorgehalten, Buttons gedruckt – und Euer Anliegen in kleinen Schritten weiter<br />

getragen.<br />

Und Ihr bleibt weiter dran.<br />

In Vorbereitung ist für die im kommenden Jahr stattfindende bundesweite<br />

Auftaktveranstaltung zur Woche der Brüderlichkeit eine Ausstellung unter dem Slogan: „Mut<br />

gegen rechte Gewalt“.<br />

3. Profilierung der Schule als „kultureller Lebensraum“<br />

Ich nenne nur Stichworte: Weihnachtsbasar, Schulfest, Valentinstag-Aktion, Variete-Abend,<br />

Karneval der Klassen 5 und 6, Theater AG.<br />

Was wäre das Leben, wenn es keine Feste gäbe. Schon Demokrit sagte: Das Leben ohne<br />

Feste ist wie eine lange Wanderung ohne Gaststätten.“ In der Tat: Ohne Feste ist das Leben<br />

fade und eintönig, ohne Höhepunkte. Und das Goethewort „Saure Wochen, frohe Feste sei<br />

dein künftig Zauberwort“, gilt nicht minder für die Schule.<br />

Dabei rückt wieder ein Bild von Schule in den Fokus unserer Betrachtungen, - und damit<br />

komme ich auf meine Eingangsthese zurück - welches Schule im Sinne umfassender Bildung<br />

als ganzheitlichen Lebensraum in den Blick nimmt.<br />

Auch Eltern sind ja heute auf der Suche nach Bildungsorten, die diesen ganzheitlichen<br />

Auftrag von Bildung ernst nehmen. Mit einer der scharfzüngigen Formulierungen von Heike


Schmoll aus der FAZ gesagt: „Inzwischen scheint bei aller Pisa-Seligkeit unter den Eltern das<br />

Bedürfnis gewachsen zu sein, ihren Kindern Bildungserfahrungen zu vermitteln, die sich<br />

nicht in skills oder Kompetenzen für die Durchsetzung in der Wettbewerbsgesellschaft<br />

niederschlagen.“<br />

Wird unser Bildungswesen dieser Aufgabe gerecht? Die Gefahr ist mit Händen zu greifen,<br />

dass hierzulande aus den PISA-Studien auf dramatische Weise verkürzte Konsequenzen<br />

gezogen werden. Man beschränkt sich auf die Suche nach Wegen, das kognitive<br />

Leistungsniveau zu steigern - und zwar bezogen auf seine testbaren Dimensionen. Man<br />

betreibt sozusagen eine Digitalisierung der Lernprozesse. Dabei wird verkannt, dass das<br />

Lernen nur verbessert, wer die Bedingungen des Lernens - sein soziales Setting sozusagen -<br />

verändert.<br />

Ich wiederhole mich gerne: Das Ziel zeitgemäßer Schulreformen tritt erst dann zureichend in<br />

den Blick, wenn eine neue Balance von Leistungsorientierung und Lebensorientierung, von<br />

nachprüfbarem Wissen und Identitätsbildung, von Kulturtechniken und kultureller<br />

Verwurzelung erreicht wird.<br />

Dabei muss man sich die Balance zwischen diesen beiden Dimensionen nicht im Sinn von<br />

zwei kommunizierenden Röhren vorstellen, wonach der Zugewinn auf der einen Seite mit<br />

einem Verlust auf der anderen Seite erkauft wird. Vielmehr muss man es für möglich halten<br />

und darauf hinzielen, dass eine Verstärkung auf der einen auch zu einer Verstärkung auf der<br />

anderen Seite zu führen vermag.<br />

Schulreformprojekte sind daran zu messen, ob das auch gelingt. Zu ihnen gehört dann aber in<br />

jedem Fall auch, für Schülerinnen und Schüler Räume zu schaffen, in denen sie ihrer Freiheit<br />

gewiss werden und diese verantwortlich zu gebrauchen lernen.<br />

Charlotte Haake und Fynn Schmidt gehören zu jener Verantwortungselite, welche Schule<br />

ebenso wie unsere Gesellschaft für ihr Fortbestehen im Sinne einer notwendigen<br />

Humanisierung nur allzu nötig braucht.<br />

Deshalb freue ich mich persönlich ganz besonders, liebe Charlotte, lieber Fynn, dass Ihr zwei<br />

heute für Euer Engagement mit dem <strong>Besselpreis</strong> ausgezeichnet und geehrt werdet. Ihr habt<br />

ihn wirklich verdient.<br />

Und das ist kein Honig, sondern die Wahrheit.<br />

Herzlichen Glückwunsch!

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