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Dolmeç - Afrikanet.info

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BILDER: DOLMEÇ, PRIVAT<br />

02<br />

marcus omofuma<br />

leitartikel<br />

BLACK POWERless?<br />

»Und wenn ich heute<br />

einen Blick auf 1999<br />

werfe, dann erinnere ich<br />

mich an die Formierung<br />

von organisiertem Widerstand<br />

seitens der Schwarzen<br />

Community angesichts<br />

rassistischer Polizeiübergriffe<br />

und den Tod von Ahmed<br />

F. (r.i.p.) in Wien.<br />

Ich erinnere mich an eine<br />

Zeit des politischen Aufbruchs,<br />

an eine Zeit der<br />

Emanzipation von unterwürfiger<br />

Dankbarkeit (d.h.<br />

Danke das wir hier in Europa<br />

bzw. in Österreich<br />

sein dürfen), an eine Zeit<br />

der eigenen Mobilisierung<br />

und Selbstorganisation. Ich<br />

erinnere mich an eine Zeit<br />

der Bewusstseinswerdung,<br />

dass wir es mit allem anderem<br />

als mit „unglücklichen<br />

Einzelfällen“ sondern<br />

mit institutionalisiertem<br />

Rassismus zu tun haben.<br />

Ich erinnere mich an eine<br />

Zeit der Bewusstseinswerdung,<br />

dass Bob Marleys:<br />

Get Up Stand Up. Stand<br />

Up For Your Rights in unserem<br />

hier und jetzt ganz<br />

real lebensnotwendig ist,<br />

weil die Rechte von Unterdrückten<br />

niemals, nirgends<br />

auf dieser Welt jemals als<br />

Geschenke vom Himmel<br />

gefallen sind.<br />

Im März des Jahres 1999<br />

organisierte das ungefähr<br />

17 Organisationen umfassende<br />

Netzwerk der Afrikanischen<br />

Communities<br />

in Allianz mit linken migrantischen<br />

Organisationen<br />

eine Demonstration unter<br />

dem Titel: Stoppt den rassistischen<br />

Polizeiterror!<br />

Wir, oder um nur für mich<br />

zu sprechen, ich war mir<br />

damals keiner Radikalität<br />

bewusst. Als der Tod Marcus<br />

Omofumas, aufgrund<br />

der Tatsache, dass er auf<br />

bulgarischem Hoheitsgebiet<br />

bei seiner Abschiebung<br />

qualvoll unter Gewahrsam<br />

dreier österreichischer Polizisten<br />

starb, bekannt wurde,<br />

befand sich die Schwarze<br />

Community in Wien im<br />

schon politisierten Prozess<br />

der Mobilisierung.<br />

Im Bewusstsein um die politische<br />

Verantwortung des<br />

Innenministeriums organisierte<br />

das Netzwerk der afrikanischen<br />

Communities<br />

ab 5. Mai eine Mahnwache<br />

vor dem Innenministerium<br />

am 8. Mai folgte eine von<br />

vielen Organisationen getragene<br />

Demonstration.<br />

Unsere Mahnwachen fanden<br />

mit 27. Mai 1999 ein<br />

jähes Ende. In den frühen<br />

Morgenstunden zerschlug<br />

die damals größte Polizeiaktion<br />

der 2. Republik Österreich<br />

bei der es erstmal<br />

zum Einsatz des großen<br />

Lauschangriffs kam, nach<br />

eigenen Angaben einen<br />

international operierenden<br />

nigerianischen Drogenring.<br />

Charles Ofoedu, Dichter<br />

und aktiver Teil der gerade<br />

wachsenden Protestbewegung<br />

der Schwarzen Community,<br />

wurde in dieser<br />

Nacht verhaftet und in ausnahmslos<br />

allen gängigen<br />

Printmedien und im ORF<br />

als Boss dieser vermeintlich<br />

ausgehobenen kriminellen<br />

Organisation präsentiert.<br />

Unser Widerstand<br />

gegen rassistische Polizeigewalt<br />

wurde öffentlich<br />

erfolgreich als wichtiger<br />

Bestandteil der kriminellen<br />

Organisation konstruiert<br />

und kriminalisiert.<br />

Warum ich mich hier<br />

schriftlich daran erinnern<br />

möchte, ist, weil ich das<br />

Gefühl habe, dass diese Geschichte<br />

des widerständigen<br />

Aufbruchs der Schwarzen<br />

Community es nicht<br />

oder viel zu wenig in die<br />

Gegenwart von 2009 ge-<br />

schafft hat. Und sich damit<br />

auf ganz leise Weise unsere<br />

Mundtodheit und Unsichtbarkeit<br />

als politische<br />

Subjekte mit politischen<br />

Forderungen in der Gegenwart<br />

zementiert.<br />

Den Medien war damals<br />

zu entnehmen, dass der<br />

Todeskampf von Marcus<br />

Omofuma von den Exekutivbeamten<br />

als bedrohliche,<br />

beißend animalisierte Aggressivität<br />

gesehen wurde,<br />

gegen die sich die Polizisten<br />

verteidigen mussten. Die<br />

Vorstellung von Schwarzen<br />

Menschen als einfach<br />

von Natur aus aggressiv<br />

wurde von der damaligen<br />

Justizsprecherin der FPÖ<br />

und ehemaligen Richterin<br />

(!) Patrik-Pable 1999 in<br />

einer Sondersitzung des<br />

Parlaments verkündet. Als<br />

tödliche, rassistische Praxis<br />

spiegelt sie (die Vorstellung)<br />

sich längst in den<br />

Realitäten, den Umständen,<br />

medialen, politischen<br />

(nicht)Reaktionen und<br />

Gerichtsurteilen des Todes<br />

von Seibane Wague und<br />

mit ihm in den Realitäten<br />

der unbenannten Toten<br />

und Opfern von Polizeigewalt<br />

wieder.<br />

Marcus Omofuma wurde<br />

diesem Muster folgend im<br />

wahrsten Sinne des Wortes<br />

mund-tod gemacht, wurde<br />

qualvoll erstickt. Über<br />

den Protest der Schwarzen<br />

Community ließ sich nach<br />

der Operation Spring u.a.<br />

folgendes entnehmen, wie<br />

bei der Pressekonferenz<br />

vom damaligen Sicherheitsdirektor<br />

Sika verlautbart<br />

wurde:<br />

Die Lauschangriffe dokumentieren,<br />

dass die Drogenbosse<br />

ihre Laufburschen<br />

angewiesen hätten, sich bei<br />

Polizeikontrollen auf ‚rassistische<br />

Behandlung’ zu<br />

berufen. ‚Wir wissen, dass<br />

sie aufgefordert waren bei<br />

den Demonstrationen und<br />

Mahnwachen für Omofuma<br />

teilzunehmen.’<br />

Angesichts der damaligen<br />

Erstickung unseres Protestes<br />

durch eine wirksame,<br />

systematische, direkte, medial<br />

aufbereitete Kriminalisierung<br />

verdeutlicht sich<br />

die widerständige Bedeutung,<br />

sich dieser an den<br />

Rand der Vergessenheit<br />

gedrängten Geschichte in<br />

der Gegenwart zu erinnern<br />

und mit ihr in Verbindung<br />

zu bleiben.<br />

Im April 2009 veröffentliche<br />

Amnesty International<br />

einen Bericht der ganz klar<br />

darlegt, dass institutionalisierter<br />

Rassismus sowohl<br />

in der österreichischen<br />

Exekutive als auch im<br />

Justizsystem eine Realität<br />

darstellt. Damit ist 10 Jahre<br />

später eine der Kernforderungen<br />

der Schwarzen<br />

Community an die Öffentlichkeit<br />

gelangt, was einen<br />

Durchbruch darstellt.<br />

Der Bericht macht gleichzeitig<br />

auch ein Stück Gesamtheit<br />

rassistischer<br />

Diskriminierungen in Österreich<br />

sichtbar. Gerade<br />

hier wird aus meiner Sicht<br />

die Wichtigkeit von noch<br />

stark ausbaufähigen widerständigen<br />

Allianzen der<br />

Schwarzen Community zu<br />

anderen MigrantInnencommunities<br />

und rassistisch<br />

diskriminierten Minderheiten<br />

in Österreich<br />

deutlich.<br />

Ich frage mich heute selbstkritisch<br />

ob 2009 eine Demonstration<br />

mit dem Titel:<br />

Stoppt den rassistischen<br />

Polizeiterror überhaupt<br />

zustande kommen könnte.<br />

Ob sie auf wienerisch gesagt,<br />

ein Leiberl hätte?<br />

Wie ich schon gesagt habe<br />

waren wir uns, oder um bei<br />

mir selbst zu bleiben ich,<br />

war ich mir damals keinster<br />

Radikalität bewusst. Heute<br />

sehe ich den Titel des Demoaufrufs<br />

nicht als unradikal.<br />

Gleichzeitig denke ich<br />

dolmeç nr.4 mai 2009<br />

Ich sehe den 1. Mai 1999 und den 15. Juli 2003, die Todesdaten von Marcus Omofuma (r.i.p.) und Seibane Wague (r.i.p.), als Daten, die in unser hier in<br />

Österreich sein, in unsere zum Teil noch verschüttete Geschichte, in unsere Gegenwart und Zukunft eingeschrieben sind. Gleichzeitig gibt, gab und wird<br />

es überall dort wo es Unterdrückung gibt auch Widerstand geben. Text: Araba Evelyn Johnston-Arthur<br />

Seit dem Tod von Marcus<br />

Omofuma gab es in der<br />

Schwarzen Community und<br />

darüber hinaus den Wunsch,<br />

in Wien einen Gedenkstein<br />

zu schaffen. Die Künstlerin<br />

Ulrike Truger kam diesem<br />

Wunsch nach und reichte<br />

Skizzen eines solchen Denkmals<br />

bei öffentlichen Stellen<br />

ein. Eine Finanzierung wurde<br />

allerdings abgelehnt. „Ja, machen<br />

S´des, aber Geld gibt´s<br />

kein´s.“ Also schaffte sie in Ei-<br />

geninitiative einen Gedenkstein,<br />

der auf den Wunsch<br />

vieler Afrikaner Rücksicht<br />

nahm, ohne Abbildung<br />

auszukommen. Und seit<br />

2003 steht nun dieser Stein<br />

vor dem Museumsquartier,<br />

nachdem die Bezirksvorstehung<br />

des 7. Bezirks dem<br />

zuvor illegal errichteten Gedenkstein<br />

„Asyl“ gewährte.<br />

Das Prozedere mag außergewöhnlich<br />

sein, paßt aber<br />

hervorragend zum Thema.<br />

mir in den Worten der afrikanisch-amerikanischen<br />

Theaterschriftstellerin Lorraine<br />

Hansberry:<br />

„Unsere gegenwärtige Lage<br />

hinzunehmen ist die einzige<br />

Form des Extremismus,<br />

die uns vor unseren<br />

Kindern unglaubwürdig<br />

macht.“<br />

Der Widerstände gehen<br />

weiter und haben viele<br />

Stimmen und Gesichter.<br />

...Dont give up the Fight...<br />

ARABA EVELYN<br />

JOHNSTON-ARTHUR<br />

ist Aktivistin, Theorie-, Kultur-<br />

und Communityarbeiterin.<br />

Sie forscht u.a. zur Geschichte<br />

der Gegenwart der<br />

afrikanischen Diaspora mit<br />

Schwerpunkt Österreich, institutionalisierten<br />

Rassismus<br />

und Dekolonisation. Lehrt<br />

an der Universität Wien.<br />

Stein des Anstoßes<br />

Seitdem wird der Stein regelmäßig<br />

beschmiert. Offensichtlich<br />

ist er einigen Menschen in<br />

Wien ein Dorn im Auge. Der<br />

„Arbeitskreis Marcus Omofuma<br />

Stein“ kümmert sich darum<br />

den Gedenkstein immer<br />

wieder zu säubern und veröffentlichte<br />

nun die Broschüre<br />

„Ohne Aufenthaltstitel“, die<br />

weitaus mehr ist als nur eine<br />

Dokumentation der Ereignisse.<br />

Zu bestellen unter: ohneaufenthaltstitel@gmail.com

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