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06<br />
marcus omofuma<br />
Cold Case Omofuma.<br />
Eine offene Wunde<br />
BILDER: PRIVAT<br />
Der Tod von Marcus Omofuma markiert eine Zäsur in der jungen<br />
Geschichte der afro-österreichischen Gemeinde. Seitdem<br />
ist deutlich geworden, daß Schwarze Menschen in Österreich<br />
nicht gleich behandelt werden. Mehr noch, es scheint sogar,<br />
daß Schwarzes Leben in Österreich nicht ebenso viel wert<br />
ist, wie Weißes.<br />
Die schmerzhafte Wunde, die Omofumas Tod ins Bewußtsein<br />
der Community gerissen hat, hatte bisher nur wenig Gelegenheit<br />
zu verheilen. Dazu hat die Politik beigetragen, die<br />
den „institutionellen Rassismus“ (Amnesty) leugnet, Konsequenzen<br />
ablehnt und kein Wort des Bedauerns findet. Dazu<br />
hat die Polizei beigetragen, die immer wieder neue „Einzelfälle“<br />
produziert, in der Schwarze Menschen gefoltert oder<br />
gar getötet werden. Dazu hat die Justiz beigetragen, die die<br />
Täter großteils straffrei davonkommen läßt. Und dazu hat<br />
der Boulevard beigetragen, der Opfer rassistischer Gewalt<br />
nachträglich wider besseren Wissens verleumdet und Afrikaner<br />
in Wien pauschal als Drogendealer stigmatisiert.<br />
Zehn Jahre Markus Omofuma; <strong>Dolmeç</strong> hat wichtige Persönlichkeiten<br />
der „African Community“ in Wien um eine kurze<br />
Stellungnahme gebeten.<br />
» Am 1. Mai 1999 kommt bei einer Abschiebung ein<br />
unbekannter junger Mann aus Nigeria ums Leben,<br />
sein Name ist Marcus Omofuma. Sein Tod wird unter<br />
den in Wien lebenden Afrikanern fast zu einem ähnlichen<br />
Symbol der Diskriminierung und der Chancenungleichheit<br />
wie der Tod Steve Bikos in Südafrika. Von<br />
„Mord“ sprechen manche Afrikaner, von absichtlicher<br />
Tötung eines „minderwertigen“, da afrikanischen Lebens.<br />
Nach Österreich kommende Afrikaner haben große<br />
Schwierigkeiten, dem teilweisen oder gänzlichen Abgleiten<br />
in die Illegalität zu entgehen. Der formale Zugang<br />
nach Österreich ist den meisten aus vielen Gründen<br />
verschlossen und der äußerst schwierige Zugang<br />
zum Arbeitsmarkt treibt teilweise auch Menschen in<br />
die Illegalität, die über eine formale Aufenthaltsberechtigung<br />
verfügen, wie Studierende, Familiennachzug<br />
oder Asylwerber. So müssen afrikanische Studierende<br />
pro Studienjahr Eigenmittel von etwa 5100 Euro<br />
nachweisen, dürfen in Österreich aber nicht arbeiten.<br />
In ihren Heimatländern entsprechen 5100 Euro meist<br />
dem Jahresgehalt eines leitenden Angestellten.<br />
Ähnlich geht es Asylwerbern, die aus der Bundesbetreuung<br />
herausfallen oder niemals in sie hineingelangen,<br />
und Erwachsenen im Zuge des Familiennachzugs.<br />
Das Verhältnis zwischen Österreichern und Afrikanern<br />
ist kompliziert, ist doch in manchen Köpfen das Bild<br />
des Drogendealers dank Zeitungsberichten und mancher<br />
tatsächlicher krimineller Fehltritte fest verankert.<br />
Das Wissen um die Kultur der jeweils anderen ist dagegen<br />
bescheiden. Vorurteile haben Afrikaner den Österreichern<br />
gegenüber ebenso wie umgekehrt.<br />
e l a m i n e l y a s hat Politikwissenschaft, Arabistik, Afrika-<br />
nistik und Internationale Entwicklung studiert, stammt<br />
aus dem Sudan, spricht muttersprachlich Arabisch<br />
und arbeitet als Supervisor und in der Erwachsenenbildung.<br />
» Marcus Omofuma ist<br />
einer von vielen Gefallenen<br />
in der EU, die nicht im<br />
Krieg getötet wurden. Frage:<br />
Warum?<br />
1999, der offizielle Beginn<br />
der Zerschlagung der demokratischen<br />
und humanistischenGesellschaftswerte<br />
in Österreich. Eine<br />
von oben zugelassene Tötung.<br />
Eine von oben zugelasseneMenschenentwertung.<br />
Mit Folgen!<br />
Ahmed F., Richard I., Johnson<br />
O., Cheibani W., Yankuba<br />
C., Essa T., Bakery J.,<br />
Mike B...<br />
Immer noch fühle ich<br />
mich wie in einem<br />
schlechten Dokufilm aus<br />
dem Südafrika oder Aust-<br />
» Marcus Omofuma mußte Österreich vor 10 Jahren<br />
verlassen. Weil er einen negativen Asylbescheid bekam,<br />
mußte er deportiert werden. Er wehrte sich gegen seine<br />
Abschiebung und mußte dies mit seinem Leben bezahlen.<br />
Seine Nase und sein Mund wurden von begleitenden<br />
Polizisten mit Leukoplast verklebt. Mithilfe von<br />
Klebebandfesselung wurde er an seinen Flugzeugsitz<br />
bewegungsunfähig gestellt. Laut Augenzeugen war er<br />
wie ein Paket verschnürt. So arbeiteten Angestellte der<br />
Polizei, der sogenannten „größten Menschenrechtsorganisation<br />
des Landes“. Es gibt keine Konsequenzen. Die<br />
zuständigen Polizisten sind bis heute im Dienst, in anderen<br />
Abteilungen der Polizei. Was hat die Polizei inzwischen<br />
unternommen, um Rassismus in ihrem Inneren zu<br />
bekämpfen? Nichts.<br />
Felicia Omofuma, die Mutter von Marcus, muß heute mit<br />
diesem Schmerz leben. Am 25. Juni 1999 reiste sie nach<br />
Wien um „die Leiche ihres Sohnes zu identifizieren“. Ein<br />
großer PR-Gag des damaligen Außenminister Wolfgang<br />
Schüssel. Viele erzählen, daß der Fall Omofuma die politische<br />
Karriere des damaligen Innenminister Karl Schlögl,<br />
des heutigen Bürgermeisters von Purkersdorf (NÖ), zerstört<br />
hat. Und? Die Abschiebung Omofumas hat die Geschichte<br />
der Abschiebung von Afrikanern aus Österreich<br />
und der EU nur verschärft.<br />
Aktuellstes Beispiel: Am 14. November 2008 wurden 71<br />
abgelehnte Asylwerber aus elf EU-Staaten in ihre Heimat<br />
gebracht – per Charter-Maschine vom Flughafen Wien-<br />
Schwechat, direkt nach Lagos (Nigeria) bzw. weiter nach<br />
Banjul (Gambia). Die Öffentlichkeit wurde darüber nicht<br />
<strong>info</strong>rmiert. Diese Abschiebung kostete 569.535,03 €.<br />
Kosten pro Abgeschobenem: 8021 €. Das ist das Menschenrechtsgesicht<br />
der EU...<br />
s i m o n i n o u stammt aus Kamerun, ist Soziologe und mehr-<br />
fach ausgezeichneter Journalist und lebt seit 1995 in Österreich.<br />
Er arbeitet unter anderem als Redakteur für die<br />
Integrationsseite der Presse, im Rahmen des von ihm<br />
geschaffenen migrantischen Medienprojekts M-Media.<br />
ralien der fünfziger Jahre.<br />
Ich will es nicht begreifen,<br />
daß die eine grausame<br />
Tötung wie ein Kavaliersdelikt<br />
behandelten.<br />
Unbegreiflich, aber real.<br />
Oft frage ich mich, wie<br />
viele Nazis, Rassisten, Sadisten<br />
verstecken sich<br />
hinter ehrlichen Berufen<br />
wie Politiker und Polizist<br />
…?<br />
g r a c e m. l a t i g o – Mutter<br />
Slowakin und Vater aus<br />
Uganda – ist in Österreich<br />
aufgewachsen. Sie<br />
ist Künstlerin und Menschenrechtsaktivistin.Zuletzt<br />
erschien ihr Buch<br />
„Meine Worte“ im AAI-Verlag.<br />
dolmeç nr.4 mai 2009<br />
Rosen für Omofuma<br />
Wir weinen nicht um dich<br />
Wir weinen um die Sonne der Freiheit,<br />
die unterging<br />
Als zwei Vögel auf deinen Schultern<br />
geschlachtet wurden<br />
In deinen Augen wurden unsere<br />
Träume getötet<br />
Auf deinen Lippen wurden Wolken<br />
gefangen<br />
Wir weinen nicht um dich<br />
Bis unsere Qualen enden<br />
Trotzdem singen wir<br />
Unsere Trommeln verstummen nicht<br />
Wir pflanzen dich in unsere Kinder<br />
Es blüht ein Baum, bunt<br />
In seinem Schatten<br />
Singen wir für Gleichheit<br />
i s h r a g a m u s t a f a h a m i d stammt aus<br />
dem Sudan und arbeitet als Autorin,<br />
Journalistin und Lektorin am Institut<br />
für Politikwissenschaft der Uni Wien.<br />
» Kein Vergessen, kein Verzeihen – Mord verjährt nicht.<br />
Unter diesem Motto wurde die Demo am 1. Mai 09 zum<br />
10. Todestag von M.O. durchgeführt. Dieses Motto riecht<br />
zunächst nach Auge um Auge, Zahn um Zahn. Die Demo<br />
war auch Beweis dafür, dass nur Lebende um jemanden<br />
zu trauern wissen, und zwar als indirekte Interferenz zwischen<br />
dem eigenem Leben und Tod oder um eine Abrechnung<br />
mit dem eigenen Tod zu zelebrieren. Für viele<br />
war diese Demo ein Ausdruck der Erinnerung und des<br />
Zorns. Anthropologisch gesehen vermitteln uns die Toten<br />
zwecks Versöhnung symbolisch die „Kraft“, sich den Antworten<br />
bzw. dem Konsens bezüglich unserer jeweiligen<br />
Differenzen zu widmen. Daher stellt sich auch heute die<br />
Frage, wie sich die Zivilgesellschaft politisch mit den Behörden<br />
und politischen Parteien versöhnen bzw. Konsens<br />
suchen soll, wenn sie seit 10 Jahren nur leere Kilometer<br />
zurückgelegt hat und weder Konsens noch Versöhnung<br />
zwischen unterschiedlichen NGO-Projekten erzielt wurde.<br />
Auch wenn die Toten nicht wieder „lebendig“ gemacht<br />
werden können und die Demo Ausdruck einer weiteren<br />
zivilgesellschaftlichen Klage war, steht uns nun bevor, architektonisch<br />
die zivilgesellschaftliche außerparlamentarische<br />
Opposition zu implementieren, so dass künftig solche<br />
Aktionismen als Ausdruck der „Macht“ verstanden<br />
werden, und zwar als Klage, die ein diesbezüglich verbessertes<br />
Gesellschaftsprojekt als Alternative widerspiegelt.<br />
d r. d i-t u t u b u k a s a ist unter anderem Gründer der Fußball-<br />
mannschaft „FC Sans Papiers“, Obmann des European<br />
Network against Racism und Chefredakteur der „Bunten<br />
Zeitung“.