Prof. Gerhard Roth
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Doris Weber:<br />
Überhaupt frage ich mich jetzt, nützen Psychotherapien denn dann etwas, nach<br />
allem was ich jetzt von Ihnen gehört habe?<br />
<strong>Gerhard</strong> <strong>Roth</strong>:<br />
Also hier, bei den Psychotherapien wie bei Medikamenten, bei allem und jedem gilt<br />
das Drittelgesetz. Bei einem Drittel wirken Psychotherapien gut, es ist relativ egal<br />
was man tut, in bestimmen Grenzen interessanterweise, bei einem Drittel mäßig, bei<br />
einem Drittel überhaupt nicht.<br />
Das bedeutet, dass es Menschen gibt, die gut den Einflüssen eines Psychotherapeuten<br />
folgen können. Da gibt es auch sogar eine genetische Grundlage, eines<br />
guten Patienten. Bei einem Drittel gibt es größere Schwierigkeiten, natürlich auch<br />
abhängig von der Schwere des psychischen Problems. Und bei einem Drittel bis<br />
einem Viertel funktioniert es nicht. Und das ist so das, was Psychotherapeuten<br />
sich fragen: Warum nicht?<br />
Doris Weber:<br />
Könnte man nicht auch in Erwägung ziehen, dass es vielleicht die Beziehung ist<br />
zwischen Therapeut und Klient, die zu einer positiven Wirkung führt?<br />
<strong>Gerhard</strong> <strong>Roth</strong>:<br />
Ganz genau. Das ist der Kern des Problems. Man hat herausgefunden, in großen<br />
Studien, inwieweit sich verschiedene psychotherapeutische Methoden<br />
unterscheiden, und hat festgestellt, dass alle gängigen psychotherapeutischen<br />
Methoden ein und denselben Kern haben, der völlig unspezifisch ist, nämlich<br />
das Gefühl: "Endlich nimmt mich jemand ernst, endlich hört sich jemand meine<br />
Probleme und Sorgen an". Ich nenne das den Friseureffekt: "Endlich kümmert sich<br />
jemand um mich."<br />
Und man hat herausgefunden, dass das die Hälfte des therapeutischen Effektes ausmacht.<br />
Das heißt, es geht fast ausschließlich um die Beziehungsstruktur zwischen<br />
Therapeuten und Patient, das was die Übertragung, die Gegenübertragung<br />
in der psychodynamischen Therapie macht. Darauf kommt es an.<br />
Und die kognitive Verhaltungstherapie in ihrer ganz klassischen Ausprägung, also<br />
kognitive Umstrukturierung der Probleme, wirkt nach unseren Erkenntnissen überhaupt<br />
nicht. Es ist auch hier die emotionale Beziehung, häufig die nichtsprachliche<br />
Beziehung zwischen Therapeut und Patient, die wirkt.<br />
Doris Weber:<br />
Es gibt doch solche Fälle: ein Mensch erlebt eine schwere Krise oder ein großes<br />
Leid, dass er erfährt oder auch einem anderen zugefügt hat. Und er sagt dann: "Ich<br />
will mich ändern. Ich will wissen wer ich bin. Ich will raus aus diesem ewig<br />
selben Kreislauf." Und dann geht er zum Therapeuten. Und dann sagen plötzlich<br />
seine Freunde oder Angehörigen: "Das ist ein ganz anderer Mensch geworden."<br />
Kann das sein?<br />
<strong>Gerhard</strong> <strong>Roth</strong>:<br />
Das ist nicht so. Wenn man das sehr kritisch sieht, dann sieht man, dass es die<br />
langsame Einübung, meist nicht verbaler emotionaler Strukturen ist. Also die<br />
Beziehung zwischen Therapeut und Patient, über ein Jahr, über zwei Jahre,<br />
über drei Jahre, die ganz langsam eine Umstrukturierung induziert.<br />
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