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Glasenweiher-Kurier Ausgabe Sommer 2010 - Jean-Paul-Verein ...

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Seite 14 - Seelsorge<br />

Ein sommerlicher Spaziergang<br />

mit <strong>Paul</strong> Gerhardt<br />

Er ist einer der größten Lieddichter Deutschlands und viele<br />

seiner Texte haben uns begleitet – in den verschiedensten<br />

Lebensbereichen und Lebensabschnitten, z. B. Befiehl<br />

Du Deine Wege, Nun ruhen alle Wälder, Ich steh´ an<br />

Deiner Krippen hier oder Geh´ aus, mein Herz und suche<br />

Freud.<br />

Die Schriftstellerin und Dichterin Eva Zeller hat sich überlegt,<br />

wie dieser sommerliche Spaziergang mit ihm verlaufen<br />

könnte: „Mit ihm ginge ich gerne über Spreeinseln in<br />

Lübben, langsame Wasser, Wege, Lauf und Bahn,, es<br />

müsste <strong>Sommer</strong> sein und dieser Landstrich nicht überflutet,<br />

es schwingen sich die Lerchen in die Luft, die unverdrossene<br />

Bienenschar, und weit und breit kein Krieg und<br />

große Schrecken.<br />

Ich redete ihn mit Herr Propst an, doch er winkt ab, man<br />

wisse ja, sein Starrsinn, er sei nunmehr Archidiakonus,<br />

dreihundertachtzig Seelen; ich schlage flugs ihm mein<br />

Gesangbuch auf, wo es am zerlesensten ist: Herr Archidiakonus,<br />

Poet von Gottes Gnaden, süßer Melodist, ein<br />

Wunder, dass er auch das Alphabet benütze und nicht<br />

das Schlagen der hochbegabten Nachtigall.<br />

Er hört sehr schwer, ich hätte schreien müssen, wir geh‘n durch Erlenbrüche, astreine<br />

rote Ruten zum Flötenschnitzen, die Dommel ruft und macht sich in die Wälder, wir<br />

geh‘n durch Schilf, das sich verneigt, er vor mir her, ein alter Mann, beim Selbstgespräch<br />

ertappt: Wenn mir mein Herz in Stücke bricht, bleibt der mein Herz, der niemals was versehen.<br />

Zwei mit nur einem Herzen. Der Weg ist schmal, das Licht hebt Flügel aus der<br />

Taufe, die noch tropfen, und ich muss denken: wenn es Gott nicht geben sollt- wir haben<br />

Lieder, die uns das Abba Schrein aus all ihrer Kraft.<br />

Der Boden schwankt, der vor mir hergeht, kennt jeden Schritt, heilige Vögel waten, Nebenbäche<br />

rauschen in den Sand und malen sich an ihrem Rand die schattenreiche Myrrhe,<br />

die Lieder treten über ihre Ufer, ein schwarzgeteerter Handkahn wartet, der Dichter<br />

von O Haupt voll Blut und Wunden Verneigt sich steif, ihn rufe jetzt die Pflicht zu einem<br />

Kranken, dreihundertachtzig Seelen, im Winter gehe er hier übers Eis, die Wege ändern<br />

blinkend ihren Lauf, die Ruderschläge, zeitlupenhaft entgleitet mir das Bild.<br />

Ich hätte fragen sollen: Alles Ding hat seine Zeit, viel Wasser fließt dahin, doch diese<br />

Lieder, warum sind sie nicht abgesunken, die leisen, purer Atem, andere so, als würde<br />

die Posaune sie begleiten, die packt Gott an der Kehle. Ich hätte sagen sollen: Wenn wir<br />

uns nachts mit Schwermut quälen, stellt er für uns die güldnen Waffen ums Bett und Seiner<br />

Engel Schar.<br />

Gunter Frisch, Seelsorger

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