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Reflexives Entwerfen I Reflexive Design

ISBN 978-3-86859-298-6

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Der performative Aspekt betont die Komponente des räumlichen Erlebens, Erfahrens und<br />

Handelns, die unabdingbar in die architektonische Wirklichkeit eingeschlossen ist. Architektur<br />

verfügt demnach über ein Repertoire von spezifisch architektonischen Mitteln und<br />

Strukturen, die erst in einem kulturellen Ereignis, in einer Situation des Gebrauchs, der<br />

Bewegung und des Darin-Seins während der Rezeption Wirklichkeitscharakter entfalten.<br />

In diesem performativen Akt unterscheidet sich Architektur von den Bildenden Künsten<br />

einerseits und von systematischer Planung andererseits.<br />

P E R F O R M A T I V E R U R B A N I S M U S In den Theaterwissenschaften wird Performativität<br />

bereits seit Längerem konzeptualisiert. Für Architektur und Städtebau ist ein<br />

vergleichbarer Diskurs bisher weniger explizit, er wird meist mit den Begriffen des Szenischen<br />

oder des Situativen verbunden. „[...] szenischer Raum, ohne den, wie wir wissen, die<br />

Gebäude nur Konstruktion wären und die Stadt nur eine Agglomeration.“ 14 Performativer<br />

Urbanismus begreift die Architektur der Stadt weit über ihre objekt- oder bildhaften Eigenschaften<br />

hinaus. Situation, Gebrauch, Prozess, Mitspieler sind die Schlüssel zu einem<br />

performativen Verständnis von Architektur, die Architektur der Stadt eingeschlossen. Der<br />

Begriff des Performativen (performative) geht zudem auf die Sprachphilosophie zurück,<br />

in deren Theoriebildung John L. Austin eine Differenzierung zwischen ‚performance‘ und<br />

‚performative‘ einführte. ‚Performance‘ bezeichnet die Ausführung einer Handlung oder<br />

das Aussprechen eines Satzes in einer Situation, durch die eine bestimmte Bedeutung<br />

erst aktualisiert wird. ‚Performative‘ bezeichnet dagegen eine Situation, in der eine neue<br />

Wirklichkeit überhaupt erst hervorgerufen wird. 15 Vielgebrauchtes Beispiel ist das einer<br />

Ehezeremonie, in der der ausgesprochene Satz zum Vertrag der Ehe führt. Eine neue Wirklichkeit<br />

wird konstituiert.<br />

Dieser grundlegende Gedanke wurde in zahlreichen Disziplinen der Kultur- und Geisteswissenschaften<br />

fruchtbar weiterentwickelt. Insbesondere in den Theaterwissenschaften<br />

wird das kontemporäre Verständnis von ‚Aufführung‘, da sie sich nicht mit einer Verbildlichung<br />

und Reproduktion eines gegebenen Textes begnügt, als genuine performative<br />

Kulturpraxis begriffen. In einer Theateraufführung werden Schauspieler, Textvorlage,<br />

Zuschauer, Bühne und Raum zu einer neuen situativen Einheit verschmolzen, die zu einer<br />

neuen Wirklichkeit führt, an der alle genannten Elemente als Akteure beteiligt sind. Die<br />

‚Aufführung‘ einer Handlung, theatrale Performativität, ist Wirklichkeit konstituierend.<br />

Theater sei die ‚Performative Kunst‘ schlechthin, sagt Erika Fischer-Lichte. 16 Zwar ist der<br />

Topos von ‚Stadt als Bühne‘ oder ‚Stadt als Drama‘ 17 verbreitet, aber meist blieb es bei der<br />

Analogie von Stadt und Theater im Sinne einer Metapher. Jetzt geht es jedoch um das<br />

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