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Der Aufsatz als pdf-Dokument - Beate-jonscher.de

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Text <strong>de</strong>r Losung) übergenau die Erscheinungsform (drei bogenförmig gespannte rote Tücher mit<br />

Losungen aus weißen Buchstaben) beschrieben wird. 12<br />

Dann wer<strong>de</strong>n <strong>de</strong>r Direktor und die Gewerkschaftsvorsitzen<strong>de</strong> vorgestellt, bei<strong>de</strong> nicht mit Namen,<br />

son<strong>de</strong>rn mit ihren Funktionsbezeichnungen und kurzer Beschreibung ihres Äußeren.<br />

Die Frau, um <strong>de</strong>ren Abschied es geht, wird hingegen bei ihrem vollen Namen genannt und wesentlich<br />

genauer beschrieben: das Äußere, ihr Verhalten (bewegungslos, ein Taschentuch knüllend), ihr Charakter<br />

(ruhig, schweigsam), das Verhältnis <strong>de</strong>r an<strong>de</strong>ren zu ihr (kaum jemand, <strong>de</strong>r sie kannte).<br />

Die „Ansprache“ <strong>de</strong>r Gewerkschaftsvorsitzen<strong>de</strong>n wird in indirekter Re<strong>de</strong> wie<strong>de</strong>rgegeben, und zwar<br />

nicht in vollständigen Sätzen, son<strong>de</strong>rn in durch Kommas aneinan<strong>de</strong>rgereihten Ellipsen. Dadurch wird<br />

das Klischeehafte, Nichtssagen<strong>de</strong> <strong>de</strong>r Worte betont.<br />

<strong>Der</strong> Direktor verspricht, etwas über die Kosova „<strong>als</strong> Mensch“ zu sagen. Ihre menschliche Qualität<br />

besteht seiner Meinung nach darin, dass die Direktoren wechseln, die Buchhalter aber bleiben.<br />

Nun sagt er, dass es ihnen schwerfällt, sich von einem solchen Menschen zu trennen. Dieser Satz erhält<br />

beim Neu-Lesen ein an<strong>de</strong>res Gewicht, wenn man weiß, dass <strong>de</strong>r Direktor es selbst angeordnet hat, die<br />

Kosova in Rente zu schicken.<br />

Aufschlussreich ist auch das Gespräch Annas mit <strong>de</strong>r Gewerkschaftsvorsitzen<strong>de</strong>n. Diese sagt<br />

„Genossin Kosova“ zu ihr, was <strong>de</strong>n streng offiziellen Charakter <strong>de</strong>s Gespräches betont. Anna duzt sie,<br />

ein Recht, das ihr <strong>als</strong> Älterer zusteht und womit sie zugleich versucht, eine kollegiale Gesprächsform zu<br />

erreichen.<br />

Es wer<strong>de</strong>n zwei unterschiedliche Maßstäbe angelegt: das Alter gegen die Qualität <strong>de</strong>r Arbeit. Jedoch<br />

gilt die Qualität nichts gegen die festgelegte Norm <strong>de</strong>s Rentenalters. Die Rožnova droht Anna mit <strong>de</strong>m<br />

Direktor, worauf diese sofort nachgibt.<br />

Im Gespräch <strong>de</strong>s Buchhalters mit <strong>de</strong>m Direktor zeigt sich, dass für diesen von vornherein feststeht, was<br />

er erreichen will, und er ist <strong>de</strong>n Argumenten <strong>de</strong>s Buchhalters nicht zugänglich. Was er sich vorgenommen<br />

hat, setzt er durch.<br />

<strong>Der</strong> Buchhalter ist ebenfalls im Rentenalter und herzkrank. Er kann nicht in Rente gehen, und sein<br />

Antrag auf unbezahlten Zusatzurlaub wird nicht bewilligt. Auch in seinem Fall zeigt sich, dass <strong>de</strong>r<br />

Direktor unmenschlich han<strong>de</strong>lt.<br />

Das Han<strong>de</strong>ln <strong>de</strong>s Direktors und <strong>de</strong>r Gewerkschaftsvorsitzen<strong>de</strong>n, ihr Umgang mit <strong>de</strong>n Menschen<br />

sprechen für sich. Bei<strong>de</strong> ähneln sich darin, dass sie mit aller Macht ihre Interessen durchsetzen und<br />

beim geringsten Wi<strong>de</strong>rstand gegen ihre Anordnungen nervös und ungehalten reagieren. Neben dieser<br />

direkten Beschreibung wird ihre Charakteristik durch weitere Beson<strong>de</strong>rheiten <strong>de</strong>s Textes ergänzt.<br />

Durch die Struktur <strong>de</strong>s Textes, die die Folgen vor <strong>de</strong>n Ursachen nennt, wer<strong>de</strong>n sie <strong>de</strong>r Heuchelei<br />

überführt. Hinzu kommen Beson<strong>de</strong>rheiten <strong>de</strong>r Namensgebung. Bei<strong>de</strong> Figuren haben Namen, die auch<br />

im Text genannt wer<strong>de</strong>n, aber sie wer<strong>de</strong>n zumeist mit ihrer Funktion bezeichnet. Beispielgebend dafür<br />

ist das Gespräch zwischen <strong>de</strong>m Direktor und <strong>de</strong>m Hauptbuchhalter. In dieser Szene erscheint <strong>de</strong>r<br />

Name <strong>de</strong>s Direktors, Šavrov. Jedoch wird er nur dreimal so genannt, dafür aber achtmal (und an<br />

weiteren Stellen im Text) <strong>als</strong> „Direktor“ bezeichnet. Vor- und Vatersname, Pavel Romanovič, wer<strong>de</strong>n<br />

nur einmal vom Buchhalter zu Beginn <strong>de</strong>s Gespräches erwähnt, während dieser in <strong>de</strong>r Mehrzahl <strong>de</strong>r<br />

Fälle (elf zu zwei, dazu fünfmal Anre<strong>de</strong>) mit seinem Vor- und Vatersnamen Jakov Moiseevič erscheint.<br />

Die Analyse <strong>de</strong>s Textes zeigt, wie ausführlich auf die innere Situation Annas eingegangen wird. Auch<br />

das Gefühl <strong>de</strong>r Ohnmacht, das Suskov befällt (er macht sich Vorwürfe, dass er die Entlassung Annas<br />

nicht verhin<strong>de</strong>rt hat), wird <strong>de</strong>utlich artikuliert.<br />

Dem Direktor und <strong>de</strong>r Gewerkschaftsvorsitzen<strong>de</strong>n aber wird diese Innensicht verweigert. Es wur<strong>de</strong><br />

12 V. Šklovskij hatte seine Verfremdungskonzeption auch anhand einer Szene aus „Vojna i mir“ von<br />

Lev Tolstoj erläutert, in <strong>de</strong>r durch die Perspektive <strong>de</strong>r theaterunerfahrenen Nataša die Beschreibung<br />

<strong>de</strong>s Wesentlichen einer Oper durch eine übergenaue Darstellung <strong>de</strong>s technischen Ablaufs sowie <strong>de</strong>r<br />

Kleidung und <strong>de</strong>s Benehmens <strong>de</strong>r Sänger und Tänzer ersetzt wird. - Vgl. V. Šklovskij, Iskusstvo<br />

kak priem, S. 14.<br />

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