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Lesen - Rote Fabrik

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Wege zum GlückZeitung der <strong>Rote</strong>n <strong>Fabrik</strong> – Die Yoga AusgabeDer Asia-Boom der Siebziger Jahrebleibt nach wie vor verhaftet mit einerder prägendesten Figuren derdamaligen Popkultur: Bruce Lee –Schauspieler, Kung-Fu Lehrer und nichtzuletzt Prediger eines etwas anderenZugangs zu traditionellen Systemen.Als die Nachricht von Bruce Lees Todim Juli 1973 durch die damals nochnicht ganz so global vernetzten Medienkursierte, schien es insbesondere inseiner Heimat Hong Kong zuerst wie einschlechter Scherz. Gerüchte darüber,dass Lee erschossen, erstochen, ent-hauptet worden sei, entweder in einemUntergrund-Kampfsportturnier odervon einem geheimen Orden, kursiertenzur damaligen Zeit alle paar Monate.Lee selber hatte noch kurz vor seinemTod einem seiner Schüler erzählt, wieihn ein Journalist aus Hongkong an-gerufen hatte und ihn gefragt hatte, ober noch lebe. Seine Antwort: «Wenn ichtot bin, sind sie entweder ein Mediumoder verrückt.»Doch dieses Mal war es kein Gerüchtmehr: Bruce Lee, der wohl bekanntesteKampfsportler aller Zeiten war zu-hause tot umgefallen. Hätte er nichtnoch seinen letzten Film «Enter theDragon» (dt. «Der Mann mit der Todes-kralle») bereits abgedreht gehabt,wahrscheinlich wäre er eine Randnotizin der Filmgeschichte Hollywoodsgeblieben: In seiner Heimat war Leezwar bereits ein Star, dessen Filme alleRekorde brachen, doch in den USAwar er nur wenig bekannt. Ein paarerfolglose Filme, ein paar Rollen in eherschlechten TV-Serien (unter anderemin der heute nur noch bekifft erträg-lichen Batman-Serie mit Adam West)– nicht einmal die Hauptrolle für dievon ihm erdachte Western-Kampfsportserie«Kung Fu» hatte er erhalten,weil sich das Studio entschied, einasiatischer Hautpdarsteller sei ein zugrosses Risiko.Erst im Tod eine IkoneDoch nicht unähnlich, wie der Todseines Sohnes Brandon Lee dieVerfilmung des wenig bekannten Underground-Comics«The Crow» zumBlockbuster machen sollte, war BruceLees Tod mit schuld daran, dass «Enterthe Dragon» und mit ihm sein Haupt-darsteller sich in die Annalen derFilmgeschichte einschreiben würden.Der erste asiatische Kampfsportfilmüberhaupt, der von einer amerikanischenFilmgesellschaft (WarnerBrothers) produziert wurde, entwickeltesich zum Kassenschlager des Jahres1973 und spielte weltweit um die 90Millionen US-Dollar ein – das bei einemBudget von 850‘000. Doch viel mehrals das löste der Film – und der TodLees – eine veritable Kung Fu-Manie inden USA aus: Die bereits erwähnteFernsehsehserie «Kung Fu» - derenHauptrolle an Lees Stelle DavidCarradine erhalten hatte -, die bisdahin kurz vor der Absetzung gestandenhatte, wurde plötzlich zum Hit – sosehr, dass Carradine die Rolle des KwaiChang Caine nie mehr los würde;sein Comeback-Auftritt in QuentinTarantinos «Kill Bill» spielt an mehrerenStellen auf die Serie an, sei das mitCarradines Flötenspiel oder derfamosen «Fünf-Punkte-Pressur-Herz-Explosions-Technik». Die Single«Kung Fu Fighting» des JamaikanischenSoul Sängers Carl Douglas erobertein England wie in den USA die Charts.Und nicht zuletzt boomten die Kampf-sportschulen. Kaum eine ameri-kanische Kleinstadt, in der nicht plötzlicheine Kung-Fu oder Karate Schuleaus dem Boden schoss. Dabei hatteLee, der sich selber gerade nichtals Schauspieler, sondern als Philosophund Kampfkünstler (und eben nichtSportler) verstand, immer wiederbetont, dass er das «alte» System derKampfkunst ablehnte. «Die langeGeschichte der Kampfkünste zeigt,dass der Instinkt zu folgen undNachzuahmen den meisten Kampkünst-lern, Lehrern und Schülern anhaftet»,schrieb er in seinem Lehrbuch«Jeet Kune Do», in dem er die Grundlageneiner Kampfkunst erläutert, inder jeder Mensch seine eigene Formfinden soll, anstatt sich einer be-stimmten Schule zu verschreiben.«Diese Stile werden zu starren Einricht-ungen mit ihren Erklärungen des We-ges. Sie verzerren und isolieren dieHarmonie von Festigkeit und Sanftheit.»Die Wahrheit vergessenDiese Ablehnung der klassischenSysteme fand denn auch ihren Weg indie mitunter bizarr anmutendenVerschwörungstheorien zu seinem Tod:So förderte nicht zuletzt das Bio-Pic«Dragon-the Bruce Lee Story» von 1993zuletzt wieder die Theorie, Lee habealteingesessene Kung-Fu-Meisterverärgert, weil er das «wahre» Kung Fuverwässere und es obendrein auchnoch nicht-Asiaten beibringe (eineGeschichte, die im latent rassistischenPlot von Karate Kid II 1986 wiederaufgenommen wird). Lee sei demnachvon einer solchen Gruppe ermordetworden, und das Hirnödem, an dem erstarb, sei von einem «Dim Mak»-Schlag(der Realwelt-version der «KillBill»-Fünf-Punkte-Technik) ausgelöstworden.Lee hätte zu seinen Lebzeiten übersolche Thesen wohl nur müde gelächelt.Der bekennende Atheist bekundeteimmer wieder Mühe mit grossen, geheimenWahrheiten. «Nicht dasErlernen der Wahrheit ist das Ziel,sondern das Vergessen der Wahrheit»,schrieb er. Und: «Nimm nur das, wasfunktioniert, und nimm es woher du nurkannst.» So gesehen, hätte er wohlauch keine Mühe damit, wenn heute«Yoga für Manager» und «Kung Fu alsSelbstfindung» angeboten werden, odersich eine klassische Sauna im asia-tischen Dekor «Asia Spa» nennt. Die wohlschönste Annäherung an diese Formdes Denkens findest sich im Schlussder Kung Fu Komödie «Shaolin Soccer»von Stephen Chow: Kung Fu ist soalltäglich, dass Menschen ihre Autosmit Kicks in Parklücken treten, anstattmühsam einzuparkieren.Nimm nur,wasfunktioniertvon Etrit HaslerDer freigewordene Mensch, um wieviel mehr der freigewordene Geist,tritt mit Füßen auf die verächtliche Artvon Wohlbefinden, von dem Krämer,Christen, Kühe, Weiber, Engländer undandre Demokraten träumen.Nietzsche 1Gleich zu Beginn dieser Überlegungenfallen einem zwei Filme ein, dievor einigen Jahren die Stadt unsichermachten, indem sie erneut das Problemder Gesundheit aufwarfen. Coffeeand Cigarettes von Jim Jarmusch er-weckt beim Zuschauen den Eindruckeines riskanten Unternehmens. Inder dunklen Geborgenheit des Kino-saals hat man plötzlich das Gefühl, ineinem abgedunkelten Kellerloch in-mitten einer Versammlung in Schwarzgehüllter Verschwörer zu sitzen undeinen verbotenen Film zu sehen, in derbangen Erwartung, dass jeden Augen-blick die Tür aufgestoßen wird und dieSittenwächter hereinstürmen, umdie junge Rebellion gegen die mächtigeAntikoffein- und Antinikotin-Republikgleich im Keim zu ersticken. Egal,wo sich das Kino befindet, scheint unsder Film zu sagen, ob in New York,London oder sogar München: Teheranist überall, zumindest in Fragen derGesundheit.Der zweite Film, Supersize me vonMorgan Spurlock, geht die Sache vonder anderen Seite an. Ganz im Sinneder Tradition aufklärerischen Wider-stands wird hier der eigene Körper,genauer, die Gesundheit des eigenenKörpers, eingesetzt: nicht gegeneine katholische Orthodoxie, nichtgegen einen Feudalherrn oder einekoloniale Gewaltherrschaft, son-dern gegen das Fastfoodregime vonMcDonald’s. Wie bei Gandhi undseiner «Wahrheitstaktik» wird hier –im Panoptikum des Kinos – die Machtungesunder Ernährung in ihrenWirkungen auf den Körper sichtbargemacht, indem man sich von ihrmästen lässt, bis sie an der einsetzendenFettleibigkeit greif- und angreif-bar wird. Auch im Kampf gegen diegesundheitsfeindlichen Mächte zähltdas Maß physischer Opferbereitschaft.Spurlock frohlockte, dass Super-sizing bereits eingestellt wurde, bevorder Film die Kinos erreichte, undrechnete mit der Zuwendung seinerZuschauer, denn «viel Leid und Schmerzwurden ertragen (am meisten von mirselbst), um ihn [den Film, Verf.] zumachen.» 2 Tatsächlich nahmMcDonald’s quer durch England undbereits im Vorfeld des Films vegetarischeSpeisen in ihr Menü auf. 3All das scheint zu signalisieren, dassdie Gesundheit ein machtvolles Objektvon - nicht nur ökonomischen - Machtkämpfengeworden ist, mit einerdiffusen aber mächtigen Lobby auf ihrerSeite. Dabei kommt es nicht so sehrdarauf an, diese Lobby dingfest zumachen und die Individuen, Gruppen,Institutionen – mitunter sogar ganzeBevölkerungen 4 – zu identifizieren,die mittlerweile bereit sind, für die Ge-sundheit nicht nur eine Lanze zubrechen, sondern sie als das höchsteGut und Ziel der Menschheit zubesingen. 5 Entscheidend ist eher, dassdie Jagd auf die Gesundheit imHerrschaftsbereich eines Imperativsstattfindet. Gleichgültig, ob man «dafür»oder «dagegen» ist, ob man für dieeine oder die andere Auffassung vonGesundheit oder Krankheit ist: manhat gesund zu sein. 6Lange hatte man den Eindruck, dassdie Gesundheit als eine zugleichphysiologische und ästhetische Normfunktionierte – als die Forderungnach Kraft und Schönheit, Kraft durchFreude 7, wie es wieder einmal die Nazisauf den Punkt brachten -, die nichtnur jeder Abweichung mit Ausschlussdrohte, sondern sich förmlich überden Ausschluss konstituierte. Eine ka-pitalistische Gesellschaft musstezur Sicherung der Produktivität ihrerProduktivkräfte die Züge einer Wohl-fahrtsgesellschaft annehmen, die sichunter anderem auch für die gesundheitlicheVersorgung ihrer werktätigenBevölkerung verantwortlich erklärte.In einem solchen ökonomischen undgesellschaftlichen Kontext genügte es,die Gesundheit als Abwesenheit vonKrankheit zu definieren. Ein enges Bandverknüpfte Gesundheit und Krankheitmiteinander und das Bündnis zwischenArzt und Laien schien bloß der Bekämpf-ung und Überwindung von Krankheitzu dienen. Wo aber die Krankheit be-dingungslos zu verschwinden hatte,war freilich die Liquidierung desKranken selbst nicht fern, was in denEuthanasiepraktiken der Nazis denGipfel der Sichtbarkeit erreichte.Mittlerweile scheint sich das Bandzwischen Krankheit und Gesundheitgelockert zu haben, insofern sieunabhängig von einander ihre Spurendurch die gesellschaftlichen Räumeziehen. Auf der einen Seite meldet sichseit etwa dem Beginn der achtzigerJahre des vergangenen Jahrhundertsdie Krankheit in immer globaleremAusmaß und schickt ihre Impulsedurch die Nervenbahnen modernerMediengesellschaften, um diese regel-mäßig in Aufruhr zu versetzen. Esscheint, als hätte die «kopernikanischeMobilmachung», die nach Sloterdijkzur Modernität moderner Gesellschaftengehört 8 , auch die Krankheitenerfasst. In regelmäßigen Abständenmacht sich die Krankheit auf den Weg,die Viren steigen ins Flugzeug undjede neue Krankheit - AIDS, SARS, H5N1(Vogelgrippe), H1N1 (Schweinegrippe),um nur ein paar der medienwirk-samsten zu nennen - erscheint potentiellals eine globale Epidemie, woraufman mit den bekannten pathogenetischenStrategien reagiert: Definitionund Identifikation der Krankheitserreger,Isolierung der Kranken, fieberhafteSuche nach dem rettenden Impfstoff.In diesem krisenhaften Kontext giltweiterhin der Grundsatz: die Gesundheitist nicht mehr und nicht weniger alsAbwesenheit von Krankheit. Auf deranderen Seite aber etabliert sich seitden achtziger Jahren eine neueVorstellung von Gesundheit, sowohl imGesundheitsdiskurs als auch in dendiversen alternativen Therapien, die mitden gerade einsetzenden ökologischenAuseinandersetzungen einhergingenund wie die Pilze aus dem gesundheitspraktischenBoden der achtziger Jahreschossen. Nach dieser neuen Vorstel-lung ist Gesundheit mehr als dassummierte Fehlen von Krankheiten: sieist von neuen und positiven Wertenaufgeladen. Gegen Ende der achtzigerJahre mündete diese Gesundheits-auffassung in den Begriff Wellness, dermittlerweile die Gesundheitsdiskus-sion in den Medien beherrscht und dieIdee der Gesundheit in eine neuebegriffliche Konstellation einzubettenscheint, in so fern sich darin dasBand zwischen Gesundheit und Krank-heit lockert, während dasjenigezwischen Gesundheit und Glück engergeknüpft wird. So heißt es in einemder ersten Wellnessratgeber dieser Zeit:«Ein Verhängnisvoller Irrtum vielerMenschen ist die Annahme, Genussund Gesundheit seien unvereinbareGegensätze, das Erleben der einenQualität bedeute Verzichten im anderenBereich.» 9Im engeren Bereich des gesundheitswissenschaftlichenDiskurses ent-spricht diesem Wandel der Definitionenund Gesundheitspraktiken ein «Para-digmenwechsel» 10 , der auf drei Ebenenstattgefunden hat. 11 Auf der Ebeneder Pathologie wurden die ehemalsprivilegierten akuten Krankheitenvon chronisch-degenerativen Krank-heiten aus dem Zentrum ätiologischerAufmerksamkeit verdrängt. Dasimplizierte einen Übergang von einerkurativen Medizin hin zu einer prä-ventiven und eine verstärkte Berücksichtigungder psychischen und sozialenKrankheitsfaktoren sowie der Lebens-umstände im therapeutischen Prozess,was insgesamt zu einer Lockerung desBandes zwischen Krankheit und Ge-sundheit führte und der Gesundheiteinen eigenständigen Prozesscharakterverlieh. Auf der Ebene der Gesund-heitspraktiken, einschließlich der thera-peutischen, erschien die Gesundheitals eine lebenslange Tätigkeit sowohlvon Gesunden, als auch von Kranken.Damit wurde der Begriff der Gesund-heit zusehends vom Begriff desWohlbefindens absorbiert und das Bandzwischen Gesundheit und Glück im-mer enger. Auf der Ebene der the-rapeutischen Relation wurden Arzt undPatient als gleichberechtigte Sub-jekte betrachtet und die Arbeit der Hei-lung als eine partnerschaftliche Zu-sammenarbeit beider. Historischscheint sich dieser Paradigmenwechselzwischen zwei Ereignissen vollzogenzu haben. Am Beginn des «Umdenkens»über die Gesundheit stand der salu-togenetische Ansatz von AaronAntonovsky 12 im Jahr 1979. Gemäßdiesem neuen Ansatz tritt an die Stelledes pathogenetischen Dualismus vonGesundheit und Krankheit ein Kon-tinuum, in dem Gesundheit und Krank-heit als fließende Zustände erscheinen.Darin erscheint die Gesundheit imSinne Antonovskys eng verwandt mitdem ungefähr gleichzeitig auftauchendenGlücksbegriff von MihalyCsikszentmihalyi 13 , in dem das Glückals flow 14 bestimmt wird: als die voll-ständige Verschmelzung von Handlungund Bewusstsein, die unter bestimmtenBedingungen eintrifft. Jedenfallserscheint in salutogenetischer Sicht dieGesundheit nicht als ein statischerZustand, sondern als ein dynamischesGleichgewicht zwischen den phy-sischen, psychischen und sozialenSchutz- und Abwehrmechanismen desOrganismus auf der einen Seiteund den potentiell krankmachendenEinflüssen der physikalischen,biologischen und sozialen Umwelt aufder anderen. Gesundheit bzw.Gesundsein ist gewissermaßen nichtmehr ein Zustand, sondern eher einProzess. Die entscheidende Frage istnicht mehr, wie die Risikofaktoren(Stressoren) auszuschaltensind, sondern, in welchem Maße derOrganismus diese Faktoren zu be-wältigen vermag. Deshalb kommt imZusammenhang einer positivenGesundheitstheorie dem Begriff derBewältigung (coping) eine entscheidendeRolle zu. Die Gesundheit ist keinpassiver Zustand, sondern ein labiles,aktives und sich dynamisch regulierendesGeschehen zwischen den Risiko-faktoren und dem coping. Sie ist einestrategische Tätigkeit: eine strategischeAusübung der Stressbewältigung, dieim Einzelnen auf spezifische menschlicheRessourcen zurückgreift und imAllgemeinen auf das Bewältigungs-vermögen des Organismus, das fürAntonovsky kaum noch unterscheidbarist von der Glücksfähigkeit des Indivi-duums. Parallel dazu taucht das Motivder Bewältigung im eben erwähntenglückswissenschaftlichen Diskursvon Csikszentmihalyi: «Die Reaktioneines Menschen auf Belastungenbestimmt, ob er dem Unglück etwasabgewinnt oder unglücklich wird» 15 .Auf den salutogenetischen Ansatz folgtim Jahr 1986 ein zweiter Wandlungsschubin der Gesundheitsdiskussion, alsin der Ottawa Charta der Weltgesundheitsorganisationdas Wort Wohlbefindeneingeführt wird, das von nun an diebisherige Stelle der Gesundheit ein-nehmen wird. Dieser Begriff treibteinerseits die Entmedikalisierung derGesundheit um einen weiterenSchritt voran, gestattet andererseitskaum noch zwischen Gesundheitund Glück zu unterscheiden. Das Zielder Gesundheitsförderung, so dieOttawa-Charta von 1986 16 , ist einumfassendes körperliches, seelischesund soziales Wohlbefinden, das manin einen aktuellen und einen habi-tuellen Zustand unterteilen kann 17 , diegenerell als Glückszustände zu kenn-zeichnen sind. Das aktuelle Wohl-befinden umfasst «positiv getönteGefühle, Stimmungen und körperlicheEmpfindungen sowie das Fehlen vonBeschwerden» 18 . Das habituelleWohlbefinden «wird im Sinne desallgemeinen Glücklichseins bzw. derallgemeinen Lebenszufriedenheiterfasst und lässt sich am treffendstenals Lebensfreude charakterisieren ...» 19So wird auf der Seite des Gesundheitsdiskursesdie Gesundheit als ein dy-namischer Zustand des sich Wohlfühlensbestimmt. Parallel dazu erscheintdas Glück des glückswissenschaft-lichen Diskurses (Csikszentmihalyi) alsein Zustand, in dem man sich wohlfühlt:«Was den Menschen wirklich befriedigt,ist nicht, schlank oder reich zu sein,sondern sich in seinem eigenen Lebenwohlzufühlen.» 20 In der Idee des Wohl-befindens wird also im Zuge der ebenskizzierten zwei Ereignisse in denachtziger Jahren das Band zwischenGesundheit und Glück enger gezogen.Zu diesem generellen Wandel imGesundheitsdenken gehört einebemerkenswerte Transformation desGesundheitsimperativs. Was zu-nächst auffällt, ist, dass durch dengenannten Wandel der Idee derGesundheit hindurch eine gewisseGrundeinstellung erhalten bleibt. Ob dieGesundheit als Abwesenheit vonKrankheit erscheint und folglich nurnegativ über deren Bekämpfung zuerlangen ist, oder als Anwesenheit vonWellness oder Leben und folglichpositiv durch die Arbeit an sich selbstzu generieren: die theoretische Scheuevor der prinzipiellen Unabwendbarkeitvon Krankheit und Unglück bleibt indiesen Diskursen ungebrochen. Wasden Paradigmenwechsel von dempathogenetischen und reduktivenBegriff der Gesundheit zum biopolitischenund produktiven des Wohlbefindensunversehrt überlebt, ist der Willezur Gesundheit.Bekanntlich heißt Wille bei Kant, soferner dies nicht in seiner höchsten Formals «göttlichen» oder «heiligen» Willenim Sinne der Ununterscheidbarkeitvon theoretischer und praktischer Ver-nunft zu bedenken gibt 21 , eine ArtSchlachtfeld, auf dem die objektivenGesetze der Vernunft und die zufälligenTriebfedern des einzelnen menschlichenHandlungswillens mit einander umdie Vorherrschaft ringen. Siegt die Ver-nunft, um den Willen und seine Hand-lung maßgeblich zu bestimmen, so liegteine Nötigung durch die notwendigenVernunftgesetze vor, die über Impe-rative auf den handelnden Willeneinwirken. 22 Auch den Willen zur Ge-sundheit könnte man in gut KantischerManier auf einen Imperativ beziehen:den Gesundheitsimperativ, der nachKant zu den von ihm so genanntentechnischen Imperativen oder Im-perativen der Geschicklichkeit 23 gezähltwerden müsste. Diese Imperative,die den größten Teil alltäglicher Hand-lungen regeln und die Mittel zumöglichen aber ansonsten nicht eigensreflektierten Zwecken bestimmen,sind nach Kant als hypothetischeImperative und modallogisch als proble-matische Imperative zu kennzeichnen. 24Als problematischer oder technischerImperativ sagt der Gesundheitsimperativnicht, «ob der Zweck vernünftigund gut sei ..., sondern nur, was mantun müsse, um ihn zu erreichen.Die Vorschriften für den Arzt, um seinenMann auf gründliche Art gesund zumachen, und für einen Giftmischer, umihn sicher zu töten, sind in so fern vongleichem Wert, als eine jede dazudient, ihre Absicht vollkommen zu be-wirken.» 25 Das «Sei gesund!» desGesundheitsimperativs enthält bei-spielsweise im Rahmen der kurativenMedizin ein «Willst du gesund sein,so musst du Antibiotika schlucken.»Doch ist Gesundheit gerade in diesemRahmen nicht nur ein möglicher Zweck,sondern zugleich auch Mittel zumGlück: «Willst du glücklich sein, so seigesund!» Im Rahmen des pathogene-tischen Diskurses ist also der problema-tische Gesundheitsimperativ in einenanderen hypothetischen Imperativeingebettet: in den pragmatischenGlücksimperativ, den Kant auch einenImperativ der Klugheit nennt. 26 DasGlück ist aber nicht nur ein möglicherZweck, es ist der eigentliche, d.h.wirkliche Zweck hinter den technischenImperativen, so dass man den Glücks-imperativ modallogisch einenassertorischen Imperativ nennenmüsste. 27Wenn jedoch im Zuge der oben skiz-zierten Transformation des Gesundheitsdiskursesder Gesundheitsbegriffund der Glücksbegriff in der Idee desWohlbefindens zusammenfließen, dannfindet eine bemerkenswerte Hybrid-isierung des Gesundheitsimperativsstatt: er wird zu einem zugleichtechnischen und pragmatischen Im-perativ, der zugleich problematischund assertorisch ist. Die Annäherungzwischen Gesundheit und Glück imBegriff des Wohlbefindens führt dazu,dass sich die Beliebigkeit und Un-definierbarkeit des Glücksbegriffs zu-sehends am Gesundheitsbegriffabfärben und die Versuche, die Ge-sundheit zu definieren, immer stärkerzur Zirkularität neigen. «Willst du dichwohlfühlen, so musst du dich ebenwohlfühlen!» Der Weg zur Gesundheitscheint zwar unter Zuhilfenahme destechnischen Imperativs konkretisierbar.Zugleich aber verdunkelt sich derWeg, da das Ziel selbst, nämlich dieGesundheit, ebenso dunkel undunbestimmbar geworden ist wie dasGlück. Der Weg zum Wohlbefinden isteben das Wohlbefinden selbst.Es ist aber bekannt, dass die Kant-ischen Unterscheidungen zwischen demguten und dem unvollkommen Willen;zwischen notwendiger Bestimmung undNötigung; zwischen der Form und derMaterie einer Handlung; zwischenobjektiven moralischen Gesetzen undden zufälligen Triebfedern usw. auf dietranszendentalphilosophischeIsolierung eines vorempirischen undungeschichtlichen Bereichs der Regelnzurückgehen, die man prinzipiell inFrage zu stellen hat. Diese Verpflichtung,die Unterscheidung dertranszendentalen Ebene in Frage zustellen, gehört seit dem DeutschenIdealismus beinahe zu den Grundpflichtenmodernen Denkens. Eine kritischeTransformation der Transzendental-philosophie, wie dies seit Hegel einge-setzt und über Nietzsche, Heidegger,Adorno im poststrukturalistischenDiskurs ihren Höhepunkt (und vielleichtauch Abschluss) erreicht hat, haterwartungsgemäß auch Konsequenzenfür den Begriff des Imperativs, denKant entschieden an die Idee derRepräsentation koppelt. Ein Imperativin transzendentalphilosophischer Sichtist die Formel (oder Repräsentation)eines Gebots, verstanden seinerseitsals die Repräsentation eines Prinzips,«sofern es für einen Willen nötigendist». 28Der Imperativ ist also die Repräsentationeiner Repräsentation, die doppelteRepräsentation objektiver und denWillen nötigender Prinzipien. Das heißtaber: Ein Imperativ ist die für denWillen vernehmliche Spitze eines Dis-kurses, wobei dieses Wort seinerseitsim Sinne der repräsentationalistischenSemiologien und «Ideologien» desachtzehnten Jahrhunderts zu verstehenist: als die Doppelung der Repräsen-tation im Element der Zeit. 29 Tretenaber an die Stelle der transzendentalphilosophischenVernunft eine hi-storische Vernunft und ein historischesApriori, dann signalisiert der Imperativnicht nur einen Diskurs, sondernauch dessen Einbindung in das strate-gische Feld eines Dispositivs, wie diesin den Forschungen Michel Foucaultszutage getreten ist.Die Implikationen dieses neuartigenBegriffs des Imperativs für die Analysedes Gesundheitsdiskurses sind nichtschwer zu erkennen. Aus Platzmangelkönnen wir uns abschließend leider nurmit einer knappen Skizze dieserImplikationen begnügen. Solange derWille zur Gesundheit von einem bloßproblematischen Imperativ bestimmtwar, wie im Falle des pathogenetischenDiskurses noch vor dessen Übergang inden salutogenetischen, konnte dasGlück noch unter der Voraussetzung derGesundheit verheißen werden. DerGesundheitsimperativ funktioniertegewissermaßen im Rahmen eines «Zu-bringerdispositivs», das an die Glücks-dispositive wie die des Tourismus,der Werbung oder der Sexualität gekop-pelt war. 30 «Nur wenn du gesund bist,kannst du den Weg zum Urlaubsparadiesauf dich nehmen, das vom Tou-rismusdispositiv geboten wird!» Oder:«Erst wenn du gesund bist, kannstdu die Luxusgüter auch genießen, diedas Werbungsdispositiv präsentiert.»Oder: «Erst wenn du gesund bist, bistdu qualifiziert für die sexuellen Freuden,die durch das Sexualitätsdispositivverfügbar werden.» Doch der Wandeldes Gesundheitsdenkens führte zueiner Verschiebung der Position derGesundheit in dieser Logik. Seitdem dieGesundheit kaum mehr vom Glückzu unterscheiden ist, seitdem sie eingegebener und unhinterfragter aberkaum noch definierbarer Zweck ist,seitdem der Gesundheitsimperativ sichhybridisiert hat, kann sich das Ver-hältnis zwischen dem Gesundheitsdispositivund dem Glücksdispositivjederzeit umdrehen. Jetzt kann esheißen: «Nutzt die Segen des Touris-mus, denn die Reise ist förderlich fürdas Wohlbefinden!» Oder: «Sind eureKörper von den neuesten Markenartikelnbehangen, damit ihr euchwohlfühlt?» Oder: «Mehr Sex, guten Sex,safen Sex – denn Sex hält fit!»Somit werden wir seit den achtzigerJahren immer stärker einem kaumentscheidbaren Widerstreit zwischenden Glücks- und den Gesundheits-dispositiven überantwortet.Der vorliegende Text erschienursprünglich im Magazin «Widerspruch- Münchner Zeitschrift für Philosophie»Nr.42 «Gesundheit» und stützt sich aufden Aufsatz «Der Gesundheitsimperativ»in Hensen, Gregor u. Hensen, Peter(Hg.), Gesundheitswesen undSozialstaat. Gesundheitsförderungzwischen Anspruch und Wirklichkeit,Wiesbaden 2008: S. 349-360.1 Friederich Nietzsche, «Götzendämmerung»in Sämtliche Werke. KritischeStudienausgabe in 15 Bänden, hg. v.Giorgio Colli u. Mazzino Montinari,München u. a. 1980, Bd. 6: S.139f.2 Der Film «helped push McDonald’s to endSuper Sizing before it even hit thetheatres! … I hope you enjoy it – a lot ofpain and suffering (mostly by me) wasendured to create it.» www.supersizeme.com,About the Director, März, 2004.3 Ibid., Recent reviews & press,«McDonald’s adds vegetarian fare inBritain», 10. Januar 2004.4 So war am jüngsten bayerischenVolksentscheid am 4. Juli 2010 gegen dasRauchen in geschlossenen und öffentlichzugänglichen Räumen prinzipiell die ganzeLandesbevölkerung beteiligt.5 Siehe Manfred Lütz, Lebenslust: Widerdie Diät-Sadisten, den Gesundheitswahnund den Fitness-Kult. Ein Buch überRisiken und Nebenwirkungen derGesundheit und darüber, wie man längerSpaß am Leben hat, München 2002.6 «Räsonniert so viel ihr wollt, und worüberihr wollt; aber gehorcht!» Immanuel Kant,«Beantwortung der Frage: Was istAufklärung?» (A 484) in Werke in zehnBänden, hg. v. Wilhelm Weischedel,Darmstadt 1975 [im Folgenden KANT (W)],Bd. 9: S. 55.7 So der Name der 1933 gegründetennationalsozialistischen Gemeinschaft, diesich in Nazideutschland durch ihreorganisierten Billigreisen profilierte.8 Siehe Peter Sloterdijk, KopernikanischeMobilmachung und ptolemäischeAbrüstung, Frankfurt/M. 1987.9 Franz Lautenschläger, Michael Hamm,Dieter Lagerstrøm, Wellness: Die neueFitness. Ihr persönliches Ernährungs-,Bewegungs- und Harmonieprogramm fürdie neunziger Jahre, München 1987: S. 9.10 Siehe D. Armstrong, Political Anatomy ofthe Body. Medical Knowledge in Britain inthe Twentieth Century, London 1983.11 Siehe W. Schüffel, U. Brucks, R. Johnen(Hg.), Handbuch der Salutogenese:Konzept und Praxis, Wiesbaden 1998.12 Aaron Antonovsky, Health, Stress andCoping, San Francisco 1979.13 Siehe Csikszentmihalyi, M., Beyondboredom and anxiety, San Francisco 1982;«Towards a Psychology of optimalexperience» in L. Wheeler (Hg.), Review ofPersonality and Social Psychology, Bd. 2,Beverly Hills 1982; «Learning, flow andhappiness» in R. Gross (Hg.), Invitation tolifelong learning, New York 1982.14 «Als flow beschreiben Menschen ihrenseelischen Zustand in Augenblicken, wenndas Bewusstsein harmonisch geordnet istund sie etwas um der Sache selbst willentun.» Mihaly Csikszentmihalyi, Flow. DasGeheimnis des Glücks, Stuttgart 1992: S. 20.15 Ibid.16 Ottawa-Charta zur Gesundheitsförderungder WHO 1986, in HelmutHildebrandt, Alf Trojan (Hg.), GesündereStädte – kommunale Gesundheitsförderung,Hamburg 1987: S. 10-13.17 Siehe «Theoretische Grund-lagen» in Andrea Abele, Peter Becker (Hg.),Wohlbefinden, Theorie – Empirie – Diagnostik,Weinheim u. München 1994: S. 13.18 Ibid.19 Ina Wegener, Dimensionen vonGesundheit und Gesundheitsförderung.Subjektive Gesundheitsvorstellungen alsOrientierung für die Praxis der Gesund-heitsförderung, Stuttgart 2003: S. 50.20 Csikszentmihalyi, Flow, a. a. O.: S. 18.21 Siehe Immanuel Kant, «Grundlegung zurMetaphysik der Sitten» in KANT (W), Bd. 6:S. 43.22 Ibid.: S. 41.23 Ibid.: S. 44-46.24 Ibid.: S. 48.25 Ibid.: S. 44.26 Ibid.: S. 46-48.27 Ibid.: S. 48.28 «Die Vorstellung eines objektivenPrinzips, sofern es für einen Willennötigend ist, heißt ein Gebot (der Vernunft)und die Formel des Gebots heißtImperativ.» Ibid.: S. 41.29 Siehe Foucault, M. Die Ordnung derDinge, Frankfurt/M. 1971, 98 ff.30 Zur Erörterung moderner Glücksdispositivesiehe Mazumdar, Pravu, Die Macht desGlücks, München 2003.GesundheitoderGlück?Wellness im Widerstreit der Imperativevon Pravu MazumdarWege zum GlückZeitung der <strong>Rote</strong>n <strong>Fabrik</strong> – Die Yoga AusgabeDavid Lynch, Idol einer ganzen Gene-ration von Kunstschaffenden, verbringteinen Grossteil seines Lebens mitTranszendentaler Meditation. Muss jagut sein, wenn es einen auf solcheIdeen bringt, sagt sich Anna K. Beckerund macht sich auf zum Selbstversuch.Filme von David Lynch «treffen» michin besonderer Weise. Da bin ich nichtdie Einzige, der das so geht, im Ge-genteil. Es gehört geradezu zum Habi-tus der Kunstschaffenden, zu denenich mich als freie Theatermacherinzähle, Lynch-Filme zu mögen, ja zu ver-ehren, zu analysieren, zu diskutieren,ebenso wie es zum Habitus der Kunst-schaffenden gehört, immer wiederSelbstfindungsversuche zu betreiben.Dass der Filmemacher David Lynch sichder Transzendentalen Meditation TMverschrieben hat, ist im Grunde nichtsNeues. Er erlernte diese Technik bereitswährend den Dreharbeiten zu seinemersten Spielfilm «Eraserhead». In denFokus rückte er diese Tatsache im Jahr2005 als er seine «David Lynch Foun-dation for Consciousness Based Edu-cation and World Peace» ins Leben rief,die Stipendien zum Erlernen der TMvergibt und ein auf Bewusstseinsbildunggegründetes Bildungs- undErziehungswesen propagiert.Hommage an den GuruSeit 2009 ist er mit den Dreharbeitenzu seinem neuen Film beschäftigt,einer Art Dokumentarfilm über denBegründer der TM Bewegung, MaharishiMahesh, Yogi der das TM Programmseit 1975 weilweit lehrte und der 2008verstarb. Ein Lynchfan im cinefactsInternetforum findet: «Naja, es wäre mirzwar lieber, wenn er einen neuen Spiel-film ankündigen würde, aber besserals nichts» und da ist er bestimmt nichtder Einzige. Nach «Inland Empire» war-tet man schon lange auf seinen nächsten«richtigen» Kinofilm.Aber Lynch will nun mal seinen GuruMaharishi portraitieren, dessen Po-pularität besonders anwuchs, als ihndie Beatles, die Stones und andereStars für sich entdeckten, danach erstein bisschen in Verruf, und dannetwas in Vergessenheit geriet, was sichjetzt wieder ändern soll. «Es wirdkein sogenannter David Lynch Film:Es wird um Maharishi gegen und dasWissen, das er mit brachte, da werdenviele Abstraktionen enthalten sein,»verkündet Lynch in einem Interview.Als Recherche ziehe ich plötzlich einenSelbstversuch in Erwägung, dasMeditieren auszuprobieren. Aber wie?Auf der offiziellen deutschen Home-page der TM-Organisation lerne ich,dass diese Meditationsform sichvon allen andere unterscheidet, da siefür jeden mühelos erlernbar ist.Unabhängig von religiöser Ausrichtung,kulturellem Hintergrund und Intelligenzsei TM eine ganz natürliche Praxis,die keine Konzentration bedarf, keineAnstrengung, im Gegenteil. Sie sollmich an einen Ort des reinen Bewusst-sein bringen, der mich mit einemuniversellen Wissen vereint, Kreativitätund Intelligenz die allen Menschengleichermassen als Quelle zur Verfü-gung steht – so weit, so gut. Auchbedarf es dafür lediglich einen ruhigenRaum, und 20 Minuten Zeit, in denenman lediglich sitzend und mit ge-schlossenen Augen ein Mantra stillwiederholt, und transzendiert...Das sollte möglich sein, denke ich undsehe mir ein paar Fernseh-Interviewsauf «youtube» an, in denen Lynch überdie TM spricht. Das sie ihn zu einemanderen, besseren Menschen gemachthaben, das er früher ein wütenderMensch war, und durch die TM einebessere Lebensqualität gewonnen hat,im stressigen Filmgeschäft besserzurechtkommt, auf seine innere Stim-me hören und in Ruhe Ideen «fischen»und seinen Fang bestaunen kann,ohne sich von der fordernden, Film-industrie dabei stören zu lassen.Überhaupt sei die TM der weg zurGlückseligkeit, in Schulen unterrichtet,könne sie Aggressionen und Gewaltverhindern, und global gesehen kanndie TM zu einer friedlichen Welt führen.Das klingt toll, denke ich, wer brauchtdas nicht? Eine erfolgsdruck-resistenteGelassenheit... Auch seiner Interview-erin legt Lynch nah, die TM auszuprobieren,und berichtet vom Ablaufeiner solchen Meditation. Das er sogar2 mal täglich 20 Minuten meditiert,und seit über dreissig Jahren keineeinzige Sitzung mit sich selbst aus-gelassen hat. Das beeindruckt auch dieInterviewerin, die - um es sichvorstellen zu können, nach seinemMantra fragt. Das kann Lynch ihr aberleider nicht verraten, da es jedempersönlich zugewiesen wird, und alsGeheimnis gehütet wird. Aha: OhneMantra kein Selbstversuch. Zurück aufder deutschen TM Seite, erfahre ich,dass es mir nicht möglich ist, die TMselbständig zu erlernen, und dass ichdafür nach einem Einführungsvortrag,einen vorbereitenden Vortrag, einEinzelgespräch mit dem MT Lehrer, einepersönlichen Einweisung und ca.sechs Praxis-Sitzungen von Nöten seinwerden. Ein solches Einführungsseminarsoll mich 2.380 Euro kosten.Monatliche Ratenzahlung ist möglich.Selbstfindung oderGeldmacherei?Ich bin irgendwie ernüchtert. Es gehtum Geld, und damit ich bereit bin,dieses auszugeben, verspricht man mir«Entspannung pur und mehr Lebensqualität»(der übliche Wellness-Jargon),aber auch «Selbstfindung», «persön-liche Entfaltung», «glückliche Partner-schaft» und «Erfolg im Beruf», was dannschon fast nach Scientology klingt.Zu guter Letzt gibt es noch ein paarTabellen und Kurven, die Ergebnissemedizinischer Studien darstellen sollen,in denen z.B. eine Senkung von zuhohem Blutdruck durch TM nachgewiesenwird...Mir werden die kritischen Stimmenverständlich, von denen beim WikipediaEintrag berichtet wurde, von medizi-nischen, religiösen und anderen Seiten.Und mir wird klar, warum David Lynchund seine Stiftung Geld brauchen. Undwarum man ein Stipendium benötigt,wenn jeder in der Lage sein soll, TM zulernen. Es geht hier um die finanzielleLage. «Donate NOW» rät mir ein Buttonin rot... Aber wie geht das alles zusam-men, wenn die Lehre der transzen-dentalen Meditation die Antwort aufalle Fragen, die Möglichkeit zumWeltfrieden, der Weg zur Erleuchtungist, wie kann man sie dann verkauf-en wollen? Muss man nicht Verschenken,was uns alle retten kann? Wiepasst mein Idol Lynch in dieseoffensichtliche Sekte?Wie passen die kostspielige Suchenach Erleuchtung zusammen mit dendüsteren Welten, die Lynch in sei-nen Filme präsentiert, in denen esbrutal und unverständlich zugeht, dietraumhafte Räume eröffnen?Reise zu den KäfernNun gut, das Verlassen der Realität ineine andere Bewusstseinsebene, das istja schon eine Gemeinsamkeit. Undnicht umsonst werden die Lynch-Filmeoft als Reisen ins Unbewusste gelesen.Das verstehen im Nicht-Verstehen, ineinem Urwald aus «leeren Zeichen»folgt man der Lynch-Zuschauer keinereindeutigen Narration, sondern erkenntim Halbdunklen, dass er nichts erkennt.Er ahnt Figuren, die sich kaum vonihrem spärlich ausgeleuchteten Hin-tergrund abheben, betritt Welten durchabgetrennte Menschenohren, Ziga-retten-Brandlöcher in Synthetik-Unterwäsche,kleine blaue Metallkästchen,zu denen plötzlich ein Schlüsselauftaucht, und in die Welt der Käferunter dem Rasen. All das erscheint ab-stossend-faszinierend, das Böse inuns, das Schöne im Hässlichen? Alleinein Zitat von Lynch, dessen Ursprungich nicht zurückverfolgen kann, ver-söhnt die Frage nach Schönheit mitden Bildern die er schafft (Nicht dasInternet, sondern meine FreundinKatharina erinnert mich an dieses«Käfer-Zitat», das wir vor Jahrenentdeckten und das unsere Projekt-Konzepte und Diplomarbeitenverschönerte.Jetzt, da ich es Jahre später wieder-lese,vergesse ich für einen Moment meineSouveränitäts-Zweifel gegenüber Lynch,und denke: wie wahr- wie schön:«Sobald man die Dinge nicht bei ihremNamen nennt, sondern sie als ein Bildsieht, können sie unglaublich schönsein. Wenn man zum Beispiel auf dereinen Seite eine Werbeanzeige füreinen Diamanten nimmt, einen Diamantenin einer Schachtel, die mit Samtausgeschlagen ist, und dann nimmtman auf der anderen Seite altesSchweineschmalz und schmiert es aufden Rücken einer Frau, die eine Hau-tkrankheit hat. Dann schneidet man denschillernden Kopf eines Käfers ab undsteckt ihn genau in die Mitte desSchweineschmalzes, dann hat manästhetisch ziemlich genau dasselbe,aber das eine Bild ist für die einenschön und das andere ist abstossend,aber es ist so ziemlich das gleiche...»p.s.Auf der Suche nach Informationen zumLynch Film über Maharishi und seingeplantes Erscheinungsdatum gebe ich«Maharishi Film Lynch Kinostart» indie Suchmaschine ein und finde eineAnkündigung über einen Film mit demTitel: David Wants to Fly der angeblichbereits im Mai 2010 Premiere hatte.Ich bin verwirrt, der neue Lynch-Film istschon draussen? Mit einem so un-typisch selbstreferentiell-lustigen Titel?Ich lese weiter:«Ein deutscher junger Filmemacher willsich auf den Spuren seines IdolsLynch begeben und mehr über dietranszendentale Meditation als Quelleder Kreativität erfahren. Laut Synop-sis wird er dabei herbe enttäuschtsowohl von Lynch, der ihn erst ermutigtneben TM seine eigene Wahrheit zufinden, ihn aber bei ersten kritischenFragen gegenüber der Bewegungverunglimpft und nach Hause schickt,als auch vom der sektenartigen Wesender TM–Organisation, die sich amWunsch der Menschen nach ‚Erleuchtung‘bereichert.»Schon wieder Enttäuschung meinerseits.Wieso habe ich von diesem Film,der sogar auf der Berlinale zu sehenwar, nichts mitbekommen? Und: Schonwieder der doofe Künstler-Habitus,alles machen wir gleich, sogar diegleichen Fragen stellen wir uns. Mist!Filmstart in meiner Stadt ist ausgerechnetheute Nachmittag, ein Zufall?Ein Zeichen. Ich verlasse jetzt meinenComputer und mach mich auf denWeg ins Kino.p.p.s.: sehr sehenswert!Es ist Morgen. Auf dem Weg von meinemGasthaus zum Yogaunterricht geheich der Hati Gali entlang, was auf Hindisoviel wie Elefantengasse heisst. Eingewagter Name für eine so enge Gasse.Eine Hupe ertönt hinter mir. Ich schre-cke auf und gehe zur Seite. Eine indischeFamilie fährt auf dem Motorrad nebenmir vorbei, die Mutter mit dem Kind aufdem Rücksitz. Es grenzt an ein Wun-der, dass es hier kaum Unfälle gibt.Auf dem Markt verkaufen die Bauernihre Milch und die Händler rufenihre Angebote aus oder streiten mitdem Nachbarn, der seine Preise zu tiefangesetzt hat. Schon frühmorgensherrscht hier ein grosses Menschengedränge.Zügig gehe ich weiter zum Quaides Ganges. Von weitem rufen mir dieBootsmänner zu - Obwohl ich schon seiteinigen Wochen jeden Tag hier vorbeikomme, scheinen sie ihre Hoffnungnicht aufzugeben, dass ich vielleichteines Tages doch noch ihr Boot für eineStunde zu 100 Rupien mieten würde.Mein Weg führt am heiligen Flussentlang. Hier waschen sich jeden Mor-gen die Inder mit dem Wasser ihrerMutter Ganges. Auf den Dächern tum-meln sich kleine Äffchen. HungrigeZiegen und streunende Hunde mit nurdrei Beinen und blutigen Kopfwundenbegleiten mich. Ein Drogendealer fragtmich, ob ich mich für «somethingspecial» interessiere. Er scheint selbstsein bester Kunde zu sein.Masseure, Rickshaws undStrassenhändlerIch komme am Burning Ghat vorbei.Es riecht nach verbranntem Fleisch.Ich verdecke mir die Nase und Mund.Hier werden die Leichen nachreligiösem Ritus verbrannt. Auch andiesem Ort herrscht emsigesGeschäftstreiben. Hier wird über denPreis des Holzes zur Verbrennungder Angehörigen gefeilscht. EtlicheInder rufen mir zu und wollen sich mitmir unterhalten, ich stelle mich taub.Zu viele Male bin ich in die Falleirgendwelcher Händler und falscherStadtführer getappt. Ich komme amMainghat an, hier treffen sich dieMasseure von Indien. An den Touristensind sie besonders interessiert, dadiese besser bezahlen. Sie beginnenmeistens mit der Massage bevorich überhaupt zusage, ich versuche sieabzuwimmeln, indem ich die Treppehochgehe, vorbei an den verkrüppeltenBettler zur Hauptstrasse. Hier fahrendie Velo- und Motorickshaws, dieindischen Taxis und die Polizeiautos.Die Kühe sitzen gemütlich mittenauf der Strasse und werden umfahren.Verkehrsregeln gibt es keine, esherrscht konstanter Stau und Huplärm.Die Rikshawfahrer halten neben miran und bieten mir ihre Dienste an.In Indien scheint man kein «Nein» zuakzeptieren. Ich verschwinde in dieMenschenmenge. An der Strasse wol-len mir etliche Verkäufer Souvenirs,Schmuck, Esswaren, Kleider, Zeit-ungen und Spielwaren andrehen, ichignoriere sie und gehe meines Wegs.Es duftet intensiv. Ich rieche Chai Tee,den die Inder bei jeder Gelegenheittrinken, und das siedende Öl derRestaurants. Eine Welle unterschiedlichenGewürzdufts steigt mir in dieNase - und dann der bekannte Gerucheines Kuhdungs, in den ich geradegetreten bin. Ich biege in eine schmaleGasse, der Lärm verstummt. Ich binbei meiner Yogaschule angekommen.Während der Lektion gibt es nurmich und meinen Körper. Ich kon-zentriere mich auf den Atem undberuhige meinen Geist. In dieser Stadtherrscht eine konstante Reizüberflutung.Es gibt wenige Gelegenheiten,die Eindrücke zu verarbeiten. Yoga hilftin dieser hektischen und lärmigenAtmosphäre. Ich bin dankbar für diepaar Stunden Ruhe in meinem Alltag.Das vergangene Ausbildungsjahrhat mich sehr strapaziert. Ich habemich deshalb entschieden, eine Auszeitzu nehmen und nach Indien zu reisen.Eigentlich habe ich nur einen MonatAufenthalt geplant, nun sind es dochsechs Monate geworden in Varanasibei Ram und seiner Familie. Ram ist einindischer Yogaguru, der schon mei-nen Onkel und meine Cousine unter-richtet hat. Er empfängt mich daher wieein Familienmitglied. Bei ihm nehmeich Yogaunterricht. Rams Frau kochtjeden Tag für mich und ich bin immerzum Essen eingeladen, obwohl dieFamilie nicht sonderlich wohlhabendist. Indische Yogis praktizieren KarmaYoga. Selbstlos geben sie, ohneErwartung an eine Gegenleistung. Ramist überzeugt, dass auf andere Weisealles irgendwie zurückkommt. Ich lerneviel von Ram und erkenne bald, dassindisches Yoga mehr ist als die Körper-übungen, die ich schon in der Schweizkennengelernt habe. Hier ist Yogaein integrierter Bestandteil des Lebens.Am morgen treffen sich täglich,vorwiegend ältere Männer zum rituellenBad und anschliessenden Sonnengrussam Ganges. Das ist der Auftakt zuihrem Arbeitsalltag. Einfache Arbeitersitzen auf der Strasse in Yogapositionenund verrichten meditativ den ganzenTag dieselbe monotone Arbeit. Siearbeiten ohne Widerwillen, akzeptierenihre Situation, ihr Karma.Yoga als Wettkampf?In der Stadt bin ich immer zu Fuss unter-wegs. Nur wenige Male reise ich mitdem Zug, als ich Ram und ungefähr 20Kindern, seine Yogaschüler, zu denYogachampionships begleite. Ram istMitglied in einer Organisation, dieYoga-Wettkämpfe für Inder veranstaltet.Wir sind im Zug und fahren nachNeu Delhi. Ram und ich spielen Schach.Um uns hat sich eine Gruppe voninteressierten Indern versammelt, diegespannt zuschauen und untereinanderMöglichkeiten für den nächstenSchachzug diskutieren. Weite Land-schaften ziehen an uns vorbei. DieKinder sind aufgeregt und übermütig.Es kommt selten vor, dass sie ohneihre Eltern eine Reise unternehmen.Sie schreien und turnen auf den Sitzen.Die restlichen Inder scheint esnicht zu stören. Alle 10 Minuten gehtein Verkäufer durch die Gänge des Zu-ges, er ruft sein Angebot, entwederChai Tee, oder Snacks monoton aus wieein Mantra.«Ein Wettkampf für Yoga?» frage ichRam, «ist das nicht ein Widerspruch?»Ram erklärt mir, der Wettkampfsei notwendig, um die Inder zumPraktizieren von Yoga zu motivieren.Die Tradition sei gefährdet, jungeInder hätten heute mehr Interesse anKrafttraining, Cricket oder Tanzkursen.Die Strategie funktioniert. Sobalddie Möglichkeit besteht, eine Medaillezu gewinnen, werden Rams Yogaklassenvon indischen Kindern gut besucht.Auch Ram war einst ein Wettkampf-yogi, sein Haus ist überfüllt mitPokalen, Trophäen und Medaillen. Ramerklärt mir, wie der Wettkampf abläuft.Die Organisation entscheidet, welcheAsanas – Yogastellungen – vorgeführtwerden. Die Anwärter üben sie mitihren Yogalehrern und führen sie an derChampionship vor. Die Performancewird von den Experten bewertet. Ramist einer dieser Experten. Als Europäerbin ich eine sehr exotische Erscheinungan dieser Veranstaltung. Alle wollensich mit mir unterhalten oder sich mitmir fotografieren lassen. Standingwerden mir dieselben Fragen gestellt:«What’s your good name? What is yourfather’s name? What does he work?How much does he earn?» Mit der Zeitwird mir klar, dass sich meine Ge-sprächspartner nicht für den Inhaltunseres Gesprächs interessieren,sondern lediglich stolz sind, sich einmalmit einem Europäer unterhalten zuhaben. Rams Gruppe hat schliesslichkeinen Preis gewonnen, er vermuteteinen Betrug, da ein Jurymitglied einealte Fehde mit ihm austrägt. Ich sehejedoch keine Enttäuschung in denGesichtern der Kinder. Sie haben allesgegeben und das Wichtigste für sieist es, dabei gewesen zu sein. Als ichwieder in der Schweiz bin, macht sicheine leichte Enttäuschung bemerkbar.Ich habe eine intensive Zeit in eineranderen Welt erlebt und erwartet, dasssich auch die Umstände Zuhauseverändert haben. Aber hier scheint miralles so wie ich es verlassen habe.In der alten Umgebung stellen sich diealtbekannten Herausforderungen.Und doch habe ich das Gefühl, währendder Zeit in Indien gewachsen zu sein.Das Wissen um den ganz anderenindischen Alltag hat meine innere Weltgrösser gemacht und relativiert dochauch vieles, was mir am Leben in derSchweiz zu schaffen macht.Entspannenmit LynchVon Idolen, Sekten und Insektenvon Anna K. BeckerUnterwegsin indienEin selbstversuch von Dieter Stocker

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