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Fabrikzeitung 262 – Die Afrika Ausgabe - Rote Fabrik

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ZukunftsvisionundMassengräberRuanda soll bis 2020 ein wohlhabendesLand werden, sagt die «Vision 2020» desPräsidenten Kagame. Dabei ist derVölkermord allgegenwärtig. Ob die Lastdieser Vergangenheit zu schwer seinwird, erscheint Kagame als Imagefrage.Von Lara Garcia*«Akababaje umutima gahinduraímpínga», so lautet ein ruandischesSprichwort: «<strong>Die</strong> leidenschaftlichenWünsche des Herzens bringenfrühmorgens die Beine in Bewegung.»Ruandas Geschichte im letztenJahrhundert war untrennbar darangeknüpft, wie diese Worte jeweilsübersetzt wurden: Es ist eine Geschichteder Kolonialisierung und deraufgezwungenen Bedeutungen.Als gegen Ende des 19. Jahrhundertsdie Europäer <strong>–</strong> zuerst Deutsche, dannBelgier und die Katholische Kirche, die«pères blancs» <strong>–</strong> nach Ruanda kamen,existierten keine Rassenkonfliktezwischen Hutus, Tutsis und Twas (derdritten in Ruanda lebenden Volksgruppe).Erst durch die belgischen Siedlerwurden die Stammesnamen verzerrt,als seien die Wörter Tutsi und Hutuelastische Behälter. Der Rassenhass wargeboren. Obwohl die Belgier das Land1962 verliessen, fuhren die Medien inRuanda eifrig fort, die bereits verzerrtenBegriffe weiter aufzublähen, bis diegedehnten Wörter 1994 schliesslichexplodierten. Der Genozid von Tutsisund das Massaker an moderaten Hutusverwüsteten das Land; Angst undSchrecken unterjochten die Bevölkerung.Wer überlebte, waren gefangenim Hier und Jetzt, ohne Aussicht aufein Entkommen.Exil und Rückkehr KagamesNach dem Genozid wurde Paul KagamePräsident von Ruanda. Als ich das Land2007 erstmals bereiste, thronte seinPortrait in vielen öffentlichen undprivaten Räumen. Wie viele andereTutsis hatte Kagame das Land 1960 ausAngst vor der gewalttätigen Regierungverlassen müssen. Er landete mit seinerFamilie im Flüchtlingslager von Gahurein Uganda, wo er seine militärischeKarriere begann. Während vieler Jahreversuchten geflüchtete Tutsis, in ihreHeimat zurückzukehren, doch dieEinreise wurde ihnen immer wiederverwehrt. Auch die Versuche, sich mitGewalt Einlass zu verschaffen, bliebenerfolglos. Doch als der Genozid imApril 1994 begann, marschierte dieFront Patriotique Rwandais (FPR) mitKagame als einflussreichem Mitglied inRuanda ein. Nach drei Monatenschafften es die Kämpfer, RuandasHauptstadt Kigali zu besetzen und dasMorden im Land zu beenden.Das Land, dessen Führung Kagameübernahm, war von Schrecken bewohnt.<strong>Die</strong> Bevölkerung Ruandas standvor einem Scherbenhaufen, der sie zueiner Auseinandersetzung mit demGeschehenen zwang. <strong>Die</strong> Opfer riefennach Gerechtigkeit. Im November 1994wurde das Internationale Verbrechertribunalin Arusha errichtet, um dieHauptschuldigen zu verurteilen. DasBedürfnis nach einem öffentlichnachvollziehbaren Gerichtsprozess wargross in diesem Land, dessen Gefängnissevon mutmasslichen Völkermördernüberquollen. Im Zuge der Aussöhnungnahm die Regierung eine alte Justizpraxis<strong>–</strong> die Gacaca <strong>–</strong> wieder auf, bei der dieBevölkerung in lokale Gerichtsprozessemiteinbezogen wird. <strong>Die</strong> bete iligtenPersonen, oft Nachbarn, müssen sichdabei gegenübertreten und direktanklagen. Das Verfahren ist dadurch sehrfragil, und es verwundert nicht, dass dieGacaca-Gerichte immer wieder mitUnmut, Skepsis und Missbrauchsvorwürfenkonfrontiert werden. Doch dieProzesse helfen den Ruandern, nicht inder Vergangenheit hängen zu bleiben <strong>–</strong>zu überleben, ohne zu vergessen.«Rwanda Vision 2020»Während die Gacacas in Ruanda dazubeitragen, Vergangenheit und Gegenwartzu versöhnen, blickt KagamesRegierung auch in die Zukunft. Im Jahr2000 rief sie die «Rwanda Vision 2020»ins Leben, mit einem klaren Hauptziel:«Ganz Ruanda soll bis zum Jahr 2020in ein Land mit mittleren Einkommenumgewandelt werden. Dafür muss einPro-Kopf-Verdienst von 900 US$(heute: 290 US$), eine Armutsquotevon 30 Prozent (heute: 64 Prozent)und eine durchschnittliche Lebenserwartungvon 55 Jahren (heute: 49Jahre) erreicht werden». <strong>Die</strong>se Visionmag sich anhören wie eine Utopie,geschaffen für ein Land mit einemgrossen Mangel an Hoffnung, doch siegibt den Menschen Orientierung. InRuanda, einem übervölkerten Binnenland,ist die Mehrheit der ErwachsenenBauern. Bedingt durch die traditionelleSelbstversorgung ist die Landwirtschaftnicht sehr produktiv. Ausserdemmangelt es an alternativen Energiequellen;deshalb werden Waldrodungenvorangetrieben.Mittelfristig soll sich das Land durchdie «Vision 2020» von einer «Agrarwirtschaftzu einer wissensbasiertenWirtschaft» entwickeln, langfristigsogar zu einem zentralen Hub für dasöstliche und zentrale <strong>Afrika</strong>, mithilfe«einer produktiven Mittelklasse undder Förderung des Unternehmertums».Kagames Strategie zielt also auf dieEntwicklung des privaten Sektorsdurch unterstützende Massnahmen fürUnternehmer. Um diese riesigenVersprechungen der «Vision 2020»einzulösen, muss es Ruanda allerdingsgelingen, Investoren anzulocken unddie Abhängigkeit von internationalerHilfe zu vermindern. Statt die wirtschaftlicheEntwicklung zu begünstigen,unterstützt die Entwicklungshilfenämlich vielmehr die Korruption.Das Programm «Vision 2020» scheinteinfach und einleuchtend: «Investierein das Land und sei Teil des Traums.»Teil dieses Traums sind auch dieUS-Firmen Costco und Starbucks, zweider grössten Abnehmer für Kaffee ausRuanda. <strong>Die</strong> grosse Schwierigkeit liegtaber darin, Ruandas Image des Genozidsdurch ein Bild des Wohlstandesabzulösen. Das ist unerlässlich, um dasVertrauen von Investoren zu gewinnen.Seit Kagame sein Amt 1994 angetretenhat, folgt ihm unablässig ein Schattenvon Vorwürfen. Er wirbt internationalmit grossem Eifer für die «Vision 2020»,doch viele fragen sich skeptisch, wiedauerhaft die Stabilität des von Kriegund Gewalt gezeichneten Landesletztlich ist. Kagame selbst betontunermüdlich, das Image Ruandas lassesich nicht auf den Genozid reduzieren:«Wir werden den Genozid nichtvergessen, aber wir werden unsebenso wenig von ihm definierenlassen.» <strong>Die</strong> Vergangenheit mit derGegenwart in Balance zu bringen, istindes nicht einfach. <strong>Die</strong> Notwendigkeit,ein Image des Wohlstandesaufzubauen, wird oft mit einerVerdunkelung der Vergangenheitverwechselt. Unbestreitbar ist jedoch,dass Ruanda seit dem Ende derMassaker stets auf Suche nach einemWeg war, wie Vergangenheit undZukunft koexistieren können.Mein Körper, menschliches Skelett1997, drei Jahre nach dem Ende derMassaker, begann die RegierungKagames, mit einer Reihe von Exhumierungen.Massengräber wurden ausgehoben,um den verstorbenen eine würdigeBestattung zukommen zu lassen. <strong>Die</strong>Schauplätze der Massaker <strong>–</strong> Kirchen undSchulen <strong>–</strong> wurden zu Gedenkstätten desGenozids: In den geräumten Orten sindheute Knochen und Kleider derVerstorbenen ausgestellt.Mein erster Besuch in der Nyamata-Gedenkkirche war 2007. Ich gingzwischen den Bänken die Stufenhinunter bis zur Mitte des Raumes. Inder Krypta waren hinter einer gläsernenVitrine einzelne Gegenstände und einhölzerner Sarg zu sehen. Von der Kryptahatte ich zum ersten Mal in einem Buchder ivorischen Schriftstellerin VéroniqueTadjo gelesen. <strong>Die</strong> Frau in demausgestellten Sarg wurde 1994 aufbrutale Weise in Nyamata ermordet. IhrName war Mukandori.Nachdem ich sie gesehen hatte, verliessich die Kirche mit einem aufwühlendenGeräusch in meinen Ohren. 50Meter von der Nyamata-Kirche entferntsteht eine Schule. Auf einer ihrerAussenwände ist ein Bild zu sehen, beidem die Toten den Lebenden begegnen.<strong>Die</strong> Beschriftung lautet: MeinKörper, menschliches Skelett.* Lara Garcia (Spanien) lebtzwischen Madrid und London.<strong>Die</strong> Künstlerin und Forscherinschrieb ihre Doktorarbeit zumTitel «Strategies of representing theRwandan Genocide. Alfredo Jaarand the insufficient gaze». Zurzeitarbeitet sie für das Projekt «Artimages and rewriting narrativesin Global Visual Culture» an derComplutense-Universität inMadrid. Lara Garcia danktJeanine Munyeshuli Barbé für ihreRatschläge und Kommentare zudiesem Text.Dakar Beach StyleStreetlife on the Westcoast. Der StuttgarterRapper und Musiker Tobias Borke,26, hat vor kurzem zwei Wochen amwestlichsten Zipfel <strong>Afrika</strong>s verbracht.Sein erster <strong>Afrika</strong>trip führte ihn in dieMillionenstadt Dakar. Nun auch bekanntals Borkes Rapperparadies.Mein täglicher Spaziergang an denStrand von Yoff führte mich durch dieBackyards von HLM Grand Yoff, überstaubige Strassen mit freundlichgrüssenden Menschen bis an dieStadtautobahn die sich hupend undqualmend durch die Stadt wälzt. Nachdem grossen Werbeplakat von AirMaroc <strong>–</strong> «Vous etes unique» <strong>–</strong> galt esrechts in die verzweigten Strassen vonYoff einzutauchen. Just dort war immerder freundliche Junge mit seinemObststand der mich mit Bananen,Keksen und Telefonkarten versorgte. Erbewies mir, dass wir «Toubabs» (Weissen)generell das Vertrauen verlernthaben ...«Morgen, wie geht es dir heute?»«Danke gut. Und dir, Bruder?»«Passt. Gibst du mir bitte ein paarBananen, ne Packung Schokoplanetenund eine Telefonkarte zu 5000 Francs?»Ich kramte in meinem Geldbeutel undfand nur grosse Scheine. 10000 Francs.Etwa 20 CHF. Dafür kann man mit demTaxi dreimal quer durch ganz DakarDakarRetourvon Tobias Borke<strong>–</strong> und zurück. Er sah mich verständnislosan, rief einem Freund an der Eckeetwas zu, wahrscheinlich «Kannstewechseln?», der schüttelte den Kopfund mein Obstladenkumpel reichte mirdie Plastiktüte mit den Worten «Bezahldas einfach morgen.»Der KindermannGegenüber der Eingangstür meinesHauses, hatte ein spezieller Mann seinenLaden. Er verkaufte Süssigkeiten anKinder, sein Geschäft war bei denKleinen beliebt, schien aber nichtwirklich viel abzuwerfen. An seinenNamen kann ich mich nicht mehrpräzise erinnern, nur daran das dieanderen amüsiert waren, weil ich ihnernst nahm. Wenn er mich sah,begrüsste er mich überschwänglich,einmal segnete er mich sogar. Ichglaube nicht, dass er wirklich verrücktwar. Wahrscheinlich war ihm blossbewusst, dass Kinder ganz aufrichtigeSeelen haben und er hatte sich daraufhinentschlossen, in gewisser Weiseselbst eines zu bleiben.Zusammen essen«Kommst du? Essen ist fertig.» Commandantstand mit einem Lächeln in derTür zum Wohnzimmer, in das ich michverkrochen hatte um mich an derWifi-Verbindung des Nachbarns zulaben. «Ich bin sofort da», antworteteich und klappte meine Mühle zu. Manisst zusammen hier. Das ganze Hausund alle die Freunde und Bekanntendie in der Nähe sind. Man grüsst sich,wäscht sich die Hände und setzt sichzusammen auf den Teppich, in dessenMitte die grosse Schale mit dem Essensteht. Man teilt und achtet darauf, dassdie anderen genug essen, man lachtund erzählt vom verlebten Tag. Undwenn mal einer nicht da ist, dann wirdetwas aufgehoben.Beim Saufen«Geht’s gut?» fragte Papis und goss Atayain einem grossen schwungvollenBogen in ein kleines Glas auf demTablett mit dem er uns den traditionellenTee, den alle Männer hier bei jedersich bietenden Gelegenheit trinken,servierte. «Alles bestens, danke.Und bei Dir?», antwortete ich und nahmdas dampfende kleine Glas mit demduftenden Tee, der unter einer eindrücklichenSchaumkrone verstecktwar, entgegen. «Hamdoullah (Gott seidank!). Mir geht’s immer gut. KeineSorge. Chez Papis, pas 2 soucis! (BeiPapis keine Sorgen)» Wir lachten undschlürften die süsse Mischung ausknallhart durchgekochtem ChinaGunpowder-Schwarztee und frischerMinze. Zum Glück war das erst dieerste Runde Tee von insgesamt drei proKanne.CrossroadsAuf einer Verkehrsinsel neben derStadtautobahn lebte ein Mann. Klar gibtes eine Menge Armut in Dakar, aber erstach heraus. Eigentlich gibt sichniemand in dieser Stadt auf. Mir istjedenfalls niemand begegnet ausserihm. Selbst der an Polio erkrankteBruder eines Bekannten schleppte sichjeden Morgen mit den Worten «HamdoullahCa va!» (Gott sei Dank geht esmir gut!) und seiner improvisiertenGehhilfe zur Arbeit. <strong>Die</strong>ser Mann aberschlief wie eine Mumie eingerollt ineiner alte Plane in der prallen Sonneund erwärmte sich alles, was er fand,über einem Lagefeuer. Aus Plastikmüll.Tanzen für TouristenFür mich mit das Traurigste war derVersuch tanzen zu gehen. Dummerweisewar John, ein Freund meinerGastgeber, der Meinung, ausgehenkönne man nur in Alamdies, demTouristenviertel. Nach längeremHerumhängen im «Five» an derHauptstrasse von Almadies, einemunglaublich hippen Laden, in dem alle,wie überall in derartigen Etablissements,sehr darauf bedacht sind, mehrzu scheinen als sie sind, verschlug esuns nach einem kurzen Abstecher ineinen Schuppen, der in einen Hotelkomplexintegriert war. Eigentlich hättemich das schon abschrecken sollen.Alptraum. Babylon ist überall.Marktwirtschaft«Was kostet das T-Shirt?», fragte ich.«5000 Francs», antwortete mir derHändler. Ich lachte: «Das ist derToubab-Preis, mein Freund.». «Auf garkeinen Fall, das ist ‚ne unglaublich guteQualität, hier fass mal an!». Ich griffnach dem T-Shirt und nannte meinenPreis: «Ich gebe dir 1000.». Er lachte:«Bruder, ich muss was essen. Willst dumich ruinieren? Aber ich merke, dubist ein guter Kerl, ich gebe es dirfür 3000.». «1500», konterte ich. Erschüttelte den Kopf: «Vergiss es!»«Schade, dann muss ich weiter. Dankdir trotzdem und einen guten Tag.»Ich drehte ab. Er hielt mich auf: «Hopp,gib mir 1500.».Wer ist geil?«Mir gefällt wie Du handelst», lobt michCheikh: «Du hast es letztendlich dochnoch gelernt.» «Ja. Besser spät als nie»,sage ich. Es ist der Tag meiner Abreise.Ich bin an sich nicht gut drauf, dennich habe mich eingelebt und will nichtzurück nach Europa, wo die Infrastrukturüberragend und das Sozialverhaltender Menschen dürftig ist. Der Marktist staubig und ein einziges Gewusel.Plötzlich steht ein junger Mann vor mir,gekleidet mit einem selbstbemalten,gelben T-Shirt mit der Aufschrift:«Wer ist geil und hat einen Pinguin aufdem Rücken?». Ich muss lachen undfragte Ihn, ob er weiss, was das aufseinem Shirt bedeutet. «Nein», antworteter. Gleich darauf weiss er es.


Flugzeug Brüssel-KinshasaFebruar 2005Flug von Brüssel nach Kinshasa. Kurzvor Kinshasa bereiten sich die Passagiereauf die Landung vor. Einige Kongolesenin ausgefallenen Designeroutfitskümmern sich um ihre Garderobe. Siesind mir schon längere Zeit aufgefallen.Ich bin neugierig. Ein junger Mannin einem eleganten schwarzenEnsemble geht im schmalen Gang anmeinem Sitz vorbei. Er trägt einenTropenhelm aus schwarzem, schimmerndemSatin. Später erzählen mirLambert, Hubert und Mamie, dieFreunde aus Kinshasa, von den«Mikiliste», den Kongolesen, die nachEuropa fahren, und ich beginne michfür die Sapeure zu interessieren.La masque du anti-hérosParis, April 2006<strong>Die</strong> Maske des Anti-HeldenAchille Ngoye 1 hat zugesagt. Wir treffenuns zu einem Gespräch. In Französisch.Ich werde nervös. Falsch verstandenoder falsch ausgesprochen, das kannschnell passieren. Sich mit einemSchriftsteller auch noch in einerFremdsprache unterhalten. Ein Literatder den ganzen Tag Wörter dreht undwendet. Der sagt, dass er nichts liest,um seine Sprache nicht zu beeinflussen.Der in seinen Kriminalromanen, seinen«Romans Noirs», den Anti-Helden eineStimme gibt. Jenen, deren Lebenswegevon der Tragödie des Kongos gezeichnetsind. Ein Gespräch mit Ngoye, dergeboren wurde, als Kongo-Kinshasanoch eine belgische Kolonie war undder einen grossen Teil der kongolesischenMusikgeschichte miterlebt hat.<strong>–</strong> Ich würde gern mehr über dieSapeure erfahren. Ich habe gelesen, dassdie SAPE unter der Diktatur Mobutuseine Art Gegenkultur der Jugend war...Brillerets‘envolerAstrid S. Klein* überFashion in Kinshasa<strong>–</strong> Taratata! Schauen Sie: Als der GitarristFranco Luamba-Makiadi 1956 die Band«O.K. Jazz» gründet, schlägt er sichdurch sein siebzehntes Lebensjahr undhat ein gutes Auskommen.Als Zeichen für seinen materiellenWohlstand in einer Zeit, in der dieMittelklasse sich gerade mal ein Fahrradleisten kann, fährt er eine Vespa. MeinVater konnte dem jungen Franco trotzseines Diploms und seiner Berufserfahrungals Maschinenschlosser beiweitem nicht das Wasser reichen.Das Paradoxe an der Situation: <strong>Die</strong>Musik wird zu der Zeit als Gewerbe derVersager und Banditen betrachtet;Begriffe, die im elitären Kolonialregimesicher aufgebauscht wurden, jedochgängig waren, um Randgruppen allerArt zu bezeichnen (Hanfraucher,Analphabeten, Arbeitslose, etc.), wasdie meisten der Musiker ja auch sind.Mit siebzehn Jahren kleidete Franco sichalso bereits nach dem neuesten Chic.Zu Beginn der sechziger Jahre konkurriertdie Gruppe von Joseph Kabasélé«Grand Kallé», die «African-Jazz Band»,auf der Bühne und dem Plattenmarktmit Francos Gruppe «O.K. Jazz». Damitist die Rivalität noch nicht beendet,zumal ihr Publikum, beim einen alsIntellektuelle und beim anderen alseinfaches Volk charakterisiert, ebenfallsPartei für das jeweilige Lager ergreift.<strong>Die</strong> Fangemeinden umschwirren dieseherausragenden Bands: «Bana Amida»,«Bana Ajès», «Bana La Mode», etc. Sietanzen nonstop, um die Konzerte ihrerFavoriten anzuheizen, glänzen durchihr «molato» (den Chic ihrer Kleidungauf Lingala) ganz so wie sich dieGläubigen einer Gemeinde für dieMesse am Sonntagmorgen in Schalewerfen. <strong>Die</strong> Mitglieder dieser Fanclubsliefern sich einen erbarmungslosenKonkurrenzkampf:Sie kaufen jeweils Stoffe nach demletzten Schrei und vertrauen sie denbesten Schneidern der Stadt an,wobei sie ihnen genaue Anweisungenfür den Schnitt geben. Durch diesenKonkurrenzkampf machen sie Mode,die zu einem Muss für jede einfacheFrau in Kinshasa wird.1963 findet in der Musikszene mit demAufblühen unabhängiger Tanzclubseine Demokratisierung statt. In diesenClubs, die unter dem Namen «jeunespremiers» auch in Brazzaville florieren,schliessen sich Dandys in Schlaghosenund Hemden mit hochgestelltenKragen zusammen, die «nach Biskuitduften», also parfümiert sind.<strong>Die</strong> Fanclubs lassen ihre Kleidung vonjungen Schneidern wie WilliamNurumbi, Lajos Tail, Le Petit Prince,etc. anfertigen. <strong>Die</strong>se Schneiderkreieren übrigens im Laufe dernächsten zehn Jahre einzigartigeBühnenoutfits für die Showmen ausKinshasa und ihre Gruppen, Tänzerund Tänzerinnen inbegriffen.Ich bezweifle, dass es zu einemAusdruck der Gegenkultur wurde, sicheinheimisch zu kleiden.Ausser vielleicht, dass die Abacost desbelgischen Schneiders Arzoni, in denensich die Barone des Mobutismusaufplusterten und die in Brüssel zuhorrenden Preisen verkauft wurden, fürsie unerreichbar waren. Der Abacost<strong>–</strong> das Wort bedeutet «à bas lecostume»(«runter mit dem westlichenAnzug») <strong>–</strong> ist eine Kopie von MaosJacke, von den Schneidern in Kinshasaperfektioniert! Unter dem Einparteienregimeengagierte der Propagandaapparatdie populären Bands, um die Massenin die Stadien zu locken. Es war alsonicht Mobutu, der das Stadion füllte,sondern es waren diese Bands, die inder Folge ihre Gage erhöhten. Ergebnis:die Partei schuf ihre eigenen «groupeschoc d’animation» in afrikanisches Tuchgehüllt, das mit dem Bildnis des«Gründer-Präsidenten» oder seiner Fraubedruckt war.Papa Wemba [Internationaler Star derkongolesischen Musik, der sich alsKönig der SAPE versteht. d. Red.] istnicht der Gründer der SAPE. Man mussjedoch zugeben, dass er sich daraufberuft und dass er ihr bekanntesterRepräsentant ist.In Paris posierten die Sapeure in derersten Hälfte der 1980er Jahre entwedervor «les Chaînes» («den Ketten»), diedas Überqueren der Place de laRépublique ausserhalb der Fussgängerstreifenverhindern sollten, oder in derGegend der Metro Strasburg-Saint-Denis. <strong>Die</strong> Kehrseite der Medaille: Umsich luxuriöser zu kleiden, als seineMittel erlaubten, stahl der einfacheSapeur, in der Regel ein junger arbeitsloserMann oder eine junge arbeitsloseFrau, Waren, um sie wiederzuverkaufenund so die erforderliche Summe fürden Erwerb des Traumstücks zusammenzubekommen.Nicht gerade einRuhmesblatt!<strong>–</strong> Erfinden die Sapeure mit ihrerKleidung und ihrem Stil sich selbst?<strong>–</strong> Es ist nichts Erfinderisches dabei, sichmit Konfektionskleidung auszustaffieren,wenn es einem die Haare vomKopf frisst. Kurz gesagt, die Anrainerdes Kongos geben viel Geld für Kleider,Schmuck, Schuhe und andere Accessoiresaus. Ich glaube, dass es sich daum die Reaktion der Armen handelt,die gleiche Reaktion, aus der heraus einMonsieur, der mit einem Amt betrautwurde, am Ende oft mit der Kasseverschwindet. Wenn ein Armer aufeinen gut gedeckten Tisch stösst,würde er am liebsten gleich allesverschlingen, obwohl ein Stück Brotreichen würde, um ihn satt zu machen.Für mich verdrängen die Leute, dieihren Notgroschen für Protzereien aufden Kopf hauen, ihre bescheideneHerkunft oder drücken damit denKomplex des Armen aus. Es gibtbessere und weniger kostspielige Wege,um zu zeigen, dass man existiert.Papa Wemba brauchte kein «kompliziertesGewand», ein Supergewand,mit dem sich Jo Balard, der König derSAPE der achtziger Jahre, schmeichelte,um auf der internationalen BühneKarriere zu machen. Wenn er «Kuruyaka» («Der Reife» Titel einer CD vonPapa Wemba d. Red.]) genannt wird,dann aufgrund seines Talents. Undwegen nichts anderem.<strong>–</strong> Achille Ngoye, Herzlichen Dank fürdas Gespräch. (Aus dem Französischenvon Katarina Grän.)Jaune PapayeParis, April 2006Gelb wie PapayaNach meinem Gespräch mit AchilleNgoye recherchiere ich weiter über diekongolesischen Sapeure und die Dandysdes Bakongo. Bewegungen, die ihrenAnfang in den 1970er Jahren in beidenStaaten des Kongos nahmen, derheutigen Demokratische RepublikKongo (Hauptstadt Kinshasa) und derRepublik Kongo (Hauptstadt Brazzaville)und die in den 1980ern vor allem durchMusiker wie Papa Wemba und Jo Balardinternational in Erscheinung traten.<strong>Die</strong> SAPE bestand fast nur aus jungenkongolesischen Männern. Sie kleidetensich mit exklusiver japanischer undeuropäischer Designermode, zeigtensich nach bestimmten Regeln damit (Ladanse des griffes <strong>–</strong> Der Tanz der Labels)und lieferten sich untereinanderWettkämpfe. In «Au coeur de la Sape <strong>–</strong>Moeurs et aventures de Congolais àParis» («Im Herzen der SAPE <strong>–</strong> Sittenund Abenteuer der Kongolesen inParis») untersucht der Autor Justin-Daniel Gandoulou diese Bewegung desDandyismus sehr gründlich. Da dieSapeure ein eigenes Wertesystem ihrenextravaganten Stil betreffend entwickelten,spricht Gandoulou von einerSubkultur. Sie orientierte sich an einemdominanten System materieller Werte,wie es von der Figur des «GrandMonsieur» der kongolesischen Gesellschaftrepräsentiert wurde. In einerübertriebenen Imitation des äusserenScheins von Erfolg kehrten die Sapeuredie allgemeine soziale Hierarchie ineiner skandalösen Fiktion um, die deninneren Regeln der SAPE folgte. OhneAusbildung, Studium oder Vermögen,zeichneten sie sich nur durch ihreexklusive äussere Erscheinung, ihreRituale und ihre «erfolgreiche» Reisenach Europa aus. <strong>Die</strong>se Reise nachEuropa beschreibt J.-D. Gandoulou alsInitiation der jungen Sapeure.Paris, Mekka der internationalen Modeund Paradies, war dabei das Ziel der«Aventuries», der jungen Sapeure, diesich in die Emigration, in das «Abenteuer»,begaben.Um ein strahlender «Parisien» zuwerden, musste man sich währendseines Abenteuers in Europa eineKollektion obligatorischer HauteCouture-Kleidung beschaffen. Egal mitwelchen Mitteln. Nur damit konnteman als erfolgreicher «Parisien» nachKinshasa oder Brazzaville zu Besuchfahren und in der Hierarchie aufsteigen.An eine triumphale Rückkehr war erstdann zu denken, sobald die Ausstattungvollständig war und von den wichtigstenParisiens respektiert wurde.«Les Chaînes» <strong>–</strong> («die Ketten») am Placede la Republique in Paris <strong>–</strong> waren einlegendärer Ort für die Sapeure der1980er Jahren. Hier trafen sich Parisiensund Aventuriers aus dem Kongoregelmässig, um sich in ihrer Kleidungzu messen. In der Nähe, bei Tati um dieEcke, war das Haus der kongolesischenStudenten <strong>–</strong> MEC, die wichtigsteAnlaufstelle für Neuankömmlinge. Dortkonnte man in Massenlagern unterprimitivsten Bedingungen billigwohnen, Freunde treffen, Neuigkeitenvon zu Hause austauschen und manbekam wichtige Informationen, wieman sich in Paris durchschlug.<strong>Die</strong>se Orte waren im Kongo bekannt.Hatte man die schwierige Reise nachEuropa geschafft, ging man möglichstdirekt nach seiner Ankunft in Paris zu«den Ketten».Um nicht als «Null» dazustehen, mussteman schon beim ersten Mal entsprechendgekleidet dort auftauchen. Ambesten schickten einem Freunde, dieschon in Paris waren, gegen Bezahlungdie passende Kleidung nach Brazzavilleoder Kinshasa, bevor man seine Reiseantrat. So war man für seine Ankunft inParis und die erste Beurteilung durchdie Parisiens gewappnet.In Gandoulous Buch zählt ein jungerSapeur auf, was die Ausstattungumfassen musste, um ein Parisienwerden zu können: J.-M. WestonSchuhe oder Capo Bianco, einen Anzugaus Gabardine, auch l’Huile oder laGaba genannt, einen Anzug aus Leder,einen Pelzmantel, einen Anzug ausLeinen, einen Anzug aus Daim.<strong>Die</strong> bevorzugten Marken waren:Armani, Cavalli, Valentino-Uomo,Hechter, Torrente, Yamamoto, Versace,Dolce+Gabana, Yves Saint Laurent.Zum Erscheinungsbild eines Parisiengehörte sein Teint «jaune papaye» <strong>–</strong>«gelb wie eine Papaya». Dafür bleichteman die Haut mit schädlichen Chemikalien.Ebenso war es wichtig, einenbestimmten, aktuellen Haarschnitt zutragen, glatt rasiert zu sein und sichteuer zu parfümieren. <strong>Die</strong> Männersollten einen kleinen Bauch haben, alsowohlgenährt sein, wie ältere, gutsituierte Herren der gehobenenkongolesischen Gesellschaft.Im städtischen Alltag in Paris suchtensich die Sapeure Gelegenheiten, umihren Ritualen und ihrem Exhibitionismusnachgehen zu können. Manpräsentiert sich und seine extravaganteKleidung in eleganter Umgebung wieden Champs-Elysées oder der PlaceVendôme, bei Konzerten wichtigerBands, die schnell zu «Defis» wurden, inspeziellen Nachtclubs und an Orten, dieTreffpunkten von Jugendlichen zuHause ähnlich waren, wie «les Chaînes».Soziale Ereignisse der kongolesischenGemeinschaft in Paris, Hochzeiten,Taufen und Beerdigungen, dientenebenso der Selbstinszenierung.1Achille F. Ngoye, Schriftstellerund Journalist aus Kongo-Kinshasa,lebt in Paris. Er hat als ersterafrikanischer Autor aus einemLand südlich der Sahara in derSérie Noire bei Gallimard veröffentlicht.Im Kinshasa der 1960erund 1970er Jahre war er Chronistder kongolesischen Musik und hatals Kulturjournalist das kongolesischeComic-Magazin « jeunes pourjeunes » herausgegeben.Buchtitel: Kin-la-Joie Kin-la-Folie,1993; Agence Black Bafoussa,1996; Yaba Terminus, 1999; Balletnoir à Château-rouge, 2001.* Auszug aus dem Text «Briller ets‘envoler», von Astrid S. Klein, derdie gleichnamige künstlerischeRecherche begleitet. Erschienen in«Les Histoires Communes» 2007,Künstlerhaus StuttgartAstrid S. Klein, Stuttgart/Paris istBildende Künstlerin.Im Zentrum ihres langjährigenKunstprojektes «Briller ets‘envoler», dass sie 2005 zwischenKinshasa und Paris begonnen hat,untersucht Astrid S. Klein denfliessenden Charakter vonIdentitäten in der globalisiertenGegenwart und Prozesse derRe-Invention des Selbst inurbanen Kulturen des afrikanischenKontinents und Europas.Helvetia inSubsahara<strong>Die</strong> ganze Welt will Rohstoffe aus<strong>Afrika</strong>, auch die offizielle Schweiz.Ihr fehlt allerdings eine klare Strategie.<strong>Die</strong> Schweizer Multis sind hingegentraditionell gut im Geschäft.Subsahara-<strong>Afrika</strong> oder «<strong>Afrika</strong> südlichder Sahara» lautet die politisch korrekteBezeichnung für jenen Teil des afrikanischenKontinents, der früher kurzerhandSchwarzafrika genannt wurde.Zusammengefasst werden mit demAusdruck über 50 Länder.In vielen dieser Länder decken sich dieInteressen der politischen Schweiz mitjenen der Schweizer Wirtschaft.Ausländische Märkte sichern Arbeitsplätzein der Schweiz, SchweizerFirmen importieren wichtige Rohstoffewie Öl aus Angola oder Nigeria undgarantieren damit die wirtschaftlicheLandesversorgung.Nigerianisches ÖlNigeria ist der viertgrösste Lieferantvon Rohöl an die Schweiz und damitwichtiger als Algerien oder Russland.Und Öl, das an der afrikanischenWestküste gefördert wird, brauchtkeine Pipeline sondern fährt imTanker nach Europa <strong>–</strong> ohne Bedrohungdurch Piraten.<strong>Die</strong> globale Wirtschaft interessiert sichfür Rohstoffe aus <strong>Afrika</strong>, zum BeispielDiamanten, Gold, Platin, Zinn, Nickel,Kobalt, Uran, Kaffee, Kakao, Tee oderVon Philippe Kropfauch Blumen. Subsahara-<strong>Afrika</strong> giltaber auch als Markt: <strong>Die</strong> Schweizverkaufte 2009 dorthin vor allemPharma- und Chemieprodukte,Maschinen und Optiken im Wert vonüber 1,5 Milliarden Franken. MitAbstand wichtigster Handelspartnerist Südafrika (siehe Kasten).Chinesischer Weckruf<strong>Afrika</strong> ist Rohstofflieferant und Marktgleichzeitig, das hat China verstandenund mischt seit einigen Jahren dieGeschäfte auf: <strong>Die</strong> rohstoffhungrigechinesische Wirtschaft zahlt hohePreise, verkauft gleichzeitig eigeneProdukte in <strong>Afrika</strong> und schafft mitFinanzierung und Bau riesiger Infrastrukturprojektepolitischen Goodwill.China ist heute der grösste ausländischeInvestor in <strong>Afrika</strong> <strong>–</strong> ohne Fragen nachMenschenrechten zu stellen.«Das chinesische Engagement hat diepostkoloniale Ordnung verändert unddie internationalen Akteure gezwungen,sich neu zu positionieren», sagtDidier Péclard vom Friedensforschungsinstitutswisspeace. So fehle es derpolitischen Schweiz an einer langfristigenStrategie, trotz ihrer Pionierrolle inder Entwicklungszusammenarbeit seitden 1960er-Jahren. Zu lange habe mannur das ländliche <strong>Afrika</strong> gesehen,obwohl seit Jahren die Verstädterungstark zunehme. «<strong>Die</strong> Herausforderungist es, sich an diese neuen Bedingungenanzupassen», sagt Péclard.Schweizer Grossfirmen wie Nestlé,Novartis, Roche, SGS oder BarryCallebaut hingegen halten dort starkePositionen, wo sie «Business Opportunities»ausmachen. Aber auch KMU sollenneuerdings Fuss fassen. Das Staatsekretariatfür Wirtschaft SECO fördert seit2008 ein Investitionsprogramm inGhana und Madagaskar.<strong>Afrika</strong> in der Schweiz<strong>Die</strong> laufende Polemik um Asylbewerberaus Nigeria nach dem Tod desnigerianischen AusschaffungshäftlingsAlex Uzuwulu im Frühjahr 2010verweist auf die innenpolitischeDimension dieser Weltregion. «DerMigrationsdruck aus Subsahara-<strong>Afrika</strong>auf die Schweiz ist gross», hält die Regierungim Aussenpolitischen Bericht2009 fest. Gleichzeitig setzen rechteParteien im Parlament die Entwicklungszusammenarbeitimmer stärkerunter Druck. Politische Konsequenzwäre Ausschaffungen statt Armutsbekämpfungin den afrikanischenLändern.Auch die Piratenangriffe vorSomalia zeigen, dass die politischeSchweiz beim Handel in <strong>Afrika</strong> keineklare Linie findet. <strong>Die</strong> Antwort der EUauf die Angriffe war die MilitäroperationAtalanta, das Schweizer Parlamentwollte von einer Beteiligung aber nichtswissen. <strong>Die</strong> Schweiz überlässt esanderen Nationen, die Seewege dereigenen Hochseeflotte am Horn von<strong>Afrika</strong> zu schützen.strategischerpartner südafrikaDer mit Abstand wichtigste Handelspartnerder Schweiz in Subsahara-<strong>Afrika</strong>ist Südafrika: 2009 haben SchweizerFirmen Waren im Wert von 670Millionen Franken exportiert.<strong>Die</strong> starke Schweizer Präsenz hatTradition <strong>–</strong> und ist eines der düsterenKapitel der eidgenössischen Neutralitätspolitik.«<strong>Die</strong> Schweiz war ein Pfeilerder Apartheid und eine Drehscheibezur Umgehung der UNO-Sanktionen»,sagt der Journalist und SüdafrikakennerJean-Michel Berthoud.Viele grosse Schweizer Firmen unterhieltenwährend der RassentrennungFilialen am Kap, die drei SchweizerGrossbanken kauften zeitweise über dieHälfte des südafrikanischen Goldes.Schweizer Parlamentarier unterstütztendas Apartheid-Regime, Militär undGeheimdienste kooperierten.«Nach dem Ende der Apartheid 1994hat die Schweizer Wirtschaft abgewartetund dann ihre alten Verbindungenreaktiviert», sagt Berthoud. Aufgearbeitetwurde dieses Kapitel teilweise in einemNationalfondsprojekt, viele Firmenarchiveblieben aber verschlossen.Auch in Südafrika will man lieber in dieZukunft schauen. Der südafrikanischeBotschafter George H. Johannes sagtekürzlich im Interview mit swissinfo.ch:«Heute haben Südafrika und die Schweizsehr gute Beziehungen. <strong>Die</strong> Schweiz istunser fünftgrösster Handelspartner».


Wer zeitgenössische Sounds vomSchwarzen Kontinent sucht, kann sichim Online-Dschungel verirren.Unzählige aktuelle Musikvideos ausafrikanischen Ländern gibt es im Netz.Blogs helfen bei der Auswahl.Und beim <strong>Die</strong>bstahl.Der wohl bisher grösste Erfolg einesafrikanischen Club Tracks, der sichüber die Blogger-Szene im Netzweltweit verbreiten konnte, ist derSong Township Funk von DJ Mujava.2008 wurde ein Mitschnitt desMusikvideos auf Youtube, indemMujava selbst als obdachloser DJ zusehen war und die verrücktestenTanzschritte vorführte, von Blog zuBlog weitergereicht. Mit über 500000Klicks wurde der junge DJ, aus einemder Vororte von Pretoria zum wahrenInternethype. Warp Music in Londonbekam davon Wind und veröffentlichteden Song als Maxisingle. Der Trackmit den schrillen Synthiesounds aufdem düstern House Beat schaffte essogar in die meisten Jahreschartshiesiger DJs und dürfte manchen nochin den Ohren liegen. In Südafrika, woder Song bereits zwei Jahre zuvorerschienen war und House die<strong>Afrika</strong>nischeMusikblogsVon Georg Milz*populärste Musik unter der schwarzenBevölkerung ist, war der Song allerdingslediglich eine Randerscheinung.<strong>Die</strong> Blogs machten also erstmals auseinem Undergound-Hit aus Pretoriaeinem globalen Clubhit. Ob sich hierallerdings ein neuer Königsweg fürKünstler aufgetan hat, sich zu promoten,bleibt fraglich. Denn schon an derGrundvoraussetzung für eine Präsenzin Blogs scheiden sich die Geister:Musik kostet hier nichts.Popklau mit RadioclitEin Jahr nach Mujavas Erfolg begann dasProduktions- und DJ-Team Radioclit mitWahlheimat London ihre Zusammenarbeitmit dem aus Malawi stammendenSänger Esau Mwamwaya online zubewerben. Sie stellten den Blogs dafürein Gratis-Mixtape zur Verfügung, beidem Esaus Stimme, auf Beats derunterschiedlichsten Produzenten zuhören war. Einer der besten Tracks aufdem Tape war der Song «WenaNg‘hamba Nawe» vom House-ProduzentenDJ Cleo aus Südafrika. Hier hattenRadioclit ein paar Verse mit Esau inseiner Heimatsprache, Chichewa,ergänzend hinzugefügt. Im Unterschiedzu DJ Mujava kennt DJ Cleo in Südafrikajedes Kind. Er ist seit Mitte der 90erJahren quasi Dauergast in den südafrikanischenCharts und hat eine Fan-Base,die bis hoch nach Ostafrika reicht. Alsich mich mit ihm im Sunnyside OfficePark, einem teuren Bürokomplex inJohannesburg, in dem schon MiriamMakeba gemanaged wurde, treffe,reagiert er genervt auf die Engländer:Ihn hatte natürlich niemand gefragt.* Georg Milz hat die CD «Ayobaness!<strong>–</strong> The Sound of South AfricanHouse» zusammengestellt und istMitbetreiber von Out Here Records.Am 14. Juli erscheint dort zumThema Migration die Zusammenstellung:«Yes We Can <strong>–</strong> Songsabout leaving Africa».übersicht MusikblogsReissuesEbenfalls gross im Kommen: Reissues.Fast schon einher mit der Entdeckungneuer Trends geht die Aufarbeitung derMusik aus der goldenen Ära afrikanischerPopmusik, die 60er und 70erJahre, wo Highlife und Afrobeat eineHochphase erlebten. Frank Gossner sitztauf einem Berg von 7inches in der Nähevon Kumasi der Ashanti Hauptstadt inGhana. Er ist auf ein ganzes Lager vonalten Vinyl-Schätzen gestossen, ja sogar7inch Singles sind mit dabei. Seinghanaischer Kumpel hatte in einerTageszeitung in Ghana die «Mostwanted»-Plattenliste des deutschen DJsund Musikliebhabers, als Inseratabdrucken lassen. Daraufhin bekam erunzählige Anrufe, und die Ausgrabungender alten Vinylschätze konntenbeginnen. Auf seinem Blog voodoofunk.blogspot.comberichtet er vonseinen abenteuerlichen Erlebnissen.Hipster<strong>Die</strong> meisten dieser Blogs kommenimmer noch aus Europa oder den USA.Vereinzelt gibt es aber jedoch auchschon Blogger in Südafrika, wie denjungen Musiker und Künstler SpoekMathambo. Er bezeichnet sich selbst alsden «Post-Apartheid, Post-HipHopPosterboi» und bringt neue Impulse ausNew Rave und Electro in die überwiegendweisse Indie-Partyszene Südafrikas.Mit seinen Duos Sweat X oder Playdoeist er weltweit in der stylo-electroClublandschaft von Paris über Malmö bisnach München unterwegs und hält seineFans weltweit mit seinem Blog 2faced1.com/blogs/zombo bei Laune. Hier posteter über seine neusten musikalischenProjekte und die weirdesten Kunstobjekteeiner südafrikanischen Boheme.GeheimtippWer wirklich wissen will, was inSüdafrika passiert, verlässt irgendwanndie Welt der Blogs und landet auf Rage.co.za. Gemacht wird die Website vonMaria McCloy aus Johannesburg, einerenommierte Kennerin der südafrikanischenSub- und Clubkultur. Sie kommtaus dem Journalismus <strong>–</strong> das merkt manauch. <strong>Die</strong> Seite beschäftigt sich seit demEnde der Apartheid 1994 mit aktuellerJugendkultur, Mode und Musik Südafrikasund ist immer noch eine derwenigen Seiten im Netz, die dasMusikgeschehen kompetent vorstelltund intelligent reflektiert. Als ich letztesJahr in Südafrika war, und mich mitetlichen Houseproduzenten traf, war siemein Guide durch die Szene. Mit demBeginn der WM am 11. Juni werde auchich fleissig über die urbane Musikszenedes WM-Gastgeberlands auf unseremBlog posten: Outhere.deClubsoundBlogs wie masalacism.com, ghettobassquake.blogspot.comoder generationbass.comstellen Songs und Musikvideosder Clubkultur <strong>Afrika</strong>s, die oft unterBegriffen wie Ghettotech oder TropicalBass zusammengefasst wird, derInternet-Community vor. Vor allem hatclubaffine Musik die Aufmerksamkeitder Blogs gewonnen. Nach Favela Funkaus Rio oder Cumbia Digital aus BuenosAires widmen sich auch immer mehrBlogs den afrikanischen Pendants: Stilenwie Coupé Décalé von der Elfenbeinküste,HipLife aus Ghana, Kuduro ausAngola oder Kwaito-House aus Südafrika,um nur ein paar zu nennen.masalacism.comghettobassquake.blogspot.comgenerationbass.com2faced1.com/blogs/zombovoodoofunk.blogspot.comrage.co.zaouthere.deTiefer undtiefer grabenWestliche Sammler auf der Jagd nach<strong>Afrika</strong>s Musikschätzen. Vom Wühlen imschwarzen Herzen des Pop.Es ist zwar nichts Neues, <strong>Afrika</strong> überseinen immensen Einfluss auf diezeitgenössische Populärmusik zubetrachten. Aufgrund zahlreicherWiederveröffentlichungen vonwestlichen Independent-Labelswährend der letzten zehn Jahre hatdiese Bewegung heute aber ein neuesNiveau erreicht: Zamrock in Zambia,Highlife in Ghana, Jump in Lagos,Echos Hypnotiques in Cotonou <strong>–</strong> einebreite Palette an Namen und Genres istzum Vorschein gekommen.Ein typisches Beispiel für diese wachsendeBegeisterung liefert die 1997begonnene <strong>–</strong> und durch Jim JarmuschsFilm «Broken Flowers» einer breiterenÖffentlichkeit bekannte <strong>–</strong> Reihe «LesEthiopiques». Längst vergessenePersönlichkeiten des äthiopischen Jazzwie Getatchew Mekurya, MahmoudAhmed oder Mulatu Astatqe erreichtendamit zum ersten Mal ein globalesPublikum und konnten so ihr Werkneu beleben.Der Grossteil der bei uns erhältlichenMusik aus <strong>Afrika</strong>s vergangenen Jahrzehntenwurde von Musikenthusiastenaus dem Westen ausgegraben, «gediggt»,und zugänglich gemacht. Zwei typischeDigger sind Samuel Charters, Urvaterder Westafrika-Digger, und FrankGossner, der Disco-Priester Westafrikas.Auch wenn sie unterschiedliche Zielezu verfolgen scheinen, so verkörpernbeide doch Epochen, Methoden undWege der Verbreitung von Musik, die soetwas wie eine Abstammung erkennenlassen. Durch ihr jeweiliges Engagement,haben diese «Ausgräber» und«Musikschieber» eine Schlüsselpositionim kulturellen Austausch inne.Das Verlangen nachAuthentizitätDer Historiker, Schriftsteller, Bluesliebhaberund Vinylsammler Samuel Charterswurde bekannt durch sein 1959veröffentlichtes Buch «The CountryBlues». Sein Einsatz für dieses Themavon JoËl Vacheronbrachte ihn dazu, immer tiefer nach denJuwelen zu suchen, die das Genreumgaben. In den frühen 1970er Jahrenbereiste er Westafrika. Er wollte einenStammbaum der Einflüsse von indigenenMusikstilen auf den Blues der USAaufzeichnen. Sein Hauptinteresse galtdabei dem «Vorkriegs»-Blues-Stil der1920er und 1930er Jahre. Eine Synthesedieser Erkundungen wurde schliesslichim wegweisenden Album «AfricanJourney : A Search for the Roots of theBlues Vol. 1 and Vol. 2» (1974) veröffentlicht.Es enthält lokale Griot-Gesängeaber auch traditionelle Tanzmusik.Charters lehnte die allgemeine Annahmeab, nach der der Blues und alledarauf folgenden Genres afroamerikanischerMusik aus <strong>Afrika</strong> stammen. Stattsich auf eine einzige Gesamtheit, ein<strong>Afrika</strong>, zu berufen, zeigte er auf, wiebestimmte Zusammenhänge oderspezifische Ethnien Westafrikaseinflussreicher waren als andere.In vielerlei Weise manifestieren sich inCharters Herangehensweise Eigenschaften,die sich noch heute beivielen zeitgenössischen Diggern oderWiederveröffentlichern afrikanischerMusik finden lassen. Hier zeigen sichdie Umrisse der Entwicklung vielerMusikliebhaber, die manchmalzwanghaft tiefer und tiefer graben, umdie verborgene Quelle mit denreinsten Juwelen ihrer Leidenschaft zuentdecken. <strong>Die</strong>ses Verlangen nachAuthentizität ist wohl der grösstegemeinsame Nenner bei der Suchenach afrikanischer Musik.Durch seine Dokumentation versuchteCharters auch, einen handfesten undnachvollziehbaren Pfad zu einemverschwindenden Kulturgut zuerhalten, das zuvor nirgends dokumentiertworden war. Seine gesamtenLeistungen sind heute zusammengefasstin den «Samuel and Ann ChartersArchives of Blues and VernacularAfrican American Musical Culture» amThomas J. Dood Forschungszentrumder Universität Connecticut.Charters Position passt indes nichtwirklich zu den heutigen Entwicklungen,denn sein Herangehen an westafrikanischeMusik diente hauptsächlichakademischen Zwecken, auch wenn erin seinem wissenschaftlichen Tätigkeitsfeldein Aussenseiter war. Sein Vorgehenist typisch für die Ethnomusikwissenschaftund die Ethnographie. So bewegteer sich hauptsächlich in Gebietentraditioneller Lieder, die nie für einenspezifischen Markt vorgesehen waren.In seiner Vorgehensweise und in derMusik, die ihn interessierte, unterscheideter sich von den Nachforschungenzeitgenössischer «Musikschieber». Auchdiese interessieren sich zwar für die1970er Jahre, doch sie suchen nachStücken, die in eine andere Richtunggehen. Zum einen suchen sie nachAufnahmen, die bereits als materiellesArtefakt existieren, wie beispielsweiseMasteraufnahmen oder Vinylpressungen,welche über Compilationsvermarktet werden, für DJ-Zweckebenutzt oder einfach in privatenSammlungen gelagert werden können.Zum anderen richtet sich ihre Suchenach Authentizität hauptsächlich aufwestlichen Genres wie Funk, Jazz, Souloder Rock’n’roll, die afrikanischeMusiker in ihrer eigenen Weise deutenund weiterentwickeln.Der Archivar alsBrückenbauerFrank Gossner ist ein DJ, der sichvollständig den verschiedenen Formenvon Vintage-Musik verschrieben hat.Seine Leidenschaft trieb ihn schon früh,erfolgreich Partys in Berlin und NewYork zu organisieren oder verschiedeneCompilations mit alten Stücken wieetwa «Vampyros Lesbos» zu veröffentlichen.Schliesslich vertiefte er sich sostark in den afrikanischen Funk undAfrobeat, dass er sich entschloss, dreiJahre seines Lebens in Westafrika zuverbringen. Sein Ziel war es, so vieleafrikanische Platten aus den 1960erund 1970er Jahren zu finden, wiemöglich. Auf seinen Reisen durchGuinea, Sierra Leone, Ghana und Beninbaute er sich langsam ein festesNetzwerk von Musikern und ehemaligenDJs auf, die ihm dabei halfen. ObMilitäraufstände, Freundschaften,verblüffende Entdeckungen oderRivalitäten, dieser Goldrausch liefertezahlreiche epische Erzählungen, überdie er, angereichert mit Fotografienund Mixes, gelegentlich auch in seinemhervorragenden Blog berichtete.Paradoxerweise <strong>–</strong> aber dennochpassend zu der momentanen Entmaterialisierungvon Musik <strong>–</strong> geschah dieWiederauferstehung all dieser «unauffindbaren»Juwelen des afrikanischenFunk via digitale Files, die sich sofortüber die ganze Welt verteilten. Verglichenmit den abenteuerlichen Umständendes Diggens ist diese Art desMusikkonsums nicht mit grossenAnstrengungen verbunden. Sie bietet eingutes Beispiel für die sinnliche Unterscheidung,die Musikliebhaber heutequalifiziert: Je stärker der Zugang zuMusik physisch anstrengend undwortwörtlich schwer ist, desto mehrwird der Geschmack des Verehrers alsaufrichtig gewürdigt.Doch Franks Reise ist mehr als nurInsider-Snobbismus. Tatsächlich gehtsein Projekt über die übliche zwanghafteSucht eines Crate-Diggers hinaus: Erversucht Produktionen zu retten, diesonst verloren gingen. <strong>Die</strong> Lagerbedingungen,der Mangel an Plattenspielern,Hitze und Sand sind nicht günstig für dasVinyl. Seine Loyalität und sein Arbeitsaufwandsind lobenswert. Jede Plattekostet ihn um die 20 US-Dollar, und erschenkt den ehemaligen Besitzernimmer eine CD-Kopie. Trotzdem ist esschwierig, das Klischee des Weissen zuvermeiden, der limitierte und wertvolleGegenstände aus <strong>Afrika</strong> wegnimmt. DasProblem wird sogar noch komplizierter,wenn diese raren Juwelen von afrikanischemGroove im Westen als Re-Issuesoder Anthologien zu kommerziellenErfolgen werden.<strong>Die</strong> Regisseurin Leigh Iacobucci folgteFrank Gossner über einen Monat lang,um einige Teile seiner Reise filmisch zudokumentieren. Auch wenn sieeinräumt, dass nicht alle Digger immeraufrichtig seien, ja dass manche beimKaufen der Platten oder Produzieren derCompilations sogar absichtlich schummelten,so widerspricht sie dennochden genannten Vorurteilen: «Frank istnicht mein Freund, und diese Erfahrungwar nicht immer einfach. Aber ich kannsagen, dass seine Arbeit durchwegspositiv ist. Er ist sehr respektvoll undgibt einigen Musikern die Chance, ihreMusik einem breiteren Publikumzugänglich zu machen. Sobald maneinige Zeit damit verbracht hat zuverstehen, was Frank tatsächlich tut,hört man auf zu werten und ist einfachfroh, dass jemand diese Arbeit macht. Erist ein Archivar, der eine Wiederverknüpfungermöglicht, indem er einegrossartige kulturelle Brücke schafft.»Konsequenterweise funktioniert dieseneue Verbindung in beide Richtungen:Einerseits erweitern die westafrikanischenSpielarten von Jazz, Funk, Souloder Rock’n’ Roll <strong>–</strong> diese Übersetzungenafro-amerikanischer Stücke durchwestafrikanische Musiker <strong>–</strong> die stilistischenGenre-Konventionen, dieüblicherweise nur aus einem westlichenBlickwinkel betrachtet werden.Andererseits beweisen die Nachahmungenaus den 1970ern das Sprudeln inden verschiedenen Regionen. Statt denganzen Kontinent durch den romantischenBlickwinkel einer idealisiertenVergangenheit zu sehen, können diesePlatten als Zeugen zeitgleicher Transformationengesehen werden, die in<strong>Afrika</strong> bis in die späte Modernestattgefunden haben.«Begonnen habe ich mit Musik, die icheinfach auf Flohmärkten und inSecond-Hand-Läden finden konnte. Vondort ausgehend fing ich an, tiefer undtiefer zu graben; an immer nochabgelegeneren Orten kam ich dem Kernder Sache immer näher.»Frank Gossner, Voodoo Funkhttp://voodoofunk.blogspot.com/


Magie im<strong>Afrika</strong>nischenFussballKicker mit spiritueller Power: Eineganze Reihe aktueller Buchveröffentlichungenbeschäftigt sich auf ganzverschiedene Art mit Fussball in <strong>Afrika</strong>.Keines der Bücher kommt dabei amThema Magie vorbei.In Südafrika nennt man sie die GlamourBoys, sie spielen dort eine ähnlicheRolle wie in Deutschland BayernMünchen: <strong>Die</strong> Kaizer Chiefs gehören zuden Spitzenklubs im Lande des WM-Gastgebers, drei Spieler aus den Reihendes Johannesburger Klubs <strong>–</strong> ReneilweLetsholonyan, Siphiwe Tshabalala undItumeleng Khune <strong>–</strong> werden währendder WM wahrscheinlich im Kader desGastgeberlandes stehen. Es ist wenigverwunderlich, dass zum Stab einessolchen Vereins eine sogenannte BrandManagerin gehört. Was Dara Carroll, diediesen Posten bei den Chiefs ausfüllt, imInterview mit dem deutschen Dokumentarfilmerund Autor Oliver G.Becker sagt, ist aber durchaus erstaunlich:«Wir haben eine ganze ReiheSpieler aus weit entfernten afrikanischenStaaten und aus den direktenNachbarstaaten Südafrikas unter Vertrag.Ich bin mir absolut sicher, dass dieallermeisten Spieler unserer Mannschaftwährend ihrer gesamten KarriereAbmachungen mit einem traditionellenHeiler haben, daran habe ich nicht dengeringsten Zweifel. Wir überprüfennatürlich regelmässig den Gesundheitszustandunserer Spieler durch ein ganzesTeam von hervorragenden Medizinern.Aber was die Spieler zusätzlich unternehmen,ob und wie sie einen spirituellenSchutz aufbauen, das könnten wirgar nicht überprüfen.»Von René MartensEinen Heiler und Wahrsager, der fürden «spirituellen Schutz» mancherKaizer-Chiefs-Kicker zuständig ist, hatBecker im Rahmen seiner Arbeit andem Buch «Voodoo im Strafraum.Fussball und Magie in <strong>Afrika</strong>» besucht.<strong>Die</strong>ser «Sangoma» (umgangssprachlichübersetzt: «Medizinmann») lebt amRande eines Dorfes in der ProvinzLimpopo. Becker, der in verschiedenenafrikanischen Staaten recherchiert hat,wusste zwar um die grosse Bedeutung,die die «witchcraft» (so nennt man dasPhänomen im englischsprachigen Teildes Kontinents) in vielen afrikanischenLändern hat. Aber dass sich die«Stürmer eines Grossstadtklubs an einentraditionellen Heiler in einer gut 600Kilometer entfernten Hütte wenden»,konnte er sich nur schwer vorstellenKnochenmessage von den Ahnen.In einem Gespräch mit einem Sangomaaus dem Swasiland, einem kleinenNachbarstaat Südafrikas, lässt Beckerdiesen seine eigene Arbeitsweisebeschreiben: «Das Hauptanliegen, mitdem die Fussballer zu mir kommen, ist,dass ich als Wahrsager und MagierKontakt aufnehme mit meinen Ahnenund ihnen dann Ratschläge geben kann,wie sie ihr nächstes Spiel gewinnenkönnen. Ich befrage ein Set vonKnochen, die ich werfe. <strong>Die</strong> Knochenverraten mir für gewöhnlich, welchePflanzen oder Tierteile ich benutzenmuss, um den Gegner zu schwächen.»Ausserdem wasche er die Trikots derSpieler vorher in einer Lösung, dieverschiedene Heilpflanzen enthalte.Eine andere Zeremonie beschreibt einJournalist, der vor einem Spiel inSimbabwe mit der Mannschaft vonSwasiland in einem Hotel untergebrachtwar: «Spät in der Nacht wurdenplötzlich alle Spieler vom Managergeweckt und nach draussen geschickt.Sie begannen, sich mit einer ziemlichübel riechenden, öligen Flüssigkeit auseinem Bottich abzuwaschen, in der einpaar Kräuter und Blätter schwammen,anschliessend mussten sie zusätzlicheine Art magischen Trank zu sichnehmen, der sie von allen schlechtenEinflüssen innerlich reinigen sollte.» DasErgebnis: Ein Spieler musste insHospital eingeliefert werden, weil ihndas Gebräu krank gemacht hatte, abertrotz dieses Ausfalls gewann seineMannschaft das Spiel.Sämtliche Buchautoren, die sichanlässlich der bevorstehenden Weltmeisterschaftdem afrikanischenFussball widmen, gehen auf das ThemaHexerei und Magie ein (vgl. Kasten).Becker indes hat es als einziger in denMittelpunkt gestellt. Er setzt aufungewöhnlich umfangreiche O-Tönevon Experten, bis zu sieben Seiten langsind diese unkommentierten Passagen.Indem er seinen Interviewpartnern dieMöglichkeit gibt, Rituale (oder auchihre Kritik daran) en détail zu schildern,wirkt er einer Sensationalisierung diesePhänomene entgegen.Uneinigkeit über Rolle der MagieInsgesamt lassen sich bei den Buchautorenund den von ihnen befragtenExperten grob drei Sichtweisenunterscheiden: <strong>Die</strong> erste Fraktionfordert bei westlichen BeobachternRespekt für die afrikanischen Kulturenein, sie wirft den Kritikern vor, einespätkolonialistische Haltung zumAusdruck zu bringen. Wer ein Verbotmagischer Praktiken fordere, wolleTraditionen des afrikanischen Fussballsauslöschen, sagt zum Beispiel Frank«Mr. Soccer» Mavhungu, Sportredakteurbei der Regionalzeitung «LimpopoMirror». Des weiteren findet mannüchtern-pragmatische, entdramatisierendeEinschätzungen, sie stammenüberwiegend von Menschen, diesowohl <strong>Afrika</strong> als auch Europa kennen:«Wie es bei jedem deutschen Vereineinen Masseur gibt, gibt es bei jedemafrikanischen Verein einen Hexenmeister»,sagt der frühere ghanaischeAuswahl-Captain Anthony Baffoe, einstals Profi in Köln, Düsseldorf, Metz undNizza aktiv und nunmehr beimFussball-Verband seines Landes für«internationale Beziehungen» zuständig.Und der deutsche Trainer ErnstMiddendorp, der bei der Kaizer Chiefssowie zwei ghanaischen Klubs gearbeitethat, sagt, wenn er mit seinenSpielern gemeinsam über die Mauereines Stadions geklettert sei, weil derEingang als «verzaubert» galt, habe manauf diese Weise «Stärke vor dem Spielgetankt». Er vergleicht Sangomas undandere «Witchdoctors» mit den inEuropa verbreiteten Mentaltrainern.Thilo Thielke, der Autor des Buchs«Traumfussball <strong>–</strong> Geschichten aus<strong>Afrika</strong>», fragt dagegen: «Hexerei,Motivation oder Rückschritt?» DerJournalist, von 2002 bis 2008 Korrespondentdes «Spiegel» in Nairobi, blicktzudem über den Tellerrand desFussballs hinaus. Er beruft sich dabeiunter anderem auf Valentin YvesMudimbe, einen kongolesischenPhilosophen, der in North Carolina ander Duke University lehrt, sowie denZürcher Ethnologen und JournalistenDavid Signer, der 2004 das Buch «<strong>Die</strong>Ökonomie der Hexerei oder Warum esin <strong>Afrika</strong> keine Wolkenkratzer gibt»veröffentlichte. Beide sehen denHexenglauben generell als Entwicklungshemmnisfür <strong>Afrika</strong>. Thielke hatzudem mit südafrikanischen Frauengesprochen, die von den Bürgern ihrerDörfer als «Hexen» gebrandmarktwurden, weil sie vermeintlich fürUnglücksfälle (Tod einer Verwandten,Tod durch Blitzschlag) verantwortlichoder mitverantwortlich waren. Sieleben nunmehr in Helena, einem sogenannten Hexendorf, einem Zufluchtsortohne Wiederkehr. Thielke sagt,wenn Zauberer eine «Mannschaftaufrichten», habe er damit keinProblem, aber diese Rituale hätten nunmal auch eine «dunkle Seite». Der vonihm befragte Theologe Thias Kgatla vonder Universität Limpopo spricht von1.300 Hexenmorden in der ProvinzLimpopo im Jahr 2000. Danach, so derder Wissenschaftler, hätten die Behördenlieber aufgehört zu zählen. Auchdas ist Teil der Realität in Südafrika, demin mancherlei Hinsicht so modernenund urbanen WM-Veranstalterland.<strong>Afrika</strong> UNDFussballbücherDas westliche Wissen über denafrikanischen Fussball ist lückenhaft.Christian Ewers, Redakteur derdeutschen Illustrierten «Stern», undDaniel Künzler, Soziologe der UniFribourg (und Fan des FC Zürich),versuchen dies mit zwei Überblicksdarstellungenzu korrigieren: «Ich werderennen wie ein Schwarzer, um zu lebenwie ein Weisser» und «Fussball in<strong>Afrika</strong>. Hintergründe zu ‹Elefanten›,‚Leoparden› und ‹Löwen›»Künzler, der zeitweilig an der UniAbomey-Calavi (Benin) gelehrt hat,setzt ein Zeichen und widmet seinzweites Kapitel gleich dem Thema«Fussball und Gender» wobei er auf denim weltweiten Vergleich hohen Anteilafrikanischer Schiedsrichterinneneingeht. Ewers dagegen beschreibtdiverse Facetten einer von ihm imUntertitel so genannten «Tragödie»:Kicker die von «Erlösungsfantasien»getrieben nach Europa migrieren. Inden meisten afrikanischen Profiligenreiche das Gehalt nicht für denLebensunterhalt. Doch auf demKontinent, auf dem vermeintlich Milchund Honig fliessen, gerieten die Sportleran zwielichtige Gestalten, die sich alsSpielerberater ausgäben und ihreKlienten dann irgendwo in Osteuropain der 3. Liga unterbrächten <strong>–</strong> falls dieAgenten es nicht vorzögen, mit demGeld, das ihnen die Spieler vorab fürdie «Vermittlung» zahlten, aus demStaub zu machen.Auch Misswirtschaft in <strong>Afrika</strong> sei eineUrsache für die «Tragödie». Spielertransfersseien oft «Versorgungsprogramme»zum Wohle von Fussballern, die mitFunktionären verwandt sind, sagt KurtOkratu, der Geschäftsführer derghanaischen Fussball-Liga, im Gesprächmit Ewers. «Was für euch Europäer Filzbedeutet, bedeutet für viele <strong>Afrika</strong>nerFürsorge und Solidarität.». Beispiel: Bei«Asante Kotoko», den berühmtestenKlub Ghanas, bestand der Kader Ende2009 aus 63 Spielern.Oliver G. Becker: «Voodoo im Strafraum.Fussball und Magie in <strong>Afrika</strong>»Christian Ewers: «Ich werde rennen wieein Schwarzer, um zu leben wie einWeisser. <strong>Die</strong> Tragödie des afrikanischenFussballs»Daniel Künzler: «Fussball in <strong>Afrika</strong>.Hintergründe zu ‹Elefanten›, ‹Leoparden›und ‹Löwen›»Thilo Thielke: «Traumfussball <strong>–</strong>Geschichten aus <strong>Afrika</strong>»Unsere investigativen Reporter, derMusiker und Designer Tozim Madzimaund der Schriftsteller und KünstlerChristoph Schneeberger haben sich dieFrage gestellt, ob und warum dieafrikanischen Dealer in Zürich keineharten Drogen konsumieren. EineZürich-Tour mit Nick* dem Insider.«Kenneth* ist pünktlich, zuverlässigund korrekt.» Nick, unser Führer undBegleiter durch den Zürcher Drogenuntergrund,hatte nichts als Lob übrigfür den Dealer aus Ghana, der unsbeim Dynamo an der Limmat hättetreffen sollen. Doch Kay, wie ergenannt wird, ist nicht aufgetaucht.Stattdessen ist eine attraktive, muskulöseFrau in Polizeiuniform an uns vorbeigejoggt. Neben ihr ist ein spielerischerjunger Deutscher Schäferhundgelaufen. In seiner Schnauze hielt ereine dicke blaue Socke, die sehrkompakt ausgestopft war. UnserBegleiter schaute uns an.Drei Stunden später konnten wirendlich Kay treffen und zwar auf demKasernenareal. Erstaunt stellte ich fest:Ich kannte ihn bereits. Bloss untereinem anderen Namen. Früher, als ichFussball spielte auf der Josefswiese mitihm und seinen Brüdern. <strong>Die</strong> nanntenihn Daniel. Wir waren alle Hobby-Fussballer, aber Daniel war die grosseHoffnung seiner Familie. Er hat niegeraucht und nie Alkohol getrunkenweil er professioneller Spieler war. Fürmich war es damals unvorstellbar, dasser jemals mit Drogen in Kontaktkommen könnte. Aber die blaue Sockehat tatsächlich ihm gehört.Als ich nachfrage, warum er Drogenverkaufe, antwortet er: «Ich hab‘s nichtin die Top League geschafft, Tozim. Youknow how it is. <strong>Die</strong> Familie brauchtUnterstützung.». Daniel ist das ältestevon neun Geschwistern und trägt dieVerantwortung für das Wohlergehender ganzen Familie. Zwei von seinenfünf Brüdern hat er bereits in dieSchweiz mitziehen können. Und Arbeitfür sie als Hilfsarbeiter auf Baustellenvermittelt. Seiner Mutter, Schwesterund auch den Brüdern in der Nähe vonKumasi schicke er jeden Monat Geld. Erverkaufe hauptsächlich Marihuana. Erhabe nur kurzzeitig in einem SchwulenclubKokain verkauft, die Kundschaftallerdings verloren, als er Hausverboterhielt. Angeblich weil er nicht schwulsei. Er selber konsumiere keine Drogenaus Liebe zu seinem Traum.Mein Blick schwenkt auf die Goldringe,die er an drei Fingern der linkenHand trägt, und auf seine Lifestyle-Sonnenbrille die an seinem weissenHemdkragen baumelt. <strong>Die</strong> Lederhalbschuheglänzen immer und sind voneiner teuren Marke. Seine Kurzhaarfrisurlässt er sicher all zwei Wochennachschneiden. Und er geht nichtgerade geizig um mit den Frauen, dieihn umschwärmen.Nick‘s Featuream Affenfels«Eigentlich wollte ich im Vorbeigehenam oberen Letten einen Füfzger ziehen,offensichtlich wurde jedoch die blaueSocke, die alle Portionen für diesesGebiet enthielt, von einem Drogenspürhundvom Markt genommen.Bleibt nichts anderes als der Catwalkzwischen Bellevue und Chinawiese.»«Jetzt aber Hopplaschorsch, noch nichtmal auf der Höhe des Affenfelsenspringt mir so ein luxuriös ausstaffierterTurnschuh-Pimp vor die Nase undwill mir partout Marihuana geradezuaufdrängen. Ruft, gestikuliert und läuftmir nach. <strong>Die</strong>se aufgeputschten Typenkennt man, Secondos, ungebildet,unreif, ihre ganze Persönlichkeit amLifestyle aufgebaut. Eigener Drogenkonsum,die Turnschuhe und dasChick stellen finanziellen Druck her.Schliesslich ist man mit einemGangster zusammen, um gratis rauchenund schnupfen zu können. Ab und zuverkaufen die ihre Kackqualität imWindschatten der schwarzen Verkäuferund nutzen meist ziemlich aggressivdie Gunst der Stunde und derhellen Haut. An sicheren Orten spielensie Langstrasse, die Mammoni.»«Weiter am Seeufer sehen Sie linkerhandden Affenfelsen. Eine rassistischeBezeichnung. Allerhand! Früher,als das Züri-Seeufer für mich vonZofingen aus gesehen noch dasParadies schien, sassen hier diebärtigen und dreadlockigen Jamaicaner,die Jamis, mit Soundsystem (diesallerdings von einem Italiener) undSupergras. Von der Ecke glotzt seitJahren Hanfueli in den seeseitigenFrieden. Sein Name ist eine abseitigeVerunglimpfung. Eigentlich müsste erAlkueli heissen. <strong>Die</strong> Rastamännerhingegen wurden geräumt und dasSoundsystem abgestellt.Law-and-Order-Design hat über dieJahre vielen Bäumen und Büschenihren Unterrock gekostet. Gegengetarnte Dealer und campierendePunks ist die Baumschere demrot-grünen Stadtrat ein Hilfsmittel wiedie Machete dem Dschungelpionier,das Agent Orange dem GI. DerKahlschlag der Hanfläden undAlpenplantagen hat die Kiffer undKoffer voller Geld wieder in dieIllegalität befördert. Und die Alpen insUntergrund-Reduit. <strong>Die</strong> CVP-Lehrerschaftkonnte der gesellschaftlichenRealität nicht ausgesetzt werden. Einteures potemkinsches Dorf.»«Anyway, ich hoffe mein Gras ist krassund hoffe auf den kleinen Johnny, einkaum volljähriger <strong>Afrika</strong>ner. Er hat denletzten Jami auf dieser Strecke verdrängtund andere Afros nachgezogen.<strong>Die</strong> Jamaicaner übernahmen dasDealen ursprünglich von den SchweizerHanfläden die schliessen mussten.<strong>Die</strong> <strong>Afrika</strong>ner übernahmen von denJamaicanern in Haft oder Familienpflicht.Nachdem die zurückhaltendenerwachsenen <strong>Afrika</strong>ner vertriebenwurden, stehen nun beinahe Kinderda und sind mindestens so aggressivverkaufsorientiert wie der Secondo mitCallcenter-Erfahrung von vorher. Unterall diesen lauten und auffälligenSchluffis suche ich den stillen Johnnyund schon tut es mir leid, mit meinerSucht zu seiner Sklaverei beizutragen.Johnny mit den traurigen Augen undden einfachen Kleidern steht offensichtlichunter Druck. Ältere, fetteafrikanische Herren pflegen ihn zubeobachten und Befehle zu bellen. Wieein unbegabter Sales Agent und seinegierigen Coaches. Er steht bei Regen,im Dunkeln und im Schnee draussen.<strong>Die</strong> Coaches nicht. Verdammi, soll eswirklich keine anständige Möglichkeitgeben, mein Geld illegal auszugeben?»Christoph, Nick und KatiaNick nickt erleichtert. Endlich nimmtKatia für Kay das Telefon ab: «Ja,kannst wieder kommen, am anderenPlatz. Danke! Du, beinahe wäre ichbei den aggressiven Jungs eingekehrt.Kommen die eigentlich aus demKrieg oder was? Katia habe gemeint,nein nein, wirst sehen, Ende Sommersind die schon ruhiger, die sind nurjung und unter Druck, das ist jedeSaison das selbe Spiel. <strong>Die</strong> altenDealer bringen denen schon nochSchweizer Manieren bei.».Wir finden Katia an einem Fussballfeld,sie hat an der Brust 5 verschiedeneMobiltelefone von den Jungs auf demSpielfeld <strong>–</strong> «wenn sie alle gleichzeitigvibrieren wird die Milch noch sauer»,lacht sie <strong>–</strong> und an der Seite einehalbwüchsige Tochter von einemehemaligen Dealer aus Gambia. Derdealende Kindsvater stieg aus um denPreis, dass er sich in seiner Heimatkaum mehr zeigen kann, seit der selbstverständlichgewordene Geldflussversiegte. Katia meint: «Deshalb dealensie und deshalb konsumieren sie dasHarte nicht selbst, sie müssen Geld fürFamilie, Eltern und Geschwister mitSchulgebühren verdienen.» In Waffenund Bürgerkriege würde das Geld derOstafrikaner, meist Eriträer und Somali,und der Nordafrikaner fliessen, weissKatia; die Westafrikaner würden in derRegel die Schlepper abzahlen und aufeigene Kosten weiterarbeiten, beziehungsweiseFamilienmitgliederunterhalten, die das Geld für die Reiseund die Schlepper vorgeschossenhaben. Von professioneller Mafiakönne man eigentlich nur bei Nigerianernsprechen.Als Asylbewerber gilt Arbeitsverbot,für Fachkräfte von ausserhalb Europasgibt es kaum Arbeitsbewilligungenund als Hilfsarbeiter kommst du nichteinmal hier durch. Dann ist das Spielaus und Nick kriegt sein Gras. Er wirdlangsam nüchtern.Tanz um denAffenfelsvon Tozim Madzima &Christoph SchneebergerIch kenne den Druck den Kennethspürt. Ich habe auch meine Geschwisterin Harare unterstützt. Als Musikerverfolge ich hier einen Traum durchden ich mir noch keine goldene Naseverdient habe. Alle zwei oder dreiMonate werden meine Taschenwährend Personenkontrollen aufVerdacht hin von der Polizei durchsucht.Wenn ich tanzen gehe, werdeich hin und wieder von SchweizerTeenagern ohne Migrationshintergrundbelästigt, die darauf bestehen, von mirDrogen zu kaufen. Dabei verkaufe ichkeine Drogen. Ich weiss nicht mal, wieman einen Joint richtig dreht. Aber ichscheine optisch dem Drogendealerprofilder Polizei und meiner potentiellenKunden zu entsprechen. <strong>Die</strong> Nachfragehier ist so gross. Es wäre doch soeinfach, mir eine neue Gitarre durchihre Sucht zu finanzieren.* Alle Namen im Text sindgeändert. <strong>Die</strong> Redaktion

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