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Erstausgabe Csernilive Architektur/Raum/Kunst Martin Cserni, Oktober

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live 01 / 2012<br />

österreiChisChe nOminierUngen<br />

Die österreichische <strong>Architektur</strong> ist in der Ausstellung des Mies van der Rohe Award im<br />

<strong>Architektur</strong>zentrum Wien mit mehr als 20 Nominierungen vertreten und zeigt somit auch einen<br />

repräsentativen Querschnitt des österreichischen <strong>Architektur</strong>geschehens. Es werden Beispiele<br />

aktueller Bauten von österreichischen Architekten gezeigt sowie auch in Österreich realisierte<br />

Bauten internationaler Architekten.<br />

arteC arChiteKten<br />

terrassenhaus – Die Bremer Stadtmusikanten<br />

tokiostrasse, Wien<br />

Das Terrassenhaus im 22. Bezirk ist eine interessante Variante von aktuellem<br />

Wohnbau in Wien. Vielschichtig und kompakt strukturiert, weist es eine interessante<br />

Typologie auf. In Anlehnung an die Erzählung der Gebrüder Grimm „Die<br />

Bremer Stadtmusikanten“ – den erfolgreichen Auftritt von Gockel, Katze, Hund<br />

und Esel – bildet die Stapelung verschieden großer Wohngebäude das Konzept<br />

des Terrassenhauses.<br />

Suburbane, zweigeschoßhohe Typologien mit jeweils spezifischen, zugeordneten<br />

Freiräumen werden zu einem dichten, städtischen Paket gestapelt: zuunterst ein<br />

offenes <strong>Raum</strong>konzept mit Galerie im hinteren Bereich und Garten vorgelagert,<br />

darauf gestellt eine Maisonette, orientiert zu einem Atrium, dann zweigeschoßige<br />

Reihenhäuser mit Terrasse, und zuoberst Kleingartenhäuser mit Höfen zwischen<br />

den Häusern. Eingeschoßige Wohnungen mit zweigeschoßhohem Loggienraum<br />

(„Casablanca“-Typologie) ergänzen den Typenvorrat. Ein einfaches, bandartiges,<br />

die Wohnungen in der Fassade markierendes Element (im Volksmund<br />

„die Spinne“) gibt dem Block Physiognomie zum öffentlichen <strong>Raum</strong> und den<br />

Wohnungen Abschluss gegen die Strasse. Die plastische Baukörpergliederung<br />

ermöglicht eine ausgeprägte Außenbeziehung der Wohnungen.<br />

Dietmar Feichtinger Architectes, Voestalpine Verwaltungsgebäude, Linz, © Josef Pausch<br />

Sowjetmoderne<br />

1955 –1991<br />

Unbekannte Geschichten<br />

Ausstellung<br />

08.11.2012 – 25.02.2013<br />

Eröffnung am 07.11.2012, 19 Uhr<br />

19. Wiener <strong>Architektur</strong> Kongress<br />

24.11.2012 – 25.11.2012<br />

Programm: www.azw.at/kongress<br />

<strong>Architektur</strong>zentrum Wien, Museumsplatz 1 im T+43 1 522 31 15, www.azw.at<br />

Artec Architekten, Terrassenhaus Tokiostrasse, Wien, © Margherita Spiluttini<br />

Dietmar FeiChtinger arChiteCtes<br />

Voestalpine Verwaltungsgebäude, linz<br />

Als markantes Portal mit weit auskragendem Vordach empfängt<br />

es die Besucher des Stahlkonzerns Voestalpine in Linz. Der<br />

Neubau von Dietmar Feichtinger Architectes ist Bestandteil der<br />

Neugestaltung der öffentlich zugänglichen Bereiche des Stahlwerks.<br />

Der 220 Meter lange geschwungene Baukörper verjüngt<br />

sich zu einer 34 Meter auskragenden verglasten Spitze, die als<br />

signifikantes Vordach den Eingang betont. Zugleich repräsentiert<br />

der Neubau auch die konstruktiven und gestalterischen<br />

Qualitäten des Materials Stahl: Der fünfgeschoßige Riegel ist<br />

als Stahlbau mit vorgespannten Stahlbetondeckenplatten errichtet.<br />

Die auskragende Spitze bilden zwei Fachwerkträger,<br />

deren Lasten der Erschließungskern sowie vier kreuzförmige<br />

Stahlstützen abtragen. Der Architekt lotet bei diesem Gebäude<br />

die Möglichkeiten des Baustoffs Stahl aus.<br />

Az W<br />

inserat_sowjetmoderne.indd 1 18.09.12 15:41<br />

VOm COrPUs Der staDt<br />

VOn Der iDeaLstaDt ZUr megaCity<br />

In dem Moment, wo wir in prähistorischer Zeit unsere<br />

Höhlen verlassen haben, begann das architektonische<br />

Wüten auf der Erde. Die Geschichte unserer Sesshaftigkeit<br />

ist auch eine Geschichte der Einvernahmung, der<br />

Vereinnahmung von <strong>Raum</strong> und Boden und den gegebenen<br />

Ressourcen. Von den nomadischen Jurten über die<br />

Lehmhäuser und Ziegelbauten bis zu den Stahl-Glas-<br />

Konstruktionen unserer Gegenwart ist die Form unseres<br />

Bauens in einem gewissen Sinne immer starrer geworden.<br />

Beweglichkeit ist der Starrheit gewichen. Temporäres<br />

Bauen wich dem Wunsch nach permanent Manifestem.<br />

Dieses Manifeste führt in unserem zivilisatorischen Voranschreiten<br />

zu Verhüttelung und Zersiedelung.<br />

Urbanität / Megacities<br />

Durch die immer schneller werdenden Transitwege<br />

schrumpft das Land und wird zur Transitstrecke degradiert.<br />

Das Land erscheint somit wie ein potemkinsches<br />

Dorf, das Idylle suggeriert, aber gekennzeichnet ist durch<br />

Abwanderung und dem Verlorengehen wichtiger Infrastruktur.<br />

Desto schneller die Transitwege, desto mehr<br />

schwindet die gegebene Infrastruktur. Die Stadt hingegen,<br />

nicht nur als Ort, sondern als urbanes Phänomen ist<br />

heute omnipräsent. Urbanität meint heute: Kommunikation,<br />

Infrastruktur, Mobilität. Und diese sind vorwiegend<br />

im urbanen <strong>Raum</strong> verfügbar. Jean Nouvel beschreibt dies<br />

folgendermaßen: Wir werden dahin gelangen, städtisch zu<br />

sein, selbst wenn wir auf dem Land wohnen. Die Zeit und<br />

nicht mehr der <strong>Raum</strong> wird unsere zukünftige Zugehörigkeit<br />

zur Urbanität bestimmen. 1<br />

Es fand in den letzten Dezennien eine rasante Urbanisierung<br />

statt und dabei sind vor allem im asiatischen <strong>Raum</strong><br />

und in Südamerika Megacities mit mehr als zehn Millionen<br />

Einwohnern entstanden. Diese Megacities sind ein<br />

Phänomen unserer Zivilisation des 20. und 21. Jahrhunderts<br />

und stellen uns vor ganz neue Herausforderungen<br />

– sozialpolitisch wie gesellschaftlich. Diese Megacities<br />

wuchsen durch die Erschließung des Umlandes, durch<br />

die Suburbanisierung, teilweise unkontrolliert und ohne<br />

Struktur und Masterplan. In dem Buch „Panische Stadt“<br />

beschreibt Paul Virilio einen Abgesang auf die Stadt als<br />

kulturelles Zentrum im Sinne der Tradition unserer abendländischen<br />

Kultur. Die zivilisatorischen und kulturellen Errungenschaften,<br />

die die Stadt verkörperten, sind passé.<br />

Heute ist die Stadt ein wildwucherndes Rhizom, das sich<br />

einerseits von global agierenden Immobilienspekulationen<br />

nährt und andererseits an ihren Rändern wächst<br />

durch den Zuzug der Landbevölkerung. Weiters werden<br />

durch die Immigrationsströme große Menschenmengen<br />

in das urbane Feld geschwemmt. Virilio spricht von einer<br />

„hysterischen Globalisierung“ – die Metropole stellt die<br />

„Zeitgenossin unserer Fortschrittsdesaster“ dar. 2<br />

la cittá ideala<br />

Diese gegenwärtige Entwicklung der Städte ist gegenproportional<br />

zum Bild der Idealstadt, wie sie in der Renaissance,<br />

inspiriert vom antiken Gedankengut, als Substitut<br />

kulturellen und sozialen Lebens entworfen wurde. Architekten<br />

und Künstler von Filarete über da Vinci bis Dürer<br />

entwickelten Idealstädte, die Archetypen glichen. Dürer<br />

zeichnete 1525 eine genau quadratische Idealstadt mit<br />

strengem Raster. Ein dreiviertel Jahrhundert später wird<br />

eine solche Stadt tatsächlich gebaut – Freudenstadt<br />

von Heinrich Schickhardt (1558-1635). Einflussreich<br />

war auch Utopia von Thomas Morus. Die ideale Stadt,<br />

immer verknüpft mit einer gesellschaftspolitischen Utopie,<br />

blieb quasi immer im Entwurfsstadium, doch haben<br />

die Renaissancestädte Aspekte von Idealstädten aufgenommen<br />

und sind wunderbare Beispiele von Städten<br />

als gelebte und gebaute Form kulturellen, sozialen und<br />

politischen Handelns. Viele Entwürfe der idealen Stadt<br />

verkörpern harmonisierte Geometrien, die in ihrer topografischen<br />

Organisation die Verbindung von Profanem<br />

und Sakralem darstellen.<br />

Wenn man die Entwicklung der idealen Stadt bis in die<br />

Gegenwart verfolgt, so sieht man, dass die archetypischen<br />

Grundformen Quadrat, Kreis, Kreuz, Stern bis heute<br />

dominieren. Le Corbusiers Chandigargh ist im Prinzip auf<br />

ein Quadrat aufgebaut, Oskar Niemeyers Brasilia auf ein<br />

Kreuz. Doch die Realität sieht gegenproportional anders<br />

aus, wie Günther Feuerstein beschreibt:<br />

Die Wucherungen der Industriestadt, die Exzesse des Kapitalismus,<br />

die Forderungen des Verkehrs lassen die hehren<br />

Ideale der noch immer in der Renaissance verhafteten<br />

Planungsmodelle kaum aufkommen. Vom großen Wurf<br />

der geometrischen Stadt müssen wir uns – schmerzlich<br />

genug für den Architekten – verabschieden, aber träumen<br />

dürfen wir weiter davon. 3<br />

Im 19. Jahrhundert und weiterfolgend im 20. Jahrhundert<br />

ist die Stadt durch die industrielle Revolution zur Maschine<br />

mutiert, zum technischen Organismus (siehe dazu die<br />

Filme: Metropolis von Fritz Lang, 1925-26; Lichter der<br />

Großstadt von Charles Chaplin, 1931).<br />

Heute ist durch die Revolution der Kommunikationssysteme<br />

ein neuer <strong>Raum</strong>, ein neues Gefüge, entstanden –<br />

der hyperreale <strong>Raum</strong> der Datenströme, ein nicht mehr<br />

verortbares Netz globaler Informationsströme. Somit sind<br />

Verkehrsknotenpunkte und Transitorte wie Bahnhöfe und<br />

Flughäfen die neuen realen Bilder der Orte unserer Zeit.<br />

Da, wo sich zigtausende Menschen bewegen im Rhythmus<br />

von Verkehrsströmen wird die neue vernetzte mediale<br />

Zivilisation spürbar. Dieses Bild einer zukünftigen Stadt<br />

ist nicht mehr ein manifester Körper, sondern es sind sich<br />

ausdehnende Netzwerke – ein Spiel der Virtualität. 4<br />

Realer und symbolischer Ort<br />

Wie Gaston Bachelard in seinem Buch Die Poetik des<br />

<strong>Raum</strong>es beschreibt ist der <strong>Raum</strong>, das Haus, der Ort, die<br />

Stadt auf der Ebene des Unbewussten auch ein metaphysisch<br />

belegter Platz, ein symbolischer Ort der Vorstellung.<br />

Hier besteht ein Wechselspiel zwischen dem<br />

real erlebten <strong>Raum</strong> und dem <strong>Raum</strong> der Vorstellungswelt.<br />

Die Stadt als Kulminationspunkt vieler Räume spielt hier<br />

eine besondere Rolle. Bachelards Interesse gilt den poetischen<br />

Bildern von Räumen. Seiner Auffassung nach ist<br />

das poetische Bild, das immer auch ein räumliches Bild<br />

ist, etwas absolut Ursprüngliches. Er untersucht Bilder<br />

des <strong>Raum</strong>es, die in den Dichtungen aller Sprachen häufig<br />

wiederkehren. Zunächst Bilder intimer Räumlichkeit:<br />

das Haus, der Schlupfwinkel, die Höhle, die Muscheln;<br />

und schließlich den Gegensatz von Drinnen und Draußen.<br />

5 Diese Sichtweise ist interessant im Bezug auf die<br />

Wahrnehmung der Stadt. Die mittelalterliche Stadt mit<br />

schützender Stadtmauer vermittelt Geborgenheit, die<br />

Millionenstädte schaffen in ihrer Unüberschaubarkeit ein<br />

Gefühl der Verlorenheit.<br />

Führt die chaotische Stadtstruktur zu zunehmendem inneren<br />

Chaos ihrer Bewohner? Und würde im Gegensatz<br />

dazu die Idealstadt das Leben der Bewohner strukturieren<br />

und harmonisieren, also die äußere Ordnung auch die<br />

innere ermöglichen und fördern? Führt eine rein an Kapitalströme<br />

gebundene Stadt zu einer rein materialistischen<br />

Orientierung ihrer Bewohner? Und wenn die religiösen<br />

und geistigen Zentren fehlen bzw. diese nur mehr touristische<br />

Funktion haben, werden die Shoppingmalls die<br />

neuen Stadtzentren und die Orte unseres säkularisierten<br />

religiösen Handelns?<br />

Shanghai, die wichtigste Industriemetropole Chinas mit<br />

über 20 Millionen Einwohnern, gehört zu den sich am<br />

schnellsten verändernden Megacities. Aufgrund der<br />

rasanten Entwicklung wird hier halbjährlich ein neuer<br />

Stadtplan erstellt. In der Kernstadt beträgt die Bevölkerungsdichte<br />

7226 Einwohner pro km 2 – im Vergleich dazu<br />

weist Berlin eine Dichte von 3800 Einwohner pro km 2 auf.<br />

Hoffnungslose Überbevölkerung und massive Umweltprobleme<br />

sind die Folge. Immer mehr Menschen leiden an<br />

urbanen burn-out Syndromen; der Pulsschlag der Stadt<br />

scheint immer schneller zu sein als der der Menschen.<br />

Die gegenwärtigen Probleme der Megacities sind schon<br />

aufgrund ihrer Dimensionen (zehn bis zwanzig Millionen)<br />

und ihrer Wachstumsgeschwindigkeit größer, als es die<br />

Probleme der europäischen und nordamerikanischen<br />

Großstädte während der Industrialisierung im 19. Jahrhundert<br />

je waren.<br />

Campo Mondo<br />

Die Stadt als konzentrierter Platz der Welt spiegelt die<br />

Befindlichkeit unserer Zivilisation, sie ist das kulturelle<br />

Amalgam unserer Zeit. Um zukünftige Modelle der Stadt<br />

zu entwickeln, sollte man die historischen Modelle und die<br />

Entwicklungen der Antike und der Renaissance nicht völlig<br />

außer Acht lassen. Der Mensch, in den Größenverhältnissen<br />

der Megacities verschwindend, ist als proportionales<br />

Maß wieder zu entdecken.<br />

Ist die ideale Stadt ein irdisches Paradies, eine vollkommene<br />

Ordnung, eine perfekte Struktur von profanem und<br />

sakralem Leben? Die ideale Stadt wäre ein Körper ohne<br />

Schmerz.<br />

1 Jean Baudrillard, Jean Nouvel, Einzigartige Objekte – <strong>Architektur</strong><br />

und Philosophie, Passagen Verlag Wien, 2004<br />

2 Paul Virilio, Panische Stadt, Passagen Verlag Wien, 2007<br />

3 Günther Feurstein, Geometrie und Chaos: Die andere Stadt;<br />

fair-Zeitung Nr. 12/2011, Wien/Berlin<br />

4 Jean Baudrillard, Jean Nouvel, Einzigartige Objekte – <strong>Architektur</strong><br />

und Philosophie, Passagen Verlag Wien, 2004<br />

5 Gaston Bachelard, Die Poetik des <strong>Raum</strong>es, Fischer Verlag,<br />

1987<br />

20 21<br />

THOMAS REDL<br />

Schule Piero della Francesca (?), Idealstadt um 1450<br />

Heinrich Schickhardt, Plan von Freudenstadt, 1604<br />

Shanghai, Foto: Andrea Baczynski<br />

Strand von Mumbai<br />

live 01 / 2012

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