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Erstausgabe Csernilive Architektur/Raum/Kunst Martin Cserni, Oktober

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live 01 / 2012<br />

Karl Karner, 493x493 aus Samtkasten, Bronze, 2012, 155 x 155 x 220 cm, Sammlung <strong>Martin</strong> <strong>Cserni</strong><br />

inFOrmeL meets natUre:<br />

KarL Karners aKtUeLLe sKULPtUren<br />

FLORIAN STEININGER<br />

Karl Karners aktuelle skulpturale Arbeiten aus der<br />

Samtkasten-Serie changieren zwischen gestischer<br />

Spur im Arbeitsprozess und Formenrelikten, die die<br />

Natur selbst hervorgebracht hat. „Informel meets<br />

Nature“. Ausgangsprodukt ist im Wasser gezogenes<br />

Wachs, das im gehärteten Zustand in Bronze<br />

gegossen wird. Intention und Führung des Künstlers<br />

bei der Arbeit stehen Zufall und natürlichen<br />

Gesetzmäßigkeiten in der Formwerdung entgegen.<br />

Man wird unwillkürlich an die Bleigussrituale zu Silvester<br />

erinnert: amorphe, formale Konstellationen<br />

für allerhand Assoziationsspielraum: Geisterschiffe,<br />

Korallenriffe, Kristallwelten, fantastisch apokalyptische<br />

Landschaften. Trotz festem Zustand scheint<br />

alles in Bewegung, in permanenter Mutation. Eine<br />

Ursuppe von Leben und Vergehen. Bei Nahsicht<br />

verwandelt sich die Oberfläche in eine monströse<br />

Karstlandschaft, in die wir uns verkriechen. Andere<br />

Stellen werden weich wie Haut oder falten sich wie<br />

Gewänder, dann wieder gebrochen durch das Spitze<br />

von Weinstockreben, Nägeln oder Geweihresten.<br />

Ein ständiges Wechselspiel von Bedeutungs- bzw.<br />

Gegenstandsträgern und autonomer Materialqualität<br />

der Skulptur tritt in Kraft. Informelle Spuren des Arbeitsvorgangs<br />

als Materie versus Abguss der Natur.<br />

Schon Lorenzo Ghiberti, Pionier der Portalplastik im<br />

Quattrocento hat sich neben seinen hohen Künsten<br />

der Abbildung von Figur und Wirklichkeit direkt der<br />

Natur bedient, indem er echte Pflanzen und Tiere –<br />

wie etwa Eidechsen – in Bronze abgegossen und<br />

in die Bordüre der skulptierten Paradiespforte am<br />

Baptisterium in Florenz integrierte. Karner eignet<br />

sich Realität durch Bronzeabgüsse von Weinreben,<br />

Geweihen, Perlen, Ästen, Nägeln oder Fingergliedern<br />

an und ergänzt sie zu den sonst informell, organischen<br />

Mutationen seiner Bronzeskulpturen. Durch<br />

die einheitliche Fassung und Patina entsteht ein<br />

homogenes ästhetisches Gefüge.<br />

Die Gesamterscheinung der Skulptur wirkt durchwegs<br />

abstrakt, als Resultat einer Wucherung, eines<br />

Wachstums, dessen nächste Analogien wir in der<br />

Natur selbst finden, zum Beispiel in der Form eines<br />

Korallenriffs. Dennoch sei auf den schöpferischen<br />

Einfluss des Künstlers verwiesen, dessen Handschrift<br />

sich materiell zur Skulptur verdichtet: ein bildhauerischer<br />

Zugang, der sich dem klassischen Begriff<br />

widersetzt. Das Werkmaterial in der konventionellen<br />

Bildhauerei fungiert als Mittel zum figurativ-skulpturalen<br />

Zweck; der Bildhauer formt und modelliert,<br />

um zum idealen Abbild zu gelangen. Prozessuale<br />

Spuren werden zugunsten des Oberflächenfinishs<br />

vermieden. Die Wiedergabe der Wirklichkeit steht<br />

im Zentrum, von der Antike bis zum Klassizismus.<br />

Erst mit Rodin verraten die Oberflächen von Bronze,<br />

Gips und Stein die Handschrift der Arbeit und bieten<br />

einen impressionistischen Reiz ähnlich wie die<br />

flimmernden Farbflecken auf Monets Heuhaufenbilder.<br />

Giacomettis zerklüftete Porträts bilden den<br />

Zenit der handmodellierten figurativen Skulptur in<br />

der Moderne, mit Fingerprints des Autors übersät.<br />

Karners nähere Verwandte sind aber die Protagonisten<br />

der informellen Plastik nach 1945 als<br />

skulpturale Bewegung zum Action Painting. Dynamik,<br />

Spur und Abstraktion verfestigten sich in<br />

den geradezu gezeichneten Schmiedeeisenplastiken<br />

von David Smith, oder auch in den zerklüftet<br />

heterogenen Gewächsen von Oswald Oberhuber.<br />

Magret Rowell brachte dieses Phänomen folgenderweise<br />

auf den Punkt: „Das vordringliche Ziel<br />

war es, den Willen und die Geste des Künstlers<br />

als eine physische, fast automatisch reagierende<br />

Handschrift einzusetzen und einer rohen, unspezifischen,<br />

ursprünglichen Energie plastische Gestalt<br />

zu verleihen.“ Natürlich ist die Malerei und<br />

Zeichnung in jener Umsetzung von Energie direkter,<br />

da der Pinselstrich oder der dünnflüssig<br />

getropfte Lack (bei Pollock) die Bewegung des<br />

Künstlers als Spur unmittelbar übersetzt. Eisen,<br />

Gips oder Bronze sind hingegen aufgrund ihrer<br />

Steifigkeit stets ein Widerstand für Spontanität<br />

und Direktheit in der Expression. Karner hingegen<br />

vermag es, im Wasserbad die Materie fließen zu<br />

lassen, die Bewegungen direkt in gehärtete Form<br />

zu fassen, ohne allzu sehr seine expressive Fährte<br />

zu markieren.<br />

Neben der ungegenständlich prozessualen Note<br />

spielt das Kombinatorische, die Assemblage<br />

eine große Rolle. Alltagsgegenstände und Naturformen<br />

werden selbstverständlich integriert,<br />

wodurch ein spannungsreicher Stil- und Motivrealismus<br />

entsteht. Karner ist nicht an ein ausschließliches<br />

Entweder-Oder gebunden, sondern<br />

er sampelt mit der Skulptur. Trotzdem bleibt die<br />

Gesamterscheinung durch die samtig schwarze<br />

Haut einheitlich, ganz im Unterschied etwa zu<br />

den Objekten aus zahlreich Gefundenem in der<br />

<strong>Kunst</strong> des Dadaismus oder Nouveau Realism,<br />

die sich in anarchischer Weise von akademisch<br />

oder bereits etablierten <strong>Kunst</strong>richtungen distanzieren.<br />

Die Verbindung von <strong>Kunst</strong> und Leben ist<br />

bei Karner nicht nur in der materiellen Erscheinungsform<br />

seiner Skulpturen erkennbar, sondern<br />

er erweitert seinen <strong>Kunst</strong>begriff durch das Installative<br />

und Performative; so platziert er seine<br />

dreidimensionalen Arbeiten auf der Bühne, als<br />

Teil der Choreografie, die er mit seiner Künstlerkollegin<br />

Linda Samaraweerova inszeniert bzw.<br />

aktiv daran teilnimmt. Die Offenheit, die Vernetzung<br />

und komplexe Vielschichtigkeit der aktuellen<br />

Plastik steht somit symptomatisch für Karners<br />

erweiterten <strong>Kunst</strong>begriff.<br />

Karl Karner, Foto: Atelier Karner<br />

Karl Karner<br />

Geboren in Feldbach/Steiermark, Österreich 1973,<br />

lebt und arbeitet in Wien und in der Steiermark.<br />

Ausbildung: Seit 2007 Studium an der Akademie<br />

der bildenden Künste in Wien, Klasse Heimo<br />

Zobernig.<br />

Ausstellungen (Auswahl in Österreich): Galerie<br />

Artepari Graz, Stift Admont, Lentos Museum/Linz<br />

- Triennale 01, Galerie Dana Charkasi/Wien, Neue<br />

Galerie Graz/Graz, Vienna Artfair/Wien, Galerie<br />

Lendl/Graz, breathless/Wien.<br />

(Auswahl Ausland): Colombo Biennale Sri Lanka,<br />

United Artist Club Baku, 4. International Beijing<br />

Biennale 2010, Rezan Has Museum an der Kadir<br />

Has Universität/Istanbul, Kohán György Képtár/<br />

Ungarn, MCC „Old Pallouriotissa Market“/<br />

Zypern, Centar savremene umjetnosti Crne Gore<br />

/Montenegro, Galeria Umjetnina/Kroatien, Arco/<br />

Madrid, Art Brüssel, Österreichisches Kulturforum,<br />

Prag/CZ<br />

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live 01 / 2012

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