Der Stichel Nr. 112 vom Frühjahr 2012 als - Bündnis 90/Die Grünen ...
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6<br />
Kultur<br />
Unser Rathaus Friedenau<br />
Das Friedenauer Wahrzeichen wird<br />
bekanntlich <strong>als</strong> Bezirksstandort aufgegeben.<br />
Daher macht sich die Bürgerschaft<br />
große Sorgen um eine sinnvolle<br />
Nachnutzung, denn das Vertrauen<br />
in die stadtplanerische Weitsicht der<br />
Verantwortlichen ist hinsichtlich des<br />
öffentlichen Desinteresses an diesem<br />
einstigen Schmuckstück auf dem Nullpunkt<br />
angelangt.<br />
<strong>Die</strong> BI Breslauer Platz hat für die anstehende<br />
Neugestaltung des ebenfalls<br />
verwahrlosten Rathausplatzes mit dem<br />
Bezirksamt verabredet, einerseits den<br />
Haltestellenpavillon einzubeziehen, wo<br />
neben dem bestehenden Zeitungskiosk<br />
ein Kaffeegarten entstehen soll, dem<br />
unterirdisch eine Toilette und eine „Kulturhaltestelle“<br />
angegliedert werden sollen.<br />
Andererseits aber schließt die vorgesehene<br />
Ausrichtung der Pflasterung<br />
endlich auch wieder das Rathaus an den<br />
Platz an, was spürbar macht, dass Platz<br />
und Rathaus zusammengehören.<br />
Bereits durch die Erbauer war das<br />
Rathaus zur parallelen Nutzung durch<br />
Verwaltung und Gesellschaft bestimmt,<br />
wodurch hier auch Feuerwehr, Bank,<br />
Bibliothek und natürlich der Ratskeller<br />
ihren Platz fanden. Zudem wurden hier<br />
repräsentative Räume wie der Schlesiensaal<br />
eingebaut, die der verfassten<br />
Bürgerschaft gesellschaftlichen Glanz<br />
sichern sollten.<br />
Auch heute noch gibt es dort parallel<br />
zur Verwaltungstätigkeit eine gesellschaftliche<br />
Nutzung: Im Schlesiensaal<br />
tanzt „Blau-Silber“, im Erdgeschoss<br />
gibt es die beliebte Bibliothek und das<br />
Kindertheater „Morgenstern“ sowie<br />
die Kinderbegegnungsstätte „Frieda“<br />
sind gut besucht. Weil <strong>als</strong>o das Rathaus<br />
zum Platz und die gesellschaftliche Mitnutzung<br />
zum Hause gehört, fordert die<br />
Anneke Eussen: final rendevouz | Holz Stühle Samt, <strong>2012</strong>. (Foto: Beatrice Pötschke)<br />
Kulturszene in<br />
Tempelhof-Schöneberg<br />
Auf den ersten Blick bekommt Tempelhof-Schöneberg<br />
nicht viel davon ab.<br />
Aber der Eindruck täuscht. Wer sich<br />
auf unseren Bezirk einlässt, erlebt eine<br />
Vielfalt und Qualität der Kultur- und<br />
Kreativszene, die für ganz Berlin steht.<br />
Und die weit darüber hinaus strahlt.<br />
Am 16./17. Juni feiern wieder fast eine<br />
halbe Millionen fröhlicher Menschen<br />
das Lesbisch Schwule Stadtfest am<br />
Nollendorfplatz, das größte Europas.<br />
In den historischen Hangars des ehemaligen<br />
Flughafens Tempelhof tanzen<br />
beim Summer Rave am 21. Juli und<br />
auf dem Fly BerMuDa Festival am 3.<br />
November wieder zehntausende RaverInnen,<br />
zur neuesten elektronischen<br />
Musik, vieles davon made in Berlin.<br />
Joachim Gauck: <strong>Der</strong> Freiheits-Präsident<br />
Eine bessere, dazu noch unfreiwillige, PR für ein Buch hat es<br />
wohl selten gegeben. So erschien das neue Buch von Joachim<br />
Gauck „Freiheit ein Plädoyer“ genau einen Tag nach seiner<br />
Nominierung zum Bundespräsidenten.<br />
Also an jenem Tag, an dem die Presse sehr ausführlich über<br />
Gauck berichtete.<br />
Man erinnert sich noch gut an die heftigen Debatten nach<br />
seiner Nominierung. Dabei wurden gerade von vielen Linken<br />
Zitate aus dem Zusammenhang gerissen und Joachim Gauck<br />
dann wahlweise u.a. zum Sarrazin-Freund, Vorratsdatenspeicher-Befürworter<br />
oder kaltherzigen Kapitalismusfreund<br />
erklärt. Auch sein Plädoyer für die Freiheit bietet in dieser<br />
Hinsicht für Menschen, die ein einfaches undifferenziertes<br />
Weltbild bevorzugen, Möglichkeiten zur Polemik. Seine Kritik<br />
an der Friedensbewegung der 80er und auch der Entspannungspolitik<br />
sind sicher für viele irritierend und greifen auch<br />
meiner Meinung nach zu kurz. Hier muss sich Gauck sicher<br />
einige Fragen gefallen lassen.<br />
So wäre es sicher kein Zeichen von Verantwortungsbewusstsein<br />
gewesen, wenn es in der Zeit des Wettrüstens zwischen<br />
Ost und West in einer freien Gesellschaft niemanden gegeben<br />
hätte, der gegen diesen Irrsinn mobilisiert hätte.<br />
Auch die Entspannungspolitik hat in jener Zeit zu Verbesserungen<br />
nicht nur im Klima zwischen Ost und West geführt,<br />
sondern auch zur Erleichterung des Lebens jenseits der Mauer.<br />
Nicht zuletzt konnten sich auch die DissidentInnen in den<br />
ehemaligen Ostblock Ländern auf die Vereinbarungen von<br />
Helsinki beziehen und damit die Verlogenheit ihrer damaligen<br />
Machthaber bloßstellen.<br />
Dennoch ist auch hier pauschale oder gar polemische Kritik<br />
(„kalter Krieger“) gegen die Thesen unangebracht.<br />
So kritisiert er meiner Meinung zurecht Teile des linksliberalen<br />
Establishments jener Zeit , wenn er ihnen vorwirft, Befreiungsbewegungen<br />
wie z.B. Solidarnosc konsequent ignoriert oder<br />
sogar diskriminiert zu haben. Ob aus Angst den Dialog mit<br />
den Machthabern zu gefährden oder aus Bequemlichkeit, erscheint<br />
mir dabei zweitrangig. Ein Disput mit Diktaturen darf<br />
für einen freiheitsliebenden Demokraten nie bequem sein.<br />
Wichtiger im Hinblick auf das Amt des Bundespräsidenten<br />
erscheinen mir aber seine Gedanken im letzten Kapitel über<br />
die Toleranz. Hier bekennt er sich zu einem konsequenten<br />
Eintreten für individuelle Menschenrechte; er vermisst bei<br />
manchen Menschen im Westen eine konsequente Verteidigung<br />
dieser Werte. Ich denke, auf die Universalität der<br />
Menschenrechte,wie sie in der Charta der UN niedergeschrieben<br />
sind, zu verweisen, gerade gegenüber aufstrebenden<br />
Mächten in Asien oder auch in Ländern des nahen Osten,<br />
könnte auch eine Aufgabe eines Präsidenten sein. Anders <strong>als</strong><br />
Regierungen, die notgedrungen auch mit undemokratischen<br />
Ländern verhandeln müssen und hier immer zwischen Handelsintressen<br />
und moralischen Ansprüchen in einem schwierigen<br />
Abwägungsprozeß stehen, kann jemand, der über der<br />
Tagespolitik steht, klarere Worte finden. Um in diesem Zusammenhang<br />
quasi <strong>als</strong> Freiheitsbotschafter aufzutreten, ist<br />
Joachim Gauck sicher eine gute Wahl.<br />
Als Fazit bleibt festzuhalten, das Gauck zeigt, dass Freiheit<br />
nicht alles ist, aber ohne Freiheit alles nichts. Wenn dies auch<br />
<strong>als</strong> Vermächtnis seiner Präsidentschaft nach 5 Jahren im Gedächtnis<br />
der Menschen bleibt, hat sich die Wahl Gaucks jedenfalls<br />
gelohnt.<br />
Christian Sandau<br />
BI:<br />
1. Kein Verkauf des Rathauses an einen<br />
privaten Investor, sondern eine öffentliche<br />
Nachnutzung mit Publikumsverkehr.<br />
2. Rechtswirksame Festschreibung<br />
der gesellschaftlichen Mitnutzung des<br />
Hauses in seinen jetzt bestehenden<br />
Teilen Schlesiensaal, Bibliothek, Kinderbegegnungsstätte.<br />
Als Träger der<br />
gesellschaftlichen Mitnutzung wird ein<br />
gemeinnütziger Verein gegründet, der<br />
den Schlesiensaal <strong>als</strong> Friedenauer Veranstaltungsort<br />
managt.<br />
3. Wiederaufbau des kriegszerstörten<br />
Ratskellers und Auflage an den Pächter,<br />
hier sowohl die Kantine weiterzuführen<br />
<strong>als</strong> auch den öffentlichen Ratskeller<br />
zu betreiben.<br />
4. Sicherstellung der Bürgerbeteiligung<br />
bei der Nachnutzungsfindung<br />
mithilfe einer gemeinsamen Sitzung<br />
Friedenauer Rathaus:<br />
Nachnutzung ungewiss<br />
(Foto: Ulrich Hauschild)<br />
der Ausschüsse für Stadtentwicklung<br />
sowie für Bildung und Kultur der BVV<br />
im Rathaus Friedenau bei Rederecht<br />
für die eingeladene Bürgerschaft.<br />
Unser Bezirk hat sich seit Jahren zum<br />
Pflichtprogramm für Kulturinteressierte<br />
aus der ganzen Welt entwickelt.<br />
Während andere Bezirke mal „in“<br />
und mal „out“ sind, haben die SchönebergerInnen<br />
und TempelhoferInnen<br />
es geschafft, kontinuierlich und konsequent,<br />
hochkarätige und renommierte<br />
Veranstaltungen anzusiedeln. Wenn<br />
die Preview Berlin <strong>vom</strong> 13.-16. September<br />
wieder junge und internationale<br />
Galerien präsentiert, dann stärkt<br />
das Berlins Ruf <strong>als</strong> Kunstmarktplatz<br />
- und findet wie schon in den letzten<br />
Jahren - in unserem Bezirk statt.<br />
Hier leben und arbeiten tausende Kreative<br />
und so verwundert es nicht, wenn<br />
beim jährlichen Friedenauer Kultur-<br />
(Foto Joachim Gauck: © Wolfgang Kumm)<br />
<strong>Frühjahr</strong> <strong>2012</strong> | <strong>Nr</strong>. 212<br />
Ottmar Fischer<br />
Bürgerinitiative Breslauer Platz<br />
Rundgang im November fast siebzig<br />
Ateliers und Galerien beteiligt sind. Da<br />
ist es nur konsequent, wenn wir Grüne<br />
versuchen, die Basis dafür zu erhalten<br />
und zu pflegen. Natürlich ist es sehr<br />
schwer, die notwendigen Einsparungen<br />
„kulturverträglich“ zu gestalten,<br />
aber wenn uns die Zukunft unserer<br />
Kinder und die Attraktivität unseres<br />
Kiezes weiterhin etwas „wert“ sind,<br />
dann gilt es, die Bezirkskultur, die Bibliotheken,<br />
die kulturelle Bildung, die<br />
Projekträume und all die Initiativen zu<br />
erhalten, die Grundlage für eine tolerante,<br />
vielfältige und nachhaltige Kulturszene<br />
sind. Und wer weiß, vielleicht<br />
lässt sich das alte Rathaus ja doch<br />
noch in ein Kulturzentrum verwandeln<br />
- es wäre eine lohnende Investition!<br />
Notker Schweikhardt<br />
Sprecher LAG Kultur, Berlin<br />
B`<strong>90</strong>/Grüne