Sport für alle — aller Sport für Frauen?
Sport für alle — aller Sport für Frauen?
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„Wer bestimmt eigentlich, was sich fü r<br />
<strong>Frauen</strong> schickt, was den <strong>Frauen</strong> gemäß ist ,<br />
was letztendlich die Würde der Frau aus -<br />
macht?”<br />
Diese provozierenden Fragen stellte Professor<br />
Gisela Bentz (Bremen) bei der diesjährigen<br />
Vollversammlung des höchsten Gremiums<br />
<strong>für</strong> <strong>Frauen</strong>sport im Deutschen <strong>Sport</strong>bund<br />
. Drei Tage diskutierten, argumentierten<br />
und arbeiteten rund 80 Delegierte au s<br />
den Landessportbünden und Spitzenverbänden<br />
in Saarbrücken . Wie in jedem Jahr wurde<br />
ein Thema, das den <strong>Frauen</strong> unter den Nägeln<br />
brennt, behandelt. Auch im <strong>Sport</strong> is t<br />
die Gleichstellung der Frau genau so weni g<br />
gegeben wie in Politik und Gesellschaft .<br />
Ebenso wie die <strong>Frauen</strong> in <strong>alle</strong>n Führungsgremien<br />
stark unterrepräsentiert sind, s o<br />
sind auch die Bedingungen im Wettkampf -<br />
und Hochleistungssport stark eingeschränkt<br />
.<br />
Ruth Brosche (Augsburg), Vorsitzende de s<br />
Bundesausschusses, führte in ihrem Eingangsreferat<br />
aus, daß zum ersten Mal in de r<br />
32jährigen Geschichte des Deutschen <strong>Sport</strong>bundes<br />
mehr weibliche als männliche Personen<br />
Mitglied wurden . Es gibt jetzt übe r<br />
sechs Millionen Mädchen und <strong>Frauen</strong> in den<br />
Tom Petranoff <strong>—</strong><br />
oder die neue Dimensio n<br />
im Speerwerfe n<br />
Eine typisch<br />
amerikanische<br />
Karriere<br />
Von Rod Ackerman n<br />
Tom Petranoff wußte nicht einmal, wie ei n<br />
Speer aussieht, ehe er ihn 1977 auf de m<br />
<strong>Sport</strong>platz des Palomar College in Los Angeles<br />
zum erstenmal in die Hand nahm . Sei t<br />
dem sensationellen Weltrekord von 99,7 2<br />
Metern in der Olympiastadt von 1984 steh t<br />
der Name des 25jährigen <strong>für</strong> die Leistungsexplosion,<br />
mit der die erste Weltmeisterschaft<br />
in der Leichtathletik-Geschichte ein -<br />
geläutet wurde .<br />
„Hallo, das sieht aber gut aus”, kommentierte<br />
der Stadionsprecher den Flug de s<br />
Speeres und verkündete, durch die Umrechnung<br />
von Fuß und Zoll auf Meter verwirrt ,<br />
nach der Landung zunächst sogar 99,84 m .<br />
Und Petranoff konnte die offizielle Weit e<br />
von 99,72 m kaum fassen : „Das war der<br />
<strong>Sport</strong> <strong>für</strong> <strong>alle</strong> <strong>—</strong><br />
<strong>alle</strong>r <strong>Sport</strong> <strong>für</strong> <strong>Frauen</strong>?”<br />
<strong>Sport</strong>vereinen, jede fünfte Bundesbürgeri n<br />
treibt also <strong>Sport</strong>. Aber: wie sieht es aus ,<br />
wenn sich die Frau dem Hochleistungs- ode r<br />
Wettkampfsport zuwendet ?<br />
Da gibt es immer noch das „rosa-blaue Stereotyp”<br />
: Männer betreiben Wettkampfsport -<br />
arten und <strong>Frauen</strong> sollten „bitte” bei Gymnastik<br />
und Tanz bleiben oder sich den ein -<br />
schränkenden Wettkampfmöglichkeite n<br />
stellen . Diese Erwartungen machen ein e<br />
Aufweichung der vorgezeichneten Rollenbilder<br />
so schwer . Das gilt genauso <strong>für</strong> die mus -<br />
kelbepackte Kugelstoßerin wie <strong>für</strong> den femininen<br />
Tänzer oder Eiskunstläufer . Ein Aus -<br />
brechen aus diesem Rollenklischee führt unweigerlich<br />
zur Unsicherheit, ja sogar zu m<br />
Außenseitertum .<br />
Nirgendwo, weder in der Medizin oder Psychologie<br />
noch in der Biologie der Soziologie ,<br />
kann nachgewiesen werden, daß <strong>Frauen</strong> i m<br />
Hochleistungs- oder Wettkampfsport behindert<br />
oder eingeschränkt werden sollten .<br />
Ingrid Becker-Mickler und Sylvia Schenk ,<br />
beide mit Erfahrungen aus dem Hochleistungssport,<br />
setzten sich da<strong>für</strong> ein, da ß<br />
nach neuen Wegen gesucht werden müsse ,<br />
um <strong>Frauen</strong> und Mädchen eine chancenge -<br />
Wurf, von dem jeder Speerwerfer jahrelan g<br />
träumt. Das war einfach perfekt." Wen n<br />
man seinem Trainer Bill Webb glaube n<br />
kann, dürfte die Überraschung bei Petranof f<br />
<strong>alle</strong>rdings nicht so groß gewesen sein .<br />
Webb erzählte von einem Telefongespräc h<br />
am Sonntagmorgen : „Er rief an und wollt e<br />
nur sagen : Ich fühle mich phantastisch, heute<br />
werfe ich über 98 Meter .”<br />
Bei Petranoffs Wurf in neue Dimensionen ,<br />
der die Speerwerfer bis auf 28 Zentimeter a n<br />
die Traumgrenze von 100 m heranführte un d<br />
die Athleten angesichts der begrenzten Innenräume<br />
möglicherweise bald aus den Stadien<br />
verbannt, herrschte absolute Windstille<br />
. „Nicht auszudenken, wo der Speer gelandet<br />
wäre . . .”, meinte der Handelsstudent ,<br />
der seinen Wurf so sah : „Der Speer ging a b<br />
wie ein Flugzeug und flog schwerelos dahin .<br />
Es war einfach unglaublich .”<br />
Genau drei Meter weiter als beim bisherige n<br />
Weltrekord (96,72 m) des Ungarn Ferenc Parigi<br />
im April 1980 flog der Speer Petranoffs ,<br />
den Dick Held, der Bruder des früheren ame -<br />
rikanischen Weltrekordlers Bud Held, konstruiert<br />
hat. Petranoff hatte in Los Angele s<br />
mit 83,74 m begonnen, dann den Weltrekord -<br />
wurf hingelegt, danach, als der Rummel de r<br />
Reporter um ihn begann, auf die nächste n<br />
beiden Würfe verzichtet . Im fünften Versuc h<br />
kam der Amerikaner, dessen Bestleistun g<br />
seit einem Wettkampf am 27 . Januar 1983 i n<br />
Melbourne auf 90,53 m stand, noch einmal<br />
rechtere Wettkampfmöglichkeit zu geben .<br />
Man sollte nicht durch Verbote die Abgrenzungen<br />
zwischen männlichem oder weiblichem<br />
<strong>Sport</strong> weiter festschreiben .<br />
Aber die Reichweite des Bundesausschusses<br />
ist begrenzt . Er kann nur Denkanstöße<br />
und Entscheidungshilfen anbieten . Die Zuständigkeit<br />
liegt bei den Spitzenverbänden ,<br />
und diese werden seit nahezu 100 Jahre n<br />
fast ausschließlich von Männern geführt .<br />
Sie bestimmen darüber, was „<strong>Frauen</strong> dienlich<br />
und hilfreich” sei . Aber <strong>Frauen</strong> sollte n<br />
nicht, nur weil sie <strong>Frauen</strong> sind, in ihren Betätigungsmöglichkeiten<br />
eingeschränkt w #<br />
den. Aber sie sollten auch nicht Fehl e<br />
scheidungen des <strong>Sport</strong>s nachvollziehen, nu r<br />
um das Recht auf Gleichstellung durchzusetzen<br />
.<br />
<strong>Frauen</strong> wollen im <strong>Sport</strong> keine Chancengleichheit,<br />
sondern Chancengerechtigkeit .<br />
Sie wollen in Zusammenarbeit mit den Männern<br />
Bedingungen erarbeiten, die <strong>alle</strong>n Ge -<br />
recht werden und von <strong>alle</strong>n verantworte t<br />
werden müssen . Es wird noch ein lange r<br />
Weg sein bis das Fragezeichen : „ . . .<strong>alle</strong> r<br />
<strong>Sport</strong> <strong>für</strong> <strong>Frauen</strong>?” aufgehoben und Chancengerechtigkeit<br />
eingetreten ist .<br />
Margrit Döllne r<br />
auf 85,90 m . Auf den sechsten Wurf verzichtete<br />
er im Überschwang der Gefühle .<br />
Der Aufstieg von Tom Petranoff gleicht einer<br />
typisch amerikanischen Karriere . 1977<br />
folgte er seinem Bruder aus Chicago nac h<br />
Kalifornien, um Kälte und Schnee zu ent3l<br />
hen und sein Glück als Baseballspiele r<br />
versuchen . Eines Tages beobachtete er di e<br />
Speerwerfer beim Training, half beim Ein -<br />
sammeln der Geräte und warf sie dabei weiter<br />
zurück als die trainierten Athleten di e<br />
Speere über den Platz hatten fliegen lassen .<br />
Der Wurf-Trainer des Palomar College sa h<br />
es, nahm Petranoff unter seine Fittiche <strong>—</strong><br />
ein Star war geboren .<br />
Der 1, 86 m große und 81 kg schwere Petranoff<br />
hat mittlerweile sein Studium unterbrochen<br />
. Er jobbt vier Stunden täglich bei eine r<br />
Brauerei und konzentriert sich im übrige n<br />
ganz auf das Speerwerfen . „Hier in Amerik a<br />
kennt mich als Speerwerfer niemand . Wen n<br />
ich in ein Restaurant gehe, fragen sie : ,Ei n<br />
Speer, ist das der Ball mit der Kette ode r<br />
dieses dicke runde Ding?' Aber in Finnland ,<br />
da ist das Speerwerfen eine nationale Angelegenheit<br />
.”<br />
Hart im Training <strong>—</strong><br />
erfolgreich<br />
im Wettkampf .