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Der Musiker Friedrich Nietzsche. Zugleich eine Anleitung zum ...

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Mit nachfolgendem, kurzgefasstem Kommentar sei der Beginn dieser wenig bekannten<br />

autobiografischen Darstellung hier zur Einführung in die Thematik im Zusammenhang<br />

zitiert. Verständlicherweise reichte <strong>Nietzsche</strong> in Basel schließlich statt diesem <strong>eine</strong>n<br />

sich nur auf die philologische Vorbildung konzentrierenden Lebenslauf ein; es hätte<br />

ihm schlecht angestanden, hätte er für s<strong>eine</strong> Philologieprofessur dieses Fach lediglich<br />

als Platzhalter <strong>eine</strong>r empfindlich schmerzenden Leere dargestellt, die sein Abschied<br />

von der Musik, dem „allerstärksten Zug“, hinterließ.<br />

„M<strong>eine</strong> Erziehung ist in ihren Hauptteilen mir selbst überlassen worden. Mein Vater,<br />

ein protestantischer Landgeistlicher in Thüringen, starb allzufrüh: mir fehlte die<br />

strenge und überlegene Leitung <strong>eine</strong>s männlichen Intellekts. Als ich im Knabenalter<br />

nach Schulpforta kam, lernte ich nur ein Surrogat der väterlichen Erziehung kennen,<br />

die uniformierende Disziplin <strong>eine</strong>r geordneten Schule. Gerade aber dieser fast<br />

militärische Zwang, der, weil er auf die Masse wirken soll, das Individuelle kühl und<br />

oberflächlich behandelt, führte mich wieder auf mich selbst zurück. Ich rettete vor dem<br />

einförmigen Gesetz m<strong>eine</strong> privaten Neigungen und Bestrebungen, ich lebte <strong>eine</strong>n<br />

verborgnen Kultus bestimmter Künste, ich bemühte mich in <strong>eine</strong>r überreizten Sucht<br />

nach universellem Wissen und Genießen die Starrheit <strong>eine</strong>r gesetzlich bestimmten<br />

Zeitordnung und Zeitbenutzung zu brechen. Es fehlte an einigen äußern<br />

Zufälligkeiten; sonst hätte ich es damals gewagt, <strong>Musiker</strong> zu werden. Zur Musik<br />

nämlich fühlte ich schon seit m<strong>eine</strong>m neunten Jahre den allerstärksten Zug; in jenem<br />

glücklichen Zustande, in dem man noch nicht die Grenzen s<strong>eine</strong>r Begabung kennt und<br />

alles, was man liebt, auch für erreichbar hält, hatte ich unzählige Kompositionen<br />

niedergeschrieben und mir <strong>eine</strong> mehr als dilettantische Kenntnis der musikalischen<br />

Theorie erworben. Erst in der letzten Zeit m<strong>eine</strong>s Pförtner Lebens gab ich, in richtiger<br />

Selbsterkenntnis, alle künstlerischen Lebenspläne auf; in die so entstandene Lücke trat<br />

von jetzt ab die Philologie.<br />

Ich verlangte nämlich nach <strong>eine</strong>m Gegengewicht gegen die wechselvollen und<br />

unruhigen bisherigen Neigungen, nach <strong>eine</strong>r Wissenschaft, die mit kühler<br />

Besonnenheit, mit logischer Kälte, mit gleichförmiger Arbeit gefördert werden könnte,<br />

ohne mit ihren Resultaten gleich ans Herz zu greifen. Dies alles aber glaubte ich damals<br />

in der Philologie zu finden.“ 2<br />

Auffällig ist hier zunächst das Konstrukt <strong>Nietzsche</strong>s, das Kategorien wie „kühle<br />

Besonnenheit“, „logische Kälte“ und „gleichförmige Arbeit“ einzig der Wissenschaft<br />

zuschreibt, als seien diese Qualitäten nicht auch der professionellen Kunstausübung<br />

mit Gewinn und geradezu notwendig dienstbar zu machen. Musik scheint hier, auf<br />

2 KGW I, 5, S. 52f., 70 [1].

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