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Der Musiker Friedrich Nietzsche. Zugleich eine Anleitung zum ...

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Über diese Wirkung hinaus gibt es k<strong>eine</strong> in der Kunst; sie ist selbst <strong>eine</strong> schöpferische<br />

Kraft. Finden Sie den Ausdruck unpassend, den ich selbst vor zwei Jahren, als ich<br />

mehrere Bogen über diesen Gegenstand an m<strong>eine</strong> Freunde schrieb, gewählt habe; ich<br />

nannte die Wirkung ,<strong>eine</strong> dämonische‘. Wenn es je Ahnungen höherer Welten gibt, so<br />

liegen sie hier verborgen.“ 7<br />

Das auffällige Gewicht, das der junge <strong>Nietzsche</strong> in diesen Texten auf die Wirkung beim<br />

Hören von Musik legt, lässt sich rückbeziehen auf das wohl erste bewusste und<br />

sogleich traumatisierende <strong>Musiker</strong>lebnis des damals knapp Fünfjährigen. Festgehalten<br />

ist dies in s<strong>eine</strong>r ersten Autobiografie Aus m<strong>eine</strong>m Leben von 1858: der orgelbegleitete<br />

Sterbechoral Jesus m<strong>eine</strong> Zuversicht, der beim Begräbnis s<strong>eine</strong>s mit erst 35 Jahren<br />

verstorbenen Vaters im Gottesdienst gesungen wurde.<br />

„Um 1 Uhr Mittag begann die Feierlichkeit unter volle[m] Glockengeläute. Oh, nie<br />

wird sich der dumpfe Klang derselben aus m<strong>eine</strong>m Ohr verlieren, nie werde ich die<br />

düster rauschende Melodie des Liedes „Jesu[s] m<strong>eine</strong> Zuversicht“ vergessen! Durch<br />

die Hallen der Kirchen brauste Orgelton.“ 8<br />

Man muss hier genau lesen: Was erinnert wird, ist, schon beim frühesten <strong>Nietzsche</strong>,<br />

der Klang (der Glocken, der Orgel), nicht das Bild, vor allem aber, für <strong>eine</strong>n späteren<br />

Philologen erstaunlich, die Melodie des Kirchenlieds, nicht dessen Text. <strong>Der</strong> Klang der<br />

Orgel verfolgte den Knaben bis in den Traum: als nur ein halbes Jahr später sein<br />

jüngerer Bruder Joseph starb, träumte er in der Nacht zuvor, dass dieser, von<br />

„rauschendem Orgelschall“ begleitet, von s<strong>eine</strong>m Vater ins Grab geholt wurde.<br />

„In der damaligen Zeit träumte mir einst, ich hörte in der Kirche Orgelton wie beim<br />

Begräbnis. Da ich sah, was die Ursache wäre, erhob sich plötzlich ein Grab und mein<br />

Vater im Sterbekleid entsteigt de[m]selben. Er eilt in die Kirche und kommt in Kurz[m]<br />

mit <strong>eine</strong>m kl<strong>eine</strong>m Kinde im Arm wieder. <strong>Der</strong> Grabhügel öffnet sich, er steigt hinein<br />

und die Decke sinkt wieder auf die Öffnung. Sogleich schweigt der rauschende<br />

Orgelschall und ich erwache.“ 9<br />

Im Nacherleben der Urszene der Beerdigung setzte <strong>Nietzsche</strong> später, im Alter<br />

zwischen 13 und 15 Jahren, den Choral Jesus m<strong>eine</strong> Zuversicht zu vier Stimmen,<br />

auffälligerweise enthält das Manuskript k<strong>eine</strong> Textierung; als Einspielung ist er<br />

7 wie Anm. 3.<br />

8 KGW I, 1, S. 286; 4 [77].<br />

9 ebd.

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