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Der Musiker Friedrich Nietzsche. Zugleich eine Anleitung zum ...

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aufstellte, wird ersichtlich, wenn man die Adressatenbezogenheit vieler s<strong>eine</strong>r privaten<br />

Texte berücksichtigt: <strong>Nietzsche</strong> will hier, aus gutem Grund, der Universität Basel<br />

gegenüber den Eindruck erwecken, er habe sich nunmehr gänzlich der <strong>eine</strong>n Berufung<br />

Philologie verschrieben. Kurz nach s<strong>eine</strong>m Schulabschluss hielt er es hingegen<br />

gegenüber s<strong>eine</strong>r Mutter und Schwester für berichtenswert, dass sein<br />

„Klavierphantasieren“ in <strong>eine</strong>m Restaurant „nicht geringen Effekt“ machte; in <strong>eine</strong>m<br />

anderen Wirtshaus, so erzählte er weiter, improvisierte er am Klavier „wider Wissen in<br />

Gegenwart <strong>eine</strong>s renommierten Musikdirektors, der nachher mit aufgesperrtem<br />

Rachen dastand und alles Schöne sagte“ 12 . Und an s<strong>eine</strong>m ersten Studienort, Bonn,<br />

entstand bis Ende 1864 <strong>eine</strong> stattliche Reihe von <strong>eine</strong>m Dutzend Klavierliedern. Erst<br />

nach dem kritischen Einspruch des dortigen Musikdirektors, der ihm nach Durchsicht<br />

der Lieder riet, Kontrapunktunterricht zu nehmen, nahm er sich fest vor, wie er Mutter<br />

und Schwester wissen ließ, „in diesem Jahr [1865] nichts zu komponieren. […] [M]<strong>eine</strong><br />

Wendung zur Philologie ist entschieden. Beides zu studieren ist etwas Halbes“ (die<br />

Gründe für diese Entscheidung wollte er Mutter und Schwester mündlich mitteilen) 13 ,<br />

ein Selbstversprechen, das er in jenem Jahr mit zwei s<strong>eine</strong>r kühnsten Kompositionen,<br />

Die junge Fischerin (CD 1, 18) und Sonne des Schlaflosen (CD 2, 26), brach. In <strong>eine</strong>m Brief,<br />

bald nach der Komposition des erstgenannten Liedes, an den Freund aus<br />

Gymnasialtagen, Carl von Gersdorff, kam <strong>Nietzsche</strong> zwar, wie im späteren Lebenslauf,<br />

zu der Erkenntnis: „Ich werde ein wenig zu kritisch, um mich noch länger über etwaige<br />

Begabung täuschen zu können“, zog daraus jedoch erstmalig, und im Gegensatz zu der<br />

der Familie mitgeteilten Entscheidung, die Konsequenz: „Ich gehe nun zwar nicht nach<br />

Leipzig, um dort nur Philologie zu treiben, sondern ich will mich wesentlich in der<br />

Musik auszubilden.“ 14 Jedoch erst nach dem Hymnus auf die Freundschaft (CD 1, 1; CD 2,<br />

23) aus den Jahren 1873/74 verstummte <strong>Nietzsche</strong> als Komponist (dessen Gegenstück<br />

ein Hymnus an die Einsamkeit ist verschollen); s<strong>eine</strong> letzte Komposition, das Gebet an das<br />

Leben von 1882, fünf Jahre später von Heinrich Köselitz unter dem Titel Hymnus an das<br />

Leben für Chor und Orchester bearbeitet, ist lediglich <strong>eine</strong> Adaption des Refrains aus<br />

dem ersten Hymnus, dem Worte von Lou Andreas-Salomé unterlegt wurden.<br />

„Es fehlte an einigen äußern Zufälligkeiten; sonst hätte ich es damals gewagt, <strong>Musiker</strong><br />

zu werden.“ Mit diesen, zunächst wenig aussagenden Worten begründete <strong>Nietzsche</strong>,<br />

wie gesehen, 1868, mit irreführender Datierung, s<strong>eine</strong> folgenschwere Abkehr von <strong>eine</strong>r<br />

Professionalisierung s<strong>eine</strong>r unzweifelhaft in hohem Maße vorhandenen musikalischen<br />

Begabung; man erinnere sich auch, dass er schon den Beginn s<strong>eine</strong>r Musikbegeisterung<br />

12 Brief an Franziska und Elisabeth <strong>Nietzsche</strong> vom 27. September 1864, KGB I, 2, S. 4.<br />

13 Brief an Franziska und Elisabeth <strong>Nietzsche</strong> vom 2. Februar 1865, KGB I, 2, S. 40.<br />

14 Brief an Carl von Gersdorff vom 4. August 1865, KGB II, S. 75.

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