ARCHITECTURE!
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VORARLBERG<br />
82<br />
CARLO BAUMSCHLAGER<br />
THE INTERNATIONALIST / DER INTERNATIONALIST<br />
It lies in the genes of the people of<br />
Vorarlberg that they are very open to<br />
the outside world. Because of their<br />
isolation, they have never been able<br />
to develop a market of their own.<br />
In the old days, people were frequently<br />
itinerant workers, and the companies,<br />
too, were always oriented towards<br />
foreign markets. After Austria<br />
joined the European Union, Carlo<br />
Baumschlager and Dietmar Eberle<br />
decided to position themselves on<br />
the international market.<br />
They are building highly luxurious<br />
apartments in China, where at the<br />
request of the clients they are seeking<br />
a quality that is virtually up to EU<br />
standards. When it comes to energy<br />
issues, the technical know-how in<br />
China remains for the most part at<br />
1960 levels. The architectural duo is<br />
also erecting the WHO/UNAIDS<br />
Building in Geneva, residential and<br />
business complexes in Amsterdam, a<br />
large hospital in Belgium, and working<br />
on the expansion of Vienna Airport.<br />
Critic Otto Kapfinger on the two successful<br />
architects: “One of their specialities<br />
is variations on the external shell,<br />
the technological and material stratification<br />
of their façades. These are<br />
often related to the shingled exteriors<br />
of the old Rhine Valley houses.”<br />
Es liegt in den Genen des Vorarlbergers,<br />
dass er nach außen hin sehr<br />
offen ist. Schließlich konnte er aufgrund<br />
der abgekapselten Lage nie<br />
einen eigenen Markt entwickeln.<br />
Früher waren die Leute häufig Wanderarbeiter;<br />
auch die Unternehmen<br />
waren von jeher auslandsorientiert.<br />
Nach Österreichs EU-Beitritt haben<br />
Carlo Baumschlager und Dietmar<br />
Eberle beschlossen, sich auf dem internationalen<br />
Markt zu positionieren.<br />
In China stellen die beiden gerade<br />
sehr luxuriöse Wohnungen her und<br />
versuchen dabei, auf Wunsch der<br />
Bauherren annähernd EU-Standards<br />
einzuhalten. Das technische Knowhow<br />
in Energiefragen ist in China<br />
großteils noch auf dem Stand von<br />
1960. Dazu baut das Architektenduo<br />
gerade das WHO/UNAIDS-Gebäude<br />
in Genf, Wohn- und Geschäftsanlagen<br />
in Amsterdam, ein großes Krankenhaus<br />
in Belgien und realisiert die Erweiterung<br />
des Flughafen Wien.<br />
Kritiker Otto Kapfinger über die<br />
beiden erfolgreichen Architekten:<br />
„Eine ihrer Spezialitäten ist die<br />
Variation der Haushülle, die technisch<br />
und materiell zergliederte Schichtung<br />
ihrer Fassaden. Es sind oft energetisch<br />
Verwandte der Schindelkleider der<br />
alten Rheintal-Häuser.“<br />
Carlo Baumschlager and his partner, Dieter<br />
Eberle, are positioning themselves on the<br />
international market. Above: Martinspark Hotel<br />
in Dornbirn / Carlo Baumschlager und sein<br />
Partner Dieter Eberle positionieren sich am<br />
internationalen Markt. Oben: Designhotel<br />
Martinspark in Dornbirn<br />
There’s an art gallery for every 17,550 inhabitants, a theatre for<br />
every 10,000, a museum for every 7486, a church for every 2700<br />
and an architect for every 1897. They do a lot of praying in<br />
Vorarlberg, but they do even more building.<br />
ARCHITEKTUR IST Wenn ein Ost-Österreicher Mitte<br />
der 80er-Jahre mit dem Auto von Österreich in die Schweiz<br />
fuhr, dann konnte ihm ab der Gegend rund um St. Gallen<br />
richtig die Kinnlade herunterkippen. Nicht weil in der<br />
Schweiz alles so wahnsinnig ordentlich erschien, das tat<br />
es in Vorarlberg auch. Sondern, weil alles so gestylt war.<br />
Jede Autobahn-Raststation, jeder Firmenbau am Rande<br />
der Straße wirkte ästhetisch raffinierter als das meiste Neugebaute<br />
daheim.<br />
Einer der Höhepunkte dieses Fimmels ums Schönmachen<br />
ließ sich zum Beispiel beobachten, wenn der Rasenstreifen<br />
in der Mitte der Autobahn gemäht wurde. Kurz<br />
danach düste nämlich ein Saug-Mobil über die Straße, um<br />
die abgeschnittenen Grasspitzen zu inhalieren. Das ist zwar<br />
eine andere Geschichte, aber sie passt hier schön dazu.<br />
Dies zur Schweiz.<br />
Wenn man heute vom Flughafen Altenrhein mit dem<br />
Auto oder dem Bus nach Vorarlberg fährt, fällt man ebenfalls<br />
nach kurzer Zeit ins Staunen. Und zwar nicht unbedingt<br />
in der Schweiz, außer vielleicht in St. Margareten,<br />
wo man sich wundert, an einem bizarren Bau des verstorbenen<br />
österreichischen Künstlers und Oberflächen-<br />
Behübschers Friedensreich Hundertwasser vorbeizurollen.<br />
Sondern in Vorarlberg. Genauer gesagt in Lustenau. Ja<br />
genau, im eher hässlichen Lustenau, das nur aus Durchfahrtsstraßen<br />
zu bestehen scheint.<br />
Gegen Ende der 90er-Jahre errichtete eine Hand voll<br />
lokaler Spitzen-Architekten an der Hauptverbindungsstraße<br />
nach Dornbirn den „Millenniumspark“ und definierte<br />
den Industrie- und Gewerbebau neu. An diesem<br />
Ort des Handels und der Innovation findet sich die<br />
höchste Konzentration an bemerkenswerter Architektur<br />
im Ländle: das schwarze, elegante Verwaltungsgebäude<br />
des Espressomaschinen-Herstellers „Saeco“ von Carlo<br />
Baumschlager und Dietmar Eberle. Der reduzierte Sichtbetonbau<br />
des Elektronik-Unternehmens „sie“, der von den<br />
jungen Architekten Bernhard und Stefan Marte mit einem<br />
frechen, seitlich herausragenden „Zehn-Meter-Brett“<br />
dynamisiert wurde. Dabei handelt es sich natürlich nicht<br />
wirklich um ein Sprungbrett, sondern um einen schlanken,<br />
langen Balkon, auf dem die Mitarbeiter frische Luft<br />
holen können. Dann der umwerfend schicke Graffity-<br />
Kubus von „Walch’s Event Catering“: Hier kamen die<br />
planenden Architekten Helmut Dietrich und Much<br />
Untertrifaller auf die Idee, eine Holzkonstruktion mit OSB-<br />
Spanplatten zu beziehen, die wiederum von dem Künstler<br />
Peter Kogler bearbeitet wurden.<br />
Auf jeden Fall ist man noch keine sehr große Strecke<br />
gefahren und schon gibt es viel Spannendes zu sehen und<br />
zu erzählen. Den weiteren Weg bleibt man an Wohnbauten<br />
hängen wie der farbstarken Wohnanlage in Schwarzach<br />
von Christian Lenz, die direkt an der Bahnstrecke liegt.<br />
Oder an dem einen oder andern Einfamilienhaus, das zwar<br />
keinen allgemein bekannten Namen, aber die typischen,<br />
durch die „Baukünstler“ geprägten Züge trägt: eher<br />
schlicht, aber mit viel Holz gebaut und gegen Süden hin<br />
mit großzügigen Lichtflächen versehen.<br />
Fällt im Ländle der Begriff „Baukünstler“, nähert man<br />
sich stark den Wurzeln dieses einzigartigen Architektur-<br />
Phänomens, das sich nirgendwo sonst in Österreich in vergleichbarer<br />
Dichte entwickeln konnte. Dabei ging es den<br />
„Baukünstlern“ definitiv mehr um „Bau“ als um „Kunst“,<br />
der Begriff wurde lediglich verwendet, damit man sich<br />
aus den Knebelungen der staatlichen Interessenvertretung<br />
befreien konnte. Der Preis dafür war, zumindest innerhalb<br />
der heimatlichen Region, wo jeder jeden kennt, leicht<br />
zu verschmerzen: Die Protagonisten der Bewegung durften<br />
sich nicht länger Architekten nennen.<br />
Aber Bezeichnungen waren in diesem Zusammenhang<br />
ohnedies nicht allzu relevant. Denn die Keimzelle der<br />
„Baukünstler“ lag in einem kleinen Netzwerk von aufmüpfigen<br />
Planern, Künstlern, Grafikern und Lehrern, die<br />
in den 60er-Jahren Alternativen zur lokalen Provinzialität<br />
der Nachkriegsära formulierten. „Eine der zentralen Figuren<br />
rund um diese Gruppierung war ein Lehrer an der<br />
pädagogischen Akademie in Feldkirch, Franz Bertel“,<br />
erzählt der Architekturkritiker Otto Kapfinger, der dem Vorarlberger<br />
Phänomen mehrere Bücher widmete. Bertel war Mitbegründer der<br />
Kabarettgruppe „Wühlmäuse“, enger Freund des damals revolutionären<br />
Architekten Hans Purin und Ausbildner zahlreicher junger<br />
Talente, die Bertel, so Kapfinger, „in Richtung Architektur trimmte“.<br />
Viele von Bertels Schülern blieben dem Thema treu, zogen nach Innsbruck<br />
oder Wien, um Architektur zu studieren und kehrten wieder<br />
nach Vorarlberg zurück.<br />
Hans Purin, architektonisches Master-Mind der Gruppe, wagte als<br />
Erster, dem damals dominierenden klassischen Rheintal-Stil – schlichte,<br />
mit Holzschindeln bedeckte Bürgershäuser – Holzskelettbauten von<br />
japanischer Strenge entgegenzusetzen. „Man hat diese Bauten damals<br />
abfällig als Streichholz- oder Schuhschachteln bezeichnet“, schildert<br />
Kapfinger, „denn Purin setzte seinen Bauten außerdem ein Flachdach<br />
statt einem Satteldach auf.“<br />
Unwiderstehliche Verführung dieser nach außen hin schmucklosen<br />
Bauten: Sie waren so günstig wie eine 75-Quadratmeter-Wohnung im<br />
Eigentum und ließen sich binnen weniger Tage errichten. „Der Vorteil<br />
dieses Konzepts war, dass der Bauherr große Teile seines Hauses selbst<br />
errichten konnte. Einen Nagel in ein Holz einschlagen kann schließlich<br />
jeder“, erläutert Architekt Hermann Kaufmann, der zu den Holz-Pionieren<br />
im Ländle zählt, auch wenn er bereits zu Purins Nachfolge-Generation<br />
gehört. „Holz“, so Kaufmann, „ist das beste Material fürs Selbstbauen.<br />
Man konnte einfach in der Mittagspause oder nach der Arbeit zu seiner<br />
Baustelle fahren und wieder ein paar Holzbretter montieren.“<br />
Zum aufregenden Stilbruch mit der damaligen Bauweise kam ein<br />
zweites, noch betörenderes Argument hinzu, vor allem für die als Sparmeister<br />
verschrienen Vorarlberger: jenes der Kostengünstigkeit. Das<br />
Material Holz war billig, weil es aus den heimischen Wäldern stammte.<br />
Die Arbeit fiel günstig aus, weil man sie über große Strecken selbst in<br />
die Hände nehmen konnte. Die späteren Betriebskosten bewegten sich<br />
auf äußerst zivilem Niveau, da Holz ein wunderbarer Wärmedämmer<br />
ist. „Wegen ihres ökonomischen Denkens wurde die Architektur des<br />
Widerstands übertölpelt von der vorherrschenden Ideologie der Sparsamkeit“,<br />
schmunzelt Otto Kapfinger, „das Minderheitenprogramm ist<br />
mehrheitsfähig geworden, weil es so vernünftig war.“<br />
Modern interpretation of the Rhine Valley shingle style: Zumtobel AG’s IT Data<br />
Center in Dornbirn / Moderne Interpretation der Rheintaler Schindelbauten:<br />
das IT Data Center der Zumtobel AG in Dornbirn<br />
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