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Vierteljahrshefte für Zeitgeschichte - Institut für Zeitgeschichte

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358 Andrew G. Whiteside<br />

Bauernprogrammen ähnlich waren. Die Masse der Handwerksmeister und Gewerbetreibenden<br />

hingegen fühlte sich mit den bürgerlichen Klassen zu eng verbunden,<br />

um einer Partei beizutreten, die in so hohem Maße Ausdruck der Wünsche der<br />

Lohnarbeiterschaft war wie die DAP. Daß sich die DAP fast ausschließlich mit<br />

den Nöten der deutschen Arbeiter in Böhmen und Mähren befaßte, schwächte ihre<br />

Ausstrahlungskraft in anderen Gebieten und auf soziale Gruppen, <strong>für</strong> die das<br />

Problem des tschechischen Wettbewerbs auf dem Arbeitsmarkt noch nicht akut<br />

oder noch nicht voll bewußt geworden war. Die Mitgliedszahlen wurden natürlich<br />

auch dadurch herabgedrückt, daß sich die Marxisten mit den nationalen Gewerkschafts-<br />

und Parteifunktionären prügelten, was von den Marxisten als „Parteidisziplin",<br />

von den Nationalsozialisten als „Parteiterrorismus" bezeichnet wurde.<br />

Entscheidend war schließlich, daß die nationalsozialistische Bewegung in Österreich<br />

keinen Massenführer von Rang, wie Schönerer bei den Alldeutschen oder<br />

Lueger bei den Christlichsozialen, hervorbrachte oder doch <strong>für</strong> sich gewann. Die<br />

Bewegung besaß wohl eine revolutionäre Idee, aber keinen dynamischen Redner,<br />

der die Massen mit feurigen Bekundungen des revolutionären Willens zu erregen<br />

verstand. Ihre Führer verkannten den Wert eines kühnen kompromißlosen Auftretens<br />

oder be<strong>für</strong>chteten, dann wegen Hochverrats angeklagt zu werden. Da die<br />

DAP nicht das Zeug hatte, eine rasche Gesinnungsänderung der Massen herbeizuführen,<br />

so konnte sie nur hoffen, mittels der Schocktaktik einer rücksichtslosen<br />

Minderheit Macht zu gewinnen. Da<strong>für</strong> aber fehlte ihr die schlechthin unentbehrliche<br />

„Unbedingtheit", welche Schönerer und später Hitler in politische Münze<br />

umzusetzen wußten. Die eigenständigen Programmpunkte des österreichischen<br />

Nationalsozialismus wurden doch nur mit halbem Herzen vorgetragen und enthielten<br />

nur ganz wenige durchschlagende Schlüsselworte wie „Blut", „Boden"<br />

und „Führertum".<br />

Das Ausmaß und die Art der Beziehungen zwischen der österreichischen Nationalsozialistischen<br />

Partei, die sich aus der DAP herausbildete, und der NSDAP<br />

Hitlers sind hier im einzelnen nicht zu erörtern. Man kann nicht sagen, daß diese<br />

den Boden <strong>für</strong> jene bereitet oder ein Modell <strong>für</strong> sie dargestellt hätte, und doch sind<br />

die Ähnlichkeiten zwischen ihnen zu zahlreich und offenkundig, um nur als<br />

zufällig gelten zu können. Die personalen Verbindungslinien kamen hinzu. Sie<br />

wurden auch durch die allmähliche Auflösung der Partei nach Kriegsende nicht<br />

unterbunden. Ihre Mitglieder wurden Angehörige verschiedener Staaten, und die<br />

Partei zerfiel in selbständige Sektionen innerhalb der Deutsch-österreichischen<br />

Republik, der Tschechoslowakei und Polens. Knirsch und Jung waren die führenden<br />

Persönlichkeiten der tschechoslowakischen Partei, welche von etwa einem Dutzend<br />

lokaler Zeitungen gestützt wurde. In dem früher zu Österreichisch-Schlesien, jetzt<br />

zu Polen gehörenden Bielitz lag der Vorsitz bei Oskar Kotschi, in der Deutschösterreichischen<br />

Republik bei Riehl, der zugleich als geschäftsführender Vorsitzender<br />

der sogenannten „Zwischenstaatlichen Kanzlei" fungierte, welche die zerschlagene<br />

Partei zusammenhalten sollte. Als 1919 die NSDAP in München gegründet<br />

wurde, föderierte sie sich unter dem Vorsitz Riehls mit der österreichischen,

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