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Vierteljahrshefte für Zeitgeschichte - Institut für Zeitgeschichte

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378 Siegfried Bahne<br />

Philosophie oder überhaupt eine Wissenschaft „im wohlanständigen, gutbürgerlichen<br />

Sinne des Wortes" erblicken zu wollen. Die wissenschaftliche Form, in der<br />

der Marxismus auftritt, erschien ihm aber als die notwendige Voraussetzung <strong>für</strong><br />

die Erfüllung seiner Aufgabe, der „angemessene" Ausdruck des „neuen Bewußtseinsinhalts"<br />

der - sich gerade von der bürgerlichen revolutionären Bewegung<br />

loslösenden und als selbständige Klasse konstituierenden - „proletarischen Klasse"<br />

zu werden und gleichzeitig „dieses proletarische Klassenbewußtsein auf eine höhere<br />

Stufe seines Daseins" emporzuheben. 1932 ließ er die Beantwortung der Frage,<br />

„ob und wieweit dieser große Wurf" -nämlich, „in seinem Werk die Entwicklung<br />

der ökonomischen Gesellschaftsformation als einen ,naturgeschichtlichen Prozeß'<br />

darzustellen" - „dem materialistischen Geschichts- und Gesellschaftsforscher Marx<br />

im ,Kapital' grundsätzlich gelungen" sei, offen. In seinem Marx-Buch (1938) ging<br />

er noch weiter, indem er erklärte, daß der historische Materialismus als empirische<br />

Methode keiner philosophischen Basis bedürfe 75 . Etwa seit 1930 entfernte er sich<br />

allmählich vom Marxismus, den er zwar nicht völlig preisgab — vielmehr noch 1938<br />

als „the genuine social science of our time" bezeichnete -, aber doch kritisch in<br />

Frage stellte und relativierte. Bei ihm hatte sich schon früh die Tendenz gezeigt,<br />

Marx' „wissenschaftlichen Sozialismus" in seiner historischen Bedingtheit und<br />

Begrenztheit zu sehen 76 . 1932 wollte er dem Marxismus oder genauer der marxistischen<br />

Dialektik nur einen Übergangscharakter zuerkennen, denn es handle sich<br />

tatsächlich um eine „Hinüberrettung" der mit den „Muttermalen" der jakobinischen<br />

bürgerlichen Revolutionstheorie 77 gezeichneten Dialektik in den Materialismus.<br />

In den „Thesen über den heutigen Marxismus" aus dem Jahre 1950 bezeichnet<br />

Korsch alle Versuche, „die marxistische Doktrin als Ganzes und in ihrer<br />

ursprünglichen Funktion als Theorie der sozialen Revolution der Arbeiterklasse"<br />

wiederherzustellen, als „reaktionäre Utopien". Marx ist <strong>für</strong> ihn nur noch einer<br />

der zahlreichen sozialistischen Theoretiker und Führer — von den „utopischen<br />

Sozialisten", Blanqui, Proudhon und Bakunin bis zur Gegenwart. Heute hält er<br />

den Marxismus <strong>für</strong> wichtiger in seiner Eigenschaft als „soziale Bewegung" (action<br />

75 Vgl. Kernpunkte, a. a. O., S. 7; „Die Marxsche Dialektik", in: Inprekorr 3 (1923),<br />

S. 330f.; Korschs Vorwort zu: K. Marx, Das Kapital, Berlin 1932, S. 8; Marxismus und<br />

Philosophie, a. a. O.; Arguments a. a. O., S. 26; Korsch, Marx, a. a. O., S. 230f., 179.<br />

76 1923 hatte er im Marxismus „ein durchaus notwendiges Element innerhalb jenes großen<br />

historischen Entwicklungsprozesses, in dem die proletarische Klassenbewegung sich von der<br />

bürgerlichen revolut. Bewegung ,3. Standes' allmählich loslöste", gesehen: „Nur dadurch,<br />

daß er die Form strenger ,Wissenschaft' annahm, konnte sich jener Komplex proletar. Klassenanschauungen,<br />

der den Inhalt des ,modernen Sozialismus' ausmacht, von den bürgerlichen<br />

Anschauungen, mit denen er kraft seiner Entstehung ursprünglich untrennbar zusammenhing,<br />

radikal reinigen ..." (Inprekorr 3, a. a. O.).<br />

77 In einem Aufsatz über „Marx' Stellung in der Europäischen Revolution von 1848" (Die<br />

Schule, Hrsg. A. Grimme, Jg. 3, 1948, Nr. 5) wirft Korsch Marx vor, er habe 1848 eine „allzu<br />

abstrakte und ungeschichtliche" Politik proklamiert und sich dabei zu sehr „jakobinischer<br />

Losungen" bedient. Vgl. Korsch in: Encyclopaedia of the Social Sciences, Bd. X (1933), S. 172 ff.

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