Vierteljahrshefte für Zeitgeschichte - Institut für Zeitgeschichte
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392 Helmut Heiber<br />
schen Gesandten in Berlin, Professor Zagoroff, am Tage darauf ging er auf die<br />
Hirschjagd. Am Sonntag kam die Familie des Königs nach Zarska Bistriza, worauf<br />
am Nachmittag, nachdem Boris zwei Stunden mit dem Kriegsminister, Generalleutnant<br />
Michoff, konferiert hatte, eine gemeinsame Fahrt im offenen Wagen unternommen<br />
wurde. Der König saß selbst am Steuer und war bei guter Laune, das<br />
Wetter war prächtig, und das Publikum applaudierte lebhaft.<br />
Am nächsten Morgen - es war Montag, der 23. August - kehrte der König nach<br />
Sofia zurück. Den Tag über arbeitete er mit verschiedenen Regierungsbeamten.<br />
Gegen sieben Uhr abends telefonierte er mit seiner Schwester. Er schien erschöpft,<br />
und seine Stimme war müde. Auf Anfrage sagte er, daß er sich nicht wohl fühle,<br />
nur mit Mühe atme und einen Druck in der Brust empfinde. Wenige Minuten nach<br />
diesem Gespräch brach der König die Arbeit ab, klagte wieder über sein Befinden<br />
und meinte, daß er sich noch nie so schlecht gefühlt habe. Nur mit Mühe erreichte<br />
er sein Schlafzimmer, erbrach sich etwa eine halbe Stunde lang und verlor dann das<br />
Bewußtsein. Die Diagnose der herbeigerufenen Ärzte lautete —wie erwähnt—zunächst<br />
auf Gallenkrämpfe, später hieß es dann: Thrombose der linken Koronararterie 31 .<br />
Alle diese Einzelheiten der letzten Tage vor der Erkrankung tragen nicht dazu bei,<br />
eine heftige Erregung oder gar eine Vergiftung gewissermaßen mit Zeitzünder als<br />
Todesursache glaubhaft zu machen, selbst wenn man einmal die Möglichkeit eines<br />
Giftgases unterstellt, das bei einmaliger Verabreichung erst nach einer Woche zu<br />
wirken beginnt und erst nach einer weiteren Woche den Exitus herbeiführt. Trotzdem<br />
schienen dahinzielende Gerüchte eine gewissermaßen autoritative Bestätigung<br />
zu finden, als der Bruder des Zaren, Prinzregent Kyrill, im Januar 1945 anläßlich<br />
seines Schauprozesses vor dem kommunistischen „Volksgericht" entsprechende Aussagen<br />
machte. Sprach er zunächst nur von einer zu starken Dosis Sauerstoff, welche<br />
die Atemmaske des Königs enthalten hätte, so phantasierte er zwei Tage darauf, der<br />
Zar „sei seinerzeit von den Deutschen im Flugzeug bei seiner Rückkehr aus dem<br />
Führerhauptquartier umgebracht worden. Man habe ihm plötzlich eine Chloroformmaske<br />
übers Gesicht gestülpt, wie bei Operationen üblich, die jedoch Giftgas<br />
ausgeströmt habe 32 ".<br />
Man kann diesen zweifelhaften Aussagen eines zumindest terrorisierten Angeklagten<br />
wohl kaum irgendwelchen Beweiswert beimessen. Es ist immerhin auffällig,<br />
daß selbst nachfolgende kommunistische Historiographie mit bemerkenswerter<br />
Wortkargheit schlicht und ohne nähere Details vom „Tode des Zaren Boris<br />
im August 1943" spricht 33 . Auch ein angeblicher Bericht von Hitlers Leibpiloten<br />
Baur, der in den Räumen der deutschen Botschaft gefunden worden sein soll und<br />
der drei Jahre nach dem Krieg im Pariser „Figaro" veröffentlicht wurde 3 *, ist<br />
31<br />
Nikolaev, a. a. O., S. 88.<br />
32<br />
Neue Zürcher Zeitung v. 14. 1. 45 und 15. 1. 45 (Morgenausgabe).<br />
33<br />
Vgl. z.B. I. B. Walew: Aus der Geschichte der Vaterländischen Front Bulgariens,<br />
Berlin 1952, S. 37.<br />
34<br />
Der bei Nikolaev und in den Erinnerungen der Königin erwähnte Artikel („Figaro"<br />
v. 14./15. 12. 48) hat dem Verf. nicht vorgelegen.