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Kirchen in der Oberen Stadt und im Seebach - Kirchenbezirk ...

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Willem vom Kirchplatz<br />

Dietrich Crüsemann<br />

Der Novemberabend war noch recht warm, aber<br />

trotzdem hatte sich <strong>der</strong> Ödenturm schon <strong>in</strong> e<strong>in</strong><br />

durch sichtiges Nebelkleid gehüllt, als ich an diesem<br />

Abend wie<strong>der</strong> e<strong>in</strong>mal vor das Pfarrhaus trat. Der<br />

Kirchplatz war leer bis auf e<strong>in</strong> paar verwehte<br />

Plastiktüten. Drüben am Schubarthaus war das<br />

schwache Orange e<strong>in</strong>er Baulampe zu sehen. Und <strong>in</strong><br />

mattem Weiß sch<strong>im</strong>merte noch <strong>im</strong>mer die Gerüstverkleidung<br />

am Kirchle.<br />

„Willem, lass dich nicht täuschen: bald kommt<br />

trotzdem unweigerlich <strong>der</strong> W<strong>in</strong>ter“ murmelte<br />

ich zu dem stolzen Denkmal herüber. Der alte Kaiser<br />

allerd<strong>in</strong>gs schwieg. Und er schwieg so nachdrücklich,<br />

dass mich e<strong>in</strong> schrecklicher Gedanke<br />

durchfuhr. Was, wenn Willem auf e<strong>in</strong>mal nicht<br />

mehr mit mir reden würde? Der Geme<strong>in</strong>debrief <strong>in</strong><br />

neuer Gestalt – aber ohne Gesprächsnotiz mit<br />

Willem?<br />

Bevor ich jedoch den Gedanken zu Ende denken<br />

konnte, hörte ich e<strong>in</strong> leises Knurren aus <strong>der</strong><br />

Höhe. Er sprach noch – wie gut. Aber er schien<br />

ernsthaft beleidigt.<br />

„Willem, es wird zu viel gemäkelt auf <strong>der</strong> Welt<br />

<strong>und</strong> es gibt zu viele, die beleidigt s<strong>in</strong>d“ flüsterte ich<br />

leise zu ihm herauf. „Sei du jetzt bitte nicht auch<br />

noch sauer!“<br />

„Ich habe aber Gr<strong>und</strong>! Ich habe sogar ganz gewaltig<br />

Gr<strong>und</strong>!“ tönte es nach e<strong>in</strong>em kle<strong>in</strong>en Huster<br />

nun sehr deutlich von oben herunter. „Ich werde<br />

nämlich nicht gewürdigt!“<br />

„Aber Willem!“ versuchte ich es jetzt auf die<br />

diplomatische Art. „Das glaube ich nicht. Sehr viele<br />

mögen Dich! Nahezu alle! Und ich beson<strong>der</strong>s!“<br />

„Jaja, viel Gerede, nichts dah<strong>in</strong>ter! Da ersche<strong>in</strong>t<br />

e<strong>in</strong> neuer <strong>Stadt</strong>kirchenführer, sogar <strong>in</strong> e<strong>in</strong>em sehr<br />

Die etwas an<strong>der</strong>e Kolummne<br />

renommierten Verlag – <strong>und</strong> nichts steht dr<strong>in</strong> von<br />

mir! Ke<strong>in</strong>e Zeile! Ich werde vollkommen ignoriert!<br />

Dabei hast du die Verantwortung dafür: Redest<br />

dauernd mit mir, obwohl ich manchmal lieber<br />

schweigen sollte, füllst de<strong>in</strong>en Geme<strong>in</strong>debrief mit<br />

me<strong>in</strong>en Weisheiten – aber dann: nichts! Ich überlege<br />

ernsthaft, ob ich me<strong>in</strong>e Unterhaltungen mit<br />

dir e<strong>in</strong>stelle! Offener Bronzem<strong>und</strong> bei Nebel ist sowieso<br />

ganz schlecht!“<br />

„Entschuldige Willem“, sagte ich jetzt etwas verlegen.<br />

„Aber weißt du, es heißt doch <strong>Stadt</strong>kirchenführer<br />

– <strong>und</strong> nicht Kirchplatzführer. Und du stehst<br />

doch nicht <strong>in</strong> <strong>der</strong> <strong>Stadt</strong>kirche!“<br />

„Aber ich stehe an <strong>der</strong> <strong>Stadt</strong>kirche“ sagte<br />

Willem jetzt <strong>in</strong> e<strong>in</strong>em ziemlich barschen Ton. „Und<br />

das hätte man ja wohl würdigen können. Zum<strong>in</strong>dest<br />

mit e<strong>in</strong>em Bild!“<br />

Das war das rettende Stichwort. „Willem, weißt<br />

du, ich schätze du kommst sogar noch auf das<br />

Titelbild! Wenn das Gerüst am Kirchle weg ist,<br />

dann muss <strong>der</strong> Fotograf doch noch die Außenaufnahme<br />

machen! Und da bist du dann sicher drauf!“<br />

E<strong>in</strong>e kle<strong>in</strong>e Pause folgte. Dann brummelte <strong>der</strong><br />

alte Kaiser versöhnlich: „Also gut, dann lass ich es<br />

me<strong>in</strong>etwegen gelten. Das ist aber auch das m<strong>in</strong>deste!<br />

Eigentlich hätte man e<strong>in</strong>e Volksabst<strong>im</strong>mung<br />

machen sollen, ob ich nicht doch mit großer Beschreibung<br />

<strong>in</strong> den <strong>Kirchen</strong>führer re<strong>in</strong>darf. Kirchplatz<br />

21 mit Willem <strong>in</strong> <strong>der</strong> Mitte! Aber es gibt ja so<br />

viele Abst<strong>im</strong>mungen …“ Und bei den letzten<br />

Worten war se<strong>in</strong>e St<strong>im</strong>me <strong>im</strong>mer leiser geworden,<br />

bis er endgültig schwieg. Da g<strong>in</strong>g ich leise wie<strong>der</strong><br />

<strong>in</strong>s Haus. In dieser Nacht träumte ich von vielen<br />

Fotografen, die Willem <strong>im</strong>mer wie<strong>der</strong> knipsten –<br />

<strong>und</strong> am Ende e<strong>in</strong>en riesigen Bildband von ihm herausgaben.<br />

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