eine vagabundierende<strong>Gemeinde</strong> inder Frauenkirchegensburger Rede scharf angegriffenwurde. Nicht nur Protestanten, sogarlinke unkirchliche Intellektuelle undPhilosophen schlossen die Reihenund verteidigten die Rede gegen dieungerechtfertigte Empörung aus derislamischen Welt. Der Papst war imHerbst 2006 <strong>für</strong> Katholiken, Protestantenund Konfessionslose endgültigzu einer positiven Leitfigur derwestlichen Welt geworden. Auchwenn dies die Protestanten irritierte,so muss doch neidlos festgestelltwerden, dass <strong>für</strong> viele MenschenBenedikt als Papst zum Symbol <strong>für</strong>eine neue intellektuelle Qualität deschristlichen Glaubens wurde: einesGlaubens, der nicht mehr als altmodischund überholt , sondern alsebenbürtiges Angebot verstandenwird, das sich auf der Höhe der Zeitmit anderen Religionen und philosophischenSystemen messen kann.Es handelt sich dabei um einenTrend, der natürlich in abgeschwächterForm sogar auf den konfessionslosenAnteil der Bevölkerung zutrifft,ohne dass dies unmittelbar eine Stärkungder Autorität der katholischen<strong>Kirche</strong> zur Folge hat. Ähnlich wie derDalai Lama wird nun Benedikt alspositive religiöse Autorität wahrgenommen.Ich bin dann mal weg.Eine ursprünglich katholischeFrömmigkeitsübung, die ihre Wiedergeburtfeiert, ist das Pilgern aufdem Jakobsweg. Ein Trend, der ohneBedenken auch von kirchen- undglaubensfernen Menschen mitgegangenwird. Im Herbst und Frühjahrsind die spanischen Etappendes Jakobsweges schon so überlaufen,dass die Pilger zuweilen keineHerberge finden. Die Motive <strong>für</strong> dasPilgern sind so vielfältig wie dasLeben. Von geglückter Selbstfindungnach Lebenskrisen ist die Rede, vonder Erfahrung der Selbstüberwindungdurch das Meistern des Pilgerweges,von neuen Freundschaften durch dasgemeinsame Unterwegssein und vonauthentischen religiösen Erfahrungen.Multipliziert wird diese neueBegeisterung durch Bestseller wieHape Kerkelings Pilgerbuch „ Ich bindann mal weg – Meine Reise auf demJakobsweg“, das monatelang auf denBestsellerlisten war. Kerkeling gelingtes, Menschen zu motivieren, einealte religiöse Praxis neu zu beleben.Das Pilgern wird zu einem Ausbruchaus den Zwängen des Alltags. Durchsolche Bücher wird die Neugierdenach einem Weg der Begegnung geweckt– mit sich selbst, den Mitmenschenund möglicherweise auch mitGott..Der Petersdom der ProtestantenEin ähnliches Phänomen erlebendie Pfarrer in der Dresdner Frauenkirche,dem neuen „Petersdom derProtestanten“. Der <strong>Kirche</strong>nneubauübt auf Katholiken, Protestanten undKonfessionslose gleichermaßen einegewaltige Anziehungskraft aus. Seit24
2005 zählt die Frauenkirche bishermehr als zwei Millionen Besucher,die lange Wartezeiten in Kauf nehmen,um „ihren Dom“ zu sehen.Bei Gottesdiensten, Andachten undKonzerten müssen regelmäßig Besucherwegen Überfüllung abgewiesenwerden. Es heißt, Kinder, die in derFrauenkirche getauft werden sollen,müssten schon vor der Zeugung dortzur Taufe angemeldet werden.Sicherlich ist eine Fülle von MotivenAuslöser <strong>für</strong> die Faszination, diedie Frauenkirche ausübt. So habenSpenden aus aller Welt einen Teil derBausummen finanziert. Ein Besuchder <strong>Kirche</strong> kann so Genugtuung überden Einsatz der Spende vermitteln.Spender und Besucher kommen wiederumaus allen <strong>Kirche</strong>n oder gehörengar keiner an. Wie beim Pilgernauch wird das Angebot Frauenkirchevon einer internationalen, gemischten„vagabundierenden <strong>Gemeinde</strong>“aus Gläubigen und Ungläubigen angenommen.Taizé und Transzendenz im AlltagEin weiterer überkonfessionellerGottesdienstort, der seit vielen Jahrenvon einer solch vagabundierenden<strong>Gemeinde</strong> besucht wird, ist dieKommunität von Taizé. Sie wurde inden letzten fünfzig Jahren von mehrerenMillionen Jugendlichen besucht.Die kontemplativen Gottesdienstesind von Gebet, Stille und den typischenTaizé-Gesängen geprägt. TäglicheBibelarbeiten und Diskussionenüber den Glauben haben besondersBilder: S. 23 Bild-Zeitung, S. 24: Taizé(privat), S. 25 ZEITjungen Menschen alternative Formender Frömmigkeit eröffnet.Angelehnt an solch positiveErfahrungen mit neuer Spiritualitätetablieren sich in der Landeskircheseit über zehn Jahren die sogenanntenZweitgottesdienste, die zuweilenso viele Besucher anziehen, wiees die traditionelle Ortsgemeindenur an hohen kirchlichen Feiertagenerlebt. Viel Arbeit, Kreativität und Leidenschaftwerden dabei von einemVorbereitungsteam aufgewandt, umdurch Anspiele, neue Musik undneue Formen der Verkündigung aufdie Menschen zuzugehen.Kleine Transzendenzerfahrungenermöglichen auch offene <strong>Kirche</strong>n undKapellen sowie Räume der Stille inHospitälern und Autobahnkirchen.Die dort ausliegenden Besucherbücherbezeugen auf eindrücklicheWeise, wie auch unkirchliche Menschenin diesen sakralen RäumenGott ansprechen, ihm ihre Nöte erzählen,ihm danken.FolgerungenDie pilgernde oder vagabundierendeVolkskirche konstituiert sichbei einem religiösen „Event“ kurzfristigund immer wieder neu. <strong>Kirche</strong>nsollten deshalb durchaus auchfördern, was diesem „Unabhängigkeits“-und „Bewegungsdrang“ angepasstist: Event-Gottesdienste, neue<strong>Gemeinde</strong>formen, geöffnete <strong>Kirche</strong>nals Stätten der Kontemplation unddes Gebets, Pilgerreisen, Freizeitenund Exerzitien. Die polemische Abgrenzungeines sozialdiakonischenTraditionschristentums gegen solch„oberflächliche Eventfrömmigkeit“sollten der Vergangenheit angehören.Die religiöse Suche wird kaumdurch konfessionelle Prägung bestimmt.Auch aus der <strong>Kirche</strong> ausgetreteneoder ungetaufte Menschenwollen zuweilen an einer christlichenFrömmigkeit teilhaben.Eine offene und einladende <strong>Kirche</strong>sollte deshalb die Integration dieserMenschen fördern und dabei ihreganze Angebotsbreite nutzen – vonder Kindersegnung über besondereGottesdienstformen und Thomasmessenbis hin zu Glaubenskursen mitanschließender Erwachsenentaufe<strong>für</strong> die Ungetauften.Dr. Thomas Hoffmann-Dieterich lebt undarbeitet als Religionswissenschaftler inHaigerloch.keine polemischeAbgrenzungvon einer„Event-<strong>Kirche</strong>“25